Fertilität und Sexualität nach chemotherapie Uropfleger kongress Davos 03/07 Dr. Alain Bitton FMH für Urologie Genf Wichtige urologische Karzinome nach ihrer Häufigkeit Prostatakarzinom Blasenkarzinom Nierenkarzinom Hodenkarzinom “I always had the size difference there, but I didn’t know…I would’ve still been waiting if it hadn’t started hurting, it just got so painful I couldn’t sit on my bike anymore.” -Lance Armstrong Hodentumor Hodentumore sind die häufigste bösartige Tumorerkrankung des jungen Mannes im Alter zwischen 20 und 40 Jahren und gleichzeitig eine der am besten heilbaren Tumorerkrankungen. Spätestens seit Lance Armstrong 3 Jahre nach Überstehen seiner Hodentumorerkrankung, die vor Beginn der Therapie schon ausgedehnte Absiedlungen in der Lunge und im Gehirn gebildet hatte, die Tour de France gewonnen hat, ist dies auch breiter bekannt. Herkunft und Früherkennung Der Tumor geht von den Keimzellen des Hodens aus. Je nachdem welche Hodenzelle in welchem Entwicklungsstadium tumörös entartet, können histologisch verschiedene Tumoren entstehen: Seminom ausgehend von einem Spermatozyten oder von einer unreifen Keimzelle, Embryonales Karzinom ebenfalls ausgehend von einer unreiferen Keimzelle, reifes bzw. unreifes Teratom und Teratokarzinom bei embryonaler Differenzierung und Chorionkarzinom oder Dottersacktumor bei extraembryonaler Differenzierung). Besteht der Verdacht auf einen Hodentumor, kann der Urologe durch Untersuchung, Ultraschall und Bestimmung von Tumormarkern in einer Blutprobe diesen Verdacht entkräften oder erhärten. Tumormarker: - LDH - alpha-Foetoprotein - Beta- HCG Stadieneinteilung Man unterscheidet vereinfacht 3 Tumorstadien : Stadium I A-C ist der Tumor auf den Hoden bzw. das umliegende Gewebe beschränkt, Stadium II sind Lymphknotenmetastasen unterhalb des Zwerchfells feststellbar (A: <2cm, B: 2-5 cm, C: >5 cm oder Tumorinvasion der Venen, D: Tastbarer Abdominaltumor (>10cm) oder Resttumor nach Lymphadenektomie) Stadium III gibt es Metastasen oberhalb des Zwerchfells (0: positiver Tumormarker ohne sichtbare Metastasen, A: supraclaviculäre oder mediastinaler Lymphknotenbefall ohne Organmetastasen, B: nur Lungenmetastasen <5 <2cm bzw. >5 oder ein Herd > 2cm oder Pleuraerguß, C: Hämatogene Metastasen außerhalb der Lungen. Das Auftreten von Rückenschmerzen durch vergrößerte Lymphknoten im Bauchraum ist ein Zeichen für eine fortgeschrittenere Erkrankung. Da die Keimzellen im Laufe der Embryonalentwicklung erst in den Hoden wandern und unter Umständen auf dem Weg verbleiben und maligne entarten können, kann sich ein Keimzelltumor auch außerhalb des Hodens z.B. im Bauchraum oder in der Brust bilden und wird dann extragonadaler Keimzelltumor genannt. Behandlung Häufig muß zunächst der Ursprungstumor im Hoden (Primärtumor) durch eine Entfernung des Hodens (Orchidektomie) behandelt und der Tumor histologisch untersucht werden. Dazu wird der befallenen Hoden in Vollnarkose durch einen Schnitt in der Leiste entfernt und ggf. in der gleichen Operation eine Probe aus dem gegenüberliegenden Hoden entnommen. Spezielles und Probleme der Behandlung des Hodenkrebses Viele an Hodenkrebs erkrankte Männer weisen bereits vor Beginn einer Behandlung nicht normale oder eine verminderte Zahl an Spermien auf. Dies kann bereits Ursache einer Unfruchtbarkeit sein. Auch die vorgenannten Behandlungsmaßnahmen nehmen in unterschiedlichem Maße Einfluß auf die Zeugungsfähigkeit. Die Möglichkeit der Konservierung von Spermien des betroffenen Mannes vor dem Beginn der Behandlung sollte im Gespräch mit dem Arzt besprochen und ggfs. durchgeführt sein. Nebenwirkungen der Behandlung Jede Chemotherapie oder Radiatio schädigt männliche Keimzellen, wobei unklar ist, ob die Schädigung passager oder permanent sein wird Ursachen der Infertilität bei Krebspatienten Die Ursache der Infertilität kann die Krebserkrankung selbst sein, denn vom Hodenkarzinom wissen wir, dass Hodenkarzinome bei infertilen Männern 20fach häufiger vorkommen als bei normal Fertilen. Hauptsächlich ist es aber die Behandlung des Krebsleiden in Form einer zytostatischen Chemotherapie, weiters die Bestrahlungstherapie und letztlich auch die Radikalchirurgie im kleinen Becken und Retroperitoneum, die die Zeugungsfähigkeit beeinflussen. Ursachen der Infertilität bei Krebspatienten Chemotherapie und Bestrahlung wirken sich dosisabhängig auf die Spermiogenese aus und können je nach Dosis eine transiente oder dauerhafte Infertilität verursachen. Die Spermatogonien, die den Spermatogenese-Stammzellenpool bilden, sind resistenter als die in Reifung befindlichen Spermiogenesezellen, doch kann das Genom der Spermatogonien verändert werden. Ursachen der Infertilität bei Krebspatienten Beim Wiedereinsetzen der Spermiogenese nach der Karzinomtherapie lassen sich verstärkt Aberrationen an den Chromosomen nachweisen. Veränderungen des Genoms spielen auch bei jenen Patienten eine Rolle, bei denen die Spermiogenese noch teilweise erhalten blieb. Die beim Hodentumor eingesetzten Cisplatin- oder Bleomycin- hältigen Chemotherapieschemata haben erst in höherer Dosierung einen nachhaltigen negativen Einfluss auf die Fortpflanzungsfähigkeit. Ursachen der Infertilität bei Krebspatienten In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Spermiogenese nach zwei Zyklen Chemotherapie eines Hodenkarzinoms meist wieder in Gang kommt und mit keiner wesentlichen Reduktion der Zeugungsfähigkeit zu rechnen ist. Eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege ist in diesen Fällen möglich. Anders verhält es sich bei vier oder mehr Zyklen. Die Spermiogenese erholt sich – wenn überhaupt – nur sehr langsam, und die Prognose ist trotz der Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung meist schlecht. Ursachen der Infertilität bei Krebspatienten Ein radikalchirurgischer Eingriff im Becken kann sowohl die Erektions- als auch die Ejakulationsfähigkeit beeinträchtigen. Eine häufige Nebenwirkung der retroperitonealen Lymphadenektomie nach Hodentumoren ist die retrograde Ejakulation in die Harnblase. Verschiedene Umweltgifte/-faktoren können ebenfalls zu einer Beeinträchtigung der Spermiogenese und somit zur Infertilität führen: Starker Nikotinkonsum Cannabis, Heroin Pestizide, Herbizide, Fungizide, Schwermetalle, Kohlenwasserstoffe in der Lösungsmittelindustrie, Dioxin und andere. (Künzle,R. et al: Semen quality of male smokers and non-smokers in infertile couples. Fertil Steril 79,287-291,2003) Außerdem können auch chronische Wärmeexposition der Hoden (z.B. häufige Saunagänge) und permanente Exposition gegenüber Temperaturen über 35 Grad zu einer Schädigung der Spermienproduktion und somit zur Infertilität führen. Schließlich wurde auch eine Beeinträchtigung der Fertilität bei Übergewicht (Adipositas mit Body Mass Index-BMI > 30) und bei längeren Stresssituationen beschrieben. (Hjollund et al: Reproductive effects of male psychogenic stress.Epidemiology 15,21-27,2004) Behandlungsspektrum Abklärung der Fruchtbarkeit mittels Hodenbiopsie (Gewebsentnahme) und meist gleichzeitige Gewinnung von Spermien zum tieffrieren (Kryokonservierung) zwecks späterer Möglichkeit der assistierten Fertilisierung (ICSI, IVF). Hodenbiopsie Operative Spermatozoengewinnung Testikuläre Spermatozoen-Extraktionen = TESE Mikroskopische Epididymale Spermatozoen-Aspiration = MESA Perkutane Epididymale SpermatozoenAspiration = PESA (MESA und PESA nur bei obstruktiver Azoospermie) Kinderwunsch beim onkologischen Patienten: Welche Möglichkeiten gibt es? Nicht nur die Krebsbehandlungen haben sich weiterentwickelt, auch die Fortpflanzungsmedizin hat durch neue Methoden und Fortschritte in der künstlichen Befruchtung die Möglichkeiten zur Fortpflanzung bei eingeschränkter Zeugungsfähigkeit deutlich verbessert. Die Zeugungsfähigkeit bleibt bei Männern bis ins hohe Alter erhalten. Aus dieser Sicht muss man auch mit „älteren“ Männern die Folgen der Krebserkrankung sowie die Folgen der Therapie auf die Fortpflanzungsfähigkeit besprechen. Methoden der Reproduktionsmedizin Insemination: bei der Insemination werden die aus dem Sperma aufbereiteten Spermien zum Zeitpunkt des Eisprunges (Ovulation) der Frau mittels eines dünnen Katheters direkt in die Gebärmutter eingebracht. Für die von allen reproduktionsmedizinischen Methoden technisch am einfachsten und kostengünstigsten durchführbare Insemination kommen aber nur die Fälle in Betracht, bei welchen nur leichte Störungen der männlichen Fruchtbarkeit mit einer für diese Methode noch ausreichenden Spermienzahl (> 5-10 Mio./ml) vorliegen. Bei der Insemination findet die Befruchtung auf natürlichem Wege also im Mutterleib statt. Methoden der Reproduktionsmedizin In Vitro-Fertilisation (IVF): bei dieser Methode muss vorab immer eine hormonelle Stimulation der Frau erfolgen, durch welche es zum gleichzeitigen Heranreifen mehrerer befruchtungsfähiger Eizellen kommt. Die hierfür erforderlichen Hormone spritzen sich die Frauen mittels eines kugelschreiberähnlichen Injektionspens selbst. Das Heranreifen der Eizellen wird mittels Ultraschall überwacht, wobei dann die befruchtungsfähigen Eizellen mittels einer Nadel durch die Scheide aus den Eierstöcken (Ovarien) abgesaugt werden. Die gewonnenen Eizellen (je nachdem 2-5 Eizellen) werden dann mit den aufbereiteten Samenzellen in einer Reagenzschale zusammengebracht, wo dann die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen erfolgt. 2-3 Tage nach der Befruchtung werden dann die befruchteten Eizellen in die Gebärmutter mittels eines Katheters eingebracht. IVF nach chemotherapie Technik Die Ergebnisse der IVF bei schlechtem Ejakulatbefund haben sich mit der ICSI deutlich verbessert, und auch Männer mit ganz schlechten Ejakulatbefunden können erfolgreich behandelt werden. Wichtig bei der Behandlung von Krebspatienten ist die Aufklärung über die zu erwartenden Auswirkungen der Krebstherapie auf die Fertilität und das Anbieten der Kryokonservierung von Ejakulat. Methoden der Reproduktionsmedizin In prospektiven Studien hat sich hierbei gezeigt, dass bei Frauen unter 40 Jahren die Insemination von 4 und bei Frauen über 40 Jahren von 5 befruchteten Eizellen (Oocyten) die optimale Anzahl ist (Barclay,L. et al, Fertil Steril 84,1406-1410,2005, Ginsburg,E. et al, Fertil Steril 84,1637-1642,2005). Wurden bei Frauen über 40 weniger als 5 Embryos transferriert, betrug die Schwangerschaftsrate 19,1 % und die Baby take home Rate nur 4,3 %. Wurden hingegen 5 Embryos transferriert, stieg die Schwangerschaftsrate auf 40,1 % und die Baby take home Rate auf 22,6 % an. Bei mehr als 5 transferrierten Embryos lagen die korrespondierenden Zahlen bei 47,4 % und 22,3 % (Ginsburg,E. et al, Fertil Steril 84,1637-1642,2005). ICSI