Ihr vivesco Apotheker präsentiert: Entwicklung, Teil I vive Wissen – Schwangerschaft Es ist wie ein Wunder: Aus zwei winzigen Zellen entwickelt sich ein vollständiger Mensch. Bei der Befruchtung trifft ein Spermium mit einer Größe von 0,05 Millimetern auf die 250.000-mal größere Eizelle. Bereits einen Tag danach beginnt sich die befruchtete Eizelle zu teilen. Ab der vierten Woche Foto: Hemera / Thinkstock bilden sich die inneren Organe wie Lunge, Schilddrüse, Niere und Gallenblase. Das winzige Gesicht beginnt sich zu formen. Ab der fünften Schwangerschaftswoche beginnt das Herz zu schlagen. Ab der sechsten Woche ist der Herzschlag im Ultraschall sichtbar. vive 13_13 43 Alles auf Anfang Freude, Unsicherheit, Glück, Angst – die erste Reaktion auf einen positiven Schwangerschaftstest ist ein Wirbelsturm der Gefühle. Bringt doch das neue Leben ziemlich viel im Alltag der Eltern durcheinander. Der Beginn einer spannenden Zeit. fachliche prüfung: Prof. Dr. med. Prof. h. c. Christof Sohn Viele Frauen spüren schon recht früh, dass etwas anders ist: Sie sind oft müde, haben ein flaues Gefühl im Magen oder Übelkeit und die Brüste spannen. Das bekannteste Anzeichen einer Schwangerschaft ist jedoch das Ausbleiben der Regel. Einige Frauen fühlen auch ein Dickerwerden des Halses, was durch die Größenzunahme der Schilddrüse bedingt ist. Früher haben Mütter ihren Töchtern deshalb als „Überwachung“ ein Samthalsband geschenkt. Saß dieses plötzlich straff am Hals, war das für die Mütter ein Zeichen, dass ein Kind unterwegs sein könnte. Endgültige Sicherheit für eine Schwangerschaft bringen letztendlich aber nur Schwangerschaftstest und Ultraschalluntersuchung beim Arzt. Die ersten Stunden Zur Befruchtung kommt es frühestens 24 Stunden nach dem Sex. Von den circa 100 bis 400 Millionen Spermien, die in die Scheide gelangen, stirbt ein Großteil ab, denn das saure Milieu der Scheide ist äußerst „spermienfeindlich“. Nur einige Hundert Spermien erreichen überhaupt den Eileiter und können dort bis zu vier Tage überleben, falls keine Eizelle vorhanden ist. Auf dem Weg zum Eileiter durchlaufen sie einen Reifungsprozess, erst dann sind sie tatsächlich zeugungsfähig. Wie genau die Spermien die Eizelle finden, ist noch nicht bekannt. Vermutlich spielen spezielle Duftstoffe eine Rolle. Das Spermium muss nun zunächst eine Schicht aus Follikelzellen 44 vive 13_13 und Glykoproteinen durchdringen, bevor es mit der Eizelle verschmelzen kann. Der männliche und der weibliche Chromosomensatz vereinigen sich, sodass die befruchtete Eizelle (Zygote) das Erbgut beider Eltern in sich trägt. Einen Tag später beginnt die Zygote mit der Zellteilung. Nach circa drei Tagen erreicht sie die Gebärmutter, wo sie sich einnistet. Nun beginnt die eigentliche Schwangerschaft. Die Rolle der Gene Im menschlichen Erbgut – in den Genen – liegt der Bauplan des Lebens. Von jedem Elternteil werden je 23 Chromosomen an das Kind weitergegeben, auf denen sich insgesamt circa 25.000 Gene befinden. Sie sind u. a. für das äußere Erscheinungsbild zuständig, entscheiden also darüber, welche Haarfarbe und Augenfarbe das Kind später haben wird, für welchen Körperbau oder welche Größe es veranlagt ist. Auch die Ursache vieler Krankheiten liegt in den Genen. So weiß man inzwischen, dass die Veranlagung für familiär bedingten Brustkrebs genetisch bedingt ist. Dank moderner Diagnosemöglichkeiten kann eine Frau heute mittels Gentest ihr individuelles Brustkrebsrisiko bestimmen lassen. Auch die Pränataldiagnostik macht sich das Wissen um die Gene zunutze: Mithilfe einer Fruchtwasser-Untersuchung können Embryonen ab der 13. Schwangerschaftswoche auf genetische Krankheiten wie Trisomie 21 untersucht werden. Seit knapp zwei Jahren ist auch ein Bluttest möglich, der Trisomie 13, 18 und 21 beim Ungeborenen feststellen Foto: iStockphoto / Thinkstock Text: Dr. Petra Kittner Bestimmung des Geburtstermins Je nachdem, ob man vom ersten Tag der Periode oder vom Zeitpunkt der Empfängnis an rechnet, ergibt sich eine durchschnittliche Schwangerschaftsdauer von 280 bis 282 Tagen beziehungsweise 266 bis 267 Tagen. Da man den Zeitpunkt der Befruchtung nicht genau bestimmen kann, zieht man zur Berechnung des Geburtstermins meist den ersten Tag der letzten Regelblutung heran. Allerdings bietet der errechnete Geburtstermin lediglich einen Anhaltspunkt: Nur etwa vier Prozent aller Geburten finden am errechneten Termin statt, 90 Prozent erfolgen bis zu drei Wochen davor und bis zu zwei Wochen danach und 9 Prozent aller Kinder kommen als Frühgeburt, vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche, zur Welt. Die Terminberechnung nach der Naegele-Regel setzt voraus, dass das Datum der letzten Regelblutung bekannt ist und ein regelmäßiger Zyklus vorliegt. Bei einer Zykluslänge von 28 Tagen errechnet sich der Termin wie folgt: errechneter Geburtstermin = 1. Tag der letzten Regelblutung + 7 Tage − 3 Monate + 1 Jahr Beispiel:1. Tag der letzten Menstruation: 20.7.2012 plus 7 Tage = 27.7.2012 minus 3 Monate = 27.4.2012 plus 1 Jahr = 27.4.2013 (= voraussichtlicher Geburts­termin). kann. Ist die Schwangere über 40 Jahre alt, ist das Risiko für genetische Erkrankungen erhöht. Foto: CSA_Images / Getty Images Mädchen oder Junge? Ob das Kind ein Junge oder Mädchen wird, entscheidet sich durch die Zusammensetzung der GeschlechtsChromosomen. Der Mensch besitzt zwei Arten von Geschlechts-Chromosomen: Das X-Chromosom und das Y-Chromosom. Jede Körperzelle des Menschen enthält neben den sogenannten Autosomen (Chromosomen, die nicht an der Geschlechtsbestimmung beteiligt sind) zwei Geschlechts-Chromosomen: Männer ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen. Eizellen und Spermien enthalten nur die Hälfte an Chromosomen und somit auch nur jeweils ein Geschlechts-Chromosom. Im Moment der Befruchtung verschmelzen die Chromosomensätze von Ei und Spermium. Genau genommen bestimmt nun der Mann das Geschlecht des Kindes, denn die Eizelle besitzt immer ein X-Chromosom. Trägt das Spermium, das die Eizelle befruchtet, ein X-Chromosom, hat der Embryo zwei X-Chromosomen und entwickelt sich zum Mädchen. Trägt das Spermium hingegen ein Y-Chromosom, so hat der Embryo ein X- und ein YChromosom und entwickelt sich deshalb zum Jungen. Bei einem kleinen Teil der Befruchtungen kann es zu Fehlverteilungen der Chromosomen kommen. Die häufigste Chromosomenanomalie ist die Trisomie 21, das Down-Syndrom. Das Chromosom 21 ist hierbei dreifach in den Körperzellen vorhanden. Die Kinder haben typischerweise einen kleinen Kopf, schräge Lidspalten und eine verdickte Zunge. Menschen mit Trisomie 21 sind in der Regel geistig und körperlich eingeschränkt. Auch bei den Geschlechts-Chromosomen können Fehlverteilungen vorkommen. Fehlt ein X-Chromosom spricht man vom Turner-Syndrom (oder X0-Monosomie). Weil in den Körperzellen nur ein einzelnes X-Chromosom existiert, sind alle betreffenden Personen weiblich – mit einigen körperlichen Besonderheiten. Frauen mit Turner-Syndrom können ein normales Leben führen, bleiben jedoch aufgrund nicht funktionsfähiger Eierstöcke unfruchtbar. Beim Klinfelter-Syndrom gibt es im Zellkern neben dem Y-Chromosom zwei X-Chromosomen. Die Kinder entwickeln sich durch das Y-Chromosom zu Jungen. Das zweite X-Chromosom führt jedoch zu einer Störung der Hodenfunktion, wodurch zu wenig Testosteron gebildet wird und Störungen in der Geschlechtsent­wickung resultieren. Die Betroffenen sind meist nicht zeugungsfähig. vive 13_13 45 Vom Zweizeller zum Baby Das Wunder ist geschehen: Ein neuer und einzigartiger Mensch wächst heran. Bis zur Geburt hat das neue Leben neun Monate Zeit, sich zu entwickeln und zu wachsen. Eine Zeit mit faszinierenden Vorgängen. Eine Schwangerschaft wird in drei Drittel, sogenannte Trimena (Einzahl Trimenon), eingeteilt, also in drei Abschnitte von je etwa drei Monaten Dauer. Als Embryo bezeichnet man das Leben in der ersten Lebensphase, die bis zum Ende der 8. Woche dauert. Ab der 9. Woche spricht man vom Fötus. 1. Trimenon: Monate 1 bis 3 Die ersten vier Wochen der Schwangerschaft werden auch als Blastemzeit bezeichnet. Während dieser Zeit teilt sich die befruchtete Eizelle und nistet sich in der Gebärmutter ein. Am Ende dieser Phase ist der winzige Embryo etwa drei Millimeter groß. Ab der 5. Woche beginnt die eigentliche Embryonalzeit: Organanlagen entstehen, ab dem 22.Tag beginnt das Herz zu schlagen. Kurz darauf bilden sich weibliche und männliche Urkeimzellen und wandern in den Eierstock beziehungsweise in die Hoden. Ab dem 26. Tag entstehen sich erste motorische Nervenzellen; erste Synapsen sind ab dem 33. Tag vorhanden. Am 28. Tag formen sich Armknospen, an denen sich Hände und Finger entwickeln. In der 9. bis 12. Woche werden die Formbildungsvorgänge der Emb- 46 vive 13_13 ryonalzeit fortgesetzt. Der Fötus beginnt, Blut zu bilden. Bis zum Ende der 10. Woche sind alle Organanlagen vorhanden. Erste Reaktionen auf Reize sind möglich (zum Beispiel Saugreflex). Die Geschlechtsorgane differenzieren sich. Am Ende des dritten Monats misst das Kind 5 Zentimeter und wiegt circa 30 Gramm. 2. Trimenon: Monate 4 bis 6 Zu Beginn des 4. Monats sind alle Organe ausgebildet und müssen nur noch wachsen und ausreifen. Ein kleines Gesicht hat sich gebildet und das Kind beherrscht bereits komplexe Bewegungsabläufe wie Schlucken, Daumen lutschen oder Stirn runzeln. Die Proportionen passen sich an: Der bisher verhältnismäßig große Kopf wächst langsamer als der restliche Körper. Ab der 14. Schwangerschaftswoche sind die äußeren Geschlechtsorgane im Ultraschall erkennbar. Ab dem 5. Monat ist die Haut vollständig mit einem Flaum (Lanugobehaarung) bedeckt, auf dem Kopf haben sich bereits Haare gebildet. Das Skelett verfestigt sich und die Zahnhartsubstanz (Zahnschmelz, Zahn- Fotos: iStockphoto(3) / Thinkstock Weil die Schwangerschaft meist ab dem ersten Tag der letzten Periode berechnet wird, ist der Embryo beziehungsweise Fötus zwei Wochen jünger, als es die Anzahl der Schwangerschaftswochen (SSW) vermuten lässt. bein, Wurzeln) bildet sich aus. Das Kind kann nun auch hören. Ab der 17. Woche nehmen manche Frauen bereits erste Kindsbewegungen wahr. Mit dem 6. Monat wird die Schwelle der Erlebnisfähigkeit erreicht: Hirnströme sind messbar, das Kind kann Schmerz, Druck, Vibration und Temperatur empfinden. Die Bewegungen werden kräftiger. Am Ende des 6. Monats ist das Kind 28 Zentimeter groß und wiegt 500 bis 600 Gramm. 3. Trimenon: Monate 7 bis 10 Im letzten Drittel der Schwangerschaft nimmt das Baby weiterhin an Größe und Gewicht zu. Der Fötus lagert vermehrt Fett in das Unterhautfettgewebe ein, das nach der Geburt für die Wärmeisolierung wichtig ist. Ab der 27./28. Woche reagiert der Fötus auf akustische Reize. Jetzt ist das Baby prinzipiell lebensfähig, falls es als Frühgeburt zur Welt kommen sollte. Das Ungeborene kann nun auch Stimmen unterscheiden und sich an diese erinnern. Die Augen sind beweglich und im EEG können Schlaf- und Wachphasen festgestellt werden. Viele Babys nehmen jetzt ihre Geburtsposition ein. Am Ende des 9. Monats bildet sich der letzte Sinn aus: das Kind kann sehen. Im 10. Monat finden die finalen Reifungsprozesse statt. Am Ende der Schwangerschaft ist das Kind circa 50 Zentimeter groß und 3.500 Gramm schwer. Foto: Stockbyte / Thinkstock Frau und Mutter Die Schwangerschaft ist auch für die Mutter eine Zeit großer Veränderungen. Wachstum und Entwicklung des Kindes werden erst möglich, weil sich der weibliche Körper den Anforderungen der Schwangerschaft anpasst. Beispielsweise nimmt die gesamte Flüssigkeitsmenge im Körper einer schwangeren Frau um rund acht Liter zu. Davon befin- den sich 1 bis 1,5 Liter zusätzliches Blut im weiblichen Blutkreislauf, um das ungeborene Kind mit zu versorgen. Durch das erhöhte Blutvolumen steigt der Puls der werdenden Mutter um fünf bis zehn Schläge pro Minute an. Im ersten Schwangerschaftsdrittel beginnt das Milchdrüsengewebe zu wachsen, die Brust nimmt an Größe zu. Im zweiten Drittel beginnen sich die Drüsenzellen auf die Milchbildung umzustellen. Gesteuert werden die Veränderungen im Wesentlichen durch die Hormone hCG (humanes Choriongonadotropin), Östrogen und Progesteron. Enorme Anforderungen werden an die Gebärmutter gestellt: Dieser kleine Muskel hat im Normalzustand einen Durchmesser von 10 Zentimetern und ein Gewicht von 50 Gramm. Bis zur Geburt steigt das Gewicht auf sagenhafte 1,5 Kilogramm an. Um genügend Kraft bei der Entbindung aufzubringen, trainieren die Muskeln der Gebärmutter schon recht früh: Erste, meistens nicht spürbare Kontraktionen beginnen spätestens in der 20. Woche. Gegen Ende der Schwangerschaft sind die Kontraktionen als Übungswehen deutlich zu spüren. Vorsorgeuntersuchungen Neben der Erstuntersuchung sieht die Schwangerschaftsvorsorge regelmäßige Untersuchungen vor, die bis zur 32. Schwangerschaftswoche alle vier Wochen, danach alle zwei Wochen stattfinden: ¡ Gewichts- und Blutdruckmessung ¡ Untersuchung des Urins auf Blut-, Eiweiß-, Nitrit- oder Zuckergehalt und ggf. auf Bakterien ¡ Bestimmung des Hämoglobingehaltes, Bestimmung der Erythrozyten, wenn der Hämoglobingehalt zu niedrig ist (< 11,2 g/ml) ¡ Feststellung des Höhenstandes des Gebärmutterfundus ¡ Kontrolle der Herztöne des Kindes ¡ Feststellung der Lage des Kindes Daneben führt der Arzt im Schwangerschaftsverlauf drei große Ultraschalluntersuchungen durch: ¡ zwischen Beginn der 9. und Ende der 12. SSW ¡ zwischen der 19. und der 22. SSW ¡ zwischen der 29. und der 32. SSW In der 24. bis 27. Schwangerschaftswoche wird ein erneuter Antikörpersuchtest durchgeführt und gegebenenfalls Anti-D-Immunglobulin verabreicht. vive 13_13 47 Eine tragende Rolle Die Ernährung, der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten spielen in der Schwangerschaft eine wichtige Rolle. So fördern Mütter die Entwicklung ihres Babys. Nicht nur die Ernährung, auch der Lebensstil und die Umwelt üben durch die Mutter indirekten Einfluss auf das Ungeborene aus. Deshalb ist es wichtig Alkohol, Nikotin, Drogen, Strahlung, Stress, Infektionen und bestimmte Medikamente in dieser Zeit zu meiden. Denn sie können zu schweren Missbildungen führen, besonders wenn sie in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten auf die werdende Mutter einwirken. In den ersten vier Wochen der Schwangerschaft gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip: Entweder ist die Störung schwerwiegend und es kommt zu einem Abort (Fehlgeburt). Oder die geschädigten Zellen können durch andere Zellen ersetzt werden, dann kann sich das Kind ganz normal weiterentwickeln. Rauchen ist in der Schwangerschaft tabu. Denn die im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe gelangen 48 vive 13_13 über den Mutterkuchen (Plazenta) in den Blutkreislauf des Kindes. Kohlenmonoxid ist hochgiftig und reduziert die Versorgung des Ungeborenen mit Nährstoffen und Sauerstoff. Krebserzeugende Stoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine können genetische Schäden beim Kind hervorrufen. Die Minderdurchblutung aller Gewebe führt zu Wachstums- und Entwicklungsstörungen des Kindes und zu einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Herzens. Weil das ungeborene Kind Schadstoffe weniger schnell abbauen kann und sein Stoffwechsel beschleunigt ist, nimmt es vergleichsweise viel mehr Schadstoffe auf als ein Erwachsener. Die Folge ist ein erhöhtes Risiko für Früh-, Fehl- und Totgeburten, Missbildungen, Entwicklungsstörungen, Wachstumsstörungen, plötzlichen Kindstod und vermutlich auch bösartige Erkrankungen wie Leukämie. Fotos: Stockbyte, iStockphoto (2) / Thinkstock Die Gesundheit der Mutter, ihr Verhalten und ihre Ernährung in der Schwangerschaft wirken sich maßgeblich auf das Wohl des ungeborenen Kindes aus Auf Alkohol verzichten Ähnliche Auswirkungen kann Alkoholkonsum während der Schwangerschaft haben: Er ist heute häufigste Ursache für kindliche Schäden. Entgegen der landläufigen Meinung, ein gelegentliches Gläschen könne nicht schaden, weiß man mittlerweile sicher, dass bereits kleine Mengen Alkohol in der Schwangerschaft die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes gefährden. Deshalb ist ein absoluter Verzicht in der Schwangerschaft unumgänglich. Häufig werden die Folgen erst im Laufe der Kindheit sichtbar: intellektuelle und motorische Fehlentwicklungen sowie Entwicklungsverzögerungen, die zu dauerhaften Beeinträchtigungen führen können. Die schwere Form einer alkoholbedingten Schädigung wird als Fetales Alkoholsyndrom bezeichnet und ist durch ein geringes Geburtsgewicht, körperliche Missbildungen (Nierenschäden, Herzfehler), Gesichtsdeformationen, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen gekennzeichnet. Etwa 4.000 Kinder pro Jahr kommen mit fetalem Alkoholsyndrom zur Welt und sind lebenslang körperlich und geistig schwerbehindert. Schwangere sollten sich daher bewusst machen, dass ihr ungeborenes Kind völlig abhängig von ihnen ist und sich gegen schädliche Substanzen nicht wehren kann. Deshalb ist es wichtig, dass die werdende Mutter schädigende Stoffe meidet, um das Ungeborene zu schützen. Durch eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung, leichtem Sport und psychischer Ausgeglichenheit können werdende Mütter die Entwicklung ihres Kindes zusätzlich unterstützen. Gesund essen Für die Ernährung gilt: „Für zwei denken, aber nicht für zwei essen!“ Der Kalorienbedarf ist mit 2.200 bis 2.500 Kilokalorien pro Tag nämlich nicht wesentlich höher als vor der Schwangerschaft, jedoch steigt der Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen (siehe Kasten). Eine ausgewogene Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse, fettarmer Milch und Milchprodukten, Fisch, magerem Fleisch und Vollkornprodukten reicht in der Regel aus, um den Großteil des zusätzlichen Nährstoffbedarfs zu decken. Lediglich bei Folsäure, Jod und gegebenenfalls Eisen wird Schwangeren empfohlen, den Bedarf zusätzlich zu decken. Wer sich vegan ernährt – also auf tierische Lebensmittel wie Fleisch, Milch und Eier komplett verzichtet , kann übers Essen allein eine ausreichende Nährstoffversorgung nicht sicherstellen. Dann ist eine ernährungsmedizinische Beratung und die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wichtig. Wegen der Infektionsgefahr mit Toxoplasmose und Listerien sollten Schwangere generell auf rohe tierische Lebensmittel verzichten, vor allem auf Produkte aus Rohmilch, rohem Fleisch und rohem Fisch. Weichkäse wie Camembert, Harzer Roller, eingelegter Käse oder offener Frischkäse können ebenfalls Listerien enthalten und sollten gemieden werden. Wichtige Nährstoffe in der Schwangerschaft ¡ Folsäure für die Entwicklung von Rückenmark und Gehirn, Verhinderung von Neuralrohrdefekten. Steckt in grünem Blattgemüse, Hefe, Vollkorngetreide, Spargel, Eigelb. Bedarf: 600 μg pro Tag, bis zur 12. Schwangerschaftswoche zusätzlich 400 μg pro Tag in Form von Folsäuretabletten. ¡ Jod für die Bildung von Schilddrüsenhormonen, Entwicklung des zentralen Nervensystems, Körperwachstum und -reifung. Steckt in Seefisch, z. B. Kabeljau, Hering oder Scholle. Bedarf: 230 μg pro Tag. ¡ Magnesium für den Aufbau von Knochen. Zähnen, Nägeln, Muskelfunktion. Steckt in Sonnenblumenkernen, Sesam, Hirse, Erdnüssen, Haselnüssen. Bedarf: 310 mg pro Tag. ¡ Eisen für Blutbildung und Sauerstoffversorgung. Steckt in Fleisch, Fenchel, Spinat, Hirse, Roggen. Bedarf: 30 mg pro Tag. ¡ Omega-3-Fettsäuren für die Entwicklung des Zentralnervensystems und des Sehvermögens. Steckt in fettem Seefisch, z. B. Makrele, Hering, Lachs, Sardine. Bedarf: 200 mg pro Tag. ¡ Kalzium für Knochenbau, Zahnbildung, Nerven- und Zellfunktion. Steckt in Milch und Milchprodukten sowie in Käse. Bedarf: 1.000 mg pro Tag. ¡ Vitamin B12 für Blutbildung, Nervensystem, Zellteilung, Regulierung zahlreicher Vitamin-B12-abhängiger Stoffwechselprozesse. Steckt in Fleisch, Eiern, Milch, Milchprodukten. Bedarf: 3,5 μg pro Tag. vive 13_13 49 Experten-Interview Was dem Baby vor und nach der Geburt guttut Univ.-Prof. Dr. med. Prof. h. c. Christof Sohn, Mediziner aus Heidelberg Die Schwangerschaft und Geburt erleben Eltern als eine der spannendsten Phasen ihres Lebens. Schon vor dem ersten Atemzug des Babys werden wichtige Weichen für eine gesunde Entwicklung gestellt. licher Entwicklung beobachten Sie zunehmend? Die Zahlen für Gestationsdiabetes sind gestiegen – auch in Zusammenhang mit der alarmierenden Zunahme von Typ-2-Diabetes und Übergewicht in der Bevölkerung. Bei immer mehr Schwangeren werden zudem Störungen der Blutgerinnung entdeckt. Weltweit nimmt die Frühgeburtlichkeit zu. Erfreulicherweise hat sich die Prognose – gerade auch die der sehr frühen Frühgeburten unter 28 Schwangerschaftswochen – durch Fortschritte bei der Prävention und Versorgung der Neugeborenen stetig weiter verbessert. 2. Wie kann es vorkommen, dass Frauen eine Schwangerschaft lange Zeit nicht bemerken? Durch Zyklusstörungen oder Fortsetzung der Pilleneinnahme bei unbekannter Schwangerschaft können das Ausbleiben der Regel oder eine veränderte Menstruation verschleiert werden. Auch starkes Übergewicht, die Fehlinterpretation von Kindsbewegungen und Uninformiertheit können Faktoren sein. Im klinischen Alltag erleben wir am häufigsten Situationen, in denen die Frauen zwar Anzeichen bemerkt, IN DER NÄCHSTEN AUSGABE: vive Wissen: Entwicklung, Teil II Kindheit jedoch aus verschiedenen Gründen dennoch keinen Arzt aufgesucht haben. 3. Was lernt das Kind schon im Mutterleib? Neben allgemeinen Körperbewegungen können auch Schluckbewegungen und Gähnen bereits im Mutterleib beobachtet werden. Sinneswahrnehmungen wie das Hören ab der 24. Schwangerschaftswoche vermitteln dem Kind schon im Mutterleib Geräusche der Umgebung sowie Stimme und Herzschlag der Mutter. Die moderne Wissenschaft beschäftigt sich intensiv mit dem „fetal programming“ – also der bereits im Mutterleib stattfindenden Prägungen bestimmter Körperfunktionen und Organe. So weiß man heute, dass dies bis zur Weichenstellung bezüglich späterer Stoffwechselvorgänge und Erkrankungen wie Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Beschwerden gehen kann. Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft mit einer ausgewogenen gesunden Ernährung stellen also bereits im Mutterleib wichtige Gesundheitsfaktoren auch für das spätere Leben des Kindes dar. Univ.-Prof. Dr. med. Prof. h. c. Christof Sohn, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg Frauenklinik, Allg. Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Poliklinik Foto: iStockphoto / Thinkstock 1. Welche Störungen in Schwangerschaft und kind-