Biochemie – Tutorium 10 Mutationen IMPP-Gegenstandskatalog 3 Genetik 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 Nukleinsäuren Molekulare Struktur, Konformationen und Funktionen der Desoxyribonukleinsäure (DNA); Exon, Intron Molekulare Strukturen und Funktionen der Ribonukleinsäure (RNA) Genetischer Code 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 Umsetzung genetischer Information Transkription der DNA Prozessieren der RNA Translation Regulation der Proteinbiosynthese 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 Weitergabe und Verteilung genetischer Information Replikation der DNA Zellzyklus, Mitose, Meiose Meiotische Systeme, Kernphasenwechsel, Generationswechsel Plasmatische Vererbung Parasexuelle (parameiotische) Systeme, Phagen, Plasmide, Resistenzfaktoren 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 Veränderungen der genetischen Information Somatische Mutationen, Mutationen der Keimbahn Mutationstypen, Genom-, Chromosomen- und Punktmutationen, Ames-Test Mutagene Faktoren und transponierbare genetische Elemente Umordnung der Gene (Anikörperbildung) 3.5 3.5.1 3.5.2 Grundlagen der Molekularbiologie Techniken der Molekularbiologie Klonierung und Überexpression von Genen Mutationen • von lat. „mutatio“ = Veränderung • Mutationen sind durch verschiedene Schädigungen ausgelöste Veränderungen der DNA-Sequenz. Diese Veränderungen beruhen nicht auf Rekombination oder Segregation! • Mutation ist ein Grundphänomen in allen biologischen Systemen. Sie lassen sich nicht verhindern, jedoch haben die verschiedenen Organismen die Fehlermöglichkeiten in ihrem Reproduktionssystem mit zunehmender Entwicklungshöhe durch Entwicklung diverser Reparaturmechanismen immer stärker eingegrenzt. • Mutationen können, müssen aber nicht zwangsweise zu Veränderungen des Phänotyps führen. „Mutationen sind der Motor der Evolution“ • Manche Bereiche/Gene auf den Chromosomen weisen eine vergleichsweise höhere Mutationsrate auf als andere, sie werden als „hot spots“ bezeichnet. • Die meisten Mutationen sind rezessiv. • Wirkt sich eine Mutation tödlich aus, wird diese auch als Letalfaktor bezeichnet. Einteilung • Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Einteilung von Mutationen: – Erblichkeit – Umfang – Ursache 1. Einteilung nach Erblichkeit • Somatische Mutationen – Mutationen in allen Körperzellen außer den Gameten (Keimzellen). – Eine Vererbung ist nicht möglich. – Sie wirken sich nur auf das betroffenen Individuum aus. – Die Auswirkungen abhängig vom Zeitpunkt der Mutation: Je früher die Mutation erfolgt, desto einschneidender sind die Konsequenzen. – Als Folge können sich benigne oder maligne proliferative Erkrankungen entwickeln. • Generative Mutationen – Mutationen der Gameten – Sie können vererbt werden. – Die Anzahl der mutierten Gameten ist abhängig vom Zeitpunkt der Mutation (prä- oder postmeiotisch) – Die Mutation wird an sämtliche Zellen des späteren Organismus weitergegeben 2. Einteilung nach Umfang a) Genmutation: – Die Veränderung betrifft jeweils nur das mutierte Gen selbst. – Bei Genmutationen sind einzelne Basen der DNA verändert. – Sie sind erblich. – Genmutationen können weiter unterschieden werden in: • Punktmutationen – • Substitution » Transition » Transversion Rastermutationen/frameshift – – Deletion Insertion/Addition Punktmutation • Es findet die Substitution einer einzelnen Base statt. • Es wird zwischen folgenden Substitutionsmutationen unterschieden: – Transition: • Substitution einer Purin- gegen eine andere Purinbase bzw. einer Pyrimidin- gegen eine andere Pyrimidinbase. – Transversion: • Substitution einer Purin- gegen eine Pyrimidinbase oder umgekehrt. • Die Auswirkungen einer Substitutionsmutation können variieren: – Missense-Mutation: • Durch die Mutation entsteht ein Codon, welches für eine andere Aminosäure codiert. Ein besonderer Fall ist die sog. Neutrale Mutation, bei der das entstehende Codon für eine Aminosäure codiert, welche der originalen chemisch sehr ähnlich ist. – Nonsense-Mutation: • Es entsteht ein Stoppcodon, als Folge endet die Translation verfrüht; das gebildete Polypeptid ist häufig funktionslos . – Stille/stumme Mutation: • Liegt die Punktmutation an Position des 3. Nukleotids eines Codons, so kann es aufgrund der Degeneration des genetischen Codes häufig in die gleiche Aminosäure übersetzt. Rastermutation • Unter Rastermutationen versteht man das Einfügen (Insertion/Addition) oder den Verlust (Deletion) einzelner Basen oder ganzer Basensequenzen. • Diese Veränderungen führen zu Verschiebungen des Leserasters bei der Translation (frameshift). • Man unterscheidet zwei Typen des frameshifts: – Out-of-frame: Leseraster wird verschoben, es entsteht ein Protein mit veränderter Aminosäuresequenz ab der Deletions-/Insertionsstelle. – In-frame: Leseraster bleibt erhalten, es entsteht ein Protein mit an der Deletions-/Insertionsstelle verlorenen bzw. eingefügten Aminosäuren, ansonsten aber gleicher Aminosäuresequenz. Das Leseraster bleibt immer dann erhalten, wenn die Deletion/Insertion eine Anzahl von Basenpaaren betrifft die durch drei teilbar ist. • Beispiel: • Wildtyp: – Ich mag das Eis • Out-of-frame-Insertion: – Ich tma gda sei s • In-frame-Insertion – Ich mag nur das Eis – Ich nur mag das Eis (Versteht man immer noch, auch wenn die Syntax falsch ist) b) Chromosomenmutation (strukturelle Chromosomenaberration): – Strukturelle Veränderung eines Chromosoms, die lichtmikroskopisch sichtbar ist. – Es handelt sich um größere Umbauten durch die sich die Abfolge von Genen oder deren Vorhandensein/Anzahl auf einem einzelnen Chromosom ändert. – Weitere Unterscheidung in: • • • • • – – Translokation Amplifikation/Duplikation Deletion Insertion/Addition Inversion Tlw. schwerwiegende Auswirkungen (Krankheiten, Behinderungen & Fehlbildungen) Sie sind erblich. • Translokation: – Brüche in Chromosomen können mit dem Austausch der Bruchstücke einhergehen, es entstehen sog. Fusionsgene. Man unterscheidet wechseloder einseitige Translokationen. • Amplifikation/Duplikation – Verfielfachung/Verdopplung eines bestimmten Abschnitts eines Chromosoms, in der Regel nicht reparierbar. • Deletion: – Ein Teilstück eines Chromosoms geht verloren. • Interstitielle Deletion: Verlust eines Mittelstücks • Terminale Deletion: Verlust eines Endbereichs (Telomerbereich) • Insertion/Addition – Ein Teilstück eines Chromosoms wird in ein anderes Chromosom eingebaut. • Inversion – Innerhalb eines Chromosoms wird nach einem doppelten Bruch ein Teilstück umgekehrt eingebaut c) Genommutation (numerische Chromosomenaberration) • Nicht-erbliche Mutation durch Änderung der Anzahl einzelner Chromosomen oder ganzer Chromosomensätze • Ursache: fehlerhafte Zerteilung während Meiose I/II • Man unterscheidet zwei verschiedene Formen: – Polyploidie – Aneuplodie Polyploidie • Polyploidie ist ein Spezialfall der Euploidie, bei der ein vollständiger, ganzzahlig-vielfacher Chromosomensatz vorliegt. • Ein einfacher (haploider) Chromosomensatz enthält jedes Chromosom einmal ( Gameten), ein doppelter (diploider) Chromosomensatz zweimal ( somatische Zellen). • Ab drei Chromosomensätzen spricht man von Polyploidie. • Die Polyploidie entsteht während der Meiose bei der Chromosomenvervielfältigung. Werden keine Spindelfasern gebildet oder die homologen Chromosomenpaare bei der Reduktionsteilung aus anderen Gründen nicht getrennt, so entstehen diploide Gameten. • Durch Verschmelzung mit anderen Gameten entstehen die verschiedenen Polyploidie-Typen: – Haploide + diploide Gameten = triploide Zygote – Diploide + diploide Gameten = tetraploide Gameten – etc. • Nur Organismen mit geradzahligen Polyploidiesätzen sind generativ fortpflanzungsfähig • Polyploide Pflanzen kommen relativ häufig in der Natur vor; sie sind häufig Ziel von Züchtungen, weil polyploide Organismen i. d. R. größer, widerstandsfähiger und ertragreicher sind (z. B. Weizen, Hafer, Kartoffel: polyploid) Aneuploidie • Die Aneuploidie ist eine Genommutation, bei der einzelne Chromosomen zusätzlich zum üblichen Chromosomensatz vorhanden sind oder fehlen. • Sie entsteht durch Unregelmäßigkeiten bei den Kernteilungen: einzelne Chromosomen werden nicht repliziert oder einzelne Chromosomenpaare bei Verteilung auf Tochterzellen nicht getrennt: • statt 2n: – 2n+1 (Trisomie) – 2n+2 (doppelte Trisomie) – 2n-1 (Monosomie) • Folge dieser Veränderungen in der Anzahl einzelner Chromosomen sind Erbkrankheiten: – Mongolismus: dreifaches Vorhandensein des Chromosom 21 (Trisomie 21) 3. Einteilung nach Ursache • Diese Klassifikation unterteilt Mutationen in – Spontanmutationen – Induzierte Mutationen Spontane Mutationen • Mutationen ohne äußere Einflüsse, meist durch molekulare Mechanismen ausgelöst – Fehler während der DNA-Replikation (Häufigkeit: 1 von 104 Nukleotiden, menschliche DNA besitzt ca. 3∙ 109 Basenpaare pro Chromosomensatz) – Inäquales Crossing-Over (Stückaustausch zwischen väterlichen und mütterlichen Chromosomen während der Meiose) – Fehlerhafte oder unzureichende Reparaturmechanismen – Fehlerhafte Verteilung der Chromosomen während meiotischen Teilung – Integration oder Herausspringen von Transposons – Spontane Basenveränderungen • Transposons: – „springende Gene“ – können sich im Genom frei bewegen – Transposon wird aus Chromosom herausgeschnitten und an anderer Stelle (im gleichen oder auf einem anderen Chromosom) wieder eingefügt – hat an beiden Enden spezifische Erkennungssequenzen – „Sprünge“ von Transposons → Mutationen, Chromosomenumlagerungen oder Änderung des Aufbaus des gesamten Genoms – beeinflussen Expression anderer Gene – Multiple Antibiotikaresistenz wird durch Transposons vermittelt – Transposons können zwischen Chromosomen und Plasmiden springen Induzierte Mutationen • Die Mutation wird durch äußere Einflüsse, (sog. Mutagene) ausgelöst. • Mutagene sind äußere Einwirkungen, die Mutationen oder Chromosomenaberrationen auslösen, also das Erbgut eines Organismus verändern. Hierbei unterscheidet man – physikalische Mutagene • Strahlung (ionisierende Röntgen-, UV-) • hohe Temperaturen – chemische Mutagene Mutations-Induktion durch Strahlung • UV-Strahlung: – UV-Strahlung führt zu Veränderungen an den Nucleotid-Bausteinen der DNA – Am häufigsten sind Reaktionen zwischen benachbarten Pyrimidinen, bevorzugt zweier Thymidin-Reste. Das charakteristische Produkt ist ein Thymin-Dimer, das über einen Cyclobutan-Ring kovalent gebunden vorliegt (~85%). Desweiteren kann es zu Bildung des sog. TC(6-4)-Produkts (~10%) – In jedem Fall kommt es zu einer Verzerrung der DNA • Ionisierende Strahlung (z.B.:Röntgenstrahlung): – Direkte Wirkung: Strahlen treffen direkt auf Makromoleküle der DNA – Auftreffende Strahlung reagiert zuerst mit Wassermolekülen der Zelle wodurch Hydroxyl-Radikale entstehen. Diese können die Nukleotid-Moleküle oxidieren und somit die DNA beschädigen Mutations-Induktion durch chemische Mutagene • Chemische Mutagene können anhand ihrer Wechselwirkungen mit der DNA in folgende Klassen eingeteilt: – – – – Säuren/Basen Basenanaloga Alkylantien Interkalierende Substanzen • Eine eindeutige Zuordnung ist meist schwierig, da die meisten Stoffe mehrere Wechselwirkungen mit der DNA eingehen können. Säuren/Basen • Es kann zu hydrolytischen Depurinierungen kommen: – Trennung der glykosydischen Bindung zw. PurinBase und Desoxyribose – Dieser Prozess findet auch spontan etwa 200-1000 mal/Tag in einer Säugetierzelle statt – Hitze wirkt ebenfalls katalytisch • Hydrolytische Deaminierung: – Meist Umwandlung von Cytosin in Uracil, das wie Thymin paart (findet auch spontan ca. 400x pro Tag im Säugetiergenom statt). – Deaminierung von Adenin zu Hypoxanthin, das wie Guanin paart (spontan ca. 10x pro Tag und pro Genom). – Bleibt eine Reparatur aus, folgen falsche Basenpaarungen (ATHC, CGUA) – Beispielmutagen: Nitrit Basenanaloga • Basenanaloga sind Analoga der Nukleinbasen und zählen zu den Antimetaboliten. Sie werden während der Replikation anstelle der nativen Nukleotide in die DNA eingebaut. • Basenanaloga sind den Nukleinbasen der DNA chemisch ähnlich und unterscheiden sich von ihnen oft nur in einer aktiven Gruppe. Durch die Änderung der Molekülstruktur sind diese Basen in der Lage, mit verschiedenen Basen komplementär zu paaren, welches eine Punktmutation in der DNA hervorrufen kann. • Bsp.: Bromuracil, Fluoruracil Alkylantien • Alkylierende Verbindungen wie Alkylsulfate und NNitroso-Verbindungen verändern die DNA an allen für ein Methylierung potentiell zugänglichen Reste, einschließlich der Phosphatreste. • Durch die Alkylreste kommt es zu falschen Basenpaarungen. Interkalierende Stoffe • Von Interkalation in die DNA spricht man, wenn sich bestimmte Moleküle, die vollständig oder teilweise planar sind, in die Doppelhelix der DNA zwischen benachbarte Basenpaare einschieben. Durch diese Einlagerung wird die Replikation und Transkription der DNA gestört. Während des Replikationsvorganges kommt es zu einer Rastermutation. • Typische Vertreter sind: – Ethidiumbromid – Polycyclische Kohlenwasserstoffe Reparatursysteme • Um Schäden durch Mutationen zu beheben, existieren verschiedene enzymatische Reparatursysteme: – Fotoreaktivierung durch DNA-Fotolyasen – Postreplikations-Reparatur: Fehlpaarungen werden korrigiert, die während der Replikation entstanden sind – Basenexzisionsreparatur: Endonuclease erkennt Schadstelle, entfernt Stelle, Lücke füllt DNA-Polymerase auf, DNA-Ligase verknüpft – Nukleotidexzisionsreparatur: aus 10-20 Nukleotiden bestehendes Oligonukleotid wird in der unmittelbaren Umgebung einer fehlerhaften Base entfernt • Bleibende Schäden der DNA sind zu erwarten, wenn im selben DNA-Abschnitt beide Stränge geschädigt werden. Ames-Test • Der Ames-Test ist ein Testverfahren, um chemische Mutagene zu identifizieren. • Der Test beruht auf der Messung der Rückmutation einer histidinbedürftigen, auxotrophen Mutante von Salmonella thyphimurium zum Wildtyp (zur Prototrophie): – histidinbedürftige Mutanten von S. thyphimurium können nur auf Nährböden wachsen, denen die Aminosäure Histidin zugesetzt ist – durch Rückmutation können sie die Fähigkeit zu eigener Histidinbildung wieder erlangen → wieder prototroph – Mutagenitätsprüfung: Messung der Zahl der Bakterienkolonien, die auf einem histidinfreien Medium entstehen • Durchführung: – auf Agarplatten mit histidinfreiem Nährsubstrat werden 108 - 109 Testbakterien und ein Homogenisat aus Säugetierleber (enthält enzymhaltige Mikrosomen, um tlw. auch Stoffwechselprodukte der Testsubstanzen zu überprüfen) verteilt. – in die Mitte der Agarplatte wird eine Filterpapierscheibe gelegt, die mit der Verbindung getränkt ist, deren mutagene Wirkung untersucht werden soll – Substanz diffundiert in den Agar und erreicht Bakterien – Mutationen entstehen, u. a. Rückmutation → Synthese von Histidin möglich, Vermehrung auch ohne zugesetztes Histidin – Rückmutanten erscheinen als Ring von Bakterienkolonien rund um die Filterpapierscheiben – ausgewertet wird die Zahl der Kolonien im Verhältnis zur Konzentration der mutagenen Verbindung