P O L I T I K MEDIZINREPORT HIV-Infektion Kinderwunsch und Schwangerschaft Therapieverbesserungen und ein geringes Transmissionsrisiko stellen die Gynäkologen vor eine neue Problematik. A ngesichts steigender Zahlen von Frauen mit HIV-Infektion, verbesserter Therapiemöglichkeiten und einer vertikalen Transmissionsrate von unter fünf Prozent werden Gynäkologen zunehmend von betroffenen Frauen zu den Möglichkeiten einer Schwangerschaft befragt. Dr. Ralph Kästner (München) sprach sich bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie in Mainz dafür aus, den Wunsch nach einem Kind als legitim anzunehmen und der ambivalenten Patientin bei der Konfliktlösung Zeit zu lassen. Obwohl die HIV-Krankheit heute mit einer deutlich verbesserten Prognose einhergeht, reagiert die Gesellschaft weitgehend mit Ablehnung und Ausgrenzung der Betroffenen – speziell auch bei bestehendem Kinderwunsch: Kosten für eine assistierte Befruchtung müssen die Paare in der Regel selbst übernehmen, sofern sie eine Klinik finden, die die Behandlung übernimmt, oder aber nach Italien fahren. In Deutschland wagt sich bisher nur das Mannheimer Universitätsklinikum bei HIV-diskordanten Paaren (männlicher Part betroffen) an eine assistierte Fertilisation mit Strategien zur Vermeidung einer HIVInfektion bei heterologer Insemination Die Meldung, daß in Deutschland eine Frau wahrscheinlich durch HIV-infiziertes Sperma eines Spenders angesteckt wurde, wirft Fragen nach Kenntnis des Risikos und der Vermeidbarkeit auf (Lancet 1998; 351: 728). Hierbei ist nicht nur die Zeitspanne des diagnostischen Fensters (Zeit zwischen Infektion und Antikörperbildung) zu bedenken, die in der Regel zwei bis 14 Wochen betragen kann. HIV-Erreger im Sperma können nämlich auch mit nativem und kryokonserviertem Sperma übertragen werden, da nicht nur Spermien den Kryokonservierungsprozeß überleben, sondern auch Bakterien und Viren. Die Richtlinien zur künstlichen Befruchtung, die 1990 vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erstellt worden sind, betreffen ausschließlich die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung unter Ehepaaren. Sie besagen, daß beide Partner zum Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung HIV-negativ sein müssen. Zur heterologen Insemination fehlen hierzulande analoge Beschlüsse, obwohl sich der Deutsche Ärztetag bereits 1970 und der Deutsche Juristentag 1986 mehrheitlich für die Akzeptanz der therapeutischen Übertragung von Spendersperma bei Sterilität der Ehe und Infertilität des Mannes ausgesprochen hatten. Um diese Lücke zu schließen, hat der Arbeitskreis für donogene Insemination zur sicheren Vermeidung einer Übertragung von HIV-Erregern folgende Empfehlungen ausgesprochen: 1. Die Verwendung von frischem Spender-Sperma ist nicht zulässig. aufbereiteten Spermien nach Kryokonservierung und PCR-Testung. Um die ethischen und juristischen Konsequenzen zu klären, wurde in Berlin zu dieser Problematik die Ethikkommission eingeschaltet. Dr. Friederike Siedentopf (Berlin) wertete die assistierte Fertilisation bei HIV-diskordanten Paaren als ethisch vertretbar – allerdings in Abhängigkeit von der individuellen Situation des Paares. Ist dagegen die Frau infiziert, scheint ein unausgesprochener Konsens zur Nichterfüllung des Kinderwunsches zu bestehen – wenn keine natürliche Zeugung möglich ist. Ist die Konzeption bereits erfolgt, drängen Gesellschaft und teilweise auch Ärzte auf einen Abbruch. Nach den Erfahrungen an der Münchener Universitäts-Frauenklinik sind Schwangerschaften bei HIV-infizierten Frauen nicht selten: Mehr als 200 Fälle überblickt das Team inzwischen, erklärte Kästner. Mehr als die Hälfte wurden im Zusammenhang mit einer Gravidität eingewiesen, 14 Prozent aufgrund von Zyklusstörungen, acht Prozent zur Interruptio. Zwei Drittel der Frauen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. 2. Der Samenspender wurde vor der ersten Samenprobe auf HIV-Antikörper untersucht. Weitere Kontrollen erfolgen in regelmäßigen Abständen alle sechs Monate. 3. Die donogene Insemination darf nur mit kryokonserviertem Sperma erfolgen, das eine Quarantänezeit von mindestens 180 Tagen gelagert wurde, wenn der Spender auch nach Ablauf der Quarantänezeit frei von HIV-Antikörpern geblieben ist. Bezüglich der Vortestung der Ehegatten auf HIV-Antikörper fordert die Richtlinie die „konsequente Einhaltung der Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes vom 13. Dezember 1990 und der weiteren gesetzlichen Bestimmungen“. Zu den Behandlungsgrundsätzen des Arbeitskreises für donogene Insemination gehört auch, daß die „gesetzlichen und berufsethischen Bestimmungen und Maßnahmen der künstlichen Befruchtung . . . sinngemäß auch für die heterologe Insemination“ gelten. Prof. Dr. med. Erwin Günther Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 39, 25. September 1998 (31) A-2379 P O L I T I K MEDIZINREPORT Beim Gespräch mit diesen Frauen ist generell ein klinischer Psychologe anwesend, vier von zehn Frauen nehmen das Angebot einer regelmäßigen Betreuung an. Die Frauen schwanken bei der Beratung zwischen Furcht und Hoffnung – Furcht vor einer Verschlechterung des Immunstatus, vor einem frühen Tod und vor einer Weitergabe der Infektion an das Kind. Andererseits ist diese Schwangerschaft vielleicht die letzte Möglichkeit, „etwas“ von sich weiterleben zu lassen. Aufgrund dieser extremen Ambivalenz, aber auch der teilweise belastenden Vergangenheit der Frauen (broken home, sexueller Mißbrauch) rät Kästner zu verstärkter Zuwendung und Zeitgabe in der Beratung. Seit in München die Graviden während Schwangerschaft und Geburt – primäre Sectio ohne Wehen – antiviral behandelt werden, nicht stillen und das Kind ebenfalls einer Medikation unterzogen wird, ist die vertikale Transmissionsrate von über 20 auf unter fünf Prozent gesunken; infolgedessen ist die Zahl der Abbrüche deutlich zurückgegangen. Bei 25 Geburten nach diesem Schema ist kein Kind infiziert worden. In einem Kooperationsprojekt der Zentren Berlin, Frankfurt, Hamburg, Mannheim und München wurde dank der Gefahrenminimierung nur eines von 98 Kindern HIV-positiver Mütter infiziert; möglicherweise ist über eine Kombinationstherapie eine Rate von einem Prozent zu erreichen. Das Risiko ist bei optimaler Betreuung damit zwar geringer als vor Jahren, aber bleibt bestehen. Deshalb wird nirgendwo eine Kinderwunschbehandlung bei HIV-infizierten Frauen angeboten. Der Thematisierung dieser Problematik werden sich Ärzte, Paare und die Gesellschaft bei weiter anhaltenden Therapieerfolgen für die HIVinfizierten Frauen und einer weiteren Reduktion des Transmissionsrisikos stellen müssen – und sich damit mindestens ebenso intensiv auseinandersetzen wie mit dem Kinderwunsch von Paaren, bei denen der Mann an einem fortgeschrittenen Karzinom erkrankt ist. Dr. Renate Leinmüller Erfahrungen zur Insemination bei HIV-infiziertem männlichen Partner Anlagerung und Eintritt von HIV in die Zellen des menschlichen Organismus: HIV besitzt auf seiner Oberfläche zwei Glykoproteine, das extrazelluläre gp120-Molekül und das transmembranäre gp41-Molekül. a) Mit Hilfe des gp120-Moleküls „dockt“ HIV an den CD4-Rezeptor der humanen Zelle an. b) Während der Interaktion mit dem CD4-Rezeptor erfährt das gp120-Molekül Konformationsänderungen, die es einem Korezeptor der menschlichen Zelle erlauben, sich an HIV zu binden. Weitere Veränderungen führen zur Exposition des gp-41Moleküls, welches die Fusion zwischen dem Virus und der Zellmembran initiiert. c) Nach der Fusion tritt der Viruskern in das Zytoplasma der menschlichen Zelle ein. Schema: Roche Für Paare mit Kinderwunsch, bei denen der Mann HIV-infiziert ist, stellt die Insemination mit aufbereitetem Sperma eine relativ sichere Methode dar. „Ein Restrisiko ist jedoch nicht völlig auszuschließen“, so Dr. Augusto Semprini (Mailand) bei der 14. Jahrestagung der European Society of Human Reproduction und Embryology in Göteborg. Semprini vertrat die Auffassung, eine weitere Minimierung durch den Einsatz der Mikroinjektion sei angesichts der hohen Kosten nicht vertretbar und nicht notwendig. Vor der Insemination überprüft er die aufbereiteten Spermien mit der NASBA-Methode, die HIV ab einer Untergrenze von 800 Kopien pro Milliliter nachweist. Seit der Geburt des ersten nichtinfizierten Kindes mit Hilfe dieser Methode verzeichnet Semprini jährlich rund 5 000 Anfragen, und dies nicht nur aus Italien. Der Reproduktionsmediziner gab offen zu, daß der experimentelle Beweis für die HIV-Inte- A-2380 (32) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 39, 25. September 1998 gration in Spermien höchst kontrovers diskutiert wird. Bei den Patienten sei das Virus zwar im Keimepithel, nicht jedoch in Spermien selbst nachgewiesen worden. Unbedingt notwendig vor der geplanten Therapie ist nach seinen Erfahrungen eine Sanierung des Genitaltraktes, wo er zu 47 Prozent Infektionen feststellen konnte. Bei inzwischen rund 500 Paaren und über 1 500 Inseminationszyklen konnte Semprini 224 Schwangerschaften induzieren, dies entspricht einer Rate von 14 Prozent. Keines der 206 Kinder und keine der Mütter sei bei diesem Vorgehen HIV-infiziert worden, erklärte er in Göteborg. Er teilt den hilfesuchenden Paaren mit, daß ein gewisses Restrisiko bei dieser Methode nicht auszuschließen ist. „Es ist aber nachweislich sicherer als der zeitlich geplante Geschlechtsverkehr mit natürlicher Konzeption.“ Denn hierbei sind in einem Kollektiv von nur 100 Paaren immerhin vier Infektionen dokumentiert. Lei