449_491_BIOsp_0508.qxd 21.08.2008 8:18 Uhr Seite 451 EDITORIAL 451 „OB DIE SCNT-TECHNIK IM EINKLANG MIT GESETZLICHEN UND ETHISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN STEHT, WIRD DERZEIT IN DEUTSCHLAND DISKUTIERT.“ Frank Emmrich Dürfen deutsche Forscher mit Mensch/Tier-Cybriden arbeiten? ó Es ist möglich geworden, aus einer Eizelle den Zellkern zu entfernen und diesen durch den Zellkern einer Körperzelle (somatische Zelle) zu ersetzen. Diese Technik ist auch unter der Bezeichnung Somatic Cell Nuclear Transfer (SCNT) bekannt. Nach spezifischer Aktivierung kann sich daraus ein Blastozystenstadium entwickeln, welches den kindlichen Anteil (Embryoblast) und den zukünftigen Plazentaanteil (Trophoblast) enthält. Aus dem embryonalen Anteil – genauer gesagt aus einem polar angeordneten Zellhaufen in seinem Inneren (inner cell mass) – könnten mit herkömmlichen Techniken embryonale Stammzellen (ES-Zellen) gewonnen werden. Auch tierische Eizellen sind für die SCNT-Technik verwendbar1. Derartige Hybride aus menschlichem Zellkern und tierischer Eizelle werden als „Cybride“ bezeichnet. Vor kurzem machte ein Experiment Schlagzeilen, das in Großbritannien nach Genehmigung durch die britische Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) unter Verwendung von Rinder-Eizellen durchgeführt wurde. Ziel dieser Arbeiten war es, einen technisch und ethisch unbedenklichen Weg für die Herstellung von pluripotenten embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) zu zeigen. ES-Zellen sind als Ausgangsmaterial für die Zell- und Gewebezucht in vitro verheißungsvoll, und zwar nicht nur für den Gewebeersatz, sondern auch zum Aufbau zellulärer Krankheitsmodelle. Die SCNT-Technik zur Herstellung von Kerntransfer-Eizellen kollidiert in Deutschland bei Verwendung menschlicher Eizellen und menschlicher Zellkerne mit dem Embryonenschutzgesetz (ESchG), sofern daraus ein menschlicher Embryo entsteht. 1 Beyhan, Z., Iager, A. E., Cibelli, J. B. (2007): Interspecies Nuclear Transfer: Implications for Embryonic Stem Cell Biology. Cell Stem Cell 1: 502–512. BIOspektrum | 05.08 | 14. Jahrgang Ein etwas anderer Sachverhalt besteht, wenn tierische Eizellen verwendet werden sollen. Üblicherweise wird für die Kerntransfertechnik eine ganze Reihe von Eizellen benötigt, ehe eine Zellvermehrung gelingt. Bei Verwendung tierischer Eizellen wäre es nicht mehr erforderlich, dass mehrere Frauen nach hormoneller Vorbehandlung und durch einen gynäkologischen Eingriff Eizellen spenden. Trotzdem dürfte auch diese Vorgehensweise in Deutschland auf rechtliche Bedenken stoßen. Grund hierfür ist das im § 6 des ESchG strikt formulierte Klonungsverbot. Zwar könnte man sich auf den formalrechtlichen Standpunkt stellen, dass es sich bei der Verbindung von menschlichem Zellkern und tierischer Eizelle nicht um einen menschlichen Embryo handelt. Im § 6 ESchG ist explizit stets von menschlichen Embryonen die Rede. Demzufolge könnte das Verfahren mit nicht-menschlichen Embryonen erlaubt sein. Allerdings ist der eingesetzte Zellkern komplett menschlichen Ursprungs und enthält alle Wesensmerkmale für ein menschliches Individuum. Schon innerhalb weniger Tage werden in der Cybridzelle nahezu alle Proteine von der menschlichen DNA bestimmt. Es verbleiben nur ein winziger Rest mitochondrialer tierischer DNA und wenige tierische Proteine, die aber keine Wesensmerkmale und übergeordnete Funktionen des potenziell entstehenden Individuums bestimmen. Es wäre also zu fragen, ob nicht aus der Cybridzelle ein menschlicher Embryo entstehen könnte. Wenn man beginnt, die potenzielle „Menschlichkeit“ eines Cybrid-Embryos zu diskutieren, gerät man schon bald in die Verbote des ESchG. Die erhebliche Rechtsunsicherheit jedenfalls und die hohe Strafbewehrung führen dazu, dass niemand im Gel- tungsbereich des deutschen ESchG derartige Arbeiten beginnen wird. Etwas anders erscheint die Situation, wenn der Import von ES-Zellen aus dem Ausland betrachtet wird, die unter Verwendung von Cybriden hergestellt wurden. Würde man diese Zellen den klassischen ES-Zellen gleichstellen, wäre aufgrund des kürzlich überarbeiteten Stammzellgesetzes (SZG) ein Import nur erlaubt, sofern die Zellen vor dem 01.05.2007 hergestellt worden sind. Dies ist faktisch unmöglich, da menschliche CybridES-Zellen noch nicht verfügbar sind. Allerdings war es eine wichtige Überlegung vor Einführung des Gesetzes, die zweckdienliche Herstellung von embryonalen Stammzellen unter Verwendung von menschlichen Eizellen im Ausland nicht zu forcieren. Dieses Problem besteht zweifellos bei der Verwendung von tierischen Eizellen nicht mehr. Die für den Import bestimmten Cybrid-ES-Zellen wären nicht totipotent, d. h. es würde bei Einpflanzung in eine natürliche Gebärmutter kein menschliches Individuum entstehen. Bei Wichtung dieser Argumente wäre die Schlussfolgerung naheliegend, dass der Import von ES-Zellen aus Cybriden nach Deutschland zulässig ist. ó Frank Emmrich Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Frank Emmrich Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie Leipzig Perlickstraße 1 D-04103 Leipzig Tel.: 0341-97-25500 Fax: 0341-97-25509 [email protected]