Psychische Störungen als mögliche Folgen von Arbeitsunfällen

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Psychische Störungen als
mögliche Folgen von
Arbeitsunfällen
Prof. Dr. med. V. Köllner
Fachklinik für Psychosomatische Medizin,
Mediclin Bliestal Kliniken, 66440 Blieskastel
und
Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes,
66421 Homburg/Saar
[email protected]
Themen
 Akute Belastungsreaktion
 Posttraumatische
Belastungsstörung
 Anpassungsstörung
 Angststörungen
 depressive Störungen
 chronische Schmerzsyndrome
 Therapiemöglichkeiten und
Rehabilitation
Frau P., eine 39jährige Waldarbeiterin
 Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit
 längere Zeit im Auto eingeklemmt
 schwere innere Verletzungen,
Langzeitbeatmung, linkes Bein konnte nur
durch zahlreiche Operationen erhalten
werden.
 Im Verlauf therapieresistentes chronisches
Schmerzsyndrom (li. Bein, WS und
Spannungskopfschmerz), v. a.
Analgetikaabusus und Depression
 2 J. nach Unfall erstmals psychosomatische
Diagnostik im Rahmen der Begutachtung
Frau P...
 PTBS mit Intrusionen, Vermeidungsverhalten
und Schreckhaftigkeit, massive Schuldgefühle
 Schmerzen im Bein lösen intrusives
Wiedererleben des Eingeklemmtseins aus
 Schmerz kann auch als intrusives Symptom
auftreten
 Analgetika werden häufig zum Ausschalten
der Intrusion eingesetzt
 Erfolgreiche Therapie mit
Traumakonfrontation in sensu und kogn.
Umstrukturieren.
Akute Belastungsreaktion (F43.0)
 Unwillkürliche Erinnerungsbilder an das
Trauma, emotionale Unausgeglichenheit,
Schreckhaftigkeit und dissoziative Symptome
sind in den ersten Stunden bis Tagen nach
einem Trauma häufig.
 Die Prognose ist gut, die Symptome klingen
bei 70% - 90% der Betroffenen binnen
weniger Tage (max. 4 Wochen) wieder ab.
 Bei 10-30% entwickelt sich eine PTB.
 Spezifische Therapie ist meist nicht
erforderlich. Debriefings sind bestenfalls
wirkungslos. Bei ausgeprägter Symptomatik
ist kogn. Verhaltenstherapie eine geeignete
Frühintervention.
Umgang mit akuten Belastungsreaktionen
 Versichern in den ersten Tagen, daß die Symptome
eine "normale Reaktion auf ein nicht normales
Erlebnis" sind und eine gute Prognose haben.
 Ermutigen Sie sie, über das Erlebte zu sprechen und
bieten Sie an, psychologische Beratung zu vermitteln,
wenn dies gewünscht wird.
 Seien Sie sparsam mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln, um keine Abhängigkeit zu bahnen.
 Fragen Sie im weiteren Verlauf, ob die Symptome
abklingen.
 Für die Begutachtung wegen der
definitions-gemäß kurzen Dauer nicht
relevant!
Posttraumatische Belastungsstörung
 Erleben eines Traumas und anschließend länger




als 6 – 12 Wochen mehrere der folgenden
Symptome:
sich aufdrängende Erinnerungen (Intrusion),
verbunden mit negativen Gefühlen wie Angst,
Nieder-geschlagenheit oder Schmerz.
Versuch, diese Erinnerungen zu vermeiden
Niedergeschlagene Stimmung; Unfähigkeit, zu
genießen; Abflachung der Gefühle; Mißtrauen,
sozialer Rückzug; Depressionen bis zu
Suizidgedanken
Vermehrte Wachsamkeit, Übererregung,
Herzrasen, Schlafstörungen (Hyperarousal)
Diagnostische Kriterien nach DSM-IV und ICD-10
DSM-IV
ICD-10
Traumatisierung
 Ereignis, das schwere körperliche
Verletzung, möglichen Tod oder
Bedrohung der physischen Integrität
der eigenen oder anderer Personen
beinhaltet
 Subjektive Reaktion mit intensiver
Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
 belastendes Ereignis oder eine
Situation außergewöhnlicher
Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes
 Ereignis würde bei fast jedem
eine tiefe Verstörung hervorrufen
Symptome
 Intrusion (mind. 1)
 Vermeidung / emot. Taubheit (> 2)
 autonome Übererregung (> 1)
 Intrusionen (nicht spezifiziert)
 Vermeidung (nicht spezifiziert)
 Amnesie oder 2
Arousalsymptome
Beginn
 Keine Beschränkung
 Spezifikation des verzögerten
Beginns, wenn die Symptomatik ab 6
Monate nach dem Trauma einsetzt
 innerhalb von 6 Monaten nach
dem Trauma (Ausnahmen
möglich, dann aber keine
komorbide Störung zugelassen)
Dauer
 mindestens 4 Wochen
 keine Angaben
Beeinträchtigung
 durch Symptomatik bedingte klinisch
bedeutsame Beeinträchtigung in
wichtigen Lebensbereichen
 keine Angaben
Verlauf und Prognose
 Die Symptome können sofort auftreten, freies
Intervall von Wochen bis vielen Monaten ist aber
ebenso möglich.
 Risikofaktoren für die Entstehung einer PTB sind
ausgeprägte Gefühle von Todesangst, Hilflosigkeit
und Ausgeliefertsein in der traumatischen Situation,
die die psych. Verarbeitungsfähigkeit in der
traumatischen Situation übersteigen.
 Es bildet sich ein Trauma-Gedächtnis, in dem das
Ereignis so erinnert wird, als ob es gerade wieder
geschähe.
Verlauf und Prognose
 Prädisponierende Faktoren sind frühere
Trauma-tisierungen sowie Angst- und
depressive Störungen in der Vorgeschichte.
 Folgekomplikationen sind Alkohol-, Drogenoder Medikamentenabhängigkeit, Depression
bis zum Suizid, Übergang in eine
Persönlichkeitsstörung (F62.0) und ein
schlechterer Verlauf körperlicher Erkrankungen.
Kurzdauernde traumatische
Ereignisse (Typ I - Traumata)
 Naturkatastrophen
 Techn. Katastrophen
 Unfälle
 Verbrechen, Gewalttaten
 Ereignisse im Rahmen körperlicher Erkrankungen
Längerdauernde, wiederholte
Traumatisierung (Typ II - Traumata)
 Geiselhaft
 Folter
 Krieg
 KZ-Haft
 wiederholte körperliche oder sexuelle
Mißhandlung in der Kindheit. Hier häufig
komplexe PTB mit zusätzlichen Symptomen
wie
- dissoziative Störungen
- Persönlichkeitsstörungen
- somatoforme Störungen
PTB-Häufigkeit nach verschiedenen
Traumaarten (nach Maercker, 2003)
Folter
bis zu 100%
Vergewaltigung
50%
Krieg (Soldaten oder Zivilisten)
38%
Mißhandlung in der Kindheit
35%
Körperliche Gewalt
15%
Katastrophen
Schwere Unfälle
12,5%
2,5% - 8,2%
ARDS mit Langzeitbeatmung
etwa 25%
Rettungssanitäter, ITS-Pflegepersonal
bis zu 40%
Auswirkungen einer PTBS auf den
Rehabilitationsverlauf nach Unfällen
(M. Braunheim, ..., G. Heuft et al., VDR-Tagung 2004)
N=309 Unfallverletzte; 75%m/25%w; Alter Ø 38Jahre
PTB-Inzidenz
5,6% Vollbild
11,7% subsyndromale PTBS
Arbeitsfähigkeit
105 zu 146 Tage AU, Patienten mit PTBS
häufiger Stundenreduktion oder Umsetzung
Prädiktoren
Vorhersage
T1T2
m/w = 1/2; psych. Vorbelastung, frühere
Traumata, schwerere Verletzung, initial
Dissoziation, soz. Unterstützung 
initial stärkere Symptome (v. a.
Intrusion), frühere Unfälle; Depression
zu T1, Geschlecht
Besonderheiten in der
Begutachtungssituation
 PTBS-Betroffene vermeiden es nicht selten, spontan
über das traumatische Erlebnis und die
Folgesymptome zu sprechen
 Verbitterung als emotionale Reaktion kann ebenso zu
unangemessenem Verhalten in der Begutachtungssituation führen wie ausgeprägter Kampf um
Gerechtigkeit/ Wiedergutmachung
 PTB-Betroffene können ausgeprägte
Gegenübertragungs-gefühle auslösen, z. B.
- Anteilnahme, Unrecht soll ungeschehen gemacht
werden
- Abwehr („das kann doch nicht wahr sein“)
 Vor allem Symptome der Übererregung lassen sich in
der Untersuchungssituation gut beobachten.
Schmerz und Trauma
 Schmerzen können an den Unfall erinnern und
Intrusionen auslösen.
 Schmerzen können auch Symptom im rahmen
einer Intrusion sein.
 Vermeidungsverhalten kann den Heilungsverlauf
verzögern.
 Die durch Hyperarousal verursachte erhöhte
Anspannung trägt erheblich zur
Schmerzchronifizierung bei.
 Bei chronifizierenden Schmerzen nach einem
Unfall das Vorliegen einer PTBS abklären.
Anpassungsstörungen
 bei Unfällen, die nicht das Traumakriterium
erfüllen
 die Symptomatik ist schwächer ausgeprägt als
bei einer depressiven Episode oder einer
Angststörung
 eher günstiger Spontanverlauf
 Subtypen:
- mit depressiver Symptomatik
- Angst und Depression gemischt
- andere Emotionen sind betroffen
- im ICD-11: PTBS-Typ
Angststörungen
Am häufigsten werden nach Arbeitsunfällen
phobische Störungen beobachtet:
 Spezifische Phobien (z. B. Autofahr-Phobie)
 Agoraphobie
 soziale Phobie, wenn der Unfall Schamaffekte
auslöst oder mit einer Entstellung einhergeht.
 Zur Behandlung ist vor allem kognitive
Verhaltenstherapie mit Exposition sinnvoll.
Depressive Störungen
treten nach Arbeitsunfällen vor allem auf, wenn:
 der Unfall eine narzißtische Kränkung auslöst
 es zu schwerwiegenden
Funktionseinschränkungen kommt
(Verstärkerverlust)
 vorher intensiv betriebener Sport nicht mehr
möglich ist
 durch erzwungene Inaktivität und eine unklare
Zukunftsperspektive (erlernte Hilflosigkeit)
 als Behandlungsmöglichkeit stehen
psychosomatische Grundversorgung,
Psychotherapie, Antidepressiva und
Unterschiedliche Diagnosen &
Verläufe:
 schwere, mittlere und leichte depressive
Episode ( einzeln oder als Teil einer rez.
depressiven oder bipolaren Störung F32.x/
F33.x)
 Dysthymie als schleichend (> 2 Jahre)
verlaufende Depression mit geringerer
Symptomintensität (F 34.1)
 Anpassungsstörung als depressive Reaktion
auf belastendes Lebensereignis (F43.2)
Depressive Episode
Leichte/mittelschwere/schwere Episode
Mindestens 2/2/3 Symptome während eines Zeitraumes von
mindestens zwei Wochen aus der Gruppe
 gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit
 sowie mindestens 1/6/8 Symptome aus der Gruppe
verminderter Appetit, Gewichtsverlust, Schlafstörungen,
Verminderung des Antriebs, erhöhte Ermüdbarkeit,
Schuldgefühle, Konzentrationsstörung, Suizidgedanken /handlungen, vermindertes Selbstwertgefühl und
Selbstvertrauen, negative und pessimistische
Zukunftsperspektiven, deutlicher Libidoverlust
Zusammenfassung
 Psychische Störungen als Folge von
Arbeitsunfällen sind häufig, es besteht
Forschungsbedarf hinsichtlich der genauen
Inzidenz.
 Nicht nur eine PTBS, sondern auch
Anpassungsstörungen, Angststörungen und
depressive Störungen und chronsiche
Schmerzen treten auf.
 Ein systematisches Screening ist sinnvoll.
 Für die Mehrzahl der Betroffenen stehen
effektive Behandlungsmöglichkeiten zur
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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