Von der Kontaktstörung zum Autismus Gütersloher Fortbildungswoche 2012 Dr. med. Johannes Hoppmann Autismus Phänomen: Autismus ansteigende Zahl der diagnostizierten Fälle Übersehen # zu häufig Eine Kontaktstörung ist doch noch kein Autismus? Kontakt und Kontaktstörung • Psychopathologischer Begriff va. Der Kinderpsychiatrie • Verständnis durch bewusstes Wahrnehmen von Kontakt • Zum Kontakt gehören Augen, Mund, Stimme Hände und der ganze Körper, Zeitabläufe • Bewertung des Kontaktes anhand von Regeln • Nichtautisten bewerten das Intuitiv Definition tiefgreifende Entwicklungsstörung (TE/PDD) • Von Geburt an / früh / persistierend • Viele Verhaltensbereiche • Deviante, nicht nur verzögerte Entwicklung Symptomatik • Qualitative Auffälligkeit in der gegenseitigen Interaktion • Qualitative Auffälligkeiten der Kommunikation und Sprache • Repetivitives, restriktives und stereotypes Verhalten Tiefgreifende Entwicklungsstörungen • • • • • • Nicht näher bezeichnete TE 36 /10.000 Frühkindlicher Autismus 17/10.000 (3:1*) Asperger-Syndrom 8 /10.000 (8:1) Desintegrative Störung 0,6/10.000 Rett-Syndrom 0,6/10.000 Verschiedene Studien, Angaben für TE 1 – 1,5 % (also nicht selten) Symptomatik 0-2 J Schlafprobleme, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, Mangel an Spiel, Initiative, Imitation, früher Sozialisation, gemeinsamer Aufmerksamkeit unspezifische Verhaltensproblematiken. Ggf. abnorme Reaktion auf sensorische Reize. Symptomatik Vorschulalter Symptomgipfel 4-5J. Autismustypische Symptomatik, Beharren auf Gleichförmigkeit, repetitives Spiel, aggressive Durchbrüche, Hyperaktivität. Symptomatik Asperger Erwachsenenalter Soziale Interaktion Nonverbale Kommunikation Verbale Kommunikation Spezialtinteressen, restriktives Verhalten Theory of mind Executive Funktionen Senso-motorik Komorbidität Symptomatik Erwachsenenalter Soziale Interaktion Soziale Ungeschicklichkeit zAusgrenzung zMangel an Situationsverständnis zFehlende Freundschaften z Symptomatik Erwachsenenalter Nonverbale Kommunikation eventuell eingeschränkte oder ungewöhnliche Mimik und Gestik z Beeinträchtigte zeitliche Integration von Gesichtsausdruck, Blickkontakt und Sprache z Schwierigkeiten nonverbale oder implizite Signale im Kontext richtig zu dekodieren und angemessen darauf zu reagieren z Symptomatik Erwachsenenalter Verbale Kommunikation Spricht wie ein Buch z Manchmal unpassende Sprachmelodie, z auffällig unangemessene Ausdrucksweise (Sprachpragmatik) z Kann kein „small talk“, keine Wechselseitigkeit z Fehlendes Verständnis für mehrdeutige Inhalte, Ironie, Sarkasmus z Symptomatik Erwachsenenalter Exekutive Funktionen Oft massive Probleme in der Handlungsplanung und Organisation des Alltags z Probleme beim Initiieren von Handlungen z Mangelnde kognitive Flexibilität z Detailfokussiertheit, mangelnde Gestalterfassung z Symptomatik Erwachsenenalter Spezialinteressen, restriktives Verhalten Interessen oder Hobbys von eingeengter, zwanghafter Qualität (z. B. Verkehrsmittel, Wetter, Vogelarten, Insekten, Elektronik); Anhäufen von Wissen zu einem bestimmten Themengebiet oder Sammeln bestimmter Gegenstände z Oft enorme Gedächtnisleistung z Tendenz immer denselben Tagesablauf beizubehalten z Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen im Alltag z Zwanghafte Tendenzen z Symptomatik Erwachsenenalter Theory of Mind Probleme, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen beziehungsweise die eigenen Gefühle und Gedanken in einer Situation zu reflektieren (mangelnde „Theory of Mind“) wenig So-tun-als-ob-Spiele als Kind (Anamnese mit Angehörigen!) Symptomatik Erwachsenenalter Senso-motorik Ungeschicklichkeit, Koordinationsschwierigkeiten Eventuell eigenartiger, steifer Gang beziehungsweise ungewöhnliche Körperhaltung Seltener motorische Stereotypien, Manierismen Oft Über- beziehungsweise Unterempfindlichkeiten auf bestimmte sensorische Reize Autismus und Familie • Phänomen der Spät- / Selbstdiagnose • Verständnis familiärer Bezüge hilft ungemein • Wer die Beziehungen eines Autisten in der Familie versteht, kann auch eine Beziehung zu ihm/ihr aufbauen Diagnosestellung Was man sucht, das findet man auch. Man kann nur suchen was man kennt. Klinische Diagnose u. Ausschlussdiagnose Vorgeschichte und Beobachten in verschiedenen Situationen Testpsychologie, Insbesondere ADI-R, Elterninterview auch bei Erwachsenen! Asperger und TE: Komorbidität Aufmerksamkeits- und / oder Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Zwänge, Depression, Angststörungen, Übergang zum schizophrenen Formenkreis fließend Bei 43 % leichte Besserung der Symptomatik, bei 32% eher noch Zunahme Erstmanifestation von Epilepsie häufig High-functioning Autismus und AspergerSyndrom häufig mit depressiver Entwicklung Differentialdiagnose • Andere TE • Intelligenzminderung • Andere psychische Störungen: - depressive oder rezeptive Sprachstörung - Epilepsie mit Aphasie - Bindungsstörungen, Deprivationssyndrom - kindliche Schizophrenie - schizoide Persönlichkeit - elektiver Mutismus - Angstsyndrome Neuropsychologische und neurobiologische Konzepte I • Theory of Mind Kognitionen, die es ermöglichen, fremdes und eigenes Verhalten und Erleben zu erkennen, zu verstehen, zu erklären, vorherzusagen und zu kommunizieren • Grundlage hierfür ist der Mangel an Imitation und daraus lernen zu können, wofür ggf. ein Mangel an Spiegelneuronen die Ursache sein kann Neuropsychologische und neurobiologische Konzepte II Exekutivfunktionen kognitive Funktionen, die zielgerichtete Handlungsplanung und Selbststeuerung stehen, unterscheiden sich wahrscheinlich grundsätzlich von intellektuellen Funktionen (Arbeitsgedächtnis, Generieren von zufälligen Zahlenreihen) Neuropsychologische und neurobiologische Konzepte • Schwache Zentrale Kohärenz Reduktion der Fähigkeit, Reize kontextgebunden wahrzunehmen, • Weiterentwicklung ist das Modell akzentuierter basaler Wahrnehmungsfunktionen. Überfunktion sensorischer Funktionen in allen Domänen führen zu einer Bevorzugung lokaler Informationsverarbeitung, wobei die globale Informationsverarbetiung intakt bleibt Neuropsychologische und neurobiologische Konzepte • Spezifisches Intelligenzprofil HAWIE: Zahlennachsprechen, Mosaiktest, Figurenlegen eher besser, Allgemeines Verständnis, Bilderordnen eher schlechter • Savant Syndrom oder Inselbegabung spektakuläre Fälle in Nordamerika und Europe ca. 100. • Intraindividuell herausragende Fähigkeiten, sog. Splinter Abilities oder Inselbegabung sind häufig Syndromaler Autismus • • • • • • • • • • • Tuberöse Sklerose (Pringle-Bourneville-Syndrom) (10%) Fragiles x-Syndrom (10%) Phenylketonurie (unbehandelte) (10%) Neurofibromatose (10%) Williams-Beuren-Syndrom Angelmann-Syndrom Prader-Willi-Syndrom Down-Syndorm Joubert-Syndrom Moebius-Syndrom Sotos-Syndrom Diagnostik Leitlinien • Früherkennung • Exploration der Eltern und Bezugspersonen • Verhaltensbeobachtung des Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen, ggf. Exploration • Testpsychologische Untersuchung • Körperliche Untersuchung • Multiaxiale Klassifikation Früherkennung (Tab. 18,CHAT 141) • Möglichst frühe Erkennung! • Diagnosezuverlässigkeit ist unter 3 wesentlich geringer als im 5. LJ • Von elterlicher Sorge bis zur Diagnose in der Regel 3 Jahre Unter 18 Monaten ist Diagnose problematisch • Prognostisch hinsichtlich autistischer Entwicklung: - isoliert von der Außenwelt / Umwelt - spielt nicht wie andere Kinder - es gab einen Verdacht, das Kind könnte gehörlos sein. - Kind versucht nicht, die Aufmerksamkeit Erwachsener zu erregen - leerer Blick und merkwürdige Reaktionen auf Geräusche Kinderpsychiatrische Untersuchung – Im Vorfeld - Je nach diagnostischem Auftrag Vorberichte aus mindestens 2 verschiedenen Settings - Kindergartenbericht, Schulbericht - Anamnesebogen der Eltern bzw. Elternbericht - Stellungnahme / Förderbericht - Fachärztliche Stellungnahme (KJP / SPZ)? Kinderpsychiatrische Untersuchung Was ist zu beachten? • Wahl des Untersuchungsschwerpunktes je nach Auftrag und Fragestellung • Je mehr ich strukturiere, desto weniger sehe ich • Was man nicht sucht, sieht man nicht, Ergo: - Suche nach Kontakt und Interaktion - Suche nach sozialer Wahrnehmung - Suche nach verbalen Auffälligkeiten Kinderpsychiatrische Untersuchung Durchführung Beobachtung des freien Spiels Beobachtung der Interaktion - Kind u. Mutter - Kind u. Untersucher - Wie geht Kind mit Interaktion Untersucher u. Mutter um? - Auf welche Reize reagiert das Kind Gesteuerte Interaktion Angeleitete gesteuerte Interaktion Übergang zu Aufgaben, Befragung Exploration Bezugsperson I I. Abfrage der Kernsymptomatik (Tb. 20 – 22) Hilfreich sind schriftliche Fragebögen: - FSK, Fragebogen zur sozielaen Kommunikation - SRS, Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität II. Entwicklungsgeschichte und medizinische Anamnese - Erste Sorgen, Beginn der Symptomatik - Meilensteine der Entwicklung -Neurologische Erkrankungen, - Organische Syndrome, - chronische Erkrankungen -Medikamente -Psychische Probleme und Erkrankungen in der Familie Der ADI-R ist für die mündliche Befragung (1,5 – 3h) für I u. II.