98 7 Zusammenfassung Im Rahmen der Versorgungsverpflichtung der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde eine Kohorte von 117 Patienten mit unipolarer Depression, die stationär behandelt und konsekutiv aufgenommen wurden, dahingehend unterteilt, ob aktuell eine komorbide Angststörung vorlag oder nicht. Die Patienten wurden während der aktuellen Episode untersucht, wobei Angst, Depression (mittels der CDRS), globales Funktionsniveau (GAS) und Affektprofile (PANAS) prospektiv erfasst wurden. Mittels entsprechender Interviews sowie unter Zuhilfenahme von Vorbefunden wurde die Krankheitsgeschichte erhoben. Die Querschnittsdiagnostik beinhaltete Diagnostik gemäß DSM-IV (SKID-I und SKID-II) sowie die Erfassung verschiedener Aspekte der Persönlichkeit (NEO-FFI und andere), der Lebensqualität (WHOQOL) sowie anderer psychologischer und psychopathologischer Konstrukte, die für das Verständnis von Angststörungen und Depression relevant sind. Auch erfolgte ein Vergleich der klinisch gestellten Diagnosen mit Forschungsdiagnosen. 36 Patienten (30.8%) litten komorbide an einer Angststörung gemäß DSM-IV. Im kurzfristigen Episodenverlauf unterschieden sich Patienten mit und ohne Angststörungen hinsichtlich depressiver Symptomatik, globalem Funktionsniveau, Behandlungsdauer und Therapieformen nicht. Tendenziell litten aber depressive Patienten mit Angststörungen gehäuft an Substanzmissbrauch, sie wiesen mehr Suizidgedanken, mehr frühere Krankheitsepisoden und geringere Lebensqualität auf als „rein“ depressive Patienten. Auch war in der Vorgeschichte ein Verlaufsmuster mit wiederholten Episoden mit Angstsyndromen zu erkennen, ohne dass dieses Muster als grundsätzlich stabil anzusehen wäre. Die Persönlichkeit der Patienten mit Angst und Depression war dahingehend auffälliger, dass mehr Neurotizismus und Selbstunsicherheit festgestellt wurde. Klinisch wurden Angststörungen (gemäß dem SKID-I Interview) in der Mehrzahl der Fälle nicht als eigene Diagnosen gestellt. Kein Anhaltspunkt fand sich, dass depressive Patienten mit und ohne Angststörungen sich hinsichtlich von saisonalen Befindlichkeitsschwankungen unterschieden. Das Auftreten einer aktuellen Episode mit Angst und Depression wurde nicht durch die Schwere der aktuellen Depression, wohl aber durch die Tatsache, dass schon einmal früher eine Episode mit Angstsyndrom aufgetreten war, prädiziert. Lebensqualität wurde durch das Ausmaß aktueller Angst- und aktueller Depressionssymptomatik in etwa gleichem Maß 99 bestimmt, während das globale Funktionsniveau fast ausschließlich durch das aktuelle Ausmaß depressiver Symptomatik bedingt war. Die Ergebnisse stützen weder, dass Angststörungen sekundäre Erscheinungen von Depressionen sind, noch scheint eine eigene „Krankheitsentität Cothymia“ (=Depression plus Angst) gerechtfertigt. Vielmehr lassen sich die Resultate dahingehend interpretieren, dass eine individuelle Prädisposition besteht, Angstsymptome und –syndrome zu entwickeln, so dass sich dann daraus ein quasi „cothymisches Verlaufsmuster“ entwickelt, wenn depressive Episoden dazukommen. Dieses Verlaufsmuster scheint einige negative prognostische Aspekte aufzuweisen – mehr Substanzmissbrauch, größere Suizidalität, geringere Lebensqualität und mehr Krankheitsepisoden. Hinweise gibt es darüber hinaus, dass Patienten subjektiv Angst beeinträchtigender erleben, als dies von behandelnden Ärzten oft wahrgenommen wird. Klinisch werden jedenfalls Angststörungen bei Depressionen häufig nicht als eigene Störung angesehen.