Affektive Funktionsstörungen - UK

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Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie 2:
Affektive Funktionsstörungen
Professor Dr. Baethge
Der psychische Befund
Struktur und Dokumentation der speziellen Anamnese
Bewusstsein und Orientierung
Aufmerksamkeit und Gedächtnis
Affektivität (einschl. Ängste und Zwänge)
Verhalten, Antrieb, Psychomotorik
formales Denken
inhaltliches Denken
Ich-Erleben
Wahrnehmung
Vegetativum
Selbst- und Fremdgefährdung
Besonderheiten (z.B. Minderbegabung; Sucht; auffälliges Äußeres, z.B. Kleidung)
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Psychiatrie und Psychotherapie - Hauptvorlesung WS 14/15 - 2. Affektive Funktionsstörungen | Prof. Dr. Baethge
AFFEKTIVE FUNKTIONSSTÖRUNGEN
Lernziele
1) Woran erkennt man Depressivität?
2) Was sind die Merkmale der Manie?
3) Panik, Angst und Zwang: Kriterien und Symptome
4) Was versteht man unter Selbst- und Fremdgefährdung in der
Psychiatrie?
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Depressivität
Negativ getönte Befindlichkeit, Niedergeschlagenheit, gedrückte
Stimmung, Freudlosigkeit, Lustlosigkeit. Ein Patient ist auch dann
depressiv, wenn er nicht manifest traurig ist, aber keine positiven
Gefühle (Freude) mehr erleben kann oder zumindest
diesbezüglich einen Unterschied zu früheren Zeiten angibt. Auch
Verlust des Selbstwertgefühls, des „Selbstvertrauens“ ist ein
Ausdruck von Deprimiertheit. Sonderform: Vitale Traurigkeit mit
Störung der Vitalgefühle.
Beispiel:
„Ich kann mich nicht mehr freuen wie früher.“ „Alles drückt mich
nieder, ich bin zu erschöpft, um in guter Stimmung zu sein.“
(=vitale Traurigkeit)
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Depressivität
Vorkommen:
Unspezifisches Symptom bei fast allen psychiatrischen
Erkrankungen und im gesunden Seelenleben. Leitsymptom
affektiver Störungen. Vitale Traurigkeit wird von manchen als
Charakteristikum der schweren Depression angesehen.
Fragen:
• „Sind Sie momentan niedergeschlagen, traurig?“
• „Können Sie noch die gleichen angenehmen Gefühle entwickeln wie
früher, sich noch so freuen, lustig sein bei schönen Erlebnissen?“
• „Sorgen Sie sich um bestimmte Dinge (nachfragen, welche Themen den
Patienten beschäftigen: spezielle aktuelle Lebenssituation, eigene
Insuffizienz in Partnerschaft, Familie oder Beruf, Schuldgefühle, Krankheit,
Finanzen, Lebensglück allgemein)?“
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Symptome des depressiven Syndroms
1. Depressive Verstimmung
(fehlendes Selbstwertgefühl; Insuffizienzgefühl; Versagensängste; Anhedonie; “Gefühl der
Gefühllosigkeit”)
2. Denkhemmung
(verlangsamtes, einfallsarmes, eingeengtes Denken; Grübelzwang; Beeinträchtigung von
Konzentration, Auffassung, Behalten; “Pseudodemenz”)
3. Psychomotorische Hemmung
(Verlangsamung; Minderung von Entschluss- und Handlungsfähigkeit; “Stupor”)
4. Sog. Vitalstörungen
(Statische Druck-, Schwere- und Schmerzempfindungen oder fluktuierende
Coenästhesien; “Entfremdungsdepression”)
5. Vegetative Störungen
(Verminderung des Tiefschlafs; Verkürzung der REM-Latenz; Früherwachen; Inappetenz;
Obstipation u.a.)
6. Depressive Wahneinfälle
(Schuld, Versündigung; körperlicher Verfall; Verarmung, finanzieller Ruin)
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Weitere Charakteristika des depressiven Syndroms
Prägnanztypische Ausgestaltungen als
“gehemmte Depression” (Unruhe und Ängstlichkeit bleibt innerlich)
oder
“agitierte Depression” (Unruhe und Ängstlichkeit tritt auch nach außen: hektischer
Bewegungsdrang, Selbstanklagen und Lamentieren, “Jammerdepression”)
Tagesschwankungen mit Schwerpunkt der Hemmung am Morgen:
“Morgentief”
Latente oder offene Suizidalität
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Symptome der manischen Episode
Euphorie
Gehobene Stimmungslage, übersteigertes subjektives Wohlbefinden, Selbstwertgefühl, Kraft- und Leistungsgefühl, Vitalgefühl; meist aber nicht unbedingt vermehrte Heiterkeit. Das
Selbstwertgefühl kann bis zu Größenideen gesteigert sein
(=Patient hält sich für besonders intelligent, stark, begabt usw.)
Beispiel:
„Ich fühle mich wohl wie noch nie.“ „Ich fühle doch, dass ich
allen überlegen bin.“
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• Gehobene/gereizte Stimmung
(Disorder of energy / DSM V)
+ (mindestens 3):
• Übersteigertes Selbstwertgefühl/Grandiosität
• Vermindertes Schlafbedürfnis
• Rededrang
• Rasende Gedanken/Ideenflucht
• Ablenkbarkeit/ Zerstreutheit
• Zunehmende Aktivität/Agitiertheit
• Gesteigertes Sicheinlassen auf angenehme
Aktivitäten mit möglicherweise negativen Folgen
American Psychiatric Association: DSM-IV;
APA 2011, DSM V
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Symptome des manischen Syndroms
Subjektiv-psychologische Ebene
Motorisch-verhaltensmäßige Ebene
Biologische Ebene
Stimmung
Kognitive Manifestation
Verhaltensexzesse
Verhaltensdefizite
Somatische
Symptome
Euphorisch,
hedonischer
Tonus erhöht:
Subjektive Selbsteffizienz hoch:
Lachen
„Alles, was ich anpacke, hat
positive Konsequenzen“
„Alles ist erfreulich
und aufregend“
Positive Selbstbewertung und
Erwartungen:
Rededrang, dabei argumentativ (Ferngespräche
über Stunden)
Non-verbaler Ausdruck oft nicht zur
Situation passend,
bizarr
Schlafbedürfnis und
Schlafdauer
reduziert, oft 24 bis
36 Stunden ohne
Schlaf
Allmachtsgefühle:
„Alles, was ich mache, hat Sinn
und Zweck“
„Ich hebe die Welt
aus den Angeln“
Gedächtnis und Konzentration
beeinträchtigt - bis auf
grandiose Ideen und Inhalte
Schneller
Stimmungswechsel zu
depressiv oder
aggressiv
Wahnideen und -vorstellungen:
Macht, Geld, Fähigkeiten,
sexuelle, religiöse oder
politische Allmacht, Ideenflucht
Reduzierte oder keine
Krankheitseinsicht
Exzessive Bewegungsaktivität, auch aggressiv
Ungehemmte soziale
Interaktion, auch mit
Fremden: Tendenz, sich
auszuziehen, flamboyante
Kleidung und Schmuck
Schnelles Umspringen von pro- in
antisoziale Aktivitäten
Desorganisation und
Abfall der
Arbeitsleistung
Anstieg sexueller Aktivitäten, oft ungehemmt
Desorganisierter
Tagesablauf
Geldverschwendung und
verletzende Äußerungen
und Handlungen
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Appetit steigt, bei
irregulären
Mahlzeiten, oft
bizarre Nahrung,
Gewichtsverlust
Symptome affektiver Störungen
Depressive Episode
• Depressive Verstimmung
• Denkhemmung
•
•
•
•
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Psychomotorische Hemmung
Sog. Vitalstörungen
Vegetative Störungen
Depressiver Wahneinfall
Manische Episode
• Manische Verstimmung
• „Denkerregung“: sog. Ideenflucht
• Psychomotorische Erregung
• Gehobenheit der Vitalgefühle
• Vegetative Symptome
• Manischer Wahneinfall
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Angst wird zur Krankheit, wenn…
…sie unangemessen stark ist
…sie zu häufig und zu lange auftritt
…man die Kontrolle verliert
…man Angstsituationen vermeiden muss
…man stark unter ihr leidet
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Panikattacken erkennt man an…
… Panikanfällen:
plötzlich und unerwartet, kein eindeutiger Auslöser, keine
Erklärung
... körperlichen Symptomen:
Herzklopfen, Brustschmerz, Ersticken, Schwindel
... psychischen Symptomen:
Furcht zu sterben, die Kontrolle zu verlieren, einen Herzanfall
zu bekommen
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Generalisierte Angst erkennt man an…
... monatelang andauernden Ängsten, Sorgen und
Befürchtungen
... körperliche Unruhe, Schlafstörungen, Unfähigkeit, sich zu
entspannen
... vielfältigen körperlichen Symptomen, wie Schwitzen,
Herzrasen, Magenbeschwerden, Übelkeit,
Erstickungsgefühle, Schwindel
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Zwang (allgemein)
Alle Vorstellungen und Impulse, die
• sich aufdrängen
• gegen die sich das „Ich“ zugleich vergebens wehrt
• die gleichzeitig als unsinnig oder verwerflich empfunden
werden
Vorkommen:
Leitsymptom der Zwangsstörung; auch bei organischen
Störungen, Schizophrenien, Depressionen, in leichter Form und
vorübergehend auch normalpsychologisches Phänomen.
Zwang wird weiter differenziert mit den folgenden Begriffen:
.
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Zwangsgedanken
Zwanghaft sich aufdrängende Gedanken oder zwanghaft persistierende Denkinhalte, die als unsinnig empfunden werden,
aber nicht verhindert werden können. Weitere Differenzierung
• Zwangsideen
in
•
•
•
•
Zwangsvorstellungen
Zwangserinnerungen
Zwangsgrübeln
Zwangsbefürchtungen
Beispiel:
„Ich muß ständig an obszöne Worte denken und stelle mir
sexuelle Szenen vor, sobald ich mit mehreren Menschen
zusammen bin, obwohl ich es zu verhindern versuche und mich
dafür schäme.“ (=Zwangsvorstellungen)
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Zwangsgedanken
Fragen:
• „Müssen Sie manche Gedanken immer wieder denken, obwohl
Sie nicht wollen?“
• „Kommen Ihnen peinliche oder gar obszöne Gedanken, für die
Sie sich schämen oder aggressive, ‚gefährliche‘
Vorstellungen?“
Beispiele geben und konkret nachfragen.
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Zwangsimpulse
Sich zwanghaft aufdrängende innere Antriebe, bestimmte
Handlungen auszuführen, die abgelehnt werden. Die Antriebe
können nicht verhindert werden, es kommt aber in der Regel nicht
zur befürchteten Handlung.
Beispiel:
Eine Mutter verspürt mehrfach täglich gegen Ihren Willen und voller
Angst den Impuls, ihr neugeborenes Kind zu töten.
Fragen:
• „Haben Sie oft den Drang bestimmte Dinge zu tun, obwohl Sie sich
davor fürchten?“
• „Wollen Sie z.B. ständig etwas kontrollieren, oder jemanden
beschimpfen, verletzen?“
Beispiele geben und konkret nachfragen.
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Zwangshandlungen
Zwanghaft gegen den eigenen Willen vorgenommene Handlung.
Oft in Kombination mit Zwangsbefürchtungen.
Beispiel:
Ein Patient wäscht sich täglich stundenlang die Hände. Er
möchte zwar aufhören, weil er es eigentlich für unsinnig hält, hat
dann aber unerträgliche Angst und bekommt den Gedanken nicht
aus dem Sinn, dass er sich mit einem Virus infiziert hat.
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Zwangshandlungen
Fragen:
Häufig zu beobachten.
• „Müssen Sie manche bestimmte Dinge immer wieder tun,
obwohl Sie es für unsinnig halten?“
• „Müssen Sie manche bestimmte Dinge in einer bestimmten
Reihenfolge tun, sich häufig waschen, irgendwelche Sprüche
aufsagen, ständig irgendetwas nachrechnen, irgendetwas
kontrollieren, nachprüfen?“
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Selbstgefährdung, Suizidalität
• Impulse, Gedanken, Absichten oder Pläne, sich das Leben zu
nehmen oder sich zu verletzen
• Selbsttötungsversuche
• Selbstverletzungen
Die Einschätzung der Selbstgefährdung hat sehr große Bedeutung, da psychische Erkrankungen der Hauptrisikofaktor für
Suizid sind und Suizide zu den häufigen Todesursachen zählen.
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Fremdgefährdung, Fremdaggressivität
Impulse, Gedanken, Absichten oder Pläne, jemandem Schaden
zuzufügen oder aggressiv gegen andere zu sein
(Fremdaggressivität). Auch bereits vollzogene Handlungen und
der erweiterte Suizid gehören dazu. Die Einschätzung des
Risikos ist sehr wichtig, da manche psychischen Erkrankungen
mit einer erhöhten Neigung, aggressiv zu reagieren, verbunden
sind.
Fragen:
• Haben Sie Feinde?
• Hatten Sie oft Streit oder Auseinandersetzungen in letzter Zeit?
Beispiele nennen lassen. Oft nur durch Fremdanamnese eruierbar.
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Steuerungsfähigkeit und Impulskontrolle
Plötzliche verbale oder tätliche Eruptionen.
Beispiel:
Patient schlägt plötzlich mit dem Kopf gegen die Wand, um
Stimmen zur Ruhe zu bringen.
Vorkommen:
Reduzierte und aufgehobene Steuerungsfähigkeit/Impulskontrolle bei schweren Intoxikationen (Alkohol), schweren floriden
Psychosen, schweren organischen Störungen.
Fragen:
Im Interview zu beobachten.
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Hauptvorlesung 2: Affektive Funktionsstörungen
Lernziele erreicht?
Aufgabe für die Vorlesung am 13.10.
1. Benennen Sie sechs Symptome des depressiven Syndroms.
2. Benennen Sie einige Symptome des manischen Syndroms
aus der
– subjektiv-psychologischen Ebene,
– motorisch-verhaltensmäßigen Ebene,
– biologischen Ebene.
3. Benennen Sie die drei Kriterien einer Zwangsstörung.
4. Was ist mit Selbst- und Fremdgefährdung in der Psychiatrie
gemeint?
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