192_232_BIOsp_0212_192_232_BIOsp_0212 16.03.12 09:33 Seite 220 220 K A R R I E R E , KÖ P F E & KO N Z E P T E Meinungsbild Ist genveränderte Nahrung sicher? WILFRIED WACKERNAGEL UNIVERSITÄT OLDENBURG ó Gentechnisch veränderte (GV) Nutzpflanzen stehen gegenwärtig auf etwa einem Prozent der weltweit verfügbaren Agrarfläche. Flächenanteil und Vielfalt der Pflanzen nehmen zu, insbesondere in Schwellen- und Drittweltländern. In Deutschland werden seit dem Verbot der Maislinie MON810 im Jahr 2009 kommerziell keine GV-Pflanzen mehr angebaut. Zugrunde liegen in großen Teilen Europas verbreitete Vorbehalte in Hinblick auf deren Sicherheit für Gesundheit und Umwelt. Ein zentrales Thema sind in diesem Zusammenhang die in die GV-Pflanzen eingebrachten Fremdgene. Tatsächlich hatte die Wissenschaft schon vor 30 Jahren, also vor dem ersten Ausbringen von GV-Pflanzen, auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Gene der GV-Pflanzen durch horizontalen Gentransfer unkontrolliert in Bakterien des Bodens, der Gewässer oder tierischer Verdauungstrakte weitergegeben werden könnten. Der Austausch von Genen durch horizontalen Gentransfer, auch über Artgrenzen hinweg, ist Teil der Lebens- und Evolutionsstrategie von Mikroorganismen. Eine intensive Erforschung dieser Problematik setzte ein. Es zeigte sich zum einen, dass DNA aus Pflanzen oder deren Produkten abgegeben wird, und zum anderen, dass DNA in den verschiedenen bakteriellen Lebensräumen eine begrenzte Zeit überdauern und dort auch aktiv von einer Reihe von Bakterien wieder aufgenommen werden kann. Die Chance auf Weitergabe gilt demnach für jedes Gen einer Pflanze – einschließlich der Fremdgene, also auch für Antibiotikum-Resistenzgene (AR-Gene), die in diversen GV-Pflanzen als genetische Marker vorliegen. „GM food endangers meningitis in children“, titelte die britische Presse vor einigen Jahren besorgt. Bezug genommen wurde auf das AmpicillinResistenzgen in einer Maislinie, das, so spekulierte man, nach Verzehr im Kinderkörper auf die Erreger der Hirnhautentzündung übertreten und die Therapie mit Penicillin dann versagen könnte. Für einen solchen GV-nahrungsspezifischen Ablauf gibt es keinerlei ˚ Der Weizen Triticum spec. ist weltweit eine der bedeutendsten Nutzpflanzen, wird jedoch häufig von Pilzkrankheiten wie dem Mehltau befallen. Eine gezielte gentechnische Übertragung von Resistenzgenen, wie z. B. dem Pm3-Gen, soll den Ertrag und auch die Qualität der Nahrung verbessern. (Bild: Gerd Spelsberg, www.biosicherheit.de) Hinweise. Wissenschaftlich werden seit Langem Bakterien aus Böden, Gewässern, Abwässern, Lebensmittel etc. auf ihre Resistenzen hin überprüft. Ein Großteil der Isolate, bisweilen über 90 Prozent, besitzt AR-Gene gegen verschiedene Antibiotika [1]. Der mögliche Eintrag von AR-Genen durch GV-Pflanzen ist demgegenüber so niedrig, dass er nicht messbar ist. Die hohe Verbreitung von ARGenen in der Umwelt rührt vermutlich vom Selektionsdruck durch den noch immer steigenden Einsatz von Antibiotika in der Humanund Tiermedizin sowie Landwirtschaft. Der Transfer eines Gens in ein Bakterium bleibt wirkungslos, wenn dieses Gen nicht exprimiert und stabil vererbt werden kann. Die Forschung zeigt, dass für ein Gen aus einer GV-Pflanze, das für ein Bakterium „neu“ ist (z. B. ein AR-Gen), die Transfer- und Integrationshäufigkeit unter optimierten Laborbedingungen 10–13 pro Zelle beträgt. Im natürlichen Lebensraum sinkt der Wert auf 10–22 und ist damit ohne Bedeutung gegenüber dem ständigen natürlichen horizontalen Gentransfer zwischen Bakterien in der Umwelt von 10–1 bis 10–8 [1]. Gegenwärtig sind etwa 60 verschiedene Gene in auf dem Markt befindlichen und für Freisetzungen vorgesehenen GV-Pflanzen ent- halten [1]. Die Gene stammen aus Bakterien, Pflanzen und Viren. Diese Gene konnten schon immer in der Natur direkt aus den ursprünglichen Organismen abgegeben werden und in den mikrobiellen horizontalen Gentransfer gelangen. Die GV-Pflanzen stellen hier keinen neuen Pfad dar. Außerdem steht fest, dass die mit der Nahrung aufgenommenen Gene keine genetische Wirkung auf den Konsumenten selbst haben. Insgesamt besteht eine extrem niedrige Transferchance für ein Gen aus einer GVPflanze, bei gleichzeitig hoher natürlicher Verbreitung dieser Gene. Dennoch ist es klug, die strengen Zulassungsverfahren für GVPflanzen beizubehalten. Diese beruhen auf dem Stand der Wissenschaft zu genetischen, gesundheitlichen und ökologischen Aspekten. Die „Sicherheitsforschung“, in Deutschland bisher in rund 300 Projekten gefördert, darf nicht nachlassen oder behindert werden. Die Blockade und Zerstörung entsprechender Versuchsanlagen, die bereits in zwei Hochschulen zur Aufgabe der Forschung geführt hat, ist nicht akzeptabel. ó Literatur [1] Brigulla M, Wackernagel W (2010) Molecular aspects of gene transfer and foreign DNA acquisition in prokaryotes with regard to safety issues. Appl Microbiol Biotechnol 86:1027–1041 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. h. c. Wilfried Wackernagel Institut für Biologie und Umweltwissenschaften Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Ammerländer Heerstraße 114–118 D-26111 Oldenburg Tel.: 0441-798-3298 Fax: 0441-798-5606 [email protected] BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang