Jaycee hat zwei Väter und drei Mütter Einen Namen hat er nicht. Vielleicht heißt er Jimmy, wie viele Amerikaner. Jedenfalls war er ein ganz süßes Kind und auf der Universität gehörte er zu den Besten. Schon früh konnte er zehn Patente vorweisen und wurde als Computerfachmann ein gefragter Experte. Er ist überhaupt sehr gebildet. Heute ist Jimmy ein erwachsener Mann und will sein Sperma weitergeben. Weil er ein so guter Mensch ist und möchte, dass die Welt ein bisschen besser wird. Dies, so verkündet er im Internet, mache nämlich sehr viel glücklicher als alle Erfindungen und wissenschaftlichen Errungenschaften seines ganzen Lebens zusammen. Gratis und völlig selbstlos bietet Jimmy seine perfekten Erbanlagen feil - dass er genetisch auf alle möglichen Krankheiten getestet ist, versteht sich von selbst. Möglichst viele Kinder sollen von diesen gesunden Genen profitieren können, sollen die Chance haben, seine grünen Augen, seine braunen Haare oder seinen zarten Teint zu erben. Und wenn sie mit anderen Rassen gemischt werden, dann gibt das besonders entzückende Exemplare, meint er. Einen chinesischen Mischling beispielsweise kann er schon präsentieren. Wer sich dafür interessiert, kann Fotos der erfolgreichen Produktion per E-Mail anfordern (www.freedonr.com). Jimmy ist kein Einzelfall. Das Internet ist voll von Samenspendern, die auf eigenen Webseiten oder im Katalog der Samenbanken ihr Erbgut anbieten. Sie können meist auf einen lückenlos „reinen“ Stammbaum zurückblicken und sind durchweg schön, intelligent und sportlich; zahllose Fotogalerien machen die Wahl zur Qual. Wer bei seinen Nachkommen allerdings ganz auf Nummer sicher gehen will, kann sich bei einer kalifornischen Samenbank den Samen eines Nobelpreisträgers, eines Spitzensportlers oder eines erfolgreichen Künstlers kaufen. Auch die Erbanlagen von Musikern sind in den USA sehr begehrt. Per Netz ist alles möglich - das Vorstellbare und auch das nicht mehr Vorstellbare. Für mit der Würde des Menschen nicht mehr vereinbar halten Kritiker die Samenspenden von bereits verstorbenen Männern. So ist es in den USA beispielsweise erlaubt, toten Männern oder Patienten im Koma Samen zu entnehmen. Eine Sonde wird in den Anus des potenziellen Spenders geschoben und mit Hilfe eines Elektroschocks wird er ein letztes Mal zu Orgasmus und Ejakulation gezwungen - ob er das gewollt hätte oder nicht, ist nach amerikanischem Recht unerheblich. Die Frauen, die eine solche Spende veranlassen, scheinen keine moralischen Probleme zu haben. Sie wollen schlicht ein Kind des geliebten Menschen. Tränenüberströmt erklärte eine Betroffene, sie wollte doch nur die Leere, die der Tod hinterlassen habe, mit neuem Leben füllen. Mehr als zwanzig solcher Fälle sind in den USA bereits bekannt. Samen und Eizellen sind zu Ressourcen geworden Im Land der unbegrenzten Fortpflanzungsmöglichkeiten ist vieles möglich. Mit Fortpflanzung im biologischen Sinne hat dies nicht mehr viel zu tun: Samen und Eizellen sind zu Ressourcen geworden, die es zu nutzen gilt und die fast willkürlich außerhalb des Körpers verschmolzen werden können. Frei nach dem Motto: Man nehme eine befruchtungsfähige Eizelle und ein potentes Spermium, vereinige beide und suche eine geeignete Gebärmutter. Denn bis heute bedarf es einer Frau, um ein Kind auszutragen. Eizelle, Spermium und Gebarmutter müssen jedoch in keinerlei Beziehung zueinander stehen. Da gibt es etwa die sozialen Eltern, beide unfruchtbar, die sich Ei- und Samenzelle von Spendern kaufen und den so entstandenen Embryo in eine Leihmutteer übertragen lassen. Im Extremfall kommt dabei ein Kind auf die Welt, das zwei Väter und drei Mütter hat: den sozialen Papa, der das Kind erzieht und den biologischen Vater, der sein Erbgut gespendet hat. Bei den Müttern wird es noch komplizierter. Da ist einmal die soziale Mama, die das Kind nach der Geburt in ihre Arme schließt, dann ist da die biologische Mutter, die es ausgetragen hat und schließlich die genetische, die ihre Eizellen für den Nachwuchs hergegeben hat. Die Verwandtschaftsverhältnisse werden damit undurchschaubar. Auch für amerikanische Gerichte sind die rechtlichen Grundlagen, die aus der neuen Reproduktionsmedizin resultieren, Neuland. Nicht selten sehen sich Richter mit sozialen, genetischen und biologischen Vätern und Muttern konfrontiert und müssen entscheiden, welche der fünf beteiligten Personen denn nun für das Kind verantwortlich ist. Der erste Fall komplizierter Verwandtschaftsverhältnisse wurde vor drei Jahren in Kalifornien gelöst: Jaycee Louise Buzzanca heißt das Mädchen mit drei Müttern und zwei Vätern. Jaycee wurde von John Buzzanca und seiner Frau Luanne, beide unfruchtbar, in Auftrag gegeben. Ei- und Samenzellen stammen von anonymen Spendern, und eine bezahlte Leihmutter hat Jaycee Louise schließlich ausgetragen. Doch leider haben sich John und Luanne während der Schwangerschaft der Leihmutter getrennt, und in einem zweijährigen Gerichtsverfahren musste geklärt werden, wer für den Unterhalt des kleinen Mädchens zahlen soll. John Buzzanca weigerte sich, er sei schließlich nicht der richtige Vater des Mädchens, das von Luanne erzogen wird. Im ersten Verfahren stimmte der Richter John Buzzanca zu: Das Gericht beschloss zunächst, Jaycee Louise habe gar keine Eltern. Recht schnell wurde den Richtern jedoch klar, dass dies kaum ein zukunftsweisendes Urteil sein könnte und ein Berufungsgericht urteilte schließlich, dass nicht länger die genetische Abstammung ausschlaggebend für die Elternschaft sei, sondern die sozialen Verhältnisse. Damit sind nun John und Luanne Buzunca die rechtmäßigen Eltern von Jaycee Louise, auch wenn sie das gar nicht mehr sein wollen (www.inciid.org/buzzanca-case.html). Nicht nur die kaum mehr durchschaubaren Verwandtschaftsbeziehungen beschäftigen inzwischen die Gerichte, wenn es um Reproduktionsmedizin geht. Auch die auf Vorrat produzierten Embryonen, die weltweit zu hunderttausenden in Eistruhen lagern, sind im Prinzip mutter- und vaterlos. Und wer entscheidet, was mit diesen so genannten Frosties geschieht? Werden sie für die Forschung oder zur Adoption freigegeben? Oder werden sie, wie es heute üblich ist, nach einigen Jahren einfach weggeworfen? Wem gehören diese tiefgefrorenen Zellen? In Deutschland genießt der Embryo einen hohen gesetzlichen Schutz. Es dürfen maximal drei Eizellen im Reagenzglas befruchtet werden, und sie müssen alle wieder zurück in den Körper, dem sie entnommen wurden. Leihmütter gibt es in Deutschland nicht. Als limitierender Faktor in der Reproduktionsmedizin gelten derzeit noch die Frauen: denn ganz so einfach wie Samenzellen und befruchtete Embryonen sind die weiblichen Eizellen nicht zu handhaben. Sie können nicht so problemlos und endlos lange eingefroren werden. Außerdem sind Eizellen relativ aufwendig zu gewinnen: Die Produktion der Eier im Eierstock muss mit einem komplizierten und sehr starken Hormoncocktail auf Touren gebracht werden. Die Prozedur ist für die Frauen extrem belastend, starke Nebenwirkungen sind an der Tagesordnung. Der Markt an Eizellen-Spenderinnen ist daher noch vergleichsweise klein - allerdings mit steigender Tendenz. Denn um neue Spenderinnen zu rekrutieren, die die belastende Prozedur über sich ergehen lassen, zahlen amerikanische Fertilitätskliniken oder private Unternehmen immer mehr: So bietet etwa die Firma Egg Donation in Beverly HiIIs bis zu 10.000 Dollar als Entschädigung für die "geopferte Zeit und auftretende Unannehmlichkeiten während der Eizellenspende“ und machen diese vor allem für junge Frauen zu einer vermeintlich einfachen und guten Einnahmequelle (www.eggdonor.com). Auf diese Weise finanzieren sich immer mehr junge Amerikanerinnen oder ausländische Studentinnen ihr Leben. Und nicht selten können die vererbbaren Reize junger, spendewilliger Damen inzwischen auch auf privaten Homepages begutachtet werden: Mit Weichzeichner abgetönt und leicht pornografisch animieren Fotomodelle oder solche, die es gerne wären, zur Fortpflanzung - wer möchte, kann die Eizellen der Schönen meistbietend ersteigern. Möglicherweise ist die Reproduktionsmedizin aber bald unabhängig von der teuren, und nebenwirkungsreichen Prozedur der Entnahme weiblicher Zellen. Weltweit arbeiten Wissenschaftler daran, Eizellen zu gewinnen und zu züchten, ohne dass Frauen Mühsal leiden müssen. Sie versuchen so genannte Oocyten, also unreife Eizellen, außerhalb des Körpers reifen zu lassen. Wenn dies gelingt, dann wäre für Eizellen ohne Limit gesorgt und die gesamte Reproduktionsmedizin wäre vermutlich sehr viel günstiger als bisher. Allerdings könnte dies für weitere ethische Probleme sorgen. Im Extremfall könnten dann nämlich Kinder geboren werden, deren Mütter niemals gelebt haben. Bereits wenige Wochen nach der Befruchtung ist in einem weiblichen Embryo der gesamte Vorrat an Eizellen für den Rest des Lebens angelegt - in millionenfacher Ausgabe. Wenn diese Föten abgetrieben werden oder durch eine Fehlgeburt abgehen, könnte man theoretisch und sicherlich bald auch praktisch die winzigen Eierstöcke mit den Oozyten entnehmen, die unreifen Eizellen reifen lassen und für eine potenzielle Befruchtung einfrieren. Kinder aus diesem Reservoir hätten dann tatsächlich genetische Mütter, die selbst niemals gelebt hätten. Im Tierversuch ist dies schon gelungen. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass aus den Genen eines Physik-Nobelpreisträgers ein brillanter Physiker hervorgeht, doch künftige Eltern, die ein kleines Genie erzeugen wollen, sind logischen Argumenten nicht zugänglich. Es gibt immer wieder Klagen, in denen sich unzufriedene Mütter und Väter über ihren "fehlerhaften" Nachwuchs beschweren. So entwickelte sich aus den Genen eines mathematischen Preisträgers beispielsweise ein langhaariger, Gitarre spielender Student der Religionswissenschaft, der seine erwartungsvollen Eltern mit seinen weltoffenen Plänen an den Rand des Wahnsinns treibt. In den USA enden solche Klagen nicht selten vor Gerichten. Bei der Wahl des Geschlechts hingegen können Eltern sicher sein, wenn man den Werbeseiten des amerikanischen Unternehmens Microsort glaubt. Dort wird jedenfalls zugesichert, dass mit Hilfe genetischer Tests die Spermien des Mannes für männliche und weibliche Nachkommen sortiert werden können. Momentan nutzt man die Erkenntnisse der Vererbungslehre vor allem dazu, Erbkrankheiten ausfindig zu machen. Das Verfahren zur Ermittlung von genetischen Fehlern heißt Präimplantationsdiagnostik (PID). Sicherheit gibt es allerdings nur bei einigen wenigen Erbkrankheiten, die durch ein einziges defektes Gen verursacht werden. Die meisten Erkrankungen jedoch beruhen auf mehreren Genen. Dafür jedoch ist die PID nicht genau genug. Je präziser die Möglichkeiten werden, um so mehr stellt sich die Frage: ab wann wird „selektiert“? Die wichtigste Aufgabe der Zukunft sei, so schreibt Jimmy auf seiner Homepage, auf Grund des wissenschaftlichen Fortschritts die Welt vollkommener zu machen. Doch wer entscheidet, was vollkommen ist? Von Tanja Volz, gekürzt