04.11.2016 Depressionen im Alter: Erscheinungsformen, Besonderheiten und Behandlungsmöglichkeiten H.-P. Volz Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck und Zentrum für Seelische Gesundheit (ZSG) am König-LudwigHaus Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten 1 04.11.2016 Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten 2 04.11.2016 Die häufigsten psychischen Störungen bei Männern und Frauen (12-Monats-Prävalenz in Prozent) Robert Koch-Institut Berlin, 2012 Wittchen & Jacobi Belastung durch Krankheiten in den entwickelten Ländern WHO-Study: Gobal Burden of Disease (Lopez et al., 1996) 12 19 8 6 4 2 0 3 04.11.2016 Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten Hauptkriterien 2 2 =3 + + + 2 3-4 >4 und und und gedrückte depressive Stimmung Interessenverlust, Freudlosigkeit Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit Nebenkriterien Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken / -handlungen Schlafstörungen Verminderter Appetit Symptome Schweregrad „Depressive Episode“ der ICD-10 2 Wochen mittelgradige schwere Depressive Episode Verlaufsaspekte | Diagnose Depression leichte > ICD-10 F32.0 bzw. F33.0 F32.1 bzw. F33.1 F32.2 bzw. F33.2 S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitline Unipolare Depression, 2. Auflage 2015 4 04.11.2016 Diagnostik - ICD-10: Depressive Episode F32 Hauptsymptome Andere häufige Symptome 1. Gedrückte Stimmung 2. Interesse-/Freudlosigkeit 3. Antriebsstörung 1. Konzentration ↓ 2. Selbstwertgefühl ↓ 3. Schuldgefühl 4. Pessimistische Zukunftsperspektiven 5. Selbstbeschädigung 6. Schlafstörung 7. Appetitminderung 2 oder 3 Hauptsymptome müssen vorhanden sein 2 - 4 andere häufige Symptome müssen vorhanden sein Dauer: mindestens 2 Wochen Diagnostik - ICD-10: Depressive Episode F32 - Schweregradeinteilung Leichte depressive Episode (F32/33.0) mindestens 2 Hauptsymptome 2 andere häufige Symptome Mittelschwere depressive Episode (F32/33.1) mindestens 2 Hauptsymptome 3-4 andere häufige Symptome einige Symptome sind besonders schwer ausgeprägt Schwere depressive Episode (F32/33.2) mindestens 3 Hauptsymptome mindestens 4 häufige Symptome einige Symptome sind besonders schwer ausgeprägt 5 04.11.2016 Diagnostik: Patientenbeispiel 72jähriger allein stehender Mann. In der Praxis berichtet er zunächst über körperliche Symptome, die er auf seine schon seit Jahren bestehende COPD zurückführt, wie etwa Antriebsverlust, ausgeprägte Interesselosigkeit, deutliche Schlafstörungen und Appetitminderung. Auf Nachfragen erfahren Sie, dass er - besonders morgens unter einer deutlich gedrückten Stimmung leidet, dass sein Selbstwertgefühl gelitten hat, ja, dass er öfter daran denkt, dass so das Leben nichts mehr wert sei, dass es vielleicht das Beste wäre, damit Schluss zu machen. Die gesamte Symptomatik habe sich über einen Zeitraum von 3 Wochen vor etwa 2 Monaten entwickelt. Seit dieser Zeit seien die Symptome dauernd vorhanden. Welche Diagnose trifft bei dem Patienten zu? Leichte depressive Episode Mittelschwere depressive Episode Schwere depressive Episode Generalisierte Angststörung Physiologische Altersveränderungen Somatisierungsstörung 6 04.11.2016 Diagnostik: Patientenbeispiel 72jähriger allein stehender Mann. In der Praxis berichtet er zunächst über körperliche Symptome, die er auf seine schon seit Jahren bestehende COPD zurückführt, wie etwa Antriebsverlust, ausgeprägte Interesselosigkeit, deutliche Schlafstörungen und Appetitminderung. Auf Nachfragen erfahren Sie, dass er - besonders morgens unter einer deutlich gedrückten Stimmung leidet, dass sein Selbstwertgefühl gelitten hat, ja, dass er öfter daran denkt, dass so das Leben nichts mehr wert sei, dass es vielleicht das Beste wäre, damit Schluss zu machen. Die gesamte Symptomatik habe sich über einen Zeitraum von 3 Wochen vor etwa 2 Monaten entwickelt. Seit dieser Zeit seien die Symptome dauernd vorhanden. WHO-5 Screening nach Depression In den letzten beiden Wochen 1. Ich war froh und guter Laune 2. Ich habe mich ruhig und entspannt gefühlt Die ganze Zeit Meistens Über die Hälfte der Zeit Weniger als die Hälfte der Zeit Ab und zu Zu keinem Zeitpunkt 5 4 3 2 1 0 5 4 3 2 1 0 3. Ich habe mich aktiv und voller Energie gefühlt 5 als 13 4 Punkte: 3 2 1 Weniger Depression 4. Beim Aufwachen habe ich mich frisch und ausgeruht gefühlt 5. Mein Alltag war voller Dinge, die mich interessieren 0 5 4 3 2 1 0 5 4 3 2 1 0 7 04.11.2016 Wann zum „Experten“? schwere depressive Episode Suizidalität Therapieresistenz Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten 8 04.11.2016 Suizidraten (je 100 000 Einwohner) in Deutschland 2014 120 100 Männer Frauen 80 60 40 20 0 Alter in Jahren Suizide bei Älteren Suizidrate 4 - 5x höher als in der Jugend demonstratives Verhalten selten bei suizidalen Älteren in 80 % Depressionen Depressionen häufig unerkannt, atypische Ausprägung, demzufolge häufig nicht oder unzureichend behandelt „stille“ Suizidalität: eingeschränkte Nahrungsund/oder Flüssigkeitszufuhr, Non-Compliance 9 04.11.2016 Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten Biologische Betrachtungsweise ein Beispiel 10 04.11.2016 An der Emotionsregulation beteiligte Gehirngebiete Somatosensorischer Kortex Präfrontaler Kortex Exekutivfunktionen Insulärer Kortex Anteriorer zingulärer Kortex Entscheidungsfindung, Empathie Thalamus Hippocampus Episodisches Gedächtnis, Lernen Nucleus accumbens Angst (Kampf – Flucht) Zerebellum CY/ELB/04/2010/258 Amygdala Charney DS, et al. Neurobiology of Mental Illness. 2nd ed. 2004. *Fanselow MS. Behav Brain Res. 2000;110(1-2):73-81. Hippocampus bei der Depression? Normal Depression Bremner JD, et al. Am J Psychiatry 2000; 157(1): 115-118; Nestler EJ, et al. Neuron 2002; 34(1): 13-25 11 04.11.2016 12 04.11.2016 Querschnitt: Meta-Analyse depressiver Patienten (nur Cambridge Neuropsychological Test Automated Battery ([Cantab]) depressed patients remitted patients Rock et al., Psychol Med 2013 `verzögerte Widergabe´ in Abhängigkeit von der Zahl depressiver Episoden Korrekte Zahl der verzögerten Widergaben (n) 12.5 12.0 11.5 11.0 10.5 10.0 0 1 2 3 ≥4 Vorangegangene depressive Episode (n) Die Kapazität für verzögerte Widergabe vermindert sich um 2 – 3 % für jede neue depressive Episode Study in outpatients with MDD (n=8229) MDD, major depressive disorder; MDE, major depressive episode Gorwood P et al. Am J Psychiatry 2008;165:731-739 13 04.11.2016 Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten Komorbiditätsraten • Diabetes-Patienten weisen ein zwei bis dreifach erhöhtes Risiko auf, an einer Depression zu leiden1,2 • Neu diagnostizierte DM Typ I-Patienten: ausschließlich Punkt-Prävalenz für Depression (5,8 vs. 2,7%), für keine andere psychiatrische Störung erhöht.3 • Diese Patienten zeigen auch eine erhöhte Inzidenz von Angststörungen, allerdings ist hier das Risiko nicht so hoch wie für Depression.4 • Die Studien leiden insgesamt an mangelnder Repräsentativität. 1Anderson et al., 2001;2Ali et al., 2006; 3Petrack et al., 2003; 4Das-Munshi et al., 2007 14 04.11.2016 Folge der Komorbidität Depression - DM Höhere Sterblichkeit als Folge der diabetischen Spätkomplikationen.1-5 Verminderte Glucose-Spiegel-Kontrolle.3, 7, 9 Erhöhte Zahl mikro- und makrovaskulärer Komplikationen.6 Reduzierte Adherence.8, 9 Verminderte Lebensqualität.9, 10 1Egede 5Gonzalez et al., 2005; 2Katon et al., 2008; 3DeGroot et al., 2001; 4Rush et al., 2008; et al., 2007; 6Lustmann et al., 2000; 7Anderson et al., 2002; 8Das-Munshi et al., 2007; 9Lustman & Clouse, 2005; 10Wändel, 2005 Depression und Komorbidität Diabetes mellitus Schlaganfall Herzinfarkt Demenz Parkinson Syndrom Restless legs (RLS) Mammakarzinom Multimorbidität und Polypharmazie 15 04.11.2016 Sonderfall Demenz vom Alzheimer-Typ Alzheimer-Demenz: Häufigkeit nicht-kognitiver Störungen im Krankheitsverlauf 100% Symptome der BEHAVEAD-Skala [%] 100 Studienbeginn 2 Jahre Krankheitsverlauf 80 87% 78% 74% 66% 60 40 20 57% 53% 35% 35% 47% 35% 18% 0 Halluzinationen Wahn Angst Aggres- Depressivität sivität Agitiertheit MMSE-Mittelwert: 13,5, n = 60 Haupt M, Kurz A, Jänner M: A 2-Year Follow-Up of Behavioural and Psychological Symptoms. in Alzheimer's Disease. Dementia and Geriatric Cognitive . Disorders 2000; 11:147-152 16 04.11.2016 Depression (Pseudodemenz) - Demenz 33 Agenda Epidemiologie Diagnose Suizidalität Biologische Betrachtungsweise – ein Beispiel Komorbidität Therapie/therapeutische Besonderheiten 17 04.11.2016 Depressionsschwere leicht mittelgradig schwer Aufklärung/Psychoedukation Partizipative Entscheidung Aktiv/abwartend (14d) Symptomatik stabil/ verschlechtert Psychotherapie oder Pharmakotherapie Psychotherapie oder Pharmakotherapie Psychotherapie und Pharmakotherapie S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitline Unipolare Depression, 2. Auflage 2015 Organfunktion - Marathon Weltrekord Zeit 4h 3h 2h 0 20 40 60 80 Alter 18 04.11.2016 Organfunktion im 75. Lebensjahr (im 30. Lebensjahr = 100%) Organ → Verbliebener Funktionsumfang (%) Gehirnzirkulation 80 Herzschlagvolumen in Ruhe 70 Glomeruläre Filtration 69 Anzahl der Nervenfasern 63 Vitalkapazität der Lunge 56 Anzahl der Geschmacksknospen Handmuskelkraft 35 55 Max. Dauerleistung 70 Max. Spitzenleistung 40 ältere Patienten sind heterogen denn: 90% physiologischer Alterungsprozess mit Reduktion der Organfunktionen 10% „Successful agers“, z.B. keine Reduktion der Nierenfunktion bis zum 70.-75. Lebensjahr Aber: Generika: 45% Bioverfügbarkeits-Schwankungen zugelassen 19 04.11.2016 Plasmaspiegel Bioäquivalenz 125% 100% 45% 80% Zeit Abkürzungen Klasse RIMA (Moclobemid) reversible Monoaminoxidase-A- Noradrenalin, Serotonin, Inhibitoren (Dopamin) SSRI (Citalopram, selektiver SerotoninWiederaufnahmehemmer Serotonin NaSSA (Mirtazapin) noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva Noradrenalin, Serotonin SNRI (Reboxetin) selektiver NoradrenalinWiederaufnahmehemmer Noradrenalin NDRI (Buproprion) Noradrenalin- und DopaminWiederaufnahmehemmer Noradrenalin, Dopamin SSNRI (Duloxetin, Venlafaxin, selektiver Serotonin- und NoradrenalinWiederaufnahmehemmer Serotonin, Noradrenalin MASSA (Agomelatin) M1- u. M2-Agonist, 5HT2CAntagonist - ? Johanniskrautextrakte Noradrenalin, Serotonin, Dopamin G-Mo (Tianeptin) Glutamat-Modulator Glutamat, Serotonin Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin) Milnacipran) Transmittersysteme 20 04.11.2016 Depression und Komorbidität Diabetes mellitus Schlaganfall Herzinfarkt Demenz Parkinson Syndrom Restless legs (RLS) Mammakarzinom Multimorbidität und Polypharmazie 1A2 2B6 2C9 2D6 3A4 Citalo Esc Moclo 2C19 Fluo Fluvo Par Ser Mirt = Substrat = Hemmer Reb Bup Venla Dulo Pgp = Induktior Milna Ago = klinisch relevant Tia Vort Joh Psiac,2016; mediQ, 2016 21 04.11.2016 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Schloss Werneck 22