Positionspapier, Juli 2010 Attac Österreich Margaretenstraße 166 1050 Wien Fon +43.1.5440010 Fax +43.1.54400 59 Web attac.at Email [email protected] Geld ist ein öffentliches Gut – Für ein alternatives Finanzsystem! Das neoliberale Finanzsystem – freier Kapitalverkehr, freie Wechselkurse, profitorientierte Banken, Derivate-Handel in Billiardenhöhe – hat rundum versagt und schadet der Realwirtschaft und der gesamten Gesellschaft. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise gibt es wachsenden Konsens, dass Finanzmärkte reguliert werden müssen. Doch die alleinige „Re-Regulierung“ der Märkte ist zu wenig: Oft sind die Märkte an sich das Problem. Mit der Liberalisierung wurde ein globales Casino geschaffen, in dem Aktien, Kredite, Wechselkurse und immer mehr auch lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel, Rohstoffe oder Wohnraum der Spekulation unterworfen wurden. Mit der Einführung des Handels von Emissionsrechten wird heute sogar mit verschmutzter Luft spekuliert. Angesichts der Verteilungs-, Klima-, Hunger- und Energiekrise sind die derzeit diskutierten Maßnahmen wie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, strengere Eigenkapitalregeln oder das Verbot bestimmter Finanzmarktprodukte unzureichende erste Schritte. Um die aktuellen Probleme nachhaltig zu lösen, bedarf es einer gänzlichen Neuorganisation des Finanzsektors. In diesem Dokument schlägt Attac ein alternatives Finanzsystem vor, das auf anderen Prinzipien auf- baut als das neoliberale Finanzmarktmodell. Im Zentrum dieses alternativen Finanzsystems müssen das öffentliche Interesse und das Gemeinwohl stehen. Banken und Geld müssen zu einem öffentlichen Gut werden. Das alternative Finanzsystem umfasst mehrere Elemente: 1. Ein demokratisches und gemeinwohlorien- tiertes Bankensystem. Banken werden in nichtgewinnorientierte Unternehmensrechtsformen transformiert. 2. Die Abschaffung nichtgemeinwohlorientierter Finanzinstrumente wie Derivate, Fonds, die Verbriefung und der Handel mit Krediten sowie Rating-Agenturen: Das Casino wird geschlossen. 3. Die Schaffung eines Weltwährungssystems mit stabilen, an reale Indikatoren gekoppelten Wechselkursen als Alternative zur aktuellen Dollarhegemonie. 4. Globale Steuerkooperation und eine gerechtere Verteilung der Steuerlast. 1. Ein gemeinwohlorientiertes Bankensystem Die Funktionsweise und Regulierung der Banken im „dominierenden“ globalen Finanzsystem hat versagt. Die Gewinnorientierung hat die Banken von ihren angestammten Aufgaben weggeführt. Anstatt kostengünstige Finanzierung für realwirtschaftliche Aktivitäten bereitzustellen, haben sie aus Profitorientierung ein gefährliches globales Finanzcasino errichtet. Gleichzeitig wurden durch EU-weite und globale Marktliberalisierung so riesige Finanzkolosse herangezüchtet, dass sie „systemrelevant“ geworden sind und nicht in die Insolvenz geschickt werden können. Aufgrund ihrer enormen Macht blockieren diese Kolosse nicht nur ihre notwendige Zerschlagung, sondern auch die ReRegulierung der Finanzmärkte – und sie beanspruchen das gesamte Löschwasser der Regierungen für sich: Während Steuergeld in mehrstelliger Milliardenhöhe für Hilfen und Kredite an die Banken gebunden wird, steht es für alle anderen Zwecke nicht mehr zur Verfügung. Zu diesem neoliberalen und undemokratischen Bankmodell braucht es eine systemische Alternative. Die Grundidee: Geld als Kredit zählt zur Infrastruktur der Wirtschaft und sollte als öffentliches Gut definiert und unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Die systemrelevanten Banken werden zerkleinert. Alle Banken sollen fortan gemeinwohlorientiert sein. Die „Demokratische Bank“ wird neu eingerichtet, sie soll folgende Kernaufgaben erfüllen: • Das bedingungslose Recht aller WohnsitzbürgerInnen auf ein kostenloses Girokonto; • Sichere Sparkonten mit staatlicher Einlagegarantie; • Kostengünstige und unbürokratische Kreditvergabe an „real“ investierende Unternehmen und Haushalte; • Die Kredite werden neben der ökonomischen Boni- tät nach sozialen und ökologischen Kriterien vergeben („ökosoziales Basel III“); • Die Kreditzinsen sind so berechnet, dass sie die Kosten der Bank inklusive Kreditausfälle decken und den SparerInnen die Inflation ausgleichen. Darüber hinaus verschaffen sie weder der Bank Gewinne noch den SparerInnen Einkommen. ausgeben, um lokale Wirtschaftskreisläufe und die Handlungsfähigkeit/Selbstorganisation von Regionen in Krisenzeiten zu fördern. Die Demokratische Bank strebt keine Gewinne an, sondern Kostendeckung. Sie leistet Bewusstseinsund Bildungsarbeit über die Problematik von Kapitaleinkommen. Die öffentliche Hand unterstützt in Zukunft mit der Garantie der Sparguthaben und durch Refinanzierung über die Zentralbank nur noch jene Banken, die nach diesen Prinzipien arbeiten. Die Demokratische Bank unterscheidet sich von traditionellen „Staatsbanken“ dadurch, dass sie von der Regierung unabhängig ist. Alle Gremien werden von der Bevölkerung direkt gewählt und genderparitätisch besetzt. Nur der demokratische Souverän kann die verfassungsmäßigen Ziele und gesetzlichen Leistungen „seiner“ Bank ändern. Auf dem Weg zur Demokratischen Bank ist es sowohl vorstellbar, dass die Demokratische Bank „von unten“ als Genossenschaftsbank gegründet und aufgebaut wird als auch, dass staatliche Banken (Kommunalkredit, HGAA, Commerzbank, regionale Sparkassen, …) in Demokratische Banken umgewandelt werden. 2. Schließung des Casinos Das gegenwärtige globale Finanzcasino umfasst eine Reihe von Produkten und Akteuren, die keinen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen bringen, sondern vielmehr globale Instabilität verursachen, eine ungerechte Verteilung bewirken und damit dem Gemeinwohl insgesamt schaden. Sie sollen verschwinden. • Finanzderivate stellen ein systemisches Risiko dar. Durch stabile Wechselkurse und Rohstoffpreise er- übrigen sich die wenigen nützlichen Derivate. • Fonds bewirken Instabilität und ungerechte Vertei- lung. Sie üben Druck auf die Realwirtschaft aus und nähren die gefährliche Illusion, dass alle mit Kapital- einkommen reich werden können. • Kredite sollen nicht mehr gehandelt, sondern von den Banken, die sie vergeben, gehalten werden. • Transparenz bei der Kreditvergabe; • Mehrere kommunale oder regionale Zweigstellen der Demokratischen Bank können Regionalgeld • Rating-Agenturen braucht es nur auf Finanzmärkten. Diese wird es nicht mehr geben. 3. Egalitäres Währungssystem Das gegenwärtige Weltwährungssystem, das auf der Rolle des US-Dollars als Weltleitwährung (für Rohstoffe und Schulden) beruht, ist ungerecht, weil die USA das einzige Land der Welt sind, das in der eigenen Währung Erdöl und andere strategische Rohstoffe kaufen, sich auf den globalen Kapitalmärkten verschulden und sich auf Kosten der Gläubiger entschulden kann; außerdem sorgt dieses „System“ für chronische Instabilität. Die Dollar-Hegemonie ist für den Zusammenbruch des globalen Währungssystems von Bretton Woods (1944 – 1973), das auf Goldbindung, fixen Wechselkursen und Kapitalverkehrsbeschränkungen beruhte, genauso verantwortlich wie für den Ausbruch der Nord-Süd-Schuldenkrise 1982 oder für das gegenwärtige Handelsungleichgewicht der USA mit China. Schon 1944 schlug der Ökonom John Maynard Keynes eine egalitäre und stabile Alternative zur Dollarhegemonie vor: An die Stelle einer „nationalen“ Weltleitwährung sollte eine künstliche Verrechnungseinheit treten, die sich aus einem „Korb“ aller wichtigen Weltwährungen zusammensetzt. Dieser „Globo“ (bei Keynes „Bancor“), wäre jedoch keine Weltwährung, sondern nur eine Verrechnungseinheit für den Welthandel. Die Wechselkurse aller Landeswährungen zu dieser Handels-, Reserve- oder Sekundärwährung würden gemeinsam von den TeilnehmerInnen der „Weltwährungsunion“ festgelegt und periodisch nach realer Kaufkraftparität angepasst. Das würde allen Beteiligten hohe Planungssicherheit gewähren und Währungsspekulation weitgehend den Boden entziehen. Dieses System böte im Unterschied zum Euro – der als Weltleitwährung nur ein Ersatz für den Dollar mit einer ähnlichen Funktionsweise wäre – neben Stabilität auch Flexibilität, weil a) keine gemeinsamen Zinssätze gelten müssten und b) Länder mit unterschiedlicher ökonomischer Entwicklung (Produktivität, Inflation) diese durch Anpassung der Wechselkurse ausgleichen könnten. Gröbere Abweichungen von ausgeglichenen Handelsbilanzen müssen zudem sanktioniert werden, um Abhängigkeiten und Machtgefälle zu vermeiden. Die Exportweltmeister Deutschland und China würden gleichermaßen bestraft (oder sie müssten ihre Wettbewerbsfähigkeit durch höhere Löhne verringern) wie die Importweltmeister USA oder Griechenland. Der Ausgleich könnte zum Beispiel über Zinsen oder Zölle erfolgen. So wäre das Handelsungleichgewicht der USA mit China oder das zwischen Deutschland und Griechenland gar nicht entstanden oder könnte zudem durch die kontrollierte und nebenwirkungsfreie Abwertung der Defizitländer gelöst werden. In der Eurozone muss die Kooperation auf Währungsebene auch von Kooperation bei der Steuer-, Lohn- und Wirtschaftspolitik begleitet sein. Ohne diese umfassende Abstimmung der Wirtschaftspolitik macht die Einheitswährung wenig Sinn, weil sie die Mitgliedsländer in einen Standortwettbewerb bei Steuern und Löhnen hineinreitet und ihnen gleichzeitig das währungspolitische Abfederungsinstrument der Wechselkursanpassung nimmt. Währungstausche sollten weltweit an realwirtschaftliche Geschäfte (Handel, Direktinvestitionen) gekoppelt werden, um Spekulation zu verhindern. Der freie Kapitalverkehr muss jederzeit zugunsten der Stabilität des Finanzsystems eingeschränkt und der Artikel 63 des VAEU/Lissabon-Vertrags, der jede Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen der EU und Drittstaaten verbietet, entsprechend geändert werden. Das „Clearing“, die Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungsströme, muss unter öffentliche Kontrolle gebracht werden. Damit hätten Staaten, die in der Steuerpolitik und beim Informationsaustausch kooperieren, ein effizientes Mittel gegen Steueroasen in der Hand, weil diese ohne Clearing nicht am internationalen Finanzverkehr teilnehmen können. Banken, die in Steueroasen operieren, könnte die Teilnahme am Clearing verweigert werden. 4. Globale Steuerkooperation und Steuergerechtigkeit Ein gerechtes Finanzsystem zeichnet sich durch eine gerechte Verteilung der Steuerlast aus. Derzeit können die Global Players höhere Gewinne auf dem Weltmarkt erzielen als lokale Unternehmen, und sie ersparen sich Milliarden an Steuerleistung, indem sie ihre Gewinne und Vermögen in Steueroasen verschieben und zudem vom Steuerwettbewerb der Nicht-Steueroasen profitieren, in den sie sie ganz gezielt hineinreiten. Wir fordern: • Schließung von Steueroasen und globale Steuer kooperation/“Transparenzunion“. Wir fordern die Festlegung globaler Mindeststandards für die Besteu- erung von Vermögen, Vermögenseinkommen und Unternehmensgewinnen und ihre automatische Mel- dung an die zuständigen Finanzämter. Die EU-Zins- richtlinie muss auf alle Kapitaleinkommen und juri- stische Personen ausgeweitet und „globalisiert“ werden. Staaten, die sich weigern, an dieser Trans- parenzunion teilzunehmen, werden vom freien Kapital- verkehr abgeschnitten. bis acht Prozent pro Jahr voraus. Die Steuer würde somit nur einen kleinen Teil ihrer Vermögenszu- wächse betreffen. Außerdem braucht es dringend globale Finanzmittel zur globalen Armutsbekämpfung, für ökologische Investitionen und die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Trinkwasser, Wohnung, Gesundheitsversorgung oder Bildung. Mögliche Kandidaten für globale Steuern sind: • Globale CO2-Steuer. „Von allen Instrumenten zur Bremsung des Treibhauseffekts ist der Handel mit Emissionszertifikaten das ineffizienteste“, meint der Solar-Vordenker Hermann Scheer. Wir fordern die Besteuerung von Kohlendioxid, beginnend mit 10 Euro pro Tonne, um einen direkten Vermei- dungsanreiz zu schaffen. Sobald die Weltmarkt- preise für Rohstoffe politisch festgelegt werden, erübrigt sich diese Steuer. • Finanztransaktionssteuer. Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes würde eine FTT bei globaler Einführung im Spitzenszenario mehr als 1000 Milliarden US-Dollar einbringen. Zum Vergleich: Die gesamte öffentliche Entwicklungs- zusammenarbeit beträgt derzeit weniger als 150 Milliarden US-Dollar. Eine IHS-Berechnung kommt bei einer EU-weiten Einführung und einem Steuersatz von 0,1% auf ein jährliches Steuerauf- kommen von 270 Milliarden Euro: das Doppelte des EU-Haushaltes. Mit dem Übergang zu einer globalen Währungskooperation mit fixen Wechsel- kursen, der Einschränkung des Kapitalverkehrs und dem Verbot von Derivaten wäre der Spekula- tion der Boden entzogen und die Steuer hinfällig. • Globale Unternehmensgewinnsteuer. Global Players genießen zahlreiche Vorteile gegenüber klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) und erzielen oft aberwitzige Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe. Sie dürfen deshalb auch stärker zur Kasse gebeten werden: etwa mit einer globalen Gewinnsteuer von 10 Prozent. • Globale Vermögenssteuer/HNWI-Steuer. Die Globalisierung hat eine Elite schwerreicher Indivi- duen hervorgebracht, deren Einkommen teilweise aus globalen Unrechtsstrukturen resultieren. Diese astronomischen Vermögen müssen auch global besteuert werden. Eine 1,5-prozentige Steuer auf „High Net Worth Individuals“ (Personen mit mindestens einer Million US-Dollar liquidem Anlage- vermögen) würde ein jährliches Steueraufkommen von 495 Milliarden US-Dollar generieren. Globale Investmentbanken und Vermögensberater sagen den HNWI stabile Vermögensrenditen von sieben Der geeignete Ort für die Umsetzung der globalen Maßnahmen zur Preis-, Währungs- und Steuerpolitik sind die Vereinten Nationen - und weder die G20 noch der Basler Ausschuss oder der Internationale Währungsfonds. Die UNO ist das höchste globale Gremium, das zwar noch auf geringer demokratischer Legitimation beruht, aber besser demokratisch legitimiert ist als alle anderen genannten Institutionen. Wir fordern gleichzeitig die permanente weitere Demokratisierung der UNO: die Erweiterung des Sicherheitsrates und die Stärkung parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Vertretung in allen Organen. In der UNO könnten eine Weltsteuerbehörde, die Weltwährungsunion mit Weltwährungsbank, der Rohstoffpreisausschuss sowie die Transparenzunion angesiedelt werden. Wer Ja zur Globalisierung sagt, muss auch Ja zu globalen Regeln und Institutionen sagen. Allerdings bedeutet diese Reform globaler Governance-Strukturen nicht die generelle Verlagerung politischer und souveräner Entscheidungsgewalt auf die globale Ebene („global governance“ = globale Regeln ohne „Weltregierung“). Vielmehr können und sollen globale Governance-Strukturen dazu dienen, die politischen und demokratischen Handlungsspielräume auf lokaler, regionaler und nationalstaatlicher Ebene zu erhöhen, zum Beispiel durch die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die Schließung von Steueroasen oder die Ablöse der WTO-Freihandelsregeln durch Regeln für gerechten Handel. Globalisierung braucht Gestaltung – Attac braucht Ihre Unterstützung: PSK Kto-Nr. 92.145.148 BLZ 60000 IBAN AT576000000092145148 BIC OPSKATWW