Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen 2015 Joana Straub (M.sc), leitende Psychologin Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Affektive Störungen Was versteht man unter affektiven Störungen? Affekt: Fühlen und Gefühle/ Emotionen Was sind Gefühle? Gefühle bei sich und anderen erkennen 1 Aggression 4 Lust 2 Glück 5 Angst 3 Trauer 6 Ekel Agenda 1 - Epidemiologie 2 - Ätiologie 3 - Behandlung 4 -Epidemiologie 5 - Ätiologie 6 - Behandlung der Depression der Angst 1 2 3 4 5 6 Epidemiologie/Symptome der Depression Prävalenz der Depression 1 • Vorschulkinder: <1 % (Lebenszeitprävalenz) • Grundschulkinder: 1- 2 % (Lebenszeitprävalenz) 2 (Grön & Petermann, 2008) • 3 Jugendliche: 5,7% (Meta-Analysen mit unterschiedlichen Diagnostik-Zeiträumen) (Costello et al. 2008) - 18% (Lebenszeitprävalenz) (Lewinsohn et al. 1993) 4 5 Geschlechterunterschiede: 6 • Kinder bis 13 Jahre (m:w 1:1) • Jugendliche ab 13 (m:w 1:2) (Rao & Chen, 2009) Verlauf 1 • 2 3 al, 1994) • Dauer einer mittleren depressiven Episode: 8 Monate • Fast die Hälfte der depressiv Erkrankten remittieren innerhalb eines Jahres (NICE 2005) • Wiederauftretensrate: 20-60% nach 1 Jahr 70% nach 5 Jahren (Birmaher et al. 2002; Costello et al. 2002) 4 • 5 6 Durchschnittsalter der Erstmanifestation der Depression liegt je nach Studie zwischen 11,8 (Essau, 2000) Jahren und 14,9 Jahren (Lewinsohn et 45% der Teenager, die sich schon einmal von einer depressiven Episode erholt hatten, erkrankten erneut im Alter zwischen 19 und 24 Jahren ICD-10 Kriterien 1 2 Depressive Episode (F 32) • G1. Die depressive Episode sollte mindestens zwei Wochen dauern. • G2. In der Anamnese keine manischen oder hypomanischen Symptome, die schwer genug waren, die Kriterien für eine manische oder hypomanische Episode zu erfüllen • G3. Häufigstes Ausschlusskriterium: die Episode ist nicht auf einen Missbrauch psychotroper Substanzen oder auf organische Ursachen zurückzuführen 3 4 5 6 ICD-10 Kriterien 1 2 Depressive Episode (F 32) A Depressive Stimmung B Interessensverlust/Freudeverlust C Kein Antrieb/ erhöhte Ermüdbarkeit 3 4 5 6 - Vermindertes Selbstwertgefühl/ Schuldgefühle - Wiederkehrende Gedanken an den Tod - Konzentrations-/ Aufmerksamkeitsprobleme - Psychomotorische Agitiertheit/Hemmung - Schlafstörungen - Appetitverlust ICD-Kriterien 1 2 3 4 5 6 Leichte Episode F 32.0 - Mindestens 4 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon mindestens 2 der Symptome A,B,C - Patient kann soziale, häusliche und schulische/berufliche Aktivitäten unter Schwierigkeiten fortsetzten, gibt alltägliche Aktivitäten nicht vollständig auf Mittelgradig depressive Episode F32.1 - Mindestens 6 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon mindestens 2 der Symptome A,B,C. - Patient kann berufliche/schulische Aktivitäten nur unter erheblichen Schwierigkeiten fortsetzten. Schwere depressive Episode ohne psych. Symptome F32.2 - Mindestens 8 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon alle der Symptome A,B,C - Patient ist in der Regel nicht mehr in der Lage, soziale, häusliche und schulische/berufliche Aktivitäten fortzusetzen. Schwere depressive Episode mit psych. Symptomen F32.3 Symptome im Vorschulalter Im Vorschulalter: 1 2 3 4 5 6 • Trauriger Gesichtsausdruck • Verminderte Gestik und Mimik • Leicht irritierbar und äußerst stimmungslabil • Mangelnde Fähigkeit sich zu freuen • Introvertiertes, aber auch aggressives Verhalten • Vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten • Essstörungen bis zu Gewichtsverlust/- zunahme • Schlafstörungen (Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen) Symptome im Schulalter 1 2 3 4 5 6 Im Schulkindalter: • Berichten von Traurigkeit • Suizidale Gedanken • Befürchtungen, dass Eltern ihnen nicht genügend Beachtung schenken • Schulleistungsstörungen • Dysfunktionale Kognitionen Im Pubertäts- und Jugendalter: • Vermindertes Selbstvertrauen • Apathie, Angst, Konzentrationsmangel • Leistungsstörungen • Schwankungen des Befindens • Psychosomatische Störungen • Gereiztheit Komorbiditäten 1 • 2 3 4 5 6 42.8% der Jugendlichen mit Major Depression weisen in ihrer Lebenszeitdiagnose eine weitere psychische Störung auf (Lewinsohn et al. 1998) Angststörung: 21% (z.B. Trennungsangst; spezifische Phobie) Verhaltensstörungen: 12.4% (z.B. Störung des Sozialverhaltens) Psychosen (viele Schizophrenie-Patienten zeigen im Verlauf eine manifeste depressive Symptomatik) Störungen durch Substanzkonsum: 20.1% Essstörungen: 2.6% Begleitsymptome Depression geht häufig einher mit 1 2 3 • Einem niedrigen psychosozialen Funktionsniveau • Sexuellem Risikoverhalten • Gesundheitlichen Problemen • Einem erhöhten Suizid-Risiko (Saluja, et al., 2004) was in Europa die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen darstellt (Steele & Doey, 2007) 4 5 6 Die Global Burden of Disease Study der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Murray & Lopez, 1997) stellte fest, dass es sich bei der Depression um eine der häufigsten und beeinträchtigendsten Krankheiten weltweit handelt 1 2 Ätiologie der Depression 3 4 5 6 Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell 1 2 Depression 3 4 5 6 Biologische Faktoren Umweltfaktoren Psychische Faktoren Pathogenese: Genetische/ biologische Faktoren 1 • Alter (steigendes Risiko im Jugendalter) 2 • Weibliches Geschlecht (im Jugendalter sind mehr Mädchen betroffen); hormonelle Veränderungen in der Pubertät 3 • Anomalien des Hirnstoffwechsels (z.B. Mangel an Serotonin; veränderte Empfindlichkeit postsynaptischer Rezeptoren) • 4 • 5 6 Zusammenspiel des kurzen Allels des Serotonin Transporter Gens (5HTTLPR) und stressreichen Ereignissen (Eley et al. 2004) Genetische Veranlagung aufgrund eines depressiven Elternteils • Einfluss der Erblichkeit liegt zwischen 30% und 80% (Rice et al, 2002) • Kinder depressiver Eltern haben ein sechsfach höheres Risiko selbst depressiv zu werden (Essau, 1999) Pathogenese: Genetische/ biologische Faktoren Neuronale Aktivitätsunterschiede bei Depression 1 2 Im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe zeigte sich bei depr. Erwachsenen und Jugendlichen: 3 • eine erhöhte Aktivierung im subgenualen anterioren Cingulum (sgACC) (Gotlib et al. 2005; Baeken et al. 2010; Kumari et al. 2003; Yang et al. 2009) • eine erhöhte Amygdala Aktivierung 4 5 (Arnone et al. 2012; Mingtian et al, 2012; Almeida, 2010; Fu et al. 2004; Godlewska et al. 2012; Rosenblau et al. 2012; Sheline et al. 2001; Roberson-Nay et al 2006; Yang et al. 2010) • veränderte/uneinheitliche Aktivierung im Hippocampus (Chantiluke, 2012; Tao et al. 2012) 6 Pathogenese: Kognitiv-emotionale Faktoren 1 2 Dysfunktionale Kognitionen (Beck 1967): • Kognitive Triade: negative Sicht der eigenen Person, der Welt und der Zukunft • Kognitive Schemata repräsentieren vergangene Erfahrungen einer Person und dienen dazu aktuelle Stimuli aus der Umwelt zu interpretieren (dichotomes Denken; systematische Denkfehler) 3 4 Verstärkungstheoretisches Modell (Lewinsohn, 1974): • Wichtig ist dabei die Gesamtheit der positiven Verstärkung (Lob, Anerkennung) das ein Individuum durch sein Umfeld erfährt • Daher ist ein Umfang potenziell verstärkender 5 6 Ereignisse und Aktivitäten wichtig Pathogenese: Kognitiv-emotionale Faktoren 1 2 3 4 5 6 Erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1974): • Wiederholt werden negative Situationen erlebt, die dem Betreffenden das Gefühl geben, dass das Leben unkontrollierbar sei • internale, stabile, globale Attribution negativer Ereignisse Pathogenese: Umweltfaktoren Familiäre Faktoren 1 • Geringe Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind (z.B. mangelnde Fürsorge) • Trennungen und Verlusterlebnisse (z.B. Tod eines Familienmitglieds) • Psychische Erkrankung eines Elternteils • Weitere familiäre Belastungen wie Ehestreitigkeiten, Armut und Missbrauch 2 3 4 5 6 Pathogenese: Umweltfaktoren Kontakte und Beziehungen zu Gleichaltrigen 1 2 • Geringere soziale Kompetenzen • Weniger enge Beziehungen und Kontakte zu Gleichaltrigen • Ablehnung und Isolation • Belastende Erfahrungen im Freundeskreis (z.B. Streit, Trennung, Krankheit, Tod) 3 4 5 6 Kritische Lebensereignisse und Stress • schulische Überforderung • körperliche Erkrankungen • Krankenhausaufenthalte • Umzüge 1 2 Behandlung der Depression 3 4 5 6 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) - Leitlinien 2013 DGKJPP, 2013 Kombination mit Pharmakotherapie 1 2 • trizyklische Antidepressiva (TZA): bei Kindern keine Wirksamkeit nachgewiesen • Selektive- Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI) (z.B. Fluoxetin) 3 • Wirksamkeit nachgewiesen • Zugelassen ab 8 Jahren für die Behandlung von Depressionen 4 5 6 • Besonders zu beachten Nebenwirkungen: Aktivierung (Erhöhung von Suizidgedanken) • Vorteil: im Gegensatz zu TZA ist SSRI weniger gefährlich bei Überdosierung • Johanniskraut (noch nicht bei Kinder und Jugendlichen überprüft) ! CAVE: Wechselwirkung mit der Pille Deutsche Therapieprogramme Name des Deutschen Englisches Original Programms 1 Alter der Setting Teilnehmer Kognitive Verhaltenstherapie bei Cognitive behavioral depressiven Kindern und therapy for children and Jugendlichen (Harrington, 2001) adolescents with depressive 8-17 Jahre Anzahl/Dauer der Sitzungen Einzel- 8 Sitzungen á 45 setting Minuten Gruppen- 10 Sitzungen á 90 setting Minuten Gruppen- 17 Sitzungen á 90- setting 120 Minuten Gruppen- 5 Sitzungen á 75- setting 90 Minuten disorders (Vostanis, et al., 2 3 1996) Stimmungsprobleme bewältigen Coping with depression (Ihle & Herrle, 2011) course for adolescents 16-21 Jahre (CWD-A) (G. Clarke & Lewinsohn, 1989) 4 5 Kognitive Verhaltenstherapie bei Coping with depression Kindern und Jugendlichen (Abel course for adolescents & Hautzinger, 2013) (CWD-A) (G. Clarke & Lewinsohn, 1989) Manualized intervention to cope 6 12-18 Jahre with depressive symptoms help strengthen resources and improve emotion regulation (MICHI) (Sproeber, Straub, Fegert, & Koelch, 2012) 13-18 Jahre Deutsche Behandlungsmanuale 1 2 3 4 5 6 Straub et al. 2014 1 2 Epidemiologie der Angst 3 4 5 6 Prävalenz von Angststörungen im Kindesalter • 75,8% der Kinder geben an, sich vor mindestens einer Situation zu fürchten (Muris et al. 2000) • Ängste sind häufige Störungen: ca. 10% der Jugendlichen erfüllen irgendwann in ihrem Leben die diagnostischen Kriterien einer Angststörung (Ihle und Esser 2002) 1 2 3 4 5 Ängste Lebenszeit-Prävalenz Phobie 3-11% Zwangsstörung 0,4-2,1% PTBS 1,3%-6% Panikstörung 1% • Aber: Ängste sind nicht immer Störungen Entwicklungspsychologisch bekannte „normale“ Ängste: 6 z.B. Fremdeln und Dunkelangst Komorbiditäten bei Angststörungen im Kindesalter Geschlecht: 1 • Mädchen weisen ca. 2- bis 4-mal höhere Raten von Angststörungen auf als Jungen (Canals et al. 1997) • Zwangsstörung ähnlich verteilt zwischen Geschlechtern (Rheinherz et al. 2 1993) • Erklärungen: genetisch oder biologisch bedingt; verschiedene Erfahrungen; soziale Rolle 3 Komorbiditäten: 4 5 • 70,1% der Personen mit Angst erfüllten auch die Kriterien einer anderen psychischen Störung Depression (Lebenszeitprävalenz: 30,2%) Somatoforme Störung (Lebenszeitprävalenz: 26,6%) Substanzmissbrauch (Lebenszeitprävalenz: 11,5%) 6 Externalisierende Störungen (Lebenszeitprävalenz: 23-69%) Angststörungen laut ICD-10 1 2 3 4 5 6 Angststörungen laut ICD-10 1 2 3 4 5 6 Angststörungen laut ICD-10 F40 Phobische Störungen 1 F40.0 Agoraphobie F40.1 Soziale Phobie 2 F40.2 Spezifische Phobie F41 Sonstige Angststörungen 3 F41.1 Generalisierte Angsstörung F41.2 Angst und depressive Störung, gemischt 4 F42 Zwangsstörung 5 F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen 6 F43.0 Akute Belastungsreaktion F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F43.2 Anpassungsstörungen Emotionale Störung des Kindesalters Paula, 7 Jahre weicht seit einigen Wochen ihrer Mutter kaum noch von der Seite. Ständig befürchtet sie, ihre Mutter könnte auf dem Weg zum Einkaufen von einem Auto überfahren oder entführt werden und nicht mehr zu ihr zurückkommen. Häufig träumt sie davon wie sie gewaltsam von ihrer Mutter getrennt wird, Die Mutter muss all ihre Überzeugungskraft aufbieten, damit Paula überhaupt zur Schule geht, aber auch das klappt nicht immer. Auch ihrer Freundinnen, mit denen sie früher gerne spielte, besucht sie nicht mehr, aus Angst, dass ihrer Mutter in der Zwischenzeit etwas Schlimmes zustoßen könnte. Emotionale Störung des Kindesalters 1 2 3 4 5 6 Ätiologie der Angst im Kindesalter Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell 1 2 Angst 3 4 5 6 Biologische Faktoren Umweltfaktoren Psychische Faktoren Pathogenese: Genetische/ biologische Faktoren • 1 2 • 3 4 Genetik • 40,4% der Eltern von Kindern mit einer Angststörung haben ebenfalls eine Angststörung Dysfunktionale Gehirnaktivierung: Überaktivität der Amygdala: Entstehung und Aufrechterhaltung der Angst Hippocampus: wichtige Rolle bei Erlernen und Löschen von Angstreaktionen Neurotransmittersysteme: Veränderte Aktivierung des noradrenergen, serotonergen und dopaminergen Systems 5 • Beteiligung der Hypophysen-Hypothalamus NebennierenrindenAchse • Persönlichkeitsvariablen (behavioral inhibition) 6 Pathogenese: Kognitiv-emotionale Faktoren 1 • • Konditionierung Angst ist evolutionär sinnvoll - Evolutionär nachvollziehbare Ängste werden schneller erlernt (preparedness) (Angst vor Schlange versus Angst vor dem Autofahren) 2 • 3 4 5 6 Verzerrte Informationsverarbeitung - Aufmerksamkeitsverschiebung auf bedrohliche Reize - Neigung, angstrelevante Reize als bedrohlich zu bewerten - Neigung, bedrohliche Reize besser zu erinnern Pathogenese: familiäre Faktoren • Elterlicher Erziehungsstil (z.B. Überbehütung) • Modelllernen 1 2 3 4 5 6 Behandlung der Angst im Kindesalter Behandlung von Angststörungen im Kindesalter 1 2 3 • Domäne psychotherapeutischer Interventionen • Wichtig Einbezug der Eltern (Vermeidung von störungsaufrechterhaltendem Verhalten) Therapieelemente • Psychoedukation • Angstmodell und Angstkurve • Exposition mit Reaktionsverhinderung • Zusammenhang körperlicher Symptome mit Angst 4 5 6 Behandlung von Angststörungen im Kindesalter • In schweren Fällen kann eine medikamentöse Therapie notwendig sein • In Deutschland sind nur wenige geeignete Medikamente für die Behandlung von Angsterkrankungen (Antidepressiva) im Kindesund Jugendalter zugelassen - Imipramin - Comipramin - Fluvoxamin (SSRI) • Benzodiazepine sind für die Akutbehandlung von Angstzuständen im Kindes- und Jugendalter indiziert (CAVE: Abhängigkeitspotential) 1 2 3 4 5 6 Fragen? Danke für Eure Aufmerksamkeit!