736-742_Schmerztherapie päd. Onkologie, Mertens.indd

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Fachwissen
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Schmerztherapie in der
pädiatrischen Onkologie
Schmerzerlebnis, Medikamente
und Pharmakokinetik
Rolf Mertens
Schmerzen bei Kindern Noch in den 70er- und
80er-Jahren erhielten Säuglinge und Kinder vergleichweise bedeutend weniger postoperative
Analgesie als Erwachsene. Einerseits befürchtete
man, mit hohen Analgesiedosen unerwartete,
möglicherweise irreversible Nebenwirkungen zu
verursachen, ggf. auch eine Atemdepression zu
provozieren. Andererseits können Säuglinge und
junge Kinder im Vergleich zu älteren Patienten
die Schmerzintensität nicht angeben. Kinder in
dieser Altersgruppe reagieren unterschiedlich in
ihrer Schmerzäußerung auf die oft fremden Personen und die nicht vertraute Umgebung.
Früh- und Neugeborene wurden damals auch
unter minimaler Analgesie / Narkose operiert.
Man ging davon aus, dass sie keine oder weniger
Schmerzen empfänden als ältere Patienten, da ihr
Nervensystem noch nicht ausgereift sei.
Das Schmerzerleben ist immer subjektiv und
hängt unter anderem vom Alter und von der
Schmerzerfahrung des einzelnen Patienten ab.
Auch die neue Krankheitssituation, z. B. die „Hilflosigkeit“ der Eltern, verursacht Reaktionen, die
sich nicht vom Schmerzerlebnis trennen lassen.
Schmerzerfassung
▼
Visuelle Analogskalen Je jünger der Mensch ist,
desto schwieriger ist es, den Schmerz präzise zu
erfassen. Eine Messung der Schmerzintensität
kann man bei Kindern ab ca. 8 Jahren, ähnlich wie
bei Erwachsenen, mit den sogenannten visuellen
Analogskalen definieren.
Kinder ab 3 Jahren Für die Altersgruppe von 3
bis ca. 7 Jahren sollte man die Gesichterskalen
(Smiley-Skala) anwenden. Sie erlaubt eine Einschätzung der Schmerzintensität.
Kinder unter 3 Jahren Beobachtungsskalen,
wie z. B. der Berner Schmerzscore, sind für die
Schmerzmessung bei Kindern unter 3 Jahren
geeignet. Als subjektive Parameter werden hier
der Schlaf, die Beruhigung, die Gesichtsmimik,
das Weinen, der Körperausdruck sowie die Atmung und die Hautfarbe in einer Skala von 0–3
berücksichtigt. Als objektive Parameter werden
Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung erfasst.
Die maximale Punktzahl beträgt 27. Liegt der
Gesamtscore unter 10 Punkten, sollte das Kind
wenig Schmerz empfinden.
Schmerzerlebnis / Schmerzcharakter
▼
Schmerz als Bedrohung Kinder reagieren meist
stärker auf Schmerzereignisse als Erwachsene.
Schmerzen werden als bedrohlich empfunden, da
das Kind den Ursachenzusammenhang nicht versteht und die Angst vor dem Schmerz nicht kontrollieren kann. Jüngere Kinder werden im
Schmerzkonzept über- und ältere Kinder unterschätzt.
Welche Schmerzart liegt vor? Für eine adäquate Schmerzbehandlung müssen rezeptorische
von neuropathischen Schmerzen unterschieden
werden können. Dies ist bei besonders jungen Patienten sehr schwierig.
▶ Rezeptorische Schmerzen charakterisieren somatische Schmerzen im Bereich der Knochen,
der Weichteile und der Haut oder viszerale
Schmerzen, hervorgerufen durch Tumoren und
Metastasen, die Hohlorgane oder das Peritoneum befallen haben.
Mertens R. Schmerztherapie in der pädiatrischen Onkologie – Schmerzerlebnis, Medikamente und Pharmakokinetik. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46: 736–742
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Pädiatrisch onkologische Patienten erfahren häufig Angst und
Schmerzen: zum einen durch die Erkrankung selbst, aber auch im
Zusammenhang mit den notwendigen diagnostischen und therapeutischen Prozeduren. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist es bei
den sehr jungen Patienten oft schwierig, Charakter, Intensität
und Lokalisation des Schmerzes zu erfassen. So erhalten sie vor
allem zu Beginn der Behandlung häufig eine unzureichende
Analgesie.
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Abb. 1 Schmerzerlebnisse
sollten unbedingt vermieden
werden. So kann z. B. eine ausreichende Analgosedierung bei
wiederholten schmerzhaften
Eingriffen bewirken, dass die
jungen Patienten erst gar keine
Angst vor den Maßnahmen entwickeln.
▶ Neuropathische Schmerzen sind in die Extremitäten einschießende bzw. brennende Schmerzen, wie sie häufig nach Gliedamputationen
auftreten oder durch verschiedene vincaalkaloide Zytostatika verursacht werden.
Für eine adäquate Schmerzbehandlung muss
zwischen rezeptorischen und neuropathischen
Schmerzen unterschieden werden.
Schmerzursachen Schmerzen können durch
die Chemotherapie ausgelöst werden. Als Folge
der immunsuppressiven Therapie können schwere Infektionen auftreten. Häufig werden Mukositiden Grad III und IV (meistens in den leukopenischen Phasen) beobachtet, die starke Schmerzen
verursachen, sodass die Patienten keine orale
Nahrung zu sich nehmen können [1, 2].
Aber auch notwendige medizinische Eingriffe bei
der Diagnose und während der Therapie verursachen eine schwere psychische Traumatisierung,
wenn sie wiederholt unter unzureichender
Analgesie durchgeführt werden (z. B. Venen-,
Knochenmarks- und Lumbalpunktionen).
▶ Dies gilt es in jedem Fall zu vermeiden.
Vorbeugen Schmerzhaften Ereignissen muss
unbedingt vorgebeugt werden. In manchen Fällen ist dies jedoch auch mit geeigneten Supportivmaßnahmen schwierig. Selbst bei ausreichender Mundpflege erleiden Patienten zytostatikaart- und dosisabhängig schwere Mukositiden.
▶ Daher sollte in diesen Phasen grundsätzlich
eine ausreichende Schmerzbehandlung mit
parenteralem Morphin eingeleitet werden.
Analgosedierung bei Punktionen Bei den Knochenmarks- und Lumbalpunktionen während
einer Therapie kann durch ausreichende Analgosedierung ein Präventionseffekt erzielt werden.
Eine Oberflächenanästhesie der Haut lässt sich
leicht mit lokalanästhetikahaltigen Pflastern erreichen, so z. B. für die Anlage eines Zugangs ggf.
auch bei der Lumbalpunktion. Das hängt jedoch
vom Alter des Kindes ab.
Erst recht bei jüngeren Kindern sollte eine Knochenmarks- bzw. Lumbalpunktion grundsätzlich
mit Lokalanästhesie und einer Analgosedierung
(z. B. Midazolam und Ketamin) erfolgen. Mit dieser Medikamentenkombination wird bei den
Patienten eine retrograde Amnesie erreicht, sodass bei wiederholten Eingriffen erst gar keine
Angst vor den Maßnahmen auftritt [3].
Schmerzhaften Ereignissen muss unbedingt vorgebeugt werden! Sie können bei den Patienten
zu einem psychischen Trauma über die gesamte
Therapie und darüber hinaus führen.
Standardisiertes Protokoll Die Analgosedierung sollte nach einem standardisierten Protokoll
von 2 Ärzten in geeigneten Räumlichkeiten erfolgen (z. B. Intensivstation, Reanimationszimmer).
▶ Ein Arzt überwacht die Vitalparameter,
▶ ein weiterer führt die medizinischen Manipulationen durch.
In einer retrospektiven Studie wurden in der
Aachener Kinderklinik 695 Analgosedierungen
ausgewertet. Der Mittelwert der Ketamin-Dosis
betrug 0,426 mg/kg KG, der Richtwert 0,1 mg/kg
KG. Bei den 695 Fällen traten 2 Ereignisse ein:
▶ Ein Patient erlitt einen Stridor (die Maßname
wurde abgebrochen und einen Tag später auf
der Intensivstation wiederholt).
▶ Beim 2. Patienten musste ein Abfall der Sauerstoffsättigung mit einer Sauerstoffgabe behandelt werden.
Bei beiden waren weder Intubation noch Beatmung erforderlich.
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Gefahr der Traumatisierung Die durch die
Tumorinfiltration, Tumorkompression oder Metastasen in Nerven, Knochen und Weichteilen
verursachte Schmerzsituation bedeutet für den
jungen Patienten eine neue, nicht real und physisch erfassbare Situation. Diese erschwert den
Umgang mit einer adäquaten Analgesie deutlich.
Sie führt dazu, dass schwer erkrankte Kinder häufig gerade zu Beginn der Behandlung eine unzureichende Analgesie erhalten.
▶ Das dadurch bedingte primäre Schmerzerlebnis prägt und führt oft zu einem psychischen
Trauma über die gesamte Therapie und darüber
hinaus.
Bildnachweis: Rolf Mertens
Begegnung mit der Schmerztherapie
▼
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Abb. 2 Lsg = Lösung;
Ed = Effektivdosis.
Beispiel eines Analgosedierungsprotokolls
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Bildnachweis: Rolf Mertens
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Eine Analgosedierung nach standardisiertem
Protokoll ist sicher und verhindert eine psychische
Traumatisierung der Patienten.
Alternative zu Midazolam In seltenen Fällen
reagieren Kinder auf die Midazolamgabe paradox
und / oder die Sedierung reicht nicht aus. Als
Alternative bietet sich die Kombination von Propofol mit Ketamin oder Remifentanil an.
▶ Diese Analgosedierung sollte grundsätzlich in
Zusammenarbeit mit Anästhesisten erfolgen.
q Abb. 2 zeigt ein Beispiel eines Analgosedierungsprotokolls.
Medikamentöse Schmerztherapie im
Unterschied zum Erwachsenenalter
▼
WHO-Stufenschema In der internistischen Medizin wird sehr häufig das WHO-Stufenschema
als Leitlinie angewendet. Diese Empfehlungen der
3-Stufenbehandlungen werden ebenfalls auf Kinder übertragen [4].
▶ Stufe 1 sieht eine Behandlung mit nicht opioidhaltigen Analgetika vor.
▶ Stufe 2 erfolgt in der Kombination mit schwachen opioidhaltigen Analgetika.
▶ In Stufe 3 werden die starken opioidhaltigen
Analgetika eingesetzt.
Nichtopioidanalgetika In q Tab. 1 werden die
gebräuchlichsten nicht opioidhaltigen Analgetika
aufgeführt.
Paracetamol 15 mg/kg KG wird in der Regel alle
4–6 h verabreicht. Die analgetische Potenz ist
äußerst gering, in einzelnen Fällen werden Leberschäden beschrieben.
Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie z. B.
Ibuprofen 10 mg/kg KG sollten alle 6–8 h gegeben
werden. NSAR haben eine bessere analgetische
Wirkung als Paracetamol – bei Thrombozytopenie
und Nierenfunktionsstörungen sollten sie jedoch
nicht angewendet werden.
Metamizol 15 mg/kg KG wird alle 6 h verabreicht.
Es besitzt zusätzlich eine gute spasmolytische
Eigenschaft. Die Nebenwirkung einer allergischen Agranulozytose ist extrem selten.
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0HGLNDPHQWHQGRVLHUXQJVSODQ$QDOJRVHGLHUXQJ%HKDQGOXQJ$QDSK\OD[LH5HDQLPDWLRQ
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Nichtopioid
Applikation
Anmerkung
Paracetamol
20 mg/kg KG oral alle 6 h
max. tägliche Dosis:
Kinder > 2 Jahre 90 –100 mg/kg KG
i. v. Perfalgan
schwache analgetische Wirkung
lebertoxisch besonders bei Mangelernährung
Toxizität multifaktoriell (Genetik, Grunderkrankung)
Paracetamol
+ Codein
15 mg/kg KG 4–6 h
Toxizität multifaktoriell (Genetik, Grunderkrankung); Verringerung der therapeutischen Breite durch Komedikation als Folge
von Leberschäden
NSAR
z. B. Ibuprofen
10 mg/kg KG (6–8 h)
max. tägliche Dosis:
30–40 mg/kg KG
oft bessere analgetische Wirkung bei Kindern
als Paracetamol / ASS
geringe gastrointestinale Nebenwirkungen
Thrombozytenaggregationshemmung
erhöht Methotrexatspiegel bei gleichzeitiger
Gabe
Nierenfunktionsstörungen
Metamizol
10–15 mg/kg KG (4–6 h)
spasmolytische Eigenschaft!
Überempfindlichkeitsreaktionen / Allergien
(Cave: Atopiker)
allergische Agranulozytose: extrem selten
ASS (selten)
geringe therapeutische Breite
Cave: Reye-Syndrom
bei Thrombopenie kontraindiziert
Auswahl stark wirksamer Opioide in der pädiatrischen Onkologie
Opiat
Applikation
Bemerkung
Piritramid
0,05–0,1 mg/kg KG i. v.
kontinuierlich i. v.-Gabe möglich
0,01–0,03 mg/kg KG/h
Buprenorphin
2,5–5–10 μg/kg KG
alle 12 h, Dosiseskalation
höhere analgetische Potenz gegenüber
Morphin; geringe Atemdepression;
Ceiling-Effekt etwa ab 4 mg/24 h
Morphin
0,5–1 mg/kg KG alle 8 h
individuelle Dosis
keine obere Dosisgrenze
nach oraler Gabe Bioverfügbarkeit
ca. 30 % ; hepatisch metabolisiert u. a.
zu Morphin-6-Hydrochlorid;
renal eliminiert
Fentanyl (Pflaster)
100 μg = 10 mg Morphin
nur bei chronisch starken Schmerzen, wenn
oral oder i. v. nicht möglich;
Cave: Atemdepression
Hydromorphon
Verhältnis Palladon® retard
zu Morphin retard: 1 : 7,5
kumuliert nicht bei Niereninsuffizienz,
da keine aktiven Metabolite
Die Gabe von Azetylsalizylsäure ist in den meisten Fällen bei onkologischen Patienten kontraindiziert.
Tramadol Tramadol als schwach wirksames
Opioid wird in Deutschland häufig eingesetzt. In
einer Dosis von 1 mg/kg KG alle 3–4 h i. v./p. o. hat
es in Kombination mit Metamizol (Opioideinsparung) eine gute analgetische Wirkung bei postoperativen Schmerzen [5].
In der Palliativmedizin ist Tramadol wegen erheblicher Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen als Langzeittherapie nicht geeignet [6].
Tab. 2 KG = Körpergewicht.
Morphin: Applikation Morphin sollte bei starken Schmerzen in jeder Phase des Patienten eingesetzt werden – ob in der Primärtherapie der
malignen Erkrankung oder in der Finalphase. Hier
eignen sich die orale regelmäßige Gabe eines
retardierten Morphins oder die Dauerinfusion
mit Bolusinjektion.
Patientenkontrollierte Analgesie Bei der parenteralen Gabe von Morphin unter stationären
Bedingungen sollte der Patient in der Lage sein,
rasch durch eine Bolusinjektion zu reagieren. Ab
einem Alter von 6–8 Jahren können Kinder die
Verabreichung selbst kontrollieren (patient con-
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Gebräuchliche Nichtopioidanalgetika in der Pädiatrie
Tab. 1 KG = Körpergewicht;
NSAR = nicht steroidale Antirheumatika.
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Indikation
Komedikation
Antiemese
▶ Dexamethason (Cave: bei hoher Tumorlast
kontraindiziert)
▶ H5-Serotoninantagonisten
Knochenschmerzen
▶ NSAR
▶ Bisphosphonate: z. B. Pamidronat,
Zoledronat
Muskelschmerzen
▶ Neuroleptika
viszerale Schmerzen
▶ Metamizol
neuropathische Schmerzen
▶ Amitriptylin
▶ Pregabalin
▶ Gabapentin
Tab. 3 Indikationen für eine
Komedikation bei pädiatrisch
onkologischen Patienten.
NSAR = nicht steroidale Antirheumatika.
trolled analgesia, PCA). Bei jüngeren Patienten
sollte die Bolusinjektion durch die Eltern oder das
Pflegepersonal erfolgen (parent- / nurse-controlled analgesia, PNCA) [7].
▶ Die Startdosis beträgt 0,01 mg/kg KG/h,
▶ die Bolusmenge sollte auf 0,015 mg/kg eingestellt werden.
▶ Um Überdosierungen zu vermeiden, ist eine
Sperrzeit von 10–15 min eingestellt.
▶ Die Applikationsmenge sollte 0,3mg/kg KG/4 h
nicht überschreiten.
▶ Bei Dauerinfusion von Morphin sollte stationär
eine Sauerstoffsättigungsmessung erfolgen.
Palliativsituation Die PCA eignet sich besonders in der Palliativsituation, wenn Kinder zu
Hause betreut werden und eine orale Morphingabe nicht möglich ist. Sie stellt eine adäquate
Schmerzbehandlung sicher und macht unabhängig vom medizinischen Personal. Das Verfahren
setzt jedoch eine telefonische Rücksprache voraus.
Die medikamentöse Schmerztherapie bei pädiatrisch onkologischen Patienten orientiert sich am
3-Stufen-Schema der WHO.
Häufig unzureichende Analgesie Immer wieder findet gerade bei jungen onkologischen Patienten keine ausreichende Analgesie statt. Das
Tab. 4 Beispiele für Opioide
gegen Durchbruchschmerz.
Opioide gegen Durchbruchschmerz
Opiode
Darreichungsform
Morphintropfen
0,5 % oder 2 %
Morphintabletten
10 mg (Sevredol®)
Morphinlösung
20 mg/ml 1Tropfen = 1,25mg Morphinsulfat
(Oramorph®, auch Eindosisbehälter 10/30/100 mg)
Fentanyl-Lutscher
oral-transmukosale Aufnahme
(Actiq®: 200–1600 μg)
WHO-Stufenschema sollte lediglich eine Orientierungshilfe sein. Es müssen nicht alle Stufen
einzeln erklommen werden.
▶ Starke Schmerzen erfordern stark wirksame
Opioide, die rasch und konsequent eingesetzt
werden müssen (q Tab. 2).
Zudem werden in der Schmerztherapie häufig
Koanalgetika nicht berücksichtigt, die in Kombination mit den schmerzstillenden Medikamenten eine additive analgetische Wirkung erzielen.
▶ Koanalgetika sind in der Therapie tumorassoziierter neuropathischer Schmerzen elementarer Bestandteil der Therapie.
Verschiedene Koanalgetika und deren Indikationen werden in q Tab. 3 aufgeführt.
Maximaldosis Schwache Opioide haben bekanntlich einen sogenannten Ceiling-Effekt: Nach
Sättigung der Opioidrezeptoren ist auch durch
Dosiserhöhung keine weitere Wirkungssteigerung zu erwarten.
Für die starken Opioide existiert keine Maximaldosis, solange eine Dosissteigerung die Analgesie
klinisch nachweisbar verbessert. Zudem fehlen
evidenzbasierte Angaben, da die Durchführung
von Studien an pädiatrischen Patienten schwierig
ist.
Starke Schmerzen erfordern stark wirksame Opioide, die rasch und konsequent eingesetzt werden
müssen. Dabei existiert keine Maximaldosis, solange eine Dosissteigerung die Analgesie klinisch
nachweisbar verbessert.
Nur wenig Analgetikastudien an Kindern Ein
therapeutisches Drug-Monitoring wäre wünschenswert und wichtig. Dieses scheitert meistens jedoch an der Verweigerung durch die Eltern,
da sie ihre Kinder nicht noch zusätzlich belasten
möchten. Notwendige Blutabnahmen für diese
Pharmakokinetikstudien sind invasiv und aus
diesem Grund lehnen die Eltern eine Teilnahme
ab. Demzufolge existieren nur wenige Analgetikastudien an Kindern [8, 9].
Pharmakokinetik
▼
Unterschiedlich zu Erwachsenen In einer
Studie mit stark wirksamen Opiaten konnten
Kidd et al. bei jungen Probanden unterschiedliche
Plasmamorphinkonzentrationen nach i. v.-Gabe
von 0,1 mg/kg KG Morphin messen. Auch die
Halbwertszeit ist bei Kindern gegenüber Erwachsenen unterschiedlich und kann durchaus verkürzt sein. Daher müssen pharmakologische
Aspekte in der Therapie berücksichtigt werden.
Zwischen Kindern und Erwachsenen besteht eine
unterschiedliche Pharmakokinetik in
▶ der Absorption,
▶ der Verteilung,
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Indikationen für eine Komedikation
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2-malige vs. 3-malige Morphingabe Die rasche
Metabolisierung des Morphins bei Kindern hat
uns schon sehr früh veranlasst, bei Kindern von
der 2-maligen oralen Morphingabe auf eine
3-malige Gabe überzugehen.
▶ Bei den meisten Patienten konnte dadurch ein
besserer analgetischer Effekt erreicht werden,
ohne die Tagesdosis zu steigern.
Beginnen sollte man mit der 2-maligen Verabreichung, bei Dosissteigerung wird zunächst die
3-malige orale Morphingabe /Tag empfohlen.
Nebenwirkungen Eine Opiatbehandlung weist
auch Nebenwirkungen auf, die bei Kindern und
Erwachsenen unterschiedlich ausfallen. Übelkeit
und Juckreiz treten bei Kindern und Erwachsenen
in vergleichbarem Maße auf. Jedoch leiden Kinder
deutlich weniger unter respiratorischen Problemen als Erwachsene [15].
Patienten mit chronischen Schmerzen – besonders in der Palliativsituation – erhalten Morphin
▶ per os als Retardtablette 3 mal / Tag oder
▶ bei fehlender Möglichkeit einer oralen Applikation i. v. oder subkutan in Form einer PCA.
In stabilen Schmerzsituationen sind FentanylPlaster geeignet [16–18].
Wie und mit welchen Schmerzmitteln behandelt
werden sollte, hängt im Wesentlichen vom Zustand des Patienten ab und bedarf einer individuellen Regulierung. Durchbruchschmerzen können
mit rasch verfügbaren, kurz wirksamen Opioiden
therapiert werden (q Tab. 4).
Prophylaxe
bei
Opioidnebenwirkungen
Bekannterweise neigen Patienten durch die Einnahme von Opioiden zu Obstipation. Daher sollten regelmäßig osmotisch wirksame Laxanzien
eingesetzt werden, z. B. Lactulose, Macrogol.
Juckreiz lässt sich äußerst gut mit Dimetinden
behandeln. Diese wirken darüber hinaus auch
sedierend für die Nacht.
Ursachen für Unterversorgung
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
▶
Tab. 5
Schmerzdiagnose inkorrekt
Unterschätzung der Schmerzintensität
Dosierungsintervalle zu lang
Dosierung zu niedrig
Bevorzugung schwacher Opioide
Angst vor Suchterzeugung
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung
(BtMVV)
keine Koanalgetika
Morphin: „Ist mein Kind schon so weit?“
Verunsicherung durch Angehörige und
Bekannte
Verschreibung nach Bedarf
Standarddosierung
zu schwaches Analgetikum
unzureichender Einsatz von Begleitmedikamenten
Opioidbedingte Übelkeit und Erbrechen lassen
sich in der Regel gut mit Antiemetika beherrschen.
▶ Grundsätzlich sollten die orale Opioidgabe und
die supportive Behandlung nach einem festen
Schema erfolgen.
Zu den Grundregeln für die Therapie chronischer
Schmerzen gehören:
▶ regelmäßige Einnahme nach festem Schema
▶ individuelle Dosisanpassung
▶ Prinzip der Antizipation
▶ möglichst orale Gabe retardierter Medikamente
▶ Prophylaxe von Nebenwirkungen
Gründe für Unterversorgung
▼
Ist mein Kind schon so weit? Die in q Tab. 5 aufgeführten Gründe führen häufig zu einer Unterversorgung der jungen Patienten. So ist oft die
Schmerzdiagnose inkorrekt, die Schmerzintensität wird unterschätzt, die Dosisintervalle sind
zu lang oder die Dosierung zu niedrig, weil man
den Kindern Medikamente ersparen möchte.
Angst vor einer Suchterzeugung und vor der Abhängigkeit führt ebenfalls zu einem restriktiven
Verhalten. Der Einsatz von Koanalgetika wird wegen der fehlenden Erfahrung bei Kindern häufig
unterlassen. Und immer wieder taucht die Frage
der Eltern auf: „Ist mein Kind schon so weit…?“
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▶ der Metabolisierung sowie
▶ der Clearance [10–13].
Auch die Zusammensetzung des Körpergewebes,
der Proteingehalt, die Leberenzymaktivität sowie
genetische Polymorphismen beeinflussen die
Medikamentenclearance und somit auch die
analgetische Wirkung [14].
742
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Onkologie untrennbar miteinander verbunden. Ein konsequentes Schmerzmanagement
ist wichtig und sollte grundsätzlich in jede Behandlung integriert sein. Die Pharmakokinetik
verschiedener Drogen (Substanzen) ist bei
Kindern mangels klinischer Studien nicht ausreichend untersucht und schränkt daher oft
deren Einsatz bei pädiatrisch onkologischen
Patienten ein. Das WHO-Stufenschema sollte
lediglich eine Orientierungshilfe sein, es müssen nicht alle Stufen erklommen werden. Bei
starken Schmerzen sollten unbedingt starke
Opioide eingesetzt werden! Für Opioide besteht keine Maximaldosis, solange die Dosissteigerung die Analgesie klinisch nachweisbar
verbessert und keine respiratorischen Nebenwirkungen eintreten. ◀
Prof. Dr. med. Rolf Mertens ist
Leiter des Bereichs pädiatrische
Hämatologie / Onkologie der Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin am
Universitätsklinikum Aachen.
E-Mail: [email protected]
Kernaussagen
▶ Das Schmerzerleben ist immer subjektiv und
hängt u. a. vom Alter, von der Schmerzerfahrung
und der Umgebung des einzelnen Patienten ab.
▶ Gerade zu Beginn der Behandlung erhalten
schwer erkrankte Kinder häufig eine unzureichende Analgesie.
▶ Schmerzhafte Ereignisse, vor allem bei wiederholten Eingriffen, sollten unbedingt vermieden
werden! Sie können zu einem psychischen Trauma über die gesamte Therapie und darüber hinaus führen.
▶ Das WHO-Stufenschema dient nur als Orientierungshilfe für die Schmerztherapie: Starke
Schmerzen erfordern stark wirksame Opioide,
die rasch und konsequent eingesetzt werden
müssen.
▶ Für Opiode besteht keine Maximaldosis, solange
eine Dosissteigerung die Analgesie klinisch nachweisbar verbessert und keine respiratorischen
Nebenwirkungen auftreten.
▶ Koanalgetika sind elementarer Bestandteil der
Therapie tumorassoziierter neuropathischer
Schmerzen.
Interessenskonflikt Der Autor erklärt, dass
keine Interessenkonflikte vorliegen.
▶ Wie und mit welchem Schmerzmittel behandelt
wird, hängt im Wesentlichen vom Zustand des
Patienten ab und bedarf der individuellen Regulierung.
Literatur online
Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag
finden Sie im Internet:
Abonnenten und Nichtabonnenten können unter
„www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der AINS
aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Ergänzendes
Material“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.
Abonnenten können alternativ über ihren persönlichen
Zugang an das Literaturverzeichnis gelangen. Wie das
funktioniert, lesen Sie unter: http://www.thieme-connect.de/ejournals/help#SoRegistrieren
Beitrag online zu finden unter http://dx.doi.
org/10.1055/s-0031-1297180
Literaturverzeichnis
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Mertens R. Schmerztherapie in der pädiatrischen Onkologie – Schmerzerlebnis, Medikamente und Pharmakokinetik. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46: 736–742
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Fazit Schmerz und Krebs sind in der pädiatrischen
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