3. Deutscher Patientenkongress Depression am 12.9.2015 Die Behandlung der Depression – Bewährtes und Neues Ulrich Hegerl Vorsitzenden der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Leipzig Tagebuchauszug Frau I. Über die Depression „Bei mir fängt die Depression mit dem Gefühl an, dass alles plötzlich anders wird. Die Depression zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Angst kriecht mir den Rücken hoch, ich kann mich nicht mehr für irgend etwas entscheiden, kann mich schwer konzentrieren, habe Schlafstörungen, bin appetitlos, nichts macht mir mehr Freude, ja ich bin unfähig, Kleinigkeiten zu erledigen und kann mich schließlich nicht mehr selber versorgen.“ Haupt- und Nebenkriterien nach ICD-10 Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Verlust von Interesse u. Freude depressive Stimmung Schlafstörungen Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung gestörter Antrieb Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Erscheinungsbilder Je nach Zusammensetzung der Symptome können unterschiedliche Syndrome im Vordergrund stehen: • Gehemmte Depression • Agitierte Depression • Somatisierte „larvierte“ Depression • Wahnhafte Depression Depressionsdiagnosen Depression versus Befindlichkeitsstörungen (Trauerreaktion, Überforderung etc.) Für die depressive Erkrankung spricht: • Affektstarre • Gefühl der Gefühllosigkeit (wie innerlich versteinert“) • Innere Anspannung („wie vor Prüfung“) • Schuldgefühle • Suizidalität • Wahnsymptome (Versündigung, Verarmung, Hypochondie) • Verlauf (gab es bereits früher depressive Episoden?) Depression ist keine nachvollziehbare Reaktion auf schwierige Lebensumstände! Psyche statt Herz: Berentung wegen Verminderter Erwerbsfähigkeit 2012 100 90 80 Atmung 70 Nerven/Sinne Skelett/ Muskel/Bindegewebe 60 Herz/Kreislauf 50 Stoffwechsel/Verdauung 40 Neubildungen 30 42,1 10 sonstiges 28,5 20 psychische Erkrankungen 8,6 0 1983 2002 2012 Rentenversicherung in Zeitreihen, Deutsche Rentenversicherung Bund, Oktober 2013 Entwicklung der Suizidzahlen in Deutschland seit 1980 (Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt; www.gbe-bund.de, 01.12.2014) Wer behandelt Menschen mit Depressionen? • Hausarzt • Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Nervenarzt, Psychiater) • Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie • Psychologischer Psychotherapeut: Teil der Regelversorgung • Psychologe: fokussiert im allgemeinen auf normalpsychologische Prozesse • Neurologe: meist umschreibbare Hirnpathologie Behandlungsanteile bezüglich depressiver Episoden (F 32) nach Arztgruppen (Melchinger et al 2011) Psychologische PT Psychiater (ohne Psychiater mit PT ˃ 50 %) Nervenärzte (ohne Nervenärzte mit PT ˃ 50 %) 3,3% Ärztliche PT + Nervenärzte und Psychiater mit PT ˃ 50 % 4,9% 5,0% Hausärzte 11,6% 50,4% Hausärztliche Internisten 23,9% (Alle ndgl. Ärzte, bei denen der Anteil von F32-Diagnosen an der Gesamtzahl aller erfassten F 32Diagnosen mindestens 2 Prozent beträgt. (Daten der KVNO 1/2011; N = 527.437 Behandlungsfälle) Psychische und körperliche Ursachen: Zwei Seiten einer Medaille Hinweise auf biologische Mechanismen • saisonal abhängige Depression • „Lichtschaltereffekt“ • Tagesschwankungen • Schlafentzugeffekt • Rapid- und Ultra-Rapid-Cycling Behandlung bei unipolarer Depression Einsetzen der Therapie/ Remission Medikation Frank et al. 1990. Rückfall ? Krankheit Gesundheit Remission Response unbehandelt Akuttherapie 6 Monate Monate – Jahre Erhaltungstherapie Langzeittherapie Die Behandlung der Depression Zentrale Behandlungssäulen • • Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva) Psychotherapie (Wirksamkeit für kognitive Verhaltenstherapie am besten belegt) Weitere Behandlungsverfahren • • • • • Lichttherapie (Wirkung bei saisonaler Depression belegt) Wachtherapie (meist nur im Rahmen stationärer Therapie möglich) EKT (bei schwerer therapieresistenter Depression) körperliches Training rTMS Wichtigste Medikamente in der Psychiatrie 1. Beruhigungsmittel / Tranquilizer: • wirken sehr schnell / wichtig für akute Krisen • dämpfen und machen schläfrig, nicht spezifisch antidepressiv • Gewöhnungseffekt und bei längerer Anwendung Suchtgefahr 2. Neuroleptika: • Bei Psychosen / Schizophrenien unverzichtbar! • dämpfen teilweise die Persönlichkeit • ältere Präparate haben häufigere Nebenwirkungen (vor allem im motorischen Bereich) 3. Antidepressiva: • keine Veränderung der Persönlichkeit • keine Dosissteigerung notwendig / keine Suchtgefahr • Wirklatenz von 2-4 Wochen Psychotherapie • Wirksamkeit der sog. Kognitiven Verhaltenstherapie am besten belegt • Bausteine der kognitiven Verhaltenstherapie: • Aufbau angenehmer Aktivitäten, Abbau von Belastungen • Tagesstrukturierung • Korrektur fehlerhafter Überzeugungen • Verbesserung des Sozial- und Kommunikationsverhaltens • Problemlösetraining Die Behandlung der Depression Zentrale Behandlungssäulen • • Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva) Psychotherapie (Wirksamkeit für kognitive Verhaltenstherapie am besten belegt) Weitere Behandlungsverfahren • • • • • Lichttherapie (Wirkung bei saisonaler Depression belegt) Wachtherapie (meist nur im Rahmen stationärer Therapie möglich) EKT (bei schwerer therapieresistenter Depression) körperliches Training rTMS Überstabile Wachheitsregulation bei Depression Wachheitsstadien Wachheit 0 A1 • A2 B1 • • • B2/3 • A3 C Schlaf Schlaf oft depressionsverstärkend Morgentief Wachtherapie Schlafmangel manieauslösend Psychostimulantien bei ADHS (auch bei Manie?) Zeit [15 min] bei sich selbst Zusammenhang zwischen Schlaf und Stimmung beobachten 19 Stiftung Deutsche Depressionshilfe Forschungszentrum Depression „GET.UP!” Antidepressive Wirkung einer APPbasierten milden Schlafrestriktion Kooperation mit der • Forschungszentrum Depression • gemeinsame Projekte mit den regionalen Bündnissen gegen Depression Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) • Über Spule wird ein starkes, rasch wechselndes Magnetfeld generiert und dadurch im Gehirn lokale Ströme ausgelöst • diese beeinflussen Nervenzellen in ihrer Aktivität • keine Narkose nötig • z.B. 15 Behandlungssitzungen über 4 Wochen • Risiko epileptischer Anfälle • verschiedene Stellgrößen (wo? Art des Magnetfeldes? Dauer? ect); optimale Stimulation noch unklar • Hinweise auf Wirksamkeit aus Metaanalysen (z.B. Gaynes et al 2014, Berlim et al 2013) • wird in offiziellen Behandlungsleitlinien als Möglichkeit genannt Quelle: Dr. Häringer/Hirschbeck (MAG&MORE) (http://www.naturpraxis-ruether.de/portfolio/magnetstimulation-rtms-bei-depressionen/) Alternative Behandlungsangebote Es gibt u.a. Studien u.a. für: • Hypnose • Yoga • Meditation • Biofeedback • Qigong • Entspannungstechniken • Tai Chi • Atemübungen • Diät, Ernährung (Omega-3-Fettsäuren, Vitamine, Magnesium, mediterrane Diät) • Haustiertherapie Nahrungsergänzungsmittel, für die eine positive Wirkung in der Prophylaxe und Therapie der Depression diskutiert wird • Zink • Folsäure • Vitamin D • Fischöl (Omega-3-Fettsäuren) • S-Adenosyl-L-Methionin (SAM) Für keine dieser Behandlungen liegen ausreichende Wirksamkeitsbelege vor! Himmerich H, Erbguth F. Nervenarzt 2014; 85:1512–1520