Special 504 Risiko-modifizierende Faktoren bei Frauen Risiko-modifizierende Faktoren (Genotyp) mit dem Schweregrad der Erkrankung oder mit einem bestimmten Erscheinungsbild (Phänotyp), d.h. entweder Brust- oder Eierstockkrebs, in Zusammenhang stehen. Solche Genotyp-PhänotypKorrelationen sind sowohl für BRCA1 als auch BRCA2 bekannt. Es wurde gezeigt, dass BRCA1-Mutationen in der zentralen Genregion mit einem niedrigeren Brustkrebsrisiko assoziiert waren als Mutationen in der 5´- und 3´-Genregion, während Mutationen in der 3´-Genregion mit einem niedrigeren Eierstockkrebsrisiko in Zusammenhang standen als Mutationen außerhalb dieser Region. Im Fall von BRCA2 waren Mutationen in der zentralen Genregion mit einem niedrigeren Brustkrebsrisiko, aber einem höheren Eierstockkrebsrisiko assoziiert als Mutationen außerhalb (weshalb diese Region als Ovarian Cancer Cluster Region (OCCR) bezeichnet wurde). Eine schematische Darstellung der BRCA-Gene, der funktionellen Proteindomänen sowie der BRCA-assoziierten Brust- und Eierstockkrebsrisiken zeigt Abbildung 1. BRCA-Mutationen Niedrig-penetrante Gene Die bei Frauen mit BRCA-Mutationen beobachteten unterschiedlichen Risiken, an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken, können zum Teil durch den Mutationstyp und die Lage der Mutation im Gen erklärt werden. So können spezifische Mutationen Nicht nur BRCA-Mutationen, sondern auch Veränderungen in „Anfälligkeitsgenen“ mit geringer Penetranz (auch Polygene oder modifizierende Gene genannt) können die individuellen Krebsrisiken von BRCA-Mutationsträgerinnen beeinflussen. Veränderun- mit einer hohen „Anfälligkeit“ für erblichen Brustkrebs Ute Hamann Deutsches Krebsforschungszentrum, AG Molekulargenetik des Mammakarzinoms, Heidelberg Ungefähr 5 bis 10 Prozent aller Brustkrebsfälle beruhen auf Veränderungen in „Anfälligkeitsgenen“ mit hoher Penetranz, die in Familien vererbt werden. Eine hohe Penetranz bedeutet, dass Mutationen eine starke Auswirkung auf das Krebsrisko einer Frau haben und diese mit hoher Wahrscheinlichkeit erkrankt. Die wichtigsten „Anfälligkeitsgene“ mit hoher Penetranz sind BRCA1 und BRCA2. Frauen mit einer BRCA-Mutation haben ein Risiko von 60 bis 80 Prozent, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, und von 15 bis 40 Prozent an Eierstockkrebs zu erkranken. Die meisten – jedoch nicht alle – Frauen mit BRCA-Mutationen erkranken an Brustoder Eierstockkrebs, und diejenigen, die erkranken, unterscheiden sich beträchtlich sowohl im Alter bei der Brustkrebsdiagnose als auch in der Körperseite, an welcher der Tumor auftritt. Diese interindividuelle Varia- bilität tritt sogar bei miteinander verwandten Frauen auf, die alle die gleiche Mutation tragen. Darüber hinaus gibt es auch erhebliche Unterschiede in den Krebsrisiken bei verschiedenen Bevölkerungen. Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die mit BRCA-Mutationen assoziierten Brust- und Eierstockkrebsrisiken nicht bei allen Mutationsträgerinnen gleich sind und es folglich Faktoren geben muss, die diese Risiken modifizieren. Abb. 1: Schematische Darstellung von BRCA1 (A) und BRCA2 (B). Die nummerierten Kästchen geben die einzelnen Protein-kodierenden Bereiche (Exons), die grauen Balken die funktionellen Proteindomänen an. BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Special gen in solchen niedrig-penetranten Genen allein verursachen keinen Krebs, sie führen nur zu einer geringfügigen Erhöhung bzw. Erniedrigung des Krebsrisikos. Im Gegensatz zu seltenen Veränderungen in hoch-penetranten Genen (d. h. eine Veränderung wirkt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus), sind Mutationen in niedrig-penetranten Genen in der Bevölkerung häufig und daher vermutlich für das Entstehen einer weitaus größeren Anzahl von Krebsfällen verantwortlich. Solche häufigen, in mehr als einem Prozent der Bevölkerung vorkommenden genetischen Veränderungen, die der natürlichen Variationsbreite entsprechen und von einer Generation zur nächsten vererbt werden, werden als Polymorphismen bezeichnet. Während ein einzelner Polymorphismus nur eine geringfügige Auswirkung auf das Krebsrisiko hat, können verschiedene einzelne Polymorphismen in der Summe sich positiv oder negativ auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit auswirken. Die Anfälligkeit einer Frau, an der erblichen Form von Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken, hängt demnach von der vorliegenden BRCAMutation sowie der Anzahl der in ihrem individuellen Erbgut vorliegenden Polymorphismen ab. Risiko-modifizierende Gene umfassen solche Erbanlagen, die für Proteine kodieren, die bei der Biosynthese und der Verstoffwechselung von Hormonen, der Hormon-vermittelten Signalübertragung, dem Metabolismus von Karzinogenen sowie der Reparatur von DNS-Schäden eine Rolle spielen. Liegen die Polymorphismen in Genregionen, die z. B. für ein Enzym kodieren, das an der Hormonproduktion beteiligt ist, so kann dies die Enzymaktivität verändern. Es ist vorstellbar, dass durch eine erhöhte Enzymaktivität die Produktion von Hormonen erhöht und der Körper folglich erhöhten Hormonmengen ausgesetzt wird, was sich nachteilig auf das Krebsrisiko einer Frau auswirken könnte. Ebenso ist es möglich, dass ein verändertes DNS-ReparaturProtein, wie z. B. RAD51, nicht mehr in der Lage ist, mit anderen Proteinen zu interagieren und somit seine normale Reparaturfunktion nicht mehr erfüllt. Andere Faktoren Möglicherweise haben auch Umweltfaktoren und hormonelle Faktoren eine Auswirkung auf das Brustkrebsrisiko bei BRCAMutationsträgerinnen. Hinweise auf einen möglichen Einfluss von Umweltfaktoren erbrachte die genaue Analyse von Mehrgenerationen-Familien. Sie zeigte, dass Frauen mit BRCA1-Mutationen, die nach 1930 geboren waren, ein höheres Brustkrebsrisiko aufwiesen als frühere Geburtenjahrgänge. Hormonelle Faktoren, die mit einem erhöhten Öestrogenspiegel einhergehen oder auch die Länge des Zeitraums, über den Östrogene ihre Wirkung entfalten, können ebenfalls das Brustkrebsrisiko beeinflussen. Es gibt Hinweise, dass eine Ovarektomie (Entfernung der Eierstöcke) das Brustkrebsrisiko von BRCA1Mutationsträgerinnen um etwa die Hälfte reduziert. Ein protektiver Effekt wurde auch bei Frauen mit BRCA2-Mutationen beobachtet. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Ovarektomie eine wirksame Maßnahme zur Verminderung des Brustkrebsrisikos bei BRCA-Mutationsträgerinnen darstellt. Allerdings ist diese Maßnahme bei jungen Frauen mit akuten sowie langanhaltenden Nebenwirkungen verbunden. Ein anderer hormoneller Faktor ist Tamoxifen, ein Anti-Östrogen, das zur Behandlung von Brusttumoren eingesetzt wird, die Östrogenrezeptoren tragen. Die Analyse einer Untergruppe von Teilnehmerinnen einer US-amerikanischen Präventionsstudie ergab, dass Tamoxifen möglicherweise das Brustkrebsrisiko von BRCA2-Mutationsträgerinnen, jedoch nicht das von BRCA1Mutationsträgerinnen vermindert. Diese Daten basieren auf einer geringen Anzahl von BRCA-Mutationsträgerinnen und müssen daher vorsichtig BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Special 506 Abb. 2: Faktoren, die möglicherweise das Brustkrebsrisiko bei Frauen mit einer BRCAMutation beeinflussen. AR: AndrogenrezeptorGen; NCOA3: „Nuclear receptor COActivator 3“. RAD51: RAD51-Gen. ↑: Erhöhtes Brustkrebsrisiko; ↓: Erniedrigtes Brustkrebsrisiko; ↑↓: Beim AR variiert das Brustkrebsrisiko in Abhängigkeit vom Genotyp. ↑(Br < 40): Erhöhtes Risiko vor dem 40. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken. es vorstellbar, dass in Zukunft Empfehlungen ausgesprochen werden, die Modifizierungen z. B. hinsichtlich der Einnahme und Dauer von oralen Kontrazeptiva bzw. Tamoxifen enthalten. Darüber hinaus könnten diese Erkenntnisse auch zur Entwicklung von „maßgeschneiderten“ Früherkennungsstrategien beitragen. So könnten beispielsweise Empfehlungen ausgesprochen werden, wie oft sich eine Frau untersuchen lassen sollte, in welchem Umfang dies geschehen sollte und welche Organe besonderes Augenmerk bedürfen. Literatur Hamann, U., et al. (2000): Hereditary breast cancer: High risk genes, genetic testing and clinical implications. Clin Lab 46: 447-461. Rebbeck, T. R., et al. (2002): Inherited predisposition and breast cancer: Modifiers of BRCA-associated breast cancer risk. Environ Mol Mutagen 39: 228-234. Lymberis, S. C., et al. (2004) Pharmacogenomics and breast cancer. Pharmacogenomics 5(1): 31-55. interpretiert werden. In einer zweiten, großen Studie wurde der Einfluss von Tamoxifen auf das Risiko, nach einem Tumor in einer Brust auch in der anderen Krebs zu entwickeln (kontralateral=andere Seite) untersucht. Es zeigte sich, dass Tamoxifen das kontralaterale Brustkrebsrisko von BRCA1und BRCA2-Mutationsträgerinnen um etwa 60 bzw. 40 Prozent reduzierte. Diese protektive Wirkung von Tamoxifen wurde in den Untergruppen der Frauen mit und ohne Ovarektomie beobachtet. Die Kombination von Tamoxifen und Ovarektomie reduzierte das kontralaterale Brustkrebsrisiko um mehr als 80 Prozent und war somit wirksamer als die einzelne Therapie. Der biologische Hintergrund für diese Synergie ist ungeklärt. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva hat möglicherweise auch eine Auswirkung auf das Brustkrebsrisiko. In einer kleinen Studie wurde gezeigt, dass die Langzeiteinnahme von oralen Kontrazeptiva bei jüdischen Brustkrebspatientinnen mit BRCAMutationen mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert war. In einer weiteren Untersuchung wurde festgestellt, dass Frauen mit BRCA1-Mutationen, die orale Kontrazeptiva vor 1975 (zu dieser Zeit enthielten die Präparate noch hohe Östrogen- und Progestin-Dosen), vor dem 30. Lebensjahr oder mindestens fünf Jahre lang eingenommen hatten, ein erhöhtes Risiko hatten, in einem frühen Alter an Brustkrebs zu erkranken, während Frauen mit BRCA2-Mutationen kein erhöhtes Risiko aufwiesen. Die Untersuchung dieses Zusammenhangs ist ausgesprochen wichtig, speziell vor dem Hintergrund, dass orale Kontrazeptiva bei BRCA- Mutationsträgerinnen das Eierstockkrebsrisiko senken. Die Schwangerschaft ist ein Faktor, der das Risiko von BRCA-Mutationsträgerinnen in einem frühen Alter (vor dem 40. Lebensjahr) an Brustkrebs zu erkranken, erhöht, wobei das Brustkrebsrisiko über drei Schwangerschaften zunimmt. Diese Beobachtungen stehen in Einklang mit der Hypothese, dass die während der Schwangerschaft produzierten Eierstockhormone die Zellteilung stimulieren und somit das Wachstum von vorhandenen Tumoren beschleunigen. Das Stillen hat offenbar einen protektiven Effekt auf das Brustkrebsrisiko: Frauen mit BRCA1-Mutationen, die länger als ein Jahr gestillt haben, entwickelten zu 40 Prozent seltener Brustkrebs als solche, die über eine kürzere Zeit gestillt haben. Das Brustkrebsrisiko hängt mit der Dauer der Stillzeit zusammen, d. h. je länger eine Frau während ihrer Lebenszeit gestillt hat, desto geringer war ihr Brustkrebsrisiko. Eine Übersicht der Faktoren, die möglicherweise das Brustkrebsrisiko bei BRCA-Mutationsträgerinnen beeinflussen, zeigt Abbildung 2. Korrespondenzadresse: PD Dr. Ute Hamann Deutsches Krebsforschungszentrum AG Molekulargenetik des Mammakarzinoms, B055 Im Neuenheimer Feld 580 D-69120 Heidelberg Tel.: 06221-42-2347 Fax: 06221-42-4721 [email protected] Zusammenfassung Die Identifizierung von Risiko-modifizierenden Faktoren wird bei Frauen mit Mutationen in hoch-penetranten „Anfälligkeitsgenen“ und somit hohem Brustkrebsrisiko zu einer genaueren Risikoabschätzung führen. Die Kenntnis dieser Faktoren ist für die Prävention der Erkrankung und die Kontrolle dieser Frauen von Bedeutung. So ist BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang