Tumorbedingte Veränderungen im Eiweiß

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Tumorbedingte Veränderungen im Eiweiß- und Aminosäurenstoffwechsel
E.Roth, Chirurgisches Forschungslabor, Univ. Klink für Chirurgie, AKH Wien
Dieses Thema gliedert sich in verschiedene Fragestellungen: (1) Inwieweit beeinflussen Tumoren
unterschiedlicher Genese den Proteinstoffwechsel in einer Art und Weise, dass es zum Erscheinungsbild der
Kachexie kommt. (2) Ist ein Zusammenhang zwischen einem gestörten Proteinstoffwechsel und dem
Energiestoffwechsel gegeben. (3)Äußert sich der gestörte Proteinstoffwechsel in spezifischen Veränderungen im
Aminosäurestoffwechsel, die in geänderten Plasma- und/oder intrazellulären Aminosäurenspiegeln manifest
werden. (4) Sind aus den Veränderungen des Protein- Aminosäurenstoffwechsels therapeutische Maßnahmen
erkenntlich.
ad 1) In Abhängigkeit von der verwendeten Meßmethode sind 50 bis 80% aller Karzinompatienten kachektisch.
Die Kachexie verschlechtert die Prognose der Tumorerkrankung, vermindert das Ansprechen auf eine
Chemotherapie und erhöht die Mortalität bei Operationen. Darüber hinaus ist die Kachexie die unmittelbare
Todesursache für 10 bis 20% dieser Patienten. Maligne Neoplasien führen zu einer Erhöhung der
Proteinumsatzraten, der fraktionellen Proteinsynthese der Leber, des Muskelproteinabbaus (Eiweißkatabolismus)
und zu einer Verringerung der fraktionellen Proteinsynthese des peripheren Muskelgewebes. Für die verringerte
Proteinsynthese ist entscheidend, dass bei Tumorträgern sowohl der RNA-Gehalt des Muskelgewebes als auch
die Aktivität der Polysomen verringert ist. Der Aktivitätsverlust dürfte einerseits in einer verringerten Wirksamkeit
der Elongationsfaktoren und andererseits in einem Defekt der kleineren ribosomalen Untereinheit liegen.
ad 2) Bei Karzinompatienten wurden in Abhängigkeit von der Genese erhöhte, normale und erniedrigte
Energieumsätze gemessen (siehe Vortrag Prof. Holm). Bei Patienten mit einem erhöhten Energieumsatz besteht
eine Korrelation zu einer erhöhten Proteinabbaurate. Vor 60 Jahren zeigte Warburg, dass Tumorgewebe im
Vergleich zu gesundem Gewebe aus Glukose vermehrt Laktat bildet. Dies bedeutet, dass der Tumor weniger
Energie aus Glukose gewinnt als gesundes Gewebe, da die Glykolyse weitaus weniger ATP liefert als der oxidative
Glukoseabbau zu CO2 und H20. Es war bis jetzt aus metabolischer Sicht nicht klar, warum Tumorzellen trotz dieser
energetischen Benachteiligung einen Überlebensvorteil haben. Neueste Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe Brand
lassen die Erkenntnisse von Warburg in einem neuen Licht erscheinen (FASEB J. 1 l,388;1997). Brand und
Hennfisse wiesen nach, dass die anaerobe Glykolyse bei proliferierenden Zellen als Schutzmechanismus gegen
Sauerstoffradikale wirkt. In diesem Fall fungiert Pyruvat, das bei der anaeroben Glykolyse in einer weitaus
höheren Konzentration als bei der oxidativen Glukoseverwertung auftritt, als H202-Scavenger. In anderen Worten,
die Verwendung der anaeroben Glykolyse zur Energiegewinnung schützt die Zelle gegen Sauerstoffradikale und
gibt ihr dadurch möglicherweise eine größere Überlebenschance. Ähnliches trifft auch für den erhöhten
Glutathionspiegel der Tumorzellen zu, der gleichfalls das Zeichen eines erhöhten Schutzes gegen
Sauerstoffradikale ist.
ad 3) Relativ wenig ist über den spezifischen Protein- und Aminosäurenbedarf des Tumors bekannt. Die
extensivsten Ergebnisse liegen diesbezüglich von der Arbeitsgruppe E. Holm, Mannheim,(Cancer Res 55: 1160
und 1373; 1995) vor. Kanüliert man die Tumorarterien und -venen von Kolonkarzinomen so kommt es zu einer
Proteinakkumulation im Tumor und einem Proteinabbau im peripheren Gewebe. Die Karzinome haben eine
vermehrte nutritive Verwertung der verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Leuzin, Isoleuzin und Serin, wobei
Alanin und Ammoniak vom Tumor freigesetzt werden. Bei gastrointestinalen Tumoren wird allerdings auch eine
vermehrte Freisetzung der essentiellen Aminosäuren, sowie von Glutamat, Arginin, Cystein und Tyrosin
beschrieben.
ad 4) Von besonderem Interesse für das Stoffwechselgeschehen in Kachexie und Katabolie ist die Aminosäure
Glutamin. Glutamin hat einen 50prozentigen Anteil an allen freien Aminosäuren des Körpers. Glutamin ist das
wichtigste Stickstoff-Transportvehikel vom Skelettmuskel zu den viszeralen Organen. Glutamin ist außerdem ein
wichtiges energetisches Substrat für sich rasch teilende Zellen, wie Enterozyten, Kolonozyten, Thymozyten,
Lymphozyten sowie Fibroblasten. Patienten im Postaggressionszustand haben ein Glutamindefizit im
Muskelgewebe, das möglicherweise für die verringerte Proteinsyntheserate und den erhöhten
Eiweißkatabolismus, die bei diesen Patienten vorliegen, verantwortlich ist. In in-vitro Untersuchungen wurde
gezeigt, dass TNF-α eine verringerte Zytotoxizität gegenüber Tumorzellen hat, wenn man bei der Kultivierung der
Zellen Glutamin weglässt (JBC 271,192;1996). Das würde heißen, dass Glutamin die Zytotoxizität von TNF-α
erhöht. Glutamin ist eine potentielle Vorstufe für Glutathion, den wichtigsten intrazellulären Metaboliten, der für
das Redoxpotential der Zelle verantwortlich ist. Die Gabe von Glutamin erhöht somit den Glutathionspiegel und
fördert die Zellproliferation. Eine Förderung der Zellproliferation ist für den Tumor sicherlich nicht erstrebenswert,
trifft allerdings auch für einen Teil des immunologischen Abwehrsystems, nämlich den Lymphozyten, zu. Es ist in
klinischen Studien zu klären, inwieweit eine längerfristige Glutamingabe diese beiden Systeme beeinflusst.
Abschließend ist noch festzuhalten, dass wir seit der Aufklärung des Genoms gelernt haben, dass beim
Menschen Gene für 30 000 Proteine vorliegen. Hier von einem „Gesamtkörperproteinstoffwechsel„ zu sprechen ist
wohl etwas vermessen, sodass die angeführten Daten prinzipiell nur im Zusammenhang von Proteinen und
Aminosäuren in Bezug auf den Ernährungsstatus zu sehen sind.
Korrespondenz:
Univ.Prof.Dr. Erich Roth
Chirurgisches Forschungslabor
Univ. Klinik für Chirurgie/AKH
Waehringerguertel 18-20
A-1090 WIEN
TEL: +43-1-40400-6949
FAX: +43-1-40400-6782
e-mail:[email protected]
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