Somatoforme Symptome in der Landarztpraxis

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Aus der Abteilung für
Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Somatoforme Symptome in der Landarztpraxis
Eine empirische Untersuchung zur Häufigkeit,
psychischen Begleitsymptomatik und Lebensqualität.
INAUGURAL-DISSERTATION
zur
Erlangung des Medizinischen Doktorgrades
der Medizinischen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg im Breisgau
Vorgelegt 2002
von Brigitte Krings-Ney
geboren in Geilenkirchen
Dekan: Prof. Dr. med. rer. nat. M. Schumacher
1. Gutachter: Prof. Dr. med. M. Wirsching
2. Gutachter: Prof. Dr. med. D. Richter
Tag der mündlichen Prüfung: 17.04.2002
Für Johannes
Danksagung
Hiermit möchte ich allen danken, mit deren Rat und Unterstützung diese Arbeit
entstanden ist.
Zunächst gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Wirsching für die Möglichkeit der
Durchführung dieser Promotionsarbeit und die Übernahme des Erstgutachtens. Herrn
Prof. Dr. med. Richter danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Im Rahmen
der Fort- und Weiterbildung im Bereich Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe hat Herr Prof. Dr. med. Richter meinen beruflichen Werdegang mit geprägt. Für die
geduldige Betreuung von der Entstehung bis zur Fertigstellung dieser Arbeit gilt mein
Dank Herrn Dr. med. Kurt Fritzsche. Besonders danken möchte ich Frau Dipl. Psych.
Astrid Larisch für die Unterstützung in methodischen und statistischen Fragen sowie für
ihre intensive und kritische Betreuung in der letzten Phase dieser Arbeit. Mein Dank gilt
auch den beiden Allgemeinärzten Herrn Miguel Pascual-Gracia und Herrn Joaquin Costa-Gracia, in deren Praxis ich als Praxisassistentin arbeiten und diese Studie durchführen durfte. Ebenso möchte ich mich bei den Arzthelferinnen der Praxis bedanken, die
mich sehr unterstützt haben, PatientInnen für diese Studie zu gewinnen. Bedanken
möchte ich mich auch bei den PatientInnen der Praxis, die bereit waren, an der Studie
teilzunehmen.
Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, meinem Mann Michael und unserem
Sohn Johannes. Sie haben mich „freigestellt“ für das Schreiben dieser Arbeit. Mein
Mann ist gleichzeitig mein Mitdoktorand, mit dem ich mich immer wieder austauschen
und kritisch auseinandersetzen konnte, dass wir beide die Geduld und den Mut zur Erstellung dieser Arbeit bewahren konnten. Auch bedanke ich mich an dieser Stelle bei
vielen FreundInnen für ihre Gesprächsbereitschaft während der Lust- und Frustphasen
dieser Arbeit. Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern danken, die mir meine Ausbildung ermöglicht haben.
I
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung................................................................................................................. 1
2
Theoretische Grundlagen....................................................................................... 3
2.1
Definitionen der somatoformen Störungen....................................................... 3
2.2
Prävalenz der somatoformen Störungen ......................................................... 10
2.3
Differentialdiagnostik der somatoformen Störungen...................................... 22
2.4
Komorbidität mit anderen psychischen Störungen ......................................... 29
2.5
Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei somatoformen Störungen.............. 34
3
Eigene Fragestellungen und Hypothesen............................................................ 37
4
Methodik................................................................................................................ 40
4.1
Durchführung der Untersuchung .................................................................... 40
4.2
Beschreibung der Stichprobe .......................................................................... 41
4.3
Soziodemographische Merkmale und Repräsentativität der Stichprobe ........ 42
4.4
Messinstrumente ............................................................................................. 45
4.5
Statistische Auswertung.................................................................................. 48
5
Ergebnisse.............................................................................................................. 50
5.1
SOMS-2 Auswertung...................................................................................... 50
5.2
HADS-D Auswertung..................................................................................... 57
5.3
SF-12 Auswertung .......................................................................................... 60
5.4
Mini-DIPS Auswertung .................................................................................. 62
6
Diskussion .............................................................................................................. 65
7
Zusammenfassung ................................................................................................ 76
8
Literaturverzeichnis ............................................................................................. 77
Anhang........................................................................................................................... 83
I Tab. A1: Somatoforme Störungen im Vergleich der beiden Klassifikationssysteme
ICD-10 und DSM-IV................................................................... ............. 83
II Tab. A2: Körperliche Symptome bei somatoformen Störungen............................. 89
III Tab. A3: Körperliche Symptome bei Angst- und Panikstörung nach ICD-10 ............... 90
IV Fragebogen: SOMS-2 ............................................................................................ 91
V Fragebogen: HADS-D............................................................................................. 94
IV Lebenslauf.............................................................................................................. 95
II
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabellen
Tab. 1: Prävalenzstudien in der Primärversorgung.........................................................21
Tab. 2: Komorbidität von somatoformen Störungen mit anderen psychischen
Störungen.............................................................................................................33
Tab. 3: Soziodemografische Daten.................................................................................43
Tab. 4: Repräsentativität der Studienpopulation.............................................................44
Tab. 5: Unterschiedliche Diagnosezuweisungen............................................................52
Tab. 6: Vergleich somatoforme Störungen Männer / Frauen.........................................54
Tab. 7: Ein- und Ausschlusskriterien von somatoformen Störungen.............................55
Tab. 8: Anzahl der betroffenen Organsysteme...............................................................56
Tab. 9: Auffälligkeiten im SOMS-2 und in der HADS-D..............................................57
Tab. 10: Symptome nach Art der betroffenen Organsysteme........................................59
Tab. 11: Symptomhäufigkeit..........................................................................................59
Tab. 12: Aktuelle psychische Diagnose nach ICD-10 im Mini-DIPS............................63
Tab. 13: Übersicht Kennwerte SOMS-2, HADS-D, SF-12............................................64
Abbildungen
Abb. 1: Übersicht Studienteilnahme...............................................................................42
Abb. 2: Häufigkeit somatoformer Symptome im SOMS-2............................................50
Abb. 3: SSI-4/6 Auffälligkeit im SOMS-2, nach DSM-IV und ICD-10........................52
Abb. 4: Geschlechtsabhängige Auffälligkeit im SOMS-2.............................................53
Abb. 5: Korrelation HADS-D/ SOMS-2 mit Regressionsgeraden.................................58
Abb.6: Häufigkeit der Praxisbesuche…………………………………………………. 61
Abb.7: Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage....................................................................61
1
1 Einleitung
Bei somatoformen Symptomen liegen körperliche Beschwerden vor, ohne dass
die Beschwerden durch einen organischen Befund ausreichend erklärt werden können.
Die PatientInnen vermuten eine somatische Ursache ihres Leidens und suchen somatomedizinische Behandlungen auf. Somatoforme Symptome stellen eine Herausforderung
in der hausärztlichen Praxis dar. Als ÄrztInnen fühlen wir uns oft überfordert mit PatientInnen, bei denen keine körperliche Ursache ihres Leidens zu erkennen ist. Wir sind
daraufhin ausgebildet, mögliche schwerwiegende körperliche Erkrankungen abzuklären.
Aus Angst vor einer möglichen Fehldiagnose wird oft eine umfangreiche Diagnostik
eingesetzt, bevor geschlossen wird, dass keine körperliche Erkrankung vorliegt, die das
Symptom erklären könnte (PEVELER et al. 1997). Ein großer Teil der PatientInnen
zeigt die Beschwerden nur vorübergehend und lässt sich durch einen negativen medizinischen Befund beruhigen. Ein kleinerer Teil zeigt deutliche Chronifizierung
(KRIEBEL et al. 1996). Die bestehende Struktur des Gesundheitssystems mit einer
vorwiegend somatischen Orientierung und Betonung technischer Methoden kann mit als
relevante Ursache für den oft chronischen Verlauf psychosomatischer Störungen betrachtet werden (STURM und ZIELKE 1988). Die Schulmedizin beherrscht an den
Universitäten die Krankenversorgung, die Forschung und die Lehre (WIRSCHING
2000). Die Zwänge einer naturwissenschaftlich organisierten Medizin scheinen manchmal unüberwindlich (FRITZSCHE et al. 2000b). Das biomedizinische Gesundheitssystem der westlichen Welt mit seiner dualistischen Trennung zwischen körperlichen und
psychischen Symptomen beinhaltet eine bedeutsame Verstärkung für Somatisierung
(KRIEBEL 1996). Oft sind es aber auch die PatientInnen selbst, die in rigider und oft
sehr ansprüchlichen Form auf einer „medizinischen Lösung“ ihrer Symptomatik bestehen (HILLER, RIEF 1998a). Das Festhalten an einer organischen Ursache bedeutet für
die PatientInnen eine Legitimierung für ihre Beschwerden (AWMF online 1998).
Zahlreiche Synonyme werden benutzt, um somatoforme Beschwerden zu beschreiben. Am gebräuchlichsten ist die Bezeichnung funktionelle Störung oder funktionelles Syndrom. Auch Begriffe wie psychovegetatives Syndrom, vegetative Dystonie,
allgemeines psychosomatisches Syndrom, psychische Überlagerung, vegetatives Erschöpfungssyndrom, psychogene Schmerzstörung, Neurasthenie, oder neurozirkulatorische Asthenie versuchen PatientInnen mit körperlichen Beschwerden ohne ausreichendenden organischen Befund zu beschreiben. Auch einige neue Bezeichnungen von
2
Krankheitsbildern wie die multiple chemische Überempfindlichkeit (MCS), das chronische Müdigkeitssyndrom (chronic Fatigue Syndrome, CFS) oder die Fibromyalgie (FM)
weisen eine deutliche Nähe zu den somatoformen Störungen auf (FALLER 1999,
BARSKY und BORUS 1999). Die Flut der Begriffe zeigt die Unsicherheit im Umgang
mit diesen PatientInnen und ihren Leiden (HERRMANN 1996).
In verschiedenen Schätzungen wird davon ausgegangen, dass bis zu 60% der in
Arztpraxen geschilderten Symptome nicht oder nicht eindeutig auf organmedizinische
Erkrankungen zurückzuführen sind (KATON et al. 1984). Somatoforme Erkrankungen
werden nach der ICD-10 bzw. DSM-IV als psychische Störungen klassifiziert (s. Abschnitt 2.1). Die PatientInnen mit körperlichen Beschwerden ohne organischen Befund
kommen jedoch zunächst zu HausärztInnen, AllgemeinmedizinerInnen und InternistInnen, nicht zu PsychiaterInnen (HERRMANN 1996). In der klinischen Praxis wird die
Diagnose selten gestellt (s. Abschnitt 2.2). Somatoforme Störungen werden von vielen
ÄrztInnen nicht für ein eigenständiges Krankheitsbild gehalten, sie sind oft eine Ausschlussdiagnose. Den ÄrztInnen in der Primärversorgung fehlt es an positiven diagnostischen Kriterien zur Erkennung von somatoformen Erkrankungen (HERRMANN
1996). Sowohl in organmedizinischen Lehrbüchern als auch in psychologischen und
psychotherapeutischen Werken nimmt die Gruppe der somatoformen Störungen nur
wenig Raum ein (RIEF 1996).
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Häufigkeit von PatientInnen mit multiplen somatoformen Symptomen in einer ausgesuchten hausärztlichen Praxis zu erfassen.
Bei diesen PatientInnen werden psychische Symptome wie Ängstlichkeit und Depressivität sowie die körperliche und psychische Beeinträchtigung mit untersucht.
3
2 Theoretische Grundlagen
Was sind somatoforme Störungen? Wie häufig kommen somatoforme Störungen
vor? Welche anderen Erkrankungen oder Störungen könnten die Beschwerden der PatientInnen erklären? Gehen somatoforme Störungen häufiger mit anderen Erkrankungen
einher? Wie krank fühlen sich PatientInnen mit somatoformen Störungen?
In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Definitionen von somatoformen
Störungen, Studien zur Prävalenz, mögliche Differentialdiagnosen, Studien zur
Komorbidität der somatoformen Störungen mit anderen psychischen Störungen sowie
mögliche psychosoziale Einschränkungen der PatientInnen mit somatoformen Störungen vorgestellt.
2.1
Definitionen der somatoformen Störungen
Das Auftreten einzelner somatoformer Symptome ist nicht gleichbedeutend mit
einer somatoformen Störung. Nur wenn die körperlichen Beschwerden mit einem erheblichen subjektiven Leiden oder Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder
familiären Lebensumfeld verbunden sind, kann diese Diagnose gestellt werden (SASS
et al. 1998). Vorübergehende organisch unerklärte Körperbeschwerden, die nicht zum
Anlass wiederholter Arztbesuche werden, gehören zur Normalität. Sie dürfen nicht mit
den zur Chronifizierung neigenden somatoformen Störungen verwechselt werden
(AWMF online 1998). Nach KELLNER (1987) nehmen 60% bis 80% der gesunden
Bevölkerung einmal pro Woche körperliche Missempfindungen wahr. Mitbestimmend
für das Umgehen mit körperlichen Missempfindungen sind die Erklärungsmodelle der
PatientInnen. ROBBINS und KIRMAYER (S. 1029, 1991) beschreiben: „Deciding
what to do about a symptom- whether to ignore it, worry about it , take a home remedy,
or see the doctor-depends in large measure on what he believes is the cause of the
symptom.“ PatientInnen mit somatoformen Störungen deuten harmlose körperliche
Empfindungen eher als Hinweis auf eine körperliche Schwäche oder Erkrankung (LIEB
und MARGRAF 1994). Diese PatientInnen zeigen im Umgang mit trivialen körperlichen Empfindungen somatisierungstypische Verhaltensweisen wie Schonverhalten,
Medikamenteneinnahme, Sorge um die Gesundheit, häufige Arztbesuche und vermehrte
Aufmerksamkeit auf körperliche Veränderungen (LIEB 1998). Gerade dem Schonverhalten kann eine krankheitsaufrechterhaltende Funktion zukommen. Ein körperlich un-
4
trainierter Zustand stellt ein Risiko für die erhöhte Wahrnehmung und Fehlbewertung
von Körperempfindungen dar (RIEF 1998).
Vor der Einführung der Diagnose einer somatoformen Störung nach ICD-10
oder DSM-III waren die Kriterien kaum vergleichbar, die angewandt wurden, um PatientInnen mit funktionellen Beschwerden zu diagnostizieren. Zwischen 1979 und 1982
wurden in der Mannheimer Kohortenstudie 600 Erwachsene der Mannheimer Stadtbevölkerung hinsichtlich der Häufigkeit psychogener Erkrankungen untersucht. Bei 26%
wurden psychogene Erkrankungen wie Psychoneurosen, Charakterneurosen und funktionelle Beschwerden diagnostiziert. Eine funktionelle oder andere psychosomatische
Störung wurde bei 11,6% diagnostiziert (SCHEPANK et al. 1984).
Die Gruppe der somatoformen Störungen wurde erstmals 1980 in die psychiatrischen Klassifikationssysteme, damals DSM-III, eingeordnet. Zur allgemeinen Definition der somatoformen Störungen schreiben WITTCHEN et al. (S. 313, 1989): „Hauptmerkmal dieser Gruppe von Störungen sind körperliche Symptome, die eine körperliche
Störung (daher somatoform) nahe legen. Es lassen sich für diese Symptome jedoch keine organischen Befunde oder bekannte pathophysiologische Mechanismen nachweisen,
und es ... liegt der Verdacht nahe, daß psychischen Faktoren oder Konflikten Bedeutung
zukommt.“
Die genaue Definition der somatoformen Störungen ist verwirrend. Aktuell gibt
es die beiden Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-IV, die die Charakteristika der somatoformen Störungen ausführlich beschreiben. Beide Klassifikationssysteme sind
ähnlich, weisen im Detail jedoch Unterschiede auf, die zu Diskrepanzen in der Klassifikation führen können (RIEF et al. 1997). In Tabelle A1 (Anhang) sind die Definitionen
beider Diagnosesysteme (in zum Teil etwas gekürzter Form) gegenübergestellt. Beide
Systeme verwenden Symptomlisten, die allerdings zum Teil unterschiedliche Symptome enthalten. In Tabelle A2 (Anhang) werden alle in der ICD-10 oder im DSM-IV genannten Symptome aufgeführt und dem jeweiligen Klassifikationssystem zugeordnet.
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Definitionen der somatoformen Störungen
in den beiden Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 dargestellt, später werden
neuere Definitionen vorgestellt.
In der ICD-10 (DILLING et al. 1994) gehören zur Gruppe der somatoformen
Störungen die Somatisierungsstörung, die somatoforme autonome Funktionsstörung, die
anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die undifferenzierte Somatisierungsstörung,
sonstige somatoforme Störungen, die hypochondrische Störung und die Dysmorpho-
5
phobie. Bei der Somatisierungsstörung nach ICD-10 müssen mindestens 6 Symptome
aus einer Liste mit 14 körperlichen Symptomen vorhanden sein und über zwei Jahre
hinweg andauern. Ein weiteres diagnostisches Kriterium ist die Forderung der PatientInnen nach einer medizinischen Abklärung trotz wiederholter Negativ- Befunde und
Erklärungen der ÄrztInnen über die nicht somatische Ursache der Beschwerden. Eventuell vorhandene morphologische Schäden können die Symptome und das Leid der PatientInnen nicht ausreichend erklären. Nach ICD-10 darf die Diagnose einer Somatisierungsstörung nicht gestellt werden, wenn beispielsweise somatoforme Symptome während einer Depression auftreten. Bei vielen PatientInnen liegen gleichzeitig somatoforme und depressive Symptome vor. Es ist zu diskutieren, ob diese Symptome eher differentialdiagnostisch oder nach dem Prinzip der Komorbidität betrachtet werden (s. Abschnitt 2.3 und 2.4).
Im DSM-IV (SASS et al. 1998) wird in der Gruppe der somatoformen Störungen die Somatisierungsstörung von der undifferenzierten somatoformen Störung, der
akuten und chronischen Schmerzstörung, der nicht näher bezeichneten somatoformen
Störung, der Hypochondrie, der körperdysmorphen Störung und der Konversionsstörung abgegrenzt. Um die Diagnose einer Somatisierungsstörung nach DSM-III-R
(WITTCHEN et al. 1989) zu stellen, mussten 13 Symptome aus einer Liste mit 35
möglichen Symptomen vorliegen. In der Weiterentwicklung des DSM-IV (1994) wurde
die Symptomanzahl reduziert, jedoch weitere Bedingungen für die Diagnose gestellt.
Laut DSM-IV müssen für die Somatisierungsstörung mindestens 8 Symptome von insgesamt 32 möglichen Symptomen für Frauen oder von 29 möglichen Symptomen für
Männer vorliegen (vier Schmerzsymptome, zwei gastrointestinale Symptome, ein Symptom bei sexuellen Organen und ein pseudoneurologisches Symptom). Die Beschwerden müssen vor dem 30. Lebensjahr begonnen haben und seit mehreren Jahren bestehen. Ein weiteres diagnostisches Kriterium ist die Einschränkung der PatientInnen
durch die Beschwerden in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Ausschlusskriterium für eine Somatisierungsstörung nach DSM-IV ist die absichtliche Erzeugung oder Vortäuschung der Symptome.
Die Diagnose einer somatoformen autonomen Funktionsstörung existiert nur
in der ICD-10, nicht im DSM-IV. Bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung
der ICD-10 (gebräuchliche Abkürzung: „SAD“ für „somatoform autonomic dysfunction“) stehen Störungen von autonom innervierten Organen im Vordergrund, die einem
oder mehreren Systemen oder Organen zugeordnet sind: kardiovaskuläres System, obe-
6
rer Gastrointestinaltrakt, unterer Gastrointestinaltrakt, respiratorisches System, Urogenitalsystem, sonstiges Organ oder Organsystem. Sogenannte funktionelle Erkrankungen
wie das Reizdarmsyndrom (Colon irritabile), der Reizmagen (Non-Ulcer-Dyspepsie),
das Herzangstsyndrom (Non-Cardiac Chest-Pain) und die Hyperventilationstetanie können nach der ICD-10 als somatoforme autonome Funktionsstörung diagnostiziert werden (CSEF 1995). Eine Somatisierungsstörung nach ICD-10 darf nicht diagnostiziert
werden, wenn Symptome der vegetativen Erregung im Vordergrund des klinischen Erscheinungsbildes stehen (DILLING et al. 1994). Somit ist nach ICD-10 die somatoforme autonome Funktionsstörung der Somatisierungsstörung hierarchisch übergeordnet
(HILLER, RIEF 1998).
Bei der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nach ICD-10 haben PatientInnen über sechs Monate lang einen anhaltenden schweren und belastenden
Schmerz, der nicht adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses erklärt
werden kann, und anhaltend Hauptfokus der Aufmerksamkeit ist.
Im DSM-IV wird bei der Schmerzstörung differenziert in eine akute und eine chronische Form. Bei der chronischen Form muss seit mindestens 6 Monaten eine übermäßige
Beschäftigung mit Schmerzen vorliegen, die nicht oder nicht ausreichend durch eine
organische Ursache zu erklären ist.
Unter der undifferenzierten Somatisierungsstörung werden in der ICD-10
Störungen diagnostiziert, bei denen somatoforme Symptome vorliegen und die Störung
mehr als 6 Monate andauert (im Gegensatz zu 2 Jahren bei der Somatisierungsstörung).
Die Symptomanzahl kann geringer sein (in der ICD-10 werden wie oben aufgeführt 6
Symptome von 14 für die Somatisierungsstörung gefordert).
DSM-IV spricht von der undifferenzierten somatoformen Störung, wenn die Symptomdauer über 6 Monaten liegt. Es wird explizit erwähnt, dass bereits ein körperliches
Symptom zur Diagnosestellung ausreicht.
Obwohl bei der Hypochondrie und der körperdysmorphen Störung nicht das
Leiden an körperlichen Symptomen im Vordergrund steht, werden sie in beiden Klassifikationssystemen in der Gruppe der somatoformen Störungen aufgeführt. In beiden
Klassifikationssystemen unterscheiden sich die Kriterien für das Vorliegen einer hypochondrischen Störung (ICD-10) und Hypochondrie (DSM-IV) kaum. Bei der hypochondrischen Störung oder Hypochondrie leiden PatientInnen an übermäßigen Krankheitsängsten über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten.
7
Bei der Dysmorphophobie oder der körperdysmorphen Störung leiden PatientInnen an
einem eingebildeten, nicht vorhandenen oder nur geringfügigen körperlichen Mangel,
sie fühlen sich entstellt oder hässlich. Es kann sich um angebliche „Schönheitsfehler“
im Gesicht (z.B. Falten, Hautflecken, Form von Nase, Mund oder Kiefer), an den Extremitäten, Brust, Rücken oder anderen Körperteilen handeln (RIEF, HILLER 1992).
Laut DSM-IV ist die Konversionsstörung ebenso den somatoformen Störungen
zugeordnet. Bei der Konversionsstörung muss mindestens ein pseudoneurologisches
Symptom vorhanden sein, bei dem entweder motorische oder sensorische Ausfälle, Anfälle oder Krämpfe im Vordergrund stehen. Die Störung beginnt meistens in einer Situation extremer psychischer Belastung.
In der ICD-10 wird die Gruppe der Konversionsstörungen und dissoziativen Störungen
nicht in der Gruppe der somatoformen Störungen aufgeführt, sondern in einer eigenen
Gruppe beschrieben.
Aufgrund der historischen Entwicklung wird im Zusammenhang mit somatoformen Störungen von einigen Autoren (PINI et al. 1999, FINK et al. 1999, FALLER
1999, AWMF online 1998) die Neurasthenie erwähnt. Im DSM-IV kommt diese Kategorie nicht vor. Nach der ICD-10 gehört die Neurasthenie (Erschöpfungssyndrom) nicht
direkt in die Gruppe der somatoformen Störungen. Für die Neurasthenie typisch ist ein
seit mindestens 3 Monaten anhaltendes und quälendes Erschöpfungsgefühl nach geringer geistiger und / oder körperlicher Anstrengung. Die Betroffenen sind nicht in der
Lage, sich innerhalb eines normalen Zeitraumes von Ruhe, Entspannung oder Ablenkung zu erholen.
In den vergangenen Jahren wurde von verschiedenen Seiten Kritik an den Definitionen der beiden Klassifikationssysteme laut und es wurden neue Definitionen für
somatoforme Störungen gefordert. Auch wenn leicht der Anschein entsteht, es handle
sich bei der undifferenzierten Somatisierungsstörung um eine Restkategorie, kommt die
undifferenzierte Somatisierungsstörung weitaus häufiger als die Somatisierungsstörung
vor (SACK 1998). Für die Diagnose einer undifferenzierten Somatisierungsstörung
reicht ein einziges Symptom aus. Die Diskrepanz zwischen einem Symptom bei der
undifferenzierten Somatisierungsstörung und 8 Symptomen aus 4 verschiedenen Symptomgruppen für die Somatisierungsstörung ist groß.
FRANZ und SCHEPANK (S. 43, 1996) schreiben allgemein über funktionelle
Beschwerden: „Darüber hinaus scheint wesentlich, daß funktionelle Beschwerden nur
8
selten singulär, sondern in der Regel als Polysymptomatik ..., in Kombination mit anderen funktionellen Beschwerden vorkommen.“ Somatoforme Störungen können definiert
werden als polysymptomatische Krankheitsbilder, einhergehend mit einer Fülle von
Beschwerden, die verschiedenste Organsysteme betreffen und die sich im zeitlichen
Verlauf ändern (CSEF 1995). RIEF (1998) schlägt zwei Modifikationen zur Verbesserung der Klassifikation vor: die stärkere Berücksichtigung der subjektiven Beeinträchtigung und die stärkere Berücksichtigung psychologischer Merkmale. Häufig wird die
Anzahl der Symptome als Indikator für den Schweregrad der Erkrankung insgesamt
angesehen. HILLER et al. (1995) fanden z.B. bei PatientInnen mit mindestens 7 somatoformen Symptomen die psychopathologische Belastung mit Ängstlichkeit, Depressivität und Hypochondrie deutlich höher als bei PatientInnen unterhalb dieser Schwelle.
Es folgen nun drei Beispiele für neuere Klassifikationsansätze der somatoformen Störungen.
ESCOBAR et al. (1989) schlugen eine neue Klassifikationsgruppe der somatoformen Störungen vor, die sog. „abridged somatization disorder“ mit dem „Somatic
Symptom Index“ (SSI). Danach liegt eine klinisch relevante Störung bei Männern ab
vier Symptomen, bei Frauen ab sechs Symptomen aus der Symptomliste der Somatisierungsstörung nach dem DSM-III-R vor (abgekürzt „SSI-4/6“). Nach RIEF (1996) zählt
eine Symptomatik nach dem SSI-4/6 zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt. KATON et al. (1991) ermitteln für PatientInnen mit „abridged somatization disorder“, die jedoch nicht die Kriterien einer Somatisierungsstörung erfüllten, ähnliche
klinische Merkmale wie bei PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung. Sie sehen
die Anzahl der somatoformen Symptome und eine Beeinträchtigung in einem eher
linearen Zusammenhang: „Our data suggest that many clinical and behaviorial features
associated with somatization were significantly more common in patients in groups 2
and 3 (men with four to 12 and women with six to 12 medically unexplained symptoms)
rather than changing dramatically at the diagnostic threshold (13 symptoms) for somatization disorder.” (S. 38). Eine Reihe empirischer Studien (s. Abschnitte 2.2 und 2.4)
wurden bisher auf der Basis des SSI-4/6 durchgeführt und dieser Symptom Cut-off
wurde weitgehend akzeptiert (LIEB 1996). Als deutscher Begriff für die Störungsgruppe SSI-4/6 wird von Rief et al. (1997) der Begriff „multiples somatoformes Syndrom“
oder „Somatisierungssyndrom“ gewählt. Nach HILLER und RIEF (1998b) könnte das
multiple somatoforme Syndrom als Alternative zur undifferenzierten somatoformen
Störung verwendet werden.
9
KROENKE et al. (1997) kritisieren am Konzept des SSI-4/6, dass zu viele PatientInnen eingeschlossen sind. Sie schlagen eine andere Klassifikationsgruppe,
Multisomatoform disorder (MSD), vor. Dafür müssen 3 oder mehr unerklärte körperliche Symptome aus einer Symptomliste von 15 Symptomen vorliegen, die Symptome
seit mehr als 2 Jahren bestehen und an mehr Tagen vorhanden sein als fehlen. Falls bei
den PatientInnen gleichzeitig eine affektive – oder Angststörung diagnostiziert wurde,
werden Symptome, die im Rahmen dieser Erkrankung auftraten, nicht als „unerklärt“
definiert und somit nicht mitgezählt. KROENKE et al. (1998) prüften die Übereinstimmung der Diagnose der MSD mit der Somatisierungsstörung nach DSM-III-R und der
„abridged somatization disorder“ (SSI-4/6) nach Escobar. 53% der PatientInnen mit
MSD erfüllten die Kriterien einer Somatisierungsstörung und weitere 35% die SSI-4/6
Kriterien. „MSD is a moderate severe somatoform diagnosis intermediate in severity
between full and „abridged somatization disorder“...“(S. 270, 1998).
In neueren Veröffentlichungen kritisieren RIEF und HILLER (1999) an den
Modellen der „abridged somatization disorder“ von Escobar und der „Multisomatoform
disorder“ von Kroenke, dass die Diagnose einer somatoformen Störung nur aufgrund
der Symptomanzahl gestellt wird und psychologische und psychophysiologische Prozesse ignoriert würden. Sie führen aus, dass PatientInnen mit somatoformen Störungen
eine erhöhte Aufmerksamkeit auf körperliche Prozesse richten, dass sie übersteigerte
Vorstellungen über eine gute Gesundheit aufweisen. Sie haben katastrophisierende Interpretationen bei geringen körperlichen Missempfindungen und sind stressintolerant.
Dennoch stellen somatoforme Symptome auch in ihrem Konzept die Grundlage für die
Diagnose einer somatoformen Störung: „Despite the critique that symptom counting is
not sufficient to describe people with somatization syndrome, somatic symptoms should
not be omitted as a feature relevant for classification, because somatic symptoms are
most often the reason for a medical office visit.”(S. 516, 1999). Die unterschiedlichen
Symptomlisten der ICD-10 und des DSM-IV werden von HILLER und RIEF (1998b)
kritisiert. Im DSM-IV werden keine kardiovaskulären oder vegetativen Symptome aufgeführt, in der ICD-10 fehlen pseudoneurologische Symptome. Die Symptomauswahl in
beiden Systemen erscheine willkürlich.
In einer Untersuchung bei 324 PatientInnen einer psychosomatischen Klinik in
Deutschland werden von RIEF und HILLER (1999) alle Symptome, die im Rahmen
einer Somatisierungsstörung nach ICD-10 oder DSM-IV oder einer somatoformen autonomen Funktionsstörung beschrieben sind, auf ihre Validität überprüft. Sie stellen eine
10
Symptomliste mit insgesamt 32 Symptomen auf und schlagen eine neue Klassifikationsgruppe vor, die „polysymptomatische somatoforme Störung“ (hier abgekürzt
„PSS-7“). Mindestens 7 Symptome müssen vorhanden sein und weitere Zusatzkriterien
erfüllt sein. Zusatzkriterien sind z.B. die fokussierte Aufmerksamkeit auf körperliche
Prozesse, die Neigung körperliche Empfindungen als Krankheitszeichen zu interpretieren oder häufige Arztbesuche für geringe Anlässe.
Zusammenfassung : Die genaue Definition der somatoformen Störungen ist verwirrend. Es gibt die beiden Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-IV, die die somatoformen Störungen ausführlich beschreiben. Beide Klassifikationssysteme sind ähnlich,
haben ähnliche Bezeichnungen für die Störungsbilder. Sie weisen jedoch Unterschiede
sowohl in den Definitionen als auch in den Symptomlisten auf. Das führt teilweise zu
Unsicherheiten in der Diagnosestellung und es macht Forschungsbefunde schwer vergleichbar.
Die Kriterien für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung sind sehr restriktiv. Die
undifferenzierte Somatisierungsstörung ist dagegen unscharf definiert. Es ist wünschenswert, dass eine einheitliche Definition für multiple somatoforme Symptome unterhalb der Schwelle einer Somatisierungsstörung gefunden wird. Das Konzept der
„abridged somatization disorder“ (SSI-4/6 oder multiples somatoformes Syndrom) hat
sich bisher am ehesten durchgesetzt.
2.2
Prävalenz der somatoformen Störungen
Unter Prävalenz versteht man die relative Häufigkeit einer Erkrankung zu einem
bestimmten Zeitpunkt (Punktprävalenz) oder in einem Zeitraum (Periodenprävalenz).
Manche Autoren geben die Häufigkeit einer gegenwärtigen oder früheren Erkrankung
an (Lebenszeitprävalenz oder lifetime-Diagnose). Es gibt zahlreiche Studien zur Häufigkeit der somatoformen Störungen. Es werden zunächst einige Studien zur Prävalenz
der somatoformen Störungen in der Allgemeinbevölkerung vorgestellt, später umfangreicher die Studien zur Prävalenz in hausärztlichen Praxen. Angaben zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Häufigkeit somatoformer Störungen werden verglichen.
Es folgt ein Abschnitt über die Erkennung von somatoformen Störungen.
Die Prävalenzrate somatoformer Störungen in der Normalbevölkerung
scheint in der Literatur überwiegend sehr niedrig. Die meisten Daten wurden nach
11
DSM-III erhoben und beziehen sich auf eine Untergruppe der somatoformen Störungen,
die Somatisierungsstörung. Für diese Erkrankung liegen wie in Abschnitt 2.1 beschrieben detaillierte diagnostische Kriterien vor. Als Beispiel für eine niedrige Prävalenzrate
der Somatisierungsstörung in der Allgemeinbevölkerung ist die bei einer sehr großen
Bevölkerungsstichprobe in den USA durchgeführten Epidemiological Catchment Area
(ECA) Studie. Etwa 15.000 PatientInnen wurden mittels Diagnostic Interview Schedule
(DIS) untersucht. SWARTZ et al. (1986) geben dort eine Lebenszeitprävalenz der Somatisierungsstörung nach DSM-III-Kriterien mit ca. 0,4% an. NEUMER et al. (1998)
geben einen Überblick über epidemiologische Studien zur Somatisierungsstörung in der
Normalbevölkerung. In diesen Studien werden Prävalenzangaben von 0,03% bis 1,0%
gemacht.
Bei den anderen Formen der somatoformen Störungen wie Schmerzstörungen,
Konversionsstörungen, Hypochondrie, körperdysmorphe Störungen liegen weniger epidemiologische Angaben vor. Bei diesen Krankheitsbildern sind die diagnostischen Kriterien nach ICD-10 oder DSM-IV weniger detailliert definiert. Noch weniger eindeutig
ist die Situation bei der undifferenzierten somatoformen Störung oder sonstigen somatoformen Störung. In einigen Studien wurde die undifferenzierte somatoforme Störung
mit den nach ESCOBAR (1989) eingeführten SSI-4/6 Kriterien untersucht. ESCOBAR
(1989) fand in Puerto Rico bei nur 0,7% der Allgemeinbevölkerung eine Somatisierungsstörung. Bei der gleichen Stichprobe wurde bei 19% eine „abridged somatization
disorder“ (SSI-4/6) festgestellt. In Los Angeles wurde bei insgesamt 4,4% eine „abridged somatization disorder“ (SSI-4/6) aufgrund der Daten der ECA-Studie festgestellt
(ESCOBAR 1989).
In einer neueren Prävalenz-Studie in Deutschland untersuchten WITTCHEN et al.
(1999) 4181 Probanden zwischen 18 und 65 Jahren mit einer leicht modifizierten Fassung des computerisierten Composite-International-Diagnostic-Interview (DIA-XCIDI). Die Diagnose wurde nach ICD-10 gestellt. In der Gruppe der somatoformen Störungen wurden die Somatisierungsstörung, die undifferenzierte Somatisierungsstörung,
die hypochondrische Störung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung berücksichtigt. Die Kriterien zur Feststellung einer undifferenzierten somatoformen Störung
wurden nicht explizit genannt. Insgesamt wurde bei 17,2% eine psychische Störung
festgestellt, bei 7,5% eine somatoforme Störung.
12
Über die Häufigkeit von somatoformen Störungen in hausärztlichen Praxen
liegen bisher unterschiedliche Zahlen vor (s. Tabelle 1). PatientInnen mit somatoformen
Symptomen suchen in der Regel zunächst HausärztInnen auf. Mehr als 50% der PatientInnen mit psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen wollen durch ihre HausärztInnen behandelt werden (KRUSE et al. 1999). Die Prävalenzangaben schwanken je
nach Autor zwischen 0,4% und 58%. Eine Ursache liegt in der Verwendung sehr unterschiedlicher Krankheitsdefinitionen (KRUSE et al. 1998). Die Daten beziehen sich teils
auf die Somatisierungsstörung, teils auf recht unklar definierte funktionelle oder psychische Störungen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Prävalenzstudien
in der Primärversorgung.
KATON et al. (1984) beschreiben, dass 10 bis 60% der PatientInnen mit den fünf häufigsten medizinischen Symptomen keine strukturellen Veränderungen haben, 25 bis
75% der Kontaktaufnahmen mit AllgemeinärztInnen seien auf psychosoziale Belastungen zurückzuführen, die sich in somatischen Symptomen ausdrücken.
BRIDGES und GOLDBERG (1985) untersuchten 500 PatientInnen mit neu aufgetretenen Krankheiten in 13 Allgemeinmedizinpraxen in Großbritannien. Ein Drittel
der untersuchten PatientInnen zeigte psychiatrische Krankheiten, wobei davon zwei
Drittel zusätzliche körperliche Symptome schilderten. Etwa 20% aller untersuchten PatientInnen hatte bei genauer Diagnostik zwar psychische Störungen, präsentierten jedoch in erster Linie körperliche Symptome.
In einer groß angelegten Studie in Mannheimer Allgemeinpraxen fanden ZINTLWIEGAND et al. (1980) ca. 33,2% der 1026 untersuchten ambulanten PatientInnen mit
einer behandlungsbedürftigen psychiatrischen Erkrankung. Die Untersuchung fand vor
Einführung der somatoformen Störungen in die ICD statt, auch funktionelle Störungen
wurden nicht explizit aufgeführt.
KATON et al. (1991) untersuchten mit Hilfe des Diagnostic Interview Schedule (DIS)
119 PatientInnen in zwei Primärversorgungseinrichtungen, die häufige Arztkonsultationen aufwiesen. 61 PatientInnen (51%) erfüllten die Kriterien einer „abridged
somatization disorder“, weitere 27 (23%) die Kriterien einer Somatisierungsstörung
nach DSM-III-R.
PORTEGIJS et al. (1996) untersuchten in einer holländischen Studie 80 PatientInnen
zwischen 20 und 44 Jahren mit dem Diagnostic Interview Schedule (DIS). Als Einschlusskriterium für die Teilnahme an der Studie galt, dass die PatientInnen ihre HausärztInnen in den vergangenen 3 Jahren mehrfach konsultiert hatten und über Rücken-,
13
Schulter- oder abdominelle Schmerzen klagten. Etwa 45% der PatientInnen hatten mehr
als 5 somatoforme Beschwerden seit mehr als zwei Jahren, 6% erfüllten die Kriterien
einer Somatisierungsstörung nach DSM-III-R.
Die WHO initiierte 1991 unter dem Titel „Psychological Problems in General Health
Care“ eine internationale Studie in 15 Städten zu psychischen Störungen in primärärztlicher Betreuung. Für diese Studie wurden in Berlin 35 und in Mainz 20 Allgemeinarztpraxen ausgewählt (LINDEN et al. 1996). Nach einer ersten Screening-Phase
wurde eine geschichtete Stichprobe ausgewählt. LINDEN et al. (1996) unterscheiden
zwischen der Inanspruchnahmepopulation, die bei einer Querschnittsstudie erfasst
werden und der Praxispopulation, die im Verlauf eines Quartals behandelt werden. Sie
gehen davon aus, dass psychisch erkrankte PatientInnen eine höhere Konsultationshäufigkeit aufweisen. Bei der Untersuchung der Inanspruchnahmepopulation werden alle
PatientInnen einbezogen, die zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt sind
bzw. ein Rezept oder Überweisungsschein abholen. Ihrer Meinung spiegelt die Inanspruchnahmepopulation am besten den tatsächlichen Betreuungsbedarf wieder. Sowohl
in Berlin als auch in Mainz wurden 400 PatientInnen mit dem „Composite International
Diagnostic Interview“ (CIDI) untersucht. 20.9% der deutschen PatientInnen erhielten
eine psychiatrische ICD-10 Diagnose, weitere 8,5% schätzten die UntersucherInnen als
grenzwertige Fälle ein. Die Somatisierungsstörung wurde bei 2,1% der PatientInnen
diagnostiziert (LINDEN et al. 1996). In den Niederlanden fanden TIEMENS et al.
(1996) im Rahmen der WHO-Studie bei 20,2% der PatientInnen eine psychische Störung, 10,6% wurden als grenzwertig eingeschätzt. Die Diagnose einer Somatisierungsstörung wurde nicht gestellt, eine Neurasthenie (Erschöpfungssyndrom) bei 3% beschrieben. Im Rahmen der WHO-Studie wurde in Verona (Italien) bei 12,4% der PatientInnen der Primärversorgung eine psychische Störung nach ICD-10 festgestellt,
14,2% wurden als grenzwertig beschrieben. Insgesamt wurde bei 2,5% eine somatoforme Störung, dagegen nur bei 0,1% eine Somatisierungsstörung diagnostiziert (PINI et
al. 1999). Sie beschrieben bei 2,1% eine Neurasthenie, bei 0,3% eine hypochondrische
Störung. Über andere Formen der somatoformen Störung trafen sie keine Aussage.
In der Primary Care Evaluation of Mental Disorders (PRIME-MD) Studie untersuchten
KROENKE et al. (1997) in 4 Primärversorgungszentren in Indianapolis (USA) 1000
PatientInnen zwischen 18 und 91 Jahren mit einem speziell entwickelten diagnostischen
Interview, das die Kriterien des DSM-III-R berücksichtigte (PRIME-MD-Interview).
Sie fanden eine Prävalenz der somatoformen Störungen von 14%, die nach ihnen defi-
14
nierte „Multisomatoform disorder“ (MSD) wurde bei 8% diagnostiziert. Beim gleichen
Kollektiv beschrieben SPITZER et al. (1995) insgesamt eine psychiatrische Störung bei
39%, 26% erfüllten die Kriterien einer genauer spezifizierten Störung, 13% erfüllten die
Kriterien einer niederschwelligen psychischen Störung.
In einer dänischen Studie bei 191 PatientInnen verglichen FINK et al. (1999) Diagnosen
nach ICD-10 und DSM-IV. Die PatientInnen wurden mit Hilfe des „Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry“ (SCAN) interviewt. FINK et al. (1999) fanden
eine Prävalenz der somatoformen Störungen bei 22,3% nach ICD-10 Diagnose und
57,5% nach DSM-IV Diagnose, dabei waren die undifferenzierte somatoforme Störung
und sonstige somatoforme Störungen als auch die Hypochondrie eingeschlossen. Der
Anteil der Somatisierungsstörung lag nach ICD-10 Diagnose bei 6%, nach DSM-IV
Diagnose bei 1%.
In einer repräsentativen Studie bei 1455 PatientInnen einer allgemeinen Krankenhausambulanz in Kalifornien wurde laut ESCOBAR et al. (1998) bei 22% eine „abridged
somatization disorder“ (SSI-4/6) nach der DSM-III Symptomliste festgestellt. Es wurde
das „Composite International Diagnostic Interview“ (CIDI) zur Diagnosestellung eingesetzt.
In einer anderen kalifornischen Untersuchung von MIRANDA et al. (1991) wurden 214
PatientInnen der Primärversorgung zwischen 18 und 69 Jahren mit dem Diagnostic Interview Schedule (DIS) untersucht. Kein Patient (0%) erfüllte die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-III, bei 25,2% wurde eine „abridged somatization disorder“ (SSI-4/6) festgestellt.
In der „Düsseldorfer Hausarztstudie“ wurden 1994 bis 1996 insgesamt 572 PatientInnen
in 18 Praxen zur Erhebung der Prävalenz psychogener und somatopsychischer Erkrankungen mit dem „strukturierten klinischen Interview für DSM-III-R“ (SKID) untersucht
(TRESS et al. 1997, KRUSE et al. 1998, KRUSE et al. 1999). Insgesamt erfüllten
69,5% der PatientInnen die Kriterien einer DSM-III-R Störung. Die somatoformen Störungen waren mit 30,7% in der Stichprobe am häufigsten vertreten, wobei die Kriterien
des SSI-4/6 nach Escobar mit berücksichtigt wurden. Die Schwankungsbreite innerhalb
der Praxen lag zwischen 12% und 50 % (KRUSE et al. 1998). Da psychosomatisch erkrankte PatientInnen höhere Konsultationsraten haben, haben sich TRESS et al. (1997)
dazu entschlossen, nur PatientInnen einzuschließen, die wegen aktueller Beschwerden
oder einer neuen Erkrankungsepisode die Arztpraxis aufsuchten. Sie gingen ebenso wie
LINDEN et al. (1996) davon aus, dass psychosomatisch Erkrankte zu den „high utili-
15
zer“ des Gesundheitssystem gehören, aber es würde ihr Anteil überschätzt, wenn alle
PatientInnen, die an einem bestimmten Zeitpunkt die Praxis aufsuchten, in die Untersuchung eingingen.
In einer britischen Studie von PEVELER et al. (1997) wurden 175 PatientInnen mit
Hilfe des „Diagnostic Interview Schedule“ (DIS) in insgesamt 10 Allgemeinmedizinpraxen untersucht. Es wurde eine Häufigkeit der „abridged somatization disorder“
(SSI-4/6) nach DSM-III-R Symptomliste von 35% festgestellt. Weitere 9% hatten eine
starke Gesundheitsangst (Hypochondrie), etwa 20% hatten eine affektive Störung.
Einigen Studien zufolge scheint die Somatisierungsstörung eine typisch weibliche Krankheit zu sein. GOLDING et al. (1991) gaben ihrem Artikel zu Geschlechtsunterschieden bei der Somatisierungsstörung den Titel: „Does somatization disorder
occur in men?“ 12 Männer und 68 Frauen erfüllten in ihrer Stichprobe die Kriterien
einer Somatisierungsstörung nach DSM-III-R. Sie fanden bei Frauen mit Somatisierungsstörung durchschnittlich 17 Symptome, bei Männern durchschnittlich 15 Symptome. Wurden nur die Beschwerden berücksichtigt, die für beide Geschlechter gelten,
unterschied sich die Symptomanzahl zwischen den beiden Geschlechtern nicht. „We
conclude that SD [somatization disorder] exists in men as well as women, although it is
probably less common among men. We found no reason to believe that men and women
with SD show differences in demographic or clinical characteristics, functional impairment, self-reported health status, or psychiatric comorbidity.”(S. 235).
SWARTZ et al. (1987) beschreiben in einer Auswertung der ECA-Studie das Geschlechterverhältnis bei der Somatisierungsstörung mit 93% Frauen zu 7% Männer
(wobei nur drei Männer mit einer Somatisierungsstörung identifiziert wurden). In einer
der ECA vergleichbaren Studie in Puerto Rico fanden ESCOBAR et al. (1989) überraschenderweise die Somatisierungsstörung bei Männern und Frauen gleich häufig vor (je
0,7%). In einer Studienübersicht von NEUMER et al. (1998) wurde in klinischen Stichproben bei Frauen in 6 bis 22%, bei Männern dagegen nur in 1 bis 4% eine Somatisierungsstörung diagnostiziert.
Aussagen zum Geschlechterverhältnis bei somatoformen Störungen werden
in folgenden Studien gemacht:
In der bundesweiten Studie über psychische Störungen in der Bevölkerung fanden
WITTCHEN et al. (1999) doppelt so häufig eine somatoforme Störung bei Frauen
(10%) als bei Männern (5%).
16
Bei FINK et al. (1999) bestand bei beiden Klassifikationssystemen (ICD-10 und DSMIV) kein statistisch relevanter Unterschied in der Häufigkeit einer somatoformen Störung zwischen den Geschlechtern. Tendenziell waren nach ICD-10 Männer häufiger
von einer Somatisierungsstörung, undifferenzierten Somatisierungsstörung, anhaltenden
somatoformen Schmerzstörung, hypochondrischen Störung und dissoziativen Störung
betroffen. Nach DSM-IV waren Männer tendenziell häufiger von einer undifferenzierten Somatisierungsstörung, Schmerzstörung, Hypochondrie und Konversionsstörung
betroffen. Bei Frauen wurde tendenziell häufiger eine somatoforme autonome Funktionsstörung nach ICD-10 und eine Somatisierungsstörung nach DSM-IV diagnostiziert.
Folgende Studie beziehen sich auf das SSI-4/6-Konzept:
In Puerto Rico erfüllten 20% der Frauen mehr als 6 und 18% der Männer mehr als 4
somatoforme Symptome (ESCOBAR et al. 1989). Sie fanden einen altersabhängigen
Geschlechtsunterschied: Frauen, die älter als 50 Jahre waren, waren signifikant häufiger
von einer „abridged somatization disorder“ betroffen als Männer über 50 Jahren.
In einer Krankenhausambulanz in Kalifornien fanden ESCOBAR et al. (1998) bei
24,9% der Frauen und bei 18,4% der Männer eine „abridged somatization disorder“.
MIRANDA et al. (1991) fanden bei 27% der Frauen und 22,7% der Männer eine
„abridged somatization disorder“.
In der Untersuchung von PEVELER et al. (1997) wurde bei 32% der Männer und 36%
der Frauen eine „abridged somatization disorder“ festgestellt. Bei beiden Geschlechtern
wurde bei je 5% eine Somatisierungsstörung nach DSM-III-R diagnostiziert.
Bei Anwendung der SSI-4/6 Kriterien fanden PORTEGIJS et al. (1996) Frauen und
Männer gleich häufig betroffen. Wenn jedoch für beide Geschlechter mindestens 5 somatoforme Symptome als diagnostische Schwelle angesehen wurden, waren Frauen
doppelt so häufig wie Männer betroffen.
In der „Düsseldorfer Hausarztstudie“ (TRESS et al. 1997) wurde bei 33,0% der Frauen
und bei 25,7% der Männer eine somatoforme Störung diagnostiziert.
KROENKE et al. (1997) fanden bei der PRIME-MD Studie Frauen signifikant häufiger
(75%) von einer somatoformen Störung betroffen als Männer (57%).
Die Erkennung somatoformer Störungen erfolgt oft erst spät. Bis zur richtigen Diagnosestellung und damit zum Beginn einer adäquaten Therapie vergehen durchschnittlich 6-9 Jahre (HERRMANN 1996). BRIDGES und GOLDBERG (1985) beschreiben, dass 94% der PatientInnen mit ausschließlich psychiatrischer Störung von
17
HausärztInnen erkannt werden. Das Präsentieren von körperlichen Symptomen erschwert jedoch die Diagnose einer psychischen Erkrankung. „It is important to note,
however, that when somatisation occured, only about a half of all the psychiatric disorders were detected by the doctors.“(S. 567). LIPOWSKI (1988) beschreibt Somatisierung als Unstimmigkeit zwischen subjektiver und objektiver Gesundheit. Somatoforme
Störungen werden nach SACK et al. (S. 218, 1998) von vielen ÄrztInnen immer noch
nicht für ein eigenständiges Krankheitsbild gehalten: „So glaubten 42% der befragten
Psychiater einer britischen Untersuchung zufolge (Stern et al., 1993a) nicht, daß SD
[somatization disorder] ein eigenständiges Krankheitsbild ist... Dies mag neben der
sicherlich noch mangelhaften Information von Ärzten über das Krankheitsbild SD auch
an der fehlenden Repräsentation der somatoformen Störungen in den medizinischen
Lehrbüchern liegen (Zoccolillo und Cloninger, 1986a).“
Nach LANGEWITZ et al. (1997) übersetzen ÄrztInnen die von PatientInnen geschilderten Symptome in Indikatoren bestimmter Krankheitsbilder. Wenn nach ausführlicher Diagnostik keine organische Erklärung für die Beschwerden gefunden wird, tritt
an Stelle des ursprünglichen Symptoms das Symptom „Beschwerde ohne Ursache“.
Behandelnde ÄrztInnen brauchen nun ein Krankheitskonzept, das das Symptom „Beschwerde ohne Ursache“ als Indikator für das Vorliegen z.B. einer somatoformen Störung ansieht. „Bei der Diagnose einer somatoformen Störung muss ein Dissens bestehen
zwischen zwei Protagonisten, einem Menschen, der sich als Homo patiens, also als Patient definiert, und einem ärztlichen Gegenüber, das diesem Patienten wiederholt versichert, dass er «nichts habe», bzw. dass die vorliegenden Befunde nicht erklären können,
woran er leidet.“(S. 232).
In verschiedenen Studien wurde die Diagnose einer psychischen Störung sowohl
durch die betreuenden AllgemeinärztInnen als auch parallel durch PsychiaterInnen oder
PsychologInnen gestellt. Es ist diskussionswürdig zu überlegen, wer die „richtige“ Diagnose stellt. In der Regel wird davon ausgegangen, dass geschulte Experten, die mit
Hilfe eines standardisierten Interviews eine Stichprobe untersuchen, die „objektivere“
Meinung vertreten. TIEMENS et al. (S. 639, 1996) schreiben: „…we assume that an
ICD-10 diagnosis made by using the Composite International Diagnostic Interview represents the gold standard...“ Wann spricht man von einer korrekten Fallidentifikation
durch HausärztInnen? ORMEL et al. (1990) und Kruse et al. (1999) betonen, dass von
HausärztInnen nicht die exakte ICD oder DSM Diagnose erwartet werden sollte. Haus-
18
ärztInnen sollten unterscheiden, ob eine behandlungsbedürftige körperliche, psychische
oder psychosomatische Symptomatik vorliegt.
In der „Düsseldorfer Hausarztstudie“ erkannten HausärztInnen bei 59,9% ihrer PatientInnen mit einer somatoformen Störung eine seelische oder psychosomatische Symptomatik (KRUSE et al. 1998). In einer anderen Veröffentlichung wiesen KRUSE et al.
(1999) darauf hin, dass die 18 ÄrztInnen, die an der Studie teilnahmen, weder an einem
Kurs zur psychosomatischen Grundversorgung oder einer Balint-Gruppe teilgenommen
hatten, noch befanden sie sich in psychotherapeutischer Weiterbildung. LINDEN et al.
(1996) geben an, dass 60% der deutschen PatientInnen mit einer psychischen ICD-10
Diagnose von ihren HausärztInnen als psychisch krank erkannt wurden. Bei PatientInnen mit grenzwertigen Störungen waren es noch 46%. Etwa 10% der PatientInnen, die
von ihren HausärztInnen als psychisch krank eingestuft wurden, waren im Interview
unauffällig. In Berlin nahmen 35 und in Mainz 10 Allgemeinarztpraxen an der WHOStudie teil. Die Praxen wurden als prototypisch für das deutsche Hausarztsystem angesehen, ohne besondere Schwerpunktbildung. In Berlin umfasst die Studie das Stadtgebiet im Ost- und Westteil und in Mainz die städtische und die ländliche Region. In den
Niederlanden erkannten nach der WHO-Studie von TIEMENS et al. (1996) AllgemeinmedizinerInnen psychische Erkrankungen in 54%. Die Studie wurde in 6 Allgemeinmedizinpraxen durchgeführt, 11 HausärztInnen waren beteiligt. Die Praxen wurden
als repräsentativ für die niederländische Primärversorgung angesehen. In einer früheren
niederländischen Untersuchung fanden ORMEL et al. (1990) eine Übereinstimmung
zwischen AllgemeinärztInnen und PsychiaterInnen von 56% in der Diagnose einer psychischen Störung. Diese Untersuchung wurde mit PatientInnen durchgeführt, bei denen
in den vergangenen 12 Monaten keine psychische Diagnose gestellt worden ist. Bei
FINK et al. (1999) war die Erkennungsrate abhängig vom Klassifikationssystem ICD10 oder DSM-IV. Nach ICD-10 wurde eine somatoforme Störung bei 50 bis 71% der
PatientInnen, nach DSM-IV nur bei 36 bis 48% der PatientInnen erkannt. Die Autoren
erwähnen, dass die teilnehmenden HausärztInnen möglicherweise besonders psychologisch interessiert seien und die Identifikationsrate in der Primärversorgung generell eher
niedriger einzuschätzen sei. In der Studie von PEVELER et al. (1997) erkannten HausärztInnen bei 38% eine „abridged somatization disorder“, bei 57% eine starke Gesundheitsangst und bei nur 25% eine affektive Störung. An dieser Studie nahmen alle 10
praktizierenden HausärztInnen einer Kleinstadt im Süden Großbritanniens (Aldermoor)
19
teil, es fand also keine Selektion hinsichtlich des Interesses für psychische Erkrankungen statt.
Welchen Einfluss hat die Erkennung einer psychischen Störung auf das Behandlungsergebnis? In einer Studie von FRITZSCHE et al. (2000a) zur Qualitätssicherung in
der psychosomatischen Grundversorgung wird die Erkennung und Behandlung psychischer und psychosomatischer Störungen in der Allgemeinmedizin untersucht. PatientInnen mit starker Ängstlichkeit und Depressivität erfahren häufiger eine psychosoziale
Behandlung durch ihre HausärztInnen. PatientInnen, die mit psychosozialen Maßnahmen behandelt wurden, erzielten signifikant höhere Werte auf den Erfolgsvariablen als
PatientInnen ohne diese Maßnahmen. Obwohl auch psychosoziale Belastungen bei PatientInnen vorlagen, die vorwiegend über körperliche Erkrankungen oder Schmerzen
klagten, bekamen sie seltener unterstützende Gespräche und erzielten schlechtere Behandlungsergebnisse
als
PatientInnen
mit
primär
psychischer
Symptomatik
(FRITZSCHE et al., S. 245, 2000b): „Behandlungsmaßnahmen, wie sie für Patienten
mit somatoformen Symptomen entwickelt wurden, sollten in die Curricula der psychosomatischen Grundversorgung integriert werden. Die vorliegenden Daten zeigen, daß
die Förderung des psychosomatischen Krankheitsverständnisses im Rahmen der Behandlungsmaßnahmen in der psychosomatischen Grundversorgung mit ausschlaggebend für den Erfolg ist.“
PINI et al. (S. 37, 1999) beschreiben einen Behandlungserfolg nach Erkennung der psychischen Störung: „Recognition of mental disorder by the physician ... was associated
with an improvement in occupational disability and self-reported disability...“
In einer niederländischen Studie fanden ORMEL et al. (1990) einen Zusammenhang
zwischen der Identifikation einer psychischen Störung und einer psychosozialen Verbesserung der PatientInnen. Sie gingen der Frage nach, ob eine Erkennung einer psychischen Störung durch einen Psychiater ebenso zu einer verbesserten Therapie der HausärztInnen führt. „In addition recognition had a strong association with outcome in
terms of both psychopathology and social functioning. … „In our opinion… notification
is not identical with (spontaneous) recognition and that notification will have a positive
impact on management and outcome only when GPs are trained in handling this information, have effective MH [mental health] interventions at their disposal, and oppertunities to implement them.” (S. 922). TIEMENS et al. (S. 636, 1996) fanden: „Recognition of psychological disorders was not associated with better outcome. Recognition is a
necessary but not a sufficient condition for delivery of treatment according to clinical
20
guidelines. Increasing recognition is likely to improve outcomes only if general practitioners have the skills and resources to deliver adequate interventions.”
KRUSE et al. (1999) sehen als Aufgabe von HausärztInnen psychogene Erkrankungen
zu erkennen, die Indikation für die weitere Therapie zu stellen, die PatientInnen zur
Therapie zu motivieren bzw. teilweise die Therapie selbst zu führen. Sie fassen zusammen: „Dem Hausarzt kommt im Gesundheitssystem die entscheidende Screeningund Filterfunktion zu. Die Ergebnisse der vorgestellten Studie verdeutlichen, daß der
Hausarzt die psychische oder psychosomatische Erkrankung seiner Patienten jedoch
zuwenig erkennt. ... Schulungen zur psychosomatischen Grundversorgung haben genau
hier einzusetzen, d.h. sie müssen zunächst auf die Verbesserung der psychosomatischen
Diagnostik der Hausärzte unter den Bedingungen der hausärztlichen Praxis abzielen.“
(S. 21).
Zusammenfassung: In bisherigen Studien sind die Häufigkeitsangaben für somatoforme Störungen extrem unterschiedlich. Die Ergebnisse unterschiedlicher Studien sind
durch unterschiedliche Populationen (Normalbevölkerung oder Primärversorgung), unterschiedliche Diagnosesysteme (ICD oder DSM) und unterschiedliche Schweregradkriterien (somatoforme Störungen oder Somatisierungsstörung) nur bedingt vergleichbar. Für den hausärztlichen Bereich schwanken die Prävalenzangaben zwischen 0,1%
und 6% für die Somatisierungsstörung. Für den Bereich der somatoformen Störungen
insgesamt werden Prävalenzangaben zwischen 2,5% und 74% gemacht. Die meisten
Studien beschreiben eine Häufigkeit der somatoformen Störungen in der Primärversorgung zwischen 20 und 50% (FINK et al. 1999, ESCOBAR et al. 1998, TRESS et al.
1997, MIRANDA et al. 1991, PEVELER et al. 1997).
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei somatoformen Störungen werden uneinheitlich
beschrieben. Die Aussagen divergieren zwischen einer „fast ausschließlich weiblichen
Erkrankung“ bei der Somatisierungsstörung über „häufiger bei Frauen als bei Männern,
aber klinisch ähnlicher Verlauf“ über „gleich häufig bei Frauen und bei Männern“ bis
hin zu „nach ICD-10 tendenziell häufiger bei Männern“. Meistens wird eine somatoforme Störung tendenziell häufiger bei Frauen als bei Männern beschrieben, der Unterschied ist oft jedoch nicht statistisch relevant.
Die Erkennungsrate für eine psychische oder psychosomatische Störung liegt zwischen
36% und 60%. Die Erkennung von somatoformen und anderen psychischen Störungen
ist eine wichtige Voraussetzung für eine verbesserte Therapie.
Beteiligung
%
Stichprobe
Alter
Land
Zintl-Wiegand et al.
(1980)
20-50 ¹
N=1026
>15 Jahre
Deutschland
Linden et al. (1996),
WHO-Studie
Mainz: 33
Berlin: 44
N=800
18-65 Jahre
Tress et al. (1997)
Kruse et al. (1998)
Prävalenz
%
Erkennungsrate
%
Psychosomatische Störung
Psych. Erkrankungen ICD (1974)
11,0
33,2
60
Deutschland
Psychische Störung ICD-10
Somatisierungsstörung ICD-10
20,9
2,1
60,2
N=572
16-70 Jahre
Deutschland
Somatoforme Störung DSM-III-R
30,7
(12-50)
59,9
SSI-4/6 DSM-III-R
Somatisierungsstörung DSM-III-R
35
5
38
79
N=175
17-81 Jahre
GB
Pini et al. (1999)
WHO-Studie
54,7
N=250
Italien
18-65 Jahre
Psychische Störung ICD-10
Somatoforme Störung ICD-10
Somatisierungsstörung ICD-10
12,4
2,5
0,1
Psychische Störung ICD-10
Neurasthenie
20,2
3,0
54,3
36-71
Tiemens et al. (1996)
WHO-Studie
69
N=340
18-65 Jahre
Niederlande
Fink et al. (1999)
86
N=191
Dänemark
Somatoforme Störung ICD-10
Somatisierungsstörung ICD-10
Somatoforme Störung DSM-IV
Somatisierungsstörung DSM-IV
22,3
6
57,5
1
0
25,2
18-65 Jahre
Miranda et al. (1991)
30,2
N=214
18-69 Jahre
USA
Somatisierungsstörung DSM-III
SSI-4/6 DSM-III
Escobar et al. (1998)
50
N=1455
18-66 Jahre
USA
SSI-4/6 DSM-III
22
N=1000
18-91 Jahre
USA
Somatoforme Störung DSM-III-R
Multisomatoform disorder
14
8
Kroenke et al. (1997)
PRIME-MD
21
Peveler et al. (1997)
Diagnose
Tab. 1: Prävalenzstudien in der Primärversorgung
¹ Rate der ausgewählten PatientInnen zum Interview
Autoren
22
2.3
Differentialdiagnostik der somatoformen Störungen
Somatoforme Symptome gehen häufig mit anderen psychischen Störungen ein-
her. LIPOWSKI (S. 1358, 1988) beschreibt Somatisierung als „borderland between
medicine and psychiatry“. KATON et al. (1991) fanden mit ansteigender Anzahl von
somatoformen Symptomen in der Regel auch eine Zunahme von anderen psychopathologischen Variablen wie Depressivität und Ängstlichkeit. KIRMAYER und ROBBINS
(1996) beschreiben eine Tendenz von PatientInnen mit Angststörung oder Depressionen
den ÄrztInnen der Primärversorgung zunächst körperliche Symptome zu präsentieren.
BRIDGES und GOLDBERG (1985) sprechen von somatischen Symptomen als „ticket
to admission“, einer „Eintrittskarte“ für eine medizinische Konsultation. Ungefähr 80%
der PatientInnen, die in Allgemeinpraxen untersucht wurden und an einer Depression
litten, stellten sich nicht mit psychischen, sondern mit körperlichen Beschwerden vor.
GOLDBERG und BRIDGES (S. 139, 1988) beschreiben Somatisierung als einen BasisMechanismus, der Menschen zur Verfügung steht, um auf Stress zu reagieren: „the
commonest way that psychiatric illness presents in developing countries is in the form
of somatic symptoms... . Perhaps we should ask why people psychologise, instead of
looking for explanations for somatisation.” RIEF und HILLER (S. 49, 1992) schließen
aus einem Studienvergleich, „daß Somatisierung als ubiquitäre Symptomatik anzusehen
ist und unterhalb der Diagnosenschwelle für eine spezifische somatoforme Störung
grundsätzlich bei einer Vielzahl psychischer Störungen anzutreffen ist.“ Es stellt sich
die differentialdiagnostisch bedeutsame Frage, ob bei PatientInnen mit körperlichen
Beschwerden eine organische Erkrankung oder eine somatoforme Störung vorliegt oder
ob andere psychische Störungen im Vordergrund stehen. In Tabelle A3 im Anhang
werden z.B. alle körperlichen Symptome aufgelistet, die für die Diagnose einer Angstbzw. Panikstörung relevant sind.
BARSKY und BORUS (1999) betonen, dass psychische Störungen nicht als Ursache einer somatoformen Störung angesehen werden sollten, sondern als Symptomverstärker. „Patients must be assured that the presence of a psychiatric disorder in no way
means that their somatic symptoms are imaginary or feigned. They should be told, that
psychiatric disorders are regarded less as causes of somatic symptoms than as amplifiers that exacerbate and perpetuate symptoms and impede recovery.” (S. 917).
Laut Definition der somatoformen Störungen gelten verschiedene Ausschlusskriterien. In der ICD-10 (DILLING et al. 1994) heißt es: „Eine eventuell vorliegende
bekannte körperliche Erkrankung erklärt nicht die Schwere, das Ausmaß, die Vielfalt
23
und die Dauer der körperlichen Beschwerden oder die damit verbundene soziale Behinderung.“ (S. 130). „Die Störung tritt nicht ausschließlich während einer Schizophrenie
oder einer verwandten Störung (F2), einer affektiven Störung (F3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf.“ (S. 131/132).
Im DSM-IV (SASS et al., S. 200, 1998) steht: „Nach adäquater Untersuchung kann
keines der Symptome von Kriterium B vollständig durch einen bekannten medizinischen
Krankheitsfaktor oder durch die direkte Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) erklärt werden. Falls das Symptom mit einem medizinischen Krankheitsfaktor in
Verbindung steht, so gehen die körperlichen Beschwerden oder daraus resultierende
soziale oder berufliche Beeinträchtigungen über das hinaus, was aufgrund von Anamnese, körperlicher Untersuchung oder Laborbefunden zu erwarten wäre. Die Symptome
sind nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie bei der Vorgetäuschten Störung
oder Simulation).“
Die in den Definitionen geschilderten Ausschlussdiagnosen werden im folgenden differentialdiagnostisch zu den somatoformen Störungen betrachtet.
Zu den affektiven Störungen gehören nach ICD-10 (DILLING et al. 1994) als
Erstdiagnose die manische Episode und die depressive Episode. Bei länger dauernder
Erkrankung wird zwischen einer bipolaren affektiven Störung, und einer rezidivierenden depressiven Störung unterschieden.
Die Definitionen der affektiven Störungen sind in der ICD-10 und im DSM-IV
(ähnlich den somatoformen Störungen) im Detail unterschiedlich. Nur in der ICD-10
stellen die affektiven Störungen eine Ausschlussdiagnose zu den somatoformen Störungen dar.
Bei einer depressiven Episode besteht eine bedrückte Stimmung, Interessenoder Freudverlust, verminderter Antrieb und gesteigerte Ermüdbarkeit. Es kann zu einem Verlust von Selbstvertrauen, zu Selbstvorwürfen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit kommen. Bei vielen PatientInnen treten Suizidgedanken
oder Gedanken an den Tod auf. Bei den Depressionen wird zwischen leichten, mittelgradigen und schweren Episoden unterschieden. Sowohl bei depressiven als auch bei
manischen Episoden werden Verläufe mit und ohne psychotische Symptome wie Wahn
und Halluzinationen unterschieden. Bei Depressionen werden häufig körperliche Symptome unklaren Ursprungs von den PatientInnen angegeben. Besonders häufig treten
24
Magen- und Darmbeschwerden, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Obstipation, Schwindel,
Schwitzen, Schmerzen, Schlafstörungen, Luftnot und Parästhesien auf (LUPKE 1994).
Es gab in der Vergangenheit wissenschaftliche Auseinandersetzungen über die
Begriffe der sogenannten larvierten, maskierten oder auch somatisierten Depression.
Nach diesem Modell sind somatoforme Störungen kein eigenständiges Krankheitsbild,
sondern werden als Beschwerden im Rahmen einer Depression angesehen, selbst wenn
keine ausgeprägte depressive Grundstimmung besteht. HOHAGEN (S. 180, 1996)
schreibt hierzu: „Die Diagnose einer larvierten Depression darf nur gestellt werden,
wenn die Körpersymptome phasenhaft mit abgrenzbaren, beschwerdefreien Intervallen
auftreten. Bei genauer Exploration sind meist doch gestörter Antrieb, niedergeschlagene Stimmung, eingeschränkte Modulations- und Schwingungsfähigkeit und andere Symptome eines depressiven Syndroms zu eruieren.“
Um die Frage zu klären, ob es sich bei den genannten Beschwerden um eine somatoforme Störung oder eine Depression handelt, unterscheiden RIEF und HILLER
(1992) vier differentialdiagnostische Konstellationen:
I Es handelt sich um eine Depression mit Körpersymptomen (larvierte Depression)
II Eine somatoforme Störung hat sekundär zu einer Depression geführt.
III Eine depressive Störung hat sekundär zu einer somatoformen Störung geführt.
IV Somatoforme und depressive Störungen haben gemeinsame biologische und psychologische Bedingungen, sind also Ausdrucksformen einer in vielen Bereichen
gemeinsam zugrundeliegenden Basisstörung.
RIEF und HILLER (1992) führen weiter dazu aus: „Anders als im Modell I werden in
den Modellen II-IV keine Grundannahmen über den nosologischen Stellenwert somatoformer Störungen gemacht... . Stattdessen wird Somatisierung als klinisch relevante Symptomatik gesehen, die sowohl alleine als auch in Kombination mit anderen
Störungsbildern auftreten kann... . Die Kontroverse über das hierarchische Verhältnis
zwischen somatoformen Störungen und Depressionen ist auch durch die Einführung des
Komorbiditäts-Konzepts ... in den Hintergrund getreten.“ (S. 83). „Zukunftsweisend ist
sicherlich auch der Ansatz, nach gemeinsamen biologischen und psychologischen Bedingungen für sowohl somatoforme als auch depressive Störungen zu suchen.“ (S. 89).
In ihrer Dissertation schreibt LUPKE (S. 45, 1994) zum Zusammenhang von affektiven Störungen mit somatoformen Störungen: „Bei Bestehen affektiver Veränderungen ist die Schwelle zur Wahrnehmung somatischer Symptome abgesenkt und Symptome werden folglich mit subjektiv erhöhter Intensität wahrgenommen (Lipowski 1987,
25
1990). Möglicherweise kommt es in Folge der starken Beschwerden wiederum zu einem
Anstieg der affektiven Symptome. Ein circulus vitiosus entsteht.“ Zwischen somatoformen und depressiven Störungen bestehen Überlappungen, jedoch auch klare Unterschiede. Ein Teil der PatientInnen mit somatoformen Störungen weist keinerlei typische
Anzeichen einer Depression auf. Umgekehrt weisen eine Reihe von depressiven PatientInnen keine somatoformen Beschwerden auf. Die Depression verläuft meist episodisch,
die somatoformen Störungen eher chronisch (LEIBBRAND und HILLER 1998).
In der ICD-10 wird die Panikstörung als Ausschlussdiagnose zu den somatoformen Störungen genannt. Die Panikstörung wird in der ICD-10 unter phobischen
Störungen und sonstige Angststörungen beschrieben. Die phobischen Störungen werden in Agoraphobie mit und ohne Panikstörung, soziale Phobien und spezifische Phobien unterteilt. Unter sonstiger Angststörung werden die Panikstörung und die generalisierte Angststörung aufgeführt. Es gibt Unterschiede zwischen der Definition der
Angststörungen nach ICD-10 und DSM-IV, die in dieser Arbeit aber nicht näher erläutert werden.
Panik ist ein Gefühl überwältigenden Bedrohtseins (SCHÖPF 1996). Bei der Panikstörung treten wiederholt Panikattacken auf, die nicht auf eine spezifische Situation
oder ein spezifisches Objekt bezogen sind. Die Attacken treten oft spontan auf, sind
nicht verbunden mit besonderer Anstrengung oder gefährlichen Situationen. Die Dauer
einer Panikattacke liegt zwischen Minuten bis ca. einer Stunde. SCHÖPF (S. 229, 1996)
beschreibt: „Der Patient befürchtet, etwas Katastrophales werde über ihn hereinbrechen: Herzinfarkt, Hirnschlag, Erstickung oder ähnliches. ... Zudem bestehen Begleitsymptome wie Herzsensationen, Atembeschwerden, Schwitzen, heiße und kalte Schauer,
Nausea, Abdominalbeschwerden, Tremor, Schwindel, Parästhesien und Entfremdungserlebnisse.“ In Tabelle A3 im Anhang sind die möglichen körperlichen und psychischen Symptome bei einer Angst- oder Panikstörung aufgeführt.
Typisch für alle phobischen Störungen ist ein Vermeidungsverhalten, das zu einer deutlichen Einschränkung im Alltag führen kann. MARGRAF (S. 43, 1994) beschreibt: „Die Patienten schränken ihren Lebensstil ein, sie gehen nicht mehr an Orte,
wo sie Angstanfälle befürchten oder wo die Konsequenzen eines Angstanfalles besonders unangenehm wären.“ Schon bei der bloßen Vorstellung der angstauslösenden Situation erleben manche PatientInnen intensive Angstzustände, sie befürchten die katastrophalen Konsequenzen der Angstsymptome („Angst vor der Angst“).
26
Bei der generalisierten Angststörung bestehen seit mindestens 6 Monaten
Ängste, die sich auf verschiedenste Alltagssituationen, z.B. Arbeit, Finanzen oder Familie, beziehen. Die PatientInnen fühlen sich häufig erregt, angespannt, ruhelos und
nervös. Sie haben Konzentrationsschwierigkeiten , fühlen sich anhaltend reizbar oder
haben Einschlafstörungen wegen der Befürchtungen. RIEF und HILLER (S. 9, 1998)
schreiben zur Differentialdiagnose zwischen somatoformen Störungen und Angststörungen: „Ausgeprägte Angstzustände sind ... mit körperlichen und insbesondere vegetativen Begleitsymptomen verbunden. Hierzu gehören ein unregelmäßiger oder beschleunigter Herzschlag, Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Unruhe mit Zittern,
Mißempfindungen an den Armen oder Beinen sowie Schmerzen oder Druckgefühle im
Brustbereich. Diese Symptome dürfen aber nicht als ein Teil einer somatoformen Störung angesehen werden, solange sie ausschließlich in den Angstsituationen und somit
als körperliches Angstäquivalent auftreten. Bei den Phobien und Angststörungen ist die
Abgrenzung am klarsten, da es sich um zeitlich begrenzte Angstepisoden handelt. ...
Etwas problematischer ist dagegen die Diagnose der generalisierten Angststörung, bei
der eine Angstsymptomatik definitionsgemäß über einen längeren mehrmonatigen Zeitraum hinweg bestanden haben muß, und zwar im Sinne einer allgemeinen Ängstlichkeit
mit übertriebenen Sorgen und Befürchtungen über alltägliche Dinge. ... Trotz dieser
differentialdiagnostischen Überlegungen muß betont werden, daß beide Störungsformen
grundsätzlich nebeneinander existieren können.“
LUPKE (S. 39, 1994) schreibt zum Zusammenhang von körperlichen Symptomen und
Angsterkrankungen: „Patienten mit einer Panikstörung wenden Symptomen, die mit
einer Erregung des Sympathikus in Zusammenhang stehen, in besonderem Maße ihre
Aufmerksamkeit zu. Diese Symptome werden ... als Anzeichen einer bedrohlichen Erkrankung gewertet (Katon et al., 1987). ... Eine Bewertung körperlicher Symptome als
bedrohlich bewirkt eine Angstentwicklung, welche im Sinne einer positiven Rückkopplung wiederum physiologische Veränderungen hervorruft (Margraf und Schneider,
1989)“.
Bei dem Krankheitsbild der Hypochondrie, das nach ICD-10 und DSM-IV den
somatoformen Störungen zugerechnet wird (s. Kapitel 2.1), steht die übertriebene Angst
vor schweren körperlichen Erkrankungen im Vordergrund. RIEF und HILLER (S. 3,
1998) schreiben: „Durch die Betonung der Ängste als zentralem Merkmal scheint eine
deutliche Nähe zu den Angststörungen zu bestehen.“ Es zeigen sich jedoch Unterschiede im Verlauf, Ansprechen auf Behandlungsversuche und zeitlichem Auftreten der
27
Symptome bei PatientInnen mit somatoformen Störungen und PatientInnen mit Angststörungen (LEIBBRAND und HILLER 1998).
In der ICD-10 (DILLING et al., 1994) gilt eine Schizophrenie oder eine verwandte Störung (schizotype Störung, anhaltende wahnhafte Störungen, akute, vorübergehende psychotische Störungen, induzierte wahnhafte Störung und schizoaffektive
Störungen) als Ausschlusskriterium für eine somatoforme Störung. Im Rahmen einer
Schizophrenie sind Halluzinationen sehr häufig, besonders das Stimmenhören, aber
auch visuelle Halluzinationen, Körperhalluzinationen, olfaktorische und gustatorische
Halluzinationen. So könnten auch im Rahmen einer akuten Schizophrenie über verschiedene körperliche Symptome geklagt werden, die keine organische Ursache aufweisen (SCHÖPF 1996). Zur Differentialdiagnose zwischen somatoformen Störungen und
der Schizophrenie schreiben RIEF und HILLER (S. 40, 1992): „In der Regel bestimmen
körperliche Symptome nicht das klinische Bild der Schizophrenie, sondern massive Beeinträchtigungen von Denken, Wahrnehmung, Affekt, Umweltbeziehungen oder psychomotorischem Verhalten.“
Im DSM-IV ist das Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer somatoformen
Störung die Simulation oder die Vortäuschung von Symptomen.
WITTCHEN et al. (1989) weisen darauf hin, dass die Symptomentstehung bei
somatoformen Störungen anders als bei absichtlich erzeugten Symptomen oder der vorgetäuschten Störung nicht der willentlichen Kontrolle der Betroffenen unterliegt. PatientInnen mit somatoformen Störungen sind selbst vom Vorhandensein der Beschwerden
überzeugt, während die Simulation Ausdruck bewusster Täuschung ist. Durch die Tendenz von PatientInnen mit somatoformen Störungen ihre Beschwerden verstärkt darzustellen, um ihr Gegenüber von der körperlichen Natur und der Schwere ihrer Erkrankung überzeugen zu wollen, kann die Abgrenzung zur Simulation erschwert werden
(AWMF online 1998). RIEF und HILLER (S. 11-12, 1998) führen aus: „Unsicherheiten
entstehen manchmal bei der Frage, ob ein Patient seine körperlichen Symptome nicht
einfach „erfindet“ oder sich diese sogar selbst zugefügt hat. ... In der Praxis ist die
Unterscheidung zwischen Simulation und vorgetäuschter Störung einerseits und den
somatoformen Störungen andererseits in der Regel sehr schwierig. ... Eine Simulation
ist offenkundig, wenn die Absicht sehr leicht zu erkennen ist und über die körperliche
Symptomatik nach Erreichen des Zieles nicht mehr geklagt wird. ... Jedoch ist die Existenz eines „Krankheitsvorteils“ ... keineswegs allein ausreichendes Unterscheidungs-
28
kriterium. So ist auch bei Patienten mit einem Rentenbegehren eher davon auszugehen,
daß die Symptome subjektiv erlebt werden und der betreffende Patient tatsächlich unter
den damit verbundenen Beeinträchtigungen leidet.“
Bei den somatoformen Störungen ist das Vorliegen einer organischen Grundkrankheit durchaus möglich. Laut Definition des DSM-IV (SASS et al. 1998) und
ICD-10 (DILLING et al. 1994) kann eine somatoforme Störung diagnostiziert werden,
wenn die körperliche Erkrankung nicht die Schwere, die Dauer oder das Ausmaß der
Erkrankung oder der daraus resultierenden Beeinträchtigung erklärt. Eine organische
Grundkrankheit, die die körperlichen Symptome der Betroffenen vollständig erklären
könnte, kann manchmal trotz einer gründlichen medizinischen Abklärung nicht mit
letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Solange sich die Diagnose einer somatoformen Störung auf eine Ausschlussdiagnostik (kein organischer Befund) beschränkt,
bleibt für ÄrztInnen und PatientInnen die „Hoffnung“, dass mit verbesserten Analysemethoden doch noch irgendwann ein medizinisch nachweisbarer Befund erhoben werden kann (KRIEBEL et al. 1996). RIEF und HILLER (S. 37, 1992) schreiben: „Grundsätzlich ist immer daran zu denken, daß es sich bei einer unklaren somatischen Symptomatik immer auch um eine Krankheit handeln kann, die noch nicht diagnostiziert
worden ist oder deren Pathophysiologie nach dem gegenwärtigen Wissensstand noch
nicht ausreichend bekannt ist.“ Jedoch bekräftigen RIEF und HILLER (1992) an anderer Stelle, dass mit steigender somatoformer Symptomzahl auch die diagnostische Sicherheit steigen würde, dass keine unerkannte organmedizinische Erkrankung für die
Symptome verantwortlich ist.
Aus Angst vor einer möglichen Fehldiagnose und dem Nicht-Erkennen einer
schweren, behandlungsbedürftigen organischen Grundkrankheit wird die Diagnose einer
somatoformen Störung erst spät gestellt. PEVELER et al. (S. 245, 1997) schreiben:
“Because docters are trained to expect physical symptoms to signify physical desease,
and are anxious about the possibility of misdiagnosis, they may engage in an exhaustive
but ultimately fruitless diagnostic search before reaching the conclusion that no physical desease is present to explain the symptoms.” RIEF und HILLER (S.19, 1998) folgern aus einer Studie: „Das Risiko von Fehldiagnosen erwies sich als äußerst gering.
Von den ursprünglich als Somatisierungsstörung klassifizierten Patienten hatten vier
Jahre später nur 3% eine tatsächliche körperliche Krankheit...“
29
Zusammenfassung: Solange somatoforme Symptome im Rahmen einer depressiven Episode, einer Angststörung oder anderen psychischen Störung (z.B. Schizophrenie) auftreten, wird keine somatoforme Störung diagnostiziert. Die Abgrenzung einer
somatoformen Störung von einer organischen Grundkrankheit ist besonders schwierig.
Nicht das Vorliegen eines einzelnen organisch unerklärten Symptoms legt die Diagnose
einer somatoformen Störung nahe, sondern das gleichzeitige, evt. auch wechselnde
Vorliegen verschiedener somatoformer Beschwerden.
2.4
Komorbidität mit anderen psychischen Störungen
Bis zur Einführung des DSM-III 1980 galt das hierarchische Modell der Klassifikation,
nach dem verschiedenartige Symptome unter möglichst einer einzigen Hauptdiagnose
subsumiert und verschlüsselt werden sollten. Seither ist das Prinzip der hierarchischen
Klassifikation durch das Komorbiditäts- Konzept ersetzt. RIEF und HILLER (S. 71,
1992) weisen darauf hin, „daß für einen Patienten mehr als eine psychiatrische Diagnose gestellt werden sollte, wann immer eine klinisch relevante psychische Symptomatik in mehr als einem Störungsbereich vorliegt.“ In einigen Studien wird die aktuelle
Komorbidität zum Zeitpunkt der Untersuchung angegeben. Andere Studien nennen die
Lifetime-Komorbidität, also die gegenwärtige und auch die in der Vergangenheit diagnostizierte Komorbidität mit anderen psychischen Störungen. Einen Überblick über
Studien zur Komorbidität der somatoformen Störungen mit anderen psychischen Störungen gibt Tabelle 2. Die Somatisierungsstörung ist aus der Gruppe der somatoformen
Störungen am klarsten definiert und am häufigsten untersucht worden. Die folgenden
Studien sprechen für eine hohe Komorbidität zwischen Somatisierungsstörung und Depression sowie zwischen Somatisierungsstörung und Angststörung:
In der bereits erwähnten ECA-Studie fanden SWARTZ et al. (1986) bei 77,9% der Personen mit einer Somatisierungsstörung mindestens eine weitere psychische Diagnose.
Bei 64,8% wurde zusätzlich zur Somatisierungsstörung eine schwere Depression diagnostiziert, bei 42,5% wurde eine Panikstörung und bei 70,2% eine phobische Störung
diagnostiziert. Insgesamt erfüllten jedoch nur 15 Personen die Kriterien einer Somatisierungsstörung.
EBEL und PODOLL (1998) verglichen einige Studien hinsichtlich der LifetimeKomorbidität der Somatisierungsstörung mit anderen psychischen Störungen. PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung hatten in 75-90% ausgeprägte depressive Sym-
30
ptome. Die Komorbidität der Somatisierungsstörung mit einer phobischen Störung betrug zwischen 17 und 70%. Die Komorbidität der Somatisierungsstörung mit einer Panikstörung als Lebenszeitdiagnose betrug 10 bis 50%. Auch Persönlichkeitsstörungen
traten bei 28 bis 72% der PatientInnen auf.
In einigen Studien wird die Komorbidität von somatoformen Störungen unterhalb der Schwelle der Somatisierungsstörung mit affektiven Störungen und Angststörungen untersucht. Zum Teil werden die Kriterien eines multiplen somatoformen Syndroms („abridged somatization disorder“, SSI-4/6) zur Identifizierung von PatientInnen
mit einer somatoformen Störung angewandt. Bei der „Düsseldorfer Hausarztstudie“
(TRESS et al. 1997) oder der Studie von WITTCHEN et al. (1999) wird keine Aussage
zur Komorbidität speziell somatoformer Störungen, jedoch eine generelle Aussage zur
Komorbidität von psychischen Erkrankungen getroffen.
Die WHO-Studie wurde insgesamt in 15 Zentren weltweit durchgeführt. In dieser Studie wurden niedrige Prävalenzraten für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung gefunden. Somatoforme Störungen unterhalb der Schwelle einer Somatisierungsstörung
wurden nicht beschrieben. Zusammenfassend untersuchten jedoch SIMON et al. (1999)
die Beziehung zwischen somatoformen Symptomen und Depression. Durchschnittlich
lag die Depressionsrate bei 10,1% in allen 15 Zentren. Durchschnittlich 69% (45-95%,
abhängig vom Untersuchungszentrum) der PatientInnen mit einer Depression gaben
ausschließlich körperliche Beschwerden an. PatientInnen, bei denen eine Depression
diagnostiziert wurde, gaben durchschnittlich 4,4 somatoforme Symptome an. PatientInnen ohne diagnostizierte Depression hatten 1,2 somatoforme Symptome.
ESCOBAR et al. (1998) diagnostizierten bei 22% der PatientInnen einer allgemeinen
Krankenhausambulanz eine „abridged somatization disorder“ (SSI-4/6). Bei 64% der
nach SSI-4/6 auffälligen PatientInnen wurde eine Lifetime-Komorbidität mit einer
Angst- oder depressiven Störung diagnostiziert. Die Unterschiede zwischen PatientInnen mit mehr als 4/6 und weniger als 4/6 somatoformen Symptomen waren signifikant.
PatientInnen mit weniger als 4/6 Symptomen wiesen z.B. in 13,6% eine depressive Störung, in 11,9% eine phobische Störung auf. Bei PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen wurde in 37,5% eine depressive Störung und in 29,1% der Fälle
eine phobische Störung diagnostiziert. ESCOBAR et al. (1998) prägten in ihrer Studie
den Begriff der „discrete“ und der „comorbid somatizers“. „Comorbid somatizers“
sind PatientInnen, bei denen zusätzlich zu einer „abridged somatization disorder“ eine
31
Angst- oder depressive Störung diagnostiziert wurde, während bei „discrete somatizers“
keine weitere Störung diagnostiziert wurde.
PEVELER et al. (1996) fanden bei 35% der PatientInnen in der britischen Primärversorgung eine „abridged somatization disorder“, davon bestand bei etwa 30% eine aktuelle Komorbidität mit Gesundheitsängsten und / oder einer affektiven Störung.
In einer amerikanischen Studie verglichen KATON et al. (1991) die Lifetime- Komorbidität von PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung, einer „abridged somatization
disorder“ und ohne somatoforme Störungen. PatientInnen ohne somatoforme Störung
hatten in der Vergangenheit im Durchschnitt in 3,2% eine Panikstörung, in 45,2% eine
schwere depressive Episode. PatientInnen mit einer „abridged somatization disorder“
hatten durchschnittlich in 13,7% eine Panikstörung und in 74% eine schwere depressive
Episode. PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung hatten in 48,1% eine Panikstörung und in 81,5% eine schwere depressive Störung. So litten PatientInnen mit einer
„abridged somatization disorder“ häufiger unter einer depressiven Störung oder einer
Angststörung als PatientInnen mit weniger somatoformen Symptomen.
MIRANDA et al. (1991) diagnostizierten bei 25,2% der PatientInnen der Primärversorgung eine „abridged somatization disorder“. Bei 31% der PatientInnen mit weniger als
4/6 somatoformen Symptomen und bei 56% der PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen wurde eine psychische Komorbidität innerhalb eines Jahres festgestellt. PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen litten im vergangenen
Jahr in 39% unter einer schweren depressiven Episode, 33% unter einer phobischen
Störung und 11% unter einer Alkoholabhängigkeit.
In der PRIME-MD Studie lag die Prävalenz einer aktuellen psychischen Störung wie
Angst- depressive –, somatoforme -, Essstörung oder Alkoholabusus bei 39%. Davon
hatten mehr als die Hälfte (56%) mehr als eine psychische Diagnose, 29% sogar mindestens 3 Diagnosen. Bei 73% der PatientInnen, bei denen eine somatoforme Störung diagnostiziert wurde, wurde eine Komorbidität mit einer weiteren psychischen Störung,
wie oben aufgeführt, beschrieben (SPITZER et al. 1995). Bei PatientInnen mit einer
somatoformen Störung wurde zusätzlich in 61% eine affektive Störung, in 50% eine
Angststörung diagnostiziert (KROENKE et al. 1997).
In der dänischen Studie fanden FINK et al. (1999) bei 36% (DSM-IV) bis 50% (ICD10) der PatientInnen mit einer somatoformen Störung eine psychiatrische Komorbidität,
diese wurde jedoch nicht näher spezifiziert. Sie fanden eine Korrelation zwischen dem
Schweregrad der somatoformen Störung und der psychischen Komorbidität. „The
32
comorbidity was lowest in the less severe of the somatoform disorders, that is, 20% in
the DSM-IV somatoform disorder NOS [not otherwise specified] and highest in the most
severe, that is, 84-100% in the somatization disorder.” (S. 335).
SACK et al. (1998) belegen durch einen Studienvergleich, dass PatientInnen mit
einer Somatisierungsstörung überdurchschnittlich häufig auch an einer posttraumatischen Belastungssituation leiden. Umgekehrt lassen sich bei PatientInnen mit posttraumatischen Belastungsstörung, fast immer auch somatoforme Symptome beobachten.
RIEF (S. 180, 1996) bekräftigt die Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen und der Entwicklung somatoformer Symptome: „Diese bestätigt sich auch durch
die Beobachtung, daß bei Kriegsteilnehmern oder bei Betroffenen von Umweltkatastrophen eine deutlich erhöhte Anzahl körperlicher Beschwerden im Gefolge der Ereignisse
nachgewiesen werden kann... , die mit einer erhöhten Häufigkeit von Arztbesuchen einhergehen. ...Bei Frauen mit Somatisierungsstörungen ergaben sich deutlich mehr Hinweise auf sexuelle Übergriffe in der Anamnese als bei Frauen, die in erster Linie eine
affektive Störung aufwiesen.“
Zusammenfassung: Bei PatientInnen mit somatoformen Störungen liegen häufig
andere psychische Erkrankungen wie depressive Störungen und Angststörungen gleichzeitig vor, wobei die Häufigkeit von der Schwere der somatoformen Störung bzw. der
Symptomanzahl abhängt. Es gibt Hinweise, dass somatoforme Symptome nach traumatischer Belastung entstehen können. Bei PatientInnen mit somatoformen Störungen ist
ein Screening nach weiteren psychischen Beschwerden sehr zu empfehlen.
Land
Diagnose
Swartz et al. (1986)
ECA-Studie
USA
Somatisierungsstörung DSM-III
0,38
(N=15)
77,9 psychische Störung
64
Depression
42,5 Panikstörung
Miranda et al. (1991)
USA
SSI-4/6 DSM-III
25,2
(N=54)
56
Katon et al. (1991)
USA
SSI-4/6 DSM-III
51 (N=61)
Somatisierungsstörung DSM-III
USA
Escobar et al. (1998)
USA
Peveler et al. (1997)
GB
Fink et al. (1999)
Dänemark
Komorbidität
%
psychische Störung
39 Depression
33 phobische Störung
11 Alkoholabusus
74 Depression
13,7 Panikstörung
81,5 Depressionen
48,1 Panikstörung
22,7 (N=27)
14
(N=154)
73
SSI-4/6 DSM-III
22
(N=320)
64 psychische Störung
37,5 depressive Störung
29,1 phobische Störung
SSI-4/6 DSM-III-R
35
(N=61)
30 Gesundheitsangst/
affektive Störung
Somatoforme Störung DSM-III-R
Somatoforme Störung ICD-10
Somatisierungsstörung ICD-10
Somatoforme Störung DSM-IV
Somatisierungsstörung DSM-IV
22,3 (N=22)
6,1 (N=6)
57,5 (N=57)
1,0 (N=1)
61
50
50
83,3
35,6
100
psychische Störung
affektive Störung
Angststörung
psychische Störung
psychische Störung
psychische Störung
psychische Störung
33
Kroenke et al. (1997)
PRIME-MD-Studie
Prävalenz
%
Tab. 2: Komorbidität von somatoformen Störungen mit anderen psychischen Störungen
Autoren
34
2.5
Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei somatoformen
Störungen
Nach rein biomedizinischem Krankheitsverständnis wird eine Person als krank
bezeichnet, wenn anatomische oder physiologische Veränderungen festgestellt werden
können. Nach dieser Definition wären PatientInnen mit somatoformen Beschwerden
nicht als krank einzustufen. Die World Health Organization (WHO 1986) versteht Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Nach dieser Definition dürfte nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung als
gesund eingestuft werden. Es bleibt die Frage: Wie krank fühlen sich PatientInnen mit
somatoformen Beschwerden? Wie kann man das physische und psychische Wohlbefinden von PatientInnen messen? Eine Möglichkeit das Krankheitsverhalten von PatientInnen zu beschreiben, ist die Konsultationshäufigkeit in der Primärversorgung oder die
Anzahl der stationären Aufenthalte. PatientInnen mit somatoformen Störungen werden
mit zu den „high utilizer“ des Gesundheitssystems gezählt (KATON et al. , S. 355,
1990). EGLE (S. 53-54, 1996) pointiert die starke Nutzung des Gesundheitssystems von
PatientInnen mit somatoformen Beschwerden folgendermaßen: „Patienten mit funktionellen Störungen werden im Durchschnitt nach 7 Jahren erstmals einer psychosomatischen Abklärung unterzogen. Zu diesem Zeitpunkt könnte man die Diagnose meist sogar
über eine naturwissenschaftlich exakte Messung sichern: Legte man die Krankenakte
auf eine Waage, würde man feststellen, daß sie besonders schwer ist.“ PORTEGIJS et
al. (1996) untersuchten PatientInnen, die häufige Konsultationen in den vergangenen
drei Jahren machten. 75% dieser PatientInnen klagten über mindestens 5 somatoforme
Symptome. KATON et al. (1991) fanden bei PatientInnen mit weniger als 4/6 somatoformen Symptomen durchschnittlich 13,3 Arztbesuche, bei PatientInnen mit mehr als
4/6 somatoformen Symptomen 14,7 Arztbesuche und PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung 19,4 Arztbesuche bezogen auf das Jahr. KROENKE et al. (S. 354, 1997)
schreiben zur Nutzung des Gesundheitssystems: „Multisomatoform disorder was also
the only disorder associated with a notable increase in the number of clinic visits, as
well as only 1 of 2 disorders to produce an excess number of emergency department
visits.“ MIRANDA et al. (1991) fanden einen Zusammenhang zwischen schwierigen
Lebensübergängen und der Konsultationshäufigkeit: „ somatizers who were under stress
made more visits to the clinics than did nonsomatizers or somatizers who were not under stress.“ (S.46) … The number of life change events experienced in the last 6 months
35
was summed to provide an index of stressful life events (S. 47). FALLER (1999) vergleicht Studien, in denen PatientInnen mit somatoformen Störungen mit Personen verglichen wurden, die dieselben Beschwerden aufwiesen, jedoch keinen Arzt aufsuchten.
Beispielhaft beschreibt er PatientInnen mit gastrointestinalen Störungen: „30% der Angehörigen der Gesamtbevölkerung leiden an dyspeptischen Beschwerden; lediglich ein
Viertel bis ein Drittel konsultiert jedoch einen Arzt. Patienten mit funktionellen gastrointestinalen Störungen wurden immer wieder als psychisch auffällig beschrieben; sie
wiesen besonders erhöhte Werte von Angst und Depressivität auf... . Personen der Allgemeinbevölkerung, die trotz vorhandener funktioneller Beschwerden keinen Arzt aufsuchten, unterschieden sich jedoch in psychologischen Parametern nicht signifikant von
Personen ohne diese Beschwerden... .“ (S. 197-198). FALLER (S.198, 1998) folgert:
„Psychologischer Distress scheint nach diesen Ergebnissen weniger dafür entscheidend
zu sein, ob Symptome entstehen, sondern ob sie zum Anlass genommen werden, einen
Arzt zu konsultieren.“ RIEF (1998) vergleicht in einer Studie die psychosoziale Belastung von PatientInnen mit multiplem somatoformen Syndrom mit Personen mit psychischen oder psychosomatischen Störungen. PatientInnen mit einem multiplen somatoformen Syndrom berichteten signifikant häufiger über mehr als 5 Arztbesuche in den
vergangenen 12 Monaten. Des weiteren gaben PatientInnen mit multiplem somatoformen Syndrom häufiger eine starke Beeinträchtigung des psychosozialen Wohlbefindens
und eine Beeinträchtigung im Alltagsleben, sowie häufiger eine außergewöhnliche Müdigkeit an, als z.B. PatientInnen mit Angst- oder depressiven Erkrankungen.
In einigen Studien werden die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage bei PatientInnen mit verschiedenen Erkrankungen als Zeichen der Beeinträchtigung aufgeführt.
ESCOBAR et al. (1989) fanden bei 15,5% der Personen einer „abridged somatization
disorder“ eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit, jedoch nur bei 4% mit weniger als 4/6 somatoformen Symptomen. Nach der PRIME-MD Studie beschrieben KROENKE et al.
(1997), dass PatientInnen mit einer multisomatoform disorder (MSD) im Schnitt sieben
Tage mehr arbeitsunfähig waren als PatientInnen ohne MSD. KATON et al. (1991) befragten PatientInnen ohne somatoforme Störung, mit einer „abridged somatization disorder“ und mit einer Somatisierungsstörung nach der Anzahl der Tage bezogen auf ein
Jahr, die sie im Bett verbringen würden. PatientInnen ohne somatoforme Störungen
gaben durchschnittlich 6 Tage an, PatientInnen mit einer „abridged somatization disorder“ 16 Tage und PatientInnen mit einer Somatisierungsstörung 26 Tage. WITTCHEN
et al. (1999) untersuchten die Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum von vier Wochen. Perso-
36
nen ohne psychische Störung waren durchschnittlich 0,1 Tage arbeitsunfähig, PatientInnen mit psychischen Störungen durchschnittlich 0,6 Tage. Dabei wiesen PatientInnen
mit somatoformen Störungen 0,7 arbeitsunfähige Tage auf, PatientInnen mit affektiven
Störungen jedoch noch deutlich mehr (1,3 Tage).
In den vergangenen Jahren wurden Fragebogen entwickelt, die Aussagen über
die subjektive Gesundheit und über das Befinden von PatientInnen geben sollten. Im
englischsprachigen Raum spricht man von der „Health-related quality of life“, übersetzt
von der „gesundheitsbezogenen Lebensqualität“. Mehrere Faktoren kennzeichnen die
gesundheitsbezogene Lebensqualität: die körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche
Schmerzen, das psychische Befinden und die soziale Beziehungsfähigkeit (SPITZER et
al. 1995, BULLINGER und KIRCHBERGER 1998). SPITZER et al. (1995) untersuchten die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei den PatientInnen der PRIME-MD
Studie mit Hilfe eines Short-Form General Health Survey (SF-20). Bei allen psychischen Störungen (Angst-, depressive -, somatoforme -, Ess- und Alkoholstörung) fanden
sie eine wesentliche Beeinträchtigung in mehreren Dimensionen des General Health
Survey. Auch PatientInnen mit einer somatoformen Störung unterhalb der Schwelle
einer Somatisierungsstörung fühlten sich stark beeinträchtigt. Überraschenderweise
fühlten sich PatientInnen mit somatoformen Störungen in der körperlichen Funktionsfähigkeit nicht signifikant beeinträchtigt. ESCOBAR et al. (1998) untersuchten in einer
Studie vorwiegend die körperliche Dimension der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
bei PatientInnen der Primärversorgung mit Hilfe des Short-Form General Health Survey
(SF-36). PatientInnen mit einer „abridged somatization disorder“ fühlten sich signifikant häufiger (31%) körperlich beeinträchtigt als PatientInnen mit weniger als 4/6 somatoformen Symptomen (19%). Zwischen den „discrete“ und „comorbid somatizers“
fand sich kein signifikanter Unterschied in der körperlichen Funktionsfähigkeit.
Zusammenfassung: Das psychische und physische Wohlbefinden von PatientInnen
ist schwer zu messen. Ein objektives Kriterium kann die Konsultationshäufigkeit oder
die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage sein. PatientInnen mit somatoformen Störungen
nehmen das Gesundheitssystem vermehrt in Anspruch und sind häufiger arbeitsunfähig.
Die subjektive Beeinträchtigung kann mit Hilfe eines Fragebogens zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität gemessen werden. Einige Studien weisen darauf hin,
dass PatientInnen mit somatoformen Störungen auch unterhalb der Schwelle einer Somatisierungsstörung sich schwer gesundheitlich beeinträchtigt fühlen.
37
3 Eigene Fragestellungen und Hypothesen
In der vorliegenden Arbeit soll die Häufigkeit von PatientInnen mit multiplen
somatoformen Beschwerden in der Allgemeinmedizin dargestellt werden. Es wird das
gleichzeitige Auftreten von somatoformen Symptomen und psychischen Symptomen
wie Ängstlichkeit und Depressivität überprüft. Des weiteren wird die körperliche und
psychische Beeinträchtigung von PatientInnen mit somatoformen Symptomen, sowie
die Anzahl der Praxiskontakte und Arbeitsunfähigkeitstage untersucht. Die hier vorliegende Studie untersucht vorwiegend PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen im Fragebogen SOMS-2 (s. Abschnitt 4.4).
3.1
Fragestellung:
Wie häufig geben PatientInnen zwischen 18 und 60 Jahren einer hausärztlichen Praxis
multiple somatoforme Symptome im SOMS-2 an? Welche Häufigkeitsunterschiede
ergeben sich bei unterschiedlichem Cut off im SOMS-2 und nach den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV? Gibt es einen Häufigkeitsunterschied zwischen den Geschlechtern?
Hypothese:
Da die Symptomauswahl im DSM-IV deutlich größer als in der ICD-10 ist, wird erwartet, dass nach der Symptomliste des DSM-IV mehr PatientInnen mit multiplen somatoformen Symptomen identifiziert werden, als nach der ICD-10. Frauen geben im
Durchschnitt mehr somatoforme Symptome an als Männer.
38
3.2
Fragestellung:
Unterscheiden sich PatientInnen mit einer Auffälligkeit im SOMS-2 im Hinblick auf
Ängstlichkeit und Depressivität von im SOMS-2 unauffälligen PatientInnen? Besteht
zwischen der Anzahl der somatoformen Symptome und dem Grad der Ängstlichkeit und
/ oder Depressivität eine Korrelation?
Hypothese:
Im SOMS-2 auffällige PatientInnen sind ängstlicher und / oder neigen mehr zu Depressivität als im SOMS-2 unauffällige PatientInnen. Bei steigender Anzahl somatoformer
Symptome wird eine Zunahme von Ängstlichkeit und Depressivität erwartet.
3.3
Fragestellung:
Wie häufig wird bei PatientInnen mit einer Auffälligkeit im SOMS-2 (mehr als 4/6 somatoformen Symptomen) die Diagnose einer somatoformen Störung (ICD-10) durch
das Interview Mini-DIPS bestätigt? Welche weiteren Diagnosen werden nach dem diagnostischen Interview Mini-DIPS bei PatientInnen mit einer somatoformen Störung
gestellt?
Hypothese:
Nicht bei allen PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen im SOMS-2
lässt sich eine somatoforme Störung nach der ICD-10 diagnostizieren. Bei PatientInnen
mit einer somatoformen Störung wird vor allem eine hohe Komorbidität mit Angststörungen und affektiven Störungen erwartet.
39
3.4
Fragestellung:
Unterscheiden sich PatientInnen mit einer Auffälligkeit im SOMS-2 und/ oder in der
HADS-D im Hinblick die gesundheitsbezogene Lebensqualität im Vergleich zu PatientInnen, die im SOMS-2 und /oder in der HADS-D unauffällig sind?
Hypothese:
Es wird erwartet, dass sich die im SOMS-2 auffälligen PatientInnen in ihrer Lebensqualität beeinträchtigter fühlen als die im SOMS-2 unauffälligen PatientInnen. Bei PatientInnen mit SOMS-2 und HADS-D Auffälligkeit („comorbid somatizers“) wird eine
ähnliche körperliche und psychische Beeinträchtigung erwartet wie bei PatientInnen, die
im SOMS-2 auffällig, aber in der HADS-D unauffällig sind („discret somatizers“, s.
Abschnitt 2.4).
3.5
Fragestellung:
Unterscheiden sich PatientInnen mit einer Auffälligkeit im SOMS-2 hinsichtlich der
Konsultationshäufigkeit und/ oder der Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage von im
SOMS-2 unauffälligen PatientInnen?
Hypothese:
PatientInnen mit einer Auffälligkeit im SOMS-2 haben häufigere Praxiskontakte und
mehr Arbeitsunfähigkeitstage als PatientInnen, die im SOMS-2 unauffällig sind.
40
4 Methodik
4.1
Durchführung der Untersuchung
Die Erhebung ist in zwei Untersuchungsabschnitten durchgeführt worden. In ei-
ner ersten Screening-Phase wurden über einen Zeitraum von 3 Wochen vom 5.10. bis
23.10.1998 alle PatientInnen, die persönlich die Praxis aufsuchten, die zu einer Untersuchung oder Therapie einbestellt wurden (Labor, EKG, Reizstrom usw.), ein Rezept
oder Überweisungsschein abholten oder bei Hausbesuchen besucht wurden, registriert,
Alter und Geschlecht erfasst. Die gewählte Studienpopulation entspricht nach der Definition von LINDEN et al. (1996) der Inanspruchnahmepopulation (s. Abschnitt 2.2).
Alle PatientInnen zwischen 18 und 60 Jahren wurden in diesem Zeitraum gebeten, ein Fragebogenpaket zur Selbstbeurteilung auszufüllen. Das Fragebogenpaket enthielt das „Screening für somatoforme Störungen“ (SOMS-2), die „Hospital Anxiety and
Depression Scale- Deutsche Version“ (HADS-D) und den „Fragebogen zum Gesundheitszustand“ (SF-12) als Selbstbeurteilungsmessinstrumente. Bei den Angaben zur
Person wurden Alter, Geschlecht, Familienstand, Schulbildung, berufliche Situation,
Angaben zur Erwerbstätigkeit und Arbeitsunfähigkeit erfasst.
Nach Auswertung der Fragebögen wurden Männer mit mehr als 4 Symptomen
und Frauen mit mehr als 6 Symptomen im SOMS-2 durch eine der Arzthelferinnen telefonisch zu einem diagnostischen Interview (Mini-DIPS) in die Praxis bestellt. Bei anderen PatientInnen wurde bei einer nächsten Konsultation ein Interview-Termin ausgemacht. Bei N=36 von insgesamt N=79 PatientInnen, die im SOMS-2 auffällig waren,
wurde das Interview durchgeführt. Im Mini-DIPS werden die möglichen körperlichen
Symptome für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung nicht einzeln aufgeführt. Daher wurden zusätzlich zum Mini-DIPS die PatientInnen zu ihren im SOMS-2 angegebenen Beschwerden explizit befragt. Weitere psychische Diagnosen wie eine Angststörung, eine affektive Störung oder eine Medikamenten- Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, posttraumatische Belastungsreaktion, Zwang, Ess-Störung und Psychosen wurden
im Interview mit erfasst.
41
4.2
Beschreibung der Stichprobe
Die Erhebung wurde im Oktober 1998 in einer Gemeinschaftspraxis für Allge-
meinmedizin in Rickenbach, einer Gemeinde mit etwa 4000 EinwohnerInnen im südlichen Schwarzwald durchgeführt. Innerhalb der Gemeinde gibt es zwei weitere Allgemeinmedizinpraxen. Die PatientInnen kommen aus Rickenbach und angrenzenden Ortschaften mit einem Radius bis zu 15 km. Im gesamten Einzugsgebiet gibt es 7 Allgemeinmedizinpraxen.
Im Quartal IV 1998 haben 1766 KassenpatientInnen und 79 PrivatpatientInnen
die Praxis aufgesucht. Die beiden Praxisinhaber sind Spanier, Ärzte für Allgemeinmedizin ohne psychotherapeutische Zusatzbezeichnung, 34 und 47 Jahre alt. Die Praxis
besteht seit mehr als 30 Jahren, seit 12 Jahren ist der ältere Kollege dort niedergelassen,
der jüngere seit 7 Jahren. Die Untersucherin arbeitete seit Beginn 1998 als Praxisassistentin in der Praxis.
Es waren 684 verschiedene PatientInnen (von insgesamt 1845 im Quartal IV
1998) in der Praxis, davon waren 365 PatientInnen zwischen 18 und 60 Jahren alt , 63
PatientInnen unter 18 Jahren, 256 PatientInnen über 60 Jahren. Nur die PatientInnen
zwischen 18 und 60 Jahren wurden in die Studie aufgenommen. Von den 365 PatientInnen haben 138 die Fragebögen ausgefüllt (37,8%). Einige PatientInnen haben einzelne
Fragebögen unvollständig ausgefüllt, manche haben nur den SOMS-2 Symptomteil
(Item 1-53) ausgefüllt. Hauptgründe für Nichtausfüllen war mangelndes Interesse und
zu wenig Zeit.
Nach Gesprächen mit den behandelnden Praxisärzten wurden 2 PatientInnen mit
körperlichen Erkrankungen, bei denen die Beschwerden organisch erklärt werden
konnten, ausgeschlossen. Es handelte sich um einen Patienten mit einer dilatativen Kardiomyopathie, und eine Patientin mit einer chronischen Niereninsuffizienz. Ein weiterer
Patient mit einer Schizophrenie und gleichzeitig Oligophrenie wurde ebenso ausgeschlossen. Somit besteht die eigentliche Stichprobe aus n=135 PatientInnen (fortan
„Stichprobe").
N=79 PatientInnen waren nach SSI-4/6 Kriterien auffällig im SOMS-2 (vgl. Kapitel 2.1), sie wurden zu einem diagnostischen Interview in die Praxis einbestellt. N=36
PatientInnen waren bereit, an einem diagnostischen Interview etwa im Umfang einer
Stunde teilzunehmen. Sie wurden von der Untersucherin mit dem strukturellen Interview Mini-DIPS untersucht, um eine diagnostische Zuordnung nach ICD-10 zu treffen.
42
In Abbildung 1 wird ein Überblick gegeben, über die Gesamtzahl der registrierten PatientInnen im Untersuchungszeitraum, die an der Studie teilnehmenden PatientInnen und die interviewten PatientInnen.
Abb. 1: Übersicht Studienteilnahme
N=36
N=79
N=135
N=138
N=365
N=684
4.3
Mini-DIPS
SSI-4/6 auffällig
Stichprobe
Fragebogen ausgefüllt
18-60 Jahre
0-95 Jahre
Soziodemographische Merkmale und Repräsentativität
der Stichprobe
Es werden zunächst die soziodemografischen Merkmale beschrieben. Angaben zum
Familienstand, Schulbildung, Beruf und Erwerbstätigkeit sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
Alter: Von den 365 PatientInnen zwischen 18 und 60 Jahren („Gesamt“) beträgt das
Durchschnittsalter M=40,36 Jahre (SD=12,38; Median 40,0 J.). Das Durchschnittsalter
der Stichprobe (N=135) ist signifikant niedriger (M=36,33 Jahre; SD=10,76; Median
36,0 J.) als das Durchschnittsalter derjenigen, die die Studie ablehnen (M=42,72 Jahre;
SD=12,58; Median 46 J.). Jüngere PatientInnen sind also eher bereit, an der Studie teilzunehmen.
Geschlecht: Im Untersuchungszeitraum kamen 48,2% (n=176) Männer und 51,8%
(n=189) Frauen zwischen 18 und 60 Jahren in die Praxis. 43,7% (N=59) Männer und
56,3% (N=76) Frauen sind in der Stichprobe vertreten. Es besteht kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Männern und Frauen bzgl. der Studienteilnahme.
43
Tab. 3: Soziodemografische Daten
M
SD
Alter
Stichprobe
N=135
SSI-4/6
N=79
Mini-DIPS
N=36
36,33
10,76
37,66
11,20
40,06
12,32
51,3
48,8
47,2
52,8
p<0,001
Geschlecht
Männer
Frauen
%
%
43,7
56,3
p=0,014
Familienstand Alleinstehend
Verheiratet/ Partner
Geschieden
Verwitwet
%
%
%
%
27,2
60,3
10,6
1,9
27,7
60,0
9,2
3,1
24,2
66,7
6,1
3,0
Schulbildung Keine
Volks-/ Hauptschule
Realschule
Gymnasium
%
%
%
%
0
72,5
21,6
5,8
0
75,4
20,0
4,6
0
75,8
24,2
0
6,9
10,9
35,6
35,6
2,0
8,9
4,7
9,4
37,5
35,9
1,6
10,9
3,1
12,5
34,4
37,5
3,1
9,4
64,7
9,8
13,7
11,8
67,7
4,6
13,8
13,9
51,5
9,1
18,2
21,2
Beruf
in Ausbildung
Haushalt
ArbeiterIn
Angestellte
Beamte
Selbständig
Erwerbstätig Vollzeit
Teilzeit
Arbeitslos/ Erwerbslos
Berufsunfähig/ Berentet
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
M: Mittelwert; SD: Standardabweichung; p: Irrtumswahrscheinlichkeit
Signifikanzen in der Spalte „SSI-4/6“ beziehen sich auf die Stichprobe, Signifikanzen in der
Spalte „Mini-DIPS“ beziehen sich auf die SSI-4/6-Auffälligen (da nur PatientInnen mit mehr
als 4/6 somatoformen Symptomen interviewt wurden)
44
Zur Überprüfung der Repräsentativität wurde diese Studie weiteren Studien hinsichtlich einiger soziodemographischen Daten zum Alter, Geschlechterverhältnis, Familienstand und Schulbildung in Tabelle 4 gegenübergestellt. Bei den Vergleichstudien
in Tabelle 4 handelt es sich zum einen um die „Düsseldorfer Hausarztstudie“ (TRESS et
al. 1998) und eine bisher unveröffentlichte Hausarztstudie in Südbaden unter Leitung
von Fritzsche. Die soziodemografischen Daten zu der Südbadenstudie wurden aus der
Dissertationsarbeit von POMMERSHEIM (2001) entnommen.
Tab. 4: Repräsentativität der Studienpopulation
Krings-Ney
Tress et al.
1998
Pommersheim
2001
N=135
N=572
N=1094
M
SD
18-60 Jahre
36,3 Jahre
10,8 Jahre
16-70 Jahre
42,7 Jahre
15,7 Jahre
18-65 Jahre
45,2 Jahre
16,4 Jahre
%
%
43,7
56,3
31,3
68,7
33,9
66,1
Familienstand alleinlebend
Verheiratet / mit Partner
Verwitwet
Geschieden
%
%
%
%
27,2
60,3
1,9
10,6
26,9
63,8
1,9
7,5
21,1
66,7
5,1
7,1
Schulbildung Keine
Sonderschule
Volks/ Hauptschule
Realschule
Fachabitur
Gymnasium/ Abitur
%
%
%
%
%
%
1,5
72,5
21,6
1,9
3,1
38,1
31,3
10,0
15,0
M
SD
7,47
6,51
Alter
Geschlecht
SOMS-2
Männer
Frauen
Symptomanzahl
5,8
47,0
25,7
25,8
7,68
6,94
In der hier beschriebenen Studie fällt zum einen das geringere Durchschnittsalter
auf, das sich teilweise durch die Altersbegrenzung erklären lässt. In der WHO-Studie
(LINDEN et al. 1996), die in Berlin und Mainz durchgeführt wurde, nahmen PatientInnen von 18 bis 65 Jahren teil. In Berlin lag das Durchschnittsalter bei 40,6 Jahren
(SD=13,25). In Mainz lag das Durchschnittsalter mit 37,0 Jahren (SD=12,45) ähnlich
wie in der hier beschriebenen Studie. Das Geschlechterverhältnis ist in der hier beschriebenen Studie ausgewogener als in den beiden Vergleichsstudien von TRESS et al.
(1998) und POMMERSHEIM. (2001). In beiden Vergleichsstudien liegt der Frauenan-
45
teil bei über 65%. Bei der in den 80er Jahren durchgeführten und häufig zitierten EVaSStudie (Erhebung über die Versorgung im ambulanten Sektor, SCHACH et al. 1989)
wird ein Geschlechterverhältnis von 60,3% Frauen zu 39,7% Männern angeführt.
LINDEN et al. (1996) geben einen Frauenanteil von 58,8% in Berlin bzw. 57,0% in
Mainz an. Die hier vorliegende Studie beschreibt also ein Geschlechterverhältnis, das
vergleichbar mit anderen repräsentativen Studien ist. Wie bereits erwähnt, unterscheidet
sich das Geschlechterverhältnis der Stichprobe nicht signifikant von den erfassten PatientInnen, die im Untersuchungszeitraum die Praxis aufsuchten.
Hinsichtlich des Familienstandes besteht kein starker Unterschied zu den beiden
Vergleichsstudien. Der Anteil der Geschiedenen ist in der hier vorliegenden Studie etwas höher als in den anderen beiden Vergleichsstudien.
In der Schulbildung besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der in der Studie beschriebenen Stichprobe und den Vergleichsstichproben. Mehr als 70% geben
Volks- bzw. Hauptschulabschluss an, während bei den Vergleichsstudie 38% bzw. 47%
angegeben werden. Dagegen haben in der hier vorliegenden Studie knapp 6% das Abitur, während in den Vergleichsstudien 15% bzw. 26% die Schule mit dem Abitur abgeschlossen haben. Diese Unterschiede in der Schulbildung sind dadurch zu erklären, dass
die Studie in einer Landarztpraxis durchgeführt wurde. Eine Hauptschule existiert am
Ort, alle weiterführenden Schulen sind im Umkreis von 14-20 km zu erreichen. Gerade
für die ältere Generation standen vorwiegend Berufe in der Landwirtschaft oder handwerkliche Berufe zur Auswahl, für die kein weiterführender Schulabschluss benötigt
wurde.
Bei POMMERSHEIM (2001) wurde ebenso der SOMS-2 als Screeninginstrument bei einer unselektierten Stichprobe von 1094 PatientInnen eingesetzt. Die durchschnittlich angegebene Symptomanzahl war fast gleich wie die in dieser Studie angegebene Symptomanzahl (s. Tab. 4). Bei einer Interventionsstudie von FRITZSCHE und
WIRSCHING (2002), wurden 282 PatientInnen, die im SOMS-2 nach 4/6 Kriterien
auffällig waren, in die Studie aufgenommen. Die durchschnittliche Symptomanzahl lag
bei M=13,76 (SD 7,66) Symptomen.
4.4
Messinstrumente
Das Screening für somatoforme Störungen (SOMS-2, RIEF et al. 1997)
Das „Screening für somatoforme Störungen“ (SOMS-2) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, das die Erkennung von Personen mit somatoformen Störungen erleichtert. Im
46
deutschsprachigen Raum wurde 1990 bis 1992 von RIEF et al. der Fragebogen entwikkelt, der sich an der Symptomliste des damals gültigen DSM-III-R orientierte. Er umfasste ursprünglich 42 Items. Nach Inkrafttreten der ICD-10 1993 in Deutschland wurde
der SOMS überarbeitet und umfasst nun 53 Symptome mit Ja/ Nein- Antwortalternative
für den gesamten Zeitraum der letzten 2 Jahre. Die aktuelle Fassung des SOMS-2 berücksichtigt alle körperlichen Symptome, die für eine Somatisierungsstörung nach
DSM-IV und ICD-10 als auch für die somatoforme autonome Funktionsstörung von
Relevanz sind (s. Tabelle A2 im Anhang). Das Zusammenzählen der als positiv beantworteten körperlichen Symptome ergeben den „Beschwerden-Index Somatisierung“
oder „somatic symptom index“ (SSI). Weitere 15 Items erfassen die zentralen Ein- und
Ausschlusskriterien der Somatisierungsstörung nach ICD-10 und DSM-IV sowie der
somatoformen autonomen Funktionsstörung. Neben der Anpassung des Fragebogens an
die neuen Klassifikationssysteme wurde ein weiterer Fragebogen zur Veränderungsmessung (SOMS-7) entwickelt. In dieser Version wird nicht nur das Vorhandensein körperlicher Beschwerden in den vergangenen sieben Tagen erfragt, sondern auch die Intensität der Symptome.
Der SOMS-2 besitzt eine gute interne Konsistenz und eine gute Zeitstabilität
(Retest- Reliabilität nach 72 Stunden: 0,85-0,87). Die Sensitivität des SOMS-2 liegt bei
82-98%, wenn im Fragebogen die gleichen Grenzwerte verwendet werden wie im Interview. Allerdings geht diese hohe Sensitivität zum Teil zu Lasten der Spezifität (RIEF et
al. 1997). Dies bedeutet, dass der Fragebogen in seiner ursprünglichen Fassung die Anzahl von Somatisierungssymptomen höher einschätzt, als dies im Interview geschieht
(RIEF et al. 1997). Die Werte für die Spezifität liegen zwischen 43-85%, wenn im Fragebogen die gleichen Grenzwerte verwendet werden wie im Interview (RIEF et al.
1997). Nach RIEF und HILLER (1992) muss bei einer Selbstbeurteilung mittels Fragebogen im Vergleich zu einer Fremdbeurteilung mittels Interview mit einer Überschätzung somatoformer Beschwerden gerechnet werden.. In einer klinischen Untersuchung
zeigten RIEF und HILLER (1992), dass bei 73% der PatientInnen mit einem Verdachtsbefund im SOMS-2 auch tatsächlich eine somatoforme Störung vorlag (die Diagnose wurde mit Hilfe des SKID- Interviews gestellt). Aufgrund des SOMS-2 Befundes kann ein Verdacht für das Vorliegen einer somatoformen Störung angezeigt
werden (RIEF et al. 1997).
47
Hospital Anxiety and Depression Scale- Deutsche Version (HADS-D,
HERRMANN et al. 1995)
Der Selbstbeurteilungsfragebogen HADS-D wurde zur Erfassung von Ängstlichkeit und Depressivität speziell bei PatientInnen mit primär körperlichen Beschwerden
konzipiert. In zwei unabhängigen Subskalen (Depression und Angst) mit insgesamt 14
Items werden die für diese Störungsgruppe am häufigsten genannten psychischen Symptombereiche abgebildet. Die Testergebnisse legen keine Diagnose fest, sondern dienen
der Orientierung. Werte ≤ 7 werden als unauffällig angesehen, Werte von 8-10 gelten
als grenzwertig und Werte ≥11 als auffällig. Die HADS-D ist die gleichwertige deutsche Fassung der englischen HADS. Die HADS wurde weltweit in über 100 Studien mit
insgesamt mehr als 15000 PatientInnen eingesetzt. Die Itemkennwerte weisen eine befriedigende und homogene Testkonstruktion aus. Die Sensitivität der HADS Originalversion für die Identifikation auffälliger Ängstlichkeit liegt bei 88%, die Spezifität für
Ängstlichkeit bei 83%. Die Sensitivität für die Identifikation depressiver Zustände liegt
bei 77%, ihre Spezifität für Depression bei 85% (bei einem Cut-off von ≥11 in jeder der
beiden Subskalen, HERRMANN et al. 1995).
Der Fragebogen zum Gesundheitszustand (SF-12, BULLINGER und
KIRCHBERGER 1998)
Der SF-12 ist ein Ausschnitt aus dem Selbstbeurteilungs-Fragebogen SF-36. Die
Entwicklung des SF-36 Health Survey wurde bereits in den 60iger Jahren in den USA
begonnen. In den vergangenen Jahren wurde der SF-36 zum Standardinstrumentarium
zur Erfassung der subjektiven Gesundheit. Der SF-36 erfasst 8 Dimensionen, die sich in
die Bereiche „körperliche Gesundheit“ und „seelische Gesundheit“ einordnen lassen.
Seit 1992 wurde der SF-36 in einer internationalen Arbeitsgruppe auf mehrere
Sprachen übersetzt. In über 15 Ländern existieren mittlerweile übersetzte und psychometrisch getestete Versionen. Die Ergebnisse aus Deutschland zeigen, dass die Übersetzung des Fragebogens als erfolgreich gewertet werden kann und dass der SF-36 nach
der Anwendung in unterschiedlichen Populationen mit über 4000 Patienten auch im
deutschen Sprachraum als psychometrisch zufriedenstellendes Verfahren zur Erfassung
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sein kann.
Die 12-Items umfassende Kurzversion des SF-36 hat den Vorteil einer wesentlich kürzeren Bearbeitungszeit ohne schwerwiegenden Verlust an Information. Allerdings liegen bisher zum SF-12 im Vergleich zum SF-36 weniger empirische Daten vor.
48
Die Auswertung erfolgt durch ein computerisiertes Auswertungsprogramm, in
dem für die Skalen spezielle Gewichtungen miteinbezogen werden. In der amerikanischen Normstichprobe wurden Mittelwerte von 50 und eine Standardabweichung von
10 festgelegt. Höhere Werte in den Summenskalen bedeuten einen besseren subjektiven
körperlichen und seelischen Gesundheitszustand (BULLINGER und KIRCHBERGER
1998).
Diagnostisches Kurz-Interview für psychische Störungen (Mini-DIPS,
MARGRAF 1994)
Das Mini-DIPS ist die Kurzform des Diagnostischen Interviews für psychische
Störungen (DIPS, MARGRAF et al. 1991) und dient zur raschen Erfassung der für den
psychotherapeutischen Bereich wichtigsten psychischen Störungen nach den Kriterien
der international gebräuchlichsten Diagnosesysteme DSM-IV und ICD-10. Das DIPS ist
eine deutschsprachige Version eines amerikanischen Interviews (Anxiety Disorders
Interview Schedule). Strenge Überprüfungen der amerikanischen Originalversion belegen, dass die Diagnostik psychischer Störungen mit diesem Verfahren effektiv, reliabel
und valide ist (MARGRAF 1994). Die deutschsprachige Version des DIPS wurde in
mehrfacher Hinsicht gegenüber der amerikanischen erweitert und verändert. Im DIPS
können insgesamt 17 psychische Störungen erfasst werden.
Im Mini-DIPS werden Angststörungen, affektive Störungen, somatoforme Störungen, Essstörungen und Substanzabusus erfasst, sowie ein erster Ausschluss von Psychosen ermöglicht. Das Interview dient dazu, einen Überblick über die Probleme der
PatientInnen zu gewinnen. Deswegen werden verschiedene Bereiche angesprochen, in
denen Probleme auftauchen können. Um die Durchführung zu beschleunigen, wurden
die Störungen zu „Problembereichen“ zusammengefasst, für die jeweils einleitende
„Vor-Screening Fragen“ formuliert wurden. Dies maximiert die Möglichkeit, unnötige
Fragen auszulassen. Die Diagnostiker orientieren sich während des Interviews an einem
schriftlichen Leitfaden, der die Fragen enthält, und halten die Antworten der PatientInnen schriftlich fest. Durch das Mini-DIPS kann die Diagnostik in klinischer Praxis und
Forschung erleichtert werden (MARGRAF 1994).
4.5
Statistische Auswertung
Alle statistischen Anwendungen erfolgen mit dem Statistikpaket SPSS (Statisti-
cal Package for the Social Sciences) in der Version 9.0. Das Kollektiv von 135 PatientInnen zeigt hinsichtlich der Symptomanzahl im SOMS-2 keine Normalverteilung. Aus
49
diesem Grund werden Mittelwertvergleiche mit nichtparametrischen Tests (durch den
U-Test nach Mann und Whitney sowie den Wilcoxon Test) untersucht. Durch den ChiQuadrat-Test nach Pearson wird die Unabhängigkeit von 2 Variablen überprüft. Ist eine
der erwarteten Häufigkeiten in der Vierfeldertafel kleiner 5, wird der exakte Chi-Quadrat- Wert nach Fischer angegeben. Bei den Korrelationsrechnungen wird der Korrelationskoeffizient nach Spearmann angegeben.
Die Angaben des Signifikanzniveaus orientiert sich an folgender Einteilung:
Hoch signifikant:
p ≤ 0,01
Signifikant:
0,01 < p ≤ 0,05
Tendenziell bedeutsam:
0,05 < p ≤ 0,10
Keine Signifikanz:
p > 0,10
50
5 Ergebnisse
Im Ergebnisteil erfolgt die statistische Auswertung der Fragebögen SOMS-2, HADS-D
und SF-12 sowie die Auswertung des Mini-DIPS Interview.
5.1
SOMS-2 Auswertung
Anzahl der Symptome im SOMS-2
Die Symptomanzahl der körperlichen Beschwerden ohne organischen Befund
reicht von 0 bis 31 Symptomen. Der Durchschnitt der erlebten körperlichen Symptome
beträgt M=7,47 (SD=6,51; Median 6,0). Die Häufigkeitsverteilung der angegebenen
körperlichen Symptome ohne organischen Befund entspricht nicht einer Normalverteilung. Es ist eine positive Schiefe zu verzeichnen (Schiefe 1,08). Nur 10,8% der PatientInnen geben an, in den letzten 2 Jahren keine körperlichen Symptome ohne organische
Ursache erlebt zu haben, insgesamt 32% erlebten weniger als 4 Symptome. In
Abbildung 2 wird die Häufigkeit somatoformer Symptome der Stichprobe dargestellt.
Abb. 2: Häufigkeit somatoformer Symptome im SOMS-2
(je 3 Symptome zusammengefasst)
30
M=7,47 Mittelwert
21
20
20
15
13
10
11
Prozent
9
4
4
3
0
0
1-3
4-6
7-9
10-12 13-15 16-18 19-21
Anzahl der Symptome im SOMS-2
n=135 PatientInnen
>21
51
Bei Anwendung der Kriterien für ein multiples somatoformes Syndrom (Männer
mehr als 4 Symptome, Frauen mehr als 6 Symptome, abgekürzt „SSI-4/6“), sind im
beschriebenen PatientInnenkollektiv 58,5% (n=79), also mehr als die Hälfte im SOMS2 auffällig.
Die im SOMS-2 nach SSI-4/6 Kriterien auffälligen PatientInnen unterscheiden
sich, wie nachfolgend beschrieben, signifikant hinsichtlich der Häufigkeitsverteilung
zwischen den Geschlechtern. Im Hinblick auf die anderen soziodemographischen Daten
(Familienstand, Schulausbildung und Erwerbstätigkeit) unterscheiden sie sich nicht von
den SOMS-2 unauffälligen. Es besteht kein statistisch signifikanter altersabhängiger
Unterschied in Bezug auf die Anzahl somatoformer Symptome oder hinsichtlich SSI4/6 Auffälligkeit im SOMS-2.
Die 5 häufigst genannten Symptome im SOMS-2 sind Schmerzsymptome. Etwa
67% aller PatientInnen klagen über Rückenschmerzen, 49% über Kopfschmerzen, 47%
haben Schmerzen in den Armen und Beinen, 43% Bauchschmerzen, 40% Gelenkschmerzen. In Tabelle 11 ist die Symptomhäufigkeit einiger häufiger Symptome aufgeführt. Die 5 am seltensten genannten Symptome im SOMS-2 sind: Verlust von Berührungs- oder Schmerzempfinden (1,7%), Flüssigkeitsaustritt aus dem Darm (1,7%), Sinnestäuschungen (0,8%), Impotenz (0,8%), Blindheit (0%).
Häufigkeits-Unterschiede bedingt durch die unterschiedlichen Diagnosesysteme
ICD-10 und DSM-IV
Der Anteil der PatientInnen mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen im
SOMS-2 (insgesamt werden 53 Symptome im SOMS-2 aufgeführt), beträgt wie oben
beschrieben 58,5% (n=79). Wenn nur Symptome nach DSM-IV (insgesamt 35 Symptome) ausgewertet werden, sind 50% (n=67) der PatientInnen auffällig nach 4/6 Kriterien. Werden nur Symptome nach ICD-10 (insgesamt 14 Symptome) ausgewertet, haben 30% (n=41) der PatientInnen mehr als 4/6 Symptome (s. Tabelle 5).
Es ist bemerkenswert, dass alle 41 PatientInnen, die nach ICD-10 mehr als 4/6 Symptome aufweisen, auch nach DSM-IV auffällig sind, obwohl unterschiedliche Symptomlisten in beiden Diagnosesystemen benutzt werden (s. Abb. 3). PatientInnen, die
mehr als 4/6 Symptome nach der Symptomliste des ICD-10 aufweisen, haben eine signifikant höhere durchschnittliche Symptomanzahl im SOMS-2 (M=14,3) im Vergleich
zu PatientInnen, die mehr als 4/6 Symptome nach der Symptomliste des DSM-IV haben
(M=9,0; p<0,001).
52
Abb. 3: SSI-4/6 Auffälligkeit im SOMS-2, nach DSM-IV und ICD-10
N=79 (59%)
SSI-4/6 im SOMS-2
(53 Symptome)
N=67 (50%)
SSI-4/6, DSM-IV
(35 Symptome)
N=41 (30%)
SSI-4/6, ICD-10
(14 Symptome)
Tab. 5: Unterschiedliche Diagnosezuweisungen
Auffällig
N
%
Gesamt
N
SOMS-2 nach SSI-4/6
79
58,5
135
DSM-IV nach SSI-4/6
67
49,6
135
ICD-10 nach SSI-4/6
41
30,4
135
DSM-IV Somatisierungsstörung
7
7,3
96
ICD-10 Somatisierungsstörung
3
3,6
83
ICD-10 Somatoforme Autonome Funktionsstörung
21
22,3
94
Polysymptomatische somatoforme Störung (PSS-7)
58
43,0
135
Die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV im SOMS-2 erfüllen
im untersuchten PatientInnenkollektiv 7,3% (n=7 PatientInnen von insgesamt n=94).
Nur 94 der 135 PatientInnen haben alle Zusatzfragen zu Ein- und Ausschlusskriterien
nach DSM-IV (z.B. Beeinträchtigung, Ursache für die Beschwerden, Beginn und Dauer
der Beschwerden) beantwortet, daher gibt es 30,8% fehlende Daten. Ohne diese Informationen der Ein- und Ausschlusskriterien kann keine Aussage über das Vorliegen einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV getroffen werden.
Die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach ICD-10 im SOMS-2 erfüllen nur
3,6% (n=3 von n=83 PatientInnen). Die Kriterien einer somatoformen autonomen
Funktionsstörung nach ICD-10 im SOMS-2 erfüllen insgesamt 22,3% (n=21 von n=94
53
PatientInnen). Die Übereinstimmung der Diagnose „Somatisierungsstörung“ zwischen
ICD-10 und DSM-IV ist nur unzureichend. Von 7 PatientInnen, die die Kriterien einer
Somatisierungsstörung nach DSM-IV erfüllen und 3 PatientInnen, die die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach ICD-10 erfüllen, erfüllt nur eine Patientin die Kriterien
beider Diagnosesysteme.
Die in einer Studie (Rief, Hiller 1999) befürwortete Mindest-Symptomanzahl
von 7 Symptomen aus einer empirisch validierten Symptomliste von 32 Symptomen,
genannt polysymptomatische somatoforme Störung (PSS-7), ergibt einen Anteil von
43% Auffälligen. Alle 9 PatientInnen, die im SOMS-2 die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, erfüllen auch die Kriterien einer polysymptomatischen somatoformen Störung.
Geschlechtsabhängige Auffälligkeit
Bei Männern beträgt der Mittelwert der Symptomanzahl im SOMS-2 M=6,8
(SD=5,3; Median 6,0), bei Frauen M=8,0 (SD=7,3; Median 6,0). Es besteht kein statistisch signifikanter Unterschied in der Symptomanzahl zwischen Männern und Frauen.
Von den N=55 unauffälligen PatientInnen im SOMS sind 31%männlich und 69% weiblich. Von den N=79 auffälligen PatientInnen im SOMS sind 53% männlich und 48%
weiblich (s. Abb.4).
Abb. 4: Geschlechtsabhängige Auffälligkeit im SOMS-2
80
69
60
53
48
40
31
Prozent
20
SSI-4/6 im SOMS-2
unauffällig
auffällig
0
männlich
Geschlecht
weiblich
54
Insgesamt nehmen 59 Männer an der Studie teil. 71% (n=42) der Männer haben
mehr als 4 Symptome im SOMS-2. 76 Frauen nehmen an der Studie teil. 50% (n=37)
der Frauen haben mehr als 6 Symptome im SOMS-2. Nach SSI-4/6 Kriterien im
SOMS-2 sind Männer statistisch signifikant auffälliger als Frauen (p=0,014).
Die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV im SOMS-2 erfüllen
13,5% der Frauen (n=7), jedoch kein Mann. Bei der Diagnose einer somatoformen autonomen Funktionsstörung nach ICD-10 besteht kein Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die validierte Symptomliste mit insgesamt 32 Symptomen enthält keine
geschlechtsspezifischen Symptome. Wird diese Symptomliste zugrunde gelegt, haben
n=24 Männer (41%) und n=34 Frauen (45%) mehr als 7 Symptome (PSS-7). Es besteht
kein signifikanter Unterschied. In Tabelle 6 werden die geschlechtsspezifischen Häufigkeitsunterschiede auf die unterschiedlichen Diagnosemöglichkeiten nach ICD-10 und
DSM-IV dargestellt.
Tab. 6: Vergleich somatoforme Störungen Männer / Frauen im SOMS-2
Stichprobe
N=135
Männer
N=59
Frauen
N=76
Alter
M
SD
36,50
10,76
35,63
10,91
36,88
10,68
Symptomanzahl
M
SD
7,47
6,51
6,75
5,30
8,04
7,29
SSI-4/6
%
58,5
71,2
p=0,014
44,5
DSM-IV Somatisierungsstörung
%
7,3
0
13,5
ICD-10 Somatisierungsstörung
%
3,6
4,9
2,4
ICD-10 Somatof. Autonome Funktionsstörung %
22,3
20,5
24,0
Polysymptomatische somatof. Störung (PSS-7) %
43,0
40,7
44,7
In Tabelle 7 sind Ein- und Ausschlusskriterien für das Vorliegen einer somatoformen Störung nach ICD-10 oder DSM-IV zusammengefasst, die danach ausführlicher
behandelt werden.
55
Tab. 7: Ein- und Ausschlusskriterien von somatoformen Störungen
Beeinträchtigung im Alltag / Wohlbefinden
≥ 3 Arztbesuche wegen der Beschwerden
%
%
Stichprobe
N=135
SSI-4/6
N=79
PSS-7
N=58
62,5
65,3
73,6
44,3
46,7
p=0,017
50
45,1
Ursache für die Beschwerden festgestellt
%
43,6
p=0,084
47,1
Panikattacken
%
19,6
22,2
p=0,058
28,3
Dauer der Beschwerden länger als 2 Jahre
%
46,3
54,1
p=0,021
58,2
Beginn der Beschwerden vor dem 30. Lj
%
59,4
p=0,046
60,6
p=0,012
55,8
Hypochondrische Ängste
%
4,9
8,3
9,6
Starke Schmerzen ≥ 6 Monaten
%
30,0
37,5
41,5
Medikamente wegen der Beschwerden
%
59,2
p=0,013
63,9
p=0,004
64,2
Körperdysmorphophobie
%
7,5
5,6
5,9
Signifikanzen in den Spalten SSI-4/6 und PSS-7 beziehen sich jeweils auf die Stichprobe
62,5% fühlen sich im Alltagsleben oder im Wohlbefinden durch die körperlichen
Symptome beeinträchtigt. Es besteht kein signifikanter Unterschied zwischen SSI-4/6
Auffälligen und Unauffälligen hinsichtlich der Beeinträchtigung. Die PatientInnen mit
mindestens 7 Symptomen aus der validierten Symptomliste nach RIEF und HILLER
(1999) fühlen sich jedoch signifikant häufiger im Wohlbefinden oder im Alltagsleben
beeinträchtigt (p=0,017). Laut SOMS-2 geben 44,3% mindestens 3 Arztbesuche wegen
der genannten Beschwerden an. Tendenziell sind die SSI-4/6 Auffälligen im SOMS-2
häufiger beim Arzt wegen der genannten Beschwerden (p=0,084).
43,6% (n=44) der Stichprobe geben an, dass keine Ursache für ihre Beschwerden gefunden wurde. Von den SSI-4/6-Auffälligen geben 47% an, dass keine Ursache gefunden wurde, d.h. jedoch, dass 53% zumindest einige der Beschwerden für erklärbar halten. Tendenziell häufiger geben die PatientInnen mit mehr als 7 Symptomen an, dass
keine Ursache für die genannten Beschwerden gefunden wurde (p=0,058). 19,6%
56
(n=20) der PatientInnen geben an, Panikattacken erlebt zu haben, davon haben ein
Viertel (n=5) PatientInnen die genannten Beschwerden ausschließlich bei Panikattakken. Die Dauer der Beschwerden ist bei 72% der PatientInnen bereits seit mehr als 6
Monaten, 46,3% haben über 2 Jahre die genannten Beschwerden. Bei 59,4% begannen
die Beschwerden vor ihrem 30.Lebensjahr. Die nach SSI-4/6 SOMS-2 Auffälligen haben signifikant häufiger seit über 2 Jahren anhaltende Beschwerden (p=0,046). Bei den
PatientInnen mit mindestens 7 Symptomen ist der Unterschied noch deutlicher
(p=0,012), d.h. diejenigen, die mehr Beschwerden haben, haben sie bereits seit längerer
Zeit. 4,9% (n=6) haben hypochondrische Ängste, bei n=4 PatientInnen bestehen seit
über 6 Monaten diese Ängste vor einer schweren Erkrankung. 30,0% haben Schmerzen,
die sie seit mehr als 6 Monaten stark beschäftigen. Von den SOMS-2 Auffälligen nach
4/6 Kriterien beschäftigen sich signifikant mehr seit über 6 Monaten mit Schmerzen
(p=0,013). PatientInnen, die mehr als 7 Symptome von der validierten Symptomliste
aufweisen, haben noch häufiger seit mehr als 6 Monaten starke Schmerzen (p=0,004).
Die im SOMS-2 genannten Symptome lassen sich verschiedenen Organsystemen zuordnen: Schmerzsymptome, gastrointestinale Symptome, urologische / gynäkologische Symptome, pseudoneurologische Symptome, vegetative Symptome und sonstige Symptome (Appetitverlust, schlechter Geschmack, belegte Zunge, Mundtrockenheit oder Flecken bzw. Farbveränderung der Haut). Die meisten PatientInnen, die viele
Symptome angeben, haben Symptome in unterschiedlichen Organbereichen (s. Tabelle
8). Nur 15% der SSI-4/6-Auffälligen im SOMS-2 haben Beschwerden in 1-2 Organsystemen, also bei 85% der SSI-4/6-Auffälligen sind 3 oder mehr Organsysteme betroffen.
Bei allen PSS-7-Auffälligen (100%) sind 3 oder mehr Organsysteme betroffen. Hinsichtlich der Anzahl der betroffenen Organsysteme gibt es keinen statistisch signifikanten geschlechtsabhängigen oder altersabhängigen Unterschied.
Tab. 8: Anzahl der betroffenen Organsysteme
Stichprobe
N=135
Durchschnittliche
Symptomanzahl
Keine Beschwerden
11,1%
0 Symptome
Beschwerden in 1-2 Organsystemen
34,1%
2,9 Symptome
Beschwerden in 3-6 Organsystemen
54,8%
11,8 Symptome
57
5.2
HADS-D Auswertung
Es haben n=122 PatientInnen den HADS-D Fragebogen ausgefüllt:
Der Mittelwert des Angstscore beträgt M=6,72 (SD=3,97, Median 6,0) bei einem Range von 0 bis 18. Als auffällig ängstlich (Angstscore ≥11) sind lt. HADS-D 15% (n=18)
der PatientInnen einzuschätzen. Der Mittelwert des Depressionsscore beträgt M=5,15
(SD=3,77; Median 4,5) bei einem Range von 0 bis 18. Als auffällig depressiv (Depressionsscore ≥11) sind 11% (n=13) der PatientInnen einzuschätzen. Die ÄngstlichkeitsAuffälligen sind häufiger auch hinsichtlich Depressivität auffällig (p<0,001). 7,4%
(n=9) der PatientInnen sind sowohl hinsichtlich Depressivität als auch hinsichtlich
Ängstlichkeit auffällig.
Der Mittelwert des HADS-D Gesamtscore beträgt M=11,9 (SD=7,0; Median
11,0). In der HADS-D sind insgesamt 18,0% (n=22) auffällig (Angst- oder Depressionsscore ≥11). Es besteht kein altersabhängiger Unterschied in der HADS-D Auffälligkeit. Frauen sind signifikant häufiger auffällig in der HADS-D (p=0,033). Die Anzahl
der Praxiskontakte im Jahr 1998 ist bei den HADS-D Auffälligen (M=27,75; SD=20,25)
signifikant höher als bei den HADS-D Unauffälligen (M=17,0; SD=14,06; p=0,026).
24% (n=16) der SOMS-2 Auffälligen sind auch in der HADS-D auffällig (s.
Tabelle 9). Sie werden nach ESCOBAR et al. (1998) als „comorbid somatizers“ bezeichnet. 76% (n=51) der SOMS-2 Auffälligen sind in der HADS-D unauffällig. Sie
werden im Folgenden als „discrete somatizers“ bezeichnet.
Tab. 9: Auffälligkeiten im SOMS-2 und in der HADS-D
SOMS-2 unauffällig
SOMS-2 auffällig
HADS-D unauffällig
n=49
n=51 („discret somatizers“)
HADS-D auffällig
n=6
n=16 („comorbid somatizers“)
Der Durchschnitt des HADS-D Gesamtscore (M=13,0; SD=6,6) ist signifikant
höher (p=0,005) bei SOMS-2 Auffälligen als bei SOMS-2 unauffälligen (M=10,3;
SD=7,3). In Abbildung 5 wird eine Korrelation zwischen der Anzahl der Symptome im
SOMS-2 und der Gesamtzahl der Symptome in der HADS-D dargestellt.
58
Abb. 5: Korrelation HADS-D/ SOMS-2 mit Regressionsgeraden
40
30
HADS-Gesamtscore
20
10
0
0
10
20
30
40
SOMS-Gesamtindex
Es besteht eine mittlere Korrelation zwischen der Anzahl der somatoformen und
psychischen Symptome (Ängstlichkeit und Depressivität). Der Spearmann`sche Korrelationskoeffizient beträgt r=0,400, die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (zweiseitig) signifikant. Bei einem größeren Teil der PatientInnen geht die Anzahl der somatoformen Symptome etwa mit dem Grad der Ängstlichkeit und /oder Depressivität
einher. Ein Teil der PatientInnen fühlt sich psychisch stark eingeschränkt (ängstlich
oder depressiv), hat aber gar keine oder nur wenige körperliche Begleitsymptome. Ein
kleinerer Teil der PatientInnen hat jedoch eine hohe Anzahl körperlicher Symptome mit
nur geringen psychischen Begleitsymptomen (s. Abb. 5).
HADS-D Auffällige haben signifikant häufiger vegetative Symptome (p=0,002)
und neurologische Symptome (p=0,009, s. Tabelle 10)als in der HADS-D Unauffällige.
In Tabelle 11 sind zuerst die häufigst genannten Symptome im SOMS-2 aufgeführt,
danach die Symptome, die von in der HADS-D auffälligen PatientInnen häufiger genannt werden.
59
Tab. 10: Symptome nach Art der betroffenen Organsysteme
Stichprobe
SSI-4/6
N=135
N=79
HADS-D
auffällig
N=22
Schmerzsymptome
%
79,3
97,5
81,8
Gastrointestinale Symptome
%
50,4
77,5
68,2
Urologische / gynäkologische Symptome %
40,7
52,5
45,5
Pseudoneurologische Symptome
%
41,5
61,3
63,6
p=0,009
Vegetative Symptome
%
49,6
72,5
81,8
p=0,002
Sonstige Symptome∗
%
31,9
48,8
50,0
Anmerkungen: ∗ sonstige Symptome wie Appetitverlust, schlechter Geschmack, belegte Zunge,
Mundtrockenheit oder Flecken bzw. Farbveränderungen der Haut
Signifikanzen in der Spalte „HADS-D auffällig“ beziehen sich auf die Stichprobe.
Tab. 11: Symptomhäufigkeit
Anzahl
Stichprobe
SSI-4/6
Rückenschmerzen
N
75
% der Antworten
7,9
% der Antworten
6,8
HADS-D
auffällig
% der
Antworten
5,8
Kopfschmerzen
58
6,1
5,6
4,8
Schmerzen in Armen, Beinen
53
5,6
5,7
6,1
Bauchschmerzen
50
5,3
5,7
4,3
Gelenkschmerzen
45
4,7
4,4
3,1
Völlegefühl
43
4,5
4,3
Schweißausbrüche
32
3,4
3,6
Hitzewallungen, Erröten
27
2,8
3,1
Extreme Müdigkeit
27
2,8
3,0
Druck in Herzgegend
24
2,5
2,6
Schluckbeschwerden, Kloßgefühl
11
1,2
1,2
4,9
p=0,023
4,6
p=0,006
3,7
p=0,042
6,0
p<0,001
3,7
p=0,008
1,6
p=0,038
Anmerkung:
Signifikanzen in der Spalte „HADS-D auffällig“ beziehen sich auf die Stichprobe
60
5.3
SF-12 Auswertung
Es haben n=121 PatientInnen den Fragebogen SF-12 ausgefüllt. Nach Auswer-
tung der Items wurden die Werte transformiert. In der amerikanischen Normstichprobe
wurden Werte von 50 und eine Standardabweichung von 10 festgelegt.
In dieser Studie beträgt der Mittelwert der körperlichen Summenskala M=45,0
(Median 46) bei einem Range von 22,3 bis 63,3 (SD=9,0). Der Mittelwert der psychischen Summenskala beträgt M=49,0 (Median 52) bei einem Range von 19,6 bis 66,1
(SD=10,9). In der körperlichen Summenskala unterscheiden sich Männer (M=44,0)
nicht signifikant von Frauen (M=45,7), in der psychischen Summenskala sind Frauen
(M=46,1) signifikant beeinträchtigter als Männer (M=52,8; p<0,001). Die nach SSI-4/6
Kriterien im SOMS-2 auffälligen PatientInnen unterscheiden sich entgegen der Erwartung in der körperlichen Summenskala nicht von den unauffälligen. In der psychischen
Summenskala sind die nach SOMS-2 Auffälligen (M=47,6) beeinträchtigter als die nach
SOMS-2 Unauffälligen (M=51,2; p=0,048). PatientInnen, die 7 von 32 Symptomen
aufweisen, fühlen sich sowohl körperlich (p=0,015) als auch psychisch (p=0,013) signifikant beeinträchtigter als die unauffälligen PatientInnen. „Comorbid somatizers“
(SOMS-2 auffällig und HADS-D auffällig; n=16), sind in körperlicher Hinsicht
(M=37,8) hochsignifikant eingeschränkter als „discrete somatizers“ (SOMS-2 auffällig
und HADS-D unauffällig; n=51; M=45,6; p=0,003). Auch in psychischer Hinsicht sind
„comorbid somatizers“ (38,7) hochsignifikant mehr belastet als „discrete somatizers“
(50,2; p<0,001). PatientInnen, die in der HADS-D auffällig sind (Depressionsscore oder
Angstscore ≥11), sind sowohl körperlich (M=40,4; p=0,015) als auch psychisch
(M=36,7; p<0,001) signifikant stärker belastet als HADS-D Unauffällige.
Praxisbesuche und Arbeitsunfähigkeit
Die PatientInnen der Stichprobe (n=135) haben im Jahr 1998 im Durchschnitt
M=17,65 (SD=15,53; Median 13,5) Praxiskontakte gehabt (Maximum 83 Praxiskontakte). Der Unterschied in der Anzahl der Praxiskontakte zwischen den im SOMS-2
nach SSI-4/6-Kriterien Auffälligen (M=19,3 Praxiskontakte) und den im SOMS-2 Unauffälligen (M=13,8) ist statistisch nicht signifikant, aber tendenziell (p=0,058). „comorbid Somatizers“ hatten signifikant mehr Praxiskontakte (M=27,8) als „discrete Somatizers“ (M=16,7; p=0,023).
61
Abb. 6: Häufigkeit der Praxisbesuche
28
19
17
1414
<4/6
≥4/6
SOMS-2
HADS-D
p=0,058
≥4/6
neg.
≥4/6
pos.
(comorbid S.)
p=0,023
Angaben zur Arbeitsunfähigkeit machten 97 PatientInnen. Die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage weist eine große Spannbreite von 0 bis 300 Fehltagen auf, daher
können die Mittelwerte nicht verglichen werden. PatientInnen, die im SOMS-2 nach 4/6
Kriterien auffällig sind, sind signifikant häufiger arbeitsunfähig (p=0,041, s. Abb.7).
Abb.7: Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage
100
94
80
75
60
40
SSI-4/6 im SOMS
Prozent
20
14
11
6
0
kein Tag
1-5 Tage
Arbeitsunfähigkeit
mehr als 5 Tage
unauffällig
auffällig
62
5.4
Mini-DIPS Auswertung
N=36 PatientInnen, die im SOMS-2 mehr als 4 bzw. 6 Symptome angeben,
nehmen an einem diagnostischen Interview teil. Die interviewten PatientInnen sind repräsentativ für die Gruppe der SOMS-2 Auffälligen in der Praxis. Sie unterscheiden
sich von den übrigen SOMS-2 auffälligen PatientInnen nicht im Hinblick auf die soziodemografischen Daten, den Mittelwert der Symptomanzahl im SOMS-2, den Mittelwert des HADS-D Score, den körperlichen oder psychischen Summenscore des SF-12
(s. Tabelle 3 und Tabelle 13). Tendenziell sind die interviewten PatientInnen etwas älter. Die im Mini-DIPS untersuchten PatientInnen haben signifikant mehr Praxiskontakte
(M=26,8) als SOMS-2 Auffällige (M=19,3; p=0,018).
In Tabelle 12 sind alle psychischen Diagnosen aufgelistet, die nach dem Interview nach ICD-10 vergeben wurden. Im Interview wird jeweils nur eine Diagnose einer
somatoformen Störung vergeben. Die Diagnose einer Somatisierungsstörung und einer
hypochondrischen Störung ist selten (je 1 PatientIn), dagegen haben 42% (n=15) mehr
als 4 bzw. 6 Symptome im Interview (undifferenzierte Somatisierungsstörung). Der
Gesamtanteil von somatoformen Störungen beträgt im Interview n=28 (78%). Da nur
PatientInnen zum Interview geladen wurden, die in der Selbstbeurteilung die SSI-4/6Kriterien im SOMS-2 erfüllt haben, bedeutet dies, dass 22% der PatientInnen im Interview doch weniger als 4 bzw. 6 Symptome aufweisen. Insgesamt geben 64,7% (n=11)
der Männer mindestens 4 Symptome und 73,7% (n=14) der Frauen mindestens 6 Symptome im Interview an.
Bei 41,7% (n=15) der PatientInnen wurde in den vergangenen 4 Wochen eine
Angststörung (Panikstörung mit /ohne Agoraphobie, generalisierte Angststörung, soziale Phobie), bei 30,6% (n=11) eine affektive Störung (leichte-, mittelgradige-, rezidivierende depressive Episoden, Zyklothymie, Dysthymie), und bei 11,1% (n=4) eine
Abhängigkeit von Medikamenten, Alkohol und Drogen (inkl. Methadon-Substitution
unter ärztlicher Betreuung) diagnostiziert.
PatientInnen, bei denen im Mini-DIPS eine somatoforme Störung festgestellt
wurde, haben in 68% (n=19) eine Komorbidität mit einer anderen psychischen Störung.
Bei 47% besteht eine Komorbidität einer somatoformen Störung mit einer Angststörung, bei 32% eine Komorbidität mit einer affektiven Störung und bei 14% mit einer
Abhängigkeitserkrankung.
Im Mini-DIPS wird bei 11,1% (n=4) der PatientInnen keine psychische Diagnose vergeben, 38,9% (n=14) erhielten eine, 27,8% (n=10) zwei und 22,2% (n=8) drei
63
psychische Diagnosen (inklusive der Diagnose einer undifferenzierten somatoformen
Störung. Zusätzlich wird als Lifetime- Komorbidität bei 11,1% (n=5) der PatientInnen
eine posttraumatische Belastungsreaktion festgestellt. Diese PatientInnen hatten zum
Teil als Kind, zum Teil als junge Erwachsene schwere Belastungssituationen erlebt, die
sie bis heute als nicht verarbeitet bezeichneten.
Tab. 12: Aktuelle psychische Diagnose nach ICD-10 im Mini-DIPS
Kategorien
Diagnosen
Keine psychische Diagnose
Anzahl
4
Abhängigkeit / schädlicher Gebrauch F1
Alkohol F10
Methadon F13
Multipler Substanzgebrauch F19
2
1
1
3
1
1
3
3
Phobische Störungen F40
Agoraphobie ohne Panikstörung F40.00
Soziale Phobien F40.1
Spezifische Phobien F40.2
Zwangsstörung F42
11,1%
11
30,6%
7
3
2
2
Sonstige Angststörungen F41
Panikstörung F41.0
Generalisierte Angststörung F41.1
4
11,1%
4
Affektive Störung F30
Depressive Episode, leicht F32.01
Depressive Episode, mittelgradig F32.11
Depressive Episode, schwer F32.2
Zyklothymia F34.0
Dysthymia F34.1
Summe
4
4
1
19,4%
8
22,2%
1
2,8%
Reaktionen auf schwere Belastungen und
Anpassungsstörungen F43
4
11,1%
Somatoforme Störungen F45
Somatisierungsstörung F45.0
Undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.1
Hypochondrische Störung F45.2
Somatoforme autonome Funktionsstörung F45.3
Somatoforme SchmerzstörungF45.4
4
28
1
15
1
6
5
77,8%
64
In Tabelle 13 werden abschließend wichtige Kennwerte des SOMS-2, der
HADS-D und des SF-12 bezogen auf die Stichprobe, auf die Auffälligkeit im SOMS-2,
auf die Auffälligkeit nach den Kriterien einer „polysymptomatischen somatoformen
Störung“ (PSS-7) und auf den Mini-DIPS zusammenfassend dargestellt.
Tab. 13: Übersicht Kennwerte SOMS-2, HADS-D, SF-12
Alter
Stichprobe
SSI-4/6
PSS-7
MiniDIPS
N=36
N=135
N=79
N=58
M
36,50
37,66
39,16
41,4
58,6
40,50
p=0,064
47,2
52,8
13,53
12,47
Geschlecht:
Männlich
Weiblich
%
%
43,7
56,3
SOMS-2
Symptomanzahl
M
7,47
51,3
48,8
p=0,014
11,23
HADS-D
Angstscore
M
6,72
7,44
8,02
8,19
Depressionsscore
M
5,15
p=0,005
5,54
p=0,005
6,04
5,88
Gesamtsore
M
11,87
12,99
14,06
14,06
M
44,97
p=0,005
44,21
p=0,005
42,71
41,58
M
49,04
47,58
p=0,015
46,24
47,27
SF-12 Körperlicher Summenscore
Psychischer Summenscore
p=0,048 p=0,013
Anmerkung:
Signifikanzen in der Spalte „SSI-4/6“und „PSS 7“ beziehen sich auf die Stichprobe, Signifikanzen in der Spalte „Mini-DIPS“ beziehen sich auf die SSI-4/6-Auffälligen (da nur PatientInnen
mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen interviewt wurden)
65
6 Diskussion
Zwei Aspekte werden diskutiert: In einem ersten Teil geht es um den Aufbau der
Studie, die Beteiligung und evt. vorhandene systematische Fehler. In einem zweiten
Teil werden die Ergebnisse in der Reihenfolge der in Kapitel 3 gestellten Fragen diskutiert.
Die hier beschriebene Studienpopulation ist wie in Abschnitt 4.3 beschrieben, als
repräsentativ für eine Landarztpraxis einzustufen. Die Stichprobe unterscheidet sich im
Vergleich zu anderen Studie vorwiegend in der Schulbildung. In der hier vorliegenden
Studie nehmen vorwiegend PatientInnen mit Volks- oder Hauptschulabschluss teil, weniger PatientInnen mit Abitur. Diese Auffälligkeit ist als charakteristisches Merkmal für
die Landbevölkerung zu werten.
Die Beteiligung in der hier vorliegenden Studie liegt bei 37,5%. Die Teilnahme
an der Studie ist freiwillig. Es könnte sein, dass es für PatientInnen einer ländlichen
Praxis sehr ungewöhnlich ist und sie wenig motiviert sind, an einer wissenschaftlichen
Studie teilzunehmen. In dieser Studie wurde nach der Definition von LINDEN et al.
(1996) die „Inanspruchnahmepopulation“ untersucht (s. Abschnitt 2.2). Dies könnte
mitverursachend für eine niedrigere Beteiligungsrate sein. PatientInnen, die zu einer
Untersuchung oder Therapie (z.B. Labor, EKG, Reizstrom) einbestellt waren oder ein
Rezept oder einen Überweisungsschein abholten, hatten in der Regel keine Wartezeiten
im Wartezimmer. PatientInnen mit Wartezeiten konnten durch das Ausfüllen des Fragebogens die Wartezeit überbrücken und waren vermutlich eher motiviert, an der Studie
teilzunehmen.
Es stellt sich die Frage: Wodurch unterscheiden sich die PatientInnen, die bereit
sind, an der Studie teilzunehmen von PatientInnen, die die Studie ablehnen? Alle PatientInnen, die die Praxis im Untersuchungszeitraum aufsuchen, werden mit Alter und
Geschlecht registriert. Das Durchschnittsalter der PatientInnen, die an der Studie teilnehmen, ist signifikant niedriger, als bei den PatientInnen, die die Studie ablehnen. In
der Geschlechtsverteilung unterscheidet sich die untersuchte Stichprobe nicht von den
PatientInnen zwischen 18 und 60 Jahren.
Ob sich die teilnehmenden und die ablehnenden PatientInnen im Hinblick auf
die Anzahl der präsentierten somatoformen Symptome unterscheiden, ist schwer abzuschätzen. Zum einen könnten PatientInnen, die keinerlei körperliche Symptome ohne
organische Ursache haben, sich nicht angesprochen fühlen, einen solchen Fragebogen
66
auszufüllen bzw. sich PatientInnen mit somatoformen Symptomen besonders angesprochen fühlen. Vielleicht schöpfen sie Hoffnungen auf eine bessere Behandlungsmethode.
So könnte es sein, dass relativ mehr PatientInnen mit somatoformen Symptomen teilnehmen. Es könnte aber auch sein, dass PatientInnen mit unerklärten körperlichen Symptomen nicht erkannt werden wollen und daher eine Studienteilnahme ablehnen. Die
durchschnittliche
Symptomanzahl
liegt
bei
einer
unselektierten
Stichprobe
(POMMERSHEIM 2001, s. Abschnitt 4.3) sehr ähnlich der hier ermittelten durchschnittlichen Symptomanzahl von 7,47 Symptomen. Dagegen liegt bei der selektierten
Stichprobe von FRITZSCHE und WIRSCHING (2002), die nur PatientInnen einschließt, die mindestens 4/6 Symptome im SOMS aufweisen, die durchschnittliche
Symptomanzahl mit 13,76 Symptomen deutlich höher als in der hier vorliegenden Studie. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Studienpopulation der hier
vorliegenden Studie eine unselektive Stichprobe umfasst und auch hinsichtlich der Anzahl der somatoformen Symptome weitgehend als repräsentativ für eine ländliche Hausarztpraxis gilt.
Die interviewten PatientInnen sind repräsentativ für die Gruppe der SOMS-2
Auffälligen in der Praxis. Sie unterscheiden sich von den übrigen SOMS-2 auffälligen
PatientInnen nicht im Hinblick auf die Geschlechtsverteilung, den Familienstand, die
Schulbildung, die Berufstätigkeit, die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage, den Mittelwert der Symptomanzahl im SOMS-2, den Mittelwert des HADS-D Score, den körperlichen oder psychischen Summenscore des SF-12 (s. Tabelle 3 und 13). Die interviewten PatientInnen sind tendenziell etwas älter (40,5 Jahre) als die übrigen SOMS-2 auffälligen (37,6 Jahre). Auffällig ist eine erhöhte Berufsunfähigkeitsrate (21,2% statt
13,9%) und signifikant auffällig ist die Anzahl der Praxisbesuche (M=26,8 statt M=19,3
Konsultationen). PatientInnen, die häufiger die Praxis aufsuchen, erklären sich also eher
zu einem diagnostischen Interview bereit. Das lässt sich am ehesten dadurch begründen,
dass ein Teil der PatientInnen bei einem nächsten Praxiskontakt auf das Interview angesprochen wird, bzw. dass auch die PatientInnen, die nach telefonischer Einladung am
Interview teilnehmen, die stärkere Bindung zur Praxis haben.
Zu der hier vorliegenden Studie muss kritisch angemerkt werden, dass nur etwa
die Hälfte der SOMS-2 Auffälligen zu einem Interview motiviert werden konnte. Es
wäre wünschenswert, möglichst alle auffälligen PatientInnen mittels Fremdbeurteilung
zu untersuchen. Es ist weiterhin zu kritisieren, dass der Mini-DIPS nur eingeschränkt
aussagekräftig zur Diagnosestellung einer somatoformen Störung ist. Im Mini-DIPS
67
sind nicht die Symptomlisten enthalten, die für die Diagnose einer somatoformen Störung nach DSM-IV oder ICD-10 nötig sind. Der Mini-DIPS ist vorwiegend zur Diagnosestellung von psychischen Störungen nach DSM-IV entwickelt worden.
In bisherigen Studien wurde die Prävalenz von somatoformen Störungen in der
Hausarztpraxis sehr unterschiedlich angegeben (s. Abschnitt 2.2). Im deutschsprachigen
Raum wurden in den vergangenen 5 Jahren einige Studien zu somatoformen Störungen
durchgeführt. Die WHO-Studie beschrieb eine Häufigkeit der Somatisierungsstörung in
hausärztlichen Praxen in Deutschland von 2% (LINDEN et al. 1996). Die meisten Studien beschreiben die Häufigkeit somatoformer Störungen in der Primärversorgung zwischen 20 und 50%. Es wird auch in dieser Studie eine Häufigkeit des multiplen somatoformen Syndroms zwischen 20 und 50% erwartet.
In der hier vorliegenden Studie sind 58,5% der PatientInnen nach den SSI-4/6
Kriterien im SOMS-2 auffällig. Der Durchschnitt der erlebten körperlichen Symptome
beträgt 7,47 (Median 5,5). Es sind mehr StudienteilnehmerInnen als erwartet im SOMS2 auffällig. Es sind mehrere Gründe für die höhere Auffälligkeit zu diskutieren.
Als erstes muss bedacht werden, dass der SOMS-2 ein Screeninginstrument ist,
das eine hohe Sensitivität (98%), jedoch eine niedrigere Spezifität (73%) besitzt. Eine
Auffälligkeit im SOMS-2 mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen kann also nicht
gleich gesetzt werden mit einem multiplen somatoformen Symptom. Bei einer Selbstbeurteilung muss mit einer Überschätzung somatoformer Beschwerden gerechnet werden (s. Abschnitt 4.4). Im SOMS-2 fehlen Schweregradkriterien. Dadurch besteht nach
HILLER und RIEF (1998) das Risiko, dass Symptome kodiert werden, denen kein eigentlicher Krankheitswert zukommt. Die Diagnose einer somatoformen Störung wird
erst mittels Interview gestellt.
Wie bereits in Abschnitt 4.4 beschrieben, wurde der SOMS-2 bei einer früher
durchgeführten Studie an Berliner Hochschulen eingesetzt (LIEB 1996). Der Durchschnitt der erlebten körperlichen Symptome betrug M=5,9 (Median 4,5). Bei einer anderen Untersuchung wurde der SOMS-2 unauffälligen Personen aus dem Großraum Dresden vorgelegt (ELEFANT 1996, RIEF et al. 1997). Der Durchschnitt der erlebten körperlichen Symptome betrug M=5,1 (Median 3). In einer psychosomatischen Klinik eingesetzt (RIEF et al. 1997), betrug der Mittelwert der Beschwerden von PatientInnen mit
psychischen und psychosomatischen Störungen im SOMS-2 M=15,0 (Median 13,5).
Die Symptomanzahl im SOMS-2 bei den PatientInnen der hier vorliegenden Studie liegt
68
mit durchschnittlich M=7,47 Symptomen (Median 5,5) zwischen weitgehend gesunden
Personen und PatientInnen einer psychosomatischen Klinik.
Durch die unterschiedlichen Symptomlisten in den beiden Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV bedingt sich ein Häufigkeitsunterschied in der Diagnose einer somatoformen Störung. FINK et al. (1999) verglichen in ihrer Studie DSM-IV und
ICD-10 Diagnosen beim gleichen Kollektiv. Eine somatoforme Störung diagnostizierten
sie mehr als doppelt so häufig nach DSM-IV als nach ICD-10.
Studien, in denen die Prävalenz eines multiplen somatoformen Syndroms (SSI4/6) untersucht wurde, benutzten die DSM-III oder die DSM-III-R Symptomliste mit
insgesamt 35 möglichen Symptomen. Im DSM-IV sind 33 mögliche Symptome für das
Vorliegen einer Somatisierungsstörung aufgeführt. In dieser Studie wird die gesamte
Symptomliste des SOMS-2 mit 53 möglichen Symptomen eingesetzt, alle Symptome,
die im DSM-IV und in der ICD-10 erwähnt werden.. Somit ist in dieser Studie die
Auswahl der Symptome deutlich größer und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass
mehr Symptome angegeben werden. Für einen Studienvergleich müssten genau genommen die Symptomliste des DSM-III oder DSM-III-R zugrunde gelegt werden. In
dieser Studie erfüllen 49,6% der PatientInnen im SOMS-2 die 4/6 Kriterien des DSMIV und 7,3% der PatientInnen die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV.
In der ICD-10 sind 14 mögliche Symptome für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung aufgeführt. In dieser Studie erfüllen 3,6% der PatientInnen die Kriterien
einer Somatisierungsstörung nach ICD-10. 22,3% der PatientInnen erfüllen die Kriterien einer „somatoformen autonomen Funktionsstörung“ nach ICD-10 im SOMS-2. Es
wurde in bisherigen Studien nicht die Symptomliste des ICD-10 zugrunde gelegt, um
die SSI-4/6 Kriterien anzuwenden. Es gibt somit keinen Studienvergleich. 30,4% der
PatientInnen haben in dieser Studie mehr als 4/6 somatoforme Symptome nach der
Symptomliste der ICD-10. Obwohl die Symptomliste der ICD-10 und des DSM-IV verschieden sind, erfüllen alle PatientInnen, die die 4/6 Kriterien nach der Symptomliste
der ICD-10 erfüllen, auch die 4/6 Kriterien nach der Symptomliste des DSM-IV. Das ist
eine erstaunliche Übereinstimmung. Die Übereinstimmung kann einerseits damit erklärt
werden, dass einige der meistgenannten Symptome in beiden Symptomlisten aufgeführt
werden (Bauchschmerzen, Gelenkschmerzen, Schmerzen in Armen und Beinen, Völlegefühl). Nach RIEF (1998) könnte eine weitere Erklärung für die Übereinstimmung
sein, dass die Anzahl von körperlichen Beschwerden in den unterschiedlichen Symptomlisten korreliert. Das bedeutet, dass Personen, die nach einem Klassifikationsansatz
69
viele somatoforme Symptome haben, auch nach einer anderen Symptomliste aller
Wahrscheinlichkeit nach viele Symptome aufweisen. Betrachtet man die PatientInnen,
die nach DSM-IV mehr als 4/6 Symptome angeben, ist in dieser Studie die durchschnittliche Symptomanzahl der PatientInnen, die nach ICD-10 mehr als 4/6 somatoforme Symptome aufweisen, signifikant höher (M=14,3) als bei PatientInnen, die nach
ICD-10 weniger als 4/6 Symptome angeben (M=9,0).
Wie erwartet ist der Anteil der PatientInnen, die im SOMS-2 die Kriterien einer
Somatisierungsstörung nach DSM-IV oder ICD-10 erfüllen, niedrig. Die Diagnosezuweisung nach beiden Symptomlisten zeigt deutliche Unterschiede. Nur 1 Patientin
(1,2%) erfüllt sowohl die Kriterien der Somatisierungsstörung nach ICD-10 als auch
nach DSM-IV. Dabei ist zu bemerken, dass nur 84 von insgesamt 135 PatientInnen alle
Zusatzfragen, die als Ein- und Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung gelten, beantworten. Die nach 4/6 Kriterien Auffälligen geben signifikant
häufiger ein Anhalten der Beschwerden seit über 2 Jahren an und beschäftigen sich signifikant häufiger mit Schmerzen seit mehr als 6 Monaten.
43% der PatientInnen erfüllen die in neueren Studien befürworteten Kriterien
mit einem Cut-off von 7 Symptomen, aus der empirisch validierten Symptomliste von
32 Symptomen (RIEF, HILLER 1999). In dieser Gruppe sind alle PatientInnen, die im
SOMS-2 die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, die also höchst auffällig sind, eingeschlossen. Die von RIEF und HILLER (1999)
gewählte Schwelle von mindestens 7 Symptomen aus einer Symptomliste von 32 Symptomen zeigt in dieser Studie mehr signifikante Auffälligkeiten. PatientInnen mit mindestens 7 Symptomen fühlen sich signifikant häufiger beeinträchtigt im Wohlbefinden
oder im Alltagsleben, es wurde signifikant häufiger keine Ursache für ihre Beschwerden
gefunden und ihre Beschwerden halten signifikant häufiger länger als 2 Jahre an.
Es ist zu diskutieren und in weiteren Studien zu prüfen, ob der Cut-off von 4/6
Symptomen nicht zu niedrig angesetzt ist und die hohe Sensitivität zu sehr auf Kosten
der Spezifität geht. Der SOMS-2 ist ein hilfreiches und doch einfaches Mittel, um PatientInnen mit einer somatoformen Störung zu erkennen. Bei einer Auffälligkeit von fast
60% mit mehr als 4/6 somatoformen Symptomen werden HausärztInnen jedoch erneut
vor Probleme gestellt: Welche PatientInnen sind beeinträchtigt durch ihre somatoformen Symptome? Welche PatientInnen sind behandlungsbedürftig?
70
In den meisten Studien zu Geschlechtsunterschieden geben Frauen im Durchschnitt mehr somatoforme Symptome an als Männer (ESCOBAR et al. 1989,
MIRANDA et al. 1991, PORTEGIJS et al. 1996, PEVELER et al. 1997, TRESS et al.
1997, KROENKE et al. 1997, ESCOBAR et al. 1998). Dies wird zum Teil damit begründet, dass nach der Symptomliste des DSM Frauen mehr Symptome zur Auswahl
haben (GOLDING et al. 1991). Im hier beschriebenen PatientInnenkollektiv haben
Frauen eine etwas höhere durchschnittliche Symptomanzahl (8,0) im SOMS-2 als Männer (6,8), sie unterscheiden sich jedoch nicht signifikant. Erstaunlich erscheint zunächst,
dass nach 4/6 Kriterien im SOMS-2 signifikant mehr Männer (71,2%) als Frauen
(44,5%) auffällig sind. Auch in anderen Studien, in denen der SOMS-2 eingesetzt wurde, erfüllen Männer eher die SSI-4/6 Kriterien als Frauen. In der Studie von LIEB
(1996) sind 54% der Männer und 49% der Frauen auffällig. Nach RIEF et al. (1997)
sind in der Studie von ELEFANT (1996) 46% der Männer und 26% der Frauen auffällig.
Die Somatisierungsstörung war vor allem nach DSM Kriterien in der Literatur
deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern beschrieben worden (SWARTZ et al.
1987, NEUMER et al. 1998). In der hier vorliegenden Studie hat kein Mann die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV im SOMS-2 erfüllt, dagegen 7 Frauen. In
der untersuchten Stichprobe sind Männer also nicht generell auffälliger als Frauen.
Es stellt sich die Frage, was ESCOBAR et al. (1989) bewogen hat, die Schwelle
für die Diagnose einer somatoformen Störung bei Männern und Frauen unterschiedlich
festzulegen. ESCOBAR et al. (1989) geben eine empirische Begründung für die geforderte Symptomanzahl an. Durch den gewählten Cut-off unterschieden sich hispanische
und nicht-hispanische schizophrene PatientInnen. LIEB (S. 39, 1996) bezeichnet diese
Begründung als „nicht unproblematisch“. PORTEGIJS et al. (1996) wählten nicht den
von Escobar vorgeschlagenen Cut-off von 4/6 Symptomen, sondern forderten 5 Symptome für beide Geschlechter. In der hier vorliegenden Studie hat ein recht großer Anteil der Männer (29%) genau 4 Symptome. Wird der Cut-off von 7 Symptomen der geschlechtsunabhängigen Symptomliste angewandt, sind Männer und Frauen in dieser
Studie etwa gleich häufig betroffen.
Der Selbstbeurteilungsfragebogen HADS-D wurde zur Erfassung der psychischen Symptomatik von Ängstlichkeit und Depressivität eingesetzt. Für gesunde deutsche Kontrollpersonen beträgt der Mittelwert auf der Angstsubskala 5,8, auf der De-
71
pressionssubskala 3,4 (HERRMANN et al. 1995). In der hier vorliegenden Studie beträgt der Mittelwert auf der Angstsubskala 6,7 und auf der Depressionssubskala 5,2,
also erwartungsgemäß in beiden Subskalen höher als bei gesunden Kontrollpersonen.
Bei
weltweiten
Untersuchungen
in
Allgemeinpraxen
und
allgemein-
internistischen Polikliniken wurde eine Prävalenz von 16-34% der Angst-Auffälligen
und 13-20% der Depressions-Auffälligen beschrieben (bei einem Cut-off von ≥11 bei
jeder der beiden Subskalen, HERRMANN et al. 1995). In der hier vorliegenden Studie
haben 15,1% auffällige Angstwerte und 11,3% auffällige Depressionswerte (ebenfalls
bei einem Cut-off von ≥11 bei jeder der beiden Subskalen). Die Häufigkeiten sind damit
etwas niedriger als in der Literatur angegeben. Es stellt sich die Frage, wie es zu erklären ist, dass im SOMS-2 eine hohe Auffälligkeit, in der HADS-D dagegen eine niedrigere Auffälligkeit als erwartet angegeben wird. Auch die HADS-D ist ein Selbstbeurteilungsinstrument. Es könnte sein, dass die PatientInnen gerade auf dem Land es vor
sich und der Untersucherin nicht zugeben wollen, dass sie unter Ängstlichkeit und Depressivität leiden. Es könnte sein, dass es tendenziell als Makel empfunden wird, an
psychischen Symptomen zu leiden und das Präsentieren körperlicher Symptome sozial
eher anerkannt ist.
Verschiedene Studien haben eine hohe Komorbidität von Angststörungen und
affektiven Störungen mit somatoformen Störungen gezeigt, wobei die Häufigkeit der
Komorbidität von der Schwere der somatoformen Störung bzw. der Symptomanzahl
abhing. In dieser Studie sind ein Viertel der PatientInnen, die mehr als 4/6 Symptome
im SOMS-2 angaben, auch in der HADS-D auffällig („comorbid somatizers“). Die
nach 4/6 Kriterien auffälligen PatientInnen haben in dieser Studie einen signifikant höheren Angst- und / oder Depressionsscore in der HADS-D. Umgekehrt haben auch die
HADS-D Auffälligen eine signifikant höhere Symptomanzahl im SOMS-2. In einer
Studie von KATON et al. (1991) wurde bei steigender Anzahl somatoformer Symptome
eine Zunahme von Ängstlichkeit und Depressivität beschrieben. Diese Korrelation bestätigt sich in der hier vorliegenden Studie. Mit einem Wert von r=0,40 ist die Korrelation durchaus als mittelgradig einzuschätzen. Es kann nur bestärkt werden, dass ÄrztInnen der Primärversorgung aufmerksam psychische Symptome eruieren sollten, wenn sie
das Vorliegen von somatoformen Symptomen vermuten.
In der hier vorliegenden Studie sind die insgesamt am häufigsten genannten
Symptome im SOMS-2: Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen in den Armen
oder Beinen, Bauchschmerzen, Gelenkschmerzen und Völlegefühl. PatientInnen mit
72
erhöhter Ängstlichkeit / Depressivität klagen signifikant mehr über außergewöhnliche
Müdigkeit bei leichter Anstrengung, Hitzewallung oder Erröten, unangenehme Kribbelgefühle, Schwierigkeit beim Schlucken oder Kloßgefühl, Völlegefühl, Druckgefühl in
der Herzgegend und Schweißausbrüche. Ängstliche PatientInnen geben zusätzlich signifikant häufiger Herzrasen oder Herzstolpern an.
Die Diagnosestellung nach ICD-10 im Interview in der hier vorliegenden Studie
zeigt, dass 78% der im SOMS-2 nach SSI-4/6 Kriterien auffälligen PatientInnen die
Diagnose einer somatoformen Störung (Somatisierungsstörung, undifferenzierte somatoforme Störung, hypochondrische Störung, somatoforme autonome Funktionsstörung und somatoforme Schmerzstörung) erhielten. 22% hatten keine somatoforme Diagnose im Mini-DIPS, obwohl sie im SOMS-2 mehr als 4 bzw. 6 Symptome aufwiesen.
Die Anzahl der im Interview berichteten somatoformen Symptome war grundsätzlich
niedriger als die im SOMS-2 angegebene. Im Interview bezeichneten die PatientInnen
einige ihrer im SOMS-2 angegebenen Beschwerden als „nicht so gravierend“, „doch
erklärbar“ oder „nur vorübergehend“.
Der Anteil der Falsch-Negativen wurde nicht erfasst, da nur die nach SSI-4/6
Kriterien SOMS-2 -Auffälligen zum Interview bestellt wurden. Die Sensitivität des
SOMS-2 ist jedoch so hoch (98%), dass nur wenige falsch-negative Ergebnisse zu erwarten sind. Im Interview geben 64,7% der Männer mindestens 4 Symptome und 72,2%
der Frauen mindestens 6 Symptome an. Der Gesamtanteil der PatientInnen mit mehr als
4/6 somatoformen Symptomen kann nach dem Interview auf etwa 46% geschätzt werden. Die Diagnosen wurden nach den Kriterien der ICD-10 gestellt. Zur Diagnosestellung eines multiplen somatoformen Syndroms (SSI-4/6) wurde allerdings die gesamte
Symptomliste des SOMS-2 eingesetzt und nicht nur die Symptomliste der ICD-10. Wegen der deutlich erhöhten Symptomanzahl im SOMS-2 von 53 Symptomen, ist die Rate
der PatientInnen mit multiplem somatoformen Syndrom in dieser Studie höher, als bei
Einsatz der ICD-10 Symptomliste zu erwarten gewesen wäre. Während bei einer
Selbstbeurteilung mit einer Überschätzung somatoformer Symptome gerechnet werden
muss, kann es bei einer Fremdbeurteilung (Interview) zu einer Unterschätzung somatoformer Symptome kommen. Auch das Interview ist mit einer gewissen Fehlerquelle
behaftet, es gibt bestenfalls eine Schätzung des „wahren Wertes“ wieder (RIEF et al.
1997, S. 25).
73
Im Interview wird bei 42% eine Angststörung, bei 31% eine affektive Störung
diagnostiziert, 11% sind Medikamenten-, Alkohol- oder Drogenabhängig, bei 11%
wurde eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostiziert. In der Literatur wird
eine Komorbidität einer „abridged somatization disorder“ (SSI-4/6) mit anderen psychischen Störungen in 56-64% beschrieben (MIRANDA et al. 1991, ESCOBAR et al.
1989). Allgemein wird bei somatoformen Störungen eine Komorbidität mit anderen
psychischen Störungen in 36-73% beschrieben (FINK et al. 1999, SPITZER et al.
1995). In dieser Studie werden die in der Literatur angegebenen Komorbiditätsraten
bestätigt. Von den PatientInnen, bei denen eine somatoforme Störung im Mini-DIPS
festgestellt wurde, haben 68% eine aktuelle Komorbidität mit einer anderen psychischen
Störung. Bei 47% besteht eine Komorbidität einer somatoformen Störung mit einer
Angststörung, bei 32% eine Komorbidität mit einer affektiven Störung, bei 14% mit
einer Abhängigkeitserkrankung. Bei 18% der PatientInnen mit einer diagnostizierten
somatoformen Störung im Mini-DIPS wurde eine posttraumatischen Belastungsreaktion
diagnostiziert.
Der
Durchschnittswert
der
körperlichen
Summenskala
der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität für die gesunde deutsche Normalbevölkerung
beträgt 49,03 (BULLINGER und KIRCHBERGER 1998). Für PatientInnen mit akuten
oder chronischen Erkrankungen wird ein Wert von 46,32 angegeben. In der hier vorliegenden Studie liegt der Mittelwert der körperlichen Summenskala niedriger. Er beträgt
in der Stichprobe (N=135) 44,97. Dieser Wert ist vergleichbar mit dem Wert von PatientInnen mit akuten Rückenschmerzen 44,43 (BULLINGER und KIRCHBERGER
1998). Der Durchschnittswert der psychischen Summenskala der gesunden deutschen
Normalbevölkerung beträgt 52,24, bei PatientInnen mit akuten oder chronischen Erkrankungen beträgt der Durchschnittswert 51,24. In der hier vorliegenden Studie ist
auch der Mittelwert für die psychische Summenskala niedriger, er beträgt bei der Stichprobe 49,04. Auffällig ist also sowohl bei der körperlichen als auch bei der psychischen
Summenskala ein schlechterer Wert als der Mittelwert, der bei über 1890 Personen mit
akuten oder chronischen Erkrankungen bestimmt wurde. Im Folgenden werden jedoch
nur die relativen Unterschiede, die innerhalb der Praxis festgestellt wurden, verglichen:
Nach einer Studie von ESCOBAR et al.(1998) fühlten sich PatientInnen mit einer „abridged somatization disorder“ signifikant häufiger körperlich beeinträchtigt als
PatientInnen mit weniger als 4/6 somatoformen Symptomen. In der PRIME-MD Studie
74
von SPITZER et al. (1995) fühlten sich PatientInnen mit somatoformen Störungen überraschenderweise in der körperlichen Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt.
In der hier vorliegenden Studie gibt es interessanterweise eine signifikante psychische Einschränkung von PatientInnen, die nach 4/6 Kriterien im SOMS-2 auffällig
sind, in körperlicher Hinsicht unterscheiden sie sich nicht. Multiple somatoforme Symptome scheinen also mehr Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der PatientInnen
zu haben, als bisher angenommen. Wird ein Cut-off von 7 Symptomen angewandt, sind
die auffälligen PatientInnen in körperlicher und psychischer Hinsicht signifikant beeinträchtigter.
Hier kommt wieder die Frage auf, ob die Schwelle von mindestens 4/6 Symptomen im SOMS-2 zu niedrig angesetzt ist. PatientInnen, die mehr als 4 bzw. 6 unerklärte
körperliche Symptome im SOMS-2 haben, fühlen sich psychisch eingeschränkter. Anscheinend fühlen sie sich erst mit steigender Anzahl von somatoformen Symptomen
(mindestens 7) auch körperlich deutlich eingeschränkter. In dieser Studie unterscheiden
sich Männer und Frauen nicht in der körperlichen Summenskala des SF-12. Frauen sind
jedoch psychisch signifikant beeinträchtigter als Männer. PatientInnen zwischen 41 und
60 Jahren fühlen sich erwartungsgemäß in körperlicher Hinsicht eingeschränkter. In
psychischer Hinsicht jedoch geben die Jüngeren (18 bis 40 Jahren) tendenziell eine stärkere Beeinträchtigung an. Hinsichtlich der Auffälligkeit in der HADS-D besteht kein
altersabhängiger Unterschied.
ESCOBAR et al. (1998) untersuchten PatientInnen mit einer „abridged somatization disorder“ und verglichen die mit („comorbid somatizers“) und ohne („discrete
somatizers“) psychiatrischer Komorbidität hinsichtlich ihrer Beeinträchtigung. Sie fanden in beiden Gruppen ein ähnliches Maß an Beeinträchtigung. In der hier vorliegenden
Studie sind „comorbid somatizers“ (nach 4/6 Kriterien) sowohl körperlich als auch psychisch signifikant beeinträchtigter als „discrete somatizers“. Dieses Ergebnis liegt aber
mehr darin begründet, dass erstaunlicherweise die in der HADS-D auffälligen PatientInnen sich körperlich und psychisch hochsignifikant beeinträchtigter fühlen als HADSD unauffällige.
In der Literatur wird beschrieben, dass PatientInnen mit psychischen Störungen
„high utilizer“ des Gesundheitssystems sind (KATON et al. 1990). Auch PatientInnen
mit somatoformen Störungen fallen durch eine überdurchschnittliche Konsultationsrate
auf. In dieser Studie ist der Unterschied in der Anzahl der Praxiskontakte im Jahr 1998
75
zwischen den im SOMS-2 nach 4/6 Kriterien Auffälligen (19,3 Praxiskontakte) und den
im SOMS-2 unauffälligen (13,8 Praxiskontakte) statistisch nicht signifikant. Jedoch ist
die Anzahl der Praxiskontakte bei den „comorbide somatizers“ (27,8) signifikant höher
als bei den „discrete somatizers“ (16,7).
Übereinstimmend mit der Literatur (ESCOBAR et al. 1989, KATON et al. 1991,
KROENKE et al. 1997) werden mehr Arbeitsunfähigkeitstage bei PatientInnen mit somatoformen Störungen angegeben. PatientInnen, die im SOMS-2 auffällig sind, sind
signifikant häufiger arbeitsunfähig (25%) als SOMS-2 unauffällige PatientInnen (6%).
76
7
Zusammenfassung
Vorangegangene Studien weisen auf das häufige Vorkommen von PatientInnen
mit körperlichen Beschwerden ohne ausreichenden Organbefund hin. Bei diesen PatientInnen wird eine erhebliche psychische Belastung und eingeschränkte Lebensqualität
beschrieben. Die meisten Studien wurden in England oder USA durchgeführt. Deutsche
Hausarztpraxen wurden überwiegend in Großstädten untersucht. Bislang ist keine Studie bekannt, die diese PatientInnengruppe in einer Landarztpraxis untersucht hat. In
einer konsekutiven, repräsentativen Stichprobe wurden n=134 PatientInnen mit Hilfe
von psychometrischen Instrumenten und einem psychodiagnostischen Interview untersucht. Je nach Breite der Definition erfüllten zwischen 30% (Symptomliste ICD-10) und
59% (Fragebogen SOMS-2) PatientInnen die Kriterien für multiple somatoforme Symptome. Die Schwierigkeit der klaren Abgrenzung einzelner Krankheitsbilder und die
große Inhomogenität der Beschwerden werden diskutiert.
Ein Viertel (24%) der im SOMS-2 auffälligen PatientInnen haben erhöhte Werte
für Angst und Depressivität, korrelierend mit der Anzahl der somatoformen Symptome.
78% der im SOMS-2 auffälligen PatientInnen erfüllen die Kriterien für eine somatoforme Störung nach ICD-10. 47% dieser PatientInnen haben zusätzlich eine Angststörung und 32% eine affektive Störung. Die Belastung durch körperliche Beschwerden
und psychische Begleitsymptomatik führt auch im Vergleich zu den unbelasteten PatientInnen zu einer signifikanten Einschränkung der Lebensqualität.
Auch im ländlichen Bereich finden sich eine hohe Anzahl von PatientInnen mit
körperlichen Beschwerden ohne ausreichenden Organbefund, psychischer Begleitsymptomatik und eingeschränkter Lebensqualität. Diese PatientInnen sollten rechtzeitig
erkannt und behandelt werden, um eine Chronifizierung der Beschwerden, der psychischen Belastungen und der damit verbundenen Gesundheitskosten zu vermeiden.
77
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83
Anhang
I Tab. A1: Somatoforme Störungen im Vergleich der beiden Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV
ICD-10
Somatisierungsstörung
F 45.0
DSM-IV
Somatisierungsstörung
300.81
A) Länger als 2 Jahre andauernde Klagen
über multiple und wechselnde körperliche
Symptome, die durch keine körperliche Erkrankung erklärt werden können. Eine evt.
bekannte körperliche Krankheit erklärt
nicht die Schwere, das Ausmaß, die Vielfalt und die Dauer der körperlichen Beschwerden.
B) Ständige Sorge um die Symptome führt
zu andauerndem Leiden und mehrfachen
Konsultationen in der Primärversorgung,
beim Spezialisten oder beim Laienheiler
oder andauernder Selbstmedikation.
C) Hartnäckige Weigerung, die medizinische Versicherung zu akzeptieren, dass
keine angemessene körperliche Ursache für
die körperlichen Symptome vorliegt.
D) 6 Symptome aus einer Liste mit 14
möglichen Symptomen, Symptome aus
mindestens 2 verschiedenen Gruppen
(komplette Symptomliste in Tabelle A2.)
E) Ausschlusskriterium: Die Störung tritt
nicht ausschließlich während einer Schizophrenie, affektiven Störung oder Panikstörung auf.
A) Eine Vorgeschichte mit vielen körperlichen Beschwerden, die vor Vollendung des
30. Lebensjahres begannen und über mehrere Jahre auftraten.
Arztkonsultation wegen der Beschwerden
oder deutliche Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen
Funktionsbereichen.
B) Jedes der folgenden Kriterien muss erfüllt sein:
- 4 Schmerzsymptome
- 2 gastrointestinale Symptome
- 1-sexuelles Symptom
- 1 pseudoneurologisches Symptom
(komplette Symptomliste in Tabelle A2.)
C) Keines der Symptome von Kriterium B
kann durch einen bekannten medizinischen
Krankheitsfaktor oder eine Substanz (Droge, Medikament) erklärt werden.
D) Die Symptome sind nicht absichtlich
erzeugt oder vorgetäuscht.
84
Tab. A1
ICD-10
Undifferenzierte Somatisierungsstörung F 45.1
DSM-IV
Undifferenzierte somatoforme
Störung 300.81
A) Kriterium A, C, und E für die Somatisierungsstörung sind erfüllt, außer, dass die
Dauer der Störung hier nur mindestens 6
Monate beträgt.
B) Eines oder beide Kriterien B und D für
die Somatisierungsstörung sind nur unvollständig erfüllt.
A) Eine oder mehrere körperliche Beschwerde(n)
B) Symptome können nicht vollständig
durch einen medizinischen Krankheitsfaktor oder eine Substanz erklärt werden.
C) Symptome verursachen Leiden oder
Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
D) Die Dauer der Störung beträgt mindestens 6 Monate.
E) Die Störung wird nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt.
F)Das Symptom wird nicht absichtlich
erzeugt oder vorgetäuscht.
Hypochondrische Störung
F 45.2
Hypochondrie
300.7
A) Für mindestens 6 Monate anhaltende
Überzeugung an höchstens 2 schweren
körperlichen Erkrankungen zu leiden.
B) Die ständige Sorge verursacht andauerndes Leiden oder eine Störung des alltäglichen Lebens.
B) Medizinische Behandlungen oder Untersuchungen (oder Hilfe von Laienheilern)
werden aufgesucht.
C) Hartnäckige Weigerung, die medizinische Versicherung zu akzeptieren, dass
keine ausreichende körperliche Ursache für
die körperlichen Symptome vorliegt.
D) Die Störung tritt nicht ausschließlich
während einer Schizophrenie oder einer
affektiven Störung auf.
A) Übermäßige Beschäftigung mit der
Angst oder der Überzeugung eine ernsthafte Krankheit zu haben.
B) Trotz angemessener medizinischer Abklärung bleibt die Beschäftigung mit den
Krankheitsängsten bestehen.
C) Die Krankheitsängste sind nicht von
wahnhaftem Ausmaß und nicht auf die
äußere Erscheinung beschränkt.
D)Die Beschäftigung mit den Krankheitsängsten verursacht in klinisch bedeutsamer
Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
E) Die Dauer der Störung beträgt mindestens 6 Monate.
F) Die Beschäftigung mit den Krankheitsängsten kann nicht besser durch eine Generalisierte Angststörung, Zwangsstörung,
Panikstörung, Episode einer Major Depression, Störung mit Trennungsangst oder
durch eine andere Somatoforme Störung
erklärt werden.
85
Tab. A1
ICD-10
Dysmorphophobie
F 45.2
DSM-IV
Körperdysmorphe Störung
300.7
A) Anhaltende Beschäftigung mit einer
vom Betroffenen angenommenen Entstellung oder Missbildung.
B) Die ständige Sorge verursacht andauerndes Leiden oder eine Störung des alltäglichen Lebens. Medizinische Behandlungen, Untersuchungen oder Hilfe von
Laienheilern werden aufgesucht
C) Hartnäckige Weigerung, die medizinische Versicherung zu akzeptieren, dass
keine ausreichende körperliche Ursache für
die Entstellung vorliegt.
D) Die Störung tritt nicht ausschließlich
während einer Schizophrenie oder einer
affektiven Störung auf.
A) Übermäßige Beschäftigung mit einem
eingebildeten Mangel oder einer Entstellung in der äußeren Erscheinung.
B) Die übermäßige Beschäftigung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen,
beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
C) Die übermäßige Beschäftigung wird
nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt.
Somatoforme Autonome
Funktionsstörung (SAD) F 45.3
A) Symptome der autonomen Erregung,
die einer körperlichen Erkrankung in einem oder mehreren Systeme oder Organe
zugeordnet werden:
1. Herz und kardiovaskuläres System
2. oberer Gastrointestinaltrakt
3. unterer Gastrointestinaltrakt
4. respiratorisches System
5. Urogenitalsystem
B),C) 3 Symptome aus einer Liste mit insgesamt 12 Symptomen (s. Tab. A2).
D) Kein Nachweis einer Störung von
Struktur oder Funktion der Organe oder
Systeme.
E) Die Symptome treten nicht ausschließlich im Zusammenhang mit einer
phobischen oder einer Panikstörung auf.
(im DSM-IV gibt es keine vergleichbare
Diagnose)
86
Tab. A1
ICD-10
Anhaltende somatoforme
Schmerzstörung F 45.4
A) Mindestens 6 Monate kontinuierlicher,
an den meisten Tagen anhaltender, schwerer und belastender Schmerz.
Der Schmerz kann nicht ausreichend durch
den Nachweis einer körperlichen Störung
erklärt werden.
Der Schmerz ist Hauptfokus für die Aufmerksamkeit des Patienten.
B) Die Störung tritt nicht während einer
Schizophrenie auf oder ausschließlich während einer affektiven Störung, einer Somatisierungsstörung, einer undifferenzierten
somatoformen Störung oder einer hypochondrischen Störung.
DSM-IV
Schmerzstörung akut / chronisch
307.80 in Verbindung mit psychischen
Faktoren
307.89 in Verbindung mit sowohl
psychischen Faktoren wie einem
medizinischen Krankheitsfaktor
A) Schmerzen in einer oder mehreren
anatomischen Region(en) mit ausreichendem Schweregrad, um klinische Beachtung
zu rechtfertigen.
B) Der Schmerz verursacht Leiden oder
Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
C) Psychische Faktoren wird eine wichtige
Rolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen.
D) Das Symptom oder der Ausfall wird
nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht.
E) Der Schmerz kann nicht besser durch
eine affektive- Angst- oder psychotische
Störung erklärt werden und erfüllt nicht die
Kriterien für Dyspareunie.
Akut: Dauer weniger als 6 Monate
Chronisch: Dauer sechs Monate oder länger
Sonstige somatoforme Störungen
F 45.8
Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung 300.81
Die bei diesen Störungen geklagten Beschwerden sind nicht duerch das autonome
Nervensystem vermittelt und sind auf bestimmte Systeme oder Körperteile, z.B. die
Haut begrenzt. Morfologische Schäden
sind nicht nachweisbar. Alle Empfindungsstörungen, die nicht durch eine körperliche
Krankheit bedingt sind und in engem zeitlichen Zusammenhang mit belastenden
Ereignissen stehen, sollten hier klassifiziert
werden.
Diese Kategorie umfasst Störungen mit
somatoformen Symptomen, die nicht die
Kriterien für eine spezifische somatoforme
Störung erfüllen. Beispiele sind:
1. Scheinschwangerschaft
2. Hypochondrie von weniger als 6 Monaten Dauer
3. Nicht erklärbare körperliche Beschwerden von weniger als 6 Monaten Dauer.
Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung
F 45.9
87
Tab. A1
ICD-10
Neurasthenie
F 48.0
A) Anhaltendes und quälendes Erschöpfungsgefühl nach geringer geistiger und /
oder körperlicher Anstrengung.
B) Mindestens 1 der folgenden Symptome:
Muskelschmerzen, Benommenheit, Spannungskopfschmerz, Schlafstörung, Unfähigkeit zu entspannen, Reizbarkeit.
C) Die Betroffenen sind nicht in der Lage,
sich innerhalb eines normalen Zeitraumes
von Ruhe, Entspannung oder Ablenkung
zu erholen.
D) Die Dauer der Störung beträgt mindestens 3 Monate.
E) Die Störung tritt nicht während einer
organischen emotional labilen Störung,
einem postenzephalitischen Syndrom, einem organischen Psychosyndrom, nach
Schädelhirntrauma, einer affektiven Störung, einer Panikstörung oder einer generalisierten Angststörung auf.
DSM-IV
88
Tab. A1
ICD-10
Dissoziative Störungen
Konversionsstörungen F 44
DSM-IV
Konversionsstörungen
300.11
In der ICD-10 sind die dissoziativen Störungen eine eigenständige Gruppe mit folgender Einteilung:
F 44.0 dissoziative Amnesie
F 44.1 dissoziative Fugue
F 44.2 dissoziativer Stupor
F 44.3 Trance- und Besessenheitszustände
F 44.4 dissoziative Bewegungsstörungen
F 44.5 dissoziative Krampfanfälle
F 44.6 Dissoziative Sensibilitäts- und
Empfindungsstörung
F 44.7 Dissoziative Störungen gemischt
F 44.8 sonstige dissoziative Störungen
F 44.80 Ganser Syndrom
F 44.81 multiple Persönlichkeit
F 44.82 vorübergehende dissoziative Stö
rung im Kindes- und Jugendalter
F 44.88 sonstige näher bezeichnete disso
ziative Störungen
F 44.9 nicht näher bezeichnete dissoziative
Störung
A) Kein Nachweis einer körperlichen
Krankheit, die die für diese Störungsgruppe charakteristischen Symptome erklären
könnte.
B) Überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den dissoziativen Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen.
A) Ein oder mehrere Symptome oder Ausfälle der willkürlichen motorischen oder
sensorischen Funktionen, die einen neurologischen Krankheitsfaktor nahe legen.
B) Konflikte oder andere Belastungsfaktoren gehen dem Beginn oder der Exazerbation des Symptoms oder des Ausfalls
voraus.
C) Das Symptom oder der Ausfall wird
nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht.
D) Das Symptom oder der Ausfall kann
nicht vollständig durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, durch die Wirkung
einer Substanz oder als kulturelle sanktionierte Verhaltensformen erklärt werden.
E) Das Symptom oder der Ausfall verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen,
beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen, oder es rechtfertigt eine
medizinische Abklärung.
F) Das Symptom oder der Ausfall ist nicht
auf Schmerz oder eine sexuelle Funktionsstörung begrenzt, tritt nicht ausschließlich
im Verlauf einer Somatisierungsstörung
auf und kann nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden.
89
II Tab. A2: Körperliche Symptome bei somatoformen Störungen
Kopfschmerzen
Bauchschmerzen
Rückenschmerzen
Gelenkschmerzen
Schmerzen in Armen, Beinen
Brustschmerzen
Schmerzen im Enddarm
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
Schmerzen beim Wasserlassen
Übelkeit
Völlegefühl
Kribbeln im Bauch
Erbrechen
Aufstoßen
Schluckauf, Sodbrennen
Speisenunverträglichkeit
Appetitverlust
Schlechter Geschmack/belegte Zunge
Mundtrockenheit
Häufiger Durchfall
Flüssigkeit aus dem Darm
Häufiges Wasserlassen
Häufiger Stuhldrang
Herzrasen/stolpern
Druck in Herzgegend
Schweißausbrüche
Hitzewallung/Erröten
Atemnot
Schnelles Ein/Ausatmen
Extreme Müdigkeit
Flecken der Haut
Sexuelle Gleichgültigkeit
Unangenehme Empfindung im /am Genitalbereich
Koordinations/Gleichgewichtsstörung
Muskelschwäche/ Lähmung
Kloßgefühl
Stimmverlust
Harnverhaltung
Sinnestäuschung
Verlust von Berührungs/Schmerzempfinden
Unangenehmes Kribbeln
Sehen von Doppelbildern
Blindheit
Hörverlust
Krampfanfälle
Gedächtnisverlust
Bewußtlosigkeit
Schmerzhafte Regelblutung
Unregelmäßige Regelblutung
Übermäßige Regelblutung
Erbrechen in gesamter Schwangerschaft
Fluor Vaginalis
Impotenz
¹Somatoforme autonome Funktionsstörung,
³Polysymptomatische somatoforme Störung
DSM-IV
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
ICD-10
+
+
+
SAD ¹*
+
+
+
+
+
MSD ²
+
+
+
+
+
+
PSS 7 ³¹
+
+
+
+
+
+
+
(+)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
(+)
(+)
(+)
+
+
²Multisomatoform Disorder,
90
III Tab. A3: Körperliche Symptome bei Angst- und Panikstörung nach ICD-10
Symptome sind relevant
für eine somatoforme
Störung nach ICD-10
oder DSM-IV
Palpitationen, Herzklopfen, erhöhte
Herzfrequenz
+
Schweißausbrüche
+
Fein- oder grobschlägiger Tremor
Mundtrockenheit (nicht infolge Medikation
oder Exsikkose)
+
Atembeschwerden
+
Beklemmungsgefühl
+
Thoraxschmerzen und –missempfindungen
+
Nausea oder abdominelle Missempfindungen
(Unruhegefühl im Magen)
Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation)
oder man selbst ist nicht wirklich hier (Depersonalisation)
Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“
+
Angst zu sterben
Hitzegefühl oder Kälteschauer
Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle
+
91
IV Fragebogen: SOMS-2
Anleitung: Im folgenden finden Sie eine Liste von körperlichen Beschwerden.
Bitte geben Sie an, ob Sie im Laufe der vergangenen 2 Jahre unter diesen
Beschwerden über kürzere oder längere Zeit gelitten haben oder immer noch
leiden. Geben Sie nur solche Beschwerden an, für die von Ärzten keine genauen Ursachen gefunden wurden und die ihr Wohlgefühl stark beeinträchtigt
haben.
Ich habe die Anleitung gelesen
Ich habe in den vergangenen 2 Jahren unter folgenden
Beschwerden gelitten:
Ja
‫ٱ‬
Nein
‫ٱ‬
Ja
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
Nein
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Kopf oder Gesichtsschmerzen
Schmerzen im Bauch oder in der Magengegend
Rückenschmerzen
Gelenkschmerzen
Schmerzen in den Armen oder Beinen
Brustschmerzen
Schmerzen im Enddarm
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
Schmerzen beim Wasserlassen
10
11
12
13
14
15
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
16
17
18
19
20
21
22
23
Übelkeit
Völlegefühl (sich aufgebläht fühlen)
Druckgefühl, Kribbeln, oder Unruhe im Bauch
Erbrechen (außerhalb einer Schwangerschaft)
Vermehrtes Aufstoßen (in der Speiseröhre)
Luftschlucken, Schluckauf oder Brennen im Brust- oder
Magenbereich
Unverträglichkeit von verschiedenen Speisen
Appetitverlust
Schlechter Geschmack im Mund oder stark belegte Zunge
Mundtrockenheit
Häufiger Durchfall
Flüssigkeitsaustritt aus dem Darm
Häufiges Wasserlassen
Häufiger Stuhldrang
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
24
25
26
27
28
29
30
31
Herzrasen oder Herzstolpern
Druckgefühl in der Herzgegend
Schweißausbrüche (heiß oder kalt)
Hitzewallungen oder Erröten
Atemnot (außer bei Anstrengung)
Übermäßig schnelles Ein- und Ausatmen
Außergewöhnliche Müdigkeit bei leichter Anstrengung
Flecken oder Farbveränderung der Haut
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
92
Fragebogen: SOMS-2
32
33
Sexuelle Gleichgültigkeit
Unangenehme Empfindungen im oder am Genitalbereich
Ja
‫ٱ‬
‫ٱ‬
Nein
‫ٱ‬
‫ٱ‬
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen
Lähmung oder Muskelschwäche
Schwierigkeit beim Schlucken oder Kloßgefühl
Flüsterstimme oder Stimmverlust
Harnverhaltung oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen
Sinnestäuschungen
Verlust von Berührungs- oder Schmerzempfindungen
Unangenehme Kribbelempfindungen
Sehen von Doppelbildern
Blindheit
Verlust des Hörvermögens
Krampfanfälle
Gedächtnisverlust
Bewusstlosigkeit
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
48
49
50
51
52
Für Frauen:
Schmerzhafte Regelblutungen
Unregelmäßige Regelblutungen
Übermäßige Regelblutungen
Erbrechen während der gesamten Schwangerschaft
Ungewöhnlicher oder verstärkter Ausfluss aus der Scheide
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
53
Für Männer:
Impotenz oder Störungen des Samenergusses
‫ٱ‬
‫ٱ‬
Die folgenden Fragen beziehen sich auf die von Ihnen auf der Vorderseite und
oben genannten Beschwerden. Falls Sie keine Beschwerden hatten, können
Sie die folgenden Fragen auslassen und mit Frage 64 weitermachen.
keinmal 1-2x
54
55
56
57
58
Wie oft waren Sie wegen der genannten
Beschwerden beim Arzt?
‫ٱ‬
‫ٱ‬
Konnte der Arzt für die genannten Beschwerden eine genaue Ursache feststellen?
Wenn der Arzt Ihnen sagte, dass für die Beschwerden keine Ursache zu finden seien, konnten Sie dies akzeptieren?
Haben die genannten Beschwerden Ihr Wohlbefinden stark
beeinträchtigt?
Haben die genannten Beschwerden ihr Alltagsleben (z.B.
Familie, Arbeit, Freizeitaktivitäten) stark beeinträchtigt?
3-6x
‫ٱ‬
6-12x >12x
‫ٱ‬
‫ٱ‬
Ja
Nein
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
93
Fragebogen: SOMS-2
59
60
61
62
Nahmen Sie wegen der genannten Beschwerden Medikamente ein?
Hatten Sie jemals Panikattacken, bei denen Sie furchtbare
Angst bekamen und zahlreiche körperliche Beschwerden
empfanden, und die nach einigen Minuten oder Stunden
wieder abklangen?
Traten die geschilderten Beschwerden ausschließlich während solcher Panikattacken (Angstanfälle) auf?
Begannen die ersten Beschwerden bereits vor dem 30.
Lebensjahr?
Nein
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
unter 6
Monate
6 Monate
bis 1 Jahr
1-2
Jahre
über 2
Jahre
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
63
Wie lange halten die Beschwerden nun
schon an?
64
66
Haben Sie Angst oder sind Sie fest überzeugt, eine schwere Krankheit zu haben, ohne dass bisher von den Ärzten
eine ausreichende Erklärung gefunden wurde?
Wenn ja, haben Sie diese Angst oder Überzeugung bereits
seit mindestens 6 Monaten?
Haben Sie Schmerzen, die Sie stark beschäftigen?
67
Wenn Ja, besteht dieses Problem seit mindestens 1 Jahr?
68
Halten Sie bestimmte Körperteile von Ihnen für missgestaltet, obwohl andere Personen die Meinung nicht teilen?
65
Ja
Ja
Nein
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
‫ٱ‬
94
V Fragebogen: HADS-D
Dieser Fragebogen bezieht sich auf Ihr Befinden in der vergangenen Woche. Wir bitten
Sie, jede Frage zu beantworten und zwar so, wie es für Sie persönlich in der letzten
Woche am ehesten zutraf. Machen Sie bitte nur ein Kreuz pro Frage. Lassen Sie bitte
keine Frage aus!
1) Ich fühle mich angespannt oder überreizt
‫ ٱ‬meistens
‫ ٱ‬oft
‫ ٱ‬gelegentlich
‫ ٱ‬überhaupt nicht
8) Ich fühle mich in meinen Aktivitäten
gebremst
‫ ٱ‬fast immer
‫ ٱ‬sehr oft
‫ ٱ‬manchmal
‫ ٱ‬überhaupt nicht
2) Ich kann mich heute noch so freuen wie
früher
‫ ٱ‬ganz genau so
‫ ٱ‬nicht ganz so sehr
‫ ٱ‬nur noch ein wenig
‫ ٱ‬kaum oder gar nicht
9) Ich habe manchmal ein ängstliches Gefühl in der Magengegend
‫ ٱ‬überhaupt nicht
‫ ٱ‬gelegentlich
‫ ٱ‬ziemlich oft
‫ ٱ‬sehr oft
3) Mich überkommt eine schreckliche Vorahnung, dass etwas Schreckliches
passieren könnte
‫ ٱ‬ja, sehr stark
‫ ٱ‬ja, aber nicht zu stark
‫ ٱ‬etwas, aber es macht mir keine Sorgen
‫ ٱ‬überhaupt nicht
10) Ich habe das Interesse an meiner
äußeren Erscheinung verloren
‫ ٱ‬ja, das stimmt genau
‫ ٱ‬ich kümmere mich nicht so darum, wie
ich sollte
‫ ٱ‬evtl. kümmere ich mich zuwenig darum
‫ ٱ‬ich kümmere mich so viel darum wie
immer
4) Ich kann lachen und die lustigen Dinge
sehen
‫ ٱ‬ja, so viel wie immer
‫ ٱ‬nicht mehr ganz so viel
‫ ٱ‬inzwischen viel weniger
‫ ٱ‬überhaupt nicht
11) Ich fühle mich rastlos, muss immer in
Bewegung sein
‫ ٱ‬Ja, tatsächlich sehr
‫ ٱ‬ziemlich
‫ ٱ‬nicht sehr
‫ ٱ‬überhaupt nicht
5) Mir gehen beunruhigende Dinge durch
den Kopf
‫ ٱ‬einen Großteil der Zeit
‫ ٱ‬verhältnismäßig oft
‫ ٱ‬von Zeit zu Zeit, aber nicht zu oft
‫ ٱ‬nur gelegentlich / nie
12) Ich blicke mit Freude in die Zukunft
6) Ich fühle mich glücklich
‫ ٱ‬überhaupt nicht
‫ ٱ‬selten
‫ ٱ‬manchmal
‫ ٱ‬nie
13) Mich überkommt plötzlich ein panikartiger Zustand
‫ ٱ‬ja, tatsächlich sehr oft
‫ ٱ‬ziemlich oft
‫ ٱ‬nicht sehr oft
‫ ٱ‬überhaupt nicht
7) Ich kann behaglich dasitzen und mich
entspannen
‫ ٱ‬Ja, natürlich
‫ ٱ‬gewöhnlich schon
‫ ٱ‬nicht oft
‫ ٱ‬überhaupt nicht
14) Ich kann mich an einem guten Buch,
einer Radio- oder Fernsehsendung freuen
‫ ٱ‬oft
‫ ٱ‬manchmal
‫ ٱ‬eher selten
‫ ٱ‬sehr selten
‫ ٱ‬ja, sehr
‫ ٱ‬eher weniger als früher
‫ ٱ‬viel weniger als früher
‫ ٱ‬kaum bis gar nicht
95
VI Lebenslauf
Name:
Brigitte Krings-Ney
Geburtsdatum:
11. Juli 1967 in Geilenkirchen
Familienstand:
verheiratet, 1 Kind (3 Jahre)
Schulbildung:
1973 - 1974
1974 - 1977
1977 - 1986
6/1986
Grundschule Gangelt
Grundschule Langerwehe
St. Angela Gymnasium, Düren
Abitur in Düren
Freiwilliges Soziales Jahr: 1986 - 1987
Altenheim St. Anna, Düren
Studium:
Praktisches Jahr:
1987 – 1994
1993
1993
1994
5/1994
Medizinstudium, RWTH Aachen
Innere Medizin, RWTH Aachen
Kinderheilkunde, RWTH Aachen
Chirurgie, Craigavon, Nordirland
Drittes Staatsexamen
Auslandsaufenthalt.
1994 - 1995
Praktika in Gesundheitsbildungseinrichtungen in Brasilien
Ärztin im Praktikum:
1995 - 1996
Assistenzärztin:
1996 - 1998
Gynäkologie und Geburtshilfe,
Städtisches Krankenhaus Nettetal
Gynäkologie und Geburtshilfe
Krankenhaus Waldshut-Tiengen
Allgemeinmedizinpraxis Rickenbach
Eltern-Kind-Kurklinik, Rickenbach
Gynäkologie und Geburtshilfe
Kreiskrankenhaus Lörrach
1998
1999 - 2001
seit 10/2001
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