Psychische Erkrankungen

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Workshop „Psychische Störungen in der medizinischen Rehabilitation“ / 23. März 2001
Diagnostik psychischer Störungen
Jürgen Bengel
Martin Härter
in derund
Rehabilitation
Jürgen Bengel
Abteilung für Rehabilitationspsychologie
Universität Freiburg
Institut
für Psychologie
24. Jahrestagung
des Arbeitskreises Klinische Psychologie in der
Rehabilitation, Erkner, 18.-20. November 2005
Universität Freiburg
Belastungsreaktionen – Ebenen
Physiologische Reaktion (akut/chronisch)
Subjektive Gesundheit / Lebensqualität
Belastungsemotionen (z.B. Ärger)
Klinische Symptome (Ängste, Depressivität)
Klinische Diagnosen (Anpassungsstörung)
1
Psychosoziale Belastungsfolgen
bei chronischer Krankheit
Innerpsychische Probleme: Abhängigkeitsgefühle,
Selbstwertprobleme, mangelnde Zukunftsperspektive,
Probleme im Lebensentwurf
Problematisches Krankheitsverhalten: geringe Compliance,
gesundheitsschädigende Verhaltensmuster
Partnerschafts- und familiäre Probleme: Innerfamiliäre
Grenzziehung, sexuelle Probleme, Probleme mit der
Rollenidentität
Probleme mit Rollenwechsel und Statusverlust: Sozialer
Rückzug, Probleme mit der beruflichen Integration
Psychische Syndrome und Störungen: Anpassungsstörungen,
Angststörungen depressive Störungen somatoforme
Psychische Störungen und
chronische Erkrankungen
Chronische Erkrankungen
I.
Psychische Belastungen
(z.B. reduzierte Funktionsfähigkeit und Partizipation,
Kontrollverlust, Lebensbedrohung)
Chronische Erkrankungen
II.
Psychische Erkrankungen
(Komorbidität)
2
Ursachen der Komorbidität – Beispiel
Depression
Depression als Reaktion auf Erkrankung/Behandlung
(z.B. reaktive Depression als Reaktion auf Tumor) !!!
Einfluss auf Chronifizierung einer Erkrankung
(z.B. Rückenschmerzen, mangelnde Compliance) !!!
Somatische Störung / Behandlung verursachen die D.
(z.B. Schilddrüsenunterfunktion via Anergie)
Somatische Störung geht einer depressiven Störung bei
vulnerablen Personen voraus (z.B. Morbus Cushing vor
einer Episode einer Major Depression)
Depression geht dem Beginn körperlicher Symptome
voraus (Somatisierung)
Somatische und depressive Störung sind nicht kausal
miteinander verbunden (zeitliche Koinzidenz).
Prädisponierende Faktoren
Lebensstil - Genetische Prädisposition - Persönlichkeitscharakteristika
Depression
neurobiologisch gekennzeichnet
u.a. durch:
Sympathikotone Überaktivierung
Hypercortisolismus
Thrombozytenaktivierung
Gewohnheiten/
Verhalten
Zigarettenkonsum ↑
Bewegung ↓
Gesundheitsverhalten ↓
Risikofaktoren
Lipide ↑ Blutdruck ↑ Blutzucker ↑
Metabolisches Syndrom ↑
Neurobiologische Effekte
z.B.
Endothelregeneration ↓
Thrombozytenaktivität ↑
Herzfrequenz ↑
Herzfrequenzvariabilität ↓
KHK, Myokardinfarkt,
plötzlicher Herztod
3
Depression und KHK
Prämorbider RF
RR = 1,6 bis 2,71
Prognostischer RF
HR = 2,0 bis 2,42
1Rugulies 2002, 2Schumacher 2003, 1 Ferketich et al. 2000; Pratt et al. 1996; Kubzansky & Kawachi
2000, 2 FrasureFrasure-Smith et al. 1999, 2000; Thomas et al. 1997; Irvine et al. 1999; Heßlinger et al. 2002
Komorbide psychische Stör
(und psychische Belastun
erhöhen die somatische Morbidität und Mortalität 1,2
verlängern die Krankenhausliegedauer 3,4
tragen zur Chronifizierung bei 5
beeinflussen Compliance und Lebensqualität ungünstig 6
verursachen erhöhte Inanspruchnahme und Kosten 7,8
1
Barth, Bengel et al. 2004; 2 Lustman & Clouse 2002; 3 Prieto et al. 2002; 4 Wancata et al. 2001; 5
Linton 2000; 6 Härter et al. 2001; 7 Creed et al. 2002; 8 Chiechanowski et al. 2000
4
Zusammenfassung
Psychische Belastung (ohne Störungswert im engeren Sinn) und
psychische Störungen bei chronischen Erkrankungen
Depression (wahrscheinlich) ätiologischer und (sicher)
prognostischer Faktor bei KHK und anderen chronischen
Erkrankungen
Depressive Störungen führen unabhängig von somatischen Status
zu einer Reduktion der Lebenserwartung (Haupteffekt!),
Lebensqualität und weiteren ungünstigen Konsequenzen
Keine gesicherten kausalen Verknüpfungen, verschiedene
Verursachungsmodelle denkbar
Daten zur Komorbidität
RFV-Studie 1998-2004
Bundesgesundheitssurvey 98
„Psychische Störungen in
der Rehabilitation“
Zusatzsurvey „Psychische
Störungen“
Repräsentative Stichprobe
von Rehabilitanden
Repräsentative Stichprobe
der Allgemeinbevölkerung
Screening + Interview
Screening + Interview
Vergleichende Analyse altersund geschlechtsadjustierter
Prävalenzraten
5
Psychische Belastungen
Medizinische Rehabilitation
%
50
44,4
45
39,9
40
37,2
34,3
35
Orthopädie (N=968)
32
30
Kardiologie (N=835)
25
Onkologie (N=277)
20
Pneumologie (N=590)
15
Endokrinologie (N=250)
10
5
0
GHQ > 4
Prävalenz psychischer Erkrankungen
Medizinische Rehabilitation (in %)
80
72,7
70
65,9
62,3
43
65,5
BGS 1998
60
31
50
48,5
40,9
39,4
40
34,1
20
32,8
29,1
30
23,4
20
22
25
20,7
16,4
10
0
Lebenszeit
Orthopädie (N=175)
Kardiologie (N=165)
12 Monate
Onkologie (N=132)
4 Wochen
Endokrinologie (N=44)
Pneumologie (N=116)
6
Risiko psychischer Erkrankungen
(Frauen -
Männer, 12-Monats-Prävalenz)
3,0*
Odds Ratio
3,0
2,5
2,8*
2,5*
2,0
1,9
1,8
1,8*
1,5
1,0
0,5
0,0
Orthopädie
Kardiologie
Onkologie
Pneumologie
Endokrinologie
Bundesgesundheitssurvey
Psychische Erkrankungen
(12-Monats-Prävalenz nach Altersgruppen)
70
60
62,5
in %
50
53,2
57,9
40
39,5
30
42,6
35,5
20
22,5
10
0
bis 39
40-49
50-59
>59
Alter in Jahren
Orthopädie (N=205)
Kardiologie (N=163)
7
Prävalenz psychischer Erkrankungen
Irgendeine psychische Störung
somatisch Kranke (N = 2310)
%
somatisch Gesunde (N = 1083)
60
54,8
50
**
42,5
40
36,9
**
28,9
30
25
**
20
14,6
10
0
4 Wochen
12 Monate
Lebenszeit
Härter et al., submitted
** p < .01,
12-Monats-Prävalenz psychischer Erkrankungen Spezifische
psychische Störungen
somatisch Kranke (N = 2310)
%
25
somatisch Gesunde (N = 1083)
22,9
21,1
20,9
20
**
**
15
11,6
10
**
9,4
5,7
5
0
**
15,3
affektive
Störungen
* p < .05; ** p < .01
Angststörungen
somatoforme
Störungen
7,1
7
5,3
Substanzstörungen
psychische
Komorbidität
Härter et al., submitted
8
Odds Ratios in Bezug auf Ges
Odds Ratios
(95%-CI)
4 Wochen
12 Monate
Lebenszeit
2.7**
2.6**
2.2**
(1.8-4.0)
(1.9-3.4)
(1.7-2.7)
2.5**
2.3**
2.3**
3.0**
3.0**
2.6**
(2.0-4.7)
(2.1-4.2)
(2.0-3.3)
1.1**
1.3**
1.6**
(0.6-1.8)
(0.9-2.1)
(1.2-2.1)
2.4**
2.2**
2.1**
(1.9-3.0)
(1.8-2.7)
(1.7-2.5)
3.5**
3.5**
3.0**
Affektive Störungen
Angststörungen
(1.8-3.4)
Somatoforme Störungen
Substanzstörungen
Gesamt
Psychische Komorbidität
(1.8-3.0)
(1.7-2.9)
(2.3-5.3)
(2.6-4.8)
(2.3-3.8)
Härter et al., submitted
** p < .01,
Prävalenz psychischer Erkrankungen
Irgendeine psychische Störung - Settingvergleich
%
60
57,4
54,1
50
43,7
40
30
27
42,2
RFV (N = 648)
29,4
20
BGS (N = 1662)
10
0
4 Wochen
12 Monate
Lebenszeit
9
Psychische Komorbidität
(Auswirkungen im letzten Jahr, %)
Bundesgesundheitssurvey 1998, N = 4181, eigene Berechnungen
70
66
keine Störung (65%)
60
eine Störung (21%)
mehr als eine Störung (15%)
50
30
26
19
17
11
10
0
49
39
40
20
59
Arztbesuche (>13 Mal)
11
Stationärer Aufenthalt
Tätigkeitsausfall (ja)
Zusammenfassung
Hohe psychische Belastung von Patienten mit chronischen körperlichen
Erkrankungen (jeder dritte !)
Leicht erhöhte Prävalenzraten psychischer Erkrankungen in der
medizinischen Rehabilitation im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
2-3fach erhöhte Prävalenzen psychischer Erkrankungen bei chronisch
kranken Patienten im Vergleich zu Gesunden
Relevanz von affektiven, Angst- und somatoformen Störungen
Höhere Prävalenzen bei Frauen und jüngeren Personen sowie somatisch
komorbid belasteten Patienten (Multimorbidität)
10
Entdecken psychischer Störungen
Selbstindikation
Ärztliche und therapeutische Indikation
Exploration
Screening
Standardisierte klinische Interviews
Screening
Psychometrische Tests
General Health Questionnaire GHQ-12 (12 Items)
(allgemein)
Hospital Anxiety and Depression Scale HADS (14 Items)
(Ängstlichkeit / Depressivität)
Brief Patient Health Questionnaire PHQ-D (15 Items)
(Major Depression / Panikstörung)
11
Screenergüte
(ROC-Analyse, Erkennen aktueller depressiver Störung)
HADS
GHQGHQ-12
Sensitivity
100
HADS
GHQ-12
80
AUC
.80
.75
60
Sensitivität (%)
Cut-off
79
17
93
2
40
Spezifität (%)
Cut-off
76
17
49
2
20
PPV (%)
69
55
0
Reuter K, Härter M. Int J Meth Psychiatr Res 2001; 10:86-96
0
20
40
60
80
100
100-Specificity
Screening
2-Fragen
Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen,
traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und
Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?
Werden beide Fragen mit „Ja“ beantwortet,
sollten die Diagnosekriterien erfragt werden
12
Patienten mit psychischen Störungen
48%erkannt
53% der Patienten mit
korrekten Diagnosen
(= 1/4 aller Patienten)
52%nicht erkannt
53% Empfehlung
poststationärer spezifischer
Maßnahmen
Härter, Bengel et al. Arch Phys Med Rehabil 2004; 87:1192-1197
Diagnostische Abgrenzung, u. a.
Anpassungsstörung
Depression
Generalisierte Angststörung
Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS)
Funktionelle Störung, Neurasthenie
Somatoforme Störung
….
13
Aufgaben der Psychologie
in der Rehabilitation
Beratung und Krisenintervention
Partner- und Angehörigenberatung
Gesundheitsförderung und Prävention
Entspannung und Stressbewältigung
Patientenschulung und Psychoedukation
Spezielle Interventionen: Schmerztherapie
…..
Workshop „Psychische Störungen in der medizinischen Rehabilitation“ / 23. März 2001
Psychologische Diagnostik
bei somatisch kranken Personen
• Subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität
• Psychosoziale Belastungen, psychische Symptome und
Störungen
• Krankheitsverarbeitung und Laientheorie
• Personale und soziale Schutzfaktoren und Risikofaktoren
• Kognitive Funktion und psychophysiologische Reaktivität
• Gesundheits- und Krankheitsverhalten
• Funktionsfähigkeit im Alltag und im Beruf
• Berufliche Interessen, Fähigkeiten und Eignung
• Partnerschaft und soziales Umfeld
• Behandlungs- und Reha-Motivation
14
Zusammenfassung
Prozedere bei Diagnose psychischer
Störungen bekannt
Ungünstige Erkennens- und Behand-lungsraten
bei somatischen Krankheiten
Teilweise schwierige Differenzialdiagnostik
Teilweise subsyndromal, jedoch relevant
Vielfältige Aufgaben - zeitliches Problem
Speyerer Manifest – April 2004
Bei primär somatischen Krankheiten müssen wegen des
häufigen Auftretens komorbider psychischer Störungen
psychosoziale Belastungen routinemäßig gescreent und
ggf. diagnostisch abgeklärt werden.
Das therapeutische Angebot muss sich an dem Bedarf
orientieren, der sich aufgrund der individuellen
Problemlagen der Patienten ergibt.
Die Behandlung in somatisch orientierten
Rehabilitationseinrichtungen sollte geeignete Angebote
für psychisch belastete Patienten beinhalten
15
Konsequenzen
Fokus auf psychische Belastungen und Störungen
Einsatz von Screeninginstrumenten
Wenn möglich Differenzialdiagnostik nach Screening
Erfassung der Behandlungsmotivation
Abgestufte verhaltensmedizinische Programme
Motivation zu einer Leitlinienorientierten Therapie
Diagnosen und Therapieempfehlungen im Entlassbericht
Motivation zur ambulanten oder stationären Weiterbehandlung
16
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