ZF Somatoform

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Somatoforme Störungen
Diagnose
Die somatoformen Störungen sind eine heterogene Gruppe von Störungen mit dem gemeinsamen
Merkmal, dass organisch nicht erklärte Körperbeschwerden vorliegen.
Bei der Somatisierungsstörung (F45.0) müssen über Jahre hinweg eine große Anzahl
verschiedenartiger Beschwerden vorliegen, bei der undifferenzierten somatoformen Störung
(F45.1) dagegen nur ein klinisch relevantes Symptom über ein halbes Jahr. Bei Schmerzstörungen
(F45.4) ist mindestens eine Körperregion von Schmerzen betroffen (aber sonst nicht die Kriterien
der Somatisierungsstörung erfüllt). Dazu kommen noch die Hypochondrie (F45.2), bei der die
Patienten die Angst oder Überzeugung haben, unter einer schweren Krankheit zu leiden, und die
körperdysmorphe Störung (F45.2), bei der die Patienten unter der Beschäftigung mit einem
geringfügigen oder eingebildeten körperlichen Makel leiden und teilweise drastische Maßnahmen
ergreifen, um diesen auszugleichen (Amputation). Des weiteren gibt es noch die
Konversionsstörung (F44.xx), bei der die Veränderung oder der Verlust von willkürmotorischen
oder sensorischen Funktionen auftritt (z.B. Lähmung oder Blindheit).
Bei der Diagnose ist es wichtig, sich zu versichern, dass keine Simulation (Symptome vortäuschen,
um einen Gewinn zu erzielen) oder vorgetäuschte Störung (Symptome vortäuschen, um die
Krankenrolle anzunehmen) vorliegt. Außerdem muss man abklären, ob die Diagnose „psychische
Faktoren, die medizinische Krankheitsfaktoren beeinflussen“ angebracht sein könnte, wo
organisch-pathologische Ursachen bekannt sind, aber psychische Faktoren einen ungünstigen
Einfluss haben. Hinzu kommt, dass auch bei anderen Störungen unklare körperliche Beschwerden
auftreten können (z.B. bei der Panikstörung). Diese Möglichkeit muss ebenfalls überprüft und
ausgeschlossen werden.
Klassifikation nach DSM-IV
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Eine Vorgeschichte mit vielen körperlichen Beschwerden, die vor dem 30. Lebensjahr
begannen, mehrere Jahre dauerten und zum Aufsuchen einer Behandlung oder deutlichen
Beeinträchtigungen führten.
Jedes der folgenden Kriterien, aber nicht notwendigerweise gleichzeitig im Störungsverlauf:
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1. Vier Schmerzsymptome, die mindestens vier verschiedene Körperbereiche oder
Funktionen betreffen.
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2. Zwei gastrointestinale Symptome (außer Schmerz)
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3. Ein sexuelles Symptom (außer Schmerz)
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4. Ein pseudoneurologisches Symptom oder Defizit, dass einen neurologischen
Krankheitsfaktor nahelegt
Außerdem muss eine dieser beiden Behauptungen zutreffen:
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1. Keines der Symptome oben kann vollständig durch einen medizinischen Krankheitsfaktor
oder durch die direkte Wirkung einer Substanz erklärt werden
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2. Falls ein Symptom mit einem medizinischen Krankheitsfaktor in Verbindung steht, so
gehen die Beschwerden oder Beeinträchtigungen über das hinaus, was zu erwarten wäre.
Die Symptome wurden nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht
Erklärungsansätze
Genetische Erklärungsansätze sind noch nicht ausreichend überprüft, erste Studien deuten auf
einen gewissen genetischen Einfluss hin (MZ 29%, DZ 10%). Auch für neurobiologische und
physiologische Risikofaktoren ergibt sich ein ähnliches Bild. Erhöhte Muskelanspannung und
erhöhte kardiovaskuläre Aktivität werden ebenso beforscht wie das Serotoninsystem, richtig fertig
ist man aber noch nirgends.
Auf psychologischer Seite wurde ein Zusammenhang von Neurotizismus oder Alexithymie und
somatoformen Störungen vermutet, die Befundlage ist jedoch auch hier unklar. Bessere empirische
Grundlage haben dagegen die folgenden Modelle:
Somatoforme Störungen könnten Folge von Modell- und Verstärkungslernen sein. Zum einen
könnten Kinder ihre kranken Eltern beobachten und die positiven Konsequenzen aus der
Krankenrolle (umsorgt werden) als Verstärker wahr nehmen. Zum anderen wird natürlich auch
der Kranke selbst diese positive Verstärkung erhalten, darüber hinaus aber auch noch negative
Verstärkung (Abnehmen von Schmerzen) bei Medikamenteneinnahme oder Einstellung
körperlicher Aktivität. Wenn er seine Alltagsaktivitäten wiederaufnimmt kann es außerdem zu
einem Mangel an positiver Vertärkung hierfür kommen.
Auf der anderen Seite gibt es auch kognitive Modelle der somatoformen Störungen. Hier wird
angenommen, dass kognitive Prozesse ungünstigen Einfluss auf den Verlauf der Störung nehmen:
1. Katastrophisierende Bewertung der eigenen Beschwerden und organisch-somatische
Kausalattribution („ich hab Kopfweh, ich muss einen Tumor haben!“)
2. Negative Verlaufserwartung („es wird immer schlimmer werden!“)
3. Niedrige Kontrollerwartung („ich kann nichts dagegen tun!“)
Diese negativen Überzeugungen ließen sich bei Patienten mit somatoformen Störungen nachweisen.
Darüber hinaus zeigte sich, dass diese Patienten (natürlich im besonderen Maße bei der
Hypochondrie) Schwierigkeiten damit hatten, gutartige, normalisierende Erklärungen für ihre
Beschwerden zu finden. Man spricht davon, dass sie körperliche Empfindungen dispositionell
attribuieren („es liegt an einer Krankheit in mir“) anstatt situational („liegt halt an der aktuellen
Situation“)
Eine weitere Theorie ist die der somatosensorischen Verstärkung. Sie geht davon aus, dass die
Wahrnehmung eines Symptoms von Bottom-Up und Top-Down-Prozessen beeinflusst wird. Die
Bottom-Up-Prozesse basieren dabei auf dem tatsächlichen Ausmaß des vorhandenen internalen
Reizes, bei den Top-Down-Prozesse suchen die Patienten aktiv nach relevanten Informationen,
wobei ihre Aufmerksamkeitsfokussierung durch Schemata gesteuert wird. Barsky und Wyshak
gehen davon aus, dass Hypochonder (aber sicherlich auch andere somatoform gestörte Patienten)
ihre körperlichen Empfindungen und Veränderungen genau beobachten und so auch
alltägliche Reaktionen bemerken. Diese werden dann katastrophisierend bewertet und deshalb
wird die Aufmerksamkeit noch weiter geschärft (=> Teufelskreis).
Auch dysfunktionales Krankheitsverhalten wurde als aufrechterhaltender Faktor bei
somatoformen Störungen bezeichnet. Oft zeigen Patienten Vermeidungsverhalten (z.B.
Vermeidung von Bewegung), was jedoch zum Abbau körperlicher Kondition führt und sowohl
negative affektive Reaktionen als auch die gedankliceh Beschäftigung mit den Beschwerden
fördert. Auch ein zu enger Begriff von Gesundsein („vollkommen symptomfrei“) kann eine Rolle
spielen.
Ganz toll ist natürlich auch wieder das übergreifende Störungsmodell, in das zentrale Kernstücke
der anderen Konzeptionen einfließen (=> multifaktorielles Modell) Es berücksichtigt sowohl die
selektive Aufmerksamkeit und die katastrophisierenden Fehlinterpretationen als auch die
aufrechterhaltende Wirkung von ungünstigem Krankheitsverhalten in zwei parallellen
Teufelskreisen.
Verbreitung & Verlauf
Etwa die Hälfte der Patienten, die wegen organisch unklaren Beschwerden den Arzt aufsucht
verzeichnet im Verlauf des Folgejahres Verbesserungen (30% vollständige Heilung), bei der
anderen Hälfte besteht das Risiko einer Chronifizierung. Schon bei Jugendlichen und jungen
Erwachsenen weißt die somatoforme Störung eine beachtliche Stabilität auf, nach vier Jahren
bestanden noch 60% aller Störungen.
Somatisierungsstörung:
Lebenszeitprävalenz von 1% bei Frauen, bei Männern noch weniger
Chronisch (ca. 20 Jahre) mit konstanten Symptomen und sehr wenigen Spontanremissionen
Hypochondrie:
In Arztpraxen Prävalenz von 5%
Chronisch, aber phasenweise Symptomfreiheit ist möglich
Körperdysmorphe Störung:
24% Suizidversuche
Komorbiditäten
Affektive Störung 50%
Angststörung 30 – 40%
Therapie
Es wurde ursprünglich angenommen, dass Patienten sich als „nur“ körperlich krank betrachten und
deshalb Psychotherapie ablehnen, neuere Studien deuten jedoch darauf hin, dass sie sich zur
Psychotherapie ermutigen lassen. Die Gesamtbefundlage zur Pharmakotherapie ist erschreckend
schwach.
Die somatoformen Störungen werden normalerweise mit kognitiver Verhaltenstherapie
behandelt. Diese Therapie ist bezüglich der Konversionsstörung noch nicht ausreichend evaluiert,
hat sich jedoch bei allen anderen somatoformen Störungen als wirksam erwiesen. Im Rahmen der
kognitiven Verhaltenstherapie werden vier zentrale Felder beackert. Dies sind Motivation und
Beziehungsgestaltung, die kognitive Ebene, die Physiologie und die Verhaltensebene. Auf welcher
Ebene der Behandlung der größte Erfolg erzielt wird ist noch nicht systematisch untersucht
worden.
Motivation und Beziehungsgestaltung
Anfangs sollte man den Umgang mit den körperlichen Symptomen in den Vordergrund stellen,
damit den Patienten der Einstieg in die Psychotherapie leichter fällt. Die gemeinsame
Zielformulierung sollte jedoch nicht die Beseitigung der Symptome, sondern die Entwicklung von
Bewältigungsstrategien und die Verbesserung des Funktionsniveaus bzw. der Lebensqualität
sein.
Kognitive Ebene
Zentral ist die Vermittlung eines Krankheitsmodells, da die Unerklärbarkeit der Symptome das
Leiden erhöht. In Verhaltensexperimenten kann die Rolle von Aufmerksamkeit als wirkungsvoller
Verstärker körperlicher Beschwerden ebenso vermittelt werden wie das Zusammenwirken von
Auslösebedingungen, Bewertungsprozessen und Emotionen mit körperlichen Reaktionen.
Physiologie
Aktive Bewältigungsstrategien wie die progressive Muskelrelaxation(als Entspannungsverfahren)
oder Biofeedback werden angewendet um die körperlichen Vorgängen direkt zu beeinflussen.
Dadurch wird bei den Patienten die Überzeugung aufgebaut, im Umgang mit den Beschwerden
nicht machtlos zu sein. Beim Biofeedback werden körperliche Vorgänge, die weniger gut
wahrnehmbar sind, optisch oder akustisch rückgemeldet (mit irgendwelchen technischen Gizmos).
Dies soll den Patienten ermöglichen, diese Prozesse wahrzunehmen und aktiv zu verändern.
Verhaltensebene
Hier ist es zum einen wichtig, den Patienten die Negativ-Spirale, die sich aus dem Abbau
körperlicher Belastbarkeit – den das Schonverhalten der Patienten begünstigt – ergibt, zu
vermitteln (Stichwort Chronifizierung), und zum anderen, diese körperliche Funktionsfähigkeit
wieder auf zu bauen. Darüber hinaus werden soziotherapeutische Maßnahmen ergriffen
(Wiedereinführung des Patienten am eigenen Arbeitsplatz), wichtige Sozialpartner in die
Behandlung mit einbezogen (damit diese lernen, den Patienten im Schonverhalten nicht zu
bestärken) und erarbeitet, wie Kontrollverhalten (z.B. checking) zur Intensivierung körperlicher
Missempfindungen beiträgt.
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