Psychiatrisch-somatische Komorbidität im Alter

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Freitagssseminar Psychiatrie:
Gerontopsychiatrie – Psychiatrischsomatische Komorbidität im Alter
Wintersemester 2014/2015 – 16.01.2015
Walter Hewer Klinikum Christophsbad
Klinik f. Gerontopsychiatrie 73035 Göppingen
Korrespondenz: [email protected]
Freitagsseminar 16.01.2015 –
Themen
1) Organische Psychische Störungen – Theorie und
Fallbeispiele (s. Skript der Vorlesung)
2) Delir als psychiatrisch-somatische Erkrankung
3) Psychiatrische Notfälle – besondere Aspekte im
höheren Lebensalter
4) Interdisziplinäre Aspekte – exemplarische Fälle
Freitagsseminar 16.01.2015 –
Themen
1) Organische Psychische Störungen – Theorie und
Fallbeispiele
2) Delir als psychiatrisch-somatische Erkrankung
3) Psychiatrische Notfälle – besondere Aspekte im
höheren Lebensalter
4) Interdisziplinäre Aspekte – exemplarische Fälle
Delir – Symptombereiche/
Diagnosekriterien
Akuter Beginn/
flukt. Verlauf
Bewusstseinsstörung
Delir
Kognitive
Störung
Hirnfunktionsstörung
Delir – Symptombereiche/
Diagnosekriterien n. DSM-5
Aufmerksamkeitsstörung
Ausschluss
(Prä)Koma
Akuter Verlauf/
Fluktuation
Delir
Kognitive
Störung
Hirnfunktionsstörung
Delir – ausgewählte Risikofaktoren (I)*
Nicht modifizierbar
- Demenz/kognitive Beeinträchtigung
- höheres Alter (> 65 J)
- Schwere Vor- und Begleiterkrankungen (Schlaganfall, Herz-, Nieren, Lebererkrankungen etc.)
* Leicht modif. n. Fong et al. Nat Rev Neurol 2009, Marcantonio Ann int Med 2011
Delir – ausgewählte Risikofaktoren (II)*
Potenziell modifizierbar
- Sensorische Beeinträchtigung (Hören, Sehen)
- Immobilisierung (z.B. durch Katheter, Fixierung)
- (Poly)Medikation, Alkohol …
- Interkurrente Erkrankungen (z.B. akutneurologische
Erkrankungen, Infektionen, kardiopulmonale Erkrankungen, Exsikkose, metabolische Störungen etc.)
- Chirurgische Eingriffe
- Harnverhalt, Koprostase
- Emotionale Belastung (u.U. durch Umgebungsfaktoren,
Schmerzen, Schlafentzug)
* Leicht modif. n. Fong et al. Nat Rev Neurol 2009, Marcantonio Ann int Med 2011
Delir - Grunderkrankungen
Allgemeinerkrankungen
Hirnerkrankungen
Delir
Toxische
Ursachen (UAW)
Substanzentzug
Restitution
Tod
Delir – Verlauf/
Prognose
Komplikationen
Defektheilung
Delir: Diagnostik
1) Diagnose des psychopathologischen Syndroms
- psychiatrische Anamnese (incl. Fremdanamnese)
- psychopathologischer Befund, Überprüfung der
Diagnosekriterien (z.B. n. ICD-10); evtl. Anwendung
standardisierter Verfahren (z.B. MMSE, CAM)
2) Abklärung der Ätiologie des Delirs
- internistisch-neurologische Untersuchung;
cave: somatische Notfälle und Akutsituationen
- apparative Zusatzdiagnostik
Diagnostisches Vorgehen zur
Ursachenabklärung des Delirs
Basisdiagnostik
- Anamnese, körperlicher Befund (Vitalparameter!)
- Labor: CRP, Blutbild, Elektrolyte, Nieren-/Leberfunktionsparameter, Glukose, CK, Gesamteiweiß, Urinbefund ...
Erweiterte Diagnostik
- cCT/MRT
- EKG/Röntgen Thorax
- weiterführende Labordiagnostik: z.B. Schilddrüsenhormone,
Medikamenten- und Vitaminspiegel
- Liquor/EEG
Weitere Untersuchungen: bei spezieller Indikation
Delir im Alter als diagnostische
Herausforderung*
Delirien werden von Schwestern gehäuft nicht erkannt
bei:
vorbestehender Demenz
hohem Alter
hypoaktivem Verlauf
Visusminderung
* Inouye et al Arch int Med 2001
Häufigkeit typischer Symptomkonstellationen*
(315 Patienten > 75 J mit Delir)
• hypoaktives Delir
26 %
• hyperaktives Delir
22 %
• gemischtes Delir
42 %
• nicht klassifizierbar
11 %
• prominente affektive Symptome
77 %
• prominente psychotische Symptome
43 %
*Sandberg et al JAGS 47 (1999) 1300-1306
Confusion Assessment Method
(CAM, CAM-ICU)*
1)
Rascher Beginn und fluktuierender Verlauf
der Symptomatik
2)
Störung der Aufmerksamkeit
3)
Inkohärentes Denken
4)
Veränderung der Vigilanz
Delir: 1 + 2 und 3 oder 4
* Inouye et al Ann int Med 1990, Ely et al JAMA 2001
Delir – Demenz: was steht im Vordergrund?
Delir
Demenz
Kernmerkmale von Delir und Demenz
Delir
Demenz
Bewusstsein/Aufmerksamkeit
↓
→
Kognition
↓
↓
Beginn, (sub)akut
+
-
Fluktuationen
+
-
Hirnfunktionsstörung, (sub)akut
+
-
Hirnfunktionsstörung, chronisch
-/+
+
Somatische Basistherapie: Flüssigkeit,
Herz-Kreislauf …
Psychiatrische
Basistherapie:
Orientierung, Schutz …
Delir (nicht entzugsbedingt):
Therapeutische Prinzipien
Medi
Kausaltherapie
Psychopharmaka:
fakultativ!
Delir – therapeutische Prinzipien*
Ätiologische Faktoren behandeln
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Wenn Leidensdruck/Gefährdungen
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Bei mangelnder Wirksamkeit: Antipsychotika
* NICE Clinical Guideline 103: Delirium – diagnosis, prevention and management (2010)
000
Therapie des Delirs – Allgemeine Maßnahmen
1. Prinzipien des Umgangs mit kognitiv beeinträchtigten
Menschen
freundlicher, klarer Kommunikationsstil
Gewährleistung einer überschaubaren Umgebung
Konstanz der Bezugspersonen, möglichst: Beschäftigung,
Mobilisation
Bewältigung schwieriger Situationen: beruhigende
Zusprache, Ablenkung ...
Vermeiden von Eigengefährdungen (Stürze, Weglaufen ...)
und Fremdgefährdungen
2. Medizinische Allgemeinbehandlung
Wiederherstellung/Erhaltung der körperlichen Homöostase
(Lagerung, Prophylaxen, Bilanzierung/Korrektur des
Flüssigkeits-/Elektrolythaushalts, Gewährleistung aus
reichender Ernährung ...)
Therapie des Delirs – Spezielle Maßnahmen
1. Kausal
a) Behandlung ursächlicher Erkrankungen und
komplizierender Störungen
b) bei anticholinergem Delir: Cholinesterase-Inhibitoren
2. Symptomatisch
a) Überprüfung aller Medikamente
b) zielsymptomorientierter Einsatz von Psychopharmaka:
- psychotische Phänomene: hochpotente Neuroleptika
(Haloperidol, alt. Atypika, wie Risperidon, Quetiapin)
- Alkoholentzugssyndrom: Clomethiazol, alt. Benzodiazepine (u.U. in Komb. mit hochpot. Neuroleptika)
- psychomotorische Unruhe: Neuroleptika (hoch- oder
niederpotente); u.U. Benzodiazepine (bevorzugt in
Komb. mit hochpotenten Neuroleptika)
Pharmakotherapie des Delirs im Alter (I):
Anhaltspunkte zur Dosierung
(ergänzt u. modifiziert n. Fong et al 2009; Marcantonio 2011*
Substanz**
Startdosis
Tagesdosis (mg)
Haloperidol
Risperidon
Quetiapin
Olanzapin
Lorazepam
0,5 – 1
0,25 – 0,5
12,5 – 25
2,5
0,25 – 0,5
0,5 – 6
0,5 – 2
25 – 50
2,5 – 5
0,5 – 3
Pipamperon
Melperon
Clomethiazol (ml)
20 – 40
25 – 50
5 – 10
60 – 120
50 – 150
10 – 30
* s.a.: Hewer, Drach & Thomas DNP 2009
** Pipamperon, Melperon, Clomethiazol in USA nicht im Handel (bei Fong , Marcantonio
nicht erwähnt)
10
Pharmakotherapie des Delirs im Alter (II):
Bewertung der Einzelsubstanzen
(ergänzt u. modifiziert n. Fong et al 2009; 5: 210-220)
Substanz
Probleme
Anmerkungen
Haloperidol
Risperidon
Quetiapin
Olanzapin
Donepezil
Lorazepam
EPS (sub-,
stanzabhängig),
QT
cave: Demenz
cholinerge Effekte
Atmung, Sedierung
Evidenz: ? HWZ lang
kein Mittel 1. Wahl
Pipamperon
Melperon
Clomethiazol
Sedierung,
veget. Effekte
Atmung, Sedierung
klin. Erfahrungen: +
Studien: ?
kurze HWZ
Evidenz: +
Delir: Notfälle
Verhaltensbezogen: im Kontext der Psychopathologie
- Selbstgefährdungen: Folge von Desorientierung / produktivpsychotischen Phänomenen, eingeschränkter Kooperation
- Fremdgefährdungen: im Zusammenhang mit Desorientierung /
produktiv-psychotischen Phänomenen
Somatisch: bedingt durch Dynamik der Grunderkrankungen
- bedrohliche Hirnerkrankungen: ischämischer Insult,
Subarachnoidalblutung, Enzephalitis ...
- bedrohliche internistische Erkrankungen: Arrhythmien, kardiale
Dekompensation, Infektionen, metab. Entgleisungen ...
- Komplikationen schwerer Entzugssyndrome (Alkoholdelir)
- Komplikationen von Intoxikationen
Freitagsseminar 16.01.2015 –
Themen
1) Organische Psychische Störungen – Theorie und
Fallbeispiele
2) Delir als psychiatrisch-somatische Erkrankung
3) Psychiatrische Notfälle – besondere Aspekte im
höheren Lebensalter
4) Interdisziplinäre Aspekte in der Gerontopsychiatrie
Psychiatrischer Notfall
Ein im Zusammenhang mit psychopathologischen
Symptomen auftretender Zustand, der zur Abwendung
von Lebensgefahr oder anderen schwerwiegenden
Folgen unverzüglich der sachverständigen Beurteilung
und Behandlung bedarf.
Wichtige Syndrome in der Notfallpsychiatrie
Psychose
Angst
Delir
Intoxikation/
Entzug
Depression/
Suizidalität
Stupor/
Erregung
Gefährdungen (I) - Eigengefährdungen
- Suizidalität (u.a. bei schwerer Depression,
psychotischem Erleben, Zuständen gestörter
Impulskontrolle, z.B. bei massiver Erregung,
unter dem Einfluss psychotroper Substanzen)
- im Rahmen psychotischen Erlebens
- im Rahmen kognitiver Defizite (Delir, Demenz,
Intoxikation)
- andere: unzureichende Nahrungs- und
Flüssigkeitszufuhr, körperliche Erkrankungen,
Verwahrlosung
Anzahl betroffener Menschen
Mäßige
Suizidgefahr
Passive
Todeswünsche
Erwägung
Hohe
Suizidgefahr
Suizidgedanken
Suizidideen
Suizidpläne
Vorbereitungen
Ambivalenz
Suizidale
Handlungen
Entschluss
Althaus & Hegerl Nervenarzt 11, 2004
Exploration von Suizidalität
• Subjektives Befinden: “Wie geht es Ihnen?”
• Leitsymptome des depressiven Syndroms
• Frage nach Verzweiflung / Hoffnungslosigkeit
• Frage nach lebensüberdrüssigen Gedanken
• Frage nach Suizidideen / Suizidabsichten
Wichtige Voraussetzung: Therapeutische Beziehung!
Suizidprävention – Informationsheft des
Nationalen Suizid Präventions Programms
Suizidraten nach Alter und Geschlecht in der BRD
Inverse Verteilung der Risiken für Suizid und
Suizidversuche in Abhängigkeit vom Lebensalter*
* Wächtler 2003 (in Förstl: Lehrbuch der Gerontopsychiatrie)
Suizidalität im Alter
Suizide
/ Suizidversuche
1
Prognose n. Suizidversuchen: > 85 % überleben2
Keine Häufung von Suiziden bei Demenz, aber: unter
bestimmten Konstellationen dennoch erhöhtes Risiko
(z.B. in frühen Stadien, bei Chorea Huntington)3
Körperliche Beeinträchtigungen als Risikofaktor (z.B.
chron. Schmerzen, anhaltende Atemnot, Malignome)4
1Schmidtke
2Ernst
et al. ZGG 2008, Wächtler 2003
Z Gerontopsychol. u. psychiatrie 1995
3Haw
et al Int Psychogeriatrics 2009, Schneider et al. Fortschr Neurol
Psychiatr 2001
4Conwell
et al Psychiat Clin N Am 2008
Schicksal von älteren Menschen
nach einem Suizidversuch*
- mindestens 85 % der Betroffenen leben weiter
(bei mehrjähriger Nachbeobachtungsdauer)
- nahezu alle Betroffene sind froh, gerettet
worden zu sein
* K. Ernst 1995
Gefährdungen (II) - Fremdgefährdungen
- erweiterter Suizid
- in Folge kognitiver Defizite (Delir, Demenz,
Intoxikation)
- in Folge psychotischen Erlebens
- in Folge eines Impulskontrollverlustes
Diagnostik psychiatrischer Notfälle –
Triage-Fragen
1) Psychiatrischer und/oder somatischer Notfall?
2) Muss der Patient unverzüglich gesehen werden?
3) Akute Eigen- oder Fremdgefährdung
4) Kann der Patient ohne Risiko die
Untersuchungssituation verlassen?
Notfallpsychiatrische Untersuchung
1) Exploration:
• Anamnese (psychiatrisch / somatisch)
• Psychopathologischer Befund (auch in
somatischer Hinsicht relevant!)
2) Körperliche Untersuchung
• Vitalparameter (Vigilanz, P, RR,
Temp, SaO2)
• internistisch-neurologischer Befund
• technische Untersuchungen
3) Fremdanamnese (fakultativ)
Psychiatrische
Somatische
Erkrankungen
Zunehmende psychiatrische Morbidität bei
steigender Zahl körperlicher Erkrankungen
Lancet 2012
Therapeutisches Gespräch in Notfall- und
Krisensituationen – wichtige Ziele
Grundlegende Ziele
1. Beruhigung und Entlastung, Sicherheit geben, Hoffnung
wecken
2. Vermittlung von Empathie, Stärkung des Selbstwertgefühls
3. Aufbau einer therapeutischen Beziehung
4. Struktur geben, Grenzen setzen, den Fokus der
Aufmerksamkeit verschieben
Weiterführende Ziele
1. Information und Beratung
2. Klärung und Bearbeitung möglicher Konfliktsituationen
3. Einleitung der Weiterbehandlung
4. Konfrontation
5. Einbeziehung von Angehörigen und anderen Bezugspersonen
Situationen, in denen ein therapeutisches Gespräch
nicht / nur eingeschränkt möglich ist
- ausgeprägte psychomotorische Hemmung (Extremfall: Stupor)
- ausgeprägter Erregungszustand, drohende physische
Aggression
- stärkergradige formale Denkstörungen (Verlangsamung,
Ideenflucht, Inkohärenz)
- massive kognitive Defizite (z.B. im Rahmen von Delir oder
Demenz)
- stärkergradige Intoxikationszustände
- Angst oder Mißtrauen des Patienten in ausgeprägter Form
- bei manchen Patienten mit schwerster Depression oder mit
ausgeprägter Wahndynamik
- fehlende Motivation des Patienten (z.B. aufgrund Fehlen von
Krankheitsgefühl oder Krankheitseinsicht)
Typische Gesprächssituationen in der
Notfallpsychiatrie
- der paranoide Patient:
Realitätsgehalt erlebter Bedrohung und
Beeinträchtigung eher nicht thematisieren
einfühlsame Annahme des gegenwärtigen Erlebens
- der demente Patient:
„bestätigende Annahme“
Konfrontation mit Defiziten möglichst vermeiden
Angehörige als “Co-Patienten”
Indikationen zur stationären Behandlung*
- unklare Diagnose
- Notwendigkeit ständiger Überwachung
- akute Selbstgefährdung
- Fremdgefährdung
- psychosoziale Gesichtspunkte (z.B. nicht tragbare
Belastung für Angehörige)
* leicht modifiziert n. Laux G & Berzewski H: Notfallpsychiatrie. In: Möller,
Laux & Kapfhammer Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Springer 2011
Weiterbehandlung nach psychiatrischer
Notfallintervention
stationäre Aufnahme
ambulante Versorgung
- Psychiatrische Klinik
- Hausarzt
- Allgemeinkrankenhaus
- Facharzt,
Psychotherapeut
- Kriseninterventionseinrichtung
- ambulante Dienste (z.B.
Soz.psychiat. Dienst)
Voraussetzungen für ambulante Weiterbehandlung
- konkrete Absprachen
- ggf. Einbindung von Bezugspersonen
- geklärte rechtliche Situation (insb., wenn Patient die ärztliche
Empfehlung nicht akzeptiert)
Rechtliche Aspekte (I)
• Grundgesetz: Freiheitsrechte des Individuums
• Pflicht zur Hilfeleistung
• Aufklärungspflicht / Einwilligung nach Aufklärung
• Wirksamkeit / Nichtigkeit einer Willenserklärung
• rechtfertigender Notstand, Geschäftsführung ohne Auftrag
• Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG; öffentliche
Ordnungsfunktion, Diagnostik und Therapie u. U.
gegen den Willen der Betroffenen – unter strengen
rechtlichen Voraussetzungen)
Rechtliche Aspekte (II)
• Betreuungsgesetz (Diagnostik und Therapie bei nicht
Einwilligungsfähigen) – aktuelle Rechtslage unklar
• Schweigepflicht / Meldepflicht
• Fahrtauglichkeit
• Haftpflicht
• Dokumentationspflicht
Freitagsseminar 16.01.2015 –
Themen
1) Organische Psychische Störungen – Theorie und
Fallbeispiele
2) Delir als psychiatrisch-somatische Erkrankung
3) Psychiatrische Notfälle – besondere Aspekte im
höheren Lebensalter
4) Interdisziplinäre Aspekte in der Gerontopsychiatrie
Multimorbidität in Geriatrie und
Gerontopsychiatrie*
Geriatrie versorgt Patienten mit hoher Vulnerabilität
(„Frailty“) und Vorliegen multipler aktiven Krankheiten*
Gerontopsychiatrische Patienten haben – über alle
diagnostischen Kategorien hinweg – im Durchschnitt 5
und mehr Begleiterkrankungen**
* Definition „Geriatrie“ der UEMS (Auszug)
** Zubenko et al Biol Psychiatry 1997; 41: 724-736
Psychische Morbidität
Somatische Morbidität
Patient
Funktioneller Aspekt
Somatische Begleiterkrankungen bei
Demenzpatienten - Ausgangslage
1) Hohe Prävalenz häufig unentdeckter
Erkrankungen
2) Symptome oft wenig prägnant
(Schmerzen, Durst ...)
3) Symptome unspezifisch
4) Atypisches Bild vieler Erkrankungen
5) Eingeschränkte Kooperationsfähigkeit
vieler Patienten (kognitive Dysfunktion,
Immobilität, Hypakusis ...)
Autoptisch nachgewiesene Begleiterkrankungen bei 52 Demenzpatienten*
n
- Koronare Herzkrankheit
36
- Herzinfarkt
21
- Pneumonie
31
- Lungenembolie
7
- COPD
19
- Tumor
17
- gastrointestinale Erkrankungen
10
* Erkrankungen nicht vorbekannt (Fu et al Arch Pathol Lab Med 2004; 128: 32-38)
Häufige allgemeinmedizinische Probleme
bei Demenzkranken
- Infektionen, insb. Pneumonien
- Herz-Kreislauferkrankungen
- Stoffwechselerkrankungen
- Malnutrition, Exsikkose
- Inkontinenz
- zerebrale Ischämien, Parkinson-Syndrom
- Stürze
- Schmerzzustände
Depression im Alter und
somatische Komorbidität
körperliche
Depression
Erkrankung
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
M
ul
tim
M
or
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ili
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ke
in
e
Prozent
Depression im Alter und körperliche
Einschränkungen*
Häufigkeit depressiver Syndrome bei unterschiedlichen
körperlichen Einschränkungen (Linden et al. 1998)
Häufigkeit depressiver Syndrome bei
ausgewählten somatischen Erkrankungen*
• Diabetes mellitus
10 %
• Myokardinfarkt
20 %
• Morbus Parkinson
30-50 %
• Epilepsie
20-30 %
• dialysepflichtige Niereninsuffizienz
10-25 %
• Schlaganfall
25-35 %
• Karzinomerkrankungen
25-40 %
* Nach Robertson & Katona 1997, Arolt 2003
Depression im Alter
Reduzierter
körperlicher
Zustand
Seelisches Leiden
Konsequenzen
Eingeschränkte
Alltagskompetenz
Suizidrisiko
Depression im Alter und somatische
Komorbidität - Prognose
„Late life depressive disorders often arise in the context of
psychosocial adversity, chronic medical diseases, and disability,
and besides suffering and family disruption worsen medical
outcomes.”
Alexopoulos Lancet 2005; 365: 1961-1970
- somatische Komorbidität und funktionelles Defizit prognostisch ungünstig für den Verlauf einer Depression
- Depression assoziiert mit chronischen somatischen
Erkrankungen (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen)
- Depression nachteilig für den Verlauf somatischer
Begleiterkrankungen (Stichworte: Herzinfarkt,
Ernährungszustand, Osteoporose ...)
Blazer J Gerontology: Medical Sciences 2003; 58A: 249-265
Somatische Behandlung in der
Gerontopsychiatrie: typische Interventionen
> Behandlung von Infektionen
> Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen:
Modifikation der Blutdruckeinstellung, Digitalisierung, ...
> Diabetesbehandlung
> Behandlung der Malnutrition
> Therapie von Störungen des Flüssigkeits- und
Elektrolythaushalts
> M. Parkinson, COPD, ...
Multimorbidität und Polypharmazie
Menschen > 65 J nehmen in ihrer Mehrheit 5 und mehr
Medikamente ein (Männer 44 %, Frauen 57 %)*
12 % nehmen 10 und mehr Medikamente ein*
relativ mobile zuhause lebende Senioren (mittl. Alter 78
J): Einnahme von durchschnittlich 6 Arzneistoffen, davon
1 frei erhältlicher**
Menschen in Pflegeheimen nehmen im Durchschnitt
noch mehr Medikamente ein (u.a. Antipsychotika,
Schleifendiuretika, Antikoagulanzien …)**
* US-amerikanische Daten, zitiert n. Wehling JAGS 2011; 59: 376-377
** Deutsche Daten, zitiert n. Thürmann & Schmiedel Med Klin Intensivmed
2011; 106: 16-23
Polypharmazie im Pflegeheim*
Polypharmazie (5 – 9 Medikamente) bei 49,7 %,
ausgeprägte Polypharmazie (10 u. mehr Medikamente)
bei 24,3 %
„Hitliste“
- Laxanzien (41,8 %), Ulcusmedikamente (40,9 %)
- Thrombozytenaggregationshemmer (37.7 %)
- Benzodiazepine (36,0 %), Antidepressiva (35,6 %),
Antipsychotika (26,4 %)
- Diuretika (35,5 %), Analgetika (34,4 %)
- ACE-Hemmer (23,0 %), Betablocker (22,6 %)
-…
*
Onder et al J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2012 (Daten aus mehreren
europäischen Ländern; N = 4093)
Arzneimitteltherapie im Alter – Potenziale:
ausgewählte nützliche Medikamente
Antihypertensiva
Antidiabetika
Mittel zu Behandlung der Herzinsuffizienz (ACE-Hemmer,
Diuretika …)
Analgetika (peripher/zentral wirkende)
Antikoagulanzien
Neuro-Psychopharmaka: Antiparkinsonmittel, Antidepressiva, Antipsychotika, Stimmungsstabilisierer …
…
Arzneimitteltherapie im Alter – Risiken (I)*
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen fanden sich bei
über 50 % der Patienten im Alter von 70-103 J (Berliner
Altersstudie)
Bis zu 10-20 % der internistischen Klinikaufnahmen bei
Alterspatienten sind durch unerwünschte
Medikamentenwirkungen (UAW) (mit)bedingt,
Alterspatienten sind hier besonders vulnerabel
Durch Arzneimittel bedingte Todesfälle sind nicht selten
(z.B. infolge Blutungen, Nierenfunktionsstörungen,
akzidentellen Intoxikationen) – n. schwedischen Daten
ca. 3 % aller Todesfälle (Wester et al 2007)
* n. Thürmann & Schmiedel Med Klin Intensivmed 2011; 106: 16-23, Klotz et al.
Internist 2003; 44: 1444-1449, Bramlage et al. DMW 2004; 129: 895-900
Arzneimitteltherapie im Alter – Risiken (II)*
Alterspatienten erhalten häufig PIM (potenziell
inadäquate Medikation), sowie Kombinationen, die
wegen erhöhter Wechselwirkungsrisiken möglichst
vermieden werden sollten (Größenordnung 10 % und mehr?)
Arzneimittelwechselwirkungen in fast 100 % der Fälle,
wenn > 7 Medikamente eingenommen werden
Nicht zu übersehen sind Anwendungsfehler: Vergessen,
Verwechslung, Nichtbeachtung relevanter Einnahmeregeln, … (Größenordnung 2 % und mehr – bei Fachpersonal!)
Ein Großteil dieser Risiken ist potenziell vermeidbar
* n. Thürmann & Schmiedel Med Klin Intensivmed 2011; 106: 16-23, Klotz et al.
Internist 2003; 44: 1444-1449, Bramlage et al. DMW 2004; 129: 895-900 ,
Editorial Lancet 2009, Ben-Yehuda Drugs Aging 2011, Szczepura BMC
Geriatrics 2011 …
Geriatrische Syndrome – die klassischen 4 I`s*
Immobilität
Instabilität und Sturzgefahr
Inkontinenz
Intellektueller Abbau
* n. Burkhardt 2010
Gebrechlichkeit im Alter – Frailty-Konzept n. Fried*
Gewichtsabnahme
Erschöpfung
(Muskel)Schwäche
Verminderte Gehgeschwindigkeit
Verringerte körperliche Aktivität
* n. Burkhardt 2010
Pharmaka mit anticholinergen Effekten (Auswahl)*
Neuro-/Psychopharmaka: Amitriptylin, Clozapin, Opipramol, Promethazin, Trimipramin, Mirtazapin, Olanzapin,
Quetiapin, Risperidon, L-Dopa, Pramipexol, Baclofen
Kardiovaskuläre Pharmaka: Furosemid, Digoxin,
Isosorbiddinitrat, Dipyridamol, Warfarin, Nifedipin
Verschiedene: Prednisolon, Theophyllin, Ranitidin,
Dimenhydrinat, Loperamid, Desloratidin, Codein
Urologika: Oxybutynin, Tolterodin, Trospium,
Darifenacin, Solifenacin
* Lit. (Auswahl): Tune & Egeli Dementia Geriatr Cog Disord 1999, Carnahan et al J
Clin Pharmacol 2006, Rudolph et al Arch int Med 2008, Cancelli et al Neurol Sci
2009, Ancelin et al BMJ 2006, Uusvaara et al Drugs Aging 2011
Fall Risk Increasing Drugs (FRIDs)*
Neuro-/Psychopharmaka: Antidepressiva (auch SSRI),
Anxiolytika, Antipsychotika, Hypnotika
Kardiovaskuläre Pharmaka: Antiarrhythmika, Nitrate und
andere Vasodilatatoren, Betablocker (Augentropfen),
Diuretika, Digitalis, Antiarrhythmika
Analgetika: Opioide, NSAR
Verschiedene: Antihistaminika, Antivertiginosa,
Anticholinergika, Antidiabetika
* n. Burkhardt & Wehling Internist 2010, Sommeregger et al Wiener Med Wschr
2011
Fall Risk Increasing Drugs – SSRI und Sedativa/ Hypnotika
erhöhen kumulativ das Sturzrisiko bei Demenzkranken*
* Sterke CS Br J Clin Pharmacol
2012; 73: 812-820
Polypharmazie geht
einher mit erhöhter
Mortalität
Kausalität?
(Richardson et al. Drugs Aging
2011; 28: 547-560)
Ergebnis
Polypharmazie assoziiert mit erhöhter
Wahrscheinlichkeit risikoreicher Verordnung
Pharmakotherapie im Alter: Aspekte der
Polypharmazie*
* Burkhardt & Wehling Internist 2010
Umgang mit Polypharmazie bei Alterspatienten
Gut überwachte oder unkontrollierte Polypharmazie?
Monitoring von Polypharmazie:
- Bedeutung von Negativlisten (Beers, PRISCUS …)?
- Bedeutung von Positivlisten (FORTA …)?
- Anwendung von Absetzalgorithmen?
Relevanz von Leitlinien?
- „Wettbewerb der Leitlinien“ (Glaeske & Hoffmann 2009)
- „There are almost no guidelines for elderly,
multimorbid patients“ (Wehling 2011)
Wie sicher sind die Schnittstellen (z.B. stationär/ambulant,
Somatik/Psychiatrie)?
Was ist die Behandlungsperspektive?
- kurativ
- intermediär
- palliativ
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