Glaukom (grüner Star) Inhaltsverzeichnis Grundlagen 1.1 Definition 1.2 Pathogenese: Regulation des Augeninnendrucks und ihre Störungen Tabelle 1: Glaukomformen und ihre Ursachen Tabelle 2: Pathogenese der Papillenschädigung bei Glaukom 1.3 Einteilung der Glaukome 1.4 Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung 2. Untersuchungsmethoden bei Glaukom 2.1 Augeninnendruckmessung (Tonometrie) 2.2 Ophthalmoskopie der Papille 2.3 Gesichtsfelduntersuchung (Perimetrie) 2.4 Spaltlampenuntersuchung 2.5 Kammerwinkelspiegelung (Gonioskopie) 2.6 Sonstige diagnostische Methoden 3. Primäre Glaukome 3.1 Offenwinkelglaukom Definition, Ursache Sonderformen Epidemiologie Symptome, Befunde Therapie Operation 3.2 Winkelblockglaukom Definition, Ursache Epidemiologie Symptome, Befunde Therapie 3.3 Kongenitales Glaukom (Hydrophthalmie, Buphthalmus) Ursache Epidemiologie Symptome, Befunde Differentialdiagnose Therapie 4. Sekundäre Glaukome Definition, Ursache Einteilung Therapie Operative Therapie. 1 Grundlagen 1.1 Definition Unter dem Begriff Glaukom wird eine Anzahl ätiologisch unterschiedlicher Krankheiten mit typischer Schädigung der Papille und des Gesichtsfeldes zusammengefasst, deren gemeinsamer pathogenetischer Faktor ein individuell zu hoher Augeninnendruck ist. Der alte Ausdruck “Grüner Star” sollte nicht mehr verwendet werden, da er immer wieder Anlass zu Verwechslungen mit dem “Grauen Star” (Katarakt = Linsentrübung) gibt. 1.2 Pathogenese: Regulation des Augeninnendrucks und ihre Störungen Der Augeninnendruck der Augen-gesunden Bevölkerung beträgt 15,5 ±5,5 mmHg (± 2 Standardabweichungen), d. h. die Normalwerte liegen zwischen 10 und 21 mmHg. Der Augeninnendruck wird vom Kammerwasserfluss erzeugt und durch den Abflusswiderstand im Trabekelwerk geregelt. Das Kammerwasser wird vom Ziliarepithel in einer Menge von ca. 2,4 mm3/min durch aktive Sekretion und Ultrafiltration gebildet und in die Hinterkammer abgegeben. Es umspült die Linse und fließt durch die Pupille in die Vorderkammer. Das Kammerwasser verlässt das Auge durch das schwammartige Trabekelwerk im Kammerwinkel, gelangt so in den Schlemm-Kanal und fließt über die Kollektorkanälchen schließlich in die Venen der Sklera oder Bindehaut und damit ins Blutgefäßsystem (trabekulärer Abfluss). Nur einer kleiner Teil (ca. 15 %) gelangt über andere Wege, insbesondere durch die Septen des Ziliarmuskels, in das Gefäßsystem der Aderhaut (Chorioidea) (uveoskleraler Abfluss). Die Kammerwasserproduktion unterliegt einem Tag-Nacht-Rhythmus und ist nachts um ca. 40 % vermindert, bleibt aber ansonsten konstant und ist vom tatsächlichen Augeninnendruck weitgehend unabhängig. Funktionen des Kammerwassers sind ● die Ernährung der angrenzenden Strukturen, insbesondere der Linse und der Hornhaut, ● die Aufrechterhaltung der Augapfelform: Das Augeninnendruck gewährleistet eine formstabile Wölbung der Hornhaut und eine konstante Refraktion des Auges ● die Detoxifikation des Augeninneren durch den hohen Ascorbinsäuregehalt (Abfangen freier Radikale) und ● der Lymphersatz, da das Augeninnere keine Lymphgefäße enthält. Die Steigerung des Augeninnendrucks bei Glaukom entsteht ausschließlich durch Behinderung des Kammerwasserabflusses im Trabekelwerk, nicht etwa durch Überproduktion von Kammerwasser. Ursache des Druckanstiegs sind krankhafte Veränderungen des Trabekelwerks (Tab. 17.1). Der hierdurch erhöhte Augeninnendruck ruft langfristig die für das Glaukom typischen Schäden an der Papille hervor Es kommt zu einem Schwund von Optikusfasern, d. h. von Axonen der retinalen Ganglienzellen. Hieran sind sowohl mechanische Faktoren als auch Minderdurchblutung beteiligt (Tab. 17.2). Die meisten Optikusfasern laufen in einem Bogen auf die Papille zu, nur diejenigen zwischen Fovea und Papille verlaufen geradlinig. Beim Glaukom werden typischerweise die Nervenfasern mit bogenförmigem Verlauf zuerst geschädigt. Erst wenn mehr als 200 000–300 000 der 1,1 Millionen Axone geschädigt sind, treten Gesichtsfelddefekte auf. Tabelle 1: Glaukomformen und ihre Ursachen Glaukomform Ursachen primäre Glaukome Meist sporadisch, polygenetische Ursachen werden wegen familiärer Häufung vermutet primäres Offenwinkelglaukom (früher: Glaucoma chronicum simplex) Ablagerungen hyalinen Materials im Trabekelwerk primäres Winkelblockglaukom akut: Glaukomanfall Verlegung des Kammerwinkels durch die Irisbasis (“Winkelblock”) bei anlagemäßig engem Kammerwinkel chronisch Verklebungen des Kammerwinkels (Goniosynechien) primäres kongenitales Glaukom des Säuglings und Kleinkindes (Hydrophthalmie, Buphthalmus) Unvollständige oder fehlerhafte Differenzierung des Trabekelwerks sekundäre Glaukome (Auswahl) Neovaskularisationsglaukom allmählich fortschreitender Verschluss des Kammerwinkels durch neu gebildete Gefäße und eine fibrovaskuläre Membran (häufig bei Diabetes mellitus und nach Zentralvenenthrombose) Pigmentdispersionsglaukom Ablagerung von Pigment (aus der Rückfläche der Iris) im Kammerwinkel Pseudoexfoliationsglaukom Ablagerung von feinfibrillärem (sog. Pseudoexfoliations-) Material, das vor allem vom Ziliarepithel gebildet wird, im Kammerwinkel Kortisonglaukom Kortikosteroid-induzierte Ansammlung von Mukopolysacchariden im Kammerwinkel Glaukom durch Entzündung Ödem der Trabekelzellen bei Entzündung des Trabekelwerks (Trabekulitis, z. B. durch Herpessimplex- oder Varizella-Zoster-Viren) oder Ablagerung von Entzündungsproteinen im Kammerwinkel Glaukom durch Verletzungen Zerreißung und Narbenbildung des Trabekelwerks Glaukom durch Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen Differenzierungsstörung des Trabekelwerks, z. B. Axenfeld-Rieger-Anomalie Tabelle 2: Pathogenese der Papillenschädigung bei Glaukom Pathomechanismus Auswirkungen Mechanisch durch erhöhten Augeninnendruck Abknickung der Axone >> Unterbrechung des retrograden Axoplasmatransports und damit der Versorgung des Zellsomas mit Neurotrophinen << Zelltod (Apoptose) Durchblutungsstörung durch Minderversorgung der Papille >> Degeneration von erhöhten Augeninnendruck und Nervenfaser- und Gliagewebe Ateriosklerose fehlerhafte Zusammensetzung der Kollagene der Lamina cribrosa Ausbuchtung der Bindegewebstrabekel der Lamina cribrosa nach hinten >> Schädigung von Nervenfasern, Kapillaren und Glia 1.3 Einteilung der Glaukome Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Glaukomen. Primäre Glaukome treten spontan auf, sekundäre Glaukome sind Folge anderer Augenerkrankungen oder von Allgemeinerkrankungen. Beide Glaukomformen werden je nach Zustand des Kammerwinkels weiter unterteilt: Ist der Kammerwinkel offen, dann spricht man von Offenwinkelglaukom, ist der Kammerwinkel durch die Irisbasis verlegt und der Kammerwasserabfluss hierdurch blockiert, spricht man von Winkelblockglaukom. 1.4 Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung Das Glaukom gehört zu den häufigsten Erblindungsursachen. Pro Jahr erblinden weltweit ca. 6,7 Millionen Menschen an Glaukom. In den Industrienationen rangiert es an 3. Stelle der Erblindungsursachen (nach Makuladegeneration und diabetischer Retinopathie), in den Entwicklungsländern an 2. Stelle (nach Katarakt), weltweit an Nr. 1 der irreversiblen Erblindungen. In den Industrienationen ist die Erkrankung nur bei etwa 50 % der manifest Glaukomkranken bekannt, in Entwicklungsländern sehr viel seltener. Prävalenz: Etwa 1–2 % der Bevölkerung leiden in Industrienationen an einem manifesten Glaukom mit Schädigung der Papille, etwa 1/10 sind dadurch erheblich sehbehindert oder erblindet. Die Prävalenz nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Geschlechtsverteilung: Bei primärem Offenwinkelglaukom sind Männer, bei primärem Winkelblockglaukom sind Frauen häufiger betroffen. Ethnische Faktoren: Bei Weißen überwiegt das primäre Offenwinkelglaukom (ca. 90 % der Fälle). Schwarze sind hiervon etwa 4-mal häufiger und in jüngerem Alter betroffen. Asiaten leiden sehr viel häufiger an Winkelblockglaukom. Sozioökonomische Bedeutung: In Westeuropa entstehen durch Blindengeld, Ausfall von Arbeitskraft und Frühberentung infolge Glaukoms jährlich wesentlich höhere Kosten als durch die Behandlung des Glaukoms. Deshalb kommt der Früherkennung des Glaukoms (Vorsorgeuntersuchung mit Augendruckmessung und Untersuchung der Sehnervenpapille bei jeder Brillenbestimmung) eine besondere Bedeutung zu . 2. Untersuchungsmethoden bei Glaukom Übersicht: Untersuchungsmethoden bei Glaukom ● ● ● ● ● ● Die Diagnose Glaukom beruht auf fünf Befunden: Augeninnendruckmessung (Tonometrie), Ophthalmoskopie der Papille, Gesichtsfelduntersuchung (Perimetrie), Beurteilung der vorderen Augenkammer mit der Spaltlampe, Kammerwinkeluntersuchung (Gonioskopie). 2.1 Augeninnendruckmessung (Tonometrie) Die Tonometrie ist heute durch verschiedene nicht-invasive Verfahren, also ohne Eröffnung des Augapfels möglich. Sie erreicht eine Genauigkeit von ± 1 mmHg. Applanationstonometrie Bei der Applanationstonometrie wird die Kraft gemessen, die notwendig ist, um ein planes Messkörperchen soweit mit der Hornhaut in Kontakt zu bringen, dass eine Fläche von ca. 3 mm Durchmesser abgeplattet wird. Dann entspricht der Anpressdruck dem intraokularen Druck. Er kann auf einer Skala abgelesen werden. Diese Methode ist von der individuell unterschiedlichen Dehnungsfähigkeit von Kornea und Sklera weitgehend unabhängig. Das Applanationstonometer nach Goldmann misst am genauesten und wird deshalb routinemäßig verwendet, meist an der Spaltlampe am sitzenden Patienten. Die Hornhaut ist dabei durch Oberflächenanästhesie (Augentropfen) betäubt. Für Messungen am liegenden Patienten, bei Kindern und außerhalb von Augenarztpraxis und Klinik wurden lageunabhängige Applanationstonometer entwickelt, sog. Handapplanationstonometer. Non-Contact-Tonometrie Bei diesem Verfahren berührt das Messgerät die Hornhaut nicht. Die Hornhaut wird durch einen Luftstoß abgeplattet und das hierdurch veränderte Reflexbild zur Messung benutzt. Damit entfällt die Oberflächenanästhesie der Hornhaut. Darüber hinaus besteht keine Gefahr einer Keimübertragung (z. B. Keratoconjunctivitis epidemica)oder einer Verletzung des Hornhautepithels. Jedoch ist die Meßgenauigkeit geringer als beim Goldmann-Tonometer, der Luftstoß ist subjektiv unangenehm und das Meßprinzip funktioniert nicht bei vernarbter Hornhautoberfläche. 2.2 Ophthalmoskopie der Papille Folgende ophthalmoskopische Befunde sprechen für eine glaukomatöse Papillenexkavation ● große Exkavation: Exkavationen bis an den Rand der Papille sind beweisend für ein Glaukom. Exkavationen, die bis zu 60 % der Papillenfläche einnehmen, können ohne Glaukom vorkommen, wenn bei großem Papillendurchmesser nicht die gesamte Papillenfläche von Nervenfasern ausgefüllt wird. Die Exkavation ist an der Einsenkung der Papille zu erkennen, an der keine Nervenfaser durch die Lamina cribrosa eintreten. ● Eine Asymmetrie der Papillenexkavationen beider Augen spricht für ein Glaukom auf der stärker exkavierten Seite. ● hochovale Exkavation und Kerbenbildung des Nervenfasersaums der Papille. Die physiologische Papillenexkavation ist queroval, weil am oberen und unteren Pol der Papille besonders viele Nervenfasern einlaufen. Bei Glaukom gehen zunächst die Nervenfasern des oberen und unteren Papillenpols zugrunde. Daraus resultiert eine hochovale Exkavation bzw. Kerbenbildung. ● Abknicken der Gefäße am Papillenrand bei fehlendem Nervenfasersaum . ● reduzierte Nervenfaserzeichnung neben der Papille: Schaltet man bei der Ophthalmoskopie im aufrechten Bild oder an der Spaltlampe mit der Lupe den Grünfilter in den Beleuchtungsstrahlengang (rotfreies Licht), dann wird die Streifung der Nervenfaserschicht um die Papille herum besonders gut sichtbar und schlitzförmige Nervenfaserdefekte neben der Papille als Hinweis auf ein Glaukom lassen sich sehr genau erkennen. Durch Photographie der Papille lässt sich der aktuelle Befund für einen späteren Vergleich genau festhalten. Neuerdings gibt es Geräte, die eine dreidimensionale, digitale Oberflächenkarte der Papille registrieren können (Laser-Tomographie). Diese Methode ist vor allem für eine quantitative Verlaufskontrolle bei beginnendem Glaukom wichtig. Die Polarisationsänderung des von der Nervenfaserschicht zurückfallenden Lichts macht sich die Polarimetrie zunutze. Hierdurch sind Rückschlüsse auf Nervenfaserdicke bzw. Nervenfaserausfall möglich. Es gibt Geräte, mit denen man die auf diese Weise die Nervenfaserschicht dokumentieren kann. 2.3 Gesichtsfelduntersuchung (Perimetrie) Nervenfaserausfälle führen zur Degeneration der dazugehörigen Ganglienzellen und deshalb zu entsprechenden Gesichtsfeldausfällen. Deshalb sind Papillenbefund und Gesichtsfeldausfall miteinander verknüpft. Korrelation von Gesichtsfeldausfall und Papillenexkavation. Gesichtsfeldausfälle treten erst auf, wenn ein erheblicher Teil der Nervenfasern (> 30 %) zugrunde gegangen ist. Deshalb ist der Beginn der Einschränkung des Gesichtsfeldes nicht der Beginn der Glaukomerkrankung, sondern immer bereits ein fortgeschrittenes Stadium („Anfang vom Ende“). Charakteristika der glaukomatösen Gesichtsfeldeinschränkung. Typischerweise wird bei Glaukom das parazentrale Gesichtsfeld zuerst geschädigt und das Zentrum lange ausgespart. Infolgedessen bleibt auch die Sehschärfe lange gut. Der Patient bemerkt die Gesichtsfeldeinschränkung zunächst nicht (so wie wir den „blinden Fleck“ des Auges nicht wahrnehmen). Auch bei fortgeschrittenen Glaukomstadien wird der Gesichtsfeldausfall oft durch das andere Auge kompensiert. Deshalb kommt es nicht selten vor, dass der Patient bereits an einem Auge durch Glaukom erblindet ist, wenn er erstmals den Arzt aufsucht. Das Durchlaufen aller Stadien bei unbehandeltem primärem Offenwinkelglaukom dauert etwa 10–15 Jahre. 2.4 Spaltlampenuntersuchung Bei der Spaltlampenuntersuchung achtet man besonders auf: ● Kammerwinkeleingang: eng bei Disposition zum Glaukomanfall ● Pigmentierung der Hornhautrückfläche: Krukenberg-Spindel bei Pigmentglaukom. ● Vorderkammertiefe: herabgesetzt bei Winkelblockglaukom. 2.5 Kammerwinkelspiegelung (Gonioskopie) Der Kammerwinkel ist ohne Hilfsmittel nicht sichtbar. Durch das schräge Auftreffen der vom Kammerwinkel reflektierten Lichtstrahlen kommt es an der Grenzfläche zwischen Hornhaut und Luft zu Totalreflexion. Durch sog. Gonioskopielinsen, die man auf die anästhesierte Hornhaut aufsetzt, wird die Totalreflexion aufgehoben und man kann den Kammerwinkel einsehen. Die Strukturen des Kammerwinkels sind beginnend in Richtung Kammerwinkelgrund: ● die Schwalbe-Linie, die Grenzlinie zwischen Hornhautendothel und Trabekelwerk, ● das Trabekelband: Sein vorderer Anteil ist oft unpigmentiert, sein hinterer Anteil meist pigmentiert. In seiner Höhe befindet sich der Schlemm-Kanal. ● den Skleralsporn als weißliches Band, ● das Ziliarkörperbandals bräunliches Band unterschiedlicher Breite, an dem die Irisbasis angewachsen ist. 2.6 Sonstige diagnostische Methoden Zur Verbesserung der Frühdiagnose des Glaukoms werden derzeit zusätzliche Untersuchungsmethoden entwickelt, die noch keinen Eingang in die tägliche Routine des Augenarztes gefunden haben: ● die Untersuchung der Kontrast-, Bewegungs- und Flickerwahrnehmung, denn diese Funktionen sind bereits vor der Entstehung von Gesichtsfeldausfällen gestört, ● Die Blau-Gelb-Perimetrie nutzt aus, dass kurzwellige Lichtreize den beginnenden Gesichtsfeldausfall früher anzeigen als weiße Prüfpunkte. ● Bei der Rauschfeldkampimetrie blickt der Patient auf ein schnell wechselndes Flimmermuster und kann seine glaukomatösen Ausfälle selbst wahrnehmen. ● Im Musterelektroretinogramm sind Störungen der elektrischen Antwort der retinalen Ganglienzellen auf spezielle Lichtreize bereits im Frühstadium des Glaukoms erkennbar. ● Dem Frequency Doubling Test liegt das psychophysische Phänomen zugrunde., dass Gittermuster bei einer bestimmten zeitlichen Repetitionsrate mit doppelter Ortsfrequenz wahrgenommen werden. Diese ist im glaukomgeschädigten Gesichtsfeldbereich verändert. 3. Primäre Glaukome 3.1 Offenwinkelglaukom Definition, Ursache Das primäre Offenwinkelglaukom ist eine langsam progrediente, meist beidseitige Augenerkrankung des älteren Menschen, die durch Steigerung des Augeninnendrucks, Papillenexkavation mit typischer Gesichtsfeldeinschränkung und einen offenen Kammerwinkel gekennzeichnet ist. Es entsteht, weil sich im trabekulären Maschenwerk hyalines Material (“Plaque-Material”) ablagert. Hierdurch steigt der Augeninnendruck an. Der erhöhte Augeninnendruck schädigt die Optikusfasern und möglicherweise auch die Kapillaren der Papille. Sonderformen: Okuläre Hypertension. Man spricht von okulärer Hypertension, wenn der Augeninnendruck oberhalb der statistischen Norm, also über 21 mmHg liegt und weder eine Papillenschädigung noch eine Gesichtsfeldeinschränkung vorliegt. Aus einer okulären Hypertension kann sich ein Glaukom entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich aus einer okulären Hypertension ein Glaukom entwickelt, ist bei Vorliegen folgender Risikofaktoren besonders hoch: ● Glaukomschaden am anderen Auge, ● große Papillenexkavation (mehr als 60 % der Papillenfläche einnehmend), ● Seitendifferenz der Papillenexkavation von mehr als 20% der Papillenfläche, ● Streifenblutung am Papillenrand, ● Nachweis von Pseudoexfoliationsmaterial auf der Linse oder Nachweis einer Pigmentdispersion, ● Myopie > – 5 dpt, ● Glaukom bei Blutsverwandten 1. Grades, ● schwarze Hautfarbe, ● höheres Lebensalter (> 70 Jahre), ● schwere kardiovaskuläre Vorerkrankungen, ● niedriger Blutdruck. Nicht jeder dieser Risikofaktoren hat das gleiche Gewicht. Das Zusammentreffen mehrerer Faktoren erhöht das Risiko einer Glaukomschädigung. Das Vorhandensein von Risikofaktoren veranlasst im Zweifelsfall zum Therapiebeginn in einem Druckbereich von 21–25 mmHg, auch ohne Gesichtsfeldschaden. Normaldruckglaukom. Bei Normaldruckglaukom („Glaukom ohne Hochdruck“) finden sich glaukomtypische Schäden an der Papille und Gesichtsfelddefekte bei Augeninnendruckwerten, die immer unter 21 mmHg, also innerhalb der statistischen Norm liegen. Man muss annehmen, dass eine besondere Vulnerabilität der Optikusfasern vorliegt und der Sehnerv bereits durch Augeninnendrücke geschädigt wird, die statistisch noch als „normal“ gelten. Übersicht: Pathomechanismen des Normaldruckglaukoms Folgende pathogenetische Faktoren werden angeschuldigt: ● ● ● nächtlicher Blutdruckabfall: Dann ist die Differenz zwischen Augeninnendruck und Blutdruck (= Perfusionsdruck) zu gering, um eine adäquate Blutversorgung der Optikusfasern aufrechtzuerhalten. Vasospasmen führen zu einer verminderten Durchblutung der Papille. ein Defekt in der Kollagenzusammensetzung der Lamina cribrosa: Dadurch werden die Optikusfasern auch schon bei noch im statistischen Normbereich liegendem Augeninnendruck abgeknickt. Epidemiologie Bei Weißen sind 90 % der Glaukome primäre Offenwinkelglaukome. Schwarze erkranken früher daran als Weiße (Häufigkeitsgipfel 10 Jahre früher). Symptome, Befunde Ein Offenwinkelglaukom bemerkt der Patient in der Regel nicht, denn subjektiv bestehen keine Sehstörung (erst im Endstadium) und keine Schmerzen. Der Arzt erhebt folgende Befunde: ● Augeninnendruckmessung: Bei 70 % der Patienten mit primärem Offenwinkelglaukom ist der Augeninnendruck auf Werte über 21 mmHg erhöht. Auch ein Augendruck von ungefähr 21 mmHg kann jedoch mit einer Papillenschädigung und Gesichtsfeldeinschränkung einhergehen (Normaldruckglaukom, s. o.). Deshalb sollten bereits grenzwertige Befunde den Verdacht auf ein beginnendes Glaukom lenken. Unterschiedliche Augeninnendrucke im Seitenvergleich sprechen für ein Glaukom an dem Auge mit dem höheren Augeninnendruck. Bei einmalig erhöhtem Augeninnendruck muss die Augendrucksteigerung durch wiederholte Messungen, insbesondere zu verschiedenen Tageszeiten (Tagesdruckprofil: Tonometrie alle 3 Stunden), bestätigt werden. Schwankungen des Augeninnendrucks von über 5 mmHg im Verlauf eines Tages sind für das primäre Offenwinkelglaukom typisch. ● Ophthalmoskopie: Die typischen glaukomatösen Veränderungen an der Papille bei primärem Offenwinkelglaukom sind: ❍ große Papillenexkavation (> 60 % der Papillenflächen einnehmend), ❍ Kerben im Nervenfasersaum der Papille, ❍ Abknicken der Gefäße am Papillenrand, ❍ schlitzförmige Nervenfaserdefekte neben der Papille bei Ophthalmoskopie mit dem Grünfilter. ● Perimetrie: Typisch für einen glaukomatösen Gesichtsfelddefekt sind: ❍ parazentrale absolute Skotome, ❍ langes Erhaltenbleiben der zentralen Sehschärfe (z. B. der Lesefähigkeit), ❍ bei fortgeschrittenem Glaukomschaden Sektorskotome oder Ausfall des Gesichtsfeldes bis auf einen zentralen Rest. ● Gonioskopie: Für das primäre Offenwinkelglaukom ist folgendes typisch: ❍ keine Goniosynechien, ❍ meist pigmentiertes Trabekelwerk, jedoch ist die Pigmentation schwächer als bei Pigment- oder Pseudoexfoliationsglaukom (s.4). ❍ Der Kammerwinkeleingang kann durch Dickenzunahme der Linse eng sein (bei der Differentialdiagnose „chronisches Winkelblockglaukom“ finden sich dagegen immer Goniosynechien) Übersicht: Sicherung der Diagnose „Offenwinkelglaukom“ Zur Sicherung der Diagnose „Offenwinkelglaukom“ sind erforderlich: ● ● ● ● eine Tagesdruckkurve, ein Vergleich des Augeninnendrucks von rechtem und linkem Auge, eine dokumentierte Papillenschädigung, der eindeutige Nachweis von Gesichtsfelddefekten (Ausschluss von Artefakten und falschpositiven Befunden) Therapie Die Therapie des Offenwinkelglaukoms zielt im Wesentlichen darauf ab, den erhöhten Augeninnendruck zu senken. Die nach pathogenetischen Gesichtspunkten sinnvolle Verbesserung der Mikrozirkulation des Sehnervs ist heute nur in Ausnahmefällen (Vasospasmus) möglich. Die medikamentöse Hemmung des programmierten Zelltodes (Apoptosehemmung) wird in Zukunft wahrscheinlich therapeutisch genutzt werden können. Es gibt drei Methoden zur Senkung des Augeninnendrucks: ● Medikamente (Augentropfen), ● Laserbehandlung, ● Operation. Üblichweise wird mit einer medikamentösen Therapie begonnen, evtl. als Kombinationstherapie. Ist eine medikamentöse Therapie nicht ausreichend, dann muss ergänzend eine Laserbehandlung oder schließlich eine Operation durchgeführt werden. Vor Behandlungsbeginn sollte der für den Patienten gültige Druckbereich definiert werden, der ein Fortschreiten des Glaukomschadens voraussichtlich verhindert. Die Obergrenze dieses individuellen Druckbereiches nennt man Zieldruck. Der Zieldruck hängt insbesondere von vier Aspekten ab: ● dem Ausmaß des vorhandenen Glaukomschadens, ● dem Augeninnendruck zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, ● dem Vorliegen von Risikofaktoren (s. o.), ● der individuellen Lebenserwartung. Eine Senkung des Augeninnendrucks unter die statistische Obergrenze von 21 mmHg ist allein oft nicht ausreichend. Je geringer die Drucksteigerung war, die zu dem Glaukomschaden geführt hat, desto stärker muss der Augeninnendruck gesenkt werden. Bei sehr großer Exkavation oder fortgeschrittenem Gesichtsfeldverfall strebt man Drucke unter 15 mmHg an. Die Senkung des Augeninnendrucks ist umso dringlicher, je höher der Augeninnendruck und je stärker fortgeschritten die Gesichtsfeldeinschränkung ist. Ist bereits ein Auge durch Glaukom schwer geschädigt oder gar erblindet, dann müssen Arzt und Patient die Situation besonders ernst nehmen. Medikamentöse Therapie: Der Augeninnendruck kann mit fünf unterschiedlich wirkenden Substanzen gesenkt werden, die als Augentropfen allein oder in Kombination verabreicht werden können. Übersicht: Substanzen, die den Augeninnendruck senken ● ● ● ● ● Betablocker, Sympathomimetika, lokale Karboanhydrasehemmer, Prostaglandinderivate, Parasympathomimetika (Miotika). Für die Wirksamkeit von Glaukom-Augentropfen sind außer dem Wirkmechanismus der Substanz auch die hydrophilen und lipophilen Eigenschaften (Galenik, Penetration der Hornhaut) von Bedeutung. ● Betablocker wirken über eine Drosselung der Kammerwasserproduktion. Der große Vorteil dieser Medikamentengruppe ist, dass sie keine Sehstörung auslösen: Pupille und Akkommodation werden nicht beeinflusst. Die lokale Verträglichkeit ist in der Regel gut. Betablocker sind allerdings absolut kontraindiziert bei Asthma bronchiale, bei Bradykardie und bei AVÜberleitungsstörungen 2. und 3. Grades. Selbst die geringen Mengen von Betablockern, die über die Bindehaut und den Tränennasengang systemisch resorbiert werden, können einen lebensgefährlichen Asthmaanfall auslösen. Die meisten Präparate enthalten nicht-selektive Betablocker. Auch beta-1-selektive Substanzen dürfen bei Asthma bronchiale nicht verwendet werden, da die Selektivität nie vollständig ist. Vorsicht mit Betablocker-Augentropfen ist auch geboten bei Kontaktlinsenträgern und “trockenem Auge”, da manche Betablocker die Hornhautsensibilität herabsetzen und die Trockenheit des Auges verstärken können. ● Sympathomimetika. Die alpha-2-agonistisch wirkenden Substanzen Clonidin, Aproclonidin und Brimonidin senken den Augeninnendruck durch Drosselung der Kammerwasserproduktion. Die Pupille bleibt unbeeinflusst, die Verträglichkeit ist gut. Höhere Konzentrationen von Clonidin senken den Blutdruck, was bei Hypertonikern erwünscht, bei Hypotonikern aber gefährlich sein kann. Apraclonidin wirkt akut, nicht aber langfristig stark drucksenkend und ist deshalb nach operationsbedingten Steigerungen des Augeninnendrucks empfehlenswert. Es hat eine relativ hohe Allergisierungsneigung. Brimonidin ist diesbezüglich günstiger und soll zusätzlich einen neuroprotektiven Effekt besitzen. Früher wurde Adrenalin bei Glaukom verabreicht. Heute verwendet man dessen Dipivalylester Dipivefrin (0,1 %). Die systemischen Nebenwirkungen sind geringer. Adrenalin wirkt wahrscheinlich über beta-2-Rezeptoren auf das Trabekelwerk und verbessert den Kammerwasserabfluss. 2 Stunden nach Applikation entsteht bei vielen Patienten eine auffällige Rötung der Bindehaut (reaktive Hyperämie), die sehr unangenehm sein kann. Dipivefrin ist bei Asthmapatienten geeignet, da es teilweise systemisch resorbiert wird und bronchodilatatorisch wirkt. Karboanhydrasehemmer wirken durch eine Drosselung der Kammerwasserproduktion. Ursprünglich konnten Karboanhydrasehemmer, z.B. Acetazolamid, nur als Tabletten eingenommen oder intravenös gespritzt werden. In dieser Form sind sie heute noch bei akutem Winkelblockglaukom (“Glaukomanfall”) erforderlich, selten jedoch bei chronischen Glaukomformen. Ihre systemischen Nebenwirkungen (Metallgeschmack, Kribbeln an den Händen, Nierenkoliken, selten Leukopenie) machen eine Daueranwendung problematisch. Seit einigen Jahren stehen neue, als Augentropfen anwendbare Karboanhydrasehemmer zur Verfügung: Dorzolamid und Brinzolamid durchdringen die Hornhaut gut. Ihr Vorteil besteht neben der effektiven Drucksenkung darin, dass keine Pupillen- oder Akkommodationsstörung und keine Beeinflussung der Gefäßweite eintreten. ● Prostaglandinderivate. Prostaglandine senken den Augeninnendruck, indem sie den uveoskleralen Abflussweg (durch die Septen des Ziliarmuskels) eröffnen. Die speziell für die Augenheilkunde entwickelten Substanzen Latanoprost, Bimatoprost und Travoprost wirken stark drucksenkend und müssen nur 1x abends getropft werden. Sie rufen keine nennenswerten Entzündungszeichen hervor, während die nativen Prostaglandine entzündliche Reaktionen am Auge fördern. Allerdings verdunkeln diese Prostaglandinderivate bei jahrelanger Anwendung die Irisfarbe (auffällig bei einseitiger Anwendung) und führen zu einem verstärkten Wimpernwachstum. Beide Nebenwirkungen sind aber ungefährlich. ● Parasympathomimetika (Cholinergika, Miotika). Diese sind die ältesten Glaukommedikamente, sie haben eine gute drucksenkende Wirkung. Parasympathomimetika werden heute nur noch selten als Pilocarpin (0,5–2 %) und Carbachol (0,75–3 %) verwendet. Sie wirken direkt auf die postsynaptischen cholinergen Rezeptoren und steigern den Tonus des Ziliarmuskels. Der mechanische Zug spreizt die Maschen des Trabekelwerks und verbessert so den Abfluss des Kammerwassers in den Schlemm-Kanal. Die gleichzeitig hervorgerufene Verengung der Pupille (Miosis) ist eine unerwünschte Nebenwirkung. Insbesondere bei älteren Menschen mit beginnender Linsentrübung vermindert sie das Sehvermögen bei schlechter Beleuchtung und erschwert das Autofahren bei Nacht. Bei jüngeren Patienten, die noch gut akkommodieren können, entsteht durch die Anspannung des Ziliarmuskels eine störende Myopisierung (Kurzsichtigkeit). Parasympathomimetika müssen wegen ihrer kurzen Wirkdauer 3–4x tgl. getropft werden. ● Laserbehandlung ● Die Behandlung des Trabekelmaschenwerkes mit “Laserschüssen” nennt man Trabekuloplastik. Hierzu wird meist ein Laser verwendet, der im Grünbereich emittiert (z. B. Argonionenlaser, frequenzverdoppelter Nd:YAG-Laser), wobei 80–100 Laserpunkte von 50 m Durchmesser und 0,1 s Dauer über eine Gonioskopielinse auf die gesamte Zirkumferenz des Trabekelwerks verteilt werden. Die thermische Wirkung des Lasers führt zu einer Verbesserung des Kammerwasserabflusses und einer Drucksenkung von 5–8 mmHg. Nicht immer ist die Drucksenkung ausreichend. Außerdem ist die Wirkungsdauer häufig auf wenige Jahre oder kürzer beschränkt. ● Anstelle einer Operation oder nach erfolglosen Operationen wird die sog. Zyklophotokoagulation angewendet. Sie zielt auf eine Verödung des sezernierenden Ziliarepithels. Hierbei wird ein Infrarotlaser (Diodenlaser oder Nedymium-YAG-Laser) verwendet, für dessen Licht die Sklera weitgehend transparent ist, so dass das Ziliarepithel ohne Eröffnung des Augapfels erreicht wird. Operation Man unterscheidet perforierende, d. h. den Augapfel eröffnende, und nicht-perforierende Operationsverfahren. ● Perforierende Operationsverfahren, Filtrationsoperation. Eine Filtrationsoperation wird ausgeführt, wenn der Augeninnendruck medikamentös oder mit Lasertrabekuloplastik nicht gesenkt werden kann. Die Operation schafft dem Kammerwasser einen neuen Abflussweg unter die Bindehaut, wo es von Lymphgefäßen und Venen aufgenommen wird. Technik: Oberflächlich wird im Bereich des Trabekelwerks ein kleines Skleradeckelchen präpariert. Dann wird durch das Trabekelwerk eine rechteckige Öffnung (Trabekulektomie) oder eine runde Öffnung (Goniotrepanation) in die vordere Augenkammer angelegt. Anschließend wird das Skleradeckelchen über die Öffnung gelegt und mit Fäden fixiert, so dass es den Kammerwasserfluss drosselt, und die Bindehaut darüber wasserdicht verschlossen. Das absickernde Kammerwasser wölbt die Bindehaut etwas vor, wodurch ein sog. Sickerkissen entsteht, das vom Oberlid bedeckt und geschützt wird. Die Filtrationsoperation ist einerseits wirksamer als eine medikamentöse Behandlung oder die Lasertherapie, andererseits birgt die Eröffnung des Auges Risiken in sich: Allerdings sind nicht die bei korrekter Technik seltenen postoperativen Komplikationen problematisch, sondern die natürlicherweise einsetzende Wundheilung. Diese führt in einem Viertel der Fälle zu einer Vernarbung mit einem partiellen oder vollständigen Verschluss des Sickerkissens, so dass der Augeninnendruck wieder ansteigt. Besonders nach Voroperationen neigt das Bindegewebe der Konjunktiva zu verstärkter Kollagenbildung. In solchen Fällen werden heutzutage Antimetaboliten (Mitomycin C, 5-Fluorouracil) auf die Operationsstelle aufgebracht oder subkonjunktival appliziert, um die Narbenbildung zu bremsen. Nicht-perforierende Operationsverfahren. Bei diesen Operationen wird die dünne Lamelle des Trabekelwerks stehen gelassen. Sie werden neuerdings vermehrt angewandt, weil ihre unmittelbaren postoperativen Komplikationen geringer sind als die der Filtrationsoperation. Bei der tiefen Sklerektomie belässt man eine mikroskopisch dünne Membran (Innenwand des Schlemm-Kanals) zwischen Vorderkammer und Skleradeckel und vermeidet dadurch einen überschießenden Abfluss von Kammerwasser in den ersten Tagen nach der Operation. Bei einer ähnlichen Modifikation (Viskokanalostomie) wird der Schlemm-Kanal durch hochvisköse Hyaluronsäure aufgeweitet, unter der Vorstellung, dass das Kammerwasser so wieder seinen natürlichen Abflussweg nehmen kann. Diese Operationsverfahren senken den Augeninnendruck jedoch nicht so effektiv wie die Filtrationsoperation, selbst wenn später das Trabekel- und Descemetfenster von innen über eine Gonioskopielinse mit dem Nd:YAG-Laser geöffnet wird. Andere Operationsverfahren, die gelegentlich bei primärem Offenwinkelglaukom zum Einsatz kommen, wenn andere Operationen erfolglos waren, sind zyklodestruktive Eingriffe (Zyklokryotherapie und Zyklophotokoagulation), die den Ziliarkörper veröden und den Kammerwasserfluss reduzieren, sowie Abfluss-Systeme, die vorwiegend bei Sekundärglaukomen verwendet werden. 3.2 Winkelblockglaukom Definition, Ursache Das Winkelblockglaukom entsteht durch einen Kammerwinkelverschluss. Man unterscheidet ein akutes, ein intermittierendes und ein chronisches Winkelblockglaukom. Dem akuten Winkelblockglaukom („Glaukomanfall“) liegt eine akute Verlegung des Kammerwinkels durch die Irisbasis („Winkelblock”) zugrunde. Dies kommt nur bei anlagemäßig engem Kammerwinkel, besonders bei Kurzbau (Hypermetropie) und relativ großer Linse (Alterslinse) vor. Die Disposition zum akuten Winkelblockglaukom kann man oft an der Abflachung der Vorderkammer, dem engen Kammerwinkel und der vorgewölbten Iris erkennen. Der häufigste Auslöser des akuten Winkelblockglaukoms ist ein Pupillarblock. Er entsteht bei flacher Vorderkammer, wenn die Irisrückfläche hier der Linse relativ straff aufliegt und den Durchfluss des Kammerwassers durch die Pupille behindert. Dabei entsteht ein Druckgefälle zwischen dem Raum hinter der Iris (Hinterkammer) und dem Raum vor der Iris (Vorderkammer). Diese Situation bezeichnet man als relativen Pupillarblock. Wenn die Pupille sich bei Dunkelheit erweitert oder bei einer Augenuntersuchung medikamentös weitgestellt wird, kann der Durchfluss durch die Pupille so stark behindert werden, dass ein vollständiger Pupillarblock resultiert. Dann staut sich das Kammerwasser in der Hinterkammer und drückt die dünne Iriswurzel nach vorne gegen das Trabekelwerk, wodurch der Kammerwinkel zirkulär verlegt („blockiert“) wird. Ein Glaukomanfall ist die Folge: Der Augeninnendruck steigt plötzlich auf 50–70 mmHg an und ruft starke Schmerzen und Sehstörungen hervor. Das intermittierende Winkelblockglaukom ist eine Vorstufe des akuten Winkelblockglaukoms. Hierbei treten vorübergehende Drucksteigerungen durch Winkelverschluß auf, der Pupillarblock löst sich aber jeweils wieder spontan auf. Es muss als Vorstufe zum akuten Winkelblockglaukom („Glaukomanfall“) angesehen werden. Ein chronisches Winkelblockglaukom entsteht meist, wenn ein Glaukomanfall nicht rechtzeitig behandelt wird: Dann entstehen Verklebungen des Kammerwinkels (Goniosynechien), die zu einem chronischen Steigerung des Augeninnendrucks mit Papillenschädigung und Gesichtsfeldeinschränkung führen. Primär, d. h. ohne vorangegangenen Glaukomanfall, entsteht ein chronisches Winkelblockglaukom in Europa selten, im asiatischen Raum dagegen häufiger. Epidemiologie Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Das Erkrankungsalter liegt bevorzugt im 6.–8. Lebensjahrzehnt. In Europa sind nur ca. 5 % der Glaukomfälle primäre Winkelblockglaukome, bei Eskimos und Asiaten dagegen über 50 %. Symptome, Befunde Das akute Winkelblockglaukom ist eine augenärztliche Notfallsituation, die jeder Allgemeinarzt erkennen muss, da eine Verzögerung der Behandlung das Augenlicht gefährdet. Fast immer empfindet der Patient ein akutes Winkelblockglaukom als dramatisches Ereignis, deshalb der Ausdruck „Glaukomanfall“. Seine Symptome sind: ● Schmerzen. Lokal treten Schmerzen im Auge und in der gleichseitigen ● ● ● ● Gesichtshälfte auf, die als tiefsitzend und dumpf empfunden werden. Die Schmerzen können in den ganzen Kopf, die Zähne oder in das Abdomen ausstrahlen. Übelkeit und Erbrechen kann zu den Fehldiagnosen Hirntumor oder akutes Abdomen führen. Herzrhythmusstörungen werden durch Vagusreiz ausgelöst. Sehverschlechterung, Farbringe. Durch das Augendruck-bedingte Epithelödem der Hornhaut sieht der Patient wie durch eine Nebelwand, bei Dunkelheit sieht er Farbringe um die Lichtquellen. Beim intermittierenden Winkelblockglaukom treten diese Symptome in abgeschwächter Form auf. Der Patient sucht den Augenarzt oft nicht auf, weil die Beschwerden nicht so ausgeprägt sind und spontan wieder zurückgehen. Oft kommt es jedoch nach einigen intermittierenden Druckanstiegen zum Vollbild des Glaukomanfalls. Bei akutem Winkelblockglaukom lassen sich folgende Befunde erheben: ● ● ● ● ● ● ● stark erhöhter Augeninnendruck (50–70 mmHg). Durch Palpieren des Bulbus lässt sich die extreme Steigerung des Augeninnendrucks im Vergleich zum nicht betroffenen anderen Auge erkennen: Der Bulbus ist „steinhart“. Bindehautrötung und Erweiterung der Skeragefäße. Es besteht eine tiefe Gefäßinjektion (Sklera!) mit bläulich livider Färbung, anders als bei einer einfachen Konjunktivitis. Das Hornhautepithel ist getrübt, was mit einer gut fokussierten Taschenlampe oder an der Spaltlampe erkennbar ist. Die Pupille ist entrundet, erweitert und lichtstarr. Die direkte Lichtreaktion fehlt, weil der M. sphincter pupillae durch die Ischämie bei hohem Augeninnendruck gelähmt ist. Die Vorderkammer ist abgeflacht. Bei seitlicher Beleuchtung mit der Visitenlampe wird der Schatten sichtbar, den die Irisvorwölbung wirft. Der Kammerwinkel ist verschlossen (an der Spaltlampe sichtbar). Die Papille ist, wenn ein Glaukomanfall erstmals auftritt, nicht exkaviert. Nur bei chronischem Winkelblockglaukom oder wiederholten starken Druckanstiegen entstehen eine Papillenexkavation und ein Gesichtsfelddefekt. Übersicht: Symptome und Befunde bei akutem Winkelblockglaukom ● ● ● ● ● ● ● lokale und ausstrahlende Schmerzen, Nebelsehen und Farbringe, tastbare Härte des Augapfels, Rötung des Auges, Hornhauttrübung, reaktionslose, mittelweite, entrundete Pupille, flache Vorderkammer. Als Folge eines akuten Winkelblockglaukoms können auftreten: ● Goniosynechien (Synonym: periphere vordere Synechien). Sie entstehen nach „verschlepptem“ Glaukomanfall und führen zum chronischen Winkelblockglaukom. ● „Glaukomflecken“. Dies sind weißliche Flecken unter der Vorderkapsel der Linse, die nach akutem Winkelblockglaukom bestehen bleiben. Außerdem quillt die Linse und wird trüb. Dann muss man wegen der engen Vorderkammer bald eine Katarakt-Operation durchführen. ● Irisinfarkte. Sie entstehen durch die druckbedingte Ischämie während des Glaukomanfalls. Zeitlebens bleiben eine lokalisierte Irisatrophie mit Depigmentierung des Irisstromas und eine sektorielle Lähmung des M. sphincter pupillae zurück. Therapie Prinzipiell muss bei akutem Winkelblockglaukom zunächst der Augeninnendruck medikamentös gesenkt und danach sofort eine periphere Iridektomie (mit Laser oder chirurgisch) ausgeführt werden. Die Iridektomie ist auch notwendig, wenn sich der Augeninnendruck mit Medikamenten leicht senken läßt oder andererseits hoch bleibt. Auch am 2. Auge muss bald eine prophylaktische Iridektomie erfolgen, damit es nicht kurze Zeit später zum Glaukomanfall am 2. Auge kommt. Wenn bereits Goniosynechien vorhanden sind (chronisches Winkelblockglaukom), ist die periphere Iridektomie allein nicht mehr ausreichend wirksam. Dringlichkeit der Therapie. Bei akutem Winkelblockglaukom besteht Erblindungsgefahr. Wenn innerhalb von 6 Stunden keine Senkung des Augeninnendrucks und keine Öffnung des Kammerwinkels erreicht werden, muss operiert werden. Andernfalls kommt es zu Goniosynechien und es entsteht ein chronisches Winkelblockglaukom. Deshalb muss auch der Allgemeinarzt darauf achten, dass keine Zeitverzögerung entsteht (dringlicher Transport in eine Klinik oder Praxis, die eine Laser-Iridektomie oder gegebenenfalls auch eine chirurgische Iridektomie ausführen kann). Übersicht: Allgemeinärztliche Notfallmaßnahmen bei Winkelblockglaukom ● ● ● ● ● ● Diagnosesicherung durch Palpation des Bulbus, Acetazolamid (Diamox®) 500 mg i.v., Pilocarpin-Augentropfen (2 %) und Betablocker-Augentropfen, wenn kein Facharzt innerhalb 1 Stunde erreichbar ist Antiemetika, Analgetika bei gesicherter Diagnose nach Bedarf, dringlicher Transport in eine Augenklinik oder -praxis. Beim intermittierenden Winkelblockglaukom ist bei engem Kammerwinkel bereits prophylaktisch eine Iridektomie zu empfehlen. Das chronische Winkelblockglaukom ist schwer zu therapieren: Medikamente sind oft unwirksam und eine Filtrationsoperation ist wegen der engen Vorderkammer besonders riskant. In jedem Fall muss eine Iridektomie oder Iridotomie ausgeführt werden. 3.3 Kongenitales Glaukom (Hydrophthalmie, Buphthalmus) Ursache Das kongenitale Glaukom entsteht durch eine Entwicklungsstörung des Kammerwinkels. Das persistierende embryonale Gewebe blockiert den Kammerwasserabfluss, da die Irisbasis den Bereich des Trabekelwerks und des Schlemm-Kanals teilweise noch überdeckt. Der chronisch erhöhte Augeninnendruck führt typischerweise zu einer Hornhautvergrößerung und -trübung, zu einer Dilatation der Bulbuswand und Vergrößerung des Bulbus (deshalb „Buphthalmus” = Ochsenauge). Epidemiologie Der Manifestationszeitpunkt liegt meist im 1. Lebensjahr, zuweilen ist das Glaukom auch schon bei Geburt vorhanden. In 65–80 % der Fälle ist es beidseitig, allerdings meist unterschiedlich ausgeprägt. Häufigkeit: 1 Fall auf 10 000–18 000 Geburten. Das kongenitale Glaukom ist zwar selten, aber schwerwiegend, da es zur Erblindung kommen kann, wenn die Erkrankung nicht entdeckt wird. Vererbung: autosomal-rezessiv mit geringer Penetranz, dadurch wird meist ein sporadisches Auftreten vorgetäuscht. Geschlechtsverteilung: Knaben sind häufiger betroffen (Knaben : Mädchen = 3:2). Symptome, Befunde Die Kinder fallen durch „schöne große Augen“ auf. Dieses markante Zeichen, das schon bei Geburt vorhanden sein kann, wird durch die großen Hornhäute bei vergrößertem Bulbus hervorgerufen. Es bestehen Lichtscheu, Lidkrampf und vermehrter Tränenfluss. Folgende Befunde können – auch ohne Narkose mit dem bloßen Auge oder mit der Handspaltlampe – erhoben werden: ● Vergrößerung der Hornhaut bei vergrößertem Bulbus. ● Hornhauttrübung. Durch den hohen Augeninnendruck kommt es zu einem Hornhautödem und so zu einer Trübung der Hornhaut, deren Intensität je nach aktuellem Augeninnendruck schwanken kann. ● Einrisse der Descemet-Membran entstehen, weil diese Schicht der Hornhaut nicht dehnbar ist und durch den erhöhten Augeninnendruck einreißt. ● Vermehrtes Tränen Eine genauere Untersuchung zur Entscheidung über eine Operation kann nur in Narkose durchgeführt werden: ● Messung des horizontalen Hornhautdurchmessers mit einem Messzirkel: Der Hornhautdurchmesser ist normalerweise bei Geburt oder im 1. Lebensjahr =10,5 mm, nach dem 1. Lebensjahr = 12 mm und ab dem 3. Lebensjahr = 12,5 mm. Bei kongenitalem Glaukom beträgt der Hornhautdurchmesser im 1. Lebensjahr oft 13–15 mm. ● Ultraschallmessung der Augapfellänge. Der Augapfel ist bei gesunden Neugeborenen 17–20 mm lang, bei kongenitalem Glaukom oft auf 24–27 mm verlängert. ● Ophthalmoskopie der Papille.Die Papille ist zentral exkaviert und häufig vergrößert. Die typische randständige Exkavation des Erwachsenen findet sich jedoch anfangs noch nicht, außerdem kann sich die Exkavation nach Drucksenkung zurückbilden. ● Gonioskopie zur Beurteilung der Differenzierungsstörung des Kammerwinkels. ● Messung des Augeninnendrucks. Sie wird heute in der Regel mit dem lageunabhängigen Handapplanationstonometer ausgeführt. Die Grenzwerte liegen bei Säuglingen etwa 3 mmHg niedriger als bei Erwachsenen, also bei gesunden Säuglingen bei 8–18 mmHgMerksatz Differentialdiagnose Ein kongenitales Glaukom kann mit einer angeborenen Tränenwegsstenose verwechselt werden, die ebenfalls Lichtscheu und Tränenfluss hervorruft. Hierbei ist die Hornhaut aber klar und ihr Durchmesser nicht vergrößert, außerdem ist das Auge wegen des Tränenwegsverschlusses durch gelblichen Schleim „verschmiert“. Megalocornea nennt man eine anlagebedingte Hornhautvergrößerung, die sich vom kongenitalen Glaukom nur durch das Fehlen von Einrissen der Descemet-Membran, eines Hornhautödems und einer glaukomatösen Papillenexkavation abgrenzen lässt.. Die Abgrenzung ist jedoch schwierig, da auch ein beginnendes kongenitales Glaukom manchmal noch keinen der typischen, oben genannten Befunde aufweist. Bei der Megalocornea ist die Bulbuslänge üblicherweise nicht vergrößert (Ultraschallmessung). Stoffwechselstörungen (z. B. Mukopolysaccharidose) gehen mit einer Hornhauttrübung einher und müssen ausgeschlossen werden. Abzugrenzen sind auch sekundäre angeborene Glaukome. Häufig ist die autosomaldominant vererbte Axenfeld-Rieger-Anomalie, bei der in sich 2/3 der Fälle ein kongenitales Glaukom durch Differenzierungsstörung des Kammerwinkels entwickelt. Die Axenfeld-Rieger-Anomalie ist weiterhin durch Irisatrophie, vorverlagerte SchwalbeLinie und periphere Irisbrücken gekennzeichnet. Therapie Ein erwiesenes kongenitales Glaukom ist eine absolute Operationsindikation. Medikamente sind nicht ausreichend und nicht dauerhaft wirksam. Heute wird meist eine Trabekulotomie oder Goniotomie ausgeführt. Hierbei sucht der Operateur den Schlemm-Kanal von außen (Trabekulotomie) oder innen (Goniotomie) auf und öffnet das Gewebe zwischen dem Schlemm-Kanal und der Vorderkammer. Dieser Spalt im embryonalen Gewebe bleibt zeitlebens offen. Wenn eine Operation nicht ausreicht, muss an einer anderen Stelle der Zirkumferenz operiert werden. In etwa 80 % der Fälle lässt sich so der Augeninnendruck normalisieren. Eine Operation hat nur Aussicht auf Erfolg, solange der Schlemm-Kanal noch nicht durch die Dehnung des vorderen Augenabschnitts verschlossen ist. Verlaufskontrollen. In der Regel müssen die oben genannten Befunde zunächst vierteljährlich kontrolliert werden, meist auch in Kurznarkose, bei gutem Verlauf später jährlich. Anders als beim Erwachsenen kann sich beim Kleinkind die glaukomatöse Papillenexkavation nach operativer Senkung des Augeninnendrucks wieder teilweise zurückbilden. Nachbehandlung. Besonders wichtig ist es, eine Amblyopie (Sehschwäche durch Benachteiligung des erkrankten Auges, insbesondere bei einseitiger Erkrankung) zu verhüten. Hierzu muss wie bei Schielbehandlung das besser sehende Auge abgeklebt werden, um das schwächere Auge zu trainieren. Übersicht: Symptome, Befunde und Therapie des kongenitalen Glaukoms Symptome und Befunde: ● ● ● ● ● ● Lichtscheu und Tränenfluss, Hornhauttrübung und Hornhautvergrößerung, Einrisse der Descemet-Membran, Vergrößerter, auch verlängerter Augapfel, erhöhter Augeninnendruck, glaukomatöse Exkavation der Papille Therapie: ● ● Trabekulotomie oder Goniotomie Nachsorge: ❍ Befundkontrollen (z. T. in Narkose), ❍ Amblyopiebehandlung. 4. Sekundäre Glaukome Definition, Ursache Sekundär nennt man Glaukomformen, die durch andere Augenleiden oder Allgemeinerkrankungen verursacht werden. Auch bei Sekundärglaukomen ist die Behinderung des Kammerwasserabflusses die Ursache für die Steigerung des Augeninnendrucks. Einteilung Sekundärglaukome werden nach pathogenetischen Gesichtspunkten eingeteilt, weil ihre Therapie sich stärker an der Pathogenese als an der Ätiologie orientiert. Im Folgenden sind die wichtigsten Arten der Sekundärglaukome aufgeführt: ● Neovaskularisationsglaukom. Bei Ischämie der Netzhaut, besonders bei Diabetes mellitus und nach Zentralvenenverschluss, bildet die Netzhaut vaskuläre Wachstumsfaktoren (VEGF = vascular endothelial growth factor), die mit dem Kammerwasser in den vorderen Augenabschnitt gelangen und auf der Iris und im Kammerwinkel zu Gefäßneubildung (Neovaskularisation) führen (Rubeosis iridis). Es entsteht eine fibrovaskuläre Membran, die den Kammerwinkel auskleidet und zu einem Winkelblock führt. Die Prognose des Neovaskularisationsglaukoms ist besonders schlecht. ● Pigmentdispersionsglaukom. Ursache ist eine nach hinten durchhängende Irisbasis, die auf den Zonulafasern reibt, wodurch Pigment der Irisrückfläche freigesetzt wird. Die Pigmentgranula werden von den Trabekelzellen phagozytiert und verstopfen das Trabekelwerk im Kammerwinkel, wo sie gonioskopisch als braunschwarzes Band sichtbar sind. Die radiär gestellten Pigmentlücken der Iris schimmern im rückfallenden Licht rot durch (Kirchenfensterphänomen, wegen der Ähnlichkeit mit den Rosettenfenstern gotischer Kathedralen). Das Pigmentdispersionsglaukom findet sich häufig bei Männern mit Myopie im jüngeren Lebensalter. ● Pseudoexfoliationsglaukom. Bei dieser sehr häufigen Form des Sekundärglaukoms lagert sich feinfibrilläres Material, das insbesondere vom Ziliarepithelgebildet wird, u. a. auf der Linse und im Kammerwinkel ab und verstopft die Abflusswege des Kammerwassers. Es treten oft hohe Augeninnendruckwerte auf, die stark schwanken. ● Kortisonglaukom. Die Gabe von Kortikosteroiden führt bei disponierten Personen nach einigen Wochen zur Ansammlung von Mukopolysacchariden im Trabekelwerk und so zu einem sekundären Offenwinkelglaukom. KortikosteroidAugentropfen sind meist gefährlicher als systemische Kortikosteroidgaben. Zuweilen lassen sich Patienten solche Augentropfen wegen Kontaktlinsenunverträglichkeit oder trockenem Auge verordnen, weil hierdurch die Beschwerden gemindert werden. Glücklicherweise kommt es nur in 5 % der Fälle nach Kortikosteroidgabe zu einem starken Druckanstieg, bei hoher Myopie allerdings sehr viel häufiger. Eine Verordnung von kortikosteroidhaltigen Augentropfen ohne augenärztliche Kontrolle ist verboten! Für so entstandene Glaukomschäden kann der verordnende Arzt verantwortlich gemacht werden. ● Phakolytisches Glaukom. Bei hypermaturer Katarakt dringt Linseneiweiß durch die Linsenkapsel. Die mit Linseneiweiß angefüllten Makrophagen verstopfen das Trabekelwerk. Die trübe Linse muss umgehend entfernt werden. ● Entzündliches Glaukom. Entzündungen können ein Ödem der Trabekelzellen bewirken (Herpes-simplex-Trabekulitis, glaukomatozyklitische Krise) oder die Maschen des Trabekelwerks durch Entzündungs-Proteine verstopfen. ● Verletzungsbedingtes Glaukom (traumatisches Glaukom). Bei einer Verletzung des Augapfels kann eine Blutung in die Vorderkammer die Abflusswege des Kammerwassers verlegen oder der Glaskörper sich in die Pupille einklemmen. Nach einer schweren Augapfelprellung (Kontusion) entstehen Risse im Trabekelwerk. Die Narben führen zum Anstieg des Augeninnendrucks. Verätzungen (insbesondere durch Laugen) veröden den Schlemm-Kanal. ● Sekundärglaukome bei angeborenen Missbildungen des Auges. Ein Beispiel ist das Sturge-Weber-Syndrom: Bei Naevus flammeus des Gesichtes und Hämangiomen der Episklera und der Aderhaut entwickelt sich oft schon im Kindesalter ein ipsilaterales Sekundärglaukom. Übersicht: Ursachen sekundärer Glaukome ● ● ● ● ● ● ● ● Neovaskularisation Pigmentdispersion Pseudoexfoliation Kortison Phakolyse Entzündungen Verletzungen angeborene Missbildungen des Auges, z. B. Sturge-Weber-Syndrom Therapie Allgemeine Therapie-Grundsätze. Im Vordergrund steht die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung. Außerdem muss der Augeninnendruck gesenkt werden, um das Fortschreiten der Sehnervenschädigung zu verhindern. ● Bei Neovaskularisationsglaukom wird zuerst die retinale Ischämie behandelt, und zwar mittels panretinaler Laserkoagulation. Dann wird zur Senkung des Augeninnendrucks ggf. eine Verödung des Ziliarepithels mittels Zyklokryotherapie oder Zyklophotokoagulation durchgeführt. ● Bei Pigmentdispersionsglaukom vermindern Engstellung der Pupille und eine Iridektomie das Retrokurvatur der Iris und können den Pigmentabrieb verringern. Außerdem senkt man den Augeninnendruck medikamentös wie beim primären Offenwinkelglaukom. ● Das Pseudoexfoliationsglaukom und das traumatische Glaukom werden wie das primäre Offenwinkelglaukom therapiert. ● Beim Kortisonglaukom muss man die Kortikosteroid-Augentropfen sofort absetzen! Zunächst kann man abwarten, denn der Druck normalisiert sich anfangs noch spontan. Ist dies nicht der Fall, wird wie beim primären Offenwinkelglaukom behandelt. ● Beim phakolytischen Glaukom ist eine Kataraktoperation erforderlich. ● Bei entzündlichen Glaukomen wird die Ursache behandelt (bei Herpesinfektion Zovirax® lokal und systemisch). Zusätzlich wird symptomatisch der Augeninnendruck gesenkt, meist durch systemische Gabe von Karboanhydrasehemmern. Operative Therapie. Operationen haben bei sekundären Glaukomen eine schlechtere Prognose als bei primärem Offenwinkelglaukom. Bei Neovaskularisationsglaukom und therapierefraktären Glaukomen anderer Ursache wird eine panretinale Laserkoagulation sowie eine Zyklokryotherapie oder eine Zyklophotokoagulation durchgeführt. Bei den anderen, nicht-neovaskulären Sekundärglaukomen versucht man zunächst eine Trabekulektomie und hemmt die Vernarbungsprozesse durch Antimetaboliten (Mitomycin C, 5-Fluorouracil). In sehr schwierigen Fällen wird ein Abfluss-System mit einem Silikonschlauch in der Vorderkammer fixiert. Das Kammerwasser wird durch den Silikonschlauch unter die Bindehaut zu einer Kunststoffplatte abgeleitet, die eine Resorptionsfläche für Kammerwasser freihält.