Auswirkungen des Klimawandels auf die Dynamik und Verbreitung

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Meere und Klima
Auswirkungen des Klimawandels auf die Dynamik und
Verbreitung von Fischpopulationen und Fischereien
Gerd Kraus, Anne Sell und Matthias Bernreuther
Auswirkungen des Klimawandels auf Nordsee und Nordatlantik
Der Wandel des globalen Klimas innerhalb des letzten Jahrhunderts ist dokumentiert und in seinen Folgen
analysiert worden (IPCC, 2007; Rosenzweig et al. [2008]). Er wird sich am unmittelbarsten über einen signifikanten Anstieg der Wassertemperaturen, über sinkende ph-Werte und über geänderte Strömungsmuster und
Stratifizierung mit Auswirkungen auf die Produktivität der Meere auf die genutzten, lebenden Ressourcen im
Meer auswirken.
In den letzten 20 Jahren sind die mittleren Temperaturen des Nordseewassers signifikant gestiegen. Die Wintertemperaturen in der nördlichen Nordsee haben sich um mehr als 1°C erhöht, die der Deutschen Bucht und
an der holländischen Küste um bis zu 2 - 3 °C (ICES [2008]). Während desselben Zeitraums ist das Klima von
Nordostatlantik und Nordsee durch einen positiven „NAO“-Wert geprägt. Diese nordatlantische Oszillation
entsteht durch die Luftdruckunterschiede zwischen Azorenhoch und Islandtief; ihre Phasen erstrecken sich
über Dekaden. Der derzeit vorherrschende positive NAO-Index verstärkt den Einstrom wärmerer atlantischer
Wassermassen in die Nordsee.
Dieser Temperaturanstieg ist weniger für das reine Überleben der meisten der hier vorkommenden Fische
relevant. Er beeinflusst jedoch etliche Prozesse in der Physiologie und Ökologie der Nordseefische und hat
damit messbare ökologische und ökonomische Konsequenzen.
Wichtige temperaturabhängige Prozesse
Temperaturbedingte Änderungen physiologischer Raten betreffen einzelne Fischarten unterschiedlich und
werden hier an Beispielen veranschaulicht:
Aerobe Kapazität: Bestimmte Fischarten verlieren mit zunehmender Erwärmung „Aerobe Kapazität“, d.h., ihr
Stoffwechsel wird weniger anpassungsfähig an extreme Situationen, die verstärkten Sauerstoffbedarf erfordern (Pörtner and Knust [2007]).
Wachstumsraten: Für diverse Fischarten nimmt die Entwicklungszeit der Eier mit steigender Temperatur
ab – was schnelle Populationswachstumsraten begünstigen würde – aber gleichzeitig steigt die Mortalität
der Eier (Bunn et al. [2000]). Individuelle Wachstumsraten des Kabeljau haben ein Temperaturoptimum bei
8 - 9 °C, weil hier die Nahrungskonversion energetisch am günstigsten ist (Björnsson et al. [2001]). Auch für
die Populationswachstumsraten des Kabeljau konnten Planque und Frédou [1999] demonstrieren, dass seine
Rekrutierung mit der Oberflächentemperatur (SST) zusammenhängt – allerdings in verschiedenen Meeresregionen unterschiedlich: Mit einer positiven Beziehung bei „Kaltwasser-Beständen“ (< 6 °C Bodenwassertemperatur; z.B. in der Barentssee) und einer negativen Beziehung bei „Warmwasser-Beständen“ (≥ 9 °C).
Konsequenzen durch die Entkopplung ökologischer Prozesse
Für die erfolgreiche Rekrutierung junger Kabeljaus ist die Synchronisation mit dem Zooplankton entscheidend. Das wichtigste Beutetier war lange der ernährungsphysiologisch wertvolle Copepode Calanus finmarchicus. Dieser wird aber in der südlichen Nordsee inzwischen (unterstützt durch die Einstromsituation) durch
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die wärmeliebende, qualitativ schlechtere Art C. helgolandicus dominiert, die zudem nun zeitversetzt mit
dem Hauptbedarf der Larven in maximaler Abundanz auftritt (Beaugrand et al. [2003]; Bonnet et al. [2005]).
Die hat die Aufwuchsbedingungen für Kabeljaularven signifikant gemindert.
Klimabedingte ökologische Veränderungen
Im Zuge der Klimaveränderung hat in der Nordsee die Abundanz von Fischarten des lusitanischen Formenkreises zugenommen, die für südlichere Meere typisch sind (Ehrich and Stransky [2001]; Ehrich et al. [2007]).
Insbesondere im Einflussbereich der Wassermassen des Ärmelkanals kommen Arten wie der Rote Knurrhahn
(Trigla lucerna), Sardine (Sardina pilchardus), Anchovy (Engraulis encrasicolus) und Streifenbarbe (Mullus
surmuletus) inzwischen regelmäßig in den Bodenfisch-Surveys vor. Auf letztere gibt es bereits eine gezielte
Fischerei. Die Klimaänderung geht hier regional sogar mit einer Erhöhung der Artenzahl einher, die ökologischen Folgen der Einwanderung südlicher Arten sind aber noch unbekannt.
Einfluss auf Bestände und Erträge
Verschiedene Wissenschaftler postulieren eine klimabedingte Verschiebung des Verbreitungsgebietes wichtiger Nutzfischbestände in Richtung der Pole (z.B. Perry et al. [2005]): Als Konsequenzen für Bestände sind
folgende Hypothesen aufgestellt worden: In der Nordsee wird die Produktivität der borealen Arten abnehmen,
während südliche Arten in der Abundanz zunehmen. Gleichzeitig dehnen sich mit Abnahme der polaren Eisbedeckung die potentiellen Verbreitungsgebiete sub-arktischer Arten in die produktiven arktischen Schelfgebiete aus. In der Barentssee z.B. wird die Produktivität der Bestände zunehmen und ihr Verbreitungsgebiet
sich nach Norden und Osten ausweiten. Im Nordatlantik werden darüber hinaus schon jetzt Änderungen in
den Wanderwegen wichtiger kommerzieller Fischarten, wie z.B. Hering und Lodde beobachtet.
Bedingt durch geänderte Produktivität wichtiger Fischbestände, sowie Änderungen der Verbreitungsgebiete
und Wanderbewegungen sind umfassende Auswirkungen auf die Fischerei zu erwarten. Die Fangzusammensetzung wird sich in vielen Fischereien ändern, und die Erträge einiger traditioneller Fanggründe werden
rentable kommerzielle Fischerei nicht mehr zulassen. Auf der anderen Seite werden neue Fanggründe in Regionen, die bisher nicht befischbar waren, hinzukommen. Internationale Übereinkünfte zur Fischerei werden
diesen Entwicklungen Rechnung tragen müssen, und Paradigmen wie z.B. der Erhalt der relativen Stabilität
in der Fangquotenverteilung werden unter Umständen Ihre Gültigkeit verlieren.
Literatur
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Anschrift des Vortragenden:
Dr. Gerd Kraus
vTI Institut für Seefischerei
Palmaille 9
22767 Hamburg
E-Mail: [email protected]
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