Psychosomatik und Psychotherapie WS 04/05 Referat „Somatoforme Störungen“ Einleitung: - jeder Mensch lernt während des Lebens „somatoemotionale Botschaften“ zu filtern (Beispiele: leichter Schmerz, Ziehen, Zwicken, Schweißsekretion, also größtenteils körperlich unangenehme Empfindungen) - diese autonome Körpersignale werden entweder selektiv-unaufmerksam ignoriert oder selektiv-aufmerksam beachtet - das bedeutet: 1.) viele körperliche Botschaften werden gar nicht mehr wahrgenommen, weil sie unbedeutend erscheinen 2.) viele körperliche Botschaften werden wahrgenommen, aber als nicht bedeutend angesehen und nicht weiter beachtet (Beispiel: stressbedingte Magenschmerzen, gelegentliche Rückenschmerzen) - mehr als 80% gesunder Menschen erleben jede Woche mindestens einmal eine somatoemotionale Empfindung ohne weitere Beachtung à körperliche Missempfindungen sind also ganz normal! - im Gegensatz: Patienten mit somatoformen Störungen erleben jedes Körpersymptom als gefährlich und bedrohlich - dies kann in eine Angst münden, was zunächst ein ängstliches Beobachten von „Krankheits“ Symptomen ist, dann zu einer zunehmenden Sensibilisierung gegenüber allen empfundenen körperlichen Symptomen führt à somatoforme Störung, großes Leid - Betroffene empfinden ihre Symptome gefährlich und bedrohlich à selbst bei sicherem Ausschluss schlimmer Erkrankungen wird an der Theorie festgehalten. Definitionen: Die Somatisierungsstörung (historisch auch als Hysterie oder Briquet-Syndrom bezeichnet) ist eine chronische polysymptomatische Störung, die mindestens 2 Jahre dauert und charakterisiert ist durch eine wechselnde Kombination von Schmerz, gastrointestinalen, sexuellen und pseudoneurologischen Symptomen. (verschiedene Kriterien aus unterschiedlichen Bereichen müssen erfüllt sein) Die Hypochondrie ist die beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlicher Krankheiten zu leiden. Die Patienten manifestieren anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen. Normale oder allgemeine Körperwahrnehmungen und Symptome werden von dem betreffenden Patienten oft als abnorm und belastend interpretiert. Gemäß ICD dürfen nicht mehr als 2 schwere Krankheiten angenommen werden. Bei der Somatoformen autonomen Funktionsstörung werden die Symptome vom Patienten so geschildert, als beruhten sie auf der körperlichen Krankheit eines Systems oder eines Organs, das weitgehend oder vollständig vegetativ innerviert und kontrolliert wird, so etwa des kardiovaskulären, des gastrointestinalen, des respiratorischen oder des 1 urogenitalen Systems. Es finden sich meist zwei Symptomgruppen, die beide nicht auf eine körperliche Krankheit des betreffenden Organs oder Systems hinweisen. Die erste Gruppe umfasst Beschwerden, die auf objektivierbaren Symptomen der vegetativen Stimulation beruhen wie etwa Herzklopfen, Schwitzen, Erröten, Zittern. Sie sind Ausdruck der Furcht vor und Beeinträchtigung durch eine(r) somatische(n) Störung. Die zweite Gruppe beinhaltet subjektive Beschwerden unspezifischer und wechselnder Natur, wie flüchtige Schmerzen, Brennen, Schwere, Enge und Gefühle, aufgebläht oder auseinandergezogen zu werden, die vom Patienten einem spezifischen Organ oder System zugeordnet werden. Somatoforme Störungen - suggerieren also zunächst eine somatische Krankheit - umfassen verschiedene Formen von Störungen, deren Hauptmerkmale einzelne oder vielfältige körperliche Symptome sind - GEMEINSAMKEIT: Vorhandensein körperlicher Beschwerden, die nicht vollständig durch einen körperlichen Befund, eine Substanzeinwirkung oder durch eine andere psychische Störung erklärt werden können und trotz - NICHT zu verwechseln mit Simulation = absichtlich erzeugte körperliche Symptome Welche Symptome empfinden die Patienten? BEISPIELE: Schmerzen aller Art, Gedächtnisstörungen, Schwindel, Muskelschwäche, Übelkeit/Erbrechen, Zyklusstörungen, kardiale Beschwerden, chronische Müdigkeit… Ätiologie: - Wie entstehen somatoforme Störungen? - Die Psychoanalyse des Wiener Nervenarztes Sigmund Freud wurde Anfang des 20. Jh. zum weltweit vorherrschenden Ansatz, um schwer verständliche somatoforme Störungen zu begreifen à man nahm für körperliche Symptome ohne organische Korrelate psychologische Konflikte oder Persönlichkeitseigenarten als Ursache an - dieses Denken besteht in der Psychosomatik heute immer noch: Übergriff der Psyche (=Konflikt) auf das Soma (=Somatisierung, Körper) - in den vergangenen Jahrzehnten fand man in Forschungen, dass es eine Reihe von Verursachungs- und Risikobedingungen gibt, die alleine nicht Ursache einer somatoformen Störung sein können. à heute: die Wechselwirkung und gegenseitige Beeinflussung von Risikofaktoren ist ausschlaggebend für die Entstehung somatoformer Störungen - Vorstellung einiger Erklärungsansätze (nicht vollständig, mindestens gibt es diese): • - Subjektive Angst vor körperlicher Erkrankung es besteht eine übersteigerte Angst vor körperlicher Erkrankung häufig ist die Angst eine Unsicherheit hinsichtlich körperlichen Funktionierens 2 • - aufgrund von Ängsten beobachten sich die Patienten sehr intensiv und neigen dazu, beobachtete körperliche Symptome als Zeichen einer Krankheit zu bewerten - Arthur Barsky (amerik. Wissenschaftler besonders für Hypochondrie) sieht bei dieser Selbstüberwachung einen „interozeptiv stimulierten Aufschaukelungsprozess“, der die Symptomatik der Betroffenen verstärkt • - • Kognitive Fehlbewertungen zur Fehlinterpretation von körperlichen Symptomen kommt eine falsche Einstellung zum Gesundheitsbegriff und zu den Aufgaben und Möglichkeiten der Medizin - Die Patienten haben falsche Vorstellungen über Körperfunktionen und übertriebene Ansprüche an die moderne Medizin - Fehlendes Tolerieren von „normalen“ körperlichen Symptomen Gesellschaftliche und familiäre Faktoren - Das organmedizinisch orientierte Gesundheitssystem fördert die Wahrnehmung von inneren Reizen (=Interozeption) und Somatisierung, da Krankheiten anhand von körperlichen Symptomen erkannt werden à hypochondrische Selbstüberwachung à entgleitet leicht in somatoforme Störung - • - • Interozeptiver Wahrnehmungsstil Interozeption = Wahrnehmung von Innenreizen (normal wichtig für Wohlbefinden) Wie in allen anderen Bereichen wird durch das Vorbild „Eltern“ die Introzeptions- und Somatisierungsbereitschft beeinflusst. (Beispiel: hypochondrische Eltern, Gesundheitsbewusstsein). Hinweis Punkt 1 Genetische Prädisposition/biologische Auffälligkeiten Somatoforme Störungen sind sicher nicht nur ein kognitiv gesteuertes KrankheitsAngst-Phänomen, was also durch Erlebens- und Lernprozesse entsteht - Zum einen haben die inerozeptiven Wahrnehmungen Einfluss auf die körperlichen Symptome. Zum anderen wird angenommen, dass die Gewöhnung an körperliche Veränderungen durch neuropsychologische und endokrinologische Prozesse reduziert ist - Wissen in dieser Hinsicht sehr klein. Zwillingsforschung hat Hinweise auf genetische Mitverantwortung gegeben Kindheitserlebnisse - Insbesondere psychischer und sexueller Missbrauch in der Kindheit wird mit somatoformen Störungen in Verbindung gebracht - Ebenfalls extreme emotionale Vernachlässigung durch die Eltern - Woher weiß man das? Rückschluss, da viele Betroffene in einfachen Verhältnissen aufgewachsen sind und aus niedrigen sozialen Schichten stammen. Hinweis Eltern • - Essentielle Lebenssituation, Geschlecht, Alter Frauen > Männer 3 • - Frauen: eher junge Erwachsene, geringes Schul- und Ausbildungsniveau, berichten häufig über erhebliche Mehrfachbelastung bei Störungsbeginn. Überwiegend Somatisierungsstörung - Männer: mittleres Lebensalter, häufig multiple Beschwerden, undifferenzierte Somatisierungsstörung, ebenfalls in Zusammenhang mit belastenden Situationen (Arbeitslosigkeit, Scheidung,…) - Es scheint einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten somatoformer Störungen und kritischen Lebensereignissen zu geben (Unfall, Katastrophen) à existentielle Sicherheit bedroht - Bei Frauen: sexuelle Traumen, Gewaltübergriffe à Körperakzeptanz und wahrnehmung verändert Schonverhalten und soziale Isolierung - Die Betroffenen „versinken“ in ihren Besorgnissen und meiden zunehmend soziale Kontakte und Aktivitäten à Abkapselung, Schonverhalten à Beruf wird zunehmend vermieden durch Krankmeldung, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte Hinweis Fallvorstellung - Mit der Zeit beschäftigen sich die Betroffenen immer mehr mit sich selbst und ihren körperlichen Symptomen, was die Symptome ihrerseits verstärkt à Teufelskreis - Es ist vorstellbar, dass man sich mit oder ohne reale Symptome nicht mehr wohl fühlt und daraus erhebliche soziale und berufliche Probleme entstehen, die beim Krankheitsbild „Somatoforme Störungen“ nicht vergessen werden dürfen (Beispiel: Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust von Freunden, Inaktivität, finanzielle Notlage) - Patienten können aus dem Teufelskreis nicht mehr zurück ins normale Leben, weshalb der einzige Ausweg häufig in einer Initiative zur Frühberentung endet - Nicht selten finden sich bei Betroffenen zu Behandlungsbeginn noch weitere psychische Störungen, was das emotionale Befinden zusätzlich verschlechtert - In Retrospektivstudien wurden darüber hinaus bei Patienten zusätzlich Depressionen, Angststörungen, Substanz-Abhängigkeiten und Essstörungen diagnostiziert - Differentialdiagnostisch ist die somatoforme Störung abzugrenzen von a) Depressionen: darauf achten, ob vom Patienten depressive Symptome geschildert werden b) Panikstörung: früher als Herzphobie bezeichnet, ist zwar ähnlich mit somatoformen Störungen (auch Herzrasen, Schwindel, Atemnot), aber Unterschied: die Symptome verschwinden bei Panikstörungen schnell nach Eintreffen von professioneller Hilfe Zusammenfassung: - Wenn wir die einzelnen ätiologischen Faktoren noch einmal vergleichen fällt auf, dass die subjektive Angst vor Krankheit zusammen mit einer aktuellen existentiellen Unsicherheit der bedeutsamste Risikofaktor für die Entstehung einer somatoformen Störung ist. 4 - Der Betroffene sucht also in der Furcht vor der Krankheit die Gründe für seine Unsicherheiten und Ängste im Leben und gibt ihnen damit einen Namen - Gemäß des Circulus vitiosus verstärkt er die Symptomatik und damit auch seine Krankehitsfurcht-Theorie à Zustand oder vielmehr Begriff der „körperlichen Krankheit“ - Damit ist ein Zustand erreicht, der gesellschaftlich als behandlungswürdig angesehen wird (Krankheiten werden schließlich vom Arzt behandelt) und kann professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, obwohl seine eigentliche Krankheit eine ganz andere ist - Wir haben gelernt wie man Somatoforme Störungen erkennt und einteilt - Wie man Patienten mit Somatoformen Störungen helfen kann hört ihr von Susi 5