MEDIZINISCHE HOCHSCHULE HANNOVER Abteilung Kinderheilkunde I Pädiatrische Pneumologie und Neonatologie Rheumaambulanz für Kinder und Jugendliche Informationsblatt für Eltern zur medikamentösen Therapie bei Rheuma im Kindesalter Liebe Eltern, bei Ihrem Kind liegt eine rheumatische Erkrankung vor, die einer langfristigen medikamentösen, krankengymnastischen und vorbeugenden Behandlung bedarf, um einen ungünstigen Krankheitsverlauf und Spätschäden soweit es geht zu vermeiden. Dieses Informationsblatt informiert über die wichtigsten Aspekte der medikamentösen Therapie, wie sie in unserer Ambulanz empfohlen und praktiziert wird. Die Ziele der medikamentösen Therapie. Natürlich sollte das Ziel einer Therapie immer die Heilung sein. Leider gibt es bislang kein Medikament, das die Ursache der rheumatischen Erkrankungen beseitigt und das Rheuma heilen könnte. Die medikamentöse Therapie dient deshalb nicht der Heilung, sondern sie dient der Kontrolle und dem Zurückdrängen der krankhaften Entzündungsprozesse. Die Grundprinzipien der medikamentösen Behandlung bei Rheuma im Kindesalter. Hinsichtlich der medikamentösen Therapie sind uns die folgenden drei Grundsätze als eine Art Behandlungsvertrag zwischen Ihnen und uns wichtig: · So viel Medizin wie nötig, so wenig wie möglich Dieser Grundsatz bezieht sich auf drei Aspekte: erstens auf die Art der Medikamente, zweitens auf ihre Dosierung und drittens auf die Dauer der Behandlung. Das heißt, wir werden natürlich versuchen, mit jenen Medikamenten auszukommen, die die geringsten Nebenwirkungen und Probleme mit sich bringen und trotzdem das Rheuma ausreichend in Schach halten. Dennoch kann es gerade zu Be- ginn notwendig sein, mit mehreren Medikamenten gleichzeitig zu behandeln. Im weiteren Verlauf werden wir dann natürlich versuchen, die jeweils niedrigste Dosierung herauszufinden und die Therapie so früh wie möglich zu beenden. Um dies zu erreichen, darf die Therapie andererseits auch nicht zu früh beendet werden! · Bewährtes hat Vorrang vor dem Neuen Auch wenn in einer Universitätsklinik die Erforschung und Erprobung neuer Therapien zum Arbeitsauftrag gehört, gilt für uns, daß bewährte Medikamente und Therapien in der Behandlung Vorrang haben. Das bedeutet für Sie erstens: wenn wir Ihnen einmal vorschlagen sollten, mit Ihrem Kind an einer Medikamentenerprobung teilzunehmen, dann können Sie sicher sein, daß wir diesen Vorschlag nur deshalb machen, weil wir uns von der Medikamentenerprobung eine Verbesserung für Ihr Kind erhoffen. Zweitens ist uns dieser Grundsatz wichtig im Hinblick auf die Medien, die ja bekanntlich darauf angewiesen sind, viel Lärm (manchmal auch um nichts) zu machen. Die spektakuläre Aufmachung von Beiträgen über neue Medikamente kann Eltern verständlicherweise zu der Auffassung verleiten, ihr Kind müßte unbedingt dieses oder jenes Medikament bekommen und dann sei die Lösung des Problems gefunden. Unser Vorgehen lautet demgegenüber, daß neue und insbesondere noch nicht offiziell für Kinder zugelassene Medikamente nur in begründeten Einzelfällen verwendet werden sollten und bei angemessener Wirksamkeit der bisherigen 1 Therapie keine Experimente gemacht werden sollten. · Keine Änderung der Therapie ohne ärztliche Rücksprache Gelegentlich erfahren wir, daß Eltern ohne unser Wissen einzelne Medikamente teilweise oder vollständig abgesetzt haben. Wir wissen, daß Eltern das nicht leichtfertigerweise tun, sondern weil sie einen persönlichen Grund dafür haben. Ihnen wurde dies vielleicht von einem zusätzlich aufgesuchten Heilpraktiker so empfohlen oder sie haben aus Zweifel an der Therapie bzw. aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen so gehandelt. Die Rücksprache mit uns ist aus zwei Gründen so wichtig: erstens kann das Absetzen oder schon das sprunghafte Reduzieren von Medikamenten das Immunsystem beeinflussen und einen neuen Krankheitsschub auslösen. Zweitens können wir den Krankheitsverlauf nur dann richtig beurteilen, wenn wir wissen, daß die Medikamente auch wirklich wie verabredet gegeben wurden. Andernfalls könnte es passieren, daß wir eine sich abzeichnende Verschlechterung auf nicht ausreichend wirksame Medikamente zurückführen, während in Wahrheit die verordneten Medikamente nur nicht (regelmäßig) gegeben wurden. Wenn wir in einer solchen Situation dann die Dosis der Medikamente steigern oder gar auf ein stärkeres Medikament zurückgreifen würden, wäre das eine unnötige Belastung für Ihr Kind. Wenn Sie aus irgendwelchen Gründen nicht vorher mit uns über Änderungen der Therapie gesprochen haben, dann tun Sie es bitte bei der nächsten Gelegenheit, damit wir den Verlauf richtig bewerten und Ihre Gründe gemeinsam besprechen und klären können. Verschiedene Ansatzpunkte für die medikamentöse Therapie. Es lassen sich nach der Art der Wirkung und nach dem Einsatz bei Rheuma verschiedene Medikamentengruppen unterscheiden: · nichtsteroidale antientzündliche Medikamente, die man auch als Medikamente der ersten Wahl bezeichnen kann, weil sie die Ausgangsstufe fast jeder Behandlung darstellen. Zu dieser Gruppe zählen zum Beispiel Indopädâ, Amunoâ, Proxenâ oder Voltarenâ. Die Bezeichnung für diese Medikamentengruppe besagt, daß die antientzündliche Wirkung ohne Steroide (siehe unten) zustande gebracht wird. · immunsuppressive Medikamente, deren Wirkung also darin besteht, daß sie die krankhaft gesteigerte Immunabwehr des Körpers insgesamt dämpfen. Zu diesen Medikamenten gehören zum Beispiel Methotrexat, Sandimmun optoralâ oder Imurekâ. Alle immunsuppressiven Medikamente werden nur eingesetzt, wenn die einfache antientzündliche Therapie noch keine ausreichende Kontrolle des Krankheitsprozesses zustande gebracht hat. Ihre Wirkung bauen diese Medikamente in der Regel erst langsam auf, so daß im Falle eines schweren Krankheitsschubes vorübergehend zusätzlich auf Kortisonpräparate ausgewichen werden muß, die im Gegensatz zu den immunsuppressiven Medikamenten sofort wirksam sind. Mittlerweile gibt es auch ein Medikament (Enbrelâ), das gezielt in den immunologischen Entzündungsprozess eingreift und gewissermaßen einen Baustein der dort ablaufenden Kettenreaktion blockieren und so die Entzündung stoppen soll. Der weitere Einsatz dieser Substanz wird zeigen, welchen Wert es im Vergleich mit den etablierteren Medikamenten hat. Wegen der medikamentösen Dämpfung des Immunsystems können Kinderkrankheiten oder grippale Infekte etwas stärker ausgeprägt verlaufen, als es sonst der Fall ist. Dies gilt insbesondere für die Windpocken, weshalb Kinder, die bislang keine Windpocken hatten, vor Beginn der immunupressiven Therapie gegen Windpocken geimpft werden sollten. 2 · Kortisonpräparate, deren hohe antientzündliche Wirkung durch die bereits erwähnten Steroide zustandekommt. Steroide sind Hormone, die auch im gesunden Körper (von der Nebennierenrinde) gebildet werden und zum Beispiel in einer Stress-Situation vermehrt in die Blutbahn freigesetzt werden. Steroide sind sofort wirksam, weshalb sie aus der Rheumatherapie vorläufig nicht wegzudenken sind. Aber sie können je nach Anwendungsart und Dosierung auch unerwünschte Wirkungen aufweisen (siehe unten). Dies hängt andererseits entscheidend davon ab, ob Kortison als Tablette im ganzen Körper aufgenommen wird (z.B. Decortin Hâ), oder ob eine sogenannte lokale Behandlung möglich ist, was den Körper als ganzen nicht belastet. Eine solche lokale Behandlung ist einmal als Kortisonspritze in das akut erkrankte Gelenk möglich. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn nicht zu viele Gelenke gleichzeitig erkrankt sind, wie es bei der polyartikulären oder systemischen Form von Rheuma leider meistens der Fall ist. Außerdem ist eine lokale Behandlung bei Entzündung des Auges mit Kortisontropfen (z.B. Inflanefran forteâ) möglich, was bei der Oligoarthritis vorkommen kann. · andere langsam wirkende Antirheumatika, die wie die immunsupressiven Medikamente erst nach etlichen Wochen eine Wirkung entfalten. Früher wurden sie auch als „Basismedikamente“ bezeichnet, was aber ganz irreführend ist, denn sie sind niemals Medikamente der ersten Wahl, die am ehesten „die Basis“ einer Therapie darstellen. Zu den Antirheumatika mit langsamer Wirkungsentfaltung zählen Antimalariamittel (z.B. Resochinâ oder Quensylâ) oder Sulfasalazin (Azulfidine RAâ). Teilweise ist bei diesen Medikamenten gar nicht richtig bekannt, wie und warum sie ihre antirheumatische Wirkung zustande bringen. Aber sie haben sich in Einzelfällen als nützliche Bestandteile der Behandlung erwiesen. Keine Wirkung ohne unerwünschte Wirkung bzw. ohne „Nebenwirkung“. Man sollte tatsächlich besser von unerwünschten Wirkungen sprechen, denn bei dem Wort Nebenwirkung denkt man unwillkürlich, daß es neben der erwünschten Wirkung auch (fast immer) zu einer anderen kommen wird. Dies ist aber zum Glück keineswegs so! Es kann sein, daß unerwünschte Wirkungen auftreten, aber dies ist nicht automatisch der Fall. Außerdem sollten Sie beachten, daß das Auftreten unerwünschter Wirkungen von der Dosis des verabreichten Medikamentes abhängig ist. Weil Kinder kleine Tabletten oft leichter akzeptieren als große Tabletten ordnen wir oftmals mehrere kleine Tabletten statt einer großen Tablette an, wobei die Gesamtdosis dieselbe ist. Das Risiko unerwünschter Wirkungen ist also identisch, egal ob fünf Tabletten mit 5mg Wirkstoff oder eine Tablette mit 25mg Wirkstoff eingenommen werden! Was die eben beschriebenen Medikamentengruppen anbetrifft, so gilt für die nichtsteroidalen Medikamente, daß sie gerade von Kindern besser vertragen werden als von Erwachsenen. Die vielen auf dem Beipackzettel dieser Medikamente vermerkten Nebenwirkungen sehen wir bei den von uns betreuten Patienten nur in Ausnahmefällen. Am ehesten wird über Magenschmerzen geklagt. Auch bei den immunsuppressiven Medikamenten ist es so, daß der Beipackzettel eher Angst bereitet als Mut macht. Denn diese Medikamente werden – dann in viel höherer Dosierung! – ansonsten in der Krebstherapie und zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen nach einer Organtransplantation eingesetzt und man kann sich leicht vorstellen, daß es hierbei auch zu deutlichen unerwünschten Medikamentenwirkungen kommt. Bei den von uns mit Methotrexat (MTX) behandelten Kindern wird am ehesten über Übelkeit und Müdigkeit am Tag der Medikamenteneinnahme geklagt. Die größte Bedeutung hinsichtlich der unerwünschten Wirkungen haben sicherlich die Kortisonpräparate, wenn sie als Tablette im ganzen Körper aufgenommen werden. Hier kann es unter anderem zu 3 einer starken Appetit- und Gewichtszunahme kommen, zu vermehrtem Haarwuchs und – bei langfristiger Anwendung, die wir aber immer zu vermeiden versuchen – zu einer Störung des Wachstums. Diese Symptome treten wie erwähnt nicht auf, wenn das Medikament lokal gegeben werden kann (als Spritze in das Gelenk oder als Augentropfen). Da bei den im ganzen Körper aufgenommenen Kortisonpräparaten die unerwünschten Wirkungen leider nicht so selten sind, eignen sie sich trotz ihrer starken Wirksamkeit nicht für die Dauertherapie, sondern nur zur Akutbehandlung und zur Überbrückung, bis die langsamer wirkenden Medikamente nachgezogen haben. Der Beipackzettel ist eine Patienteninformation und keine Ankündigung von Nebenwirkungen! Ohne die Probleme mit unerwünschten Medikamentenwirkungen verharmlosen zu wollen, müssen wir auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam machen, der den meisten Menschen nicht bekannt ist und zu erheblichen Mißverständnissen beim Verständnis der Beipackzettel führt. Die Pharmafirmen sind nach dem Gesetz verpflichtet, alle im Zusammenhang mit dem Medikament jeweils bekannt gewordenen Komplikationen und Auffälligkeiten aufzuführen, selbst wenn im Einzelfall unklar oder sogar unwahrscheinlich ist, daß diese Auffälligkeiten von diesem Medikament verursacht wurden. Das hat erstens zur Folge, daß solche unerwünschten Wirkungen, die tatsächlich in einem gewissen Prozentsatz der Fälle zu erwarten sind, genauso aufgeführt sind wie solche, die eine absolute Rarität sind und bei denen fraglich ist, ob sie wirklich etwas mit dem Medikament zu tun haben. Die zweite Folge dieser gesetzlichen Verpflichtung ist ebenso logisch wie unerwartet: daß eine vielleicht seltene Nebenwirkung irgendwo einmal beobachtet wird, hängt nicht nur davon ab, wie leicht solche Nebenwirkungen bei einem Medikament auftreten, sondern auch davon, wie oft es eingesetzt wird und wie lange schon. Mit anderen Worten ist die Wahrscheinlichkeit gerade bei bewährten und seit vielen Jahren im Einsatz befindlichen Medikamenten hoch, daß irgendwann und irgendwo einmal unerwünschte Wirkungen beobachtet wurden – die sich dann auf dem Beipackzettel wiederfinden (müssen), ohne daß für den Patienten klar wird, wie groß die Wahrscheinlichkeit für solche Symptome ist. Insofern ist der Beipackzettel wirklich eine Patienteninformation, die unter anderem darüber berichtet, was bei diesem Medikament bereits einmal beobachtet wurde. Aber es ist nicht unbedingt eine Ankündigung, womit Sie über kurz oder lang rechnen müssen, wenn Ihr Kind diese Mittel einnimmt! Auch die medikamentöse Therapie ist in der Hauptsache eine häusliche Behandlung. Das heißt, daß es ganz wesentlich darauf ankommt, daß Sie die Verabreichung der Medikamente gut überwachen und uns benachrichtigen, wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt, sei es, daß mit den Medikamenten die Krankheitssymptome nicht so wie geplant unter Kontrolle gebracht werden können, sei es, daß Sie unerwünschte Wirkungen der Medikamente beobachtet haben oder vermuten. Kinder sind keine Automaten und natürlich wollen sie nicht immer so, wie sie sollen. Sie werden es wahrscheinlich im Laufe der weiteren Behandlung einmal oder auch mehrmals erleben, daß Ihr Kind die Medikamenteneinnahme oder andere Bereiche der Therapie verweigert. Es gibt keine Patentrezepte für die Lösung solcher Schwierigkeiten, weil es je nach Alter des Kindes und je nach den individuellen Lebensumständen ganz unterschiedliche Gründe dafür gibt. Sie sollen aber von vornherein wissen, daß solche Schwierigkeiten fast jede betroffene Familie kennt. Setzen Sie sich (und Ihr Kind) deshalb bitte nicht noch unnötig dadurch unter Druck, daß Sie meinen, Sie müßten solche Schwierigkeiten jetzt aber sofort in den Griff kriegen, weil doch alle anderen damit vermeintlich zurecht kommen. Statt dessen bitten wir Sie, sich in einem solchen Fall ruhig mit uns in Verbindung zu setzen, damit wir gemeinsam über Mittel und Wege nachden 4 ken können, die Therapieeinhaltung zu verbessern. Gibt es Möglichkeiten, Therapieprobleme zu vermeiden? Auch wenn keine Patentrezepte existieren, so kann man doch allgemeine Empfehlungen geben, wie Sie der Entstehung von mitunter hartnäckigen Therapieproblemen entgegenwirken können: 1. sorgen Sie dafür, daß Ihr Kind (im Rahmen des Altersüblichen) begreift, wofür es die „blöde Therapie“ machen soll; 2. vermeiden Sie die Überschneidung von Therapieverpflichtungen mit Lieblingsbeschäftigungen Ihres Kindes, außer wenn sich beides kombinieren läßt (etwa das Durchbewegen der Gelenke beim Fernsehen); 3. protokollieren Sie die tägliche Therapie so, daß auch Ihr Kind es bemerkt und feststellen kann, daß seine Leistungen Anerkennung finden; 4. loben und bestärken Sie das erwünschte Verhalten und ignorieren Sie (soweit möglich) das unerwünschte Verhalten, damit Ihr Kind nicht am Ende „lernt“, daß es Ihre Aufmerksamkeit um so mehr findet, je weniger es das tut, was es soll. Was tun, wenn die häusliche Therapie nicht klappt? Wie erwähnt sind zwischenzeitliche Phasen, in denen die Therapie nicht recht klappt, gar nicht so ungewöhnlich. Auch die eben genannten Empfehlungen werden sicher nicht verhindern, daß es gelegentliche Schwierigkeiten gibt. Wir halten es in solchen Fällen für sinnvoll, eher frühzeitig einen Termin mit Dr. Ullrich, dem Psychologen in unserem Team, zu verabreden. Denn nach unserer Erfahrung fällt es dann noch leichter, neue Wege zu finden und einzuschlagen als wenn sich zwischen Kind und Eltern „die Fronten“ erst einmal verhärtet haben. Wir wissen, daß auch eine ausführliche Information nicht alle Fragen oder Zweifel gleich aus der Welt schaffen kann. Scheuen Sie sich deshalb nicht, uns beim nächsten Ambulanztermin oder in der Telefonsprechstunde auf alles anzusprechen, was Sie beschäftigt. Dr. med. A. Thon und Dr. med. F. Dressler 5