Einführung in die Medizinische Psychologie und Soziologie Dr. István Tiringer Institut für Verhaltenswissenschaften „Die medizinische Tätigkeit der Zukunft wird stärker als heute geprägt sein von einer mutidisziplinären Ausrichtung, von vernetztem und kooperativem Arbeiten in einem Behandlungssystem. Die Konzentration auf individuumsbezogenes kuratives Wissen und Können als Grundlage für medizinische Entscheidungen wird stark in Richtung ethischer, sozialer, kommunikativer und wirtschaftlicher Kenntnisse und Kompetenzen erweiter werden müssen. Die ÄrztInnen sollen menschlich und fachlich angemessen auf die Bedürfnisse ihrer PatientInnen (und diejenigen der Angehörigen und Umgebung) eingehen können”. (Grüninger U., 2002) Für die Medizin wichtige Veränderungen auf verschiedenen Ebenen sozialer Systeme Patient Morbiditätsspektrum, Patientenrolle, Erwartungen und Verhalten Arzt / Ärztin Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, Arztrolle, Prävention und Rehabilitation Arzt-Patient Beziehung Juristische Rahmen, ethische Werte, Kommunikationsmöglichkeiten, Verantwortung Systeme der Gesundheitsversorgung Arztdichte, Geschlechterverhältnis, ambulante / stationäre Versorgung, Komplementärmedizin Kostenträger Steuerung des Leistungsauftrags, Differenzierung des Leistungskatalogs Forschung Molekularbiologie, Genetik, Technologie, Informatik Gesundheitspolitik Ressourcen- und leistungsorientatierte Steuerung Gesamtgesellschaft Demografische, ökonomische Entwicklung Veränderungen des Morbiditätsspektrums • Von den akuten, lebensbedrohlichen zu den chronischen lebensbegleitenden Erkrankungen. • Arzt – Helfer und Retter in akut bedrohlichen Situationen – zusätzlich ein Vermittler von Unterstützung, Berater bei der Bewältigung gesundheitlicher Problemen • Chronische, nicht heilbare Erkrankungen – körperliche,seelische, geistige Einschränkungen – führen immer wieder zu Beschwerden und zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe • Wachsende Bedeutung von Prävention und Rehabilitation Demographischer Wandel • Die Lebenserwartung hat erheblich zugenommen – gleichzeitiger Geburtenrückgang ! Veränderung der Bevölkerungspyramide • Typische Alterserkrankungen – Polymorbidität (degenerative Veränderungen des Bewegugsapparates, Krebserkrankungen, Erkrankungen des Herz-KreislaufSystems und ihre Folgen) • Für mehr als 80% der Mortalität und einen grossen Teil der Morbidität verantwortlich Zuwachs des medizinischen Wissens • • • • Molekularbiologie, Genetik, Neurowissenschaften Halbwertszeit des Wissenstandes " Natur- und Ingenieurwissenschaftler Hausärztliche Versorgung – wenig Forschung (Ausbildung!) • Zunehmende Kluft zwischen Forschung und Praxis • Bio-, und Technowissenschaften überwiegen gegenüber Sozial- und Geisteswissenschaften • Fragen der allgemeinmedizinischen Versorgung treten in den Hintergrund – spezifische biologische, physiologische, biochemische Probleme Von monokausalen zu systemischen Krankheitskonzepten • Multikausale Konzepte: angeborene, erworbene Risikofaktoren, frühere und aktuelle Umgebungs-, sowie akute Auslösefaktoren führen zum Ausbruch einer Krankheit. • Zirkuläre Kausalität – ökologische Denkweise – die Krankheit ist zugleich Folge und Ursache der Störung von Regulationsvorgängen. • Biopsychosoziales Modell (Engel, 1977) Veränderungen der Arzt-Patient-Beziehung • Zur Zeit der akuten Infektionskrankheiten – Arzt: Heiler und Helfer im Not • Chronische Krankheiten sind oft Folgen von gesundheitsschädigendem Verhalten und Konsumgewohnheiten – Arzt: immer mehr Anbieter von Dienstleistungen und Produkten (gut informierte Patienten, paramedizinische Heiler) • Patient: gut informierter Kunde und Konsument (second opinion, Anwälte, Internet) • Die früher klar asymetrische Beziehung, mit Autoritäts-, Wissens-, und Entscheidungsmacht des Arztes – heute nur in der Notfall- und operativen Medizin • Bei chronischen Krankheiten – geteilte Verantwortung und Entscheidungspriorität des Patienten • Arzt: Berater, Vermittler und Koordinator Ziele der medizinischen Unterricht Institute for International Medical Education - Schwarz, Wojtczak, 2002 1. Professionelle Werte, Attitüde, Verhalten und Ethik 2. Wissenschaftliche Grundlagen der Medizin 3. Klinische Kompetenzen 4. Kommunikative Kompetenzen 5. Wissen über den gesundheitlichen Zustand der Bevölkerung, und über die Gesundheitsordnung 6. Informationsmanagement 7. Kritische Denkweise und Forschung • Ad 1. Unzufriedenheit mit der sehr erfolgreichen Medizin. Veränderungen der Morbiditätsstruktur verlangen neue Einstellungen von Ärzten • Ad 4. Arzt-Patient Begegnungen können Quellen von Zufriedenheit und Frustration sein – Qualität der Kommunikation. Kommunikation ist erlernbar. • Ad 5. Erhaltung von Gesundheit – psychische Gesundheit Die häufigsten gesundheitlichen Probleme unter 50 Jahren sind Alhol- und Drogenabhängigkeit, Angst- und depressive Störungen – Gesundheitsschädigendes Verhalten • Ad 7. Integration von biomedizinischen und psychosozialen Aspekten im Behandlungsprozess. Evidence based medicine Wieviel Psychologie und Soziologie braucht ein Arzt oder eine Ärztin ? Wir möchten mit unserem Kurs „Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie” • Ihr Verständniss über körperlich-seelische Zusammenhänge, und ihren sozialen und kulturellen Kontext erhöhen, • Ihre eigene Beobachtungen und Gefühle als Informationsquelle schätzen und vielleicht besser nutzen können, • Anregungen geben, mit sich selbst (Körper, Gefühle, Beziehungen) im medizinischen Alltag gut umzugehen. Psychologische und soziologische Aspekte der Medizin • Der Patient • Die Arzt-Patient-Beziehung • Mitarbeit im medizinischen Team Psychologie des Patienten • Präventiver Bereich – Bedeutung von Lebensgewohnheiten bei chronischen Erkrankungen. • Modifizieren des gesundheitsschädigenden Verhaltens, • Motivierung zum präventiven Verhalten – Früherkennungsuntersuchungen bei Tumorerkrankungen Psychologie des Patienten • Kurativer Bereich – Behandlung schwerkranker Patienten – MP unterstüzt Patienten bei der psychologischen Bewältigung von Krankheiten (coping Paradigma – Psychoonkologie) – Eingreifende Behandlungsmaßnahmen – hohe Anforderungen an den Patienten (compliance) z.B. Transplantationsmedizin Psychologie des Patienten • Rehabilitation – Vielzahl von Folgeerscheinungen von schweren Krankheiten (Abhängigkeit von der Behandlung, emotionale Belastungen, Funktionsstörungen im Alltag, Verminderte Leistungsfähigkeit, soziale Handicaps) – Hilfe bei der Bewältigung, Förderung von Selbstständigkeit im alltäglichen Leben – Eigenverantwortlichkeit des Patienten Krankheitsverhalten Arzt-Patient Beziehung • Compliance, adherence, empowerment • Placebowirkung – Doppelblindversuche – Rosenthal-Effekt – Das am häufigsten verwendete Heilmittel in der Medizin ist der Arzt selbst (M. Balint) (Medikament – Symbol der heilsam erlebten Arzt-Patient-Beziehung). • Ziel unserer Unterricht ist die Wahrnehmungsfähigkeit für die psychosozialen Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung zu fördern Handlungskompetenz (?) Klinische Betätigungsfelder der Medizinischen Psychologie 2/3 der Med. Psychologischen Institute in Deutschland nehmen an der Krankenversorgung teil (Koch U., 2003). – Konziliar-, Liasiondienste in der somatischen Medizin Edukative Programme, Bewältigungsprogramme – nicht nur Psychotherapie im engeren Sinne – Balint-Gruppen (Fallbesprechungsgruppen) – Supervisionsaufgaben – „problematische” Stationen – z.B. Intensivstationen, onkologische, kardiochirurgische Abteilungen, Dialyse-, und Transplantationseinheiten – Hilfe dem medizinischen Team bei der Bewältigung von Belastungen Geschichte der Medizinischen Psychologie und Soziologie • Seit 1970 Teil der medizinischen Ausbildung – gehört zu den Hauptfächern im vorklinischen Studium • Die Medizinische Psychologie und Soziologie hat aber eine viel längere Tradition R. H. Lotze: Medizinische Psychologie oder Physiologie der Seele (1852) W. Wundt: Grundzüge der physiologischen Psychologie (1874) Das erste psychologische Laboratorium in Leipzig (1879) E. Kretschmer: Medizinische Psychologie (1922) Definition der Medizinischen Psychologie und Soziologie • Medizinische Psychologie: angewandte Psychologie in der Medizin, die sich mit dem Erkennen und der Beeinflussung von individuellen Erleben und Verhalten „im Anforderungs- und Lebensprozesses des Krankseins” befasst, einschlißlich der „psychosozialen Struktur der Helfer-Patient-Beziehung” • Medizinische Soziologie: untersucht die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Lebensbedingungen (auch Organisation der Gesundheitsversorgung) und Gesundheits- bzw. Krankheitsprozessen Die Struktur unseres Faches • Neuer Gegenstandskatalog – 2001 – Integration der Fächer „Med. Psychologie und med. Soziologie” – Verständnis der psychosozialen Aspekte von Krankheit und Gesundheit – pathogenetische und salutogenetische Prozesse – Ärztliches Handeln – Grundlagen für die notwendige ärztliche Kompetenzen – prinzipiell nicht aus Lehrbüchern erlernbar – Förderung und Erhaltung von Gesundheit – Herausforderungen der modernen Medizin – präventive Annäherung – sozialwissenschaftliche Grundlagen Empfohlene Lehrbücher: www.aok.pte.hu/medizinstudium/ Studienberatung/Studium/Fachbücher Veränderung !!! GK1 Medizinische Psychologie und medizinische Soziologie Orginal-Prüfungsfragen mit Kommentar 13. Aufl. 2005 410 S., kart. EUR [D] 29,95 | CHF 50,90 ISBN-10: 313114923x ISBN-13: 9783131149237 • Julia Schüler, Franziska Dietz Kurzlehrbuch Psychologie • Medizinische Psychologie und Soziologie • 2004 320 S., 20 Abb., kart. EUR [D] 19,95 | CHF 34,90 ISBN-10: 3131364211 ISBN-13: 97831313642100 Wichtige Begriffe für die psychosoziale Medizin im deutschen Sprachraum • Medizinische Psychologie und Soziologie Vorschung und Lehre im Vordergrund, Krankenversorgung ca. 10% (U. Koch, 2003) Konsequenzen von Krankheiten. • Psychosomatische Medizin – Klinischer Fach Die deutsche Tradition – psychoanalytische Krankheitslehre – psychische Ursachen von Krankheiten – in den letzten Jahrzenten integrativer Ansatz (Th. Uexküll) Wichtige Begriffe für die psychosoziale Medizin im deutschen Sprachraum 2. • Verhaltensmedizin – seit ca. 25 Jahren – Lernpsychologie, Verhaltenstherapie – empirische Begründung, physiologische Orientation – interdisziplinärer Ansatz (N. Birbaumer, U. Ehlert) • Gesundheitspsychologie Gesundheitsverhalten – Risikoverhalten Balance von Schutz- und Risikofaktoren – Erkrankungs-, und Genesungsprozess Auseinandersetzung des Individuums mit seiner sozialen Umwelt (Stress – protektive Ressourcen) (R. Schwarzer) Wichtige Begriffe für die psychosoziale Medizin im deutschen Sprachraum 3. • Psychosoziale Medizin (in der Schweiz) Medizinische Psychologie und Soziologie Größere Praxisnähe, Grundzüge der Psychosomatik. Steht sehr nahe zur Allgemeinen Medizin (J. Willi, S. Heim, C. Buddeberg) Verhältniss von psychosozialen Disziplinien Psychische Störungen Klinische Psychologie Psychiatrie Psychologie Medizin Gesundheitspsychologie Verhaltensmedizin Liaison Psychiatrie Mediz. Psychologie Somatische Störungen