Inhalt Univ.-Prof. DDr. Johannes HUBER Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien Tel.: +43(0)1/40400-2819 [email protected] www.meduniwien.ac.at/frauenheilkunde I m Rahmen des Alterungsprozesses sinkt auch die Resorbtionsrate von Proteine sowie die endogene Produktion von Aminosäuren, was in besonderer Weise das Glutamin betrifft. Mit einem Mengenanteil von 20 % ist Glutamin Hauptbestandteil des Pools an freien Aminosäuren im Blutplasma (500-900 µmol/l) und kommt in der höchsten Konzentration in den Muskelzellen (ca. 35 mmol/l) vor. Es ist unter anderem für die Wassereinlagerung in die Zelle verantwortlich und bewirkt bei körperlicher Belastung eine Vergrößerung des Zellvolumens, was als anaboles, die Proliferation unterstützendes Signal zu betrachten ist. Glutamin spielt in der Sportmedizin eine Rolle, da angenommen werden, dass es nicht nur anabol, sondern zusätzlich antikatabol wirkt, indem es bei körperlicher Anstrengung einem Abbau von Muskelgewebe entgegen wirkt. Ebenso soll sich die körperliche Regenerationsfähigkeit während des Schlafes verbessern. Einen stringenten wissenschaftlichen Nachweis für diese Wirkungsweise gibt es jedoch noch nicht, allerdings weisen Fallberichte auf eine Verbesserung der Lebensqualität hin, wenn diese Aminosäuren abends konsumiert wird. Glutamin bei onkologischen Behandlungen: Periphere Neuropathien und intestinale Probleme zählen zu den häufigsten Beschwerden, die während einer Chemotherapie auftreten können. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass durch eine Substitution mit einfachen Aminosäuren diese Probleme gelindert oder vermieden werden können. Vor allem Glutamin – das nicht mit dem Glutamat verwechselt werden darf - hat einen derartig protektiven Effekt auf die Enterozyten, daß Katharina Kuhn ihrem review der diesbezüglichen klinischen Daten die Überschrift gab „glutamine as indispensabel nutritient in oncology“. 8 Die Bedeutung von Aminosäuren für die Gynäkologie Aufmerksam auf die Bedeutung dieser Aminosäure wurde man, als Intensivmediziner berichteten, dass ihre Patientinnen eine signifikant schlechtere Prognose hatten, wenn sie mit einem Glutaminmangel eingeliefert wurde, eine Beobachtung, die auch durch prospektive Untersuchungen bestätigt wurde. Operative Eingriffe, seien sie selektiv oder durch Unfälle akut notwendig, senken den Glutaminspiegel, was sich auf Hospitalisationszeit und Genesung invers auswirkt. Das Altern des Muskels geht mit einer Abnahme der Endogenen Glutaminsynthese einher: Der Alterungsprozeß ist mit einer Abnahme des Muskels und einer Zunahme von Fettzellen assoziiert, dadurch kommt es auch zu einer Verminderung jener Proteine, die im Muskel gebildet werden. Es sind vor allem die Muskel – neben Lunge und Gehirn – die endogen Glutamin bilden - vorausgesetzt, der Muskel ist nicht traumatisiert oder atrophisiert – was im Rahmen der oft altersbedingt auftretenden Sarkopenie der Fall ist. Deshalb hat der Alterungsprozeß und die damit einhergehende Konversion der Myoblasten in Adipozyten auch auf den Glutaminspiegel einen direkten Einfluß. Glutamin bildet den größten Anteil am pool der freien proteinogenen Aminosäuren, was den körperlichen Bedarf unterstreicht. Die Wirkung von Glutamin auf Darm und Baucspeicheldrüse Nach der Freisetzung aus dem Muskel, aber auch nach oraler Einnahme wird Glutamin rasch in die Enterozyten resorbiert, ein Teil wird von den hinter dem Darmepithel liegenden mononukleären Zellen aufgenommen – wodurch auch das Immunsystem von dieser Aminosäure profitiert; ein kleiner Teil gelangt in die Leber, wo es den Blutzuckerspiegel stabilisisert, da es in Glukose umgewandelt werden kann. Der protektive Effekt, den Glutamin auf den Intestinaltrakt ausübt – was vor allem bei Patientinnen mit Chemotherapie wichtig ist – beruht einerseits auf der Bereitstellung von Aminogruppen – eine Hauptaufgabe des Glutamins – wie auch auf der direkten Einschleußung in den Citratzyklus, wo es entscheidend an der ATP Bildung involviert ist. Dadurch bekommen die Enterozyten ausreichend Energie zur Verfügung, um die nach der Chemotherapie notwendigen Reparaturmechanismen anzuregen. Zahlreiche in vitro Untersuchungen, Anwendungen am Tier und klinische Studien haben dies untersucht un bestätigt, was für die onkologische Gynäkologie – aber auch überall dort, wo das leaky gut Syndrom Probleme verursacht - eine praktische Perspektive hat. Glutamin und Glutathion Weiters ist Glutamin Ausgangssubstanz für Glutathion, einer der wirksamsten Zellschutzverbindungen, deren Bildung in der Karzinomzelle – aufgrund des sauren Milieus – unterbleibt, wodurch die gewünschte Apoptose der Krebszelle nicht verzögert ist. Darüberhinaus regt Glutamin die mononukleären Immunzellen in verschiedenster Weise an und erhöht so die Immunabwehrkraft des Körpers. Dies erklärt auch die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen, die zeigten, dass durch synchrone Glutaminapplikation das Tumworwachstum nicht gefördert sondern eher gehemmt wird. Eine besondere Rolle scheint dabei auch der antidiabetogene Effekt des Glutamins zu spielen. Einerseits fördert es die Gluconeogenese und balanziert so den Glukosespiegel, andererseits ist es für die Mitochondrien eine wichtige Energiquelle – der Glykolyse vergleichbar, ohne aber Glukose zu benötigen. Über das Ketoglutarat wird Der Gynäkologe diese Aminosäure direkt in ATP umgewandelt, ähnlich wie Fettsäure, die durch Carnitin in die Mitochondrien gelangen. Durch beide Wege benötigt die Zelle weniger Glukose – wodurch auch die insulinen Wachstumsfaktoren sinken – ohne dass das Lesitungsprofil der Mitochondrien reduziert wäre. Die kleinste Aminosäure Glycin Einen synergistischen Effekt zum Glutamin hat das Glycin, die kleinste Aminosäure. Glycin liegt überwiegend als „inneres Salz“ bzw. Zwitterion vor, dessen Bildung dadurch zu erklären ist, dass das Proton der sauren Carboxygruppe an das einsame Elektronenpaar des Stickstoffatoms der basischen Aminogruppe wandert. Dadurch wird es bevorzugt in Polypeptide an räumlich beengten Positionen (der ProteinSekundärstruktur) eingebaut. Besonders zahlreich kommt es im Kollagen, dem häufigsten Protein in tierischen Organismen, vor. Hier macht es gut ein Drittel aller Aminosäuren aus, da es aufgrund seiner geringen Größe das Aufwickeln des Kollagens zu dessen Tripelhelix-Struktur erlaubt. Deshalb ist Glycin auch für die Integrität des Kollagens und des Muskelgewebes wichtig. Ähnlich wie das Glutamin schützt es die Leber vor hepatotoxischen Folgen einer Chemotherapie und wirkt als Neurotransmittor, der Gamma-aminobuttersäure vergleichbar. Die Glycin Rezeptoren des Zentralen Nervensystems werden aber auch von Neurosteroiden der Progesteronreihe besetzt und aktiviert, was die Verbindung zwischen dieser Aminosäure und den Geschlechtssteroiden hervorhebt. Auch Spermien sind reichest an Glycinrezeptoren, die ebenfalls von weiblichen Geschlechtssteroiden agonisiert werden, ein Faktum, das noch einer biologischn Interpretation bedarf und einmal mehr zeigt, wie die Gynäkologie mit den Aminosäuren mehr zu tun hat, als man lange vermutete. 9