Akute Kohlenmonoxidvergiftung ( G.Kaiser, A.Schaper in: „Notfall + Rettungsmedizin 5-2012, S.429ff. ) Derzeit führen in Deutschland Intoxikationen jährlich zu ca. 75 000 Klinikbehandlungen und zu 3000 Todesopfern. Häufigste Todesursache bei akzidentellen Intoxikationen ist die Exposition gegenüber Gasen (9191 Klinikbehandlungen, 580 Todesfälle). In hohem Prozentsatz verantwortlich ist insbesondere das Kohlenmonoxid (3756 Klinikbehandlungen, 374 Todesfälle). CO entsteht bei der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Materialien unter hoher Temperatur und geringer Sauerstoffzufuhr. Kohle wird seit Jahrtausenden als fester Brennstoff verwendet. Die Gefahren hierbei waren allerdings auch sehr früh bekannt: Schon Aristoteles beschrieb die Gefahren des Kohlendunstes. Auch Plutarch und Lucrez berichteten später über die todbringende Kraft des „odor carbonum“. Mit Wirkung und Behandlung der Kohlendunstvergiftung befassten sich Galen und Avicenna (L.Lewin in: „Die Geschichte der Kohlenoxydvergiftung“). Die Vergiftung ist nur schwer zu identifizieren und wird daher auch als „silent killer“ bezeichnet. Das Gas ist unsichtbar, geruchlos und führt beim Einatmen weder zu wahrnehmbaren Empfindungen noch zu einer Symptomatik, die vom Betroffenen oder anderen mit einer respiratorischen Beeinträchtigung in Verbindung gebracht wird. Bis in die Neuzeit wurden daher viele tödlichen Vergiftungen als teuflische Feme gedeutet, weil die Ursache nicht erkennbar war. Andererseits schien ein Zusammenhang mit okkulten Handlungen, bei denen oft Kohlenfeuer und Räucherwerk eine Rolle spielten, offensichtlich (L.Lewin, „Die Gesch. ...“). Mit der Einführung von zentralen Heizungsanlagen nahm die Anzahl der Vergiftungen deutlich ab. Neuerdings werden zunehmend Zier- und Heizkamine in Wohnräumen installiert, die bei unzureichender Luftzu- und abfuhr CO freisetzen können. Im Februar 2011 starb ein dreijähriges Mädchen. Aus dem Kamin des erst wenige Jahre alten Hauses war CO ausgetreten. Erst als mehrere Familienmitglieder über Beschwerden klagten, wurden die Einsatzkräfte auf das Problem aufmerksam. Vorsicht ist bei Kaminöfen ohne Außenluftzuführung angezeigt. Sie können zur Gefahr werden, wenn bauliche Maßnahmen (z.B. Abdichten von Fenstern. Maßnahmen zur Wärmedämmung etc.) die Luftzufuhr zum Kamin verringern. Eine Überprüfung durch den Schornsteinfeger sollte auch in diesen Fällen, nicht nur bei Veränderungen der Feuerungsanlage selbst, erfolgen. Nach wie vor ereignen sich auch Vergiftungen durch Fehlfunktionen von mit Gas betriebenen Etagenheizungen oder „Thermen“ in Badezimmern.. Seit der Einführung von Erdgas (Ende der 70er Jahre in der BRD und 1996 in der ehem. DDR und Berlin) ist allerdings eine potientelle Quelle für die CO-Vergiftung verschwunden. Erdgas enthält nur Methan und einige weitere ungiftige Gase. Suizidale CO-Intoxikationen Häufige Vergiftungsursache waren Abgase von KFZ-Motoren, die früher bis zu 10% CO enthalten konnten. Diese Vergiftungsform verliert im Zeitalter der Katalysatoren zunehmend an Bedeutung, da geregelte Katalysatoren der Norm EURO4 inzwischen weniger als 0,3% CO enthalten. An die Stelle der KFZ-Abgase ist nun die Verwendung von Kohlegrills in geschlossenen Räumen getreten. Am Neujahrstag 2011 kamen auf diese Weise Vater und Tochter einer jungen Familie ums Leben. Seit 1998 wird diese Suizidmethode nach einem spektakulären 1 Fall in Hongkong, der dann im Internet weltweit Verbreitung fand, weltweit angewendet. Häufig werden Türen und Fenster luftdicht verschlossen und dann Holzkohlegrills entzündet. Drei Jugendliche im Landkreis Vechta in Niedersachsen verabredeten im August 2011 über das Internet einen Gemeinschaftssuizid. Sie entzündeten mehrer Einweggrills in einem Zelt. Bei insgesamt rückläufiger Zahl der Suizide in Deutschland nimmt aber der Anteil der durch CO verübten Suizide in den letzten Jahren wieder zu. Das bedeutet auch gleichzeitig, dass die Gefährdung des Rettungspersonals zunimmt. Der Hinweis auf verklebte Türen und Fenster ist daher in jedem Falle angebracht. Brandrauchvergiftung Das Rauchinhalationstrauma ist wohl die häufigste Erscheinungsform einer akuten COVergiftung in den Industrienationen. In Deutschland sterben jährlich ca. 500 Menschen bei Bränden, davon etwa 70 % an der Rauchvergiftung. Weitere 100 Betroffene erleiden eine schwere Rauchvergiftung mit Bewusstseinsstörungen. Diese Bewusstseinsstörungen können durch Kohlenmonoxid und durch Zyanwasserstoff hervorgerufen werden. Der Stellenwert der HCN-Exposition wird kontrovers diskutiert und könnte eine größere Bedeutung haben als bisher angenommen. Im Vordergrund steht aber immer die CO-Vergiftung. Die Giftinformationszentren empfehlen derzeit, von einer Kombinationsvergiftung auszugehen und dementsprechend beides zu behandeln. Als Therapie der möglichen HCN-Vergiftung wird Hydroxycobalamin oder NaThiosulfat empfohlen. Zur Zeit finden mehrere Studien zu schweren Rauchvergiftungen in mehreren europäischen Ländern statt. Es ist in Kürze mit evtl. neuen Erkenntnissen zu rechnen. In diesem Zusammenhang nochmals der Hinweis auf ein früheres Referat: Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass ein Patient, der die Rettung aus einer ggf. zyanidhaltigen Brandatmosphäre überlebt, sich ohne Antidot nicht verschlechtert. Sicher ist in jedem Falle, dass sich die Situation bei einer wie im Brandfalle immer vorliegenden COExposition mit einem entsprechendem CO-Hb und einer zusätzlichen Met-Hb-Bildung durch DMAP-Behandlung weiter verschlechtert. DMAP ist bei einer Rauchgasvergiftung immer kontraindiziert. Pathogenese Dreifache Wirkung auf den menschlichen Organismus: 1. CO verdrängt durch sein 200-300fach größere Affinität zum Hämoglobin die Sauerstoffmoleküle und verringert dadurch die Sauerstofftransportkapazität des Blutes durch Carboyhämoglobin. 2. CO-Liganden bewirken eine Veränderung am Hämoglobin, welche die Bindung der verbliebenen Sauerstoffmoleküle am Hämoglobin verstärkt, was dazu führt, dass weniger Sauerstoff an das Gewebe abgegeben wird. 3. Eine Bindung des CO erfolgt auch an Eisen III (schwächer als HCN-Ionen), was die Funktion von Ferricytochrom-Enzymen wie der Cytochrom-Oxidase beeinträchtigt und bei längerem Andauern zu einer zytotoxischen Hypoxie führt. Die Gewebshypoxie manifestiert sich vor allem im besonders hypoxieempfindlichen ZNS, später dann auch am Myokard. Eine berichtete Kasuistik zeigt aber auch, dass es andere Verläufe gibt : Pat. wird mit pektanginösen Beschwerden und infarkttypischen EKG-Zeichen in der Klink coronarangiographiert. Nach unauffälligem Befund wurde ein erhöhter CO-Hb-Wert festgestellt. Danach stellte die Feuerwehr nach Information durch das KH einen Defekt am Heißwasserboiler in der Wohnung des Patienten fest. 2 Die immer wieder beschriebenen bleibenden neurologischen Schäden nach CO-Vergiftungen können auf die zytotoxische Wirkung zurückgeführt werden. Bei einer langen Expositionsdauer und einem späten Therapiebeginn ist daher eher mit bleibenden Schäden zu rechnen. Klinische Symptomatik Die Symptome sind weitgehend unspezifisch. Leitsymptom ist jedoch die Vigilanzminderung. Die Tabelle zeigt eine Zusammenstellung der Vergiftungsschwere in Korrelation zur CO-HbKonzentration. Es sind jedoch erhebliche Abweichungen möglich. Schweregrad und typische Symptomatik der CO-Vergiftung Schweregrad Symptome CO-Hb-Wert Dyspnoe bei Belastung 10% Kopfschmerz__________________________ Schwindel > 20% Ohrensausen _____________________ Übelkeit, Erbrechen_____________________ Leicht Mittelschwer Müdigkeit > 30% Sehstörungen__________________________ Tachykardie > 40% Bewusstseinsverlust _____________________ Herzrhythmusstörungen (VES)____________ Schwer Koma > 50% Tachypnoe____________________________ Krampfanfälle > 60% Cheyne-Stokes-Atmung__________________ Herz-/Kreislaufversagen 60 – 80% Eine hohe CO-Konzentration zieht eine hellrote Verfärbung des Blutes nach sich. Ein in den Büchern vielfach beschriebenes rosiges Hautkolorit sieht man jedoch selten. Es manifestiert sich in der Regel erst postmortal in hellroten Livores. Durch die neue Technologie der Carboxymetrie hat man jetzt frühzeitig die Möglichkeit entsprechende Vergiftungen zu sichten. Die Geräte bewiesen in klinischen Fallserien eine ausreichende Präzision. In derzeit laufenden Studien wird der Einsatz bei Gas- und Brandunfällen untersucht. Therapie Antidot zur Behandlung der Kohlenmonoxidvergiftung ist Sauerstoff in möglichst hoher Konzentration, da die Elimination des CO mit steigendem O2-Partialdruck erheblich beschleunigt wird. Durch eine hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentration wird auch die Menge des physikalisch gelösten Sauerstoffes erhöht und dadurch die Sauerstoffabgabe an das Gewebe verbessert. 1. hochdosierte O2-Applikation über Maske mit Reservoir - bei suffizienter Spontanatmung und wachem Patienten 3 2. Intubation und kontrollierte Beatmung mit FiO2 von 1,0 - bei suffizienter Spontanatmung aber somnolentem bis komatösem Patienten - beim krampfenden Patienten Eliminationshalbwertszeit von CO bei verschiedenen O2-Partialdrücken FiO2 Luftdruck pO2 HWZ_____ Raumluftatmung___________0,21________100 kPa______21 kPa_____4-6 h______ Normobare_Oxygenierung____1,0________100 kPa______100 kPa___40-80 min___ Hyperbare Oxygenierung_____1,0________300 kPa______ 300_kPa__15-30 min___ Vorteile der hyperbaren Oxygenation Die dreifache Erhöhung des O2-Partialdruckes bewirkt gegenüber der normobaren Oxygenierung mit 100% O2 eine deutliche kürzere Eliminationszeit des CO. Das ggf. begleitende Hirnödem wird durch den vasokonstriktorischen Effekt von hyperbarem O2 reduziert. Indikationsstellung zur HBO Evidenz zu Indikation und Nutzen der HBO ist bislang im Vergleich zur normobaren O2Applikation gering. Es gibt nach neuesten Untersuchungen keine definitive Therapieempfehlung und es wird auf den bestehenden Forschungsbedarf hingewiesen. Vermutet wird aber ein Benefit bei Patienten mit schweren Formen einer CO-Vergiftung. Aus theoretisch-toxikologischer Sicht dürfte die HBO ggü. der normobaren Oxygenierung bei folgenden Konstellationen von Vorteil sein: - hohe Expositionsdosis - lange Expositionsdauer - schwere klinische Symptomatik - frühzeitiger Therapiebeginn Beginn nach 6 Stunden ist sicher nicht mehr sinnvoll. Problem ist die immer geringer werdende Anzahl der Druckkammern. Durch die z.T. langen Transportwege sind daher häufig für die HBO-Behandlung Grenzen gesetzt. Indikationsstellung zur HBO Bewusstlosigkeit : Nicht erweckbar bei gesicherter Diagnose (CO-Hb > 20% oder ein_____________________deutige Expositionsanamnese unter Ausschluss anderer Ursachen_ Hoher CO-Hb-Wert : > 40% (unabhängig von der Schwere der Symptomatik)__________ Kardiale Symptomatik : kardiale Ischämie bei gesicherter Diagnose_bzw._erhöhtem Hb-CO Schwangerschaft : CO-Hb > 20% oder bei klinischer Symptomatik nach Exposition 4 Vorgehensweise bei leichter CO-Intoxikation CO-Werte über 5% beim Nichtraucher und über 10% beim Raucher beweisen eine Exposition. Die Entscheidung über eine Klinikeinweisung sollte sich bei Werten < 20% alleine an einer zusätzlichen Symptomatik und am Vorliegen von kardiologischen oder neurologischen Vorerkrankungen orientieren. Eine Beendigung der Sauerstofftherapie kann i.d.R. bei einem CO-Hb < 5% erfolgen. Bei einer Rauchgasexposition ist bei Atemwegsreizen eine Klinikvorstellung immer indiziert. 5