Affektive Störungen im Kindesund Jugendalter Katharina Purtscher Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz Symptome im Entwicklungsverlauf Psychopathologische Phänomene sind im Kindes- und Jugendalter nur im Entwicklungskontext zu erkennen und zu verstehen. Risikofaktoren für die psychische Entwicklung Individuelle Stressoren Geschlecht, Temperament, biologische Faktoren, unterdurchschnittliche Intelligenz, chronische körperliche Erkrankungen, … Umweltfaktoren Psychische Erkrankung eines Elternteils, chronische Disharmonie und/oder Gewalt in der Familie, Misshandlung und/oder Missbrauch, unerwünschtes Kind, materielle Not, sehr frühe Elternschaft, niedriges Bildungsniveau der Eltern, … Entwicklungsphasen - typische Auffälligkeiten Säuglingsalter Entwicklung der Bindung zu primären Bezugspersonen, Auffälligkeiten im Bindungsverhalten Motorische Entwicklung: Sitzen, Krabbeln, Stehen, Gehen Sprachentwicklung Soziale Entwicklung: soziales Antwortlächeln, Fremdeln, Zuwendung Spiel: Funktions- und Tätigkeitsspiel Ausprägung neuronaler Netzwerke (use it or loose it) Entwicklungsphasen - Mittlere Kindheit Vielfältige Einflüsse aus Schule, Gleichaltrigengruppe und Medien Stabile Auseinandersetzung mit Regeln und Normen (internale Verhaltenssteuerung, Gewissen) Kognitive Entwicklung: Stadium der konkreten Operation nach Piaget (Konzeptund Regelbildung) Entwicklungsphasen Jugendalter, Adoleszenz Biologisches Wachstum und sexuelle Reifung Entwicklung von Identität, Intimität Sozialsituation: Ablösung von den Eltern, Zugehörigkeit, intime Paarbeziehungen Kognitive Entwicklung: Stadium der formalen Operationen nach Piaget (Abstraktionsfähigkeit, logisches hypothesengeleitetes Denken Psychische Störungen im Säuglingsalter Kleinkindalter Fortschreitende motorische Entwicklung (Grobmotorik) Sprachentwicklung Entwicklung der Geschlechtsidentität Beginnende Autonomie Spiel: Phantasiespiel, Rollenspiele Psychische Störungen im Säuglingsalter Regulationsstörungen Schreibabys Schlafrhythmusstörungen Fütterungs- und Gedeihstörungen Auffälligkeiten und Symptome im Kleinkindesalter Hohe Ängstlichkeit Ständige motorische Unruhe Impulsive/aggressive Handlungen Kaum Kontakt mit der Umwelt, Kontaktaufnahme mimisch, gestisch, sprachlich oft nur mit einer Person Auffälligkeiten und Symptome im Volksschulalter Schwierigkeiten in der Konzentration und Aufmerksamkeit Ständige motorische Unruhe Hohe Ängstlichkeit vor Anforderungen oder sozialen Situationen Rückzug, Vermeidung, Isolation Wiederholte Handlungen (Zwangshandlungen) Zuckende Bewegungen und/oder Stereotypien, Tics Auffälligkeiten im Jugendalter Besonders hohe Impulsivität und Aggressivität Hohe Ängstlichkeit, niedergeschlagen Sozial zurückgezogen, Schulverweigerung Ausschließliche Interessen an Computer, Computerspielen, virtuellen Welten Ständiges Kalorienzählen, Hungern oder Erbrechen Affektive Störungen im Kindes- und Jugendalter Manische Episode (F30) Bipolare Störungen (F31) Depressive Episode (F32 Rezidivierende depressive Störung (F33) Anhaltende affektive Störungen (F34) Zyklothymie Dysthymie Depressive Störungen Ätiologie und Genese Genetische Prädisposition Persönlichkeitsfaktoren Traumatische Erfahrungen Aktuelle psycho-soz. Belastungen Lichtentzug Depressive Störungen Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV Depressive Störungen Symptomgruppen Emotionale S. Kognitive S. (kognitive Triade, Beck 1976) Somatische S. Depressive Störungen Entwicklungspsychopathologische Besonderheiten (Rutter, 1986) Häufigeres Auftreten in der Adoleszenz (in Relation zu den Veränderungen der Pubertät) DD: unmittelbare Trauerreaktionen Suizidgedanken und -häufigkeit in der Pubertät Veränderung der Symptome im Entwicklungsverlauf Im Kleinkindalter (1-3 Jahre) Vorschulalter (3-6 Jahre) Bei Schulkindern Im Pubertäts- und Jugendalter Depressive Episode Dauer: mind. 2 Wochen Symptomatik: Kardinalsymptome (F32.0-32.3) altersabhängig kaum situationsgebunden Zusätzliche somatische Beschwerden Schweregradeinteilung lt. ICD-10: leichte, mittelgradige, schwere Episode) Rezidivierende depressive Störungen (F33.0-33.3) Wiederholte Episoden Dauer der Episoden: 3-12 Monate Symptomatik: keine einheitlichen Kriterien für Kinder und Jugendliche Schweregradeinteilung lt. ICD-10: leichte, mittelgradige, schwere Episode) Depression im Kindes- und Jugendalter Symptombereiche Körperlich Emotional Kognitiv Sozial Folgen für das Verhalten Depression im Säuglingsalter (R. Spitz) Mangelnder Appetit Mangelnde Gewichtszunahme (nicht organische Gedeihstörungen) Verminderte Immunabwehr Apathie und Bewegungsarmut Bewegungsstereotypien Depression im Kleinkindalter Antriebsminderung Schlafstörungen Trennungsängste Mangelndes Explorationsverhalten und eingeschränktes kindliches Spiel Symptome der Depression bei Schulkindern Niedergeschlagenheit, Traurigkeit Unruhe, Gereiztheit Müdigkeit Appetitstörungen und Störungen des Essverhaltens Ein- und Durchschlafstörungen Einschränkung der Konzentration, Aufmerksamkeit und Entschlussfähigkeit Sozialer Rückzug Verschlechterung der schulischen Leistungsfähigkeit Symptome der Jugendlichen Antriebs-, Freud-, Lustlosigkeit Reizbarkeit, Traurigkeit Schlafstörungen mit Tag-/Nachtumkehr Ausgesprägte Stimmungsschwankungen Sebstverletzendes Verhalten Alkohol und Drogenkonsum Behandlung von Depressionen Verringerung auslösender Ursachen und Umstände (reaktive Depressionen) Psychotherapeutische Behandlung Medikamentöse Therapie Manische Episode Symptomatik: Antriebsüberschuss, Hyperaktivität, Umtriebigkeit Gesteigertes Selbstwertgefühl Distanzlosigkeit Altersabhängig Starke Fluktuation der Symptomatik Bipolare Störung Epidemiologie: Jugendalter 0,1% Lebenszeitprävalenz 0,4 – 1% Symptomatik: Wechsel von depressiven und manischen Episoden; zwischenzeitliche Remission Rascher Phasenwechsel, kurze Phasen Alterstypische Ausdrucksformen Vegetative Funktionsstörungen Anhaltende affektive Störung Symptomatik: „anhaltende und gewöhnlich fluktuierende Stimmungsstörungen, bei denen einzelne Episoden selten, wenn überhaupt, ausreichend schwer genug sind, um als hypomanische oder leichte depressive Episode beschrieben zu werden“ Dauer: oft jahrelang Formen: Zyklothymia Dysthymia Verlauf und Prognose Depressive Störungen: Dauer: 7-9 Monate Hohe Rückfallquote (40% >2 Jahre) (70% >5 Jahre) Risiko: Entwicklung einer bipolaren Störung Angststörungen Angststörungen Panikstörung (F41.0) Generalisierte Angststörung (F41.1) Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2) Emotionale Störung mit Trennungsangst im Kindesalter (F93.0) Phobische Angstsyndrome Phobische Angstsyndrome Agoraphobie (F40.0) Soziale Phobien(F40.1) Spezifische Phobien (F40.2) Phobische Störungen im Kindesalter (F93.1) Störungen mit sozialer Ängstlichkeit (F93.2) Formen der Schulverweigerung Schulphobie Schulangst Dissoziale Schulverweigerung „Schulschwänzen“ Panik Akute Angstreaktion , die durch Verlust der Selbstkontrolle gekennzeichnet ist und dadurch zu unsozialem und irrationalem Fluchtverhalten führt. Angst- und Panikstörungen Angststörungen: Lebenszeitprävalenz 15% Formen Frei flottierende Angst (F41.1) Phobische Angst (F40.0) Panik (akut, anfallsartig) (F41.0) Panikstörung (F41.0) Wiederkehrende, ausgeprägte Angstattacken, angstfreie Intervalle Keine spezifische Situation oder Umstände Nicht vorhersehbar Erwartungsangst!!! Panikstörung Symptome: Psycho-vegetativer Erregungszustand (arousal ) Reduktion kognitiver Funktionen Fluchtartiges Verlassen des Ortes Vermeidungsverhalten Erwartungsangst Prävention und Intervention Panik – was tun ? Individuelle Panik (agitiert / apathisch) Deutliche, drastische Ansprache Verbale Aufforderungen Körperliche Aktion (je nach Situation) Atemkontrolle Beruhigung, Begleitung Generalisierte Angststörung Symptome: generalisierte, frei flottierende Angst = dauerhafte Grundbefindlichkeit Somatische Beschwerden Zukunftsängste Emotionale Störung mit Trennungsangst im Kindesalter Symptome: Unrealistische, anhaltende Besorgnis bezügl. Bezugspersonen Weigerung die Bezugsperson zu verlassen (Kindergarten, Schule, …) Somatische Beschwerden Alpträume Agoraphobie Hauptmanifestationsalter: 20-30 Lj. 10% vor dem 16. Lj. Starke Tendenz zur Chronifizierung Soziale Folgen: Vermeidungsverhalten, „Selbstmedikation“ Soziale Phobien Symptome: Angst oder Furcht in bestimmten sozialen Situationen Physiologische Veränderungen z.B. Prüfungsphobien, Schulphobien, Flugphobien, Sexualphobien, … Spezifische Phobien Angst bezogen auf spezifische Objekte oder Situationen z.B. Tiere, Höhe, Donner, Dunkelheit, Toiletten, … Beginn meist in der Kindheit Ausmaß der Angst bleibt konstant Vermeidungsverhalten!!! Phobische Störungen im Kindesalter Unangemessen ausgeprägte Angst vor Objekten oder Situationen, die im Laufe der Entwicklung von der Mehrheit der Kinder als beängstigend erlebt werden z.B. Geräusche, Tiere, Donner, Vegetative Symptome Vermeidungsverhalten Störung mit sozialer Überempfindlichkeit Ängstlichkeit in sozialen Situationen, in denen das Kind auf fremde Personen trifft Befangenheit, Verlegenheit, übertriebene Sorge, … Neue soziale Situationen rufen Leid und Rückzug hervor Keine Beeinträchtigung bei vertrauten Personen Schulverweigerung Schulphobie – Schulangst - Schulschwänzen Symptomentstehung Pathogene Faktoren Verlustangst – Schulversagen - Unlust Mu-Ki Beziehung- Insuffizienz – Ich-Schwäche Effekt Gefahr der Trennung – Ausweichen, Angst – Furcht, Dissozialität Schulverweigerung Schulphobie durch eine Angst, unabhängig von der Schule (Trennungsängste, phobische Ängste) Schulangstsyndrome (situative Angst; Leistungs-, Kontakt- und Beziehungsschwierigkeiten) dissoziale Schulverweigerung, Schuleschwänzen