WISSEN AKTUELL · KONGRESS Depression und Angststörungen Aktueller Forschungsstand, Therapieoptionen und zukünftige Trends Angststörungen und Depressionen zählen zu den häufigsten Erkrankungen der Psychiatrie. Die Therapie dieser Erkrankungen ist ein substanzieller Teil der allgemeinärztlichen und psychiatrischen Behandlungstätigkeit. Dementsprechend informierte das fünfte Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorder (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) über aktuelle Ansätze der Behandlung von Depression und Angststörungen unter Berücksichtigung von Forschungs- und Zukunftstrends. Auch die Umsetzung in der Praxis fand dabei Beachtung. A ngst ist eine grundlegende, menschliche Emotion, die bereits früh in der Entwicklung nachweisbar ist. Dieses normalpsychologische Phänomen hilft Bedrohungen als Gefahr wahrzunehmen und löst eine angemessene Reaktion aus. Die daraus resultierenden differenzierten Lernprozesse ermöglichen eine risikobewusste Auseinandersetzung mit der Umwelt und eine Regulation zwischenmenschlicher Beziehungen. Andererseits kann Angst psychopathologisch an Relevanz gewinnen. Dies ist der Fall, wenn Angst in übertriebenen Masse, unverhältnismässig persistent oder subjektiv unrealistisch auftritt. Hier erfährt der Betroffene einen hohen Leidensdruck, welcher mit schweren psychosozialen Beeinträchtigungen einhergeht. Auffallend ist dabei eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen. 60% aller Betroffenen mit Panikstörungen leiden später auch an einer Depression. Kinder- und Jugendpsychiatrie Im Kinder- und Jugendalter sind laut DSM-5 Angststörungen mit 11.5% und Depressionen mit 1–5% relevante Krankheitsbilder. Auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es seit Längerem viele innovative Entwicklungen. Aktuell erfolgt die Diagnostik über Fragebogen (CBCL und YSR), die hinsichtlich ihres Nutzens als unzureichend eingestuft werden müssen. Eine zusätzliche Beobachtung Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. und Begleitung der betroffenen Kin- Susanne Walitza, Zürich der und Jugendlichen in ihrem Umfeld ist essentiell. Bei der Therapie sollten die drei Säulen berücksichtigt werden: (1) Edukation von Patient und Eltern, (2) kognitive Verhaltenstherapie bzw. Psychotherapie und (3) medikamentöse Therapie mit SSRI. Evidenz I besteht für die kognitive Verhaltenstherapie von Angststörungen. Bei Depression wird die Evidenz für diese Methode mit I/II angegeben. Ist dies nicht ausreichend oder behindern die Symptome die Durchfühder informierte arzt _ 05 _ 2014 rung der Therapie, kommen SSRI zum Einsatz. Bei Angststörungen zeigen diese eine höhere Wirksamkeit als bei Depression. Trizyklische Antidepressiva und Benzodiazepine werden nicht empfohlen. Aus der epidemiologischen Forschung für die Praxis In der epidemiologischen Forschung zeigt sich, dass Syndrome der Depression und Angst bezüglich Zeitdauer nicht kategorial, sondern als Kontinuum betrachtet werden müssen, weil sich kritische Untergruppen nach Zeitdauer nicht bzgl. Stress, Arbeitsbehinderung, Temperament und Behandlungsraten und auch nicht in den SCL-90 R Scores unterscheiden. Eine Ausnahme Prof. Dr. med. Dr. h. c. davon sind chronische Fälle. Basierend Jules Angst, Zürich auf den Daten der Zürcher-Studie sind die diagnostischen Kriterien nach Zeitdauer von zwei Wochen für Major Depression sowie 3/6 Monate für GAD nicht valide. Daher sollte über eine Einführung von diagnostischen Kriterien von 4 Tagen für Depression und zwei Wochen für GAD nachgedacht werden, um Krankheiten naturalistisch zu erfassen. Diese neuen Zeitkriterien sollen mittels unabhängigen Studien validiert werden. Im Weiteren ist bekannt, dass in den meisten Fällen nur ca. 50% (31–72%) aller Betroffenen eine offizielle Diagnose erhalten und davon ca. 36–50% behandelt werden. Die Diagnostik könnte mittels fundierter sub-diagnostischer Syndrome erleichtert werden. Daher werden heutzutage für die Diagnosestellung vermehrt kontinuierliche Variablen entwickelt und verwendet, wie bspw. Kognition, Entzündungs-Parameter oder Bildgebung. Diese spezifische Subsyndrom-orientierte Diagnostik soll die Basis für individualisierte therapeutische Entscheidungen in der Praxis werden. Praxisnahe Leitlinien Die Leitlinien DSM-5 und ICD 11 sind eine der wichtigsten Regelwerke für Psychiater, deren höchste Priorität der klinische Nutzen ist: Das DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist ein evidenz-basiertes Klassifizierungssystem, das im Mai 2013 von der American Psychiatric Association aktualisiert und veröffentlicht wurde. Das ICD 11 (International Classification of Diseases) ist dagegen ein standardisiertes Diagnostiktool für die Epidemiologie, Gesundheitsmanagement und klinische Zwecke. Prof. Dr. med. Erich Seifritz, Zürich 61 WISSEN AKTUELL · KONGRESS Die Referenten des SFMAD mit Past-Präsident der SGAD Dr. med. J. Hättenschwiler (ganz links) und der aktuellen SGAD-Präsidentin Prof. Dr. med. E. Holsboer-Trachsler Im Bereich affektive Störungen wurden im DSM-5 einige Änderungen vorgenommen. Zum einen erfolgte eine Aufteilung in die zwei Kapitel depressive und bipolare Störungen und zum anderen eine Aufteilung in zwei Bereiche: (1) Ausmass der Angstsymp­ tomatik und (2) klinische Dimension (Suizidalitäts-Skala). Im Vergleich zur früheren Version, DSM-4, sind neu prämenstruelles dysphorisches Syndrom, affektive Dysregulation (DMDD; disruptive mood dysregulation disorder) im Kindes- und Jugendalter und die persistierende Depressive Störung (Dysthymie) in die diagnostischen Leitlinien aufgenommen worden. Änderungen ergaben sich bei der Diagnose Major Depression, in dem das Ausschlusskriterium „einfache Trauer“ eliminiert und Schweregrade und psychotische Symptome getrennt wurden. Bei Bipolaren Störungen war eine der wichtigsten Änderungen der Wegfall der gemischten Episode (Biopolar I). Des Weiteren ist neuerdings die Diagnose Bipolar hypomanische/manische Episode nach antidepressiver Behandlung möglich. Therapie in 10 Jahren Der Trend und die zukünftige Therapie von Angst und Depres­ sionen sind unter Berücksichtigung der hohen Zahlen an Neuerkrankungen und der stetig steigenden Kosten ein wichtiger Teil der Psychiatrie. Erlaubt man einen Ausblick auf die zukünftige Therapie, so könnte im Jahr 2024 die Medikamentenbehandlung auf Grundlage der individuellen Biosignatur „massgeschneidert” erfolgen. Ein Lossagen davon, die Depression als eine kollektive Normabweichung zu betrachten und Depressionen mit dem Ansatz „onesize-fits-all“ zu behandeln, ist zukünftig denkbar. Stattdessen wird die Medizin personalisiert. Basis dafür ist die Tatsache, dass sich unter der Diagnose Depression zusammengefasste Patientenpopulationen hinsichtlich der krankheitsverursachenden Pathologie genetisch unterscheiden. Biomarker und Gentests werden uns in Zukunft die Aufteilung der Pathologie „DepresProf. Dr. med. Dr. rer. nat. sion“ in Untergruppen mit einheitlicher Dr. h. c. mult. Pathologie erlauben, für welche speFlorian Holsboer, München zifisch Medikamente entwickelt werden können. Die finanzielle Seite dieser zukünftigen Behandlungsoption muss noch geklärt werden: Glaubt man Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Florian Holsboer, Direktor des Max Planck-Instituts für Psychiatrie in München, so ist dies realistisch, denn eine personalisierte Medizin ist hinsichtlich ihrer Kosten für die Medikamentenentwicklung wesentlich günstiger (bis zu 30%) als eine Therapie mit Blockbusters. wwDr. Sonia Fröhlich Quelle: Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorder (SFMAD), 10. April 2014, Zürich _ 2014 _ der informierte arzt 6205