622_661_BIOsp_0607.qxd:622_661 18.09.2007 7:30 Uhr Seite 623 623 Evolution Die Molekulare Grundlage von Artbildung bei der Hausmaus BETTINA HARR INSTITUT FÜR GENETIK, UNIVERSITÄT ZU KÖLN Darwin hat den Prozess der Artbildung, das Aufspalten von einer Art in zwei Arten, als „the mystery of mysteries“ bezeichnet. Tatsächlich ist es auch heute noch nicht einfach, den Artbildungsprozess zu verstehen. Dies ist dadurch begründet, dass der Vorgang nicht direkt beobachtet werden kann, da er in der Regel über längere evolutionäre Zeiträume vonstattengeht. Eine grobe Regel besagt, dass es bei der häufigsten Form der Artbildung, der Artbildung in Allopatrie (d. h. in geographischer Isolation), circa zwei Millionen Jahre dauert, bis sich zwei Arten voneinander getrennt haben[1]. Das bedeutet, dass Artbildung indirekt, zum Beispiel über das Muster an genetischen Veränderungen, studiert werden muss. ó Die Hausmaus stellt ein exzellentes Modellsystem für solche Fragen dar. Innerhalb der Art Hausmaus können mehrere Unterarten unterschieden werden, die sich gerade im Prozess der Artbildung befinden. Eine schmale Hybridzone existiert zwischen zwei Hausmaus-Unterarten, Mus musculus domesticus und Mus musculus musculus. Die Lage der Hybridzone ist in Abbildung 1 dargestellt. Sie erstreckt sich durch gesamt Zentraleuropa von der dänischen Halbinsel Jütland bis in den Balkan hinein[2]. Westlich dieser Linie befindet sich das Verbreitungsgebiet von M. m. domesticus und östlich dieser Linie ist M. m. musculus zu finden. Es wird vermutet, dass der südliche Ausläufer der Hybridzone vor maximal 6.000 Jahren entstanden ist, zu der Zeit, als die ersten Hausmäuse beider Unterarten diese Region, aus ihrem Ursprungsgebiet auf dem indischen Subkontinent kommend, besiedeln konnten[2]. Die Besiedlungsgeschichte von Zentraleuropa durch die Hausmaus gleicht dabei der des Menschen, was durch den passiven Transport der Hausmaus durch den Menschen (als „blinde Passagiere“ in Getreidevorräten) zu erklären ist. Individuen der beiden Hausmaus-Unterarten treffen sich in der Hybridzone, verpaaren sich miteinander und produzieren hybride Nachkommen. Diese hybriden NachkomBIOspektrum | 06.07 | 13. Jahrgang men sind voll lebensfähig, haben jedoch eine etwas geringere Fitness, d. h. sie produzieren selbst weniger eigene Nachkommen als nicht-hybride Tiere. Unser Ziel ist es herauszufinden, welche Unterschiede in der genetischen Komposition zwischen den beiden Unterarten existieren, die eine Fitness-reduzierende Wirkung in Hybriden hervorrufen. Gene, die eine solche Wirkung in Hybriden haben, ermöglichen, dass beide Unterarten trotz räumlicher Nähe und Hybridisierung genetisch distinkt bleiben und sich eventuell im Lauf der Zeit sogar weiter genetisch voneinander entfernen können, bis sie den Zustand erreichen, in dem sie vollständig eigenständige Arten repräsentieren, zwischen denen kein Genaustausch mehr stattfindet. Hybridzonenanalysen zur Identifizierung von Artbildungsgenen Um diese „Artbildungsgene“ zu identifizieren, kann man sich die Tatsache zunutze machen, dass eine Hybridzone eine Art „natürliches Labor“ darstellt, in welchem eine Vielzahl von verschiedenen Genotypen generiert und von der Natur auf ihre Funktion überprüft wird. Das Prinzip ist das Folgende: Wenn ein genetischer Unterschied zur Artbildung, also reduzierter Hybriden-Fitness, beiträgt, dann bewirkt dieser, dass in der Hybridzone, wo Genfluss zwischen den beiden Unterarten im Prinzip möglich ist, der Genfluss an solchen Loci lokal reduziert ist. In anderen Regionen im Genom, die hingegen nichts mit dem Artbildungsprozess zu tun haben, besteht freier Genaustausch. Man kann Artbildungsgene also in einer Hybridzone an ihrer Rate an „Introgression“ in das Genom der jeweils anderen Unterart identifizieren[3]. Wir haben in vorherigen Studien einen genetischen Unterschied zwischen den Hausmaus-Unterarten identifiziert, welcher genau den Erwartungen für ein Artbildungsgen entspricht. Wie in Abbildung 2A gezeigt, ist die ¯ Abb. 1: Die ungefähre Lage der Hausmaus-Hybridzone in Zentraleuropa. 622_661_BIOsp_0607.qxd:622_661 624 18.09.2007 7:30 Uhr Seite 624 WISSENSCHAFT · S PECIA L: P CR Rate der Introgression an dem Map Kinase Kinase 7-Gen (MKK7) über die Hybridzone hinweg im Vergleich zu anderen Genen im Genom (Abb. 2B) extrem gering. Man kann also davon ausgehen, dass der Unterschied zwischen den Hausmaus-Unterarten an diesem Gen tatsächlich eine Fitness-Konsequenz in Hybriden aufweist und somit zur Artbildung beitragen könnte. Regulatorische Mutationen als evolutionärer Motor Im Falle des MKK7-Gens konnten wir zeigen, dass der Unterschied zwischen den Hausmaus-Unterarten die Expression des Gens betrifft: In M. m. domesticus ist das Gen sehr hoch exprimiert, wohingegen es in M. m. musculus sehr gering exprimiert ist[4]. Dieser Expressions-Unterschied kann sowohl in Microarray-Experimenten als auch in quantitativen Real-Time-PCR-Experimenten nachgewiesen werden. Die Proteinsequenz des Gens ist in beiden Unterarten identisch. King und Wilson[5] haben schon im Jahr 1974 vorgeschlagen, dass regulatorische Mutationen (d. h. Mutationen, welche das Expressionsmuster des Gens betreffen und nicht nur dessen Proteinsequenz) von großer evolutionärer Bedeutung sein könnten. Sie schlossen dies aus der Tatsache, dass homologe Proteinsequenzen zwischen Mensch und Schimpanse fast identisch sind und diese deshalb vermutlich nicht alleine für die gravierenden phänotypischen Unterschiede zwischen diesen beiden Spezies verantwortlich sein können. Erst im letzten Jahrzehnt konnten diese Vermutungen jedoch teilweise mit Daten belegt werden. So sind z. B. der Verlust der Augen bei Höhlenfischen und die sich stark unterscheidenden Schnabelformen der verschiedenen Darwinfinken auf Galapagos durch regulatorische Mutationen zu erklären. Eine der größten und bisher weitgehend ungelösten Fragen ist jedoch, ob diese regulatorischen Mutationen Promotor- und EnhancerBereiche des den Phänotyp auslösenden Gens selbst betreffen (cis-regulatorischen Mutationen) oder ob die Mutationen die Proteinsequenz von Transkriptionsfaktoren betreffen, welche das Zielgen regulieren (trans-regulatorische Mutationen). Momentan findet eine intensive Debatte über diese Frage statt. Es gibt sowohl Befürworter der Ansicht, dass cisregulatorische Mutationen den Hauptteil der evolutionär relevanten Mutationen darstellen, als auch Vertreter der Auffassung, dass die Evolution auf Proteinebene (wie z. B. auf der Ebene der Transkriptionsfaktoren) min- ˚ Abb. 2: Frequenz des M. m. domesticus-Allels in Abhängigkeit von der geografischen Position (geografische Breite) über die Hybridzone hinweg. A, An dem möglichen Artbildungsgen Map Kinase Kinase 7 sind keine musculus-Allele auf der domesticus-Seite der Hybridzone und keine domesticus-Allele auf der musculus-Seite der Hybridzone zu finden. B, An einem zufällig gewählten Gen findet man zahlreiche domesticus-Allele auf der musculus-Seite der Hybridzone. ¯ Abb. 3: Schematische Darstellung der auf PCR basierenden Methode zur Unterscheidung von cisund trans-regulatorischen Mutationen. A, Zwei HausmausUnterarten werden miteinander gekreuzt, um einen F1-Hybriden zu erhalten. B, Entwurf eines PCR-Produkts zur Pyrosequenzierung. Die Lage des Sequenzierprimers ist ebenfalls gezeigt (pyro). Der VorwärtsPrimer der PCR-Reaktion muss zur Pyrosequenzierung mit Biotin markiert sein (*). C, Ergebnis der Pyrosequenzierung: Allelspezifischer Unterschied bei Verwendung von cDNA als Matrize in der PCR, aber (fast) kein Unterschied bei Verwendung von DNA als Matrize in der PCR. BIOspektrum | 06.07 | 13. Jahrgang 622_661_BIOsp_0607.qxd:622_661 626 18.09.2007 7:30 Uhr Seite 626 WISSENSCHAFT · S PECIA L: P CR destens ebenso wichtig ist. Das Hauptproblem der ersten Theorie ist, dass es bisher noch in fast keinem Fall gelungen ist, die evolutionär wichtige cis-regulatorische Mutation auf der DNA-Sequenz tatsächlich zu identifizieren. Die Schwierigkeiten bei der Identifikation sind letztendlich darauf zurückzuführen, dass im Unterschied zu Protein-kodierenden Regionen, die einer Annotation relativ leicht zugänglich sind, regulatorische Regionen in der nicht-kodierenden DNA nicht einfach zu erkennen sind. PCR-basierte Methode, um cis- und trans-regulatorische Mutationen zu unterscheiden Obwohl es schwierig ist, regulatorische Mutationen auf der DNA-Sequenz direkt zu identifizieren, ist es doch möglich zu bestimmen, ob ein Expressionsunterschied durch eine cisoder trans-regulatorische Veränderung ausgelöst wird. Eine Methode dazu wurde im Jahr 2004 entwickelt[6]. Eine leicht abgewandelte Version des Experiments haben wir für das MKK-Gen durchgeführt[4]. Zunächst muss ein F1-Hybrid aus den beiden Linien, zwischen denen der Expressionsunterschied besteht, hergestellt werden (Abb. 3A). Diesem F1Hybriden wird das Gewebe, welches den Expressionsunterschied zeigt, entnommen, um daraus sowohl DNA als auch RNA zu extrahieren (z. B. nach dem Trizol-Protokoll von Invitrogen). Des Weiteren braucht man einen single nucleotide polymorphism (SNP), der die Allele der beiden Elternarten an dem zu untersuchenden Gen differenziert und welcher in der kodierenden Region des Gens liegt. Außerdem wird ein PCR-Produkt so entworfen, dass es den SNP in einer relativ zentralen Lage enthält (Abb. 3B). Zusätzlich zu den PCR-Primern wird ein Pyrosequenzierungs-Primer erstellt, der unmittelbar vor dem SNP bindet (diesen aber nicht beinhaltet). Es werden nun PCR-Reaktionen angesetzt, in denen jeweils DNA und cDNA der F1-Hybriden als Matrize verwendet werden. Diese PCR-Produkte werden dann in der Pyrosequenzierungs-Reaktion denaturiert, der interne Primer wird gebunden und eine Base nach der anderen wird dem Reaktionsgemisch zugegeben. Bindet die zugegebene Base an die Matrize, werden in einer Serie von enzymatischen Reaktionen stöchiometrische Mengen von Licht emittiert. Angenommen die beiden elterlichen Allele unterscheiden sich durch einen G/A-SNP: Wird in der Pyrosequenzierung nun die Base C zugegeben, wird Licht entsprechend der Menge des G-Allels emittiert, das A-Allel hingegen emittiert kein Licht. Wenn der Pyrosequenzierung nun ein T zugegeben wird, emittiert das A-Allel, das G-Allel dagegen nicht. Auf diese Weise ist es also möglich, genau zu bestimmen, wie viele Kopien des G- bzw. A-Allels in dem ursprünglichen PCRProdukt (und somit auch in dem ursprünglichen Probenmaterial) vorhanden waren. Bei DNA als Ausgangsmaterial sollte in einem F1-Hybriden bei der Zugabe der Basen C und T genau die gleiche Menge Licht emittiert werden, da beide Allele in der gleichen Kopienanzahl vorkommen. Wenn hingegen cDNA als Ausgangsmaterial verwendet wurde, sollte die Lichtemission proportional zu dem Expressionsniveau des jeweiligen Allels im F1-Hybriden sein. Wie kann diese Technik nun verwendet werden, um cis- und trans-Effekte zu unterscheiden? Wenn dem Unterschied in der Expression zwischen den Elterntieren ein cisEffekt zugrunde liegt, dann sollte bei der Pyrosequenzierung aus cDNA von F1-Hybriden der Unterschied in der Allel-spezifischen Emission dem Unterschied in der Expression entsprechen, der ursprünglich zwischen den Elterntieren gefunden wurde. Da im F1-Hybriden die zelluläre Umgebung für beide Allele die gleiche ist und somit beide Allele gleichermaßen von trans-Faktoren (wie Transkriptionsfaktoren) beeinflusst werden, sollten im Fall eines trans-Effekts keine Allel-spezifischen Unterschiede in der Lichtemission bei der Pyrosequenzierungs-Reaktion auftreten. Ein Vergleich der Allel-spezifischen Emission aus F1-Hybriden-DNA erlaubt es dabei, für eventuell vorhandene Unterschiede in der Amplifikations-Effizienz der beiden Allele (z. B. durch leicht unterschiedliche Basenkomposition der beiden Allele) zu korrigieren. In Abbildung 3C sind die Ergebnisse der Pyrosequenzierung („Pyrogramme“) für den Fall des MKK7-Gens gezeigt. Man kann einen klaren Unterschied in der Lichtemission zwischen den beiden Allelen aus F1Hybriden-cDNA erkennen, der in der DNAProbe sehr viel weniger ausgeprägt ist. Dabei entspricht der Unterschied in etwa dem der elterlichen Tiere, welcher mittels Mikroarrayund qRT-PCR-Experimenten ermittelt wurde. Obwohl es noch zu früh ist, um allgemeine Aussagen über die Häufigkeit von cis-regulatorischen Unterschieden in der Evolution neuer Arten zu machen, zeigt unser Experiment am MKK-Gen, dass diese Möglichkeit eindeutig besteht und systematische Untersuchungen dieser Art einen wichtigen Beitrag zu dieser Frage leisten können. ó Literatur [1] Coyne, J. A., Orr, H. A. (2004): Speciation. Sinauer Associates, Sunderland, MA. [2] Boursot, P., Auffray, J. C., Britton-Davidian, J., Bonhomme, F. (1993): The evolution of house mice. Annu. Rev. Ecol. Syst. 24: 119–152. [3] Barton, N. H., Hewitt, G. M. (1981): Hybridzones and speciation. In: Atchley, W. R., Woodruff, D. S. (Hrsg.) Evolution and speciation: essays in honor of M. J. D. White. Cambridge University Press, Cambridge, U.K, 109–145. [4] Harr, B., Voolstra, C., Heinen, T. J., Baines, J. F., Rottscheid, R., Ihle, S., Müller, W., Bonhomme, F., Tautz, D. (2006): A change of expression in the conserved signaling gene MKK7 is associated with a selective sweep in the western house mouse Mus musculus domesticus. J. Evol. Biol. 19: 1486–1496. [5] King, M. C., Wilson, A. C. (1975): Evolution at two levels in humans and chimpanzees. Science 188: 107–116. [6] Wittkopp, P. J., Haerum, B. K., Clark, A. G. (2004): Evolutionary changes in cis and trans gene regulation. Nature 430: 85–88. Korrespondenzadresse: Dr. Bettina Harr Institut für Genetik Universität zu Köln Zülpicher Straße 47 D-50674 Köln Tel.: 0221-470 6617 Fax: 0221-470 5975 [email protected] AUTORIN Bettina Harr Jahrgang 1969, 1990–1996 Biologie-Studium an der Universität Konstanz, 1996–2000 Promotion an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, 2001–2003 Postdoc an der University of Chicago unter der Anleitung von Prof. C-I Wu, seit 2003 unabhängige Arbeitsgruppenleiterin im Rahmen des Emmy-Noether-Programms der DFG an der Universität zu Köln. BIOspektrum | 06.07 | 13. Jahrgang