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Genetik und Gynäkologische Endokrinologie
Zum Thema
16
SRY, SOX9 und XY Geschlechtsumkehr
Gerd Scherer
Institut für Humangenetik
und Anthropologie, Freiburg
Zusammenfassung
An der Geschlechtsbestimmung und
frühen Testisdifferenzierung sind zwei
Gene entscheidend beteiligt: das Y
chromosomale Gen SRY und das au
tosomale Gen SOX9. Beide Gene co
dieren Transkriptionsfaktoren mit ei
nem verwandten DNABindemotiv,
der HMGDomäne. Etwa 30 % aller
Fälle von XYGonadendysgenesie
(SwyerSyndrom) lassen sich auf De
letionen von SRY bzw. auf SRYMu
tationen, meist in der HMGDomäne,
zurückführen; bei rund 70 % dieser
Fälle ist das ursächliche Gen unbe
kannt. Heterozygote Mutationen im
SOX9Gen oder chromosomale Rear
rangements in einem 1 MbBereich
5' von SOX9 führen zum Skelettfehl
bildungssyndrom der Kampomelen
Dysplasie und zu XYGeschlechts
umkehr bei zwei Drittel aller Fälle mit
männlichem Karyotyp. Eine Genotyp
/PhänotypKorrelation besteht nicht.
Summary
For sex determination and early
testis differentiation, two genes are
essential: the Ychromosomal gene
SRY and the autosomal gene SOX9.
Both genes code for transcription
factors with a related DNAbinding
motif, known as the HMG domain.
About 30 % of cases with XY
gonadal dysgenesis (Swyer
Syndrome) are caused by deletion of
or mutation in SRY, mostly within the
HMG domain; in the remaining 70 %
of these cases, the causative gene is
unknown. Heterozygous mutations in
SOX9 or chromosomal rearrange
ments in a 1 Mb region 5' to SOX9
cause the skeletal malformation
syndrome campomelic dysplasia and
sex reversal in 2/3 of cases with a
male karyotype. No genotype/ pheno
type correlations are apparent.
Schlüsselwörter
XYGonadendysgenesie, Ge
schlechtsbestimmung, Kampomele
Dysplasie, SRY, SOX9.
Keywords
XY gonadal dysgenesis, sex
determination, campomelic
dysplasia, SRY, SOX9.
medgen 13 (2001)
1. Genaktivitäten in der frühen
Gonadenentwicklung
Die Geschlechtsentwicklung beim
Menschen verläuft in drei Stufen: er&
stens, in der Festlegung des chromo&
somalen Geschlechts bei der Be&
fruchtung; zweitens, in der Differen&
zierung der bipotenten Gonade in Te&
stis bzw. Ovar entsprechend dem
chromosomalen Geschlecht (gonada&
les Geschlecht); und drittens, in der
Differenzierung der inneren und äuße&
ren Genitalien entsprechend dem go&
nadalen Geschlecht (phänotypisches
Geschlecht). Da der weibliche Phäno&
typ auch bei komplettem Fehlen der
Gonaden ausgeprägt wird, kann man
das weibliche Geschlecht als das kon&
stitutive, das männliche Geschlecht
als das induzierte Geschlecht be&
trachten.
Aneuploidien der Geschlechtschro&
mosomen wie XXY beim Klinefelter&
Mann und X0 bei der Turner&Frau zei&
gen, dass das Y&Chromosom einen
Locus für einen Testis&determinieren&
den Faktor (TDF) enthalten muß, der
die Entwicklung der bipotenten Gona&
de in Richtung Testis festlegt. Zwei
schon früh in der Testis produzierte
Hormone gewährleisten, daß die Ge&
nitalentwicklung vom konstitutiven
weiblichen Weg in Richtung männli&
chen Phänotyp gelenkt wird. Das Anti&
Müllersche Hormon (AMH), das von
den Sertolizellen sezerniert wird, führt
zur Regression der Müllerschen Gän&
ge, die bei der Frau zu Eileiter, Uterus
und oberer Vagina werden. Und die
von den Leydig&Zellen produzierten
Androgene, speziell Testosteron, sti&
mulieren die Differenzierung der Wolff&
Genetik und Gynäkologische Endokrinologie
Das Schema zeigt, an welchen Stellen in der frühen Gonaden&
entwicklung welche Gene einwirken. Dabei ist die angegebene
Reihenfolge der Gene an einem bestimmten Schritt willkürlich;
SRY ist jedoch sehr wahrscheinlich SOX9 vorgeschaltet. Muta&
tionen in SRY und heterozygote Mutationen in SOX9, WT1 und
SF1 können zu XY&Geschlechtsumkehr führen, wie auch Dupli&
kation von DAX1 und Hemizygotie für die DMRT1&Region.
schen Gänge in Samenleiter, Neben&
hoden und Samenblase. Bei der Frau
degenerieren die Wolffschen Gänge.
Seit der Identifizierung des SRY&Gens
als desjenigen Gens, das den Y&chro&
mosomalen Testis&determinierenden
Faktor TDF codiert, in den Jahren
1990/1991, wurden mittlerweise meh&
rere X&chromosomale und autosoma&
le Gene identifiziert, die an der Ge&
schlechtsbestimmung und frühen Go&
nadenentwicklung beteiligt sind. Alle
diese Gene codieren wie SRY für ei&
nen Transkriptionsfaktor. Wie Abb. 1
zeigt, sind einige dieser Gene gleich
an mehreren Differenzierungsschritten
beteiligt. Im Folgenden wird ein kurzer
Überblick zum Beitrag von SRY und
einem weiteren, autosomalen Testis&
determinierenden Faktor, SOX9, bei
der Entstehung von XY&Gonadendys&
genesien gegeben. Ein Übersichtsar&
tikel zu SRY und SOX9 mit ausführli&
chem Literaturverzeichnis findet sich
bei Koopman (1999). Auf WT1 und
DAX1 wird im Beitrag von Jakobiczka
und Wieacker eingegangen.
2. XY Gonadendysgenesie (Swyer
Syndrom)
Der Terminus XY&Gonadendysgenesie
(kurz: XY&GD) beschreibt eine Fehl&
entwicklung der Gonaden bei Vorlie&
gen eines männlichen Karyotyps. Statt
funktionsfähiger Hoden und einem
männlichen Phänotyp liegen funkti&
onslose Gonadenreste (Stranggona&
den) vor und in der Konsequenz ein
weiblicher Phänotyp. XY&GD ist somit
eine Form von XY&Geschlechtsumkehr
im Sinne eines Pseudohermaphrodi&
tismus masculinus. XY&GD tritt als
Teilsymptomatik bei einer ganzen Rei&
he von Syndromen auf, so bei der
weiter unten besprochenen Kampo&
melen Dysplasie (Kampomeles Syn&
drom). Als XY&GD im engeren Sinn
(Swyer&Syndrom; Swyer, 1955; MIM
306100) bezeichnet man das klinische
Bild, das ausschließlich auf funktions&
lose Gonaden zurückzuführen ist,
ohne zusätzliche somatische Anoma&
lien. Dies wird zuweilen auch durch
die Bezeichnung Reine Gonadendys&
genesie ausgedrückt.
her bei jeder Patientin mit gesicherter
XY&GD entfernt werden sollten. Die
dabei auftretenden Tumore sind zu&
meist Gonadoblastome und Dysger&
minome. Neben der Exstirpation der
Stranggonaden besteht die Therapie
in Substitution der fehlenden Östro&
gene, wodurch eine befriedigende
Brustentwicklung erreicht werden
kann.
2.1 Klinisches Bild
Die Diagnose einer XY&GD wird zu&
meist im Pubertätsalter gestellt, auf&
grund einer primären Amenorrhoe und
ausbleibender Brustentwicklung, Fol&
ge der Funktionslosigkeit der Gona&
den, die sich als Bindegewebsstränge
präsentieren, zuweilen mit Resten
ovariellen Stromas, aber ohne Oo&
zyten. Häufig liegt eine Klitorishyper&
trophie vor, ansonsten sind die äuße&
ren Genitalien normal weiblich; Uterus
und Eileiter sind vorhanden; die Kör&
pergröße ist im normalen weiblichen
Bereich oder leicht darüber. Endokri&
nologisch liegt ein hypergonadotroper
Hypogonadismus vor. Es besteht ein
Risiko von etwa 20&30 % für maligne
Entartung der Stranggonaden, die da&
2.2 SRY Deletionen
Zur Gewährleistung einer korrekten
Segregation der Geschlechtschromo&
somen kommt es in der männlichen
Meiose zu einem obligatorischen
Crossover zwischen X& und Y&Chro&
mosom. Dieses Crossover spielt sich
normalerweise innerhalb der soge&
nannten pseudoautosomalen Region
ab, einem sequenzhomologen Ab&
schnitt von 2.6 Mb an der Spitze der
kurzen Arme beider Geschlechtschro&
mosomen. Bei etwa 1 auf 20.000
Meiosen kommt es jedoch zu einem
fehlerhaften X/Y&Crossover außerhalb
der pseudoautosomalen Region. Da&
durch entsteht ein X&Chromosom, das
das SRY&Gen trägt und das bei den
meisten XX&Männern vorliegt, und ein
Zum Thema
Abb 1 Gene, die an der Geschlechtsbestimmung und frühen
Gonadenentwicklung beteiligt sind
Die genetischen Ursachen der XY&GD
sind nur zum Teil geklärt: bei ca.
10–15 % liegen komplette Deletionen
des SRY&Gens vor; bei weiteren ca.
10–15% sind SRY&Mutationen vor&
handen; bei ca. 70 % sind die ursäch&
lichen Gendefekte nicht bekannt.
medgen 13 (2001)
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Genetik und Gynäkologische Endokrinologie
Zum Thema
Abb 2 Aberrantes XY Crossover in der
Ätiologie von XX Männern und XY GD
Frauen
Das ungleiche Crossover außerhalb der pseu&
doautosomalen Paarungsregion (hellgrau) führt
zum Transfer von SRY auf das väterliche X&
Chromosom und zum XX&Mann. Das reziproke
Produkt ist ein SRY&deletiertes Y&Chromosom,
wie es bei 10–15 % von XY&GD&Frauen vor&
liegt. Das Crossover erfolgt häufig zwischen
den verwandten Genen PRKX und PRKY.
Y&Chromsosom, dem das SRY&Gen
fehlt und das bei ca. 10&15 % aller
XY&GD&Frauen vorliegt (Abb. 2). Häu&
fig findet dieses aberrante Crossover,
wie in Abb. 2 gezeigt, zwischen den
sequenzverwandten Genen PRKX und
PRKY statt.
Man sollte erwarten, dass die Häufig&
keit von SRY&positiven XX&Männern
und SRY&negativen XY&GD&Frauen
gleich groß ist, also jeweils 1 auf
20.000 männliche bzw. weibliche Ge&
burten. Obgleich exakte Zahlen feh&
len, so sind solche SRY&negativen XY&
Frauen deutlich seltener als dieser Er&
wartung entspricht. Dies wird mit
möglichen embryonal&letalen Effekten
erklärt, die auf den Verlust von Y&
chromosomalen Abschnitten zurück&
zuführen sind. So fehlen dem SRY&ne&
gativen Y&Chromosom, wie es in Abb.
2 skizziert ist, große Teile des kurzen
Armes. Ein Chromosomensatz mit ei&
nem derart partiell deletierten Y&Chro&
mosom ist dem 45,X&Karyotyp beim
Turner&Syndrom nicht unähnlich, bei
dem bekanntermaßen über 95 % aller
Embryonen absterben. Interessanter&
weise sind bei SRY&negativen XY&GD&
Frauen mitunter Turner&Merkmale wie
Lymphödeme zu beobachten, die an&
sonsten nicht zum klinischen Bild von
XY&GD gehören.
Die Pathogenese der Gonadenent&
wicklung ist bei XY&GD und beim Tur&
ner&Syndrom die gleiche. In beiden
Fällen differenzieren sich die Gonaden
zunächst zu Ovarien, die aber früh
Oozyten verlieren, schon vor der Ge&
burt zu degenerieren beginnen und
schließlich durch Bindegewebe ersetzt
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medgen 13 (2001)
werden. Zur Aufrechterhaltung der
ovariellen Funktion während der spä&
ten fetalen und postnatalen Entwick&
lung sind zwei X&Chromosomen er&
forderlich. Eine Bestätigung dieses
lange bekannten Konzeptes liefert ein
kürzlich beschriebener, bislang einzig&
artiger Fall einer SRY&negativen Frau
mit dem Karyotyp 47,XXY, die Mutter
dreier Kinder ist, darunter einer Toch&
ter mit dem gleichen SRY&negativen
47,XXY&Karyotyp wie die Mutter
(Roettger et al., 2000).
2.3 SRY Mutationen
Etwa 10–15 % aller Fälle von XY&GD
beruhen auf Mutationen im SRY&Gen.
Die über 30 bisher beschriebenen
SRY&Mutationen sind vorwiegend im
zentralen Abschnitt des exonlosen
SRY&Gens bzw. SRY&Proteins lokali&
siert (Abb. 3). Dieser zentrale Bereich
von 79 Aminosäuren stellt die soge&
nannte HMG&Domäne dar, die DNA&
Bindedomäne des insgesamt 204
Aminosäuren umfassenden SRY&Pro&
teins. Mutante SRY&Proteine mit Ami&
nosäuresubstitutionen in der HMG&
Domäne zeigen eine verminderte oder
fehlende Bindung an die Erkennungs&
sequenz AACAAAT. Durch die Bindung
von SRY an DNA kommt es zu einer
Verbiegung der DNA&Helix um 60 &
85 . Auch ein veränderter DNA&Bie&
gungsgrad konnte bei mutanten SRY&
Proteinen mit Rest&Bindeaktivität
nachgewiesen werden.
Fast alle beschriebenen SRY&Mutatio&
nen bei XY&GD sind Neumutationen in
sporadischen Fällen. In einigen Fällen
handelt es sich jedoch um familiäre
Mutationen, entweder aufgrund eines
paternalen Keimbahnmosaikes oder
unvollständiger Penetranz (durch
Punkt bzw. Stern in Abb. 3 markiert).
Das Vorliegen einer XY&GD in mehre&
ren Mitgliedern einer Familie, sei es in
einer Generation (bei Keimbahnmosa&
iken) oder in mehreren Generationen
mit unsymptomatischen männlichen
Überträgern (bei unvollständiger Pe&
netranz), kann also durchaus auf einer
SRY&Mutation beruhen.
Bei zwei Fällen von XY&GD wurden
Deletionen außerhalb des SRY&Gens
beschrieben. Bei einem Fall mit kom&
pletter Gonadendysgenesie lag eine
33 & 60 kb große Deletion vor mit ei&
nem Deletionsbruchpunkt 1.8 kb 5'
von SRY, beim zweiten Fall einer par&
tiellen Gnadendysgenesie war eine
3&8 kb große Deletion 2&3 kb 3' von
SRY entfernt. Diese Deletionen, beide
de novo, haben vermutlich für die
SRY&Expression relevante regulatori&
sche Sequenzen entfernt.
Außer der Tatsache, daß SRY ein
DNA&bindendes Protein ist, ist über
seine Funktionsweise wenig bekannt.
Es wirkt wahrscheinlich als Transkrip&
tionsfaktor, und wohl eher als ein Re&
pressor als ein Aktivator. Auf welches
Zielgen SRY einwirkt, ist ebenfalls un&
bekannt. Ein plausibler Kandidat ist
SOX9, wobei die Aktivierung dieses
Gens durch SRY vermutlich indirekt
ist, durch Repression eines Repres&
sors von SOX9 (Bishop et al., 2000).
2.4 Das Rätsel der SRY positiven
XY GD Fälle
Wie an anderer Stelle näher ausge&
führt (Scherer et al., 1998), bleiben
Genetik und Gynäkologische Endokrinologie
Das obere Schema zeigt das 204 Aminosäuren große SRY&Protein. Die Aminosäuresequenz der 79 Reste umfassenden
HMG&Domäne, der DNA&Bindedomäne, ist im Einbuchstaben&Code darunter angegeben. Die bei XY&GD identifizierten Ami&
nosäurenaustausche, Stop&Codon&Mutationen (X) und Frameshift&Mutationen (Zahl der fehlenden Basen in Klammer) sind
eingetragen. Familiäre Mutationen infolge paternalen Keimbahnmosaiks bzw. unvollständiger Penetranz sind mit einem Punkt
bzw. Stern markiert. Literaturzitate zu den Mutationen finden sich bei Cameron und Sinclair (1997) sowie Koopman (1999).
etwa 70 % aller XY&GD&Fälle in ihrer
genetischen Ursache rätselhaft. In
mehreren Studien wurden XY&GD&Fäl&
le ohne SRY&Mutationen bzw. &Deleti&
on auf Mutationen in Genen wie
SOX9, WT1 und DMRT1 hin unter&
sucht, da Mutationen in diesen Ge&
nen, neben anderen klinischen Symp&
tomen, auch eine XY&Gonadendysge&
nesie zur Folge haben. Alle diese Stu&
dien waren erfolglos. Offensichtlich
sind bislang noch nicht identifizierte
Gene an der Ätiologie der XY&GD be&
teiligt. Man muss sich daher darüber
im Klaren sein, dass eine molekular&
genetische Absicherung der Diagnose
XY&GD zur Zeit nur durch Analyse des
SRY&Gens möglich ist, die nur in etwa
30 % aller Fälle zu einem positiven
Befund kommen kann.
3. Kampomele Dysplasie und XY
Geschlechtsumkehr
Ein autosomales Gen mit einer ähnlich
entscheidenden Rolle bei der Testis&
determinierung/differenzierung wie
SRY ist das SOX9&Gen. Dieses auf
17q lokalisierte Gen wurde 1994 durch
Positionsklonierung isoliert, ausge&
hend von Translokationsfällen mit
Kampomeler Dysplasie (campomelic
dysplasia, CD) und XY&Geschlecht&
sumkehr (Foster et al., 1994; Wagner
et al., 1994). SOX9 codiert für einen
Transkriptionsfaktor von 509 Amino&
säuren mit einer DNA&bindenden
HMG&Domäne und einer C&terminalen
transkriptionsaktivierenden Domäne.
Wie bei allen SOX&Proteinen ist die
Sequenz der HMG&Domäne der von
SRY ähnlich (SOX = SRY&related HMG
box). SOX9 wird fast zeitgleich mit
SRY in der frühen männlichen Gonade
exprimiert, noch vor Einsetzen der
Sertolizelldifferenzierung. Während
SRY nur kurze Zeit exprimiert wird,
bleibt die SOX9&Expression im Testis
erhalten. Ein Zielgen von SOX9 in der
Testisentwicklung ist AMH, das SOX9
gemeinsam mit SF1 und WT1 aktiviert
(Abb. 1). Anders als SRY, das nur bei
den Säugetieren vorkommt, ist SOX9
bei allen Wirbeltierklassen nachweis&
bar und stets Sertolizell&spezifisch ex&
primiert (Koopman, 1999). Eine zwei&
te wichtige Funktion von SOX9 ist die
eines Regulators der Chondrogenese.
3.1 Klinisches Bild
CD (MIM 114290) ist ein semiletales
Skelettfehlbildungssyndrom, verur&
sacht durch dominant wirkende, he&
terozygote Neumutationen im bzw. am
SOX9&Gen (Haploinsuffizienz). Von CD
Betroffene sterben meist kurz nach
der Geburt oder in den ersten Le&
benswochen an respiratorischer In&
suffizienz; nur etwa 10 % werden älter
als zwei Jahre. Neben dem namenge&
benden Merkmal der Kampomelie &
der Verkürzung und Biegung der lan&
gen Röhrenknochen & sind Skapu&
lahypoplasie, Beckenfehlbildungen,
bilateraler Klumpfuß, Makrozephalie
und Robin&Sequenz typische Merk&
male (Mansour et al., 1995). Bei 2/3
aller CD&Fälle mit einem männlichen
Karyotyp kommt es zu XY&Ge&
schlechtsumkehr. Diese ist zuweilen
nur partiell, meist aber komplett im
Sinne einer XY&GD mit Stranggona&
den.
3.2 SOX9 Mutationen
Rund 30 Mutationen im SOX9&Gen
sind bisher beschrieben (Abb. 4). Im
Gegensatz zu SRY verteilen sich die&
se Mutationen über das gesamte
SOX9&Gen, das aus 3 Exons besteht.
Lediglich die Missense&Mutationen
clustern ausschließlich in der HMG&
Domäne, da Aminosäuresubstitutio&
nen in diesem Bereich des Proteins
zum Ausfall der DNA&Bindung und da&
mit zum Funktionsverlust führen. Die
Nonsense&, Frameshift& und Spleiß&
Mutationen führen zu einem veränder&
ten, meist verkürzten Protein, dem die
C&terminale transaktivierende Domä&
ne ganz oder teilweise fehlt, und da&
mit ebenfalls zum Funktionsausfall.
Als einzig signifikanter Mutations&
Hotspot ist die Y440X&Mutation anzu&
sprechen, die in 3 der 30 publizierten
und in 5 von 38 weiteren CD&Fällen
(eigene unveröffentlichte Ergebnisse)
vorliegt.
Zum Thema
Abb 3 SRY Mutationen bei XY Gonadendysgenesie
Eine Genotyp/Phänotyp&Korrelation
hinsichtlich der XY&Geschlechtsum&
kehr ist nicht vorhanden. Am klarsten
zeigen dies identische Mutationen, die
unabhängig entstanden sind (Frame&
shift in Codon 368; Y440X) oder fami&
liär auftraten aufgrund eines Keim&
bahnmosaiks (Frameshift in Codon
246), und in einem Fall zu XY&GD
führen, im anderen Fall nicht. Die XY&
Geschlechtsumkehr zeigt also eine
unvollständige Penetranz, die die mo&
lekularen Befunde nicht erklären kön&
nen. Andererseits ist die Penetranz
bezüglich des Auftretens von Skelett&
anomalien vollständig, da SOX9&Mu&
tationen zwar zu CD ohne XY&GD
führen können, aber nicht zu isolierter
XY&GD ohne Skelettaffektion. Die Su&
che nach SOX9&Mutationen bei Fällen
mit XY&GD ohne Störungen der Knor&
medgen 13 (2001)
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Genetik und Gynäkologische Endokrinologie
Zum Thema
Abb 4 SOX9 Mutationen bei Kampomeler Dysplasie und autosomaler XY Geschlechtsumkehr
Die drei Exons des SOX9&Gens sind maßstäblich dargestellt, wobei Exon 3 nur teilweise gezeigt ist. Untransla&
tierte und translatierte Sequenzen sind als helle bzw. graue Bereiche angegeben, die HMG&Domäne (103&182)
ist schraffiert, die C&terminale transaktivierende Domäne (402&509) ist schwarz dargestellt. Die Zahlen geben
Codons oder Aminosäurereste an, im Einbuchstaben&Code geschrieben. Die Art der Mutation ist links angege&
ben. Die Zahl inserierter bzw. deletierter Basen ist bei den Frameshift&Mutationen in Klammern angegeben. Bei
XX& bzw. XY&Frauen gefundene Mutationen sind mit einem offenen bzw. gefüllten Kreis, Mutationen bei XY&
Männern durch das offene Quadrat symbolisiert. Die familiäre Frameshift&Mutation in Codon 246 lag bei drei
Geschwistern vor, darunter ein echter Hermaphrodit, durch gefüllten Kreis im Quadrat symbolisiert. Literaturzi&
tate zu den Mutationen finden sich bei Cameron und Sinclair (1997) sowie Koopman (1999).
pel& und Knochenentwicklung er&
scheint wenig sinnvoll.
3.3 Translokationen / Inversionen
Zwei Inversionen und 12 Translokatio&
nen sind bei CD beschrieben, deren
Bruchpunkte 50 & 900 kb 5' von SOX9
lokalisiert sind. Da das SOX9&Gen
selbst unverändert ist, liegt der Muta&
tionsmechanismus dieser chromoso&
malen Rearrangements wahrschein&
lich in der Reduktion der SOX9&Ex&
pression durch Entfernen regulatori&
scher Sequenzen. Bei neun dieser Fäl&
le sind die Geschlechtschromosomen
XY, und nur sechs dieser Fälle zeigen
einen weiblichen Phänotyp mit parti&
eller oder kompletter XY&GD. Es be&
steht keine Genotyp/Phänotyp&Korre&
lation zwischen dem Abstand des
Bruchpunktes vom SOX9&Gen und
dem Auftreten oder Ausbleiben der
XY&Geschlechtsumkehr (Pfeifer et al.,
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