Wie gelangt das Hepatitis A-Virus in die Leber?

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Habilitierte stellen sich vor
Wie gelangt das Hepatitis A-Virus in die Leber?
Andreas Dotzauer, Institut für Virologie, Universität Bremen
Der hauptsächliche Replikationsort eines
Virus ist meist ein Gewebe, das im Infektionsweg des Virus lokalisiert ist. Viren, die
wie Rotaviren, Adenoviren oder Polioviren
über den fäkal-oralen Infektionsweg übertragen werden, gelangen nach der oralen
Aufnahme über den Magen in den Darm, wo
sie sich in Zellen des Intestinaltraktes vermehren. An diesem primären Replikationsort kommt es zur Produktion einer riesigen
Menge an Virusnachkommen, die mit den
Feces ausgeschieden werden und dann auf
neue Wirte übertragen werden. Die Lage
dieses primären Replikationsortes direkt im
Infektionsweg erleichtert den Viren das Erreichen ihrer Produktionsstätten sowie den
Eintritt der Virusnachkommen in den Infektionsweg.
Anders verhält sich das Hepatitis A-Virus
(HAV), der Erreger der durch Nahrungsmittel und Trinkwasser übertragenen Hepatitis.
Der einzige gesicherte Replikationsort dieses ebenfalls auf dem fäkal-oralen Infektionsweg übertragenen Virus ist die Leber.
Damit nutzt HAV, ein Picornavirus[1], auf seinem Weg durch den Wirtsorganismus nicht
den direkten Weg durch den Gastrointestinaltrakt mit einer Vermehrung im
Dünndarm, sondern zweigt im Dünndarm
von seinem Weg ab und nimmt einen Umweg über die Leber, von wo es mit der Gallenflüssigkeit wieder zurück in den Intestinaltrakt gelangt.
Die Mechanismen, durch die HAV aus
dem Intestinaltrakt in den Blutstrom eintritt,
die Leber erreicht und die Hepatocyten er-
kennt sowie in diese einzudringen vermag,
sind nicht bekannt. Bisher wurden keine
Hypothesen entwickelt, die erklären können, wie HAV zur Leber gelangt und dabei
einige besondere Merkmale der HAV-Infektion berücksichtigen. Obwohl sich eine
ganze Reihe von Zellen, die nicht der Leber
entstammen, mit HAV in Zellkultur infizieren lassen[2, 3, 4], konnte bisher keine extrahepatische Replikationsstelle für HAV im
Organismus eindeutig identifiziert werden.
Untersuchungen an Tiermodellen – hier
wurden Meerschweinchen als Alternative zu
Primaten verwendet[5] – zeigten, dass auch
an der Eintrittsstelle von HAV in den Organismus, dem Darmgewebe, keine wesentliche Replikation stattfindet, die die geringe
Menge an eingedrungenem Virus für die
weitere Ausbreitung zur Leber erhöht. Die
Anzahl an Virionen, die die Leber erreicht,
kann noch zusätzlich durch die Eigenschaft
der Viruspartikel, in ungewöhnlichem Ausmaß unspezifisch an Debris und extrazelluläres Material zu binden, reduziert werden.
Auf dem Weg vom Darmlumen zur Leber
liegen damit zusätzlich zu den normalen Abwehrmechanismen des Wirts Gegebenhei-
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Die IgA-Carriermechanismus-Hypothese der HAV-Infektion. Das Hepatitis A-Virus wird auf dem fäkaloralen Weg übertragen. Es gelangt ohne Vorvermehrung im Dünndarm zur Leber, dem einzigen Ort, an
dem die Virusnachkommen produziert werden. Die Assoziation von Virionen mit HAV-spezifischem IgA,
das im Mucosa-assoziierten Lymphgewebe synthetisiert wird, unterstützt den Transport von HAV zur
Leber zielgerichtet. Die Infektion der Leber durch HAV/IgA-Immunkomplexe erfolgt durch Vermittlung
des Asialoglykoprotein-Rezeptors der Hepatocyten. Die Virusnachkommen gelangen über die
Gallenflüssigkeit wieder zurück in den Dünndarm, von wo aus sie ausgeschieden werden. Virionen, die
bereits auf dem Weg zur Ausscheidung über die Feces sind, können durch die Bildung von HAV/IgAKomplexen im Darm und damit trotz der Anwesenheit neutralisierender IgG-Antikörper im Blut ihren
Weg zurück zur Leber finden.
ten vor, die gegen ein Erreichen der Leber
durch HAV in ausreichenden Mengen sprechen.
Daher wurde als Ausgangspunkt der dargestellten Arbeit vermutet, dass HAV durch
einen besonderen Mechanismus, der den
strikten Hepatotropismus hervorruft und die
erfolgreiche Infektion der Leber gewährleistet, gezielt zur Leber transportiert wird[6].
Beim Eintritt von HAV aus dem Darmlumen
in die Blutbahn kommt es trotz der fehlenden Replikation im Darmgewebe zur Bildung größerer Mengen an HAV-spezifischen
Immunglobulin A-Antikörpern (IgA), die
in das Blut abgegeben werden[7]. Da die Leber eine zentrale Rolle im IgA-Metabolismus einnimmt, indem sie sowohl IgA als
auch Antigen/IgA-Immunkomplexe aus
dem Organismus eliminiert[8], wurde folgende Arbeitshypothese aufgestellt: IgA fun-
giert als Carrier für HAV zur Leber und vermittelt dessen Aufnahme in Hepatocyten[6].
Aus den bisher vorliegenden experimentellen Befunden lässt sich folgendes Szenario mit einem IgA-Carriermechanismus rekonstruieren (siehe Abbildung): Durch eine
Akkumulation von HAV im Gastrointestinaltrakt kommt es durch Kontakt des Virus
mit dem Mucosa-assoziierten Lymphgewebe zu einer außergewöhnlich schnellen und
starken Stimulation der HAV-spezifischen
IgA-Produktion. Viren, die mit diesen
IgA-Molekülen assoziieren, können als
HAV/IgA-Immunkomplex gezielt zur Leber
transportiert werden. Untersuchungen an
verschiedenen Hepatocyten-Zelllinien sowie an primären humanen Hepatocyten
zeigten, dass die Leber über den Asialoglykoprotein-Rezeptor (ASGPR) der Hepatocyten mittels HAV/IgA-Komplexen mit
HAV infiziert werden kann[6, 9]. Auch
HAV/IgA-Komplexe, die bei der Übertragung oral aufgenommen werden, können
über Transcytosemechanismen des Darms
den Blutstrom erreichen[10] und schließlich
zur Infektion der Leber mit HAV führen.
Durch diesen IgA-Carriermechanismus
kann, bei gleichzeitiger Blockade der Anheftung von HAV an andere Zelltypen und
anderes Material, die HAV-Infektion der
Leber unterstützt werden – durch ein Molekül, das eigentlich zur Neutralisation von
viralen Infektionen konstruiert ist. So könnte auch die fehlende primäre Replikation im
Darmgewebe kompensiert werden.
Dieser Mechanismus könnte eine entscheidende Rolle bei den durch mehrere
Rückfälle charakterisierten Krankheitsverläufen[11] mit ihren kaskadenartig auftretenden Neuinfektionen und ihren bisher nicht
geklärten Ursachen spielen[6]. Viren, die
über die Gallengänge auf dem Weg zur Ausscheidung aus dem Organismus über die Feces sind, komplexieren im Darm mit HAVspezifischen IgA-Antikörpern, die während
des ersten Kontaktes mit dem Virus synthetisiert und in den Intestinaltrakt freigesetzt
wurden (siehe Abb.). In dieser Phase der
Krankheit erfolgt bereits die Eliminierung
von HAV durch HAV-spezifische IgG-Antikörper und cytotoxische T-Zellen (CTL)[12].
HAV kann jedoch, trotz der Anwesenheit
von neutralisierenden IgG-Antikörpern im
Blut, durch die Nutzung des IgA-Carriermechanismus erneut seinen Weg zurück zur
Leber finden und die Produktion von Virusnachkommen für eine begrenzte Zeit
weiterhin aufrecht erhalten (siehe Abb.). Bis
zur Unterbrechung dieser Reinfektionskaskaden, möglicherweise durch Verdrängung
des IgA aus dem HAV-Immunkomplex
durch IgG mit zunehmender Bindungsstärke (Avidität)[6], würde HAV durch weitere
Replikationsrunden seine Chancen für eine Transmission auf einen neuen Wirt erhöhen.
Auch der altersabhängige Schweregrad
der Krankheit könnte mit dem IgA-Carriermechanismus im Zusammenhang stehen.
Das vollständige Wirkpotenzial der IgA-Immunreaktionen ist erst mit Erreichen der Pubertät abgeschlossen, sodass eine Unterstützung der HAV-Infektion durch IgA-Mo-
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leküle erst bei Jugendlichen und Erwachsenen in vollem Umfang zum Tragen kommt
und die Krankheitssymptome verstärkt.
[5] Hornei, B., Kämmerer, R., Moubayed, P.,
Frings, W., Gauss-Müller, V., Dotzauer, A. (2001):
Danksagung
[6] Dotzauer, A., Gebhardt, U., Bieback, K.,
Göttke, U., Kracke, A., Mages, J., Lemon, S. M.,
Vallbracht, A. (2000): Hepatitis A virus-specific im-
Mein Dank gilt meinen Lehrern Dr. Stephen M. Feinstone, Dr. Günther Keil und
Frau Prof. Dr. Angelika Vallbracht sowie
meinen Kollegen, mit denen ich an den verschiedenen Forschungseinrichtungen zusammengearbeitet habe.
Experimental hepatitis A virus infection in guinea pigs.
J. Med. Virol. 64: 402–409.
munoglobulin A mediates infection of hepatocytes with
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J. Virol. 74: 10950–10957.
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[3] Dotzauer, A., Feinstone, S. M., Kaplan, G.
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[4] Frings, W. and Dotzauer, A. (2001): Adaptation
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[8] Brown, T. A., Russel. M. W., Mestecky, J.
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Res. 26: 5230–5232.
[10] unveröffentlicht
Literatur
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83–89.
[7] Naudet, G. C. (1988). Ph.D. thesis. Medical Faculty
of the University of Tübingen, Tübingen, Germany.
Andreas Dotzauer
geboren 1960. Studium
der Biochemie
1981–1988 in Tübingen.
Promotion 1991 bei
Prof. Dr. Angelika Vallbracht am HygieneInstitut der Universität
Tübingen und an der
Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen. Seit 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent am Institut
für Virologie der Universität Bremen.
1991–1994 Forschungsaufenthalt bei Stephen
M. Feinstone an den
National Institutes of
Health (NIH), USA.
2001 Habilitation für
das Fach Virologie.
[11] Glikson, M., Galun, E., Oren, R., Tur-Kaspa,
R., Shouval, D. (1992): Relapsing hepatitis A. Review of
14 cases and literature survey. Medicine 71: 14–23.
[12] Vallbracht, A., Maier, K., Stierhof, Y.-D.,
Wiedmann, K. H., Flehmig, B., Fleischer , B.
(1989): Liver-derived cytotoxic T cells in hepatitis A virus
infection. J. Infect. Dis. 160: 209–217.
Korrespondenzadresse:
PD Dr. Andreas Dotzauer
Institut für Virologie
Universität Bremen
Leobener Str. / UFT
D-28359 Bremen
Tel.: 0421-218 4354
Fax: 0421-218 4266
[email protected]
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