Bipolare Störungen

Werbung
DFP-Literaturstudium
Bipolare
Störungen
Bis zu 440.000 Menschen in Österreich leiden an einer bipolaren Störung; bei 70 Prozent davon treten auch Substanzmissbrauch und Angsterkrankungen auf. Bei der Therapie handelt es sich meist um eine Langzeitbehandlung
mit Stimmungsstabilisierern. Psychotherapeutische Maßnahmen kommen ergänzend zum Einsatz.
Von Siegfried Kasper et al.*
state of the art
Problemstellung
1
In den vergangenen Jahren hat man
die Aufmerksamkeit vermehrt auf die
Diagnostik und Therapie der bipolaren
Störungen gerichtet, die früher als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet
wurden. Die bei der bipolaren Störung
auftretenden Probleme (Tab. 1) beinhalten die Komorbidität dieser Langzeiterkrankung durch Substanz- und
Medikamentenmissbrauch, Suizidrisiko
sowie erhebliche psychosoziale Konsequenzen. Die Lebenszeitprävalenz von
Bipolar I-Störungen, also der klassischen manisch-depressiven Erkrankung, liegt weltweit zwischen 0,3 und
1,5 Prozent der Bevölkerung. Durch
Einbeziehung der subsyndromalen Formen im Rahmen des sogenannten bipolaren Spektrums (siehe Abb. 1) finden
sich jedoch Zahlen von bis zu sechs Prozent in der Allgemeinbevölkerung (Tab.
2). Dies bedeutet, dass in Österreich
etwa 170.000 bis 440.000 Menschen
13 /14 • 15. Juli 2004
DFP-Literaturstudium
von dieser
Erkrankung betroffen sind. Im Durchschnitt leiden die Patienten bereits
zehn Jahre an dieser Erkrankung,
bevor sie eine Therapie erhalten,
welche bei etwa 70 Prozent der
Betroffenen eine stationäre Behandlung erfordert. Etwa die
Hälfte der Patienten berichtet eine Verschlechterung
der Erkrankung seit dem
erstmaligen
Auftreten,
etwa 30 Prozent unternehmen einen Suizidversuch
und etwa 70 Prozent der Patienten leiden auch zwischen den schweren manischen
bezie-
hungsweise depressiven Episoden an
einer unterschiedlich ausgeprägten
Restsymptomatik. Bei etwa 70 Prozent
kommt es zum gleichzeitigen Auftreten
anderer psychiatrischer Erkrankungen
(Komorbidität), wie zum Beispiel Substanzmissbrauch oder Angsterkrankungen. Unbehandelte Patienten mit bipolaren Störungen weisen auch eine
signifikant erhöhte Morbidität und
Mortalität an nicht-psychiatrischen Erkrankungen (zum Beispiel kardiovaskuläre Leiden) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf.
© CORBIS INT.
Das Erkennen der Erkrankung und
die optimale Therapie bereits zu Beginn ist von großer Bedeutung. Erkrankt beispielsweise eine Frau mit 25
Jahren an einer bipolaren Störung und
bleibt unbehandelt, büßt sie knapp eineinhalb Jahrzehnte ihres unbeeinträchtigten gesunden Lebens ein (hinsichtlich beruflicher und familiärer Aktivität) und weist eine um neun Jahre
verkürzte Lebenserwartung auf.
Die Ätiologie der bipolaren Störung
wird, wie viele psychiatrische Erkrankungen, als multifaktoriell angesehen,
wobei einer biologischen Komponente
(wie man unter anderem aus Zwillingsuntersuchungen weiß) eine große Rolle
zukommt. Es ist dokumentiert, dass die
Entstehung einer bipolaren Störung
einem polygenetischen Erbmodus unterliegt und nicht auf einen einzelnen
Gendefekt zurückzuführen ist. Neben
verschiedenen biochemischen Entstehungsmechanismen weisen neuerdings
auch bildgebende Verfahren darauf hin,
13 /14 • 15. Juli 2004
dass Hyperintensitäten der weißen
Hirnsubstanz sowie eine geringe Volumenzunahme im lateralen Ventrikel,
sowie eine Vergrößerung des dritten
Ventrikels gefunden werden können.
Funktionelle Untersuchungen haben
eine erhöhte Aktivität des rechten vorderen Temporallappens sowie eine verminderte Aktivität des dorsolateralen
präfrontalen Cortex und der linken
Amygdala ergeben. Insgesamt sind die
erhobenen Befunde jedoch unspezifisch
und können auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen zur Darstellung
gebracht werden.
Symptomatik
Bei der bipolaren Störung findet
man sowohl manische als auch depressive Symptome, die in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen können
und dadurch vom Krankheitsbild der
schweren Manie über die Hypomanie
und in der depressiven Ausprägung
über die milde bis moderate Depression
zur schweren Depression reichen können (siehe Abb. 2). Während Patienten mit einer schweren Ausprägung
einer Depression beziehungsweise
Manie psychiatrische Behandlung aufsuchen, führt eine hypomane beziehungsweise eine milde depressive Verstimmung nur selten zur Behandlung.
Bei der Erfassung der Symptomatik
sollte unbedingt eine Fremdanamnese
miteinbezogen werden und die charakteristischen Symptome abgefragt werden. Dies ist insofern von großer Bedeutung, da Patienten mit einer bipola-
2
DFP-Literaturstudium
ren Störung den hypomanen Phasen
keine krankheitswertige Bedeutung zumessen und sie als Normalvariante
menschlichen Verhaltens empfinden.
Die manische Verstimmung beinhaltet gehobene Stimmung, vermehrten Antrieb, vermindertes Schlafbedürfnis, Größenideen, Rededrang,
Ideenflucht und übertriebenen Optimismus, zusätzlich können bei einer
manischen Episode mit psychotischen
Symptomen auch Wahngedanken oder
Halluzinationen (stimmungskongruent
oder stimmungsinkongruent) auftreten.
Die ICD-10 fordert für die Diagnose
einer manischen Episode auch eine
Einschränkung der beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit, welche mehr
oder weniger vollständig unterbrochen
ist. Die Symptomatik sollte für das Vorliegen einer Manie nach ICD-10 eine
Woche und für die hypomane Episode,
die insgesamt eine geringere symptomatische Ausprägung aufweist und
auch nur eine geringere psychosoziale
Behinderung mit sich bringt, einige
Tage bestehen.
Diagnose
In Tab. 3 sind die diagnostischen
Charakteristika für das bipolare Spektrum zusammengefasst. Im Durchschnitt durchlaufen etwa 25 Prozent
der Patienten mit einer ursprünglich als
nur “unipolar” diagnostizierten Depression innerhalb von neun Jahren auch
eine manische Episode. Ein Hinweis
auf eine entsprechende Prädisposition
für eine bipolare Störung kann unter
anderem durch die Familie gegeben
sein. Um eine Bipolar I-Störung zu diagnostizieren, muss mindestens eine manische Episode vorgelegen haben, eine
depressive Episode kann bereits aufgetreten sein oder nicht. Bei der Bipolar
II-Störung ist zusätzlich zu einer depressiven Phase mindestens eine hypomanische Episode zur Beobachtung gekommen.
Als Rapid Cycling bezeichnet man,
wenn mindestens vier Phasen pro Jahr
aufgetreten sind; wenn häufigere Phasen auftreten, handelt es sich um Ultrabeziehungsweise Ultra-Ultra-Rapid Cycling. Es ist nicht klar, ob Rapid Cycling den Verlauf einer Erkrankung oder
eher ein durch therapeutische Maßnahmen hervorgerufenes Verlaufsbild
darstellt.
Als Zyklothymie bezeichnet man,
wenn im Langzeitverlauf depressive und
hypomanische Symptome aufgetreten
sind, jedoch die Kriterien für eine depressive Episode, eine Hypomanie oder
Manie nicht erfüllt sind. Im Bereich der
Persönlichkeitsstörungen kann im Rahmen des bipolaren Spektrums eine extrovertierte expansive Persönlichkeit
diagnostiziert werden. Das Krankheitsbild einer unipolaren Manie wird insgesamt selten (etwa neun Prozent der Bipolar I-Erkrankungen) beobachtet. Die
manische Verstimmung kann entweder
state of the art
Das Spektrum bipolar affektiver Störungen
3
Problemstellung
bei der bipolaren Störung
.Langzeiterkankung
.Komplikation durch Komorbidität
(Substanzmissbrauch, Angsterkrankungen)
.Suizidrisiko, körperliche Erkrankungen
.Wahnhafte Symptome
.Psychosoziale Konsequenzen
Tab. 1
heiter-euphorisch oder dysphorisch-aggressiv ausgeprägt sein, wobei letzteres
häufiger zu strafrechtlichen Schwierigkeiten führt.
Patienten mit bipolarer Störung leiden etwa die Hälfte ihres Lebens nach
der Erstdiagnose an Symptomen, wobei
den depressiven Symptomen mit etwa
32 Prozent eine größere Bedeutung zukommt als den manischen (neun Prozent) beziehungsweise den gemischten
Symptomen (sechs Prozent). Aus einer
europäischen Befragung an Patienten
mit bipolarer Störung kann entnommen werden, dass sich mindestens die
Hälfte in psychosozialen Bereichen beeinträchtigt fühlt, beispielsweise am
Arbeitsplatz, in familiären Beziehungen, aber auch bei Freizeitaktivitäten
und in freundschaftlichen Beziehungen. Patienten mit bipolarer Störung
werden signifikant häufiger gekündigt
als vergleichbare Kontrollpersonen und
sind in etwa 30 Prozent mit Ordnungsstrafen inklusive Gefängnisaufenthalten behaftet. Eine Beeinträchtigung
der Lebensqualität ist nicht
nur während der Krankheitsphasen sondern auch in der
euthymen Phase gegeben
und deutlicher ausgeprägt als
bei vergleichbaren anderen
Erkrankungen wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis
oder Multiple Sklerose.
Differenzialdiagnose
Abb. 1
Die Differenzialdiagnose ergibt sich besonders innerhalb der psychiatrischen Erkrankungen, wobei an erster
Stelle Substanzmissbrauch
(Alkohol beziehungsweise
Drogen) steht, sowie gegenüber der unipolaren Depression und gegenüber den
13 /14 • 15. Juli 2004
DFP-Literaturstudium
Lebenszeit-Prävalenzraten
für bipolare Störung
. Bipolare Störung:
• bis zu 1,6 Prozent Manie
• bis zu 5,5 Prozent bipolares Spektrum
. etwa 170.000 bis 440.000 Menschen
in Österreich davon betroffen
Tab. 2
Angsterkrankungen. Bei exzessivem
episodischen Substanzmissbrauch sollte
im Langzeitverlauf an eine bipolare
Störung gedacht werden und auch jede
Phase einer Depression sollte hinsichtlich der Vorgeschichte einer manischen
Verstimmung, am besten durch Einbeziehung der Fremdanamnese, evaluiert
werden. Das gleichzeitige Auftreten
(Komorbidität) von Angsterkrankungen ist insofern wichtig abzuklären, da
unbehandelte Symptome einer Angsterkrankung einen sekundären Substanzmissbrauch bewirken können und zusätzlich zur bipolaren Erkrankung auch
eine spezifische Behandlung der Angststörung notwendig machen.
Akuttherapie der
bipolaren Störung
Für die Therapie der bipolaren
Störung stehen verschiedene Gruppen
von Medikamenten (Tab. 4) zur Verfügung. Es ergeben sich unterschiedliche
Gesichtspunkte bei der Behandlung der
Manie (mit oder ohne psychotische
Symptome), der bipolaren Depression,
des Mischzustandes und bei Rapid
Cycling.
unter der Therapie mit einem Stimmungsstabilisierer beziehungsweise mit
einem atypischen Antipsychotikum zu
einem Durchbrechen einer manischen
Symptomatik kommt, kann die Dosierung angehoben werden, wobei die behandelte Symptomatik und nicht so
sehr die Serumspiegelwerte die gegebene Dosierung bestimmt. Bei einer leicht
ausgeprägten Manie kann auch eine
Monotherapie mit einem Stimmungsstabilisierer erfolgen, bei einer Manie
mit psychotischen Ausprägungen ist auf
jeden Fall die Zugabe eines atypischen
Antipsychotikums empfehlenswert.
Von typischen Neuroleptika ist jedoch Abstand zu nehmen, da sie ein
hohes Risiko für extrapyramidale
Störungen beinhalten und bipolare Patienten in dieser Hinsicht deutlich vulnerabler als schizophrene Patienten
sind. Weiterhin können typische Neuroleptika eine depressive Symptomatik
verstärken und die Compliance reduzieren. Zudem haben kontrollierte Untersuchungen gezeigt, dass typische
Neuroleptika für die notwendige Langzeittherapie der bipolaren Erkrankung
als nicht phasenprophylaktisch wirksam eingestuft werden können.
Bipolare Depression
Prinzipiell gelten dabei dieselben
Richtlinien wie bei der unipolaren Depression, nur dass zusätzlich auf jeden
Fall ein Stimmungsstabilisierer zugegeben werden sollte, um das Risiko eines
Umschwungs (“Switch”) in eine mani-
sche Episode zu minimieren. Ältere
Antidepressiva wie zum Beispiel trizyklische Antidepressiva sind dabei Medikamente der zweiten beziehungsweise dritten Wahl, da sie neben dem ungünstigen
Nebenwirkungsprofil auch ein signifikant höheres Switch-Risiko mit der
Möglichkeit der Induktion eines Rapid
Cycling Verlaufes beinhalten. Selektive
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI) hingegen haben nur ein geringes Switch-Risiko.
Mischzustand
Beim gleichzeitigen Auftreten von
Symptomen einer Manie und Depression ist generell mit einem schlechteren
Behandlungserfolg zu rechnen. Kontrollierte Daten haben ergeben, dass
Valproinsäure und Carbamazepin Lithium in dieser Indikation überlegen sind.
Medikamente aus der Reihe der atpyischen Antipsychotika wie Olanzapin
und Risperidon haben ebenso günstige
Effekte erkennen lassen.
Antidepressiva sollten in dieser Indikation eher vermieden werden, falls
die Gabe eines Antidepressivums unbedingt notwendig ist, sollten SSRI und
keine tri- oder tetrazyklischen Antidepressiva zur Anwendung kommen, da
diese mit einem Risiko des Umschwungs in eine Manie – “Switch” behaftet sind. Benzodiazepine (zum Beispiel Clonazepam) können als symptomatische Zusatztherapie zur Abpufferung dysphorischer Symptome eingesetzt werden.
Diagnostische Charakteristika für das “bipolare Spektrum”
state of the art
Manie
4
Bei der Behandlung einer
manischen Episode ohne psychotische Symptome können
Medikamente aus der Gruppe
der Stimmungsstabilisierer (Tab.
5) sowie atypische Antipsychotika (zum Beispiel Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon oder Zotepin) eingesetzt werden. Medikamente aus
der Reihe der typischen Neuroleptika (zum Beispiel Haloperidol, Zuclopenthixol) stellen
Substanzen der zweiten Wahl dar
und sollten nur in speziellen Situationen (zum Beispiel intravenöse Verabreichung notwendig) gegeben werden. Falls es
Diagnose nach ICD-10*
bzw. DSM-IV-TR**
Bipolare Störungen
Bipolare Spektrumserkrankungen
Bipolar I
Mindestens eine manische Episode.
Eine depressive Episode kann aufgetreten sein oder nicht
Bipolar II
Mindestens eine hypomanische Episode, zusätzlich zur
depressiven Episode
Rapid Cycling
mindestens vier Phasen/Jahr:
Ultra-rapid Cycling: andauernder Phasenwechsel innerhalb von Tagen
Ultra-ultra-rapid Cycling: Wechsel innerhalb von Stunden
Zyklothymie
Im Langzeitverlauf depressive und hypomanische Symptome.
Kriterien für Depressive Episode (oder “Major Depression” nach
DSM-IV-TR), Hypomanie oder Manie sind nicht erfüllt
Hyperthymes
Temperament
Extrovertierte, expansive Persönlichkeit
* Internationale Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation, 10. Version
**Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der psychiatrischen Gesellschaft der
USA, 4. textrevidierte Version
Tab. 3
13 /14 • 15. Juli 2004
DFP-Literaturstudium
Medikamentengruppen
. Stimmungsstabilisierer (SST)
Rolle der Psychotherapie
. Antidepressiva*
• Lithium, Carbamazepin, Valproinsäue
und Lamotrigin
• In erster Linie selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI)
(Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin,
Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin)
. Antipsychotika
• In erster Linie atypische Antipsychotika (Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon)
. Benzodiazepine*
• CAVE: Typische Neuroleptika (zum
Beispiel Haloperidol, Zucopenthixol)
. Kombinationen
* nur als Zusatztherapie
• Zum Beispiel Clonazepam
Tab. 4
Stimmungsstabilisierer zur Phasenprophylaxe - Dosierung
Medikament
Empfohlene Erhaltungsdosis in mg/die
Plasmaspiegel
Lithiumcarbonat
400-800
0,4-0,6 mmol/L
Lamotrigin
200
keine Messung notwendig*
Valproinsäure
1000-2000
50-120 mg/L**
Carbamazepin
400-1200
40-100 µg/mL**
Oxcarbazepin
900-2400
10-15 µg/mL**
Olanzapin
10-20
keine Messung notwendig
* in der Neurologie werden Werte von 1 bis 10 µg/mL angegeben.
** Richtwerte unter Toleranzaspekten
Tab. 5
Rapid Cycling
Als Rapid Cycling bezeichnet man,
wenn mindestens vier Phasen (depressiv, manisch oder Mischzustand) pro
Jahr in beliebiger Reihenfolge oder
Kombination aufgetreten sind. Beim
Rapid Cycling sollten Antidepressiva
eher vorsichtig und bevorzugt Stimmungsstabilisierer oder Medikamente
aus der Reihe der atypischen Antipsychotika gegeben werden.
Langzeittherapie
(= Phasenprophylaxe)
Die Behandlung der bipolaren
Störung ist in den meisten Fällen eine
Langzeitbehandlung mit Stimmungsstabilisierern (Tab. 5). In der Phasenprophylaxe sollten jene Medikamente Anwendung finden, mit denen man schon
in der Akut- und Erhaltungstherapie
gute Erfolge erzielt hat.
rigin, Valproinsäure und seit kurzem auch
für atypische Antipsychotika (Olanzapin,
Quetiapin und Risperidon) vorliegen.
Auf Grund der günstigen Datenlage hat
Olanzapin die Indikation zur Langzeitbehandlung von den Zulassungsbehörden
erhalten. Bei Carbamazepin sollte darauf
geachtet werden, dass aufgrund der
Enzyminduktion die Blutspiegel anderer
Medikamente abfallen und bei Lamotrigin ist es wichtig, einschleichend zu dosieren und bei der gleichzeitigen Verabreichung von Valproinsäure die Dosismenge von Lamotrigin zu halbieren, da
Valproinsäure ein Enzyminhibitor ist.
Zur Zeit werden bei der bipolaren Erkrankung verschiedene Therapieformen
favorisiert (Tab. 7), wobei im Mittelpunkt steht, mit dem Patienten kritisch
zu bearbeiten, inwiefern Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Auslösung neuer Krankheitsepisoden stehen
können und entsprechend dieser Erkenntnisse die Lebensführung zu ändern. In der “Social Rhythm Therapy”,
die von der University of Pittsburgh
konzipiert wurde, soll der Patient unter
anderem erfahren, dass ein gezielter Tagesablauf unter Berücksichtigung beziehungsweise Vermeidung von Rückfallrisiken (wie zum Beispiel Schlafmangel)
zu einer Stabilisierung der bipolaren Erkrankung führt. Die Familie sollte dabei
unbedingt mit einbezogen werden und
Sicherheit im Umgang mit ihrem erkrankten Familienmitglied entwickeln
und lernen, Konflikte innerhalb der Familie konstruktiv auszutragen.
Der Psychoedukation kommt daher
dabei eine gewichtige Stellung zu. In
einem so genannten Symptom-Management-Programm sollen die Patienten in Analogie zur Social Rhythm
Therapie lernen, Frühsymptome ihrer
Krankheit zu erkennen und durch rasche Maßnahmen wie zum Beispiel
Terminvereinbarung beim Arzt oder
gezielte Medikamenteneinnahme, die
Erkrankung günstig zu beeinflussen.
Dieses Vorgehen hat sich in der Manieprophylaxe besonders bewährt. Psychotherapeutische Maßnahmen sind
additiv zur medikamentösen Prophylaxe zu verstehen.
Bipolare Erkrankung - Symptomatologie
Die Indikation für Stimmungsstabilisierer und atypische Antipsychotika auch unter Langzeitaspekten - ist in Tab.
6 und Abb. 3 zusammengefasst. In den
letzten Jahren wurde die Datenlage für
die Langzeitbehandlung bipolarer
Störungen eindrucksvoll verbessert
(quantitativ verdreifacht), sodass außer
Lithium nun exzellente Daten für Lamot-
13 /14 • 15. Juli 2004
Abb. 2
5
DFP-Literaturstudium
Indikationen für eine Phasenprophylaxe
. Bipolare Störungen zeichnen sich
Bipolar I Drei Episoden einer Depression oder Manie, unabhängig vom Intervall
Zwei Episoden einer Depression oder Manie, innerhalb von fünf Jahren
Zwei Episoden einer Depression oder Manie bei positiver Familienanamnese
mit bipolarer Störung
Bipolar II Drei Episoden einer Depression oder Hypomanie, unabhängig vom Intervall
Zwei Episoden einer Depression oder Hypomanie, innerhalb von fünf Jahren
Tab. 6
Psychosoziale und psychotherapeutische Interventionen
. Kognitive Verhaltenstherapie: Veränderung ungünstiger Gedanken- und Verhaltensmuster
. Psychoedukation: Aufklärung von Patienten und Angehörigen über Krankheit und
Behandlung, Erkennung von ‚Frühwarnzeichen‘
. Familientherapie: Reduktion des Stress-Levels innerhalb der Familie
. Social Rhythm Psychotherapie: Optimierung der täglichen Routine; regelmäßige
Lebensführung und Schlaf → protektiv
Tab. 7
Fallgruben
. Depression ist gleich Depression:
Die bipolare Depression unterscheidet sich zwar in der Symptomatik nicht wesentlich von der
unipolaren Depression. Wenn die
Diagnose einer bipolaren Erkrankung nicht gestellt wird, besteht
die Gefahr des Umschwungs
(“Switch”) in eine Manie und dadurch eventuell ein iatrogen induziertes Rapid Cycling.
. Die bipolare Störung ist nur in der
Manie beziehungsweise Depression
problematisch: Im Gegensatz dazu
sind die Patienten auch in der euthymen Phase in verschiedenen psychosozialen Bereichen deutlich eingeschränkt.
. Patienten mit bipolarer Störung zeigen nur in den Krankheitsphasen
ihre Symptomatik: Im Gegensatz
dazu leiden die Patienten etwa die
Hälfte ihres Lebens nach Diagnosestellung an den Symptomen.
vorwiegend durch Manie aus: Im
Gegensatz dazu treten depressive
Phasen sehr viel häufiger als manische Phasen auf (etwa 3:1) und
auch die interepisodische RestSymptomatik ist am häufigsten
durch depressive Symptome gekennzeichnet.
. Am besten können Manien mit typischen Neuroleptika behandelt werden: Im Gegensatz dazu zeigen die
nun vorliegenden Untersuchungen
mit atypischen Antipsychotika, dass
bei gleicher Effektivität ein akzeptableres Nebenwirkungsspektrum durch
atypische Antipsychotika erreicht
werden kann und dass durch diese
kein Kippen in eine Depression erfolgt.
. Rapid Cycling ist eine Unterform
der bipolaren Störung: Im Gegensatz
dazu ist Rapid Cycling wahrscheinlich durch therapeutische Maßnahmen iatrogen ausgelöst, wobei der
anticholinerge Anteil der trizyklischen Antidepressiva für das Auslösen der Manie und der fehlende antidepressive Wirkmechanismus der typischen Neuroleptika (zum Beispiel
Haloperidol) für das Auftreten einer
Depression verantwortlich gemacht
■
wird.
*) O. Univ. Prof. Dr. hc Dr. Siegfried
Kasper, Dr. Trawat Attarbaschi, Univ.
Prof. Dr. Johannes Tauscher; alle:
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie/
Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel
18-20, 1090 Wien; Tel. 01/40 400/35 68;
Fax-DW: 30 99; e-mail: [email protected]
6
Auszug aus: Kasper S., Tauscher J. et al.,
Bipolare Störungen. Medikamentöse Therapie.
Österr. Konsensus-Bericht der ÖGBP 2003.
Lecture Board:Univ. Prof. Dr. Rainer
Danzinger, Landes-Nervenklinik Sigmund
Freud/Graz; Univ. Prof. Dr. Hans-Peter
Kapfhammer, Universitätsklinik für Psychiatrie/Graz; Univ. Prof. Dr. Peter König,
LKH für Psychiatrie und Neurologie/Vorarlberg
© CLINJCUM PSY/SONDERAUSGABE
state of the art
Empfehlungen für die medikamentöse Therapie bei bipolaren Störungen
Herausgeber: Österreichische Gesellschaft
für Neuropsychopharmakologie und Biologische
Psychiatrie (ÖGPB)
Abb. 3
Aus: Kasper et al (2003)
Diesen Artikel finden Sie auch im
Web unter www.arztakademie.at
13 /14 • 15. Juli 2004
Herunterladen