IV-Psychose- Hamburger Modell - Integrierte Versorgung in der

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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Für Korrespondenz:
*Prof. Dr. Martin Lambert
Leiter des Arbeitsbereich Psychosen
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Tel: +49-40-7410-57677
Fax: +49-40-7410-55455
E-mail: [email protected]
Originalarbeit
5 Jahre Integrierte Versorgung von Patienten
mit psychotischen Erkrankungen:
das Hamburger Modell
Martin Lambert1*, Thomas Bock1, Christina Meigel-Schleiff2, Benjamin Lange2,
Gunda Ohm3, Alexandra Bussopulos1, Marietta Frieling1, Dietmar Golks1,
Andrea Kerstan1, Lia Nika1, Matthias Lange1, Michael Schödlbauer1, Daniel Schöttle1,
Anne-Lena Sauerbier1, Liz Rietschel1, Klaus Wiedemann4, Benno Schimmelmann4,
Dieter Naber2, Anne Karow1
Affiliation:
1
Arbeitsbereich Psychosen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Martinistrasse 52,
20246 Hamburg
2
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Martinistrasse 52, 20246 Hamburg
3
Schön Klinik Neustadt, Am Kiebitzberg 10, 23730 Neustadt in Holstein
4
Arbeitsbereich Affektive Störungen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum
für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Martinistrasse 52, 20246 Hamburg
Laufender Titel: Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
1.
2.
3.
4.
5.
Seite
Zusammenfassung
3
Einleitung
4
1.1
Erkrankungsspezifische Rationalen
4
1.2
Versorgungsspezifische Rationalen
6
Integrierte Versorgung für Psychosen: das Hamburger Modell
7
2.1
Überblick
7
2.2
Indikationen zur Teilnahme am Hamburger Modell
8
2.3
Das Behandlungsmodell
9
2.4
Finanzierung des Hamburger Modells
14
Ergebnisse der Vorstudie
15
3.1
Studienpopulation
16
3.2
Ergebnis zum primären Zielkriterium
17
3.3
Ergebnisse zu den sekundären Zielkriterien
17
Ergebnisse der begleitenden Evaluation des Hamburger Modells
19
4.1
Evaluationsskalen
20
4.2
Krankheitsspezifische Evaluationsergebnisse
21
4.3
Versorgungsspezifische Evaluationsergebnisse
26
Referenzen
28
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Zusammenfassung
Das „Hamburger Modell“ bezeichnet ein Integriertes Versorgungsmodell für schwer erkrankte Psychose Betroffene nach § 140 SGB V, dass eine sektorübergreifende und
langfristige Behandlung in einem Netzwerk bestehend aus dem Arbeitsbereich Psychosen des UKE und niedergelassenen Psychiatern beinhaltet. Das Modell läuft seitdem
1.5.2007 (Gesamtlaufzeit 4.5 Jahre), folgende Krankenkassen nehmen daran teil: DAK
Gesundheit, HEK, IKK Classic und AOK Rheinland Hamburg. Für die Teilnahme bestehen krankenkassenspezifische und diagnostische Indikationen sowie Indikationen, die
einen hohen Schweregrad der Erkrankung abbilden. Das Behandlungsmodell umfasst
als Kernbestandteil sog. Assertive Community Treatment (ACT), darüber hinaus können
die Teilnehmer alle Angebote des Arbeitsbereich Psychosen und der beteiligten niedergelassenen Psychiater nutzen. Das Hamburger Modell ist ein sog. „Capitation-Modell“,
d.h. das UKE als Hauptvertragsnehmer bekommt eine versichertenbezogene Jahrespauschale, mit der alle Leistungen finanziert werden.
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
1. Einleitung
Der Entwicklung des Hamburger Modells liegen verschiedene erkrankungs- und versorgungsspezifische Rationalen zugrunde. Damit wurde versucht, eine möglichst evidenzbasierte Versorgungsform zu implementieren.
1.1 Erkrankungsspezifische Rationalen
Beginnende oder manifeste Psychosen, also psychische Erkrankungen bei denen u.a.
Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen auftreten, sind zumeist hochkomplexe Störungen (siehe Abb. 1) deren Verlauf und Prognose maßgeblich von der Qualität der Behandlung abhängen (Conus et al. 2007, Lambert & Naber 2009). Insgesamt existieren
12 verschiedene diagnostische Entitäten, bei denen das Krankheitsbild von psychotischen Symptomen geprägt ist, v.a. die Schizophreniespektrums-Störungen, die Bipolare
I Störung oder die schwere Depression (Lambert & Naber 2009). Die Komplexität und
Tragweite dieser Erkrankungen lässt sich anhand folgender Forschungsergebnisse belegen (siehe auch Abb. 1):
Schizophrenie ist eine
komplexe
Erkrankung
Abb.
1: Symptome,psychische
somatische und psychische
komorbide Störungen, sonstige Probleme und daraus
resultierende soziale Konsequenzen bei Patienten mit Psychosen
Psychische Komorbidität
Symptome
!  Positivsymptomatik
Wahn, Halluzinationen,
Desorganisation
!  Negative Symptome
z.B. Affektverflachung, Anhedonie
(80% der Patienten im Verlauf;
15-25% Defizitsyndrom)
!  Kognitive Defizite
z.B. Lernen, Gedächtnis
Konzentration (etwa 75% der
Pat.; etwa 15% IQ < 70)
!  Assoziierte Symptome
Aggression und/oder Delinquenz
Somatische Komorbidität
!  Adipositas
!  Metabolisches Syndrom
!  Diabetes
!  Kardiovaskuläre Erkrankungen
Soziale Konsequenzen
!  Schulabbruch/-probleme
!  Arbeitsabbruch/-probleme
!  Keine Ausbildung und/oder
Arbeitslosigkeit
!  Beziehungsprobleme/
Sozialangst / ohne Partner
!  Familiäre Probleme
!  Wohnungslosigkeit
!  Frühberentung
!  Aggression / Delinquenz
!  Hohe Morbidität
!  Hohe Mortalität (20% kürzere
Lebenserwartung)
!  Affektive Störungen (20-40%)
!  Suchtstörung (40-60%)
!  Angststörung (10-20%)
!  Zwangsstörung (5-15%)
!  Persönlichkeitsstörung
(15-20%)
Sonstige Probleme
!  Lange Dauer der unbehandelten
Erkrankung (gilt für etwa 80%)
!  Suizidalität (10-20fach erhöht)
!  Trauma (60-80%)
!  Mangelnde Krankheitseinsicht
zu Beginn (40-60%)
!  Non-Compliance (60-80%)
!  Gesamtbehandlungsabbruch
(etwa 30% im ersten Jahr)
Quelle: Lambert & Naber. Current schizophrenia, Science Press, in press.
13
 Psychosen sind relativ häufige Erkrankungen: Nach neusten epidemiologischen Studien allein zur Schizophrenie liegt die Inzidenz bei 15.2 pro 100.000 Einwohner (Varianz 7.7-43.0), die 1-Jahres Prävalenz im Median bei 3.3 pro 100.000 Einwohner, die
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Lebenszeitprävalenz im Median bei 4.0 pro 100.000 Einwohner und das Lebenszeitmorbiditätsrisiko im Median bei 7.2 pro 100.000 Einwohner (Saha et al. 2005;
McGrath & Susser 2009). Für die Bipolar-I-Störung (mit psychotischen Symptomen)
liegt die 1- Jahres Prävalenz bei 0.6% und Lebenszeitprävalenz bei 1% (Merikangas
et al. 2007).
 Die Erkrankung beginnt meist früh im Leben: Bei den meisten Betroffenen beginnt die
Erkrankung zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr (Amminger et al. 2006), bis zum
30. Lebensjahr sind bei Männern 90% und bei Frauen 66% erkrankt (Saha et al.
2005) und etwa 20-30% sind bei Erkrankungsbeginn noch im jugendlichen Alter
(Schimmelmann et al. 2007).
 Betroffene sind meist lange unbehandelt: Betrachtet man die Dauer der unbehandelten Erkrankung bei psychotischen Störungen sind die Mehrzahl der Betroffenen im
Durchschnitt etwa 2 bis 5 Jahre erkrankt bevor eine adäquate biologische und psychosoziale Behandlung beginnt (Marshall et al. 2005; Schimmelmann et al. 2008). Eine zunehmende Behandlungsverzögerung hat schwerwiegende Auswirkungen auf
den Verlauf und die Prognose der Erkrankung:
o zunehmende Häufigkeit von Suizidversuchen vor Beginn der ersten Behandlung
(Robinson et al. 2009),
o Abnahme des Funktionsniveaus inklusive Arbeitsfähigkeit oder Ausbildungsstatus
vor Beginn der ersten Behandlung (Schimmelmann et al. 2008),
o schlechterer Verlauf und Prognose der Erkrankung mit niedrigeren „Recovery“Raten (symptomatisches plus funktionelles Outcome; Schimmelmann et al. 2008;
Lambert et al. 2010), gehäuften Rückfällen (Alvarez-Jiminez et al. 2011) und reduzierter Lebensqualität (Marshall et al. 2005),
o Behandlungsunzufriedenheit (Mattson et al. 2005),
o schlechterer Therapieteilnahme (Alvarez-Jiminez et al. 2009),
o gehäuftem Gesamtbehandlungsabbruch (Schimmelmann et al. 2006; Conus et al.
2010a),
o Non-Remission einer komorbiden Suchterkrankung (Lambert et al. 2005) und
o dementsprechend erhöhten direkten und indirekten Langzeitkosten.
 Psychosen sind zumeist komplexe Störungen: Wie in Abbildung 1 dargestellt, sind
beginnende oder schon manifeste Psychosen schon in der Prodromalphase, aber vor
allem bei Ersterkrankung und im weiteren Verlauf hochkomplexe Störungen (siehe
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Abb. 1; Lambert & Naber 2009). Diese Komplexität ergibt sich aus der Vielzahl von
psychotischen (positiv, negativ, kognitiv, Desorganisation) und assoziierten (Agitation,
Depression, Suizidalität) Symptomen, komorbiden psychischen oder somatischen
Störungen, Stressoren, Konflikten, Traumata, verzögerten Persönlichkeitsentwicklungen, Funktionseinbußen und daraus resultierenden sozialen Problemen wie Abbruch
von Schule, Ausbildung, Arbeit oder Kontakten zu Familie oder Freunden. Viele der
genannten Faktoren (z.B. Suchtkomorbidität oder Traumata) können zu einer
schlechten Prognose beitragen, speziell dann, wenn sie nicht adäquat diagnostiziert
und behandelt werden. (Lambert & Naber 2009; Conus et al. 2010b).
 Der Verlauf der Erkrankung ist häufig ungünstig: Aufgrund der Komplexität der Erkrankung, der langen Behandlungsverzögerung und des unzureichenden Hilfesystems (siehe 1.2) sind die Erkrankungsverläufe psychotischer Störungen häufig ungünstig. Lediglich 10-15% der Betroffenen haben nur eine Episode im Leben, alle anderen haben dauerhafte Symptome nach der ersten Episode oder wiederkehrende
Episoden mit oder ohne dauerhafte Symptome bzw. mit einer zunehmenden Verschlechterung des Krankheitsbildes (Rosen & Garety 2005). Der Verlauf der Erkrankung, also die Zugehörigkeit zu der Gruppe von Betroffenen mit nur einer Episode,
wird v.a. durch Behandlungsfaktoren bestimmt, z.B. eine adäquate Früherkennung
mit einer möglichst früh beginnenden Behandlung, eine gute Therapieadhärenz oder
die Behandlung komorbider psychischer Störungen (Rosen & Garety 2005).
 Die Behandlung ist häufig schwierig: Zahlreiche Faktoren bedingen gehäuft schwierige Behandlungen bei psychotischen Störungen. Hierzu zählen beispielsweise:
o die hohe Rate von medikamentöser Non-Adhärenz (50% setzen innerhalb eines
Jahres, 75% innerhalb 2 Jahre ihre Medikamente ab; Velligan et al. 2009),
o die hohe Rate von kompletten Medikationsverweigerern (20%; Lambert et al.
2010b),
o die hohe Rate von Patienten, welche die gesamte Behandlung abbrechen (20-40%
innerhalb von 12-18 Monaten; Kreyenbuhl et al. 2009; Lambert et al. 2010c)
1.2 Versorgungsspezifische Rationalen
Neben erkrankungsspezifischen Rationalen liegen der Konzeption des Hamburger Modells auch versorgungsspezifische Rationalen zugrunde. Neben fehlender bzw. unzureichender Aufklärung und Früherkennung sind diese wie folgt:
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
 Unzureichende ambulante psychiatrische Behandlung durch Fehlstrukturierung des
Versorgungssystems mit Fokus auf vollstationäre Behandlung, Überfinanzierung von
ambulanter Psychotherapie im Verhältnis zur Finanzierung von ambulanter psychiatrischer Versorgung, hochschwelligem Zugang, langen Wartezeiten und fehlender Implementierung von intensiven ambulanten Behandlungsmodellen. Als Beispiel sei eine Untersuchung bei 1012 Psychose-Patienten angeführt, wobei etwa 70% der Betroffenen ein bis drei Termine pro Quartal als Therapie erhielten, die im Durchschnitt
5-30min dauerten. Zudem erhielten nur etwa 8-10% der Patienten, die für sie notwendigen evidenz-basierten Therapien und nur etwa 7% der schwer erkrankten Patienten hatten jemals seit Beginn ihrer Erkrankung eine Psychotherapie erhalten (Lambert et al. 2010c).
 Nach neuesten europäischen Studien erhalten nur etwa 8% der PsychoseBetroffenen eine kombinierte medikamentöse und psychosoziale Behandlung (WHO
2011).
 Fehlende Implementierung von intensiven ambulanten Behandlungsmodellen wie
Assertive Community Treatment (ACT) und dies trotz hoher Evidenz bei schwer erkrankten Patienten (Lambert et al. 2010c; Marshall & Lockwood 2011).
 In Bezug auf die Kosten betragen die jährlichen direkten Schizophreniekosten in
Deutschland etwa 14.000-18.000€ pro Patient (Konnopka et al. 2009). Hinzu kommen
Kosten für Angehörige von 950-1.700€ und indirekte Kosten von 25.000-30.000€, so
dass die Gesamtkosten bei etwa 39.950-49.700€ pro Jahr pro Patient liegen. Betrachtet man alle Patienten aller Schweregrade zusammen, entstehen 60-70% der direkten Kosten durch (wiederholte) stationäre Behandlungen; mit steigendem Schweregrad steigt dieser Anteil auf bis 90%.
2. Integrierte Versorgungsmodell für Psychosen: das Hamburger Modell
2.1 Überblick
Das „Hamburger Modell“ bezeichnet ein Integriertes Versorgungsmodell für schwer erkrankte Psychose Betroffene nach § 140 SGB V, dass eine sektorübergreifende und
langfristige Behandlung in einem Netzwerk bestehend aus dem Arbeitsbereich Psychosen des UKE und niedergelassenen Psychiatern beinhaltet (siehe Tabelle 1). Das Modell läuft seitdem 1.5.2007 (Gesamtlaufzeit 5 Jahre), folgende Krankenkassen nehmen
daran teil: DAK Gesundheit, HEK, IKK Classic und AOK Rheinland Hamburg. Für die
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Teilnahme bestehen krankenkassenspezifische und diagnostische Indikationen sowie
Indikationen, die einen hohen Schweregrad der Erkrankung abbilden (siehe 2.2). Das
Behandlungsmodell umfasst als Kernbestandteil sog. Assertive Community Treatment
(ACT), darüber hinaus können die Teilnehmer alle Angebote des Arbeitsbereich Psychosen und der beteiligten niedergelassenen Psychiater nutzen (siehe 2.3). Das Hamburger Modell ist ein sog. „Capitation-Modell“, d.h. das UKE als Hauptvertragsnehmer
bekommt eine versichertenbezogene Jahrespauschale, mit der alle Leistungen finanziert
werden (siehe 2.4).
Tab. 1: Das Hamburger Modell im Überblick
Information
Details
Start
Teilnehmende
Krankenkassen
 1.5.2007 (Laufzeit: 4 Jahre, 7 Monate)
Indikation
Finanzierung
 DAK Gesundheit, HEK, IKK Classic, AOK Rheinland/Hamburg
Psychotische Störung (12 Diagnosen)
Krankenhauseinweisung
Hoher allgemeiner Schweregrad der Erkrankung
Vorliegen eines assoziierten Syndroms mit hohem Schweregrad
Managed Care Capitation-Modell (Jahrespauschale)
Jahrespauschale beginnt am Tag der stationären Aufnahme
Für die ersten 2 Jahre Jahrespauschale, dann gestufte Pauschalen je
nach Schweregrad der Erkrankung (CGI-S) & Funktionsniveau (GAF) =
Remission über die letzten 6 Monate vor 2 Jahresfrist
 Jedes Jahr neue Einstufung in Bezug auf Remissionsstatus







2.2 Indikationen zur Teilnahme am Hamburger Modell
a) Versichert bei einer der folgenden Krankenkassen:
Krankenkasse:
 DAK Gesundheit
 HEK
 IKK Classic
 AOK Rheinland Hamburg
b) Erfüllung einer der folgenden Hauptdiagnosen nach ICD-10:
F1-Störungen:
 Substanzinduzierte psychotische Störung (F1x.5)
F2-Störungen:
 Schizophrenie (F20)
 Anhaltende wahnhafte Störung (F22)
 Akute vorübergehende psychotische Störung (F23)
 Induzierte wahnhafte Störung (F24)
 Schizoaffektive Störung (F25)
 Sonstige nichtorganische psychotische Störung (F28)
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
 Nicht näher bezeichnende nichtorganische Psychose (F29)
F3-Störungen:
 Manische Episode mit psychotischen Symptomen (F30)
 Bipolar affektive Störung (F31)
 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
(F32.3)
 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere
depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F33.3)
c) Erfüllung folgender Schweregrad-Kriterien:
1. Vorliegende
 Einweisung zur stationären Aufnahme von einem niedergeEinweisung:
lassenen Psychiater oder bei Notfallaufnahme von einem
Krankenhausarzt liegt vor. Die Schwere der Erkrankung
macht normalerweise eine stationäre Behandlung notwendig.
2. Erfüllung des
allgemeinen Schweregrad-Kriteriums im
BPRS:
 Der Patient erfüllt einen allgemeinen Schweregrad von einem
3. Erfüllung
mindestens eines
der spezifischen
Schweregradkriterien im BPRS:
 Halluzinationen (item 10) ≥ 6 Punkte
Gesamtwert von mindestens 40 Punkten in der Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS).
 Wahn (item 11) ≥ 6 Punkte
 Desorganisation (item 15) ≥ 6 Punkte
 Depressiv-suizidales Syndrom ≥ 10 Punkte
 Suizidales Syndrom ≥ 6 Punkte
 Manisches Syndrom ≥ 15 Punkte
 Verhaltensstörungs-Syndrom im Rahmen einer Psychose ≥
15 Punkte
 Syndrom vorherrschender Negativsymptomatik ≥ 15 Punkte
2.3 Das Behandlungsmodell
Das Behandlungsmodell umfasst eine sektorübergreifende und langfristige Behandlung
in einem Netzwerk bestehend aus dem Arbeitsbereich Psychosen des UKE und niedergelassenen Psychiatern. In Abbildung 2 sind alle beteiligten Institutionen sowie die derzeit 20 beteiligten niedergelassenen Psychiater dargestellt.
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Das Hamburger Modell im Überblick
F
ragestellungen
Abb. 2: Das Integrierte Versorgungsmodell für Psychosen: Hamburger Modell
Managed Care Modell mit ‚Capitation‘-Finanzierung (Jahrespauschale)
Psychosen
Spezialambulanz des
UKE (SPA)
Psychosen Spezialstation
und Akutstation des
UKE (PS II & PS EG)
Therapeutisches
Modell des Assertive
Community
Treatment (ACT)
Tagesklinik und
Krisen-Tagesklinik und
TK-Arbeitstherapie
des UKE
20 niedergelassene
Nervenärzte /
Psychiater
Der Arbeitsbereich Psychosen des UKE (siehe Abbildung 3) umfasst verschiedene Teilbereiche, die alle an der Versorgung psychotischer Patienten beteiligt sind bzw. den Betroffenen und ihren Familien im Rahmen der Integrierten Versorgung zur Verfügung stehen. Die beteiligten Versorgungseinheiten umfassen:
 Die Psychosen Spezialambulanz (SPA) des UKE mit einem langfristigem ambulanten
Einzel- und Gruppenangebot sowie ein Spezialangebot für Bipolare Patienten (BiPo
Projekt),
 die Krisentagesklinik für Jungerwachsene Psychose Betroffene (altersübergreifend
16-29 Jahre, 8-10 Plätze),
 das Assertive Community Treatment (ACT) Team,
 die Psychosen Spezialstation der Erwachsenpsychiatrie (PS 2, 23 Betten),
 die Akutstation der Erwachsenpsychiatrie (PS EG, 23 Betten),
 20 niedergelassene Psychiater aus dem erweiterten Sektor (v.a. Eimsbüttel)
Seite 10
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Abb. 3: Der Arbeitsbereich Psychosen des UKE
Kernbestandteil der integrierten Behandlung ist sog. Assertive Community Treatment
(ACT). ACT ist eines der „evidenzbasierten“ Behandlungsmodelle für schwererkrankte
Patienten (engl. „severe mental illness“, SMI) und umfasst eine „aufsuchende, intensive
und langfristige Behandlung für Menschen mit chronischen und schweren psychischen
Erkrankungen“ (Marshall & Lockwood 2011). Der Aufbau eines ACT Teams wird nach
den Richtlinien der Assertive Community Treatment Association (ACTA) durchgeführt.
Die Qualität des Teams wird anhand von 28 Kriterien mit der Dartmouth Assertive
Community Treatment Scale (DACTS) sichergestellt (Range von 1 = „poor fidelity“ bis 5
= „excellent fidelity“; Teague et al. 1998). Zu den allgemeinen Qualitätskriterien eines
ACT Teams gehören:
 multiprofessionelles Team,
 niedrige Behandler-Patienten-Ratio von 1:10 bis maximal 1:20,
 „No drop out policy“,
 24h tägliche Erreichbarkeit,
 Einbindung von ACT in zusätzliche Behandlungsoptionen und damit Zugang zu allen
„evidenzbasierten“ Therapien und Therapieprogrammen sowie notwendige sozialen
Maßnahmen und
 settingübergreifende Behandlungskontinuität.
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Bei der ACT Konzeption im Hamburger Modell wurde „traditionelles ACT“ hin zu „therapeutischem ACT“ modifiziert (siehe Abbildung 4 und Tabelle 2).
Tab. 2: Unterschiede zwischen traditionellem ACT und therapeutischem ACT
Struktur
Indikation
Team
Behandler / Patient-Ratio
Bereitschaft
‚No-drop-out policy’
Psychotherapie
Traditionelles ACT
 ‚Severe mental illness‘ (SMI)
 Nicht-spezialisiertes Team
 1 : 15/20
 24h/tgl. / 365 Tage
 ja
 Häufig keine Verantwortung oder
nicht speziell ausgebildet
 Nicht speziell ausgebildet
Aufgaben im Rahmen
von ACT
 Case Management
 Home Treatment
Pharmakotherapie
Therapeutisches ACT
 Psychose
 Psychose-Experten-Team
 1 : 15/20
 24h/tgl. / 365 Tage
 ja
 Experten




Experten
Case Management
Home Treatment
Psychotherapie
Wie in Tabelle 2 dargestellt, existieren wesentliche Unterschiede zwischen traditionellen
und therapeutischen ACT. Diese umfassen:
 das ACT Team ist auf eine Erkrankung spezialisiert,
 das ACT Team ist multiprofessionell besetzt und besteht aus Psychose Experten
 das Team hat Expertise für die Pharmakotherapie psychotischer Störungen
 das Team ist speziell ausgebildet für Psychotherapie von Psychosen
 die Aufgaben umfassen auch andere evidenzbasierte Interventionen für schwer erkrankte Psychose-Betroffene, u.a. Home Treatment und intensives Case Management
Mit dieser Spezialisierung wird versucht, ein Maximum an störungsspezifischer Behandlungsqualität zu implementieren.
Das Team am UKE ist multiprofessionell besetzt und besteht aus Fachärzten und Assistenzärzten, Psychologen und Fachkrankenpflegepersonal. Es ist einerseits integriert in
die Psychosen Ambulanz, anderseits ist es vernetzt mit dem stationären Bereich und
allen an der Integrierten Versorgung teilnehmenden niedergelassenen Psychiatern.
Im Rahmen der Integrierten Versorgung wird jeder Patient durch ein Zweierteam bestehend aus einem Bezugstherapeuten aus dem ACT Team und einem Arzt (aus dem ACT
Team oder niedergelassen), kontinuierlich über die gesamte langfristige Laufzeit behandelt. Das Team trägt die Verantwortung für die strukturelle und inhaltliche Koordination
der Therapie. Die Therapieplanung erfolgt mit dem Patienten und wenn immer möglich
auch zusammen mit den Angehörigen. Der Patient kann alle im Psychosenbereich an-
Seite 12
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
geboten Therapien nutzen. Das sichert den Zugang zu allen „evidenzbasierten“ Gruppentherapien und Therapieprogrammen sowie notwendigen sozialen Maßnahmen. Die
niedrige Behandler/Patient-Ratio erlaubt darüber hinaus einen möglichst frühzeitigen
Zugang zu Psychotherapie, die durch den jeweiligen ACT Bezugstherapeuten durchgeführt werden kann.
Abb. 4: Therapeutisches ACT als Kernbestandteil des Hamburger Modells
Therapeutisches Assertive Community Treatment (ACT):
Aufsuchende, kontinuierliche und hochfrequente Behandlung. Spezialisiertes,
multiprofessionelles Team von Psychose-Experten, bietet auch Einzelpsychotherapie an.
Home Treatment
Akutbehandlung
im eigenen
Wohnraum
übernimmt
Funktion
Behandlungsteam
Jeder Patient wird durch
Zweierteam aus Arzt und
Bezugstherapeut behandelt
übernimmt
Funktion
Case Management
Koordination und
Überwachung
der Behandlung
Strukturelle Merkmale
Niedrige Behandler
Patienten-Ratio
(1:15/20)
Hochfrequente
ambulante
Behandlung
24h/365 Tage
Erreichbarkeit
‚Community‘
Therapie
‚No-drop-out
policy‘
Einbindung in
Spezialambulanz
Therapeutische Merkmale
Sofortige
Krisenintervention
Sicherung /
Überwachung
Adhärenz
Optimale
Pharmakotherapie
Psychotherapie
(Einzel und
oder Gruppe)
Durchführung bzw. Koordination
anderer notwendiger
biopsychosozialer Intervention
Verbesserung von Erkrankungsverlauf und Prognose
Das ACT Team hat damit im Wesentlichen folgende Aufgaben (siehe Abbildung 4):
 Hochfrequente, langfristige und settingübergeifende Behandlung im eigenen Umfeld
inklusive Akut- und Langzeitbehandlung und inklusive einer hochqualitativen Pharmakotherapie,
 Verhinderung von Rückfällen durch Krisenintervention 7 Tage die Woche und 24h
täglich, sofortige Rückfallbehandlung, sofortige Compliance-fördernde Maßnahmen
im Falle von Non-Compliance und sofortige „Re-engagement“ bei Gesamtbehandlungsabbruch
 poststationäre intensive Nachsorge und damit Reduktion der Krankenhausverweildauer und
 Planung und Koordination aller Interventionen und damit Zugang zu allen „evidenzbasierten“ Gruppentherapien und Therapieprogrammen sowie notwendigen sozialen
Maßnahmen
Seite 13
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
 Möglichst frühzeitiger Zugang zu Psychotherapie, die durch den ACT Mitarbeiter
durchgeführt wird.
 Einbindung der niedergelassenen Psychiater
Beteiligte niedergelassene Nervenärzte (derzeit 20) haben sich im Rahmen des Vertrages dazu verpflichtet, eingeschlossene Patienten ohne Wartezeit, intensiver und in enger Abstimmung mit dem jeweiligen Bezugstherapeuten zu behandeln. Mittlerweile haben 20 niedergelassene Psychiater ihren Beitritt zu „Hamburger Modell“ erklärt. Für Patienten der Integrierten Versorgung haben sie sich dazu verpflichtet, möglichst keine
oder nur sehr kurze Wartezeiten vorzuhalten und diese Patienten intensiver als bisher
zu betreuen. Zusätzlich zu einer leitliniengerechten Behandlung der psychotischen Störung inklusive der Pharmakotherapie werden weitere Leistungen zur Erfüllung der Vertragsziele erbracht. Dazu gehören:
 Information und Aufklärung des Patienten über die neue Versorgungsform,
 kurzfristige Terminvergabe für Patienten der Integrierten Versorgung,
 Koordination des individuellen Behandlungssettings mit den anderen Leistungserbringern der Integrierten Versorgung,
 zusätzliche Dokumentation im Rahmen der Integrierten Versorgung zur begleitenden
Qualitätssicherung und
 regelmäßige Teilnahme an den intersektoralen Qualitätszirkeln mit Fallkonferenzen
inklusive der Vorbereitung der Kasuistiken.
2.4 Finanzierung des Hamburger Modells
Das UKE erhält für die psychiatrische Behandlung des Patienten eine Jahrespauschale
von den Kostenträgern. Grundlage für die Finanzierung der ersten beiden Behandlungsjahre sind die IST-Kosten der jeweiligen Krankenkasse für die bisherige Krankenhausbehandlung dieses Versichertenkollektives. Dies umfasst die Kosten der stationären und
ambulanten Behandlung sowohl im UKE, als auch in anderen Krankenhäusern in Hamburg, deren Anteil rund 20% der Jahreskosten ausmacht. Aus diesen Kosten wurde der
durchschnittliche Wert ermittelt, der die Verhandlungsgrundlage für die zu vereinbarende Jahrespauschale war. Durch die krankenkassenindividuelle Berechnung der Jahrespauschale sollte die Morbidität entsprechend der Versichertenstruktur des jeweiligen
Kostenträgers abgebildet werden.
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Für die Finanzierung der weiteren Behandlung über die ersten 2 Jahre hinaus wurde ein
anderer Weg gewählt, der für alle Krankenkassen gleichermaßen gilt: Die Abrechnung
erfolgt ab dem 3. Behandlungsjahr über eine von vier möglichen Pauschalen, die patientenindividuell anhand des Schweregrades und des Funktionsniveaus ermittelt wird, unter
der Annahme, dass ein schwerer erkrankter Patient einen höheren prospektiven Behandlungsbedarf hat, als ein gut stabilisierter Patient mit höherem Funktionsniveau.
In der Praxis funktioniert dies so, das zu den Zeitpunkten 18 und 24 Monate die Werte
der Clinical Global Impressions-Severity of Illness scale (CGI-S; Guy 1976) für nichtaffektive Psychosen respektive der Clinical Global Impressions-Severity of Illness Scale
– Bipolar Illness (CGI-BP; Spearing et al. 1997) für affektive Psychosen und der Wert
der Global Assessment of Functioning Scale (GAF, APA 1994) gemessen werden. Aus
diesen Untersuchungen werden die durchschnittlichen Werte ermittelt und in vier Kategorien eingeteilt:
1) Gruppe 1: CGI-S / CGI-BP ≥ 6 Punkte und GAF ≤ 40 Punkte
2) Gruppe 2: CGI-S / CGI-BP 4-5 Punkte und GAF 41-64 Punkte
3) Gruppe 3a: CGI-S / CGI-BP ≤ 3 Punkte und GAF ≥ 65 Punkte ohne Psychotherapie
4) Gruppe 3b: CGI-S / CGI-BP ≤ 3 Punkte und GAF ≥ 65 Punkte mit Psychotherapie
Diese Untersuchungen werden dann am Ende des jeweiligen weiteren Behandlungsjahres fortwährend durchgeführt und die Patienten neu kategorisiert.
Die Krankenkassen zahlen ab dem 3. Behandlungsjahr insgesamt, über alle Patienten
gesehen, deutlich weniger als in den ersten beiden Behandlungsjahren. Damit profitieren finanziell auch die Krankenkassen von der langfristigen Stabilisierung des Patienten.
Diese dramatische Kostenreduktion wird durch die Abnahme der voll- und teilstationären
Behandlungsbedürftigkeit erreicht und ist möglich, trotz dass die Patienten im ambulanten Bereich 7xmal häufigere Behandlungskontakte haben und 7xmal so viele Patienten
sich in Psychotherapie befinden.
3. Ergebnisse der Vorstudie
Das Hamburger Modell wurde in einer Vorstudie (ACCESS-Studie) untersucht: Assertive
Community Treatment (ACT) as part of Integrated Care versus Standard Care: a 12month trial in patients with first- and multiple-episode schizophrenia-spectrum disorders;
Lambert et al. 2010c, Karow et al. in press). Hierbei wurden zwei Hamburger Sektoren
mit gleicher Populationsgröße miteinander verglichen: der Sektor der Klinik für PsychiatSeite 15
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
rie und Psychotherapie des UKE (fortan UKE) und der Sektor der des Asklepios Westklinikums Hamburg (fortan RISSEN). In jedem Sektor wurden 8 niedergelassene Psychiater mit der Klinik und deren Institutsambulanz vernetzt; im Sektor UKE wurde zusätzlich ACT angeboten.
Die Einschlusskriterien der ACCESS-Studie umfassten: (1) Alter 18-65 Jahre, Diagnosen (nach DSM-IV-TR): Schizophreniforme Störung (295.40), Schizophrenie (295.x),
Schizoaffektive Störung (295.70), Wahnhafte Störung (297.1) und Psychotische Störung, nicht näher differenziert (289.8); (3) Patient mit einer psychotischen Ersterkrankung und oder mehrfacherkrankte Patienten mit mindestens einem psychotischen Rückfall mit nachfolgender Hospitalisierung aufgrund von medikamentöser Non-Adhärenz in
den letzten 24 Monaten.
Primäres Erfolgskriterium war die Zeit bis zum Gesamtbehandlungsabbruch. Sekundäre
Zielkriterien umfassten Non-Adhärenz mit der Medikation, Veränderung der Psychopathologie, des Schweregrades der Erkrankung, des Funktionsniveaus, der Lebensqualität
und der Behandlungszufriedenheit von Seiten des Patienten und der Angehörigen.
3.1 Studienpopulation
120 Patienten (ITT-Population) wurden in die Studie eingeschlossen; 64 in der UKE
(ACT) und 56 in der RISSEN Gruppe (Standard Care; SC). 101 Patienten (84.7%) beendeten die 52 Wochen Studie.
Bei Aufnahme waren die Patienten der SC Gruppe signifikant älter (p=.002) und hatten
eine niedrigere Schulbildung (p=.031). Patienten der ACT Gruppe hatten dagegen häufiger eine komorbide Suchterkrankung (p=.019). Die psychiatrischen Diagnosen waren
nicht signifikant unterschiedlich zwischen den Gruppen, wobei die meisten Patienten mit
einer Schizophrenie (56.4%) diagnostiziert waren.
Auffällig war der hohe Anteil von schwer erkrankten Patienten in beiden Gruppen: 53%
der Patienten hatten ein nahes Familienmitglied mit einer psychiatrischen Störung, 23%
mit einer psychotischen Störung. 79% der Patienten hatten mindestens ein traumatisches Ereignis in der Vorgeschichte. 30% der Patienten hatten schon mindestens ein
Suizidversuch in der Vorgeschichte; die meisten davon (72%) aber schon mindestens
zwei. Die Patienten beider Gruppen waren lange unbehandelt vor ihrer ersten psychiatrischen Behandlung: Die Dauer der unbehandelten Psychose lag bei 54.6 Wochen; die
Dauer der unbehandelten Erkrankung bei 261.2 Wochen. Die durchschnittliche Anzahl
Seite 16
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
erfüllter Non-Adhärenz Phasen in den letzten 2 Jahren lag im ACT-Gruppe bei 2.8 und
in SC-Gruppe bei 2.6 (definiert als erfüllte Phase mit ≥ 1 Woche ohne Medikamenteneinnahme).
In allen verwendeten Skalen zeigte sich kaum Unterschiede zwischen den Gruppen bei
Aufnahme: Lediglich in der CSQ-8 Skala (= Zufriedenheit mit der Behandlung, eingeschätzt durch Patient und Angehörige) zeigten sich signifikante Unterschiede hin zu einer größeren Behandlungszufriedenheit in der ACT-Gruppe (CSQ-8 Patient: 2.2 versus
1.8; p<.01; CSQ-8 Angehörige: 2.2 versus 1.6; p<.001). Auch hinsichtlich der verwendeten Quetiapin IR Dosierung zeigten sich keine Unterschiede (UKE: 576.1/Tag; RISSEN:
590.4mg/Tag).
3.2 Ergebnis zum primären Zielkriterium
17 von 120 Patienten (14.2%) brachen die gesamte Behandlung ab, 4 Patienten (6.3%)
in der ACT Gruppe und 13 Patienten (23.2%) in der SC Gruppe. Die durchschnittliche
Kaplan Meier Zeit in Behandlung war 50.7 Wochen in der ACT Gruppe (95% CI 49.152.0) und 44.1 Wochen in der SC Gruppe (95% CI 40.1-48.1; p=.0035).
Abb. 5: „Service disengagement“ Unterschiede zwischen ACT vs. SC (Kaplan-Meier survival curve / in %)
3.3 Ergebnisse zu den sekundären Zielkriterien
Die Non-Compliance Rate wurde anhand des Kriteriums „Anzahl von Phasen in welcher
der Patient mindestens 1 Woche keine Medikamente eingenommen hat“ gemessen.
Seite 17
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Dieses Kriterium wurde gewählt, da ein einwöchiges Absetzen der Medikation über das
reine Vergessen der Medikamenteneinnahme hinaus geht und dieses Kriterium ein guter Indikator für eine langfristige Non-Compliance darstellt (siehe u.a. Robinson et al.
2002). Über den 1-Jahres-Follow-up Zeitraum erfüllten in der ACT-Gruppe 23.8% der
Patienten dieses Kriterium, in der SC-Gruppe 60.7% (p<.001).
Alle Endpunktskalenwerte wurden mittels Mixed Models Repeated Measures verglichen
(siehe Tabelle 3). Hierbei zeigten sich signifikant positive Effekte von ACT vs. SC in fast
allen untersuchten sekundären Behandlungserfolgskriterien, inklusive der Schwere der
Erkrankung (CGI-S), der Psychopathologie (PANSS), des Funktionsniveaus (GAF), der
Lebensqualität (Q-LES-Q-18) und der Zufriedenheit mit der Behandlung von Seiten des
Patienten und dessen Angehörigen (CSQ-8). Darüber hinaus befanden sich am Ende
des Studienzeitraums signifikant mehr Patienten der ACT Gruppe in Arbeit (p=.001),
lebten häufiger unabhängig (p=.007) und hatten signifikant häufiger ihren Suchtmittelkonsum reduziert oder beendet (p=.027).
Tab. 3: Ergebnisse zu den sekundären Zielkriterien der ACCESS-Studie
Untersuchungsa
instrumente
12-Monats-Endpunkt
ACT (n=64),
SC (n=56),
mean (CI)
mean (CI)
Mixed Models Repeated Measurements (MMRM)
Zeiteffekt,
BehandZeit x BehandEffektF (d.f.)
lungseffekt,
lungseffekt,
größe, d
F (d.f.)
F (d.f.)
PANSS, mean (SD)
Total score
59.6 (53.5-65.7) 72.6 (66.3-78.8)
6.5***
8.1**
1.6
0.68
Positive subscore
12.4 (11.0-13.8) 14.4 (13.0-15.9)
5.2**
4.3*
1.4
0.46
Negative subscore
15.4 (13.6-17.3) 19.9 (18.0-21.8)
6.6***
9.6**
1.4
0.77
General subscore
31.8 (28.4-35.2) 38.0 (34.5-41.5)
5.0**
5.8*
1.6
0.56
CGI-S score, mean (SD)
3.4 (3.1-3.7)
4.2 (3.9-4.5)
5.5**
13.9***
3.3*
0.87
GAF, mean (SD)
67.9 (63.8-72.0) 60.7 (56.5-65.0)
3.3*
6.9*
2.9*
0.57
Q-LES-Q-18, mean (SD)
3.7 (3.6-3.9)
3.4 (3.3-3.6)
27.3***
5.0*
1.6
0.42
CSQ-8 P, mean (SD)
2.1 (2.0-2.3)
1.9 (1.7-2.1)
1.0
5.4*
0.4
0.49
CSQ-8 R, mean (SD)
2.1 (1.9-2.3)
1.8 (1.6-2.0)
1.1
6.8*
0.5
0.58
Abbreviations:
a
PANSS: Positive and Negative Syndrome Scale (Kay et al. 1997), CGI-S: Global Clinical Impression scale-Severity score (Guy
1976), GAF: Global Assessment of Functioning scale (APA 1994), Q-LES-Q-18: Quality of Life Enjoyment and Satisfaction Questionnaire (Ritsner et al. 2005), CSQ-8 P: Client Satisfaction Questionnaire-8 (patient version), CSQ-8 R: Client Satisfaction Questionnaire-8 (relative version).
* p<.05; ** p<.01; ***p<.001
Neben diesen Effektivitätsanalysen wurden auch die Kosten der zwei Behandlungsbedingungen verglichen (Karow et al. in press). Hierbei zeigten sich in den ICER-Analysen
(‚incremental cost-effectiveness ratio’) numerisch geringere, jedoch nicht signifikant unterschiedliche Kosten in den beiden Behandlungsbedingungen (ACT: 12.995€ (95%-CI
for ACT: 11235-14755€) vs. SC: 15.497€ (95%-CI for SC: 11331-19663€); mean difference in total costs: -2502 (95%-CI for difference: -7027 - 2022); p=ns); siehe Abbildung
6).
Seite 18
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Abb. 6: 12-Monats Kosten für ambulante und Krankenhausbehandlung ACT vs. SC in € (p-values for
tests of difference in means are based on non-parametric bootstrapping with 4000 replications)
30000
25000
hospitalisation costs ACT<SC (p<.001)
outpatient costs ACT>SC (p<.001)
total costs ACT<SC (p=.27)
20000
15000
10000
5000
0
Intervention (ACT)
Control (SC)
Outpatient treatment costs
In-patient treatment costs
Die Kosten für Krankenhausbehandlung (voll- und teilstationär) waren signifikant niedriger in der ACT Gruppe (p<.001), während die ambulanten Behandlungskosten signifikant höher in der ACT Gruppe waren (p<.001). Durchschnittliche Quality Adjusted Life
Years (QALYs) lagen in der ACT 0.76 (0.15) und in der SC Gruppe bei 0.66 (0.2), woraus signifikant höhere ‘incremental QALYs’ von 0.1 (0.03) in der ACT Gruppe resultierten (p<.001). Damit zeigten sich in der ACT Gruppe niedrigere Kosten bei signifikant
besseren Gesundheitseffekten (QALYs).
4. Ergebnisse der begleitenden Evaluation des Hamburger Modells
Am 1.5.2007 wurde die Integrierten Versorgungsverträge mit den Krankenkassen geschlossen und vereinbart, dass eine standardisierte und fortlaufende Evaluation aller
eingeschlossenen Patienten durchgeführt wird. Ziele der laufenden Evaluation sind:
 Durchführung einer ausführlichen Eingangsuntersuchung inklusive Demographie,
Verifizierung der Hauptdiagnose und psychischer Komorbiditäten mittels SKIDInterview, klinische Aufnahmedaten in Bezug auf Erkrankungsphase, Familienanamnese, traumatische Ereignisse, Dauer der unbehandelten Erkrankung, Adhärenz, Suizidalität und Anzahl der Voraufenthalte inklusive Zwangsbehandlungen,
Seite 19
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
 Untersuchung der Patienten bei Aufnahme hinsichtlich Psychopathologie, Schwere
der Erkrankung, Funktionsniveau, Lebensqualität und Zufriedenheit mit der Vorbehandlung von Seiten der Patienten und ihren Angehörigen,
 Untersuchung des Verlaufs von Psychopathologie, Funktionsniveau Lebensqualität
und Zufriedenheit mit der Vorbehandlung von Seiten der Patienten und ihren Angehörigen, Abbruch der Behandlung, Adhärenz mit der Medikation und der Gesamtbehandlung,
 Dokumentation aller Leistungen innerhalb der Integrierten Versorgung, aufgeschlüsselt in Gesamt, durch ACT Team, in der PIA, durch die niedergelassenen Psychiater,
pro Woche im Durchschnitt und psychotherapeutische Leistungen gesamt, Einzelund Gruppenpsychotherapie und
 Dokumentation des Kostenverlaufs.
4.1 Evaluationsskalen
Im Rahmen der Qualitätssicherung des Hamburger Modells werden die in Tabelle 4 aufgeführten Untersuchungsinstrumente angewendet.
Tab. 4. Untersuchungsinstrumente und -Zeitpunkte der Qualitätssicherung des Hamburger Modells
UntersuchungsUntersuchungsinstrumente und Erklärung
parameter
Basisdaten
Demographie und
Early Psychosis File Questionnaire (EPFQ; Lambert et al.
klinische Variab2005, Conus et al. 2007)
len
Diagnostische
Hauptdiagnose, psychische und somatische Komorbidität,
Variablen nach
Suizidversuchsdiagnosen
ICD-10
Gesamtbehandlungsabbruch
GesamtbehandGesamtbehandlungsabbruch ist evident, wenn der Patient
lungsabbruch
wiederholt trotz “no drop out policy” die weitere Behandlung
(engl. ‚service
ablehnt oder trotz vielfacher Versuche nicht mehr kontaktierdisengagement’)
bar ist (definiert nach Schimmelmann et al. 2006)
Gesamtbehandlungsadhärenz
SES
Service Engagement Scale (Tait et al. 2002)
Medikamentöse Adhärenz
Non-Adhärenz
≥ 1 Woche ohne Medikation
(definiert nach Robinson et al. 2002)
Partielle Adhärenz Verpasst 20-80% der Medikation
(definiert nach Kane et al. 2003)
Psychopathologie und Schwere der Erkrankung
BPRS
Brief Psychiatric Rating Scale (Overall & Gorham 1962)
CGI-S
CGI-BP
Funktionsniveau
GAF
Untersuchungszeitpunkte
(in Wochen, A = Aufnahme)
A
A und Verlauf
Fortlaufend
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
Clinical Global Impressions-Severity of Illness scale (Guy
1976)
Clinical Global Impressions-Severity of Illness Scale – Bipolar Illness (Spearing et al. 1997)
A, 26, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
Global Assessment of Functioning Scale (APA 1994)
A, 6, 12, 26, 38, 52,
Seite 20
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
MVSI
Modified Vocational Status Index (Tohen et al. 2000)
MLCI
Modified Location Code Index (Tohen et al. 2000)
Lebensqualität
Q-LES-Q-18
EQ-5D
Quality of Life Enjoyment and Satisfaction Questionnaire
(Ritsner et al. 2005)
EuroQoL 5D (EuroQol Group 1999; König et al. 2007)
Behandlungszufriedenheit
CSQ-8
Client Satisfaction Questionnaire (Larsen et al. 1979)
Patient
CSQ-8
Client Satisfaction Questionnaire (Larsen et al. 1979)
Angehörige
Leistungsdaten
Dokumentation
Ständige Dokumentation aller Leistungen (inklusive Anzahl,
Ort, Art, Dauer, Psychotherapie (Einzel und Gruppe)
Kosten
Dokumentation
 Krankenhauskosten (voll- und teilstationär)
 Ambulante Kosten (ACT Team, Institutsambulanz, niedergelassene Psychiater)
dann alle 6 Monate
A, 26, 52,
dann alle 6 Monate
A, 26, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
A, 6, 12, 26, 38, 52,
dann alle 6 Monate
Ständige Dokumentation
Ständige Dokumentation
4.2 Krankheitsspezifische Evaluationsergebnisse
Seit 1.5.2007 wurden bis zum Zwischenauswertungsdatum am 30.9.2011 insgesamt
158 Patienten in das Hamburger Modell eingeschlossen. Diese Patienten waren am
30.9.2011 (Zwischenauswertungsdatum: 1.5.2007 bis 30.9.2011: Laufzeit: 4 Jahre, 5
Monate) im Durchschnitt 145.2 Wochen (2.8 Jahre) in der Integrierten Versorgung.
Von diesen 158 Patienten wurden 31 (19.6%) wegen praktischen Gründen (z.B. Umzug,
Unterbringung in Langzeiteinrichtung; durchschnittliche Behandlungsdauer 91.4 Wochen) und 8 Patienten (5.1%) wegen nicht-praktischen Gründen (Definition siehe Tabelle 4; durchschnittliche Behandlungsdauer 73.9 Wochen) aus der Behandlung ausgeschlossen. In anderen Worten, nur 5.1% der Patienten brachen die Behandlung innerhalb von 2.8 Jahren ab und wurden dementsprechend als „service disengaged“ gewertet.
Tabelle 5 zeigt die demographischen, diagnostischen und klinischen Aufnahmedaten
der 158 Patienten. Das Durchschnittsalter lag bei 43 Jahren, 44% waren männlich, nahezu 70% alleinstehend und nur 15% in Arbeit oder Ausbildung bei Aufnahme. Die
Mehrzahl (85%) waren mehrfacherkrankt, die meisten diagnostiziert mit Schizophrenie
(58%), gefolgt von Bipolarer (18%) oder Schizoaffektiver Störung (13%).
70% der Patienten hatten mindestens eine komorbide psychische Erkrankung, 49% eine
komorbide Suchterkrankung und 51% eine komorbide andere psychische Erkrankung.
Seite 21
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
46% der Patienten wiesen eine positive Familienanamnese auf und 71% zeigten mindestens ein traumatisches Ereignis in der Vorgeschichte, v.a. sexueller oder physischer
Missbrauch.
Die Dauer der unbehandelten Erkrankung lag bei 206 Wochen, also nahezu 4 Jahre.
Bei Aufnahme waren 72% der Patienten non-adhärent mit der Medikation, davon 67%
komplett non-adhärent und 33% partiell adhärent.
Tab. 5: Demographische, diagnostische und klinische Aufnahmedaten
Variable
Demographische Daten
Alter, mean (SD)
Geschlecht männlich, n (%)
Familienstand Single, n (%)
Absolvierte Schuljahre, mean (SD)
Absolvierte Ausbildungsjahre, mean (SD)
In Arbeit oder Ausbildung bei Aufnahme, n (%)
Diagnostische Verteilung, n (%)
Schizophrenie
Bipolare Erkrankung
Schizoaffektive Störung
Nicht näher bezeichnete psychotische Störung
Wahnhafte Störung
Schizophreniforme Störung
Major Depression mit psychotischen Symptomen
Komorbide psychische Erkrankungen, n (%)
Komorbide Suchterkrankung
Alkoholmissbrauch / Abhängigkeit
Cannabismissbrauch / Abhängigkeit
Sedativamissbrauch / Abhängigkeit
Multipler Substanzmissbrauch / Abhängigkeit
Komorbide andere psychische Erkrankung
Major Depression
Angststörung
Persönlichkeitsstörung
Klinische Aufnahmedaten
Phase der Erkrankung, n (%)
Ersterkrankung
Mehrfacherkrankung
Positive Familienanamnese, n (%)
Psychische Störung
Psychotische Störung
Trauma in Vorgeschichte, n (%)
Dauer der unbehandelten Erkrankung
Dauer der unbehandelten Prodroms (in Wochen, mean (SD))
Dauer der unbehandelten Psychose (in Wochen, mean (SD))
Dauer der unbehandelten Erkrankung (in Wochen, mean (SD))
Non-Adhärenz mit Medikation bei Aufnahme, n (%)
Voll non-adhärent
Partiell adhärent
Anzahl stationäre Voraufnahmen, m (SD)
Aufnahmewerte standardisierte Untersuchung
BPRS Gesamtwert, mean (SD)
CGI-S, mean (SD)
CGI-BP, mean (SD)
GAF, mean (SD)
Q-LES-Q-18, mean (SD)
EQ-5D, mean (SD)
CSQ-8 Patient, mean (SD)
CSQ-8 Angehörige, mean (SD)
Alle Patienten (N=158)
42.5 (13.2)
69 (43.7)
106 (67.1)
10.5 (3.8)
2.1 (2.5)
25 (15.8)
92 (58.2)
28 (17.8)
20 (12.7)
7 (4.5)
6 (3.8)
3 (1.9)
2 (1.3)
110 (70.1)
77 (49.0)
46 (59.7)
31 (40.3)
13 (16.9)
6 (7.8)
80 (51.0)
28 (35.0)
31 (38.8)
31 (38.8)
23 (14.6)
135 (85.4)
73 (46.2)
38 (24.1)
106 (71.1)
157.9 (201.9)
48.4 (80.8)
206.4 (218.3)
113 (71.6)
76 (67.3)
37 (32.7)
7.3 (7.6)
79.7 (20.2)
5.8 (1.0)
5.7 (0.9)
36.6 (12.4)
2.2 (0.6)
10.5 (2.2)
1.9 (0.3)
1.9 (0.4)
Seite 22
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Die Aufnahmewerte der Untersuchung mittels standardisierter Skalen zeigten hohe Psychopathologiewerte (BPRS: 79.7 Punkte), hohe Werte für den Schweregrad der Erkrankung (CGI-S: 5.8 Punkte, CGI-BP: 5.7 Punkte), ein niedriges Funktionsniveau (GAF:
36.6 Punkte), eine schlechte Lebensqualität (Q-LES-Q-18: 2.3 Punkte) und ein unzureichende Zufriedenheit mit der Vorbehandlung von Seiten der Patienten (CSQ-8: 1.9
Punkte) und ihrer Angehörigen (CSQ-8: 1.9 Punkte).
Im Rahmen der kontinuierlichen Evaluation werden die IV-Patienten in regelmäßigen
Abständen mittels standardisierter Skalen untersucht (siehe Tabelle 4). Abbildung 7
zeigt die Werte im Verlauf der Behandlung innerhalb der Integrierten Versorgung für
BPRS, CGI-S, CGI-BP und GAF. Wie aus Abbildung 7 zu erkennen ist, kam es zu einer
hochsignifikanten Reduktion von Psychopathologie und Schwere der Erkrankung sowie
zu einer Verbesserung des Funktionsniveaus.
Abb. 7: Verlaufswerte
der Untersuchung
mittels
standardisierter Skalen in der IV: BPRS, CGI-S für schiVerlauf
BPRS
(alle Patienten,
N=158)
Sragestellungen
F
kalen und
Messzeitpunkte
Verlauf
zophrene Patienten, CGI-BP für bipolare und schizoaffektive
Patienten,
GAFCGI-S schizophrene Patienten
Sragestellungen
F
kalen
und
Messzeitpunkte
90
80
7
79,7
CGI-S (F2)
BPRS Gesamt (alle Patienten)
Veränderung über Zeit: p<.001
6
5,8
70
5
60
55,8
55
50
40
51,6 50,5
49,3 47,1
46,3
Verlauf
CGI-BP bipolare Patienten
6 Messzeitpunkte
Monat 12 Monat 18 Monat 24 Monat 30 Monat 36 Monat 42
SAufnahme
F
ragestellungen
kalenMonat
und
4,7
4,5
4,3
3,9 3,8
3,7
Veränderung über Zeit: p<.001
3
Verlauf
GAF (alle Patienten, N=147)
Sragestellungen
F
kalen und
Messzeitpunkte
Aufnahme 6 Wochen
Monat 3
Monat 6
CGI-BP (F25, F31)
5
4,1 4,1
Monat 12 Monat 18
Monat 24
Monat 30
Monat 36
Monat 42
70
7
6
4,2
4
5,7
60
4,6
55,1
50
4,2 4,1
4
3,9
3,8
3,9
3,7 3,6
3,6
61
61,7
Veränderung über Zeit: p<.001
40
36,5
Veränderung über Zeit: p<.001
Monat 6
58,3
51
3
Aufnahme 6 Wochen Monat 3
57,4
62,7
61,1
58,8
Monat 12 Monat 18 Monat 24 Monat 30 Monat 36 Monat 42
30
Aufnahme 6 Wochen Monat 3
GAF (alle Patienten)
Monat 6
Monat 12 Monat 18 Monat 24 Monat 30 Monat 36 Monat 42
Darüber hinaus wurde der Verlauf der Lebensqualität bei den Patienten untersucht (siehe Abbildung 8). Bei Aufnahme zeigten die Patienten einen Durchschnittswert von 2.3
Punkten, was in der Q-LES-Q-18 Skala einer „schlechten“ bis „mittleren“ Lebensqualität
entspricht. Im Verlauf der Behandlung kam es zu einem hochsignifikanten Anstieg der
Lebensqualität auf Werte um 3.2 bis 3.3, was einer „guten“ bis „sehr guten“ Lebensqualität entspricht. In Abbildung 8 ist auch der 12-Monatsverlauf der Lebensqualität in der
Seite 23
Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Regelversorgung dargestellt, wobei die Lebensqualität von den Patienten als „schlecht“
bis „mittel“ angegeben wird und es im 12-Monatsverlauf zu keiner signifikanten Verbesserung kommt.
Q-LES-Q-18
Sragestellungen
F
kalen
Messzeitpunkte
Abb. 8: Verlaufswerte
der und
Lebensqualität
innerhalb
der Integrierten Versorgung (blau) und in der RegelVerlauf
Lebensqualität
versorgung (rot)
4
3,2
3,1
3,3
3,2 3,3
3,2
3
3,3 3,3
3,3
Veränderung über Zeit: p<.001
2,3
2
2
2
2
1,8
2
Veränderung über Zeit: ns
Alle KK Integrierte Versorgung
ACCESS-Studie = Regelversorgung
1
Aufnahme
6 Wochen
Monat 3
Monat 6
Monat 12
Monat 18
Monat 24
Monat 30
Monat 36
Monat 42
Darüber hinaus finden regelmäßige Befragungen der Patienten und ihrer Angehörigen in
Bezug auf die Zufriedenheit mit der Behandlung statt. Abbildung 9 zeigt die Ergebnisse
der CSQ-8 Skala, wobei anzumerken ist, dass die Skala von 1-4 Punkten bewertet (1=
schlechte Behandlung bis 4= exzellente Behandlung).
Verlauf
Sragestellungen
F
kalen undCSQ-8
Messzeitpunkte
Abb. 9: Verlaufswerte der Behandlungszufriedenheit von Seiten der Patienten (links) und Angehörigen
(rechts) innerhalb der Integrierten Versorgung
4
4
Alle KK
Alle KK
3,2
3
3,1
3,2
3,2
3,2 3,2
3,2
3,2
3,2
3
2
3
3,3 3,3
3,2
2
1,9
1,9
Veränderung
über Zeit: p<.001
Veränderung
über Zeit: p<.001
Patientenzufriedenheit
mit der Behandlung (CSQ-8P; Werte
von 1= schlecht bis 4= exzellent)
6
fn
ah
m
e
W
oc
he
n
M
on
at
3
M
on
at
M
on 6
a
M t 12
on
at
1
M
on 8
at
2
M
on 4
at
3
M
on 0
at
3
M
on 6
at
42
1
Au
6
fn
ah
m
e
W
oc
he
n
M
on
at
3
M
on
at
M
on 6
a
M t 12
on
at
1
M
on 8
at
2
M
on 4
at
3
M
on 0
at
3
M
on 6
at
42
1
Au
3,1
3
3,2
3,2
3,2
Angehörigenzufriedenheit
mit der Behandlung (CSQ-8A; Werte
von 1= schlecht bis 4= exzellent)
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Die Werte der CSQ-8 Skala zeigen, dass die Patienten und Angehörigen die vergangene Behandlung als „schlecht“ bis „mittelmäßig“ bewerten und es im Verlauf der Behandlung in der Integrierten Versorgung zu einem hochsignifikanten Anstieg der Behandlungszufriedenheit kommt (Werte von 3.2-3.3 = „gute“ bis „sehr gute“ Behandlung).
Darüber hinaus werden die Anzahl der Patienten mit Zwangseinweisungen vor und während der Integrierten Versorgung untersucht. Wie in Abbildung 10 zu sehen, wurden
43.9% der Patienten lifetime mindestens einmal zwangseingewiesen, in den letzten 2
Jahren vor Aufnahme 33.1% und während der durchschnittlich 2.8 Jahre innerhalb der
Integrierten Versorgung 8.3%. Damit kam es zu einem hochsignifikanten Rückgang der
Zwangseinweisungen.
(N=158)
Sragestellungen
F
kalen undZwangseinweisungen
Messzeitpunkte
Abb. 10: Zwangseinweisungen lifetime, in den letzten 2 Jahren vor Aufnahme und während der Integrierten Versorgung (Laufzeit 2.8 Jahre)
Zwangseinweisungen Lifetime
Zwangseinweisungen in den letzten 2 Jahren vor Aufnahme
Zwangseinweisungen in der IV innerhalb von 2.8 Jahren
50
40
43,9
33,1
30
20
8,3
10
0
Alle Patienten (N=158)
Zudem wird regelmäßig die Adhärenz mit der Medikation untersucht. Hierbei werden 2
Kriterien angewendet: 1. Komplette Non-Adhärenz ist definiert als ≥ 1 Woche ohne Medikation (nach Robinson et al. 2002) und 2. partielle Non-Adhärenz ist definiert als „Verpasst 20-80% der Medikation“ (nach Kane et al. 2003). In die Bewertung, ob ein Patient
eines der Kriterien erfüllt, fließen Informationen durch eine standardisierte Befragung
durch Forschungsassistenten, Informationen der Behandler (ACT-Team und niedergelassene Psychiater) und Dritter (z.B. Angehörige, Betreuer) mit ein. Wie Abbildung 11
zeigt, waren bei Aufnahme in die Integrierte Versorgung 47.5% der Patienten komplett
und 23.4% partiell non-adhärent und 27.8% adhärent mit der Medikation. Im Verlauf der
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
Behandlung steigt die Rate von adhärenten Patienten auf etwa 70-80%; die Rate von
non-adhärenten Patienten fällt von 47.5% auf etwa 1-10%.
Verlauf Compliance im
Svon
F
ragestellungen
kalen
und
Messzeitpunkte
Abb. 11: Raten
kompletter
und
partieller Non-Compliance und Compliance
Aufnahme und innerBehandlungszeitraum
von 2.8beiJahren
halb der Integrierten Versorgung (Laufzeit 2.8 Jahre)
100
Compliant
Partiell compliant
Non-compliant
80
79,5
77,4
60
40
75,6
81
75,4
71,3
47,5
27,8
17,2
18,1
19,5
3,3
4,8
4,7
Monat 12
Monat 18
Monat 24
18,7
20
23,4
3,2
0
77,1
Aufnahme
Monat 6
18,2
9,6
Monat 30
19,6
15
4
Monat 36
1,2
Monat 42
4.3 Versorgungsspezifische Evaluationsergebnisse
Wie vertraglich mit den Krankenkassen vereinbart, erhalten diese alle 3 Monate eine
Übersicht aller Leistungen innerhalb der Integrierten Versorgung (siehe Abbildung 12).
Vom 1.5.2007 bis zum 31.9.2011 wurden insgesamt 33.368 Behandlungen durchgeführt, davon 25.577 durch das ACT Team, 5.785 in der Psychosen Spezialambulanz
und 2006 bei den niedergelassenen Psychiatern. Im Vergleich zu Regelversorgung mit
0.2 Kontakten pro Woche ergibt sich damit 7.5x mal häufigere Behandlungskontakte pro
Woche innerhalb der Integrierten Versorgung.
Abb. 12: Anzahl von erbrachten Leistungen innerhalb der Integrierten Versorgung aufgeschlüsselt nach
gesamt, ACT, PIA und niedergelassene Psychiater (links) und Vergleich zwischen durchschnittlichen BeKontakte gesamt und nach Art (N=158)
Kontaktezur
pro Regelversorgung
Woche (N=158) (rechts)
handlungskontakten pro Woche in der Integrierten Versorgung im Vergleich
40000
33368
2
25577
30000
1,6
20000
1,5
Alle Patienten
(Auswertung 31.9.2011)
1,2
5785
10000
2006
0
0,8
7.5x
0,2
0,4
Gesamt
ACT
Kontakte
PIA
Kontakte
ACT = Assertive Community Treatment Team
PIA = Psychiatrische Institutsambulanz
NN = Niedergelassene Nervenärzte
NN
Kontakte
0
Kontakte pro Woche im
Durchschnitt IV
Kontakte pro Woche im
Durchschnitt Regelversorgung
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Innerhalb dieses Behandlungssystems wurde auch angestrebt, diesen Patienten häufiger und frühzeitiger eine psychotherapeutische Behandlung zur Verfügung zu stellen.
Wie Abbildung 13 zeigt, erhielten lediglich 7.3% der Patienten jemals im gesamten
Krankheitsverlauf eine Psychotherapie. Dieser Anteil konnte innerhalb der Integrierten
Versorgung auf derzeit 55.7% gesteigert werden (7.6xmal häufiger als in der Regelversorgung). Die Patienten mit Psychotherapie erhielten 66.6 einzel- und 13.6 gruppenpsychotherapeutische Interventionen; gesamt pro Patient 80.2 psychotherapeutische Behandlungen. Damit konnte nicht nur der Anteil von Patienten mit Psychotherapie gesteigert werden, sondern wurden auch etwa doppelt so viele psychotherapeutische Leistungen im Vergleich zur Regelversorgung (Beispiel 40h Verhaltenstherapie) erbracht.
Abb. 13: Prozentualer Anteil von Patienten, die jemals eine Psychotherapie im gesamten Erkrankungsverlauf erhielten und Anteil von Patienten innerhalb der Integrierten Versorgung, die sich derzeit in psychotherapeutischer Behandlung befinden (links). Anzahl einzel- und gruppenpsychotherapeutischer
LeisHäufigkeit Psychotherapie nach Art und
Psychotherapie
tungen pro Patient
(rechts). (N=88/158)
gesamt pro Patient
Einzelpsychotherapie
70
60
50
Prozentualer Anteil Patienten mit
Psychotherapie vor und nach Beginn
IV-Psychose
55,7
40
7.6x
30
20
10
7,3
0
Vor Beginn IV Psychose
Nach Beginn IV Psychose
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Gruppenpsychotherapie
Gesamt
80,2
66,6
13,6
Alle Krankenkassen
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Integrierte Versorgung von Psychose: das Hamburger Modell
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