Stoffwechselforschung - Gesundheitsforschung

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Stoffwechselforschung
Wie Ernährung und Gene auf die Gesundheit wirken
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Gestaltung
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Druckerei
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Stoffwechselforschung
Wie Ernährung und Gene auf die Gesundheit wirken
VORWORT
Gute Ernährung und Gesundheit sind untrennbar
miteinander verbunden: Eine ausgewogene Ernährung erhöht nicht nur die Lebensqualität erheblich,
sie reduziert auch das Risiko für viele Krankheiten.
Zwar haben sich die Ernährungsgewohnheiten
der Menschen in Deutschland in den vergangenen
15 Jahren verbessert. Studien belegen aber, dass die
meisten Männer und Frauen immer noch zu viel Fett
und Alkohol zu sich nehmen und zu wenig Obst und
Gemüse essen. Dieser Lebensstil führt zu Überernährung und Übergewicht – ganz besonders, wenn er
von Bewegungsmangel begleitet ist. In Deutschland
sind etwa zwei Drittel aller Männer und die Hälfte
der Frauen übergewichtig. Diabetes, Adipositas und
Herz-Kreislauferkrankungen werden in Deutschland
und anderen Industrienationen immer häufiger.
Aufgrund genetischer Veränderungen können
Stoffwechselkrankheiten auch bei ausgewogener
Ernährung auftreten. Forscherinnen und Forscher in
den Lebenswissenschaften arbeiten daran, die dem
zugrunde liegenden Vorgänge bis zur molekularen
Ebene aufzuklären. Krankheitsentstehung und
-verlauf können dann wesentlich auch durch die
Ernährung beeinflusst werden.
Ein genaues Verständnis der Zusammenhänge
von Ernährung und Gesundheit ist eine wichtige
Voraussetzung für die Prävention, Linderung und
Heilung von Krankheiten. Die Ergebnisse der Stoffwechselforschung tragen dazu bei, die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen, die Versorgung von
Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern
und die Kosten im Gesundheitswesen zu senken.
Die vorliegende Broschüre stellt den aktuellen
Stand der Forschung dar. Den Leserinnen und Lesern
wünsche ich eine anregende Lektüre und interessante Erkenntnisse zum Zusammenspiel von Ernährung, Stoffwechsel, Genen und Gesundheit.
Dr. Annette Schavan, MdB
Bundesministerin für Bildung und Forschung
INHALT
1
Inhalt
Einleitung
2
Leben ist Stoffwechsel
Kommt die personalisierte Ernährung?
2
6
Kohlenhydrate
9
Kohlenhydratstoffwechsel –
süße Last und schwere Leiden
9
Laufend neue Eindrücke
10
Die Bauchspeicheldrüse – Leichtgewicht
mit schweren Aufgaben
11
Volkskrankheit Diabetes
12
Diabetes und Depression – ein unheilvolles Duo 14
Intolerantes Erbe
15
Diabetestherapie – mehr als Insulin
16
Künstliche Bauchspeicheldrüse
18
Transplantation als Therapie bei Diabetes
19
Galaktosämie – wenn Zucker die Zellen
vergiftet
22
Eiweiße
25
Eiweißstoffwechsel – Recycling der
Aminosäuren
Eiweiß auf sechs Beinen
Die Darmwand – Pumpstation für Aminosäuren
PKU-Patienten halten ihr Leben lang Diät
Das Gehirn als Spiegel des Stoffwechsels
Albinismus – viele Gene, eine Krankheit
Überflüssiges Eiweiß
Lebensrettendes Tandem
25
26
27
28
30
32
33
34
Purine und Pyrimidine
37
Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine
Ein Leben für die Gichtforschung
Die Nieren – reinigende Hochleistungsfilter
Gicht ist doch kein Zipperlein
Das Gegenteil von Gicht
Pyrimidine: medizinische
Grundlagenforschung
37
38
39
40
41
42
Mikronährstoffe
45
Mikronährstoff-Stoffwechsel – kleine Helfer
mit großer Wirkung
Vitamintabletten & Co.
Die Schilddrüse – kleines Organ mit
großem Einfluss
Gefahr für Herz, Hirn und Knochen
Eisenspeicherkrankheit: ein schweres Erbe
Phosphatmangel verursacht Rachitis
Gut ernährt und doch unterversorgt
Lebertran – eine bittere Erinnerung
47
48
50
52
53
55
Fette
57
Fettstoffwechsel – Energie für den Körper
Fettkunst
Wie funktioniert die Leber?
Gefährliche Fettpolster
Metabolisches Syndrom – das tödliche Quartett
Zu viel Cholesterin kann erblich sein
Winzige Defekte mit großer Wirkung
Eiweiße für die Fettverbrennung
Übergewicht entsteht im Gehirn
57
58
59
60
62
64
65
66
68
Perspektive
70
45
46
Natürliche Varianten im Blick der Nutrigenomik 70
Anhang:
Nützliche Kontakte und (Internet-)Adressen
Register
74
76
2
EINLEITUNG
Leben ist Stoffwechsel
Der menschliche Körper ist wie ein Land.
Auch im Körper gibt es Straßen und Wege,
große Autobahnen und selten genutzte
Feldwege. Es gibt Schwerlasttransporter und
Minivans; es gibt Orte, die viele Bau- und
Nahrungsmittel benötigen und andere, die
sich beinahe selbst versorgen. Und es gibt
Staus, Engpässe und jede Menge Müll, der zu
entsorgen ist.
Wie das Verkehrsnetz für ein Land, so sind auch die
Stoffwechselwege unentbehrlich für den menschlichen Körper. Über sie gelangen Baustoffe und
Energie an ihren Bestimmungsort.
Ob Kohlenhydrate, Eiweiße, Purine und Pyrimidine, Mikronährstoffe oder Fette – am Anfang gehen
die Nährstoffe ihren Weg gemeinsam: Im Mund
wird die Nahrung zunächst grob zerkleinert und in
den Magen-Darm-Trakt transportiert. Dort wird sie
weiter in ihre Bestandteile zerlegt. Erst wenn aus
der Nahrung ein zäher Brei geworden ist, trennen
sich die Wege ihrer Nährstoffe. Transporter an der
Darmwand stehen bereit, die Nährstoffe ins Blut
zu befördern. Die meisten sind stark spezialisiert
– einige transportieren nur Aminosäuren. Andere
pumpen ausschließlich feine Spurenelemente oder
Fette ins Blut und wieder andere sorgen dafür, dass
Kohlenhydrate in den Körper gelangen. Mit ihrer
Aufnahme durch die Darmwand ins Blut beginnt für
die Nährstoffe schließlich über unzählige verschiedene Stoffwechselwege die Reise durch das Innere
des Körpers. Was ihnen auf ihrer Tour durch den
Organismus widerfährt, besagt bereits die Bezeichnung „Stoffwechselweg“.
Tatsächlich wechseln die meisten Nährstoffe auf
dem Weg durch den Körper ihre chemische Beschaffenheit. Sie werden abgebaut, umgebaut und auch
wieder zusammengebaut. Einige Nährstoffe werden
vorübergehend in körpereigenen Vorratslagern
deponiert und so lange gespeichert, bis sie gebraucht werden. Überflüssige oder gar gefährliche
Stoffe, die bei der Nahrungszerkleinerung oder als
Zwischenprodukte der Stoffwechselwege anfallen,
werden über den Dickdarm, die Nieren und die Blase
vom Körper ausgeschieden. Die Straßen der Nährstoffe sind die unzähligen Adern, Blutgefäße und
Kapillare. Über diese erreichen sie mit oder ohne
Transportvehikel ihre Bestimmungsorte. Die Aufgaben der einzelnen Nährstoffe im Körper sind dabei
so unterschiedlich wie die Stoffwechselwege, die sie
durchlaufen.
Beispiel Energiestoffwechsel: Fette und Kohlenhydrate sind die wichtigsten Energielieferanten des
Körpers. Dabei decken Kohlenhydrate, also Zucker
und Stärke, vornehmlich den akuten, kurzfristig
abrufbaren Bedarf. Fette werden dagegen leichter
und effizienter gespeichert. Sie füllen den Energievorrat auf. In chronischen Mangelsituationen oder
bei extremem Energiebedarf liefern auch Proteine
Energie. Purine und Pyrimidine kreuzen die Wege
der Nahrungszucker im Energiestoffwechsel ebenfalls. Während Purine für den Bau des wichtigsten
Energielieferanten nötig sind, aktivieren Pyrimidine
die einfachen Zucker. Außerhalb des Energiestoffwechsels werden Pyrimidine und Purine zur Bildung
von Nukleinsäuren für den Bau der Erbsubstanz
gebraucht.
Die Mikronährstoffe, zu denen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente gehören, erfüllen
jeweils sehr spezifische Aufgaben im Körper. Sie sind
in ihren Funktionen einzigartig. Kurz gesagt: Ein
Vitamin kann nicht die Rolle eines anderen übernehmen. Weil sie in erster Linie an der Regulation von
Stoffwechselprozessen beteiligt sind, genügen meist
kleine Dosen der Mikronährstoffe – große Mengen
können unter Umständen sogar schädlich sein. Auch
im Energiestoffwechsel übernehmen Vitamine regulierende Funktionen.
Der Energiestoffwechsel zeigt deutlich, dass der
menschliche Stoffwechsel mit seinen unzähligen
Einzelschritten so engmaschig und verzahnt ist wie
ein gut funktionierendes Straßennetz. Wie stark
verwoben dieses Geflecht ist, wird mit jedem Schritt
deutlicher, den die Forschung voranschreitet. Dabei
sind selbst erfahrene Wissenschaftler immer wieder
überrascht, wie sehr die einzelnen Abläufe im Körper miteinander wechselwirken und voneinander
abhängen.
Stau im Stoffwechsel
Wie jedes hochkomplexe System ist auch der Stoffwechsel anfällig für Störungen und Fehler. Zwar
hat der Körper hier und da Umleitungen eingebaut
und viele wichtige Vorgänge verlaufen parallel auf
Haupt- und Nebenstraßen. Dennoch kann es an
kritischen Punkten zu Staus oder gar zu einem Verkehrsstillstand kommen. Dies geschieht etwa, wenn
ein essenzielles Enzym fehlt oder nicht ausreichend
funktioniert und dadurch ein metabolischer Prozess
EINLEITUNG
3
Straßenkarte der Nährstoffe
Eiweiße
Nukleinsäuren
Kohlenhydrate
(Mehrfachzucker)
Aminosäuren
Purine,
Pyrimidine
einfache
Zucker
Fette
Glykolyse
Energieträger
Acetyl-CoA
ZitronensäureZyklus
Atmung
Auf-, Um- und Abbau
von Nährstoffen
CO2
Wasser
Energie
Energiegewinnung
Das Schema verdeutlicht die Wege, die die Nährstoffe sowie ihre Um-,
Ab- und Aufbau-Produkte im Körper einschlagen.
gestoppt wird. Solche Störungen sind häufig angeboren. Sie beruhen auf einem genetischen Defekt, also
einem Fehler im Erbmaterial DNA.
Gene sind Abschnitte auf diesem langgestreckten
spiralförmigen Molekül und tragen die Bauanleitung für Enzyme und alle anderen Proteine des Körpers. Fehler in der Abfolge der Bausteine einzelner
Gene verändern diese Bauanleitungen und führen
im schlimmsten Fall zum Funktionsverlust des zugehörigen Proteins. Gibt es dann weder ein Molekül,
das die Funktion des fehlerhaften Enzyms übernehmen kann, noch einen alternativen Stoffwechselweg, häuft sich die Substanz übermäßig an, die mit
Hilfe des Enzyms um-, ab- oder aufgebaut werden
sollte. Die Nährstoffe oder Zwischenprodukte aus
vorhergehenden Stoffwechselprozessen stauen sich
ebenfalls an und können nicht weiter verarbeitet
werden – mit zum Teil katastrophalen Folgen für den
gesamten Organismus.
Ein Beispiel ist die weltweit häufigste Stoffwechselerkrankung, die Phenylketonurie (PKU). Bei
diesem angeborenen Leiden kann die Aminosäure
Phenylalanin nicht vollständig abgebaut werden
und reichert sich an. Unbehandelt führt die PKU zu
schweren geistigen Entwicklungsstörungen.
Der Ausfall eines Enzyms kann sich aber auch
weniger drastisch äußern, wie das Beispiel der Laktoseintoleranz zeigt. Weil der Mensch als Säugetier für
die längste Zeit seiner Entwicklungsgeschichte nach
der Stillzeit keine Milch mehr verdauen musste, ist
bei der Mehrheit der Weltbevölkerung ein Rückgang
der Laktase-Produktion nach dem Säuglingsalter genetisch festgelegt. Mit der aufkommenden Tierhaltung konnte sich aber eine konkurrierende genetische Anlage etablieren, deren Träger ein Leben lang
Milch und Milchprodukte ohne Bauchschmerzen
oder andere Beschwerden genießen können.
Auch der Energiehaushalt hat seine Wurzeln bis
4
EINLEITUNG
heute sichtbar in der frühen Menschheitsgeschichte:
Fette und Kohlenhydrate, die früher nicht ständig
verfügbar waren, liefern dem Organismus
gemeinsam die Energie zum Leben. Die meisten
Menschen sind deshalb mit Anlagen ausgestattet,
die einen Appetit auf Süßes und Fettiges hervorrufen. In der kargen, eher nahrungsarmen Umwelt
des Frühmenschen war dieses genetische Programm
durchaus sinnvoll und sicherte das Überleben. Heute
aber machen diese Anlagen vielen Menschen zu
schaffen. Da der Ausgleich durch Bewegung fehlt,
macht die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit von
Zucker und Fetten schlicht dick.
Der Appetit bestimmt, was und wie viel gegessen
wird. Doch dieses individuelle Bedürfnis hängt nicht
nur von der tatsächlichen Versorgungslage des Körpers ab. Auch die Gene beeinflussen das Essverhalten
eines Menschen. Manche Anlagen lassen einen zum
Beispiel mehr essen als eigentlich nötig ist.
Auch Schlafmangel kann Übergewicht begünstigen. Die unerwünschten Pfunde können dann
eine Vielzahl von zum Teil schweren Erkrankungen
auslösen, etwa den Typ 2-Diabetes. Dieses Leiden
ist – wie auch das krankhafte Übergewicht – nicht
nur in westlichen Überflussgesellschaften auf dem
Vormarsch. Gesundheitsorganisationen beobachten
auch in Schwellen- und Entwicklungsländern eine
stetig wachsende Zahl von Diabetes- und Adipositas-
Patienten. Betroffen sind hier wie dort vor allem
junge Erwachsene und Kinder.
Die steigende Zahl von Diabetes-Patienten weltweit alarmiert auch Ökonomen. Denn Diabetes
ist einer der größten Risikofaktoren vor allem für
Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, die die
nationalen Gesundheitssysteme bereits enorm
belasten. Den Patienten drohen Herz-KreislaufErkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall,
aber auch Amputationen infolge schwerer Nervenschädigungen und der Verlust des Augenlichts.
Besteht ein Typ 2-Diabetes erst kurze Zeit, können sogar einfache Maßnahmen eine deutliche Besserung
erzielen: sich auf eine ausgewogene Kost umstellen,
Übergewicht reduzieren und sich mehr bewegen.
Bis heute aktuell: Vitaminmangel
Das Wechselspiel zwischen genetischen Anlagen
und einem Leben im Überfluss besteht nicht erst seit
der Moderne. Schon die alten Ägypter litten offenbar
unter Stoffwechselstörungen. So machte vor einigen
Jahren die Mumie einer Frau Schlagzeilen, deren
großer Zeh durch eine Holzprothese ersetzt worden
war. Es stellte sich heraus, dass die Frau unter einer
Arteriosklerose litt und die Amputation vermutlich
die Folge eines Typ 2-Diabetes war.
Häufiger noch finden sich an den Knochen alter
Nährstoffe und damit verbundene Stoffwechselstörungen
Nährstoffgruppe
Funktion
Stoffwechselstörungen
Kohlenhydrate
(Mehrfachzucker,
einfache Zucker)
liefern kurzfristig Energie
Diabetes mellitus,
Laktoseintoleranz,
Galaktosämie
Eiweiße
Struktursubstanzen, Enzyme,
Bausteine von Hormonen und
Antikörpern
Phenylketonurie,
Ahornsirupkrankheit,
Albinismus
Purine und Pyrimidine
Bestandteile der Nukleinsäuren
Gicht
Mikronährstoffe
regulieren den Stoffwechsel
Mangelerscheinungen,
Hämochromatose,
Rachitis
Fette
wichtige Energiespeicher
Adipositas,
Metabolisches Syndrom,
Hypercholesterinämie
EINLEITUNG
5
Molekül A
Aktivierung
der Enzyme
durch Kofaktoren
(Mikronährstoffe)
Regulation
durch Hormone
und andere
Stoffwechselprodukte
inaktive Enzyme
Molekül B
Hormone und Mikronährstoffe wie Vitamine und Metalle regulieren
den Um-, Ab- und Aufbau von Stoffwechselprodukten.
Die Zusammenhänge der einzelnen Stoffwechselwege werden mit
jedem Schritt, den die Forschung voranschreitet, deutlicher.
Ägypter die Spuren anderer Stoffwechselstörungen.
Diese Erkrankungen sind oft Mangelerscheinungen:
etwa ein chronisches Defizit an den Vitaminen C
und D. Diese beiden chemischen Verbindungen
gehören zur Gruppe der Mikronährstoffe und erfüllen essenzielle Aufgaben im Körper. Während der
Körper Vitamin C vollständig von außen zuführen
muss, kann er einen Teil des benötigten Vitamin D
selbst herstellen. Mit der Nahrung wird Vitamin D in
erster Linie über fetthaltige Fische aufgenommen.
Über Generationen erhielten Kinder das vitaminhaltige Leberöl verabreicht. Der wegen seines penetranten Geschmacks verhasste Lebertran ist mittlerweile aber auch in Kapselform erhältlich und kann
so zur Versorgung mit Vitamin D beitragen. Der
Mikronährstoff ist vor allem für die Regulation eines
wichtigen Mineralstoffs im Organismus wichtig: Kalzium sorgt für den Aufbau von Knochenmasse. Fehlt
Vitamin D, kann es zu einer Osteomalazie (Knochenerweichung) oder Rachitis kommen.
Anders als Vitamin D muss das Vitamin C vollständig über die Nahrung zugeführt werden – auch
hier drohen also Defizite. Betroffen sind vor allem
Kinder, Schwangere und ältere Menschen – Gruppen
also, die entweder einen erhöhten Bedarf haben
oder sich unausgewogen ernähren. Experten weisen
immer wieder darauf hin, dass gerade ältere Menschen zwar nicht falsch, aber doch viel zu wenig
essen.
Doch selbst wer ausreichend Kohlenhydrate, Fette, Mikronährstoffe und Proteine zu sich nimmt und
keine gravierenden genetisch bedingten Stoffwechseldefekte hat, ist gegen Krankheiten nicht gefeit.
Empfehlungen für eine gesunde Lebensführung
nennen inzwischen mehrheitlich ein Mindestmaß
an körperlicher Bewegung sowie eine ausgewogene
Kost mit viel frischem Obst und Gemüse. Dabei müssen die empfohlenen Mengen an die individuellen
Lebensumstände angepasst werden.
Gene und Stoffwechsel
Forscher und Mediziner wissen heute, dass jeder
Mensch auf unterschiedliche Arten und Mengen
von Nährstoffen anders reagiert. Wird dann der
Stoffwechsel noch zusätzlich durch eine Mutation
des Erbguts gestört, müssen die Empfehlungen
erst recht individuell gestaltet werden. Denn die
Forschung wird auch weiterhin neue Erkenntnisse
darüber liefern, wie Erkrankungen, die durch Veränderungen des Erbguts hervorgerufen werden, mit
Hilfe spezieller Nährstoffe verhindert, geheilt oder
wenigstens gemildert werden können.
Am Ende steht dann möglicherweise die personalisierte Ernährung mit detaillierten Ratschlägen, die
auf individuelle genetische Anlagen zugeschnitten
sind. Dies wäre dann die Antwort der Zukunft auf
ein Problem der Vergangenheit. Denn Stoffwechselerkrankungen sind so alt wie die Menschheit selbst.
Geändert haben sich in manchen Fällen nur die
Häufigkeit, mit der sie auftreten, und die Personengruppen, die sie treffen. Entscheidend verbessert
haben sich die Möglichkeiten der modernen Forschung und Medizin, die Ursachen der Leiden auf
genetischer und molekularer Ebene zu verstehen
und zu untersuchen – und damit den Weg zu ebnen
für vorbeugende oder heilende Maßnahmen.
6
EINLEITUNG
Kommt die personalisierte Ernährung?
Wie beeinflusst die
Nahrung den Stoffwechsel und die Entwicklung von Kindern und
Jungendlichen? Diese
Frage prägt die wissenschaftliche Laufbahn
von Professor Berthold
Koletzko. Der 53-jährige Westfale ist Professor für Pädiatrie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München (LMU), Vizepräsident
der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, Vorstand der Stiftung Kindergesundheit und Leiter der Abteilung für Stoffwechselstörungen und Ernährungsmedizin am
Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU.
Sein Fazit: „Nährstoffe können je nach persönlicher genetischer Variation unterschiedliche Wirkungen haben.“
Die Erhaltung unserer Gesundheit und Leistungsfähigkeit hängt von einer ausgewogenen Ernährung
ab. Sie soll alle vom Körper benötigten Nährstoffe in
bedarfsgerechter Menge liefern. Die regelmäßigen
Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften, wie viel eines Nährstoffs im Idealfall aufgenommen werden sollte, enthalten für die ganze Bevölkerung einen Referenzwert, der sich auf eine bestimmte Altersgruppe und das Geschlecht beziehen kann.
Beispielsweise empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Kindern und Erwachsenen, eine einheitliche Menge an mehrfach ungesättigten omega-6 Fettsäuren von 2,5 Prozent der gesamten Kalorienzufuhr aufzunehmen. Ein einziger
Wert für eine sehr breit gefächerte Gruppe. Haben
also alle Menschen den gleichen Nährstoffbedarf?
Tatsächlich gehen die Nährstoffempfehlungen
von einer gleichmäßigen und annähernd symmetrischen Verteilung des Nährstoffbedarfs unter den
einzelnen Personen in der Bevölkerung aus. So verbrauchen zum Beispiel Menschen, die viele Körperzellen (etwa Immunzellen) neu bilden, eine größere
Menge an mehrfach ungesättigten Fettsäuren für
den Einbau in Zellwände. Ein anderes Beispiel ist
der geringere Bedarf an Vitamin D aus der Nahrung
bei Menschen, die sich viel im Freien aufhalten und
durch das Sonnenlicht selbst mehr Vitamin D in
der Haut bilden. Dabei produzieren Menschen mit
heller Haut mehr Vitamin D als Menschen mit einem
dunklen Hauttyp, die also bei gleicher Sonnenbestrahlung mehr Vitamin D aufnehmen müssen.
Damit die empfohlene Nährstoffzufuhr tatsächlich
den Bedarf für alle gesunden Menschen deckt, wird
der Referenzwert im oberen Bereich der Verteilung
in der Bevölkerung festgelegt.
Zunehmend mehren sich jedoch Hinweise, dass
auch genetische Varianten zu Unterschieden der
biologischen Auswirkungen von Nährstoffen und
damit zu Unterschieden des Nährstoffbedarfs führen
können. Zum Beispiel gilt dies für die mehrfach ungesättigten essenziellen Fette.
Die essenziellen Fettsäuren Linolsäure (omega-6
Fettsäure) und alpha-Linolensäure (omega-3 Fettsäure), die wir vor allem mit Pflanzenölen zu uns
nehmen, wandeln wir im körpereigenen Stoffwechsel mit Hilfe von Enzymen zu langkettigen Polyenfettsäuren (long-chain polyunsaturates, LCP) um.
Zusätzlich werden LCP auch mit tierischen Lebensmitteln aufgenommen. LCP sind in erster Linie für
Wirkungen der mehrfach ungesättigten Fettsäuren
im Körper verantwortlich, etwa für ihren Einfluss auf
die Immunabwehr. Angesichts einer insgesamt niedrigen körpereigenen Bildung empfehlen Fachleute
und wissenschaftliche Fachgesellschaften die Zufuhr
von omega-3 LCP vor allem aus Seefisch besonders
für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge.
Tatsächlich führen die in der Bevölkerung häufig
vorliegenden genetischen Varianten zu erheblichen
Unterschieden des Stoffwechsels, der biologischen
Wirkungen und offenbar auch des Nährstoffbedarfs
an mehrfach ungesättigten Fetten. In einer großen
Studie in Erfurt (European Community Respiratory
Health Survey) untersuchten wir gemeinsam mit dem
Institut für Epidemiologie im Helmholtz Zentrum
München die Auswirkungen von genetischen Varianten der Enzyme delta-6-Desaturase (Fatty Acid
Desaturase 2, FADS2) und delta-5-Desaturase (FADS1),
welche die Umwandlung der mehrfach ungesättigten Fette regulieren. Ergebnis: Menschen mit selteneren genetischen Varianten haben im Blut bis zu 25
Prozent niedrigere LCP-Gehalte, das heißt, sie bilden
weniger LCP aus den mit der Nahrung aufgenommenen mehrfach ungesättigten Fetten als andere. Etwa
jeder vierte der untersuchten Menschen war davon
betroffen. Bei dieser Gruppe von Menschen mit
geringerer körpereigener LCP-Synthese und niedri-
EINLEITUNG
Kommt die personalisierte Ernährung, steigt die Eigenverantwortung
des Konsumenten.
geren LCP-Gehalten im Blut traten Heuschupfen und
allergische Ekzeme nur halb so häufig auf wie bei
Menschen mit den häufigeren genetischen Varianten der FADS-Enzyme. Diese Ergebnisse belegen den
bereits früher vermuteten Zusammenhang zwischen
der LCP-Versorgung der Gewebe und der allergischen Risikobereitschaft. Zudem wird deutlich,
wie individuell der Körper auf einzelne Nährstoffe
reagieren kann.
LCP-Fette werden im frühen Kindesalter auch
zum Aufbau der Zellwände im Gehirn benötigt. Viele
Studien zeigen einen leichten Vorteil in der Intelligenzentwicklung bei Kindern, die gestillt worden
waren und mit der Muttermilch LCP erhielten,
gegenüber Kindern, die mit Flaschennahrung ohne
LCP ernährt wurden. Auch hier hängt die Wirkung
der Nahrungszufuhr offenbar von der individuellen Genetik ab, wie Forscher des Londoner King’s
College herausfanden. Bei mehr als 1.000 neuseeländischen Kindern führte Stillen gegenüber der
Flaschenernährung nur dann zu einem deutlich um
etwa fünf Punkte verbesserten Intelligenzquotienten
(IQ), wenn eine bestimmte Variante eines der Enzyme vorlag, die die LCP-Bildung regulieren. Bei den
Kindern ohne diese genetische Variante hatte die
Wahl der Säuglingsernährung dagegen keinen Einfluss auf die IQ-Entwicklung. Zum gleichen Ergebnis
kamen die Untersucher auch bei einer weiteren
Kohorte von mehr als 2.000 britischen Kindern.
7
Je nach genetischer Ausstattung des Individuums
unterscheiden sich also die Wirkungen mehrfach
ungesättigter Fette aus der Nahrung erheblich. Um
ähnliche Wirkungen zu erreichen, können ganz
unterschiedliche Zufuhrmengen erforderlich sein.
Offensichtlich ist der Bedarf an diesen Nährstoffen in
der Bevölkerung nicht gleichmäßig verteilt, sondern
unterscheidet sich je nach vorliegenden genetischen
Varianten.
Ähnliche Hinweise ergeben sich auch für genetische Unterschiede beim Bedarf des B-Vitamins
Folsäure. Etwa 12 Prozent der deutschen Bevölkerung
besitzen eine genetisch bedingte Variante des Enzyms Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR),
die zu einem erhöhten Nahrungsbedarf des B-Vitamins Folsäure führt.
Wird ein besseres Verständnis solcher genetischer Unterschiede dazu führen, dass zukünftige
Generationen die Lebensmittel im Supermarkt
aufgrund der Analyse ihres genetischen Codes auswählen? Dies mag für Viele völlig utopisch klingen.
Tatsächlich gibt es aber schon heute Beispiele für
eine personalisierte Nahrungsauswahl aufgrund der
individuellen genetischen Anlagen. Personen mit
einer genetisch bedingten Milchzucker-Unverträglichkeit (Laktoseintoleranz) etwa meiden Trinkmilch,
verzehren aber Hartkäse, der nur Spuren an Milchzucker enthält. Fett- und energiereduzierte Lebensmittel (sog. Light-Produkte) können für Menschen
mit einer genetischen Veranlagung für Übergewicht
nutzbringend sein, während sie für Menschen ohne
Neigung zu Übergewicht keinen Vorteil bieten. Mit
pflanzlichen Sterinen angereicherte Streichfette und
andere Lebensmittel werden für Menschen mit anlagebedingt erhöhten Cholesterinwerten empfohlen,
während Menschen mit genetisch bedingt normalem Cholesterin keinen nennenswerten Vorteil aus
dem Verzehr dieser Produkte ziehen.
Die Wirkungen der gleichen Nährstoffe unterscheiden sich also aufgrund biologisch bedingter
Variationen zwischen den Individuen. Entsprechend
bedeutend ist es herauszufinden, was die genetischen
Ursachen dafür sind, dass sich Nahrungsbestandteile
individuell so unterschiedlich auf den Stoffwechsel
auswirken können. Die wissenschaftliche Aufklärung
könnte so eines Tages dazu führen, dass die Aufnahme bestimmter Nährstoffe besser auf die Bedürfnisse
des Einzelnen abgestimmt wird – und damit zu einem
potenziell großen Nutzen für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden beitragen.
8
KOHLENHYDRATE
KOHLENHYDRATE
9
Kohlenhydratstoffwechsel –
süße Last und schwere Leiden
Zucker (Kohlenhydrate) gehören zu einer
der häufigsten und zugleich für die menschliche Ernährung wichtigsten Gruppe von
Naturstoffen. Es gibt sie ganz klein und leicht
verwertbar als Mono- oder Disaccharide (Einoder Zweifachzucker), aber auch langkettig
und manchmal verzweigt als Polysaccharid.
Während die großen Vielfachzucker im Tierund Pflanzenreich vor allem Stützfunktionen
haben, erfüllen die kleinen Zucker eine wichtige physiologische Bedeutung. Sie liefern
Energie.
Kohlenhydrate sind schnelle und zuverlässige Energielieferanten.
Reis enthält zusätzlich wertvolle Stärke, die zunächst in einfache Zucker
zerlegt werden muss. Die gebundene Energie wird langsamer abgegeben. Diabetiker profitieren davon, da es dadurch nicht zu kurzfristigen
Blutzuckerspitzen kommt.
Wie schnell Zucker den Körper mit Energie versorgen kann, weiß jeder, der nach großer körperlicher
oder geistiger Anstrengung schon mal Traubenzucker gegessen hat – schon nach kurzer Zeit kommt
die Kraft zurück, man ist wieder leistungsfähiger.
Kein Wunder, Traubenzucker ist nichts anderes als
Glukose und damit der einfachste und physiologisch
wichtigste Energielieferant des Körpers. Während
andere energiereiche Moleküle wie Eiweiße und
Fette vom Körper zunächst zerkleinert und in eine
verwertbare Form gebracht werden müssen, gelangen Einfachzucker wie Glukose ohne große Umwege
direkt in die Blutbahn.
Glukose macht das Gros des Blutzuckers aus, über
den der Organismus die Zellen mit Energie versorgt.
Für das Gehirn, das Energie nicht speichern kann, ist
Traubenzucker sogar der einzig mögliche Energielieferant. Fehlt er, kann er vom Körper aus Laktose,
bestimmten Aminosäuren und Glycerin selbst gebildet werden.
Um stets ausreichend aber trotzdem nicht zu
viel Energie parat zu haben, steuert der Körper
die Menge an Einfachzuckern im Blut ganz genau.
Ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung
gepaart mit einer genetischen Veranlagung können
diesen Mechanismus allerdings aus dem Gleichgewicht bringen. Es entsteht ein Diabetes mellitus, das
Blut ist zu süß (s.a. „Volkskrankheit Diabetes“, S. 12).
Auch Zweifachzucker wie der Milchzucker
(Laktose) liefern schnell Energie. Allerdings ist die
Fähigkeit, als Erwachsener Milchzucker in großen
Mengen zu verwerten, eine in der Geschichte der
Menschheit relativ junge Errungenschaft. Nicht
jeder Körper trägt die für die neue Ernährungsweise
vorteilhaften Gene (s.a. „Intolerantes Erbe“, S. 15).
Schwere Stoffwechselentgleisungen kann auch die
ebenfalls in der Milch vorkommende Galaktose hervorrufen, wenn der Körper sie nicht mehr zu Glukose
umwandeln kann (s.a. „Wenn Zucker die Zellen
vergiftet“, S. 22).
Die meisten Menschen, deren Zuckerhaushalt
gestört ist, leiden unter einem Diabetes. Sie halten
Diät, sollten sich viel bewegen und müssen laufend
ihre Blutwerte kontrollieren. Dazu ist viel Selbstdisziplin nötig. Nicht jeder kann sie aufbringen, andere wiederum spornt die Krankheit an. Sie werden
obwohl oder gerade weil sie krank sind zu Hochleistungssportlern.
10
KOHLENHYDRATE
Laufend neue Eindrücke
Hauptsache Sport: So ließe sich das Leben
von Ulrike Thurm am besten auf einen
Nenner bringen. Ob beim Marathonlauf, beim
Tennis, Tauchen oder Rad fahren – die Typ 1Diabetikerin ist fast immer in Bewegung.
„Sightseeing“ nennt Ulrike Thurm ihre Marathonläufe – zumindest wenn sie in Berlin, New York oder
London stattfinden. „Laufen in einer interessanten
Stadt macht einfach Spaß“, sagt die Präsidentin
der International Diabetic Athletes Association
(IDAA) e.V. in Deutschland. Der Verein versucht mit
zahlreichen Informationen und aktiver Teilnahme
zusammenzubringen, was in den Köpfen vieler Betroffener und auch mancher Ärzte noch immer nicht
zusammengehört: Diabetes und Sport.
Ein Leben ohne Sport kann sich die Diabetikerin Ulrike Thurm
trotz ihrer Erkrankung nicht vorstellen.
Schon seit langem ist bekannt, dass regelmäßige
körperliche Aktivität einer der wichtigsten Faktoren
bei der Prävention eines Diabetes ist. Nur langsam
aber setzt sich die Erkenntnis durch, dass Patienten
nach Ausbruch der Krankheit ebenfalls in hohem
Maße von sportlicher Betätigung profitieren. Extremsport ist dafür nicht nötig, aber machbar. Das
zeigt das Beispiel von Ulrike Thurm.
Ihre Erkrankung hat sie dabei so gut im Griff, dass
sie noch nie eine schwere Unterzuckerung hatte.
„Ich habe immer ein Messgerät für regelmäßige
Kontrollen meines Blutzuckers dabei“, berichtet
Thurm. Die Sportlerin hat stets Kohlenhydrate dabei,
um der Unterzuckerung vorzubeugen. Eine beginnende Unterzuckerung nimmt sie auch während
der sportlichen Aktivitäten wahr. „Ich werde dann
langsamer, und das Laufen fällt mir schwer.“ Für
Ulrike Thurm gibt es nichts, was man als Diabetiker
nicht machen könnte. Man müsse allerdings seinen
Körper gut kennen und besser planen und organisieren als Nichtdiabetiker.
Und dann gibt es ja auch noch die IDAA. Etwa
beim Berlin-Marathon: Dort organisierten Thurm
und ihre Mitstreiter Anlaufstellen für Diabetiker am
Start, am Ziel sowie an den Verpflegungsständen
bei Kilometer zehn, 20 und 30. Betroffene können
dort ihre Blutzuckerwerte kontrollieren und – je
nach Bedarf – mit Hilfe von Bananen und süßen
Getränken auftanken oder mittels Insulin überhöhte
Werte senken.
Das Angebot wurde dankbar angenommen. Dabei geht es nicht darum, den Patienten die Verantwortung für ihren Diabetes abzunehmen. Das Ziel ist
eher eine gewisse Rückendeckung für verunsicherte
Betroffene, die sich ohne diese Unterstützung der
körperlichen Herausforderung eines Marathonlaufs
möglicherweise nicht stellen würden.
Für Ulrike Thurm ist die Rolle als Diabetesberaterin mit dem Schwerpunkt Sport mittlerweile zur
Lebensaufgabe geworden. Sie lebt selbst vor, dass
diese Erkrankung kein Hindernis sein muss: Neben
dem Laufen spielt sie Fußball in der Landesliga, sie
schwimmt, fährt Rad, spielt Tennis. Sie ist sogar eine
aktive Rettungstaucherin. Dabei gab es in dieser
Sportart jahrelang ein Verbot für insulinpflichtige Diabetiker – bis Ulrike Thurm 1995 den ersten
wissenschaftlich begleiteten Tauchkurs für diese
Patientengruppe durchführte. „Mittlerweile gilt für
Diabetiker dasselbe wie für Nichtdiabetiker“, sagt sie
überzeugt: „Hauptsache Sport!“
KOHLENHYDRATE
11
Die Bauchspeicheldrüse –
Leichtgewicht mit schweren Aufgaben
Bauchspeicheldrüse
(Pankreas)
Drüsenbläschen
Proteine, Fette, Zucker – was wir mit der Nahrung
aufnehmen, können die Enzyme der Bauchspeicheldrüse zerlegen. Als wichtigste Verdauungsdrüse
des Menschen verfügt das Pankreas, wie das Organ
medizinisch heißt, über rund 30 hoch spezialisierte
Enzyme. Darunter Lipasen, die große Fettmoleküle
zerkleinern, Peptidasen, die Eiweiße in ihre Bestandteile zerlegen, und Amylasen, die sich auf die Verdauung von Zuckermolekülen spezialisiert haben.
Die meisten dieser Enzyme gelangen zunächst als
inaktive Vorstufen über den zentralen Ausführgang,
den Ductus pancreaticus, in den Dünndarm. Erst
dort werden sie aktiv. Dieser Schutzmechanismus
verhindert, dass die hochwirksamen Verdauungsenzyme das Pankreas selbst angreifen, denn das wird
nicht wie der Darm durch eine Schleimhaut geschützt. Verdauungsenzyme zu produzieren, ist die
Hauptaufgabe des Pankreas. Insgesamt leistet das
nur etwa 70 Gramm schwere Organ im Oberbauch
einen wahren Kraftakt: Immerhin 1,5 Liter Verdauungssekret werden pro Tag in der Bauchspeicheldrüse gebildet.
In nur knapp zwei Prozent seiner Zellen bildet das
Pankreas Hormone. Anders als die Verdauungsenzyme werden die Botenstoffe direkt ins Blut abgegeben
und regulieren dort auch den Blutzuckerspiegel.
Ein Beispiel ist Glukagon, das bei Bedarf in der Leber
AlphaZelle
BetaZelle
Langerhanssche
Insel
Kapillargefäß
gespeicherte Zucker mobilisiert. Glukagon ist der
Gegenspieler des Insulins. Dieses Hormon ist besonders wichtig, weil es den Blutzuckerspiegel erhöht
und damit ein wichtiger Regulator des Stoffwechsels
ist. Gebildet werden die Hormone in den Alphazellen
der Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse
– einem Organ im Organ. Diese abgegrenzten Zellhaufen im Pankreas setzen sich aus spezialisierten
Zelltypen zusammen und registrieren unter anderem die Zuckermenge im Blut. Ist der Wert zu hoch,
produzieren zum Beispiel die Betazellen der Langerhansschen Inseln als Gegenmaßnahme das Insulin,
das sowohl seine Entstehung, als auch seinen Namen
diesem „Inselorgan“ verdankt. Bei einem Diabetes
mellitus Typ 1 werden die Betazellen des Inselapparates durch eine Abwehrreaktion des Körpers zerstört,
so dass ein chronischer Insulinmangel entsteht.
12
KOHLENHYDRATE
Volkskrankheit Diabetes
Der Diabetes ist für Mediziner und Stoffwechselexperten ein alter Bekannter. Nach dem
genetisch bedingten Typ 1-Diabetes macht
Ärzten und Stoffwechselexperten vor allem
der Typ 2-Diabetes Sorge. An dem früher als
Altersdiabetes bekannten Leiden erkranken
zunehmend junge Menschen.
Sie steht ganz oben auf der Liste der Volkskrankheiten und wird – wenn sich der Lebensstil der Menschen nicht ändert – die Gesellschaft langsam aber
sicher verändern: die Zuckerkrankheit oder auch
der Diabetes mellitus. Die Veranlagung, an Diabetes
zu erkranken, liegt zwar in den Genen, doch Schuld
an der epidemieartigen Ausbreitung des Diabetes
haben – darin sind sich die Experten einig – ein
gravierender Mangel an körperlicher Aktivität und
das weit verbreitete Übergewicht bis hin zur Fettleibigkeit. „Es ist der amerikanische Lebensstil, der mit
etwas Verzögerung zu uns rüberschwappt – mit all
seinen negativen Konsequenzen“, bestätigt der Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG),
Professor Thomas Haak vom Diabetes Zentrum
Mergentheim.
Sorgen macht vor allem der früher als Altersdiabetes bekannte Typ 2-Diabetes. Längst sind auch
junge Erwachsene und sogar Kinder und Jugendliche betroffen. Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der steigenden Zahl übergewichtiger
Menschen und Diabetes-Erkrankungen. Hält der
Trend zum Dicksein an, rechnen Experten bereits
für das Jahr 2010 mit mindestens acht Millionen Typ
2-Diabetikern in Deutschland. Weltweit wird dann
in den kommenden 20 Jahren die Zahl der Diabetiker auf 370 Millionen steigen.
Der Typ 2-Diabetes ist eine Zivilisationskrankheit
mit erheblichen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen: So geht etwa jeder zweite Herzinfarkt oder Schlaganfall auf das Konto des Diabetes,
ebenso jährlich rund 30.000 Amputationen allein in
Deutschland, dazu Nierenversagen und Erblinden.
Der Diabetes mellitus ist nach Angaben der DDG
heute die teuerste chronische Erkrankung und belastet das deutsche Gesundheitssystem jährlich mit
18 Milliarden Euro.
Doch was steckt hinter dieser Krankheit? Diabetes ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, bei denen die Aufnahme von Glukose (Traubenzucker) in
die Zellen gestört ist. Ursache ist ein Botenstoff, das
Rund sieben Millionen Menschen leiden in Deutschland unter einem
Diabetes mellitus – ihr Blut enthält zu viel Glukose.
Insulin, das bei Diabetikern entweder nicht gebildet
wird oder wirkungslos ist. Bei Gesunden wird das
Hormon in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse
produziert. Es öffnet die Membranen von Leber-,
Fett- und Muskelzellen für Glukosemoleküle. Sie entstehen, sobald Zucker in Form von Kohlenhydraten
mit der Nahrung aufgenommen wird. Steigt die Glukose im Blut, gibt Insulin den Zellen das Signal, den
Zucker aufzunehmen. Auf diese Weise sorgt es für
ausreichend Energie und hält den Blutzuckerspiegel
konstant. Bei Diabetikern gleich welchen Typs ist die
Regulation des Blutzuckerspiegels gestört.
Der Typ 1-Diabetes manifestiert sich häufig bereits
in der Kindheit: Das Immunsystem der betroffenen
Patienten zerstört die Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Schuld daran haben Variationen im Erbgut
der Patienten, die die Oberfläche der Insulin produzierenden Zellen so verändern, dass das Immunsystem sie nicht mehr als körpereigene Zellen erkennt
und sich gegen sie richtet. Als Folge gibt die Bauchspeicheldrüse kein oder zu wenig Insulin ins Blut
ab, Glukose wird von den Körperzellen nicht mehr
aufgenommen. Typ 1-Diabetiker müssen ihr Leben
lang mehrmals täglich Insulin von außen zuführen.
Nur vorübergehend ist dagegen der Gestations- oder Schwangerschaftsdiabetes. Er entsteht
durch Schwangerschaftshormone und Hormone
der Plazenta, die den Zuckerhaushalt stören, und
verschwindet meist wenige Monate nach der Geburt.
Allerdings gilt dieser Diabetes als hoher Risikofaktor, um später an Diabetes Typ 2 zu erkranken.
Tatsächlich entwickelt etwa die Hälfte der Frauen
mit Schwangerschaftsdiabetes in den folgenden
KOHLENHYDRATE
zehn Jahren einen Typ 2-Diabetes. Noch höher ist das
Risiko, wenn während der Schwangerschaft Insulin
gespritzt werden musste: 61 von 100 betroffenen
Frauen bekommen sogar innerhalb von drei Jahren
nach der Schwangerschaft einen Typ 2-Diabetes.
Die häufigste Form der Zuckerkrankheit ist der
Typ 2-Diabetes. Zwar liegen ihr genetische Anlagen
zugrunde. Ihr bedeutendster Auslöser ist aber ein
ungesunder Lebensstil. Tatsächlich könnten nach
Ansicht von Diabetologen Typ 2-Diabetiker allein
durch mehr Bewegung und Diät bereits viel gegen
ihre Erkrankung tun. Zwar sind beim Typ 2-Diabetes
die Empfängerzellen – also Leber-, Fett- oder Muskelzellen – genetisch bedingt weniger empfindlich
gegenüber Insulin. Aber erst der Lebenswandel führt
zu einer andauernden Insulinresistenz. Ähnliches
lässt sich im Alter beobachten, wenn die Produktion des Hormons abnimmt. Dann antworten die
Zellen nicht mehr auf das Signal des Botenstoffs
und bleiben für Glukose undurchlässig. Tatsächlich
können bei einigen Typ 2-Diabetikern durch Sport
die Insulin-Andockstellen an den Zellwänden wieder
an den richtigen Platz gebracht werden. Auch eine
Diät hilft. Denn bei Übergewicht stellen die Fettzellen riesige Mengen bestimmter Hormone her, die die
Insulinwirkung zusätzlich hemmen. Eine Gewichtsreduktion senkt die Produktion dieses Hormons.
Erst wenn Bewegung und Diät nichts mehr
ausrichten können, wird der Typ 2-Diabetes medikamentös behandelt. Dabei verzögern manche Wirkstoffe nach den Mahlzeiten die Aufnahme von Glu-
Die Bedienung von Blutzuckermessgeräten ist dank modernster
Technik heute ein Kinderspiel.
13
kose aus dem Darm, während andere ihre Aufnahme
in die Zellen verbessern. Eine dritte Substanzklasse
schließlich senkt den Blutzucker, indem sie die Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse verbessert.
Die Schwierigkeit des Typ 2-Diabetes liegt auch in
der Diagnose. Symptome wie Müdigkeit, Schwäche
oder Hungergefühl sind unspezifisch und stellen
sich nur schleichend ein – viele Diagnosen werden
deshalb erst gestellt, wenn die Patienten wegen ganz
anderer Leiden einen Arzt aufsuchen. Diese Leiden
sind häufig die Folgen des Diabetes: Herz-KreislaufErkrankungen, Nervenleiden, Nierenprobleme oder
eine Verringerung der Sehschärfe bis hin zur Erblindung.
Der Diabetes – gleich welchen Typs – ist ein Paradebeispiel dafür, wie komplex das Zusammenspiel
zwischen Genen, Ernährung und Bewegung sein
kann. So lassen sich Risiko und Schwere der Erkrankung trotz genetischer Veranlagungen durchaus
durch eine bewusste Ernährung beeinflussen.
Studien am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam zeigten zum Beispiel
wiederholt, dass ein durch kohlenhydratreiche
Nahrung bedingter Anstieg des Blutzuckerspiegels
eine entscheidende Rolle bei der Diabetes-Entstehung spielt. Die Ernährungswissenschaftler raten
zu Ballaststoffen aus Vollkornprodukten. „Verschiedene Studien am DIfE geben klare Hinweise, dass
Ballaststoffe aus Getreideprodukten den Anstieg des
Blutzuckerspiegels verlangsamen und die Insulinwirkung verbessern und so dazu beitragen können,
das Typ 2-Diabetes-Risiko zu senken“, bestätigt DIfEForscher Professor Heiner Boeing, dessen Arbeit das
BMBF im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) unterstützt.
Sport gilt neben einer gesunden Ernährung als
zweite wichtige Waffe gegen den Diabetes. Die meisten Menschen profitieren von mehr Bewegung: „Es
gibt schöne Daten, wonach sich ein Typ 2-Diabetes
bei normalem Gewicht und körperlicher Aktivität in
bis zu 90 Prozent der Fälle vermeiden ließe“, berichtet der Sportmediziner Professor Martin Halle von
der Technischen Universität München. „Etwa 10.000
Schritte pro Tag und zusätzlich zwei- bis dreimal die
Woche sportliche Betätigung wie strammes Spazierengehen für etwa 30 Minuten sind dafür aber ein
Minimum.“
14
KOHLENHYDRATE
Diabetes und Depression –
ein unheilvolles Duo
Was kommt zuerst – der Diabetes oder die Depression? „Der Zusammenhang ist in beide Richtungen
denkbar“, berichtet Dr. Frank Petrak von der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsklinik Bochum. „Die chronische
Belastung durch Diabetes kann eine Depression auslösen.“ So leide etwa jeder vierte Diabetiker an einer
erhöhten Depressivität und circa neun Prozent erkrankten gar am Vollbild einer Depression. „Umgekehrt haben jedoch auch depressive Patienten eine
um etwa 37 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit, an
Diabetes zu erkranken“, so der Psychologe von der
Ruhr-Universität. Denn Menschen mit einer Depression führen oft einen ungesunden Lebenswandel:
Sie bewegen sich wenig, ernähren sich schlecht, sind
dann übergewichtig – und begünstigen dank dieser
drei Faktoren die Entstehung eines Diabetes. Aber
auch hormonelle Wechselwirkungen könnten eine
Rolle spielen.
Petrak leitet eine Forschergruppe, die im Rahmen
der vom Bundesforschungsministerium geförderten
und weltweit einzigartigen Diabetes-DepressionsStudie (DAD-Studie) seit 2006 nach Möglichkeiten
sucht, die Therapie von Diabetikern mit Depressionen zu verbessern. Dabei soll eine Behandlungsmöglichkeit gefunden werden, die sowohl die
Depression als auch den Diabetes berücksichtigt.
Denn das gleichzeitige Vorhandensein beider Leiden
führt zu einem deutlich schlechteren Krankheitsverlauf sowohl des Diabetes als auch der Depression.
„Die Wechselwirkung ist tatsächlich gravierend“, so
Petrak. „Sie reicht bis hin zu einer deutlich erhöhten
Sterblichkeit bei depressiven Diabetikern.“
Ein Diabetiker sollte in der Regel mehrmals
täglich seine Blutzuckerwerte kontrollieren, auf die
Diät achten und gegebenenfalls eine an den Bedarf
angepasste Menge Insulin einnehmen. Das erfordert
ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin – und zwar
lebenslang. Unter dem Einfluss einer Depression
fehlen aber oft der Antrieb und die nötige Energie.
Alltägliche Verrichtungen erscheinen als unüberwindliche Belastung, so dass viele depressive Diabetiker ihre Blutzuckereinstellung vernachlässigen.
Folgeerkrankungen stellen sich dann früher ein.
An der DAD-Studie nehmen rund 300 depressive
Diabetiker teil: Patienten mit unzureichend eingestelltem Blutzucker, die seit mindestens einem Jahr
an Diabetes leiden und seit mindestens sechs Monaten mit Insulin behandelt werden. Doch nur, wenn
sie auch an einer Depression leiden, kommen sie für
die Studie in Frage. Dabei wird die Depression der
Probanden – unter Fortführung der Diabetestherapie – durch die Einnahme eines seit mehreren Jahren
zugelassenen Antidepressivums oder eine diabetesspezifische Verhaltenstherapie behandelt.
Schon jetzt ist bekannt, dass die medikamentöse
Therapie und die Psychotherapie in der Depressionsbehandlung ähnlich gut wirken. Es gibt aber keine
langfristigen Erkenntnisse über ihre Auswirkungen
auf den Diabetes. Deshalb wird die Entwicklung der
erfolgreich behandelten Teilnehmer zudem über 15
Monate verfolgt. Die medikamentöse Behandlung
läuft dabei weiter, die Psychotherapie dagegen
nicht. Diese zweite Studienphase soll dann zeigen,
ob die erfolgreiche Therapie der Depression einen
positiven Verlauf des Diabetes bewirkt – und ob
Rückfälle der Depression drohen.
Viele depressive Diabetiker vernachlässigen ihre Therapie und geraten
dadurch in einen Teufelskreis. Denn wenn die Blutwerte schlechter
werden, sinkt auch die Stimmung.
KOHLENHYDRATE
15
Intolerantes Erbe
Ihr Körper kann keinen Milchzucker verwerten und reagiert daher auf Milch und
Milchprodukte mit Blähungen, Übelkeit und
Durchfall. Mehr als 12 Millionen Menschen
in Deutschland leiden unter einer Laktoseintoleranz.
Etwa ein Gramm Kalzium sollten erwachsene Menschen täglich über die Nahrung zu sich nehmen. Einen Teil davon benötigen Muskeln und Nerven, das
meiste aber kommt den Knochen zugute. Fehlt das
Mineral, verlieren die Knochen an Festigkeit – Osteoporose ist die Folge. In den westlichen Gesellschaften
sind Milch und Milchprodukte die Hauptlieferanten
von Kalzium und zählen daher zu den wichtigsten
Grundnahrungsmitteln.
Doch längst nicht alle Menschen vertragen
Milch. Etwa 12 Millionen Deutsche leiden unter
einer Laktoseintoleranz. Sie können den in der Milch
enthaltenen Milchzucker, die Laktose, nicht verwerten. Grund ist ein Mangel an Laktase. Dieses Enzym,
das normalerweise den Milchzucker bereits im
Dünndarm in die vom Körper verwertbaren Zucker
Galaktose und Glukose zerlegt, ist zu wenig oder gar
nicht mehr vorhanden. Dadurch gelangt der Zucker
unverdaut in den Dickdarm, wo er von Bakterien
vergoren wird. Das dabei entstehende Gas sorgt für
die typischen Symptome einer Laktoseintoleranz:
die Patienten fühlen sich nicht wohl, klagen über
Bauchschmerzen, erbrechen oder leiden unter lang
anhaltendem Durchfall.
Eine Krankheit ist diese Unfähigkeit, Milchzucker
zu spalten, nach Ansicht von Dr. Thomas Ochsenkühn nicht. Der Mediziner leitet die Ambulanz für
chronisch entzündliche Darmerkrankungen am
Klinikum Großhadern in München. Im Gegenteil, die
Fähigkeit, Laktose zu verdauen, haben sich erwachsene Menschen vermutlich erst in den letzten 8.000
Jahren erworben, seit mit Beginn der Tierhaltung die
Milch in einigen Teilen der Welt zu einem beständig
verfügbaren Nahrungsmittel avancierte.
Alle Menschen bilden nach ihrer Geburt das Enzym Laktase. Es hilft ihnen als Kleinkind, die Laktose
der Muttermilch zu verdauen. Nach der Stillzeit aber
stand dem Menschen in der längsten Zeit seiner
Entwicklungsgeschichte keine Milch mehr zu Verfügung – das Enzym wurde nicht mehr gebraucht,
der Körper drosselte die Produktion entsprechend.
Bei vielen ist das auch heute noch so, obwohl Milch
ihnen lebenslang zur Verfügung steht.
Die Fähigkeit, Milchzucker auch als Erwachsene
überhaupt verdauen zu können, verdanken wir also
einer Variation im Erbgut, die sich erstaunlich rasch
manifestierte. Ergebnisse von Anthropologen bestätigen das. Sie fanden in steinzeitlichen Skeletten
eben jenes Gen, das heute bei Menschen mit Milchzucker-Unverträglichkeit im Körper signalisiert:
Laktaseproduktion einstellen!
Doch es gibt auch klinisch ernste Fälle von Laktoseintoleranz: etwa dann, wenn durch einen genetischen Defekt bereits Säuglingen das Enzym Laktase
fehlt. Unbehandelt kann ein solcher Laktasemangel
das Wachstum stark beeinträchtigen und zu Gehirnschäden führen. Selten ist eine Laktoseintoleranz
auch Folge chronischer Darmerkrankungen oder
akuter Entzündungen des Verdauungstrakts. Die
Laktaseproduktion ist in diesen Fällen aber meist nur
vorübergehend beeinträchtigt.
Weltweit tolerieren schätzungsweise vier Milliarden erwachsene Menschen keinen Milchzucker,
das sind rund zwei Drittel der Menschheit. Milch ist
nur in Nord- und Mitteleuropa sowie bei einigen
Hirtenvölkern ein Hauptnahrungsmittel. In anderen
Erdteilen wird der tägliche Kalziumbedarf traditionell durch Gemüse, Nüsse und Soja gedeckt – eine
Anpassung des menschlichen Erbguts an einen
erhöhten Milchkonsum war in diesen Regionen bis
heute nicht notwendig.
16
KOHLENHYDRATE
Diabetestherapie – mehr als Insulin
Neue Forschungsansätze und Medikamente
lassen auf einen Durchbruch im Kampf gegen
den Diabetes hoffen. Die Innovationen sollen
Diabetikern jeden Typs das Leben mit der
Stoffwechselerkrankung erleichtern.
Es ist ein 13-jähriger Junge, dem 1922 als erstem
Diabetiker Insulin injiziert wird. Das Hormon öffnet
bestimmte Körperzellen für Glukose, die den Zucker
dann aus dem Blut aufnehmen können. Diabetiker
aber bilden kein Insulin mehr oder ihre Zellen reagieren nicht darauf. Wegen Überzuckerung war das
Kind bereits ins Koma gefallen – und konnte durch
die Insulinspritze gerettet werden.
Noch immer ist die Insulingabe die zentrale Säule
der Diabetestherapie, wenn auch schon lange nicht
mehr die einzige. „Schließlich gehört zur Diabetesbehandlung weit mehr als nur das Insulin“, sagt
Professor Peter Nawroth, Ärztlicher Direktor der
Abteilung Endokrinologie und Stoffwechsel des Universitätsklinikums Heidelberg. Tatsächlich muss nur
der Typ 1-Diabetiker sein Leben lang Insulin zuführen. Bei den meisten Typ 2-Patienten wirkt schon die
Basistherapie – eine Kombination aus ausgewogener
Kost, körperlicher Aktivität und Gewichtsabnahme
– kleine Wunder. Doch wenn die Lebensumstellung
schwer fällt oder keine nennenswerte Besserung
bringt, müssen Medikamente den Blutzuckerspiegel
in Grenzen halten. „Der Bedarf für innovative Therapien ist gegeben und wird auch bestehen bleiben“,
so Nawroth.
Medikamente für Typ 2-Diabetiker wirken auf unterschiedliche Weise. Sie verringern oder verzögern
den Anstieg des Blutzuckers nach dem Essen oder
verhindern, dass Zucker in der Leber neu gebildet
wird. Andere Wirkstoffe wiederum steigern die Freisetzung des Insulins oder erhöhen seine Wirkung.
Große Aufmerksamkeit unter den Diabetologen
erfährt auch die Therapie mit so genannten Inkretinmimetika. Inkretine sind Darmhormone, die nach
der Aufnahme von Kohlenhydraten mit der Nahrung
den Blutzucker regulieren. Bei höheren Blutzuckerwerten werden zum Beispiel die Inkretine GIP
(Gastric Inhibitory Polypetide) und GLP-1 (Glucagonlike Peptide 1) aktiv. So gibt GLP-1 nach der Nahrungsaufnahme das Signal, mehr Insulin freizusetzen.
Gleichzeitig verzögert es die Entleerung des Magens,
drosselt den Appetit – und wirkt so einem überhöhten Blutzuckerspiegel entgegen. Als besonders
positiv wird gesehen, dass diese Wirkstoffe – anders
Im Rahmen des vom BMBF geförderten Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) wird nach den genetischen Ursachen
des Diabetes mellitus gesucht.
als andere Diabetesmedikamente – nicht zu einer
gefährlichen Unterzuckerung führen. Möglicherweise können sie sogar die Insulin produzierenden
Betazellen der Bauchspeicheldrüse vor dem Absterben bewahren.
Ebenso große Hoffnungen setzen Wissenschaftler auf so genannte Interleukinblocker bei Typ 2-Diabetes. Wie Professor Marc Donath vom Universitätsspital Zürich zeigen konnte, spielt das körpereigene
Molekül Interleukin-1-Beta eine entscheidende Rolle
bei der Entstehung des Typ 2-Diabetes. „Das Molekül
wird bei metabolischem Stress freigesetzt, also auch
bei hohem Blutzucker“, sagt Donath. „Das löst eine
Immunreaktion aus, durch die letztlich die Insulin
produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse
zerstört werden.“
In einer Studie an Typ 2-Diabetikern setzte Donath deshalb Interleukin-Blocker ein, die bereits für
die Therapie anderer Krankheiten als Medikament
KOHLENHYDRATE
17
zugelassen und als nebenwirkungsarm bekannt
waren. Bereits nach einer Woche zeigte sich eine
deutliche Verbesserung des Blutzuckerstoffwechsels. Dieser Effekt hielt für die gesamte Studiendauer
von drei Monaten an. Neben der positiven Wirkung
auf die Insulinproduktion wurden aber auch spezifische Entzündungsfaktoren gehemmt, die für die
häufigen Komplikationen des Diabetes im HerzKreislauf-Bereich verantwortlich sind. „Das macht
diesen Ansatz auch so interessant“, meint Nawroth.
„Möglicherweise wirken die Interleukin-Blocker
nicht nur gegen den Diabetes, sondern verhindern
auch Folgeschäden.“
Derzeit werden Diabetesmedikamente nach
einem Stufenplan und oft miteinander kombiniert
verabreicht. Bessert sich die Blutzuckereinstellung
nach drei Monaten nicht, werden andere oder zusätzliche Wirkstoffe hinzugezogen und schließlich
Insulin verabreicht.
In der Regel wird Insulin gespritzt. Doch wird
intensiv nach neuen Darreichungsformen gesucht. So kann man das Hormon inzwischen auch
inhalieren oder durch die Haut aufnehmen. Doch
Insulinmoleküle sind groß und durchdringen die
Haut nur schwer. Und nach Angaben des Instituts
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits-
wesen (IQWiG) hat inhalatives Insulin gegenüber
gespritztem Insulin zudem keinerlei gesundheitliche Vorteile. An den Erfolg inhalativer Insuline wie
Exubera mag auch Stoffwechselexperte Nawroth
nicht glauben: „Zum einen gibt es keinen richtigen
Bedarf dafür. Ich zumindest habe noch keinen der
von den Vertreiberfirmen viel zitierten Spritzenphobiker getroffen.“ Daneben seien aber einige Fragen
immer noch offen, etwa nach der Tauglichkeit des
Systems oder wie sich regelmäßig eingeatmeter
Insulinstaub auf die Lunge auswirkt.
Im Kampf gegen den Typ 1-Diabetes könnte eine
Impfung mit körpereigenen Antigenen zum Erfolg führen. Bei Mäusen ist sie bereits erprobt: Der
Impfstoff hemmt das fehlgeleitete Immunsystem
der kranken Tiere. Auf diesem Weg konnten Wissenschaftler des Berliner Max-Delbrück-Centrums für
Molekulare Medizin (MDC) zusammen mit französischen Kollegen Zellen des Immunsystems aktivieren, um T-Zellen zu stoppen, die die insulinproduzierenden Betazellen angreifen. In diesem frühen
Stadium der Erprobung ist die Erforschung der
Diabetes-Impfung von allgemeinem Interesse. Denn
die Versuche zeigen, dass es prinzipiell möglich ist,
Krankheiten zu verhindern, bei denen das Immunsystem gegen den eigenen Organismus vorgeht.
Diabetes Typ 1 und Typ 2 im Überblick
Typ 1
Typ 2
Ursachen
genetische Veranlagung
Übergewicht, mangelnde Bewegung und
genetische Veranlagung
Wirkung im
Körper
Autoimmunreaktion: Im Rahmen einer
Entzündungsreaktion zerstört das körpereigene Immunsystem die Insulin produzierenden Betazellen in der Bauschspeicheldrüse.
Folge: Insulinmangel
Insulinresistenz: Die insulinabhängigen
Körperzellen reagieren nicht mehr oder
nur schwach auf das Hormon Insulin,
das ihnen die Aufnahme von Glukose
ermöglicht. Der Körper produziert daher
besonders viel Insulin, um den Mangel zu
kompensieren.
Mögliche Folge: Insulinüberschuss
Ausbruch der
Krankheit
meist vor dem 35. Lebensjahr, besonders
häufig zwischen 11 und 13 Jahren
meist ab dem 40. Lebensjahr, besonders
häufig ab 65 Jahren
Symptome
rasche, starke Gewichtsabnahme, da Insulinmangel den Fettaufbau beeinträchtigt
unspezifische oder keine Beschwerden,
selten Stoffwechselentgleisungen
Häufigkeit
ca. 250.000 Fälle in Deutschland
ca. 5,5 Millionen Fälle in Deutschland
18
KOHLENHYDRATE
Künstliche Bauchspeicheldrüse
Noch ist sie in der Diabetestherapie Zukunftsmusik, die künstliche Bauchspeicheldrüse. Denn der
Anspruch ist hoch: Sie müsste Diabetiker so gut mit
dem Hormon versorgen wie das natürliche Vorbild.
Für ein solches „Closed-Loop-Gerät“, das also in sich
geschlossen funktioniert, sind zwei nahtlos kombinierbare Einheiten nötig: Ein Sensor zur Erfassung
des Blutzuckerspiegels und eine Pumpe, die das
Hormon Insulin bedarfsgerecht abgibt.
Beides gibt es bereits, und auch Closed-LoopGeräte sind schon entwickelt – allerdings für einen
ganz besonderen Einsatz: bei Patienten auf der
Intensivstation. Durch eine Schockreaktion des Körpers – etwa nach einer schweren Verletzung, einem
chirurgischen Eingriff oder einer Infektion – erhöht
sich bei Intensivpatienten in den meisten Fällen
vorübergehend der Blutzuckerspiegel. Ein Problem,
das schon lange bekannt ist und nach Schätzungen
für bis zu 40 Prozent der Todesfälle auf Intensivstationen verantwortlich ist.
Dagegen soll nun das Gerät helfen, das im Labor
von Dr. Michael Heise am Institute for Analytical
Science (ISAS) in Dortmund im Rahmen des EUgeförderten CLINICIP-Projekts entstanden ist und in
Tests seine hohe Zuverlässigkeit bewiesen hat. Heises
Gerät hat gegenüber den Konkurrenzprodukten einen großen Vorteil: Es misst neben der Glukose auch
noch andere klinisch wichtige Parameter, etwa um
die lokal schwankenden Blutzuckerwerte präzise zu
berechnen. Der Glukosegehalt wird in der Regel im
Gewebe gemessen und korreliert gut mit der Konzentration im Blut. Allerdings kann es zu Störungen
kommen. So kann zum Beispiel die Implantierung
eines Mikrodialysekatheters zu traumatischen
Zuständen führen, bei denen der Wert der Gewebeglukose drastisch sinkt und gleichzeitig die Menge
des Stoffwechselprodukts Laktat steigt. Unter diesen
Bedingungen würde ein einfaches Gerät andere Glukosewerte messen als sie tatsächlich im Blut vorliegen, so dass die Sensoren in der Regel erst nach einer
längeren Gleichgewichtseinstellung im Gewebe
zuverlässig messen. Durch die zusätzliche Messung
des Laktatgehalts lässt sich bestimmen, wann die
Glukosekonzentration des Gewebes zur Blutzuckermessung verwendet werden kann. Das macht das
Gerät für Diabetiker interessant.
Unklar ist, ob Heises Gerät auf den Intensivstationen zum Einsatz kommen wird. Im Projekt CLINICIP sind auch zwei Konkurrenzprodukte entstanden.
„Unser Gerät ist aber sehr universell“, betont Heise.
„Das Messprinzip ist bewiesen und die Miniaturisierung technisch möglich“, so der Forscher. „Unser
Kooperationspartner erarbeitet derzeit die Algorithmen für Diabetiker. Wir hoffen also, dass unser Gerät
letztlich auch von dieser Patientengruppe genutzt
werden kann und wird.“
Noch wird die künstliche Bauchspeicheldrüse ausschließlich bei
Intensivpatienten eingesetzt. Doch schon bald sollen auch Diabetiker
von dem Gerät profitieren können.
KOHLENHYDRATE
19
Transplantation als Therapie bei Diabetes
Betazellen aus der Bauchspeicheldrüse verstorbener Spender wurden
bereits erfolgreich in die Leber von Typ 1-Diabetikern transplantiert. Die
Transplantierten sind ihr Leben lang auf Immunsuppressiva angewiesen.
Versagt ein Organ, kann es in der modernen Medizin in vielen Fällen ersetzt werden:
durch eine Transplantation, bei der ein Spenderorgan übertragen wird. Auch die Diabetesforschung setzt in der Therapie von Diabetes Typ 1 auf diese Methode.
Sie liegen im Zellverband als Langerhanssche
Inseln in der Bauchspeicheldrüse (s.a. „Die Bauchspeicheldrüse“, S. 11). Ihre wichtigste Aufgabe ist es,
Insulin zu produzieren, das den Blutzucker reguliert: Betazellen. Doch beim Diabetes Typ 1 werden
sie fälschlicherweise vom körpereigenen Abwehrsystem angegriffen und unwiderruflich zerstört. Typ
1-Diabetiker sind deshalb darauf angewiesen, das
Hormon lebenslang von außen zuzuführen.
Wissenschaftler wollen die zerstörten Inselzellen
ersetzen. Doch noch ist die Methode der Inselzelltransplantation nicht ausgereift, die Forschung
läuft auf Hochtouren. Drei Varianten werden dabei
verfolgt. So wird entweder eine komplette Bauchspeicheldrüse übertragen oder aber es werden nur
Inselzellen eines Spenders transplantiert. Die dritte
Möglichkeit sind schließlich Stammzellen, die zu
Inselzellen herangezogen und dann übertragen werden. „Ein großes Problem ist dabei natürlich immer
die Abstoßung“, meint Professor Peter Nawroth,
Ärztlicher Direktor der Abteilung Endokrinologie
und Stoffwechsel der medizinischen Universitätsklinik Heidelberg. „Momentan arbeitet man daran,
die Inselzelltransplantation zu verbessern. Möglicherweise kann man die Zellen so verändern, dass
sie nicht mehr vom Immunsystem attackiert werden
– oder man kombiniert die Transplantation mit einer
Impfstrategie. Das ist aber noch Zukunftsmusik.“
Bislang haben Mediziner lediglich die Übertragung von Pankreas und Inselzellen verstorbener
Spender erprobt – das aber mit Erfolg. Obwohl die
Leistung der transplantierten Inselzellen nach einigen Jahren wieder nachlässt, weil sie Fremdkörper
bleiben, waren die Patienten, die eine Transplantation wagten, über Jahre unabhängig von der äußeren
Insulinzufuhr. Trotzdem ist die Transplantation als
Therapie des Diabetes Typ 1 noch lange kein Standard.
Anlass zur Vorsicht gibt die Immunabwehr der
Betroffenen, denn der Körper wehrt sich wie bei
jeder Transplantation gegen das fremde Gewebe
und stößt es ab. Bei Typ 1-Diabetikern werden die
20
neuen Zellen zusätzlich vom krankheitsauslösenden
Autoimmunprozess angegriffen, denn die körpereigene Abwehr geht bei diesem Diabetes-Typ ohnehin
gegen die Inselzellen vor. Deshalb ist jeder Transplantierte ein Leben lang auf Immunsuppressiva
angewiesen, Medikamente also, die die Körperabwehr dämpfen und eine Abstoßung verhindern sollen. Doch diese Wirkstoffe sind problematisch. „Immunsuppressiva können schwere Nebenwirkungen
haben und erhöhen das Krebsrisiko“, betont Dr.
Mathias D. Brendel, Oberarzt an der Medizinischen
Klinik III der Justus-Liebig-Universität Gießen und
Leiter der dort angesiedelten internationalen Registratur für Inselzelltransplantationen (ITR).
Angesichts der gesundheitlichen Belastung
durch eine Immunsuppression wird die Transplantation einer Bauchspeicheldrüse oder von Betazellen
bislang nur in Gießen und nur an einer sehr kleinen
Patientengruppe durchgeführt: bei Diabetikern,
die als Folgeschaden der Erkrankung an einem
Nierenversagen leiden. Eine Nierentransplantation
ist bei ihnen unumgänglich – und damit ohnehin
eine lebenslange Immunsuppression. Wenn möglich, wird diesen Patienten gleichzeitig oder nach
der Nierentransplantation auch ein neues Pankreas
übertragen.
Ein Pankreas allein wird dagegen selten eingesetzt. Der Eingriff erfolgt nur bei Patienten, die an
KOHLENHYDRATE
einem nicht kontrollierbaren Diabetes leiden, der
schon mehrfach zu lebensgefährlichen Entgleisungen des Zuckerhaushalts geführt hat. Nur dann
sind Aufwand und Risiko einer Transplantation
gerechtfertigt. Auch bei Typ 2-Diabetikern kann es
im Spätstadium zu einer Zerstörung der Betazellen
kommen. Weil der Insulinmangel aber nicht das
primäre Problem ihrer Erkrankung ist, soll bei ihnen
nicht transplantiert werden.
Bei jeder Übertragung bleibt die eigene Bauchspeicheldrüse des Patienten erhalten. Schließlich
hat dieses wichtige Organ nur seine Funktion als
Insulinproduzent und Kontrolleur des Blutzuckers
verloren. Etwa 95 Prozent der vom Pankreas sezernierten Stoffe sind aber Verdauungsenzyme, die
auch weiterhin benötigt werden.
Eine andere Variante ist die Übertragung isolierter Betazellen. Um eine ausreichende Menge
funktionsfähiger Zellen zu erhalten, werden oft zwei
bis drei menschliche Spender-Bauchspeicheldrüsen
verwendet. Eine hohe Zahl, doch da sich längst nicht
jede übertragene Zelle in dem fremden Organismus
ansiedelt, sind ausreichend viele Spenderzellen
nötig. Die zu transplantierenden Inselzellen werden
erst aus dem Spendergewebe ausgewaschen und
dann unter lokaler Betäubung über einen Katheter
in das Gefäßsystem der Leber geschleust. Dass sie
nicht in die Bauchspeicheldrüse eingebracht wer-
Bei der Inselzelltransplantation werden Zellen aus der SpenderBauchspeicheldrüse isoliert und in das Leber-Gefäßsystem des
Empfängers übertragen.
KOHLENHYDRATE
Um die Langerhansschen Zellen zu gewinnen, wird das Gewebe mit
Hilfe spezieller Enzyme getrennt. Das Bild zeigt, wie die Enzyme unter
kontrolliertem Druck in eine Bauchspeicheldrüse gespritzt werden.
den, hat einen praktischen Grund: Das Lebergewebe
ist operativ besser zu erreichen. Über das Gefäßsystem können sich die Zellen dann im Organ verbreiten und einnisten. Das Lebermilieu ist zwar für die
Inselzellen nicht optimal. Vielfach wird die fremde
Umgebung aber toleriert, und die Zellen beginnen
mit der Insulinproduktion.
Egal ob Pankreas oder Inselzellen – verläuft die
Transplantation optimal, ist sie unter allen therapeutischen Optionen die Methode, die einer Heilung des
Typ 1-Diabetes am nächsten kommt. Deshalb halten
Diabetesforscher daran fest, obwohl die Immunsuppression erhebliche Probleme mit sich bringt. Doch
die Forscher sind optimistisch: „Wir arbeiten intensiv an der Manipulation der Immunantwort auf das
fremde Gewebe“, sagt der Gießener Experte Brendel.
„Am Tiermodell kann bereits eine dauerhafte Akzeptanz des Transplantats erreicht werden, wenn die
Körperabwehr nur kurzzeitig unterdrückt wird.“
In der Erprobung ist auch eine Art Tarnkappe
für Betazellen. Sie umschließt die Inselzellen wie
eine Kapsel und verwehrt den Immunzellen so den
Zugang. „Dabei ist aber zu bedenken, dass auch das
Material der Hülle eine Abwehrreaktion hervorrufen
kann“, meint Brendel. „Außerdem müssen für das
Insulin Poren in der Kapsel sein, die dann allerdings
auch automatisch groß genug sind, um manche
Botenstoffe des Immunsystems durchzulassen.“
21
Eine Immunreaktion kann letztlich nur umgangen
werden, wenn die implantierten Zellen keine fremden Erkennungsmuster an der Oberfläche tragen.
Deshalb wird auch an Gewebe gearbeitet, das von
Schweineföten stammt und molekular entsprechend
manipuliert ist, um der Körperabwehr möglichst
wenige Angriffsstellen zu liefern.
Ein anderer Ansatz dagegen setzt auf adulte
Stammzellen, also undifferenzierte Zellen. Sie
können sich in alle Zelltypen des Körpers entwickeln. Ihre besonderen Fähigkeiten erlauben ihnen
theoretisch, beschädigtes oder zerstörtes Gewebe
im Körper zu ersetzen – in diesem Falle wären das
die Inselzellen. „Die Idee an sich ist schön“, räumt
Brendel ein. „Man darf aber nicht glauben, dass aus
körpereigenen Stammzellen nachregeneriertes
Gewebe gar keine Immunreaktion provoziert. Sie
tragen schließlich auch Proteine an ihrer Oberfläche,
die von der Körperabwehr des Diabetikers erkannt
werden.“
Zudem fehlt bislang noch der Beweis, dass dem
natürlichen Vorbild gleichwertige Betazellen im Labor geschaffen werden können. Es gibt erste Erfolge,
aber die Insulinproduktion der künstlich erzeugten
Betazellen liegt bislang deutlich unter dem erforderlichen Niveau natürlicher Betazellen. „Es sind
einfach noch keine richtigen Inselzellen“, meint
Brendel. „Trotzdem halte ich diese Forschung für
extrem wichtig. Eine Therapie wird sich kurzfristig
aber sicher nicht ergeben.“
Dennoch würde eine erfolgreiche Stammzellübertragung ein großes Problem lösen, mit dem
Transplantationen aller Organe, Gewebe und Zellen
zu kämpfen haben: dem eklatanten Spendermangel.
In Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es
bei weitem nicht genug Menschen, die ihre Organe
im Todesfall zur Verfügung stellen, um den Bedarf
der schwerkranken Patienten zu decken.
22
KOHLENHYDRATE
Galaktosämie –
wenn Zucker die Zellen vergiftet
Menschen mit klassischer Galaktosämie können wegen eines Enzymmangels den Zucker
Galaktose nicht abbauen. Sie ernähren sich
nahezu galaktosefrei. Die Symptome der
Stoffwechselkrankheit zeigen sich aber auch
bei konsequenter Diät – die körpereigene
Galaktose könnte die Ursache sein, vermuten
Wissenschaftler.
Wenn Säuglinge Muttermilch nicht vertragen, leiden sie möglicherweise an klassischer Galaktosämie.
Bei dieser angeborenen Stoffwechselerkrankung
kann der im Milchzucker enthaltene Einfachzucker
Galaktose nicht in Glukose umgewandelt werden.
Glukose ist unter den Kohlenhydraten der wichtigste
Energieträger des Körpers.
Bei der klassischen Galaktosämie fehlt das Enzym
Galaktose-1-Phosphat-Uridyltransferase, kurz GALT,
das im gesunden Körper den zweiten Schritt der
Umwandlung katalysiert. Der Enzymmangel führt
zu einem Stau an Stoffwechselprodukten, die auf
bislang unbekannte Weise giftig wirken. Etwa eines
von 40.000 Neugeborenen ist betroffen. Unbehandelt führt die klassische Galaktosämie zum Tod.
Weil Milch besonders viel Galaktose enthält,
erkranken Säuglinge bereits in den ersten Lebenstagen. Die Galaktose und giftige Stoffwechselprodukte stauen sich in verschiedenen Geweben an. Das
Galaktose-1-Phosphat schädigt vor allem Leber und
Nieren, das Galaktitol die Augen. Die Folgen sind
massive Leberschäden, etwa in Form einer Gelbsucht, Nierenleiden und eine Trübung der Augenlinsen. Die molekularen Mechanismen der Entstehung dieser lebensbedrohlichen Symptomatik sind
bisher nicht bekannt. Die zurzeit einzige Therapie ist
eine strenge Diät. Die Betroffenen sollen vor allem
Milchzucker und freie Galaktose soweit wie möglich
meiden, und zwar ein Leben lang. Das bedeutet eine
erhebliche Einschränkung der Lebensqualität – und
das Ergebnis ist dennoch unbefriedigend.
Denn bei etwa zwei Drittel der Patienten treten – selbst wenn sie den krankmachenden Zucker
strikt vermeiden – Folgeschäden auf. Warum dies
geschieht, ist bislang nicht bekannt. „Betroffen ist in
erster Linie das Zentralnervensystem, vor allem das
Gehirn“, berichtet Professor Peter Schadewaldt vom
Kompetenzzentrum Galaktosämie am Universitätsklinikum Düsseldorf. „Diese Beschwerden äußern
sich in einer verminderten Intelligenz, Sprachstö-
rungen und anderen neurologischen Defiziten.“
Nicht zuletzt wegen dieser schweren Schäden
sind Patienten und ihre Angehörigen seit Jahren
mit detektivischem Scharfsinn auf der Suche nach
„versteckter Galaktose“ als möglichem Auslöser
dieser Defizite. Umso erstaunlicher ist, dass die
außerordentlich strikte Diät angesichts neuer
Forschungsergebnisse möglicherweise bald obsolet
werden könnte. „Wir erleben derzeit einen Paradigmenwechsel“, sagt Schadewaldt. „Die lebenslange
strenge Diät ist wohl nicht falsch, wahrscheinlich
aber unnötig. Milch und Milchprodukte müssen
zwar auch weiterhin gemieden werden, sie verlieren
nach der Kindheit aber quantitativ an Bedeutung als
Nahrungsmittel. Nur im ersten halben Lebensjahr
ist die Belastung durch Laktose so außerordentlich
hoch. Ich vermute, dass wir in ein oder zwei Jahren
neue Leitlinien formulieren können, die diese neuen
Ergebnisse zur Galaktosetoleranz bei Galaktosämie
widerspiegeln – und die Lebensqualität der Betroffenen dramatisch verbessern werden. “
Aber bereits jetzt lässt sich sagen, dass auch eine
hohe einmalige Belastung keine gesundheitlichen
Schäden hervorrufen kann. „Wir bekommen immer
wieder Anrufe besorgter Eltern, wenn ein Kind aus
Versehen doch Milchprodukte zu sich genommen
hat“, sagt Schadewaldt. „In diesen Fällen können wir
aber ganz klar Entwarnung geben.“ Denn nach neuesten Ergebnissen ist der Körper der Galaktose nie
ganz hilflos ausgeliefert – auch wenn die Literatur
bei der klassischen Galaktosämie in Bezug auf den
KOHLENHYDRATE
23
Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) sind
Gendefekten auf der Spur – auch Galaktosämie wird durch einen Fehler
im Erbgut verursacht.
Noch ist nicht bekannt, wie der körpereigene Zucker die Zellen vergiftet, doch die Forschungen laufen auf Hochtouren.
Abbau des Zuckers nach wie vor von beinahe null
Aktivität spricht.
„Das stimmt einfach nicht“, sagt Schadewaldt.
„Eine kleine Restaktivität, die mit bisherigen Verfahren meist nicht erfasst werden konnte, ist immer
vorhanden, und mehrere Gramm Galaktose können
normal abgebaut werden.“ Wird die Diät eingehalten, wird aber wesentlich weniger Galaktose mit
der Nahrung aufgenommen. „Beim erwachsenen
Patienten deutlich weniger als ein Zehntel Gramm.“
Die Forscher sind mittlerweile sicher, dass nicht die
versteckte Galaktose die neurologischen Schäden
auslöst: Es ist der Zucker, den der Körper selbst produziert. Und das sind nach neueren Untersuchungen
immerhin zwei bis drei Gramm pro Tag.
Experimentell soll nun bestimmt werden, wie viel
Nahrungs-Galaktose die Patienten insgesamt tatsächlich aufnehmen können. „Nach ersten Hinweisen dürften Erwachsene etwa fünf Gramm Galaktose
täglich tolerieren, das entspricht etwa dem Gehalt
in 0,2 Litern Kuhmilch“, berichtet Schadewaldt.
Von den Betroffenen wird das radikales Umdenken
erfordern: Bisher gaben Positivlisten mit Nahrungsmitteln, die als unbedenklich galten, den Patienten
und ihren Angehörigen Orientierung. Bald wird es
möglicherweise Negativlisten geben mit nur einigen
wenigen Nahrungsmitteln (vor allem Milch und
Milchprodukten), die gemieden werden sollten.
Besiegt ist die Galaktosämie damit aber noch lan-
ge nicht. „Es ist völlig unbekannt, wie die im Körper
gebildete Galaktose die neurologischen Schäden
hervorruft. Entsprechend groß ist der Forschungsbedarf“, meint Schadewaldt. Mit seinen Kollegen im
Kompetenzzentrum Galaktosämie will der Düsseldorfer Experte nun herausfinden, über welche
Mechanismen die Vergiftung stattfindet und welche Zellfunktionen gestört werden. Erst wenn das
verstanden ist, können Therapiekonzepte erarbeitet
werden. Die Galaktosebildung im Körper, da sind
sich die Forscher einig, darf nicht unterdrückt werden – zu groß wäre dieser Eingriff in den Stoffwechsel. „Wir können nur hoffen, irgendwie die toxische
Wirkung der Stoffwechselprodukte verhindern oder
mildern zu können. Zudem müsste jedes Therapeutikum in das Innere der Zellen gelangen, weil dort
die Galaktose gebildet wird. Damit aber zeichnet
sich auch schon die größte Herausforderung ab:
Wir müssen vor allem auch die Gehirnzellen mit der
Behandlung erreichen.“ Denn ganz offensichtlich
schädigen die Galaktose und ihre toxischen Abbauprodukte dieses Organ besonders, wie sich an der
verminderten Intelligenz, den Sprachstörungen und
anderen Defiziten erkennen lässt.
Dank all dieser Ergebnisse befindet sich die
Galaktosämieforschung in einer völlig neuen Ausgangssituation. Die Stoßrichtung ist klar: Nur mit der
Entwicklung einer medikamentöse Therapie wird
diese Erkrankung wirksam zu behandeln sein.
24
EIWEISSE
EIWEISSE
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Eiweißstoffwechsel –
Recycling der Aminosäuren
Wer von Eiweißen (Proteinen) spricht, meint
eigentlich Aminosäuren. Weit über hundert
dieser kleinen, aber wichtigen Moleküle hält
die Natur bereit, allein 22 davon im menschlichen Körper. Sie sind die Bausteine der
Proteine und damit der vielfältigsten Molekülgruppe des Organismus. Denn ohne Proteine gäbe es keine Enzyme und ohne Enzyme
käme der gesamte Stoffwechsel zum Erliegen. Und nicht nur das: Proteine sind auch
Bestandteile der Zellwände, sorgen für die
Struktur von Geweben, sind Antikörper oder
Hormone.
Hülsenfrüchte, allen voran Sojabohnen und Bohnen, sind besonders
reich an essenziellen Aminosäuren. In Ländern, in denen tierisches
Fleisch rar ist, aber auch in der vegetarischen Ernährung, sind sie daher
wichtige Eiweißlieferanten.
Aber nicht nur die Funktion der Proteine ist ungeheuer vielfältig. Auch ihre Zahl beeindruckt. So
können aus den 22 im menschlichen Körper vorkommenden Aminosäuren scheinbar unendlich
viele verschiedene Eiweißmoleküle gebaut werden.
Die Aminosäureketten bestehen dabei häufig aus
mehreren tausend Aminosäuren, so dass bereits bei
kleineren Proteinen mit einer Länge von 100 Aminosäuren die Zahl der möglichen Kombinationen ins
Unermessliche steigt.
Wie, wann und wo welche Aminosäuren zusammengebaut werden, ist durch das Erbgut festgelegt.
Veränderungen im Genom ändern die Bauanleitungen und so die Struktur oder Zusammensetzung
der Proteine. Die immensen Kombinationsmöglichkeiten beim Bau von Proteinen werden damit zur
Spielwiese der Natur. In der Entwicklungsgeschichte
von Homo sapiens bieten solche Mutationen zwar
die Chance zur Anpassung (s.a. „Intolerantes Erbe“,
S. 15), bezogen auf ein Menschenleben aber sind Veränderungen in der Proteinstruktur oft die Ursache
von Erkrankungen. Betreffen die Mutationen dann
noch Proteine, die im Eiweißstoffwechsel andere
Proteinmoleküle auf-, ab- oder umbauen, entstehen folgenschwere Stoffwechselstörungen wie die
Ahornsirupkrankheit (s.a. „Das Gehirn als Spiegel des
Stoffwechsels“, S. 30) oder die bekanntere Phenylketonurie (s.a. „PKU-Patienten halten ihr Leben lang
Diät“, S. 28).
Weil Aminosäuren aus den Nahrungseiweißen
im Körper zu anderen Aminosäuren umgewandelt
werden, führen Störungen im Eiweißstoffwechsel
in der Regel entweder zu einem Überschuss der
Bausteine oder zu einem Mangel. Neun der 22
Aminosäuren können zudem vom Körper selbst
nicht gebildet werden und müssen mit der Nahrung
aufgenommen werden, sie sind essenziell. Diäten
gehören daher zur ersten und wichtigsten therapeutischen Maßnahme bei einer Störung des Eiweißstoffwechsels. Da pflanzliche und tierische Nahrung
Eiweiße mit unterschiedlichen Zusammensetzungen
von Aminosäuren enthält, kann – zumindest in Maßen – durch die geeignete Wahl der Nahrungsmittel
die Konzentration der Proteinbausteine im Körper
gesteuert werden.
Über Diäten der besonderen Art wird vor allem
in asiatischen Ländern das Gleichgewicht zwischen
den 22 lebenswichtigen Aminosäuren auf natürliche
Weise aufrechterhalten: Eiweißreiche Insekten stehen ganz selbstverständlich auf dem Speiseplan.
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EIWEISSE
Eiweiß auf sechs Beinen
Frittierte Spinnen, geröstete Heuschrecken, zerstoßene Ameisen auf Brot oder mit Schokolade überzogen – während sich einem Europäer bei der Vorstellung, so etwas zu verspeisen, die Kehle zuschnürt,
sind Insekten in den meisten anderen Teilen der Erde
alltägliche Nahrungsmittel. Warum auch nicht? Sie
sind die am häufigsten auf der Erde vorkommenden
Tiere, es gibt sie überall, sie lassen sich leicht fangen
oder züchten und sind vor allem eine reichhaltige
Eiweißquelle. Getrocknete Insekten bestehen aus
bis zu 60 Prozent Protein. Der Eiweißgehalt einer
Mahlzeit aus Insekten steht dem eines Steaks oder
Fischfilets nicht nach.
Insekten sind reich an Mineralstoffen und Vitaminen. Wer statt Schweineschnitzel ein paar geröstete Maden knabbert, bekommt keine Probleme
mit seinem Cholesterinspiegel. Der Nährwert, also
die Energie, die Insekten dem meschlichen Körper
liefern, ist mit dem Nährwert des Fleisches vierbeiniger Nutztiere vergleichbar. Ausgewachsene Tiere
sind eher eiweißreich, Larven enthalten mehr Fett.
Die nährstoffreichsten Insekten sind Termiten und
Schmetterlingsraupen.
Besonders verbreitet ist Entomophagie – der
Verzehr von Insekten – in Asien, Afrika sowie Mittelund Südamerika. In Mexiko werden Grashüpfer und
andere Insekten auf Wochenmärkten feilgeboten,
in Dosen konserviert oder in Tortillafladen als Tacos
eingerollt. Wer sich mit den Essgewohnheiten nicht
auskennt, muss damit rechnen, einen mit heißer
Chilisauce übergossenen Stinkkäfer in seinem Snack
zu finden. Berühmt ist auch die tierische Zugabe in
Agavenschnaps. Einige Hersteller legen einen Agavenschädling, die Maguey-Raupe aus der Familie der
Dickkopffalter, mit in die Flasche – ein Marketinggag, der mit der Faszination des Ekels spielt.
In den Ländern, in denen die meisten Insekten verzehrt werden, sind sie mehr als ein billiger
Fleischersatz. Ihr Eiweiß ergänzt in diesen Regionen
den Speiseplan sogar besser als Fleisch. Die Proteine
von Insekten und Säugetieren unterscheiden sich
nämlich in ihrer Zusammensetzung. Eiweiße von
Insekten enthalten zwar auch sämtliche essenziellen
Aminosäuren, in ihnen ist aber zusätzlich besonders
viel Lysin und Threonin verbaut. Und gerade diese
beiden Aminosäuren sind in Reis, Maniok und Mais
– den Grundnahrungsmitteln in Asien, Afrika sowie
Mittel- und Südamerika – kaum enthalten. Insekten
füllen dort also eine wichtige Lücke im Speiseplan.
Völlig insektenfrei ist allerdings auch die europäische Küche nicht. Unfreiwillig hat wohl jeder schon
mal kleine Maden und Käfer verzehrt. Sie krabbeln
kaum sichtbar in Freiland-Brokkoli oder -Blumenkohl. Auch Marmeladen und Nudelsoßen enthalten
die winzigen Eiweißlieferanten – allerdings püriert.
Heuschrecken, Maden und Käfer – Insekten stehen in vielen Ländern
ganz selbstverständlich auf dem Speiseplan.
EIWEISSE
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Die Darmwand –
Pumpstation für Aminosäuren
Darmfalten
Mukosa
Lymphbahn
Blutgefäße
Muskulatur
Submukosa
Er ist zwischen vier und sechs Meter lang, misst
nur wenige Zentimeter im Durchmesser und hat
eine Oberfläche von etwa 300 Quadratmetern: der
Dünndarm. Obwohl der Darm mitten in unserem
Bauch liegt, ist alles, was ihn durchläuft, streng genommen doch außerhalb unseres Körpers. Denn die
Nährstoffe, die wir mit den Speisen zu uns nehmen,
müssen erst durch die Darmwand hindurch, um
ins Blut und damit in das Innere unseres Körpers zu
gelangen. Allen voran die Aminosäuren, die neben
Zuckern und Fetten die wichtigsten Bausteine des
Körpers sind und in Form von Eiweißen aufgenommen werden.
Die Darmwand ist die Pumpstation ins Innere
des Körpers. Sie ist außen mit einer Schleimhaut, der
Mukosa, überzogen. Die einzellige Schicht ist für die
Aufnahme der Nahrungsbestandteile ins Blut verantwortlich. Damit sie diese Aufgabe optimal erfüllen kann, liegt sie in Falten; Ausstülpungen, Gruben
und ein Bürstensaum vergrößern ihre Oberfläche
zusätzlich. Blutgefäße, die in der Submukosa, also
der Schicht unter der Schleimhaut liegen, nehmen
die Nährstoffe schließlich auf und leiten sie in den
gesamten Körper.
Bevor die Nährstoffe jedoch durch die Darmwandzellen in die Blutbahnen geschleust werden,
muss die Nahrung in Mund, Magen und Darm
mechanisch und chemisch zerkleinert werden. Die
Hauptarbeit übernimmt der Dünndarm. Für jede
Nährstoffgruppe hält er maßgeschneiderte Enzyme
bereit. Allein für die Zersetzung von Eiweißen in ihre
Bestandteile, die Aminosäuren, bildet der Verdauungstrakt täglich bis zu 30 Gramm so genannter
Proteasen und Peptidasen.
Im Bürstensaum der Schleimhaut spalten zum
Beispiel spezielle Peptidasen kleine Eiweißbruchstücke, die mit dem Brei aus vorverdauter Nahrung
und Enzymen angeschwemmt wurden. Dabei kneifen sie dicht an der Darmwand eine oder zwei Aminosäuren von den Eiweißen ab. Ein ausgeklügeltes
Transportsystem in den Darmwandzellen schleust
dann die so frei gewordenen Aminosäuren sofort ins
Zellinnere. Als Schleuse fungiert ein Kanal, der durch
die gesamte Zellwand reicht. Da die AminosäureKonzentration in der Darmzelle höher ist als im
Darmraum, muss der Körper Energie aufwenden,
um die Aminosäuren aktiv in die Zelle zu transportieren.
Die Transportsysteme der Darmwand sind hochspezialisiert. So gibt es eigene Schleusen für neutrale
und für basische Aminosäuren sowie einen weiteren
Durchlass für die ringförmigen Aminosäuren Prolin
und Hydroxyprolin. Der Transport durch diese
Schleusen funktioniert so schnell, dass im Darm so
gut wie keine freien Aminosäuren zu finden sind.
Für den Weg der Aminosäuren aus den Darmzellen in die Blutbahn muss dann keine Energie
mehr aufgewendet werden. Denn die Konzentration im Blut ist geringer als in den Zellen, so dass die
Aminosäuren einfach aus der Zelle in den Blutstrom
rutschen können.
28
EIWEISSE
PKU-Patienten
halten ihr Leben lang Diät
Ein Überschuss an Phenylalanin, einer lebensnotwendigen Aminosäure, macht vielen
Menschen zu schaffen. Sie leiden an Phenylketonurie (PKU), der weltweit häufigsten angeborenen Stoffwechselkrankheit. Deutsche
Wissenschaftler erforschen neue Therapien,
um Betroffenen eine lebenslange Diät zu
ersparen.
Der Mann, der zu Professor Anibh Das in die Stoffwechselambulanz der Medizinischen Hochschule
Hannover kommt, ist 45 Jahre alt und sieht auf den
ersten Blick völlig gesund aus. Dann fällt der kleine
Stofftiger auf, den er ängstlich im Arm hält. Der
Patient hat die Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie – und befindet sich geistig auf dem Stand eines
Kleinkindes.
Bei Patienten mit Phenylketonurie ist das Gen
verändert, das die Bauanleitung des Enzyms Phenylalaninhydroxylase enthält. Etwa 400 unterschiedliche Mutationen dieses Gens sind inzwischen bekannt. Jede einzelne kann zu unterschiedlich starken
Ausprägungen der Krankheit führen. Die Phenylalaninhydroxylase baut in der Leber normalerweise
die Aminosäure Phenylalanin zu Tyrosin ab. Tyrosin
ist seinerseits ein wichtiger Bestandteil zentraler
Stoffwechselwege – etwa bei der Bildung der Schilddrüsenhormone oder der neuronalen Botenstoffe
Adrenalin und Noradrenalin. Ist die Funktion der
Phenylalaninhydroxylase wie bei PKU-Patienten gestört, entsteht ein Phenylalanin-Stau. Die Krankheit
bricht aus, wenn das in der Leber angestaute Phenylalanin ins Blut schwappt und mit ihm ins Gehirn
gelangt.
Zunächst stört Phenylalanin nur die Abläufe im
Gehirn, später ändert es dann sogar dessen Struktur.
Wie die Aminosäure das bewirkt, ist bislang nicht
genau bekannt. Die Vermutung: Die große Menge
Phenylalanin im Blut könnte andere Aminosäuren
von den Transportern an der Blut-Hirn-Schranke
verdrängen, die das Zentrale Nervensystem vom
Blutkreislauf trennt. Damit gelängen nicht ausreichend viele Aminosäuren ins Gehirn, um die dortige
Eiweißproduktion aufrecht zu erhalten. Und das wiederum würde auch die Bildung und den Transport
von Botenstoffen des Nervensystems beeinträchtigen. Die Aminosäure steht zudem im Verdacht,
einen Energiemangel im Gehirn auszulösen und
damit dessen Entwicklung zu behindern.
PKU ist weltweit die häufigste angeborene Stoffwechselerkrankung. Die genetische Störung tragen
etwa zwei von 10.000 Kindern in sich. Der Test auf
PKU bildet bis heute die Grundlage des umfangreichen Screenings von Neugeborenen. Da beim Fötus
zunächst der mütterliche Stoffwechsel den Abbau
von Phenylalanin übernimmt, kommt ein PKU-Kind
trotz genetischen Defektes scheinbar gesund auf
die Welt. Dann aber ist schnelles Handeln gefragt.
Denn sind die krankhaften Strukturen erst einmal
im Nervensystem entstanden, sind sie nicht mehr
umzukehren. Zu spät erkannte Patienten entwickeln
sich stark verzögert. Sie werden unruhig, können
sich nicht koordiniert bewegen, lernen nicht richtig, können keinen Stift in die Hand nehmen und
bekommen epileptische Anfälle.
Wo ein flächendeckendes Screening nicht üblich
ist, etwa in Osteuropa, zeigen auch heute noch viele
PKU-Patienten diese Verhaltensauffälligkeiten.
Kommen sie mit drei oder vier Jahren in Behandlung, lässt sich ihre Entwicklung zwar noch durch
eine diätische Therapie verbessern, aber die bereits
eingetretenen Schädigungen bleiben.
Bevor jedoch die Krankheit nach der ersten Diagnose durch das Neugeborenenscreening therapiert
werden kann, sind weitere Tests notwendig. Es gilt
festzustellen, um welche Form der Phenylketonurie
es sich handelt, die klassische oder die atypische
Form der PKU. Beide Krankheitstypen verlangen
PKU-Test: Der von Robert Guthrie entwickelte Trockenblut-Test legte in
Deutschland in den 1970er Jahren den Grundstein für ein umfassendes
Neugeborenenscreening.
EIWEISSE
Die essenzielle Aminosäure Phenylalanin ist wichtiger Ausgangsstoff
für Botenstoffe des Gehirns. In der Leber wird sie zur Aminosäure
Tyrosin abgebaut, die Bestandteil wichtiger Stoffwechselwege ist.
grundsätzlich verschiedene Therapiemaßnahmen.
So mangelt es bei der klassischen PKU am Enzym
Phenylalaninhydroxylase. Anders bei der atypischen
Phenylketonurie. Bei dieser Form des Leidens fehlt
lediglich ein Partner der Hydroxylase, das Koenzym
Tetrahydrobiopterin (BH4), ohne das die Hydroxylase
nicht arbeiten kann. Die atypische PKU wird daher
medikamentös behandelt; eine Diät ist meist nicht
nötig, da das Enzym – bei Anwesenheit des Koenzyms – korrekt arbeitet.
Klassische PKU-Patienten müssen dagegen ein
Leben lang Diät halten. In ihrer Nahrung darf die
Aminosäure Phenylalanin nur in begrenzter Menge
vorkommen. Kinder und Eltern leben nach Tabellen, die genau zeigen, worin die Aminosäure in
welchen Mengen enthalten ist. Stark eiweißhaltige
Lebensmittel wie Fisch oder Fleisch sind verboten,
obwohl sie auch andere wichtige Körperbausteine
liefern; Reis oder Nudeln müssen genau ausgewogen werden – nur Obst und einige Gemüsesorten
können nach Herzenslust gegessen werden. Damit
die Kinder keine Eiweißmangelerscheinungen bekommen, müssen sie die anderen lebenswichtigen
Aminosäuren pur zu sich nehmen. Die reduzierten
Bausteine ihrer Nahrung reichen sonst nicht für das
Wachstum aus.
Das Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig
Eiweiß ist extrem empfindlich und muss regelmäßig
überprüft werden. Hat ein Patient trotz Diät hohe
Phenylalaninwerte, gibt es in der Regel zwei mögliche Ursachen: Entweder wurde der Diätplan nicht
sorgfältig eingehalten oder das Kind bekommt zu
wenig Kalorien mit der Nahrung. Stehen einem
29
wachsenden Körper nämlich zu wenige Kalorien
zur Verfügung, greift er auf seine Reserven zurück
und baut Muskeln ab. Dabei wird auch Phenylalanin
unkontrolliert freigesetzt. „Wir erforschen eine Methode, mit der man durch Blutuntersuchungen diese
beiden Ursachen einfach auseinander halten kann“,
sagt der Hannoveraner PKU-Spezialist Das. Sein Ansatz: An der Zusammensetzung der Aminosäuren im
Blut kann er ablesen, ob die Diät schlecht durchgehalten wurde oder ob es an Kalorien mangelt. Denn
Muskeln, auf die der Körper dann als Aminosäurequelle zurück greift, haben ein ganz bestimmtes
Aminosäuremuster, das die Mediziner dann im Blut
nachweisen können.
Neuere Untersuchungen sollen zudem zeigen,
ob und wie durch den Einsatz des Koenzyms BH4,
das bei der atypischen PKU fehlt und so den Phenylalaninabbau hemmt, auch Patienten mit klassischer
PKU geholfen werden kann. Denn nicht immer fehlt
die Hydroxylase vollständig. Zusätzliches BH4, so die
Hoffnung der Wissenschaftler, könnte die Aktivität
des Phenylalanin abbauenden Enzyms auch bei
einer klassischen PKU steigern. Erste Studien an Patienten mit unterschiedlichen Formen der Krankheit
ergaben, dass einige Mutanten auf BH4 ansprechen,
ohne dass die Patienten an einer atypischen PKU
leiden.
Welche genetischen Varianten mit einer BH4Empfindlichkeit zusammenhängen, ist Gegenstand
der derzeitigen Forschungen. „Die Gabe von BH4 ist
noch keine zugelassene Therapie, es gibt bisher nur
einzelne Studien“, betont Anibh Das. Der PKU-Experte hofft dennoch, mit BH4 eines Tages zumindest
einigen PKU-Patienten den Alltag durch eine weniger strenge Diät deutlich erleichtern zu können.
Eine besondere Herausforderung stellen schwangere PKU-Patientinnen dar. Wird der mütterliche
Stoffwechsel nicht präzise eingestellt, kann es zu
einer Schädigung des Kindes im Mutterleib durch
Phenylalanin kommen, auch wenn das Kind selbst
nicht von PKU betroffen ist. Indem der Phenylalaninwert bei der Mutter gesenkt wird, kann eine vorgeburtliche Schädigung vermieden werden.
30
EIWEISSE
Das Gehirn als Spiegel des Stoffwechsels
Lange Zeit galt, dass das Gehirn der Patienten mit der Ahornsirupkrankheit nur wenig
geschädigt wird, wenn sie frühzeitig behandelt werden. Doch die Krankheit hinterlässt
– auch rechtzeitig behandelt – Spuren im
neuronalen Netz der Patienten. Wie stark
diese Folgen sind und in welchem Ausmaß ihnen eine Diät entgegen wirkt, sollen aktuelle
Forschungen zeigen.
Entwickelt sich das Kind geistig normal? Oder wird
es sein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein? Bei
der Ahornsirupkrankheit (Maple syrup urine disease,
MSUD, s.a. Kasten), bei der dem Urin ein süßlicher
ahornsirupartiger Geruch entströmt, entscheiden
eine frühe Diagnose und eine rasche Behandlung
über die Entwicklung eines Kindes – ein Wettlauf
mit der Zeit. Denn durch einen Enzymdefekt können
die Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin sowie
die aus ihnen entstehenden Ketosäuren nicht weiter
abgebaut werden. Sie reichern sich im Blut an und
gelangen so rasch ins Gehirn, das sie binnen weniger
Tage stark schädigen.
Obwohl die Stoffwechselkrankheit bereits kurz
nach der Geburt eines Menschen das Gehirn stark
schädigt, sind sich MSUD-Forscher heute sicher, dass
auch im späteren Leben der Patienten die Konzentration der drei Aminosäuren im Blut darüber entscheidet, wie sich das Hirn weiter entwickelt. Noch nicht
klar ist allerdings, wie stark Leucin, Isoleucin und Valin die Gehirnentwicklung tatsächlich beeinflussen.
Um das herauszufinden, untersuchen Dr. Eva
Simon und Dr. Dirk Klee vom Universitätsklinikum
Düsseldorf MSUD-Patienten mit einer speziellen
Form der Magnetresonanztomographie (MRT), dem
diffusionsgewichteten MRT. Dabei erkennen die
Forscher an der Bewegung von Wassermolekülen
im Gewebe Veränderungen in der weißen Hirnsubstanz. In einer Studie hat Simon gesunde Kinder und
junge Erwachsene mit zehn gleichaltrigen MSUDPatienten verglichen – darunter einige, die schwere
Entgleisungen ihres Stoffwechsels erlitten hatten
und andere, die früh erkannt und rechtzeitig behandelt worden waren.
Das ernüchternde Ergebnis: Auch wenn die Patienten – für MSUD-Kranke – ganz normale Werte der
Aminosäure Leucin haben, zeigen sich auch ohne
erkennbare Entgleisungen des Stoffwechsels Veränderungen im Gehirn. Strukturen und Nervenfaser-
bahnen bilden sich zurück. Zwar werden die Veränderungen in der Nervenstruktur des Gehirns umso
massiver, je schlechter die Patienten ihre Diät einhalten. Im Laufe der kindlichen Entwicklung verändern
sich dennoch trotz Diät ganze Gehirnregionen unter
dem Einfluss von Leucin, Isoleucin und Valin.
Die Stoffwechselexpertin Eva Simon will deshalb
herausfinden, ob es vom konsequenten Einhalten
einer Diät abhängt, wie schwer die Veränderungen
im Gehirn verlaufen. Schließlich ist eine solche Diät
mit genau berechneter Menge der in vielen Nahrungsmitteln vorkommenden Aminosäuren gerade
für Kinder nicht einfach durchzuhalten. Verstärken
das Stückchen Schokolade zum Geburtstag oder ein
Eis im Sommer wirklich die befürchteten Folgen im
Giftige Aminosäuren
Aminosäuren sind für das Wachstum und
Funktionieren des Körpers unerlässlich – vorausgesetzt, sie können verarbeitet werden.
Ist ihr Abbau wie bei der Ahornsirupkrankheit (Maple syrup urine disease, MSUD) blockiert, reichern sie sich an und wirken giftig.
Bei MSUD-Patienten ist besonders das Gehirn
von den Schäden betroffen. Kinder mit MSUD
werden bereits wenige Tage nach der Geburt
lethargisch, krampfen und fallen ins Koma –
ihr Stoffwechsel entgleist. Unbehandelt führt
die Ahornsirupkrankheit nach kurzer Zeit
zum Tod.
Schuld an der Entgleisung des Stoffwechsels haben Fehler im Enzymkomplex
2-Ketosäuren-Dehydrogenase. Gene, die
die Bauanleitung für das dreiteilige Enzymsystem tragen, sind so verändert, dass die
Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin
nicht korrekt abgebaut werden können. Die
Aminosäuren und ihre chemischen Verwandten, die Ketosäuren, reichern sich im Blut an.
Mit der Blutbahn gelangen sie schließlich ins
Gehirn, wo sie toxisch wirken. Wie sie das tun,
ist allerdings bis heute nicht genau geklärt.
Parallel zur Erforschung des molekularen
Krankheitsverlaufs versuchen Mediziner
daher, die Schwere der Krankheit durch eine
geeignete Diät zu mildern.
In Deutschland erkrankt etwa eines von
300.000 Kindern an der Ahornsirupkrankheit.
EIWEISSE
31
Das Gehirn eines MSUD-Patienten (links) und eines gesunden Menschen
(rechts). Beim MSUD-Patienten sind Nervenfasern in Teilen des Gehirns
deutlich zurückgebildet.
Gehirn? Oder darf auch mal gesündigt werden?
Wenn eine schlecht eingehaltene Diät nämlich
ohnehin keinen gravierenden Einfluss mehr auf den
Krankheitsverlauf hätte, könnten ältere Patienten
sich erheblich mehr erlauben, ohne ihre Lebensqualität zu beeinträchtigen.
Doch noch etwas anderes beschäftigt die Forscherin: Leucin stört nicht nur die Entwicklung des
Gehirns. Die Aminosäure erschwert auch das Denken. Eine zweite Studie des Teams um Eva Simon
zeigt, dass Patienten mit sonst gut eingestelltem
Stoffwechsel aber hohen Leucinwerten selbst dann
deutliche Konzentrationsschwächen aufweisen,
wenn sie die MSUD-Diät sehr gut eingehalten hatten.
In neurophysiologischen Tests untersuchten die
MSUD-Spezialisten aus Düsseldorf sechs Patienten
und sieben Kontrollpersonen gleichen Alters. Zunächst wurde der aktuelle Leucinspiegel der Probanden ermittelt, dann mussten sie am Computer
mehrere Aufgaben lösen. Bis zu acht Mal haben die
Teilnehmer diese Tests wiederholt. Das Ergebnis zeigte immer wieder einen Zusammenhang zwischen
dem Aminosäurepegel im Blut und den Leistungen
am Computer.
Bei einfachen Tests, etwa dem Drücken einer
Taste, sobald ein Rechteck auf dem Bildschirm erscheint, ist noch kein Zusammenhang zwischen Leucinspiegel und Leistungsfähigkeit zu erkennen. Aber
je anspruchsvoller die Aufgaben werden, desto mehr
macht sich die hohe Leucinkonzentration im Kopf
offenbar wie ein Gift bemerkbar. Eine besonders
schwierige Aufgabe: Auf dem Monitor erscheinen
drei, vier oder fünf kleine Quadrate. Sind drei oder
fünf zu sehen, mussten die Probanden mit der rechten Hand eine Taste betätigen, bei vier Quadraten
hingegen die Taste an der linken Hand. „Bei Gesunden hat ein Durchgang mit 600 Testbildern etwa 12
Minuten gedauert, bei Patienten mit hohem Leucinspiegel bis zu 45 Minuten“, berichtet Eva Simon.
Je höher der Aminosäurepegel im Gehirn, desto
schwerer fiel es den Patienten mit MSUD, sich zu konzentrieren. Teilweise mussten sie die Quadrate am
Bildschirm mit den Fingern abzählen und irgendwann haben sie nur noch eine der beiden Tasten
betätigt – egal was auf dem Monitor zu sehen war.
Selbst bei Patienten, die ihre Diät normalerweise
konsequent einhalten, konnten die Forscher erhöhte
Leucinwerte messen, die Konzentrationsfähigkeit
sank. Ein möglicher Grund: Wächst der Körper oder
verspürt er Hunger, bedient er sich kurzfristig körpereigener Eiweißreserven. Dabei wird auch Leucin
frei und gelangt – da es kaum abgebaut werden kann
– mit dem Blut ins Gehirn. Kleinste Abweichungen
von der Diät könnten diesen Effekt zusätzlich steigern. Die Diätvorschriften, so MSUD-Expertin Simon,
sollten nach den bisherigen Ergebnissen daher
konsequent eingehalten werden.
32
EIWEISSE
Albinismus – viele Gene, eine Krankheit
Hinter Albinismus, das ist seit langem bekannt, steckt eine Störung in der Produktion des Pigments Melanin. Trotzdem gibt es
noch immer keine Therapie. Die Suche nach
genetischen Ursachen soll nun helfen, die
Erkrankung des Eiweißstoffwechsels früher
zu erkennen und häufige Symptome wie das
Augenzittern zu lindern.
Eine typische Geschichte: Ein kleiner Mensch
kommt auf die Welt mit hübschen blonden Haaren und blauen Augen. Die Eltern sind ebenfalls
blond, und das Glück scheint vollkommen. Bis den
Eltern auffällt, dass die Augen ihres kleinen Lieblings ständig zittern und er nicht wie andere Babys
auf visuelle Reize reagiert. Die Ärzte finden nichts,
endlose Untersuchungen beunruhigen die Eltern.
Die Diagnose der Stoffwechselkrankheit Albinismus
stellt niemand. Die häufige Begründung: Das Kind
hat doch keine roten Augen.
Obwohl Albinismus die häufigste angeborene
Sehbehinderung ist, kommen viele Kinder erst nach
einer langen Odyssee in die Sprechstunde von Professor Barbara Käsmann-Kellner an der Klinik für Augenheilkunde der Universität Homburg/Saar. „Selbst
in den Köpfen vieler Augenärzte ist das angeblich
‚typische Aussehen’ eines Menschen mit Albinismus
fest verankert“, sagt die Expertin. Und wenn der Verdacht auf Albinismus bestehe, so Käsmann-Kellner,
führten viele Ärzte nach wie vor nur einen TyrosinHaarwurzeltest durch. Doch dieser Test ist längst
überholt und für eine Diagnose nicht ausreichend.
Er weist lediglich nach, ob sich in den Haarwurzeln
des Patienten das Enzym Tyrosinase befindet. Dieser
Eiweißstoff ist der Hauptakteur bei der Bildung von
Melanin – dem Farbstoff, der unsere Haut, Haare und
Augen färbt.
Die Synthese des Farbstoffs Melanin beginnt mit
der Bildung des Enzyms Tyrosinase in den Pigmentzellen. Fällt Licht auf diese Zellen, wird die Tyrosinase
aktiv: Das Enzym wandelt die Aminosäure Tyrosin
über Zwischenschritte in Melanin um und verkapselt
den fertigen Farbstoff in so genannte Melanosomen.
Die Transportvehikel werden von Zellen aufgenommen, etwa in den Augen oder der Haut. Melanin,
das nicht nur vor schädlichen UV-Strahlen schützt,
beeinflusst auch entscheidend die Entwicklung des
gesamten Sehsystems. Ist seine Synthese durch einen
Defekt im menschlichen Eiweißstoffwechsel gestört,
leiden Menschen unter einer von zahlreichen Formen von Albinismus.
So ist bei Menschen, die den Okulokutanen
Albinismus Typ 1 (OCA1) in sich tragen, das Gen
verändert, das für den Bau des Enzyms Tyrosinase
zuständig ist und damit den Stoffwechselweg zum
Melanin vollständig abschneidet. Fehlt die Tyrosinase, bleiben Haut und Haare weiß, die Iris der Augen
durchscheinend blau. Nur diese Form des Albinismus kann mit dem Tyrosin-Haarwurzeltest erkannt
werden.
Aber Albinismus ist eine Erkrankung des Eiweißstoffwechsels mit einem sehr breiten Spektrum von
Ursachen und Formen. Selbst Brünette können Albinisten sein. Eine sichere Diagnose ist nur durch einen
Blick auf die Gene möglich. Inzwischen sind Mutationen an 15 Genen bekannt, die – unabhängig voneinander – Albinismus beim Menschen verursachen
können. Und die Suche ist noch nicht abgeschlossen.
Genetisch definiert sind fünf Typen von Albinismus,
von denen der Typ „Okulokutaner Albinismus Typ 4“
erst kürzlich entdeckt wurde.
Weltweit beschäftigen sich nur wenige Wissenschaftler mit der Krankheit, von der etwa jeder
17.000ste Mensch betroffen ist. Eines der Forschungszentren liegt im amerikanischen Minneapolis, das
andere leitet Barbara Käsmann-Kellner an der Klinik
für Augenheilkunde in Homburg an der Saar. Sowohl
in Deutschland als auch in den USA liegt der Fokus
der Forschung auf der Erfassung der genetischen
Störungen des Eiweißstoffwechsels gibt es auch in der Tierwelt – hier
ein albinotischer Pfau.
EIWEISSE
33
Überflüssiges
Eiweiß
Varianten, die für Albinismus verantwortlich sind.
Die Wissenschaftler suchen nach den genetischen
Defekten im Erbgut, die zu Störungen des Melaninstoffwechsels führen. Kommen neue kleine Patienten mit Albinismus zu Käsmann-Kellner, nimmt sie
sie in ihr Screening-Programm auf.
Das langfristige Ziel dieser Erfassung genetischer
Varianten ist eine frühe Diagnose schon im Kleinkindalter, um möglichst schnell die weitere Entwicklung der Augen zu unterstützen. Heilbar wird die
Stoffwechselkrankheit dadurch nicht. Auch Therapiemaßnahmen können nur die Symptome lindern.
„Wirklich helfen könnte jedoch eine Gentherapie“,
sagt die Augenspezialistin. „Beim Albinismus Typ
OCA1, bei dem keine Tyrosinase gebildet wird, könnten wir uns vorstellen, ein intaktes Gen einzuschleusen.“ Dadurch könnte der Fehler in der Melaninsynthese möglicherweise behoben werden. Bei Mäusen
sei dies bereits gelungen. Aber für den Menschen sei
eine solche Therapie noch zehn bis zwanzig Jahre
entfernt, schätzt die Expertin aus Homburg. Hinzu
kommt, dass Kinder mit Albinismus bereits mit Schädigungen an den Augen zur Welt kommen, die nach
der Geburt nur schwer behoben werden können.
So leiden Albinisten nicht nur unter starkem
Augenzittern. Sie sind häufig auch stark kurz- oder
weitsichtig. Ihr Fleck des schärfsten Sehens, mit dem
Menschen Objekte fixieren, ist nur schwach entwickelt. In der Regel ist ihr Sehvermögen so schlecht,
dass sie nicht Auto fahren dürfen. Zudem kreuzen
die Sehnerven viel stärker als bei normal pigmentierten Menschen – im Extremfall läuft der rechte
Sehnerv direkt nach links, ohne Fasern zum rechten
Sehgehirn abzugeben, und umgekehrt. Die Folge:
Albinismus-Patienten können nicht räumlich sehen.
Mit dieser Kreuzung der Sehnerven kommen die Kinder bereits zur Welt. Eine völlige Heilung ist damit
selbst durch eine Gentherapie ausgeschlossen.
Gerade weil die Diagnose schwierig ist, wird die
frühe Förderung des Sehapparates extrem wichtig.
Da die Sehbehinderung sich aus vielen Einzelfaktoren zusammensetzt, ist Barbara Käsmann-Kellner
froh, wenn Eltern ihre Kinder schon im ersten
Lebensjahr in die Praxis bringen. Denn es gibt
durchaus Förder-, Hilfs- und Therapiemöglichkeiten,
durch die sich die Situation der Patienten verbessert.
So ermöglichen ein früher Ausgleich der Fehlsichtigkeiten, die visuelle Frühförderung für die
Kleinsten sowie optische und elektronische Sehhilfen für Kinder und Erwachsene mit Albinismus
heute trotz ihrer Krankheit ein fast normales Leben.
Eiweiß-Shakes und Spezialriegel, AminosäureAmpullen, Vitaminpräparate und Vitalstoffpillen:
Doping ist längst kein – wenn auch zweifelhaftes –
Privileg der Spitzenathleten mehr. Auch im Freizeitsport werden Mittel eingenommen, die auf den Dopinglisten stehen. Neben Stimulantien, die die Laune
heben, und Erythropoetin (EPO), das den Sauerstofftransport im Blut verbessert, sind Stoffe beliebt, die
in den Eiweißstoffwechsel eingreifen.
Missbrauchen Sportler etwa das körpereigene
Wachstumshormon HGH (Human Growth Hormone)
in Kombination mit anabolen Steroiden wie Testosteron oder Nandrolon, werden die mit der Nahrung
aufgenommenen Aminosäuren nicht als Brennstoff
verbraucht, sondern zu solchen Eiweißen verknüpft,
die Grundbausteine für neue Muskelfasern sind.
Gleichzeitig fördert die Einnahme jedoch Diabetes,
Leber- und Knochenschäden und vergrößert das
Herz gefährlich.
Auch das Wachstumshormon IGF 1 (Insulin-like
Growth Factor 1) fördert die Entwicklung von Muskelmasse. In Tierversuchen haben Mäuse bis zu 50
Prozent mehr Muskeln durch das Hormon gebildet.
Das bedeutet eine große Hilfe für Menschen mit
krankhaftem Muskelschwund – und eine Verlockung
für ungeduldige Sportler.
Wer weder Medikamente noch seinen Körper
missbrauchen möchte, kommt auch mit gesunder
Ernährung und ein wenig mehr Geduld zu Muskeln
und Ausdauer. Zusätzliche Eiweiße für Sportler
schaden sogar mehr als sie nutzen: Mit der Nahrung
nehmen wir bereits etwa 1,3 Gramm Eiweiß pro
Kilogramm Körpergewicht auf. Das ist mehr, als ein
Kraftsportler benötigt, um seine Muskeln wachsen
zu lassen. Dazu sind nämlich nur etwa 0,9 Gramm
Eiweiß nötig. Konsumiert ein Sportler trotzdem
Eiweißpräparate, muss die Niere die zusätzlichen
Proteine mühsam ausscheiden und wird dabei auf
Dauer geschädigt.
34
EIWEISSE
Lebensrettendes Tandem
Schlägt das Herz im richtigen Rhythmus? Wie
gut sind die Reflexe? Sind alle Organe korrekt
ausgebildet? – Neugeborene Kinder gehören
in Deutschland zu den medizinisch am besten
untersuchten Gruppen. Doch viele genetisch
bedingte Erkrankungen des Stoffwechsels
machen sich erst im Laufe der weiteren Entwicklung bemerkbar. Lange Zeit wurden sie
daher nicht oder zu spät erkannt – bis in den
1990er Jahren eine alt bekannte physikalische
Methode das Neugeborenenscreening revolutionierte.
Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen werden in
Deutschland seit 1976 Kinder auf Fehlentwicklungen
des Körpers untersucht. In den ersten drei Lebenstagen interessieren sich die Ärzte heute vor allem für
den Stoffwechsel der Säuglinge. Im Neugeborenenscreening wird das Blut auf Substanzen untersucht,
mit denen sich schwere erbliche Erkrankungen
nachweisen lassen: Stoffwechselstörungen wie die
Phenylketonurie (PKU, s.a. „PKU-Patienten halten
ihr Leben lang Diät“, S. 28), die Galaktosämie (s.a.
„Galaktosämie – wenn Zucker die Zellen vergiftet“,
S. 22) oder die Ahornsirupkrankheit (MSUD, s.a. „Das
Gehirn als Spiegel des Stoffwechsels“, S. 30).
Das Neugeborenenscreening wurde in Deutschland während der 1970er Jahre von dem Heidelber-
Spannungsquelle
Ionisation
MS 1
Erste Massentrennung
Neugeborene genießen in Deutschland seit mehr als dreißig Jahren
eine medizinische Rundumversorgung. Mit Hilfe von Blutuntersuchungen werden bereits in den ersten drei Lebenstagen mögliche
Stoffwechselerkrankungen frühzeitig erkannt.
Kollisionszelle
Fragmentierung
MS 2
Detektor
Zweite Massentrennung
Schema der Tandem-Massenspektrometrie: Im Spektrometer MS 1
werden Moleküle entsprechend ihrer Masse getrennt. Bestimmte
Moleküle kollidieren in der Zelle und werden gespalten. Nachdem die
entstandenen Bruchstücke auch Spektrometer MS 2 durchlaufen haben,
werden sie nochmals gemäß ihrer Masse erfasst.
EIWEISSE
Im Elektrospray-Ionisations-Spektrometer wird das spezifische Gewicht
von Molekülen gemessen. Über 20 Erbkrankheiten können so in nur
zwei Minuten diagnostiziert werden.
ger Professor für Kinderheilkunde Horst Bickel etabliert. Anfangs war nur der von dem amerikanischen
Arzt Robert Guthrie entwickelte Trockenbluttest auf
PKU Bestandteil des Screenings. In den 1980er und
1990er Jahren kamen dann vier weitere Tests hinzu.
Doch erst die Einführung der so genannten Elektrospray-Ionisations-Tandem-Massenspektrometrie
(kurz: ESI-MS/MS) revolutionierte 1998 das Screening:
Seither können mehr als 40 Stoffwechselprodukte
(Metabolite) in einem einzigen Untersuchungsgang
identifiziert und auch quantifiziert werden. Nach
der deutschen Screening-Richtlinie werden damit
heute PKU, Aminoazidopathien wie MSUD sowie
mehrere Defekte der Verbrennung von Fettsäuren
und Störungen im Stoffwechsel organischer Säuren
routinemäßig erfasst.
Das Grundprinzip der Massenspektrometrie ist
seit etwa 100 Jahren bekannt: Moleküle werden ionisiert, also in einen geladenen Zustand versetzt, stark
35
beschleunigt und entsprechend ihrer Masse von Detektoren erfasst. Im Neugeborenenscreening kommt
eine erweiterte massenspektrometrische Methode
zum Einsatz, die Tandem-Massenspektrometrie
(MS/MS). Sie verbindet zwei Spektrometer mit einer
Kollisionskammer, in der die Biomoleküle nochmals
gespalten werden.
Aminosäuren zum Beispiel setzen bei einer solchen Kollision Bruchstücke mit einer ganz typischen
Masse frei. Auch organische Säuren aus dem Eiweißabbau oder Fettsäuren können leicht ausfindig
gemacht werden.
„Durch die Quantifizierung dieser spezifischen
Molekülfragmente und ihrer Verhältnisse zueinander können wir in einer zweiminütigen Untersuchung mehr als 20 verschiedene genetische Erkrankungen überprüfen“, sagt Dr. Martin Lindner, Leiter
der Sektion angeborene Stoffwechselerkrankungen
der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Heidelberg. „Mit der ESI-MS/MS-Methode hat
sich die Zahl der Krankheitsfälle, die vor dem Auftreten von Symptomen diagnostiziert und therapiert
werden, nahezu verdoppelt.“
Nach dem durchschlagenden Erfolg der Screening-Methode untersuchen die Wissenschaftler des
Stoffwechselzentrums Heidelberg nun in einer Langzeitstudie, ob die Diagnose kurz nach der Geburt
dem erkrankten Kind tatsächlich nutzt. Gemeinsam
mit seinem Team und der Unterstützung von Kollegen aus anderen Stoffwechselzentren, in denen die
im Screening aufgefallenen Kinder betreut werden,
sammelt das Team in Heidelberg Daten zum Krankheitsverlauf, zur Behandlung und zur Entwicklung
der Patienten vom Zeitpunkt der Diagnose bis zum
zehnten Lebensjahr.
Die Langzeituntersuchung wird von der DietmarHopp Stiftung gefördert und soll bis 2011 zeigen, wie
sich der Krankheitsverlauf der frühzeitig betreuten
Kinder von dem solcher Patienten unterscheidet, bei
denen eine Erkrankung erst mit dem Auftreten von
Symptomen festgestellt wurde.
Dass die ESI-MS/MS im Neugeborenenscreening
unabhängig von den Ergebnissen der Studie ein
Meilenstein in der Präventivmedizin darstellt, ist für
Lindner unbestritten. Denn trotz schwerer klinischer
Symptome würden angeborene Stoffwechselstörungen ohne diese Methode auch heute noch erst sehr
spät oder gar nicht diagnostiziert.
36
PURINE UND PYRIMIDINE
PURINE UND PYRIMIDINE
37
Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine
Mit jeder Portion Fleisch nimmt der Mensch
auch eine Extraportion Purine und Pyrimidine zu sich. Bewusst ist das allerdings nur
wenigen. Denn während Zucker, Fette und
Eiweiß jedermann ein Begriff sind und auch
Vitamine einen festen Platz in unserem Wortschatz haben, sind die ringförmigen Moleküle
weitgehend unbekannt. Dabei sind Purine
und Pyrimidine als Bestandteile des Erbguts
allgegenwärtig.
Nahrungspurine, etwa aus Fleisch, werden beim Menschen zu
Harnsäure abgebaut. Gichtpatienten sollten daher auf zu viel Fleisch
und Innereien verzichten.
Die ringförmigen Moleküle spielen im Stoffwechsel
aller Organismen eine wahrhaft tragende Rolle.
Mit ihrer einfachen stickstoffhaltigen Ringstruktur
bilden sie das Grundgerüst für die Bausteine der
Desoxyribonukleinsäure (DNA), die die Informationen des Lebens kodiert. Ohne Purine und Pyrimidine gäbe es keine Erbsubstanz. Auch der Energiestoffwechsel kann auf die kleinen Moleküle nicht
verzichten, und viele Zucker werden durch Pyrimidine überhaupt erst aktiviert.
Überall da, wo Zellen neu gebildet werden, benötigt der Körper auch große Mengen an Purin und Pyrimidin, also vor allem im Zentralen Nervensystem,
dem Immunsystem und im Knochenmark. Doch
woher kommen die Bausteine? Der Körper kann
zwar Purine und Pyrimidine selbst herstellen – für
die Zellbildung und den Energiestoffwechsel reicht
die Produktion aber bei Weitem nicht aus. Tatsächlich werden allein bei den Purinen bis zu 90 Prozent
der mit der Nahrung aufgenommenen Nukleinsäurebausteine vom Körper verwertet. Nur zehn Prozent
werden zu Harnsäure abgebaut und ausgeschieden.
Zehn Prozent, die allerdings Menschen mit Neigung zu Gicht und einem ohnehin erhöhten Fleischund Bierkonsum zu schaffen machen können. Bei
ihnen sammelt sich die Harnsäure in ihren Gelenkflüssigkeiten an und kristallisiert aus. Schmerzhafte
Gichtschübe sind die häufigsten Symptome einer
Störung im Stoffwechsel der Purine (s.a. „Gicht ist
doch kein Zipperlein“, S.40). Der inzwischen emeritierte deutsche Gichtforscher Nepomuk Zöllner
machte als einer der ersten darauf aufmerksam, dass
die Ernährung einen entscheidenden Anteil an der
Entstehung der Harnsäure-Kristalle hat (s.a. „Ein
Leben für die Gichtforschung“, S. 38). Die Gicht ist
heute eine der bestuntersuchten Krankheiten überhaupt. Dabei konzentrieren sich die Forschungen
auf der Suche nach neuen Angriffspunkten für
Medikamente vor allem auf die Transportprozesse in
der Niere.
38
PURINE UND PYRIMIDINE
Ein Leben für die Gichtforschung
Gicht galt früher als Zipperlein und Krankheit
der Reichen. Erst Nepomuk Zöllner – Professor der Medizin und bis 1990 Direktor der
Medizinischen Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München – gab der Gicht
den Status einer ernsthaften Stoffwechselerkrankung und entwickelte eine wirksame
Therapie.
Herr Prof. Zöllner, Sie haben die Gichtforschung in
Deutschland maßgeblich vorangetrieben. Welches
sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Arbeit?
Die sorgfältige Untersuchung des Zusammenhangs der Erkrankung mit der Ernährung! Es gab
dazu Geschichten – etwa, dass eiweißreiche Kost
Gicht verursacht. Aber nichts war bewiesen. Das war
mir als Biochemiker und Naturwissenschaftler zu
vage, denn Eiweiß ist nicht gleich Eiweiß. Außerdem
habe ich als erster Medikamente eingeführt, die den
Harnsäurespiegel senken.
Kurz zu den Lebensmitteln: Was hat sie neugierig
gemacht?
Eiweißhaltige Lebensmittel sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Was mich in den 50er
Jahren – nach meinen Aufenthalten bei Siegfried
Thannhauser in Boston – veranlasst hat, genauer
hinzusehen, war, dass die Gicht während der Weltkriege sehr selten geworden war. Was fehlte während des Krieges? Es war Fleisch und eine vielseitige
Ernährung. Außerdem ging in Kriegszeiten der
Alkoholkonsum stark zurück. Ein erhöhter Alkoholspiegel hält Harnsäure im Blut zurück. Steigt der
Harnsäurespiegel über ein gewisses Niveau, kann
das Gichtanfälle auslösen.
Mit welchen Methoden haben Sie die genauen
Ursachen für Gicht gefunden?
Wir haben erstmals bei Gichtkranken die Wirkung einzelner Ernährungsbestandteile mit so genannten Formeldiäten untersucht. Das sind Diäten,
deren Zusammensetzung man genau kennt – nicht
nur nach Lebensmitteln sondern auch nach deren
chemischen Bestandteilen. Dadurch haben wir
festgestellt, dass Eiweiß den Harnsäurespiegel nicht
erhöht, sondern sogar leicht senkt. Es sind hauptsächlich die Zellkernsubstanzen, die Nukleinsäuren,
die den Harnsäurespiegel stark erhöhen. Das haben
wir durch die Gabe von nukleinsäurefreiem Eiweiß
wie Milcheiweiß einerseits und anderseits durch die
Gabe von Nukleinsäuren auch nachweisen können.
Und Sie haben den Wirkstoff, der heute noch Therapiestandard ist, eingeführt.
Ja, das Allopurinol habe ich als erster vor über 30
Jahren publiziert und in Deutschland eingeführt.
Vorher gab es nur Mittel, die die Harnsäureausscheidung erhöhen. Allopurinol verhindert die Bildung
der Harnsäure.
Welche Fragen im Zusammenhang mit Gicht sind
für Sie offen geblieben – woran hätten Sie gerne
weiter geforscht?
Was mich immer interessiert hat, war die Genetik der Gicht. Dazu haben wir damals nur wenige
Arbeiten durchführen können. Man weiß, dass die
Gicht eine familiäre Krankheit ist. Aber auf welchen
Chromosomen die Gene sitzen und welche angeborenen Stoffwechseldefekte zu Gicht führen, ist
noch offen. In dem Bereich liegt viel brach; das Forschungsgebiet ist derzeit nicht modern, weil Gicht so
gut zu therapieren ist. Wenn ein Gichtkranker zu mir
kommt, bekommt er Diätvorschläge – ob er die einhält, ist dann natürlich die Frage – und ich verschreibe ihm Allopurinol. Danach sind die Gichtanfälle
nach einer Anlaufzeit ein für alle Mal behoben. Gicht
ist heute keine Krankheit mehr, die den Menschen
bedrängen muss, wenn er sie ordentlich behandeln
lässt.
PURINE UND PYRIMIDINE
39
Die Nieren –
reinigende Hochleistungsfilter
Nierenrinde
Nierenmark
Nieren- Naher
körperchen Tubulusanteil
Entfernter
Tubulusanteil
Henlesche
Schleife
Nierenarterie
Nierenpapille
Markpyramide
Nierenvene
Nierenläppchen
Nierenbecken
Nierenkelche
Harnleiter
Fettgewebe
Nierenkapsel
Die Nieren sind die Kläranlage unseres Körpers. Sie
reinigen das Blut von Stoffwechselprodukten, die
giftig sind oder die der Körper einfach nicht mehr
benötigt. Sie steuern den Wasser-, Salz- und Säurehaushalt, regulieren über den Wasserhaushalt den
Blutdruck und produzieren darüber hinaus eine
Reihe wichtiger Hormone wie etwa das aus dem
Doping (s.a. „Überflüssiges Eiweiß“, S. 33) bekannte
Erythropoetin.
Obwohl nur faustgroß, filtern die beiden Nieren
zusammen etwa 1.700 Liter Blut am Tag. Dazu durchfließt unser Blut täglich mehr als 360-mal die Nieren
– oder anders ausgedrückt: Etwa ein Viertel unserer
gesamten Blutmenge pumpt das Herz in jeder Minute durch die Nieren.
Derart leistungsfähige Organe sind entsprechend
komplex aufgebaut. Die äußere Schicht ist die Nierenrinde. Weiter innen liegt das hellere Nierenmark, das
– unterteilt in pyramidenförmige Segmente – in das
Innere der Niere ragt. Die Spitzen dieser Pyramiden,
die Papillen, münden in die Nierenkelche, die sich
zum Nierenbecken zusammenschließen. Vom Nierenbecken geht dann wiederum der Harnleiter ab.
Dies ist eine komplexe Konstruktion für einen
noch komplexeren Reinigungsvorgang: Blut wird
von der Nierenarterie aus dem Körper in die Nierenrinde geleitet. Dort verzweigen sich die Blutgefäße
in sehr feinen Kapillaren, die in Nierenkörperchen
gebündelt sind. In jeder Niere befinden sich etwa
eine Million solcher Nierenkörperchen, in denen
über den Blutdruck der Primärharn gebildet und
aus dem Blut gepresst wird – das sind täglich etwa
170 Liter Plasma mit Glukose, Aminosäuren, Hormonen, Vitaminen, Harnsäure und verschiedenen
Mineralstoffen. Die Poren der Kapillarwände halten
lediglich Blutzellen und Eiweiße zurück – diese sind
zu groß, um durch die Poren zu schlüpfen.
Der Primärharn durchfließt dann das tiefer im
Organinneren liegende Nierenmark. Dort strömt
er in langen Kanälen an einem feinen Geflecht der
Nierenvene vorbei und gibt den größten Teil seines
Wassers, seiner Salze und Nährstoffe wieder an das
Blut ab. Dabei werden auch etwa 90 Prozent der
Harnsäure über spezielle Transporter zurück in das
Blut geschleust. Über diesen Umweg hält die Niere
die Harnsäurekonzentration im Blut auf einem konstanten Niveau. Ein Teil der Harnsäure und solche
Substanzen, die schädlich oder nutzlos sind, bleiben
im Harn. In den Geflechten des Nierenmarks konzentriert sich der Harn immer weiter und fließt letztlich
über Sammelkanäle in das Nierenbecken. Von dort
wird er über den Harnleiter in die Blase befördert.
40
PURINE UND PYRIMIDINE
Gicht ist doch kein Zipperlein
Seit der Einführung von Allopurinol vor etwa
40 Jahren ist Gicht zu einer gut therapierbaren Krankheit geworden. Forschungsbedarf
besteht erst wieder, seit die ersten Patienten
mit Unverträglichkeit auf das Standardpräparat reagieren. Die Gicht ist damit wieder
Gegenstand aktueller Forschungen.
Meist kommen Schmerz und Fieber über Nacht. Das
Gelenk des großen Zehs scheint zu platzen, ist rot
und heiß und jedes Anfassen schmerzt entsetzlich.
Der Körper leidet an Gicht. Gicht galt früher als
Zipperlein, als Krankheit der Reichen. Denn Gicht
bekam, wer zu üppig lebte. Allerdings musste der üppige Lebensstil zusätzlich auf einen bereits vorhandenen genetischen Defekt treffen, der die Ausscheidung von Harnsäure stört.
Seit der Arzt und Biochemiker Nepomuk Zöllner
in den 1960er Jahren Diätrichtlinien und schließlich
das Medikament Allopurinol eingeführt hat, sind
etwa 90 Prozent der Patienten gut behandelbar. Der
Wirkstoff reguliert die Bildung von Harnsäure und
ist bis heute das Standardmedikament in der Gichttherapie.
Aber eine Krankheit, die sich leicht therapieren
lässt, weckt keine Neugier mehr. Erst in letzter Zeit
steigt das Forscherinteresse wieder. Den Grund
kennt Jürgen Gräßler, Professor für Pathologische
Biochemie am Uniklinikum Dresden: „Immer mehr
Patienten vertragen Allopurinol nicht. Sie fühlen
sich unwohl und zeigen stark ausgeprägte Hautrötungen.“ Wissenschaftler suchen daher zunehmend nach Alternativen zu diesem Wirkstoff.
Die Ursachen der Gicht sind weitgehend bekannt:
Purine, wichtige Bestandteile der Nukleinsäuren,
die in vielen tierischen Lebensmitteln, aber auch in
Hülsenfrüchten enthalten sind, baut der menschliche Körper zu Harnsäure ab. Die wird dann in der
Niere aus dem Blut filtriert, zum Teil mit dem Harn
ausgeschieden oder wieder in das Blut zurücktransportiert. So hält ein gesunder Körper den Harnsäurespiegel im Blut auf einem stabilen und für die
Gelenke verträglichen Niveau.
Bei Gichtpatienten ist das Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Ausscheidung der Harnsäure
gestört. Diese Störung kann in der Niere entweder
einen Transporter betreffen, der Harnsäure aus den
Nierenzellen in den Harn pumpt und damit aus
dem Blut hinausbefördert, oder Transporter, die
Harnsäure aus dem Harn zurück in die Nierenzelle
aufnehmen und so in das Blut zurückschleusen.
„Wir kennen nur einige dieser Transporter. Sie sind
Gegenstand der aktuellen Gichtforschung“, sagt
Jürgen Gräßler.
Bei einem gemäßigten Konsum von Fleisch und
Bier – den Hauptfeinden des modernen Gichtpatienten – machen diese Störungen meist keine Probleme.
Erst wenn die Nahrung zu üppig wird, steigt der
Harnsäuregehalt im ganzen Körper so stark an, dass
sich Kristalle bilden. Besonders betroffen sind dabei
die Gelenke. Harnsäurekristalle reizen die Gelenkkapsel mechanisch und lösen eine Entzündungsreaktion aus. Die Folge sind starke Gelenkschmerzen
– ein Gichtschub.
Ein Gichtschub beginnt häufig im großen Zeh.
Was aber hat der Zeh, was die Gelenke anderer Gliedmaßen nicht haben? „Das ist ganz einfach“, erklärt
Jürgen Gräßler, „in den Gelenken und vor allem den
Füßen ist die Körpertemperatur niedriger als im Rest
des Körpers. Ein Unterschied von zwei Grad reicht
schon aus, um die Aufnahmefähigkeit der Gelenkflüssigkeit für Harnsäure zu überschreiten.“ Sind die
Kristalle einmal entstanden, reagiert das Immunsystem schnell und vernichtet sie durch Fresszellen
in einer heftigen Entzündungsreaktion. Nach etwa
drei Tagen sind die Kristalle vernichtet, der Gichtanfall klingt ab.
Im Fuß ist die Temperatur geringer als im übrigen Körper.
In der Gelenkflüssigkeit der
Zehen kristallisiert Harnsäure (im Bild unten rot) deshalb
zuerst und verursacht
schmerzhafte Gichtschübe.
PURINE UND PYRIMIDINE
41
Das Gegenteil von Gicht
Als Therapie bekommen Gichtpatienten zunächst stark entzündungshemmende Medikamente
sowie Schmerzmittel. Langfristig müssen sie Diät
halten und Allopurinol einnehmen. Der Wirkstoff
blockiert den letzten Abbauschritt der Purine vom
Zwischenprodukt Xanthin in Harnsäure durch das
Enzym Xanthinoxidase.
„Der Hauptgegenstand der Forschung ist jetzt,
die Proteine in der Niere zu charakterisieren, die
Harnsäure transportieren – sowohl aus dem Blut als
auch in das Blut zurück“, sagt der Dresdner GichtSpezialist Gräßler. Diese Arbeiten sind erst möglich
geworden, da die Forscher durch die immer weiter
wachsenden Erkenntnisse über das menschliche Genom die zuständigen Gene und die durch sie kodierten Proteine untersuchen können. Damit bekommen
sie einen ganz neuen Blick auf die altbekannte
Krankheit Gicht.
Gicht kann viele verschiedene genetische Ursachen haben. Bei der Suche nach Genen, die die
Regulation des Harnsäurespiegels beeinflussen,
greifen die Dresdner Forscher auf einen großen Pool
von DNA-Proben zurück, der über Jahre aus Proben
von Dresdner Gicht- oder Hyperurikämiepatienten
aufgebaut wurde. Wird ein neues Gen eines Harnsäuretransporters identifiziert, können die Wissenschaftler die Patienten auch noch nach Jahren auf
diesen Defekt untersuchen und seine Häufigkeit
feststellen.
Auf diesem Weg wurde die zentrale Rolle des
Transporters URAT 1 bei der Harnsäureausscheidung
in der Niere beschrieben. Er ist für die Wiederaufnahme der Harnsäure aus dem Urin in die Nierenzellen verantwortlich. Auch wurde der erste Kanal
entdeckt, der Harnsäure aus der Zelle in den Primärharn pumpt. Für ihn konnte jedoch noch keine Verbindung zu einem Defekt bei Gichtpatienten nachgewiesen werden. Das ist der zweite Schritt dieser
Untersuchungen: Herauszufinden, welche der Proteine tatsächlich eine Rolle im Krankheitsgeschehen
spielen. Inzwischen wurden durch die genetischen
Arbeiten sechs Proteine beschrieben, die an diesem
Wechselspiel in der Niere beteiligt sind. Dank der
intensiven internationalen Zusammenarbeit in der
Gichtforschung rechnen die Wissenschaftler in
naher Zukunft mit der Entdeckung weiterer Harnsäuretransporter. Damit kommen die Forscher ihrem
langfristigen Ziel einen großen Schritt näher: Neue
Wirkstoffe zu entwickeln, die an diesen Proteinen
angreifen und damit eine Alternative zur klassischen
Gichttherapie darstellen werden.
1 cm
Xanthinstein eines 12-jährigen Jungen
Gichtkranke haben zu viel, wovon Menschen mit
Hypourikämie und Xanthinurie zu wenig haben:
Harnsäure im Blut. Meist werden diese Stoffwechselstörungen erst durch eine gründliche Routineuntersuchung beim Arzt entdeckt. Denn die Symptome
reichen von Harnkristallen im Urin bis zum akuten
Nierenversagen.
Sowohl der Hypourikämie als auch der Xanthinurie liegt ein genetischer Defekt zu Grunde. Die Hypourikämie wird durch einen defekten Transporter in
der Niere verursacht, der den Harnsäurespiegel im
Blut regelt. Funktioniert er nicht ordnungsgemäß,
filtriert die Niere zwar Harnsäure hinaus, kann sie
aber nicht zurückgewinnen.
Bei Xanthinurie-Patienten dagegen bildet der
Körper erst gar keine Harnsäure. Ein Gendefekt, stört
den letzten Schritt des Purinabbaus zu Harnsäure.
Das Zwischenprodukt Xanthin sammelt sich an und
muss über die Niere entsorgt werden.
Hypourikämie und Xanthinurie belasten die Niere. Sie kann die hohen Konzentrationen an Harnsäure oder Xanthin nicht bewältigen. Die Substanzen
verändern das sensible Konstrukt aus Poren, Kanälen
und Transportern. Weil sich krankhafte Symptome
erst spät oder gar nicht einstellen, gibt es zurzeit –
bis auf Diäten – keine Behandlungsmöglichkeiten.
Betroffene sollten sich purinarm ernähren und sehr
viel trinken, um der Bildung von Nierensteinen entgegenzuwirken.
42
PURINE UND PYRIMIDINE
Pyrimidine:
medizinische Grundlagenforschung
Die Erforschung des Stoffwechsels der Pyrimidine fristet in Deutschland und Europa
ein Nischendasein. Neueste Fortschritte in
der Forschung aber zeigen: Störungen im
Auf- und Abbau der Nukleinsäurebestandteile
sind die Ursache für einige wenig bekannte
Erkrankungen.
Krankheiten, deren Ursachen in einem fehlerhaften Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine liegen,
zeigen in der Regel sehr unspezifische Symptome.
So gehören psychomotorische Störungen, cerebrale
Krampfanfälle und autistisches Verhalten ebenso
dazu wie gehäufte Harnwegsinfekte, Anämien und
Immunschwächen. Dabei erkranken drei Organsysteme besonders häufig: das Zentrale Nervensystem
(ZNS), das Knochenmark und die Niere – Orte also,
an denen der Zellstoffwechsel auf Hochtouren läuft
und Auf- und Abbau der stickstoffreichen Verbindungen eine große Rolle spielen. Die bekannteste
und zugleich häufigste dieser Erkrankungen ist die
Gicht (s.a. „Gicht ist doch kein Zipperlein“, S. 40). Die
damit verbundene Hyperurikämie (hoher Blutharnsäurespiegel) entsteht durch Fehler im Abbau und
der Wiederverwertung von Purinen sowie in der
Ausscheidung der Harnsäure über die Niere.
Lässt man jedoch die große Zahl der Gichtpatienten beiseite, so leiden in Europa gerade mal einige
hundert Menschen an einer Störung des Purin- oder
Pyrimidinstoffwechsels. Bei den Pyrimidinen sind es
sogar weniger als hundert. „Dass die Erkrankungen
so selten diagnostiziert werden, hängt auch damit
Adenin
Thymin
Guanin
Cytosin
Purine und Pyrimidine sind die Grundbausteine für die vier Nukleobasen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin, die die Doppelhelix des
Erbguts aufbauen.
zusammen, dass es kaum Möglichkeiten gibt, die
Enzymdefekte aufzuspüren“, erklärt Monika Löffler,
Professorin am Institut für Physiologische Chemie
der Philipps-Universität in Marburg. „Die Entwicklung neuer Analysemöglichkeiten ist deshalb auch
eine wichtige Motivation für meine eigene Forschungsarbeit.“
Ein Enzym hat es der Forscherin dabei besonders
angetan: die Dihydroorotat:Ubichinon Oxidoreduktase. Diese Dehydrogenase ist das vierte von insgesamt sechs Enzymen, die die ringförmige Pyrimidinstruktur der Nukleinsäurebestandteile aufbauen
helfen. Das Besondere an diesem Enzym: Im Gegensatz zu den anderen fünf Enzymen befindet sich die
Dehydrogenase ausschließlich im Mitochondrium
– der Energiezentrale jeder Zelle – und ist bei ihrer
Tätigkeit von deren Atmungsfunktion abhängig.
Ein Aspekt, der Monika Löffler besonders fasziniert:
„Ich konnte mit meinen Forschungen zum Pyrimidinstoffwechsel indirekt einen Beweis für die grundlegende biologische Erkenntnis liefern, dass Leben
ohne Sauerstoff nicht möglich ist.“
Es gibt nur wenige Pyrimidinforscher in Deutschland. Und auch in Europa ist die grundlegende
Erforschung der Nukleinsäurebausteine ein Nischenthema. Tatsächlich scheint Löfflers Forschung
zunächst weit weg von allen medizinischen Belangen. Ein Zusammenhang zu einer konkreten, therapiebedürftigen Krankheit ergibt sich oft erst auf den
zweiten Blick. „Die meisten meiner Kollegen sind
Diagnostiker an Universitätskliniken, zum Beispiel
in Dresden oder Heidelberg. Sie haben sich auf die
Analyse der Purine und Pyrimidine spezialisiert und
sind Ansprechpartner für niedergelassene Ärzte“,
sagt Löffler. Echte Grundlagenforscher, die sich wie
sie auf ein Detail eines komplexen Stoffwechselweges konzentrieren, seien rar, bedauert die Wissenschaftlerin.
Umso wichtiger ist für sie der internationale
wissenschaftliche Austausch. Eine Möglichkeit
dazu bietet die Internationale Purin und Pyrimidin
Gesellschaft (PPS). Die Vereinigung, deren wissenschaftlichem Komitee Monika Löffler neben dem
Gichtforscher Nepomuk Zöllner als einzige deutsche Forscherin beisitzt, bietet Wissenschaftlern,
Diagnostikern und Medizinern ein gemeinsames
Forum. Zusammen mit ihren nationalen und internationalen Kollegen will Monika Löffler durch ihre
Grundlagenforschung dabei helfen, die Diagnose
der seltenen Erkrankungen zu verbessern, die durch
PURINE UND PYRIMIDINE
Störungen im Auf- und Abbau der NukleinsäureBausteine verursacht werden.
Inzwischen sind für neun verschiedene Enzyme
Mutationen identifiziert, die allein im Abbau und
Aufbau der Pyrimidine Störungen hervorrufen. Ein
großer Teil dieser Erkenntnisse geht auf die Forschungen eines niederländischen Teams am Emma
Children‘s Hospital in Amsterdam zurück, mit dem
Löffler eng zusammenarbeitet.
So ist bekannt, dass Patienten mit Fehlern im
Pyrimidinabbau schwere neurologische Störungen
haben. Wissenschaftler vermuten die Ursache in
fehlenden Endprodukten des Pyrimidinabbaus.
Beweise gibt es für diese Theorie aber nicht. Doch
die Forscher machen Fortschritte: „Heute weiß man,
dass Pyrimidine auch in der Niere und im Zentralen
Nervensystem abgebaut werden“, sagt Monika Löffler und betont: „Das ist wichtig, denn bislang nahm
man an, dass der Abbau nicht nur der aus der Nahrung stammenden, sondern auch der körpereigenen
Purine und Pyrimidine ausschließlich in der Leber
stattfindet.“ Die genaue Kenntnis des Pyrimidinstoffwechsels im Zentralnervensystem könnte demnach
ein Schlüssel für die weitere Aufklärung geistiger
Entwicklungsstörungen sein.
Vor einigen Jahren machten Ergebnisse von
Kollegen aus der Krebsforschung hellhörig. Spezielle
Medikamente, die in der Krebstherapie eingesetzt
werden und Pyrimidinen nachempfunden sind, riefen bei einigen Patienten schwere neurologische Störungen hervor. Weshalb das geschah, konnten sich
Mediziner lange Zeit nicht erklären. Erst Erkenntnisse aus der Pyrimidinforschung brachten die Lösung.
Die betroffenen Patienten litten ganz offensichtlich
an einer leichten und daher noch nicht erkannten
Störung des Pyrimidinabbaus und konnten zusätzliche Pyrimidinbausteine nicht verwerten.
43
Pyrimidinforschung ist echte Grundlagenforschung: Während es bei
der Gichtforschung bereits um neue Therapien geht, fristet die Erforschung von Pyrimidin-Erkrankungen ein Nischendasein.
Purinforschung
28 genetisch bedingte Enzymdefekte sind
allein im Purinstoffwechsel bekannt. Sie
betreffen sowohl den Aufbau als auch den Abbau dieser Molekülgruppe – mit unterschiedlichen Folgen. Neben der Gicht sind vor allem
allgemeine Schwächen des Immunsystems
und neurologische Störungen typisch, wenngleich sie sehr selten sind. Fehlt Menschen
beispielsweise das Enzym Adenylosuccinase, ist ihre psychomotorische Entwicklung
gestört. Die Folgen sind häufig epileptische
Anfälle und Autismus. Eine andere Erkrankung des Purinstoffwechsels, der AdenosinDesaminase-Mangel, löst den Schweren
Kombinierten Immundefekt (SCID) aus. Das
Immunsystem der Betroffenen antwortet
dann nicht auf Krankheitserreger, die in den
Körper gelangen.
Blutzellen (rot) bilden Immunzellen. Werden sie nicht mehr ausreichend mit Purinen versorgt, ist die Immunabwehr in Gefahr.
44
MIKRONÄHRSTOFFE
MIKRONÄHRSTOFFE
45
Mikronährstoff-Stoffwechsel –
kleine Helfer mit großer Wirkung
Eiweiße helfen beim Aufbau von Körperzellen. Fette und Kohlenhydrate sorgen für Energie und Wärme. Und Mikronährstoffe? Die
kleinen sehr unterschiedlichen Moleküle sind
zwar essenziell, müssen also vom Körper unbedingt mit der Nahrung aufgenommen werden. Die Aufgaben, die sie dort erfüllen, sind
aber erst auf den zweiten Blick zu erkennen.
Denn Mikronährstoffe, allen voran Mineralien
und Vitamine, arbeiten im Hintergrund und
regeln als Kofaktoren (Helfer) von Enzymen
und zentrale Bestandteile wichtiger Makromoleküle viele Stoffwechselvorgänge.
Mikronährstoffe wie Vitamine und Salze (das Bild zeigt eine
Makroaufnahme von Kochsalz) regulieren und aktivieren
zahlreiche Stoffwechselwege des menschlichen Körpers.
Dass Vitamine und Mineralien wichtig für das Funktionieren des Körpers sind, scheint jeder zu wissen.
Die Werbung für angereicherte Lebensmittel hat
daran zweifellos einen großen Anteil. Glaubt man
ihr, machen Vitamine und Mineralien aus eigentlich
ungesunden und viel zu süßen Lebensmitteln – darunter viele Cerealien – Schwung bringende Gesundmacher (s.a. „Vitamintabletten & Co.“, S. 46). Was
nicht gesagt wird: Der Körper braucht die kleinen
Moleküle zwar tatsächlich, um seinen Stoffwechsel
am Laufen zu halten. Bekommt er allerdings zu viele
Mikronährstoffe, können die Moleküle dem Körper
auch schaden. Wie sehr, darüber sind sich allerdings
selbst die Experten nicht immer einig.
Dass ein Überschuss an Mikronährstoffen aber
tatsächlich schaden kann, zeigen Erkrankungen, bei
denen durch einen genetischen Defekt die Weiterverarbeitung oder Ausscheidung überschüssiger
Mikronährstoffe gestört ist. Oder – wie im Fall der
Eisenspeicherkrankheit – der Körper die Nährstoffe
aufnimmt, obwohl seine Speicher bereits voll sind.
Dann kann zum Beispiel eigentlich wertvolles Eisen,
das der Körper braucht, um Sauerstoff im Blut zu
transportieren, zur Last werden und schwere Leberschäden verursachen (s.a. „Ein schweres Erbe“, S. 50).
Die meisten Störungen im Stoffwechsel der
Mikronährstoffe sind aber durch einen Mangel an
einem oder mehreren Nährstoffen gekennzeichnet.
Deutlich wird das insbesondere bei den Vitaminen.
Sie gehören zu den regulierenden Mikronährstoffen
und beeinflussen die Umwandlung von Nährstoffen
in Energie oder wirken auf das Immunsystem. Viele
Vitamine aktivieren als so genannte Kofaktoren von
Enzymen wichtige Stoffwechselprozesse. Fehlen sie,
fehlt den Enzymen das Startsignal, und sie arbeiten
nicht oder nicht ordnungsgemäß (s.a. „Gefahr für
Herz, Hirn und Knochen“, S. 48).
Durch eine einseitige oder auch mangelnde
Ernährung können trotz prall gefüllter Gemüseund Obsttheken in den Supermärkten auch in den
westlichen Gesellschaften noch Mangelerscheinungen auftreten. Betroffen sind meistens Kinder und
Jugendliche sowie Schwangere und ältere Leute, wie
neue Studien belegen (s.a. „Gut ernährt und doch
unterversorgt“, S. 53). Angereicherte Lebensmittel
gleichen dieses Manko allerdings nicht aus. Eine
wirklich ausgewogene Ernährung deckt dagegen
den täglichen Vitaminbedarf.
46
MIKRONÄHRSTOFFE
Vitamintabletten & Co.
Joghurt plus Calcium, Fruchtsaft mit einer
Extraportion Eisen, Bonbons versetzt mit
Vitaminen – immer mehr Lebensmittel enthalten Zusätze von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen. In nahezu jedem
Supermarkt führt der Weg beim Einkauf
zudem an einem Regal mit bunt verpackten
Kapseln, Pulvern und Tabletten vorbei, in
denen konzentrierte Vitamine und Mineralstoffe stecken.
Der Markt mit Nahrungsergänzungsmitteln und
mit Lebensmitteln, die mit Mikronährstoffen angereichert sind, boomt. Rund 25 Prozent der Frauen
und 18 Prozent der Männer in Deutschland nehmen
mindestens einmal in der Woche Vitamin- und Mineralstoffsupplemente zu sich, heißt es im Gesundheitsbericht des Bundes – Tendenz steigend.
Ernährungsexperten stehen diesem Trend jedoch
skeptisch gegenüber. „Eine optimale Nährstoffversorgung an Spurenelementen, Vitaminen und
Mineralstoffen ist auch ohne angereicherte Lebensmittelpräparate möglich“, betont Anke Gahl von
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn.
Die einzigen Ausnahmen, bei denen eine Nahrungsergänzung sinnvoll ist, seien das Spurenelement Jod
und das Vitamin Folsäure. Darüber hinaus sei es für
gesunde Menschen unnötig, zu Kapseln oder Tabletten zu greifen, die Vitamine oder Mineralstoffe in
konzentrierter Form enthalten.
Mehr noch: „Wer nach dem Gießkannenprinzip
Vitaminpräparate einnimmt, belastet seinen Körper“, so Gahl. „Denn der Körper muss alle aufgenommenen Stoffe verarbeiten und wieder ausscheiden
– eine Belastung vor allem für Nieren und Leber.“ Hin
und wieder Vitamin- oder Mineralstofftabletten einzunehmen, sei zwar keine Gefahr für die Gesundheit.
„Man darf jedoch nicht vergessen, dass man diese
Mikronährstoffe auch über die Nahrung aufnimmt“,
mahnt Gahl. Wer zudem noch Multivitaminsaft
trinke oder andere angereicherte Produkte esse,
habe den tatsächlichen Bedarf schnell überschritten.
Dies kann besonders bei den fettlöslichen Vitaminen
A und D problematisch werden. Denn diese Mikronährstoffe reichern sich im Körper an und können
in sehr hohen Dosen Vergiftungserscheinungen
hervorrufen.
Auch Professor Gerhard Rechkemmer, Präsident
des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und
Lebensmittel (Max Rubner-Institut) in Karlsruhe,
warnt vor einer unkritischen Einnahme von Vitaminpräparaten und angereicherten Lebensmitteln. „Wenn immer mehr Produkte mit demselben
Wirkstoff auf den Markt kommen, kann es Probleme
durch zu hohe Dosen geben“, sagt er. Um die Übersicht nicht zu verlieren, empfiehlt er gesundheitsbewussten Verbrauchern, die Zutatenliste auf der
Verpackung intensiv zu studieren.
Lebensmittel mit einer Extraportion Vitaminen und Mineralstoffen
geben vielen Menschen ein Alibi für ihren sonst ungesunden Lebensstil.
Experten raten zur Vorsicht – zu viele Vitamine können auch schaden.
MIKRONÄHRSTOFFE
47
Die Schilddrüse –
kleines Organ mit großem Einfluss
Gehirn
TRH
Hypothalamus
TSH
–
Hypophyse
Stimulation
+
TSH stimuliert
die Produktion
von T3 und T4
Schilddrüse
T4 und T3
erhöht
T4 und T3
verringert
Blutspiegel
Unterhalb des Kehlkopfes liegt ein kleines Organ,
kaum größer als eine Walnuss: die Schilddrüse. Das
zweilappige, unscheinbare Organ ist eine der wichtigsten endokrinen Drüsen des Körpers und produziert die lebensnotwendigen Hormone Thyroxin (T4)
und Trijodthyronin (T3). Die Botenstoffe steigern den
Stoffwechsel und steuern eine Vielzahl wichtiger
Funktionen des Körpers. Wichtiger Baustein der
Schilddrüsenhormone ist natürlich vorkommendes
Jod. Rund 200 Mikrogramm des Spurenelements
benötigt die Schilddrüse täglich für ihre Synthese.
Von der Schilddrüse ins Blut abgegeben gelangen die beiden Botenstoffe in jede Körperzelle und
wirken dort auf den Energiestoffwechsel ein. Sie
beeinflussen positiv die Geschwindigkeit des Herzschlags und den Blutdruck. Sie regeln die Verdauungsprozesse, wirken auf Nerven und Muskeln.
Selbst Sexualität und Fruchtbarkeit werden von den
Schilddrüsenhormonen T3 und T4 reguliert.
Dritter im Bunde der Schilddrüsenhormone ist
TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon), ein Botenstoff aus der Hirnanhangdrüse (Hypophyse). TSH
steuert die Produktion der beiden Schilddrüsenhormone T3 und T4. Sinkt deren Blutspiegel unter ein
bestimmtes Niveau, produziert die Hirnanhangdrüse vermehrt TSH und kurbelt so die Hormonproduktion der Schilddrüse wieder an. Ist eine ausreichende
Menge erreicht, reduziert die Hirnanhangdrüse die
TSH-Ausschüttung wieder.
Der Regelkreis der Schilddrüsenhormone ist
heute gut erforscht, so dass über die Messung der
Hormonwerte Fehlfunktionen der Schilddrüse gut
diagnostiziert werden können. Zusätzliche Untersuchungen liefern weitere Hinweise für exakte
Diagnosen.
Eine der häufigsten Schilddrüsenerkrankungen
ist der ‚Kropf’, medizinisch ‚Struma’ genannt. Bei
dieser Krankheit kann sich das beim Gesunden äußerlich nicht sichtbare Organ sehr stark vergrößern.
Ursache ist Jodmangel, den die Schilddrüse mit einer
verstärkten Gewebsbildung auszugleichen versucht.
Dadurch bleiben die Schilddrüsenwerte häufig im
Normalbereich.
Nicht so bei anderen Schilddrüsenerkrankungen.
Bei einer Unterfunktion sind zu wenige Hormone
im Blut. Die Folge: Der gesamte Stoffwechsel läuft
auf Sparflamme, das Herz schlägt langsamer, die
Verdauungsprozesse werden verzögert. Gibt die
Schilddrüse hingegen zu viele Hormone ab, wird der
Stoff- und Energieumsatz beschleunigt. Herzrasen,
Durchfall, Gewichtsabnahme, Nervosität und andere
Symptome stellen sich ein. Durch eine exakte Diagnose kann der Arzt die genaue Ursache der Schilddrüsenstörung herausfinden und die Körperfunktionen mit der geeigneten Therapie, beispielsweise
durch die Gabe eines spezifischen Hormons, meist
wieder ins Gleichgewicht bringen.
48
MIKRONÄHRSTOFFE
Gefahr für Herz, Hirn und Knochen
Homocystein, eine kleine Aminosäure, die der
Körper selbst produziert und dringend für seinen Stoffwechsel benötigt, gilt zunehmend
als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz oder Osteoporose. Der Überschuss an Homocystein hat ganz unterschiedliche Ursachen und ist eng mit Vitaminen der
Gruppe B verknüpft.
Arteriosklerose, Alzheimer, Osteoporose – auf den
ersten Blick haben diese Krankheiten nicht mehr
miteinander gemein, als dass sie meistens ältere
Menschen betreffen. Doch seit einiger Zeit hat die
Forschung eine Substanz im Visier, die bei jeder
dieser Krankheiten eine wichtige Rolle zu spielen
scheint: Homocystein. Zu viel dieser schwefelhaltigen Aminosäure ist Gift für den Körper und ein
deutliches Zeichen dafür, dass der Stoffwechsel der
essenziellen und halb-essenziellen Aminosäuren
Methionin und Cystein behindert wird.
Dies hat weit reichende Folgen: Allein 40 Prozent
aller Patienten mit Gefäßerkrankungen haben auch
erhöhte Homocysteinwerte. Und nach Angaben
Durch ein gesundes
Blutgefäß strömt das
Blut ungehindert
hindurch.
Aggressive Homocystein-Moleküle
zerstören den
natürlichen Schutz
der Gefäße vor
Ablagerungen.
Cholesterin setzt sich
in die zerstörten Gefäßwände und bildet
gefährliche Plaques.
Cholesterin, das sich an den Innenwänden anlagert, kann die Arterien
so stark verengen, dass ein Blutdurchfluss kaum noch möglich ist.
der D.A.C.H-Liga Homocystein ist die Aminosäure
für zehn von hundert Herz-Kreislauf-Erkrankungen
mitverantwortlich. Damit steht die Hyperhomocysteinämie als Risikofaktor für Herz-KreislaufErkrankungen auf einer Stufe mit Rauchen oder zu
hohen Werten an Blutfetten wie Cholesterin.
Doch wie kommt es zu erhöhten Werten der vom
Körper selbst produzierten Aminosäure? Die Ursachen sind unterschiedlich. So können Mutationen im
Erbgut dazu führen, dass die am Abbau beteiligten
Enzyme nicht korrekt funktionieren. Auch das Alter
eines Patienten spielt eine Rolle. Denn die Konzentration von Homocystein steigt mit dem Alter – eine
Tatsache, die Experten zumindest teilweise auf eine
gleichzeitig abnehmende Nierenfunktion zurückführen. Die mit Abstand häufigste Ursache aber ist
ein Mangel an Vitaminen der Gruppe B. Diese Mikronährstoffe sind an allen Abbauwegen der Aminosäure beteiligt.
Wie sich der Mangel an B-Vitaminen im Zellstoffwechsel auswirkt, untersuchen Wissenschaftler am
Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg
an der Saar. Rima Obeid, Juniorprofessorin in der
Arbeitsgruppe um den Homocystein-Experten Professor Wolfgang Herrmann am Institut für Klinische
MIKRONÄHRSTOFFE
Nahrung
Vitamin B12
Folsäure
SAM
ethylierun
g
methylierung
Re
Methionin
nsm
Tra
Chemie und Labormedizin, erklärt: „Homocystein
ist eine Aminosäure, die nicht mit der Nahrung
aufgenommen wird, sondern als Zwischenprodukt
im Methioninstoffwechsel entsteht. Die Aminosäure Methionin wiederum dient als Vorläufer für
S-Adenosylmethionin (SAM) – das ist ein außergewöhnlich wichtiger Methylspender im Körper, durch
den mehr als 100 grundlegende Stoffwechselprozesse aufrecht erhalten werden.“ SAM selbst wird
schließlich zu Homocystein abgebaut.
Verfügt eine Zelle über ausreichende Mengen
der B-Vitamine Folsäure, B12 und B6, ist der Weg vom
Methionin über SAM zum Homocystein für den
Körper kein Problem. Denn Folsäure und Vitamin B12
bewirken, dass ein Teil des Homocysteins in einer so
genannten Remethylierungsreaktion wieder zu Methionin abgebaut werden kann. Ein anderer Teil wird
mit Hilfe des Vitamin B6 zu Cystein abgebaut. Cystein
dient als Vorläufer für Glutathion, ein natürlich vorkommendes Antioxidationsmittel im menschlichen
Körper.
Herrscht jedoch Vitaminmangel, wird Homocystein nur unzureichend abgebaut, es reichert sich
an und setzt die Zelle unter oxidativen Stress. Das
heißt, es entstehen aggressive Molekülformen, so
genannte freie Radikale, die wichtige Funktionen
beeinträchtigen und Strukturen im Körper angreifen. Erhöhte Homocystein-Konzentrationen können
vor allem in den Gefäßzellen erheblichen Schaden
anrichten, da sie den natürlichen Schutz der Gefäßwände vor Ablagerungen zerstören. Schon moderate Erhöhungen bewirken so arteriosklerotische
Veränderungen, die letztlich zu Gefäß- und Kreislauferkrankungen wie Thrombose, Herzinfarkt und
Schlaganfall führen können.
Für den Körper ist jedoch nicht nur die direkte toxische Wirkung der Substanz ein Problem. Der durch
den Mangel an Vitamin B12 und Folsäure gestörte
Umbauprozess von Homocystein zu Methionin führt
indirekt auch dazu, dass zu wenige Methylierungsreaktionen ablaufen können. Dann werden viele
höchst unterschiedliche Funktionen im Organismus
gestört. Dazu zählen etwa Signalübertragungen im
Nervensystem, die Synthese von DNA-Bausteinen
oder die Blutbildung.
An der Aufklärung dieser komplexen Mechanismen arbeiten die Homburger Wissenschaftler. Die
Pharmazeutin Obeid konzentriert sich dabei auf
neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer und
Altersdemenz. „Wir haben gezeigt, dass die kombinierte Gabe der Vitamine B12, B6 und Folsäure die
49
Homocystein
Vitamin B6
Cystathionin
Vitamin B6
Cystein
B-Vitamine sind wichtige Kofaktoren im Stoffwechsel der Aminosäure Homocystein. Fehlen sie, kann die körpereigene Aminosäure
nicht weiter verarbeitet werden.
kognitiven Leistungen im Alter verbessert“, berichtet
sie. In einem ihrer jüngsten Forschungsprojekte untersucht sie im Tierexperiment, ob ein Vitaminmangel zu den für Alzheimer typischen Ablagerungen im
Gehirn (Plaques) führt.
Andere Forscher des Teams untersuchen die Rolle
des Homocysteins bei Osteoporose. Dass es auch bei
dieser Krankheit einen Zusammenhang mit einem
Vitaminmangel gibt, weiß man erst seit kurzem.
Die zugrunde liegenden Prozesse sind jedoch noch
weitgehend unbekannt. Hauptrisiko bleiben HerzKreislauf-Erkrankungen. Die D.A.C.H.-Liga Homocystein empfiehlt daher Risikogruppen – darunter zum
Beispiel Raucher, ältere Menschen und Diabetiker –
den Homocysteinwert regelmäßig prüfen zu lassen.
Sie rät generell zu einer ausgewogenen Ernährung,
damit der Körper ausreichend B-Vitamine erhält.
50
MIKRONÄHRSTOFFE
Eisenspeicherkrankheit:
ein schweres Erbe
Normalerweise nimmt der Körper nicht mehr
Eisen aus der Nahrung auf als er benötigt. Bei
Menschen, die an der Erbkrankheit Hämochromatose leiden, ist dies anders. Sie resorbieren erheblich mehr Eisen als Gesunde.
Der Überschuss lagert sich in der Leber und
anderen Organen ab und führt dort im Laufe
der Jahre zu schweren Schädigungen.
Der regelmäßige Aderlass hat im Leben von Wolfgang Benzkirch einen festen Platz. Dahinter steckt
keineswegs der Glaube an überholte Heilmethoden.
Im Gegenteil: Benzkirch ist ein bodenständiger
Mann, der der modernen Medizin vertraut. Der
60-Jährige leidet an der Eisenspeicherkrankheit
Hämochromatose, die durch eine Mutation im Erbgut ausgelöst wird.
Benzkirch ist einer von rund 300.000 Menschen
in Deutschland, die den Gendefekt von beiden Elternteilen geerbt haben. Das ist entscheidend, denn
die Hämochromatose ist autosomal-rezessiv. Das
heißt: Die Mutation wird vom Geschlecht unabhängig vererbt, und die Erkrankung prägt sich nur aus,
wenn beide Eltern die Veränderung an ihr Kind
weitergeben. „Wird die Krankheit manifest, ist der
Aderlass bisher die wirksamste und sicherste Behandlung, um die überladenen Körpereisenspeicher
zu entleeren“, erklärt Dr. Hasan Kulaksiz, Leiter der
Hämochromatose-Ambulanz am Uniklinikum Ulm.
Eisen ist ein lebenswichtiger Mikronährstoff, den
der Mensch mit der Nahrung aufnehmen muss. Es
ist unentbehrlicher Baustein des roten Blutfarbstoffs
Hämoglobin. Darin eingebaut transportiert Eisen
Hämochromatose-Forscher Hasan Kulaksiz erklärt am Modell, wie mit
Eisen angereichertes venöses Blut aus dem Dünn- und Dickdarmgebiet
in die Leber gelangt und sich dort anreichert.
Sauerstoff in jede einzelne Körperzelle. Das Spurenelement gelangt jedoch nicht unmittelbar vom Darm
in die roten Blutkörperchen. Von der Aufnahme bis
hin zur Hämoglobinsynthese laufen verschiedene
komplexe Prozesse ab, an denen eine Vielzahl von
Substanzen beteiligt ist. Am Anfang dieser Kaskade
steht die Regulation der Eisenaufnahme selbst.
Um einen kurzfristigen Mangel etwa durch
Blutverluste auszugleichen, kann der gesunde
Organismus zwischen einem und vier Gramm des
unentbehrlichen Mikronährstoffs Eisen in Form von
Ferritin in der Leber und anderen Organen zwischenlagern und bei Bedarf mobilisieren. Eisen, das
darüber hinaus in den Körper gelangt, wird zwar
gespeichert, kann das Speicherorgan aber erheblich
schädigen. Denn ist das Eisen einmal im Körper, wird
der Organismus es nicht mehr so einfach los.
Im Gegensatz zu anderen Mineralstoffen und
Spurenelementen kann der Mensch Eisen nur in äußerst geringen Mengen über die Nieren ausscheiden.
„Daher ist die Regulation der Aufnahme von großer
Bedeutung“, erklärt Kulaksiz. Botenstoffe (Hormone) steuern die Eisenaufnahme aus dem Darm ins
Blut. Sind die Speicher leer, geben sie das Signal, das
Spurenelement ins Blut zu lassen. Sobald die Depots
jedoch ausreichend gefüllt sind, wird die Aufnahme
ins Blut gestoppt, das überschüssige Eisen wird über
die Nieren ausgeschieden.
Dieser Mechanismus ist bei HämochromatosePatienten gestört. Sie nehmen erheblich mehr Eisen
aus der Nahrung auf als gesunde Menschen. Dabei
spielt ein erst vor wenigen Jahren entdecktes Peptidhormon – das Hepcidin – eine entscheidende Rolle.
Das Peptid scheint bei hoher Eisenkonzentration
wichtige Transportmoleküle an der Darmwand zu
blockieren und ist bei Hämochromatose-Patienten
offenbar nicht ausreichend vorhanden.
Bei allen Menschen zirkulieren Eisenionen
sowohl in freier Form als auch gebunden an das
Transportprotein Transferrin in der Blutbahn. Da
immer weiter Eisen aufgenommen wird, reichert
es sich bei Menschen mit Hämochromatose in Form
des Speicherstoffs Ferritin über viele Jahre im Körper
an. Besonders betroffen sind die Leber und die
Bauchspeicheldrüse, aber auch das Herz und andere
Organe.
Anfangs zeigt sich die Krankheit durch unspezifische Symptome. Später lösen die Eisenablagerungen in der Leber Oberbauchbeschwerden und
Müdigkeit aus. Die Bauchspeicheldrüse speichert
das Spurenelement in den Insulin produzierenden
MIKRONÄHRSTOFFE
51
Blut transportiert Sauerstoff durch den Körper. Eisen (gelb) ist ein
wichtiger Bestandteil des roten Blufarbstoffs Hämoglobin. Umringt von
Stickstoffatomen (blau) bindet es Sauerstoff (rot).
Zellen – dies kann dazu führen, dass sich ein Diabetes
entwickelt. Herzschwäche – als Folge von Eisenablagerungen in den Herzmuskelzellen – zählt ebenfalls
zu den Symptomen, die sich meist erst im mittleren
Lebensalter einstellen. Denn bei einer durchschnittlichen Mehraufnahme von einem Milligramm Eisen
pro Tag dauert es einige Jahre, bis die Speicher voll
sind. Klinisch erkennbare Folgen der genetischen
Mutation hängen darüber hinaus von den erlittenen
Blutverlusten eines Erkrankten ab. Das Ernährungsverhalten spielt bei Hämochromatose-Patienten im
Gegensatz zu vielen anderen Stoffwechselerkrankungen – nur eine geringfügige Rolle.
„Bleibt die Hämochromatose allerdings unbehandelt, führt dies schließlich zur Leberzirrhose“,
erklärt der Hepatologe Kulaksiz. Dies sei jedoch
heute nicht mehr die Regel. So gibt die moderne
Labordiagnostik deutliche Hinweise: Vor allem ein
hoher Ferritinwert sowie eine mehr als 55-prozentige Sättigung des Transportproteins Transferrins mit
Eisen sind die Hauptindikatoren für die Hämochromatose und können bereits in einem frühen Stadium
auf eine Mutation hinweisen.
Seit einigen Jahren ist die Mutation, die für
Hämochromatose verantwortlich ist, durch einen
Bluttest nachweisbar. Er zeigt, ob auch Angehörige
von Hämochromatose-Kranken die Veranlagung
von beiden Elternteilen geerbt haben. Bei einem
positiven Testergebnis können die Blutwerte der
Betroffenen überwacht werden. Steigen sie deutlich an, ist das ein Zeichen dafür, dass die Krankheit
ausgebrochen ist. Dann kann mit der regelmäßigen
Aderlasstherapie begonnen werden, bevor es zu
einer Überladung der Eisenspeicher und damit zu
Organschäden kommt.
Die Therapie mit der geringsten Nebenwirkung
und der größten Wirkung ist der Aderlass. Immerhin
verliert der Patient mit einem halben Liter Blut auf
einen Schlag 250 Milligramm Eisen. Doch macht die
Erforschung des Peptidhormons Hepcidin enorme
Fortschritte. Kulaksiz ist einer der Wissenschaftler,
die genauer untersuchen, welche Rolle Hepcidin im
Eisenstoffwechsel spielt und wie der Stoff die Aufnahme des Eisens aus den Darmzellen ins Blut hemmt.
„Wir wollen beweisen, dass der Hepcidinwert bei
Hämochromatose-Patienten tatsächlich niedriger
ist“, berichtet der Mediziner.
Stimmt die Hypothese, wäre dies der erste Schritt
zu einer Substitutionstherapie – ähnlich wie Diabetiker das Insulin, könnten sich dann Hämochromatose-Patienten das fehlende Hepcidin selbst verabreichen. „Erste Experimente zeigen, dass Hepcidin
biotechnologisch herstellbar ist“, erklärt Kulaksiz. Bis
zu einer ausgereiften Therapie sei jedoch noch viel
Entwicklungsarbeit zu leisten. Kulaksiz: „Mit klinischen Studien ist nicht vor 2010 zu rechnen.“
52
MIKRONÄHRSTOFFE
Phosphatmangel verursacht Rachitis
Die erbliche Rachitis macht etwa die Hälfte
aller Rachitis-Erkrankungen aus. Ihre Ursachen aber können ganz unterschiedlich sein.
Die durch Phosphatmangel gekennzeichnete
phosphopenische Rachitis untersuchen Forscher in München.
Im Jahr 1937 beschrieben Forscher erstmals eine
Vitamin D-resistente Rachitis, die auch bei ausreichend Vitamin D im Körper entstehen kann. Phosphatmangel, so weiß man heute, ist Schuld an der als
phosphopenische Rachitis bekannten Erbkrankheit.
Der Grund für die Mangelerscheinung ist aber nicht
etwa eine Unterversorgung mit Phosphat durch die
Nahrung. Der Mikronährstoff geht im Übermaß über
den Urin verloren.
Bereits seit 1995 weiß man, dass die häufigste
Form der Vitamin D-resistenten Rachitis durch Veränderungen im PHEX-Gen verursacht wird, das auf
dem X-Chromosom liegt. Die möglichen Mutationen
führen jeweils zu einem vollständigen Verlust des
Proteins, das durch dieses Gen kodiert wird.
Eine Verkrümmung der Knochen (hier der Wirbelsäule) ist das auffälligste Symptom einer schweren Rachitis. Schlechte Zähne und schwache
Muskeln gehören ebenso dazu wie eine schwache Immunabwehr.
„Die genaue Funktion des PHEX-Proteins ist bisher
allerdings nicht ausreichend verstanden“, sagt
Dr. Tim Strom, Humangenetiker am Helmholtz
Zentrum München.
Strom will mit seinem Team herausfinden, welche Rolle das PHEX-Protein und andere Proteine bei
der Regulation des Phosphatstoffwechsels spielen.
„Da Mutationen in mehreren Genen zu einem
Phosphatmangel führen, vermuten wir, dass es einen
Stoffwechselweg gibt, der für das Gleichgewicht im
Phosphatstoffwechsel sorgt.“
Um diesen Stoffwechselweg zu entschlüsseln,
leisten die Humangenetiker Detektivarbeit. Zuerst
werden die Erbanlagen erkrankter Personen analysiert, um den für die Krankheit verantwortlichen
DNA-Abschnitt zu finden. Dann gilt es herauszufinden, welche Struktur und Funktion das Protein
hat, dessen Bauanleitung normalerweise durch das
nun mutierte Gen verschlüsselt wird. So ist es den
Münchener Rachitis-Experten in internationaler
Zusammenarbeit gelungen, neben dem PHEX-Gen
drei weitere Gene und die dazugehörigen Proteine
zu identifizieren.
Alle vier bekannten Mutationen, die zu einer
durch Phosphatmangel ausgelösten erblichen Rachitis führen, scheinen sich auf ein Hormon auszuwirken, das von Knochenzellen produziert wird und
im Blut zirkuliert: den Fibroblast Groth Factor FGF23.
Das Hormon reguliert die Phosphatausscheidung
in der Niere und steht am Anfang eines Stoffwechselweges, der letztlich für die Wiederaufnahme des
Phosphats aus dem Primärharn verantwortlich ist.
„Inzwischen ist auch das Rezeptor-Protein
bekannt, also die biochemische ‚Andock-Stelle’ des
FGF23 in den Nierenzellen“, erläutert Humangenetiker Strom. Damit haben die Forscher einen potenziellen Ansatzpunkt für eine zielgerichtete Therapie
zur Behandlung der Hypophosphatämie. Denkbar
wären Wirkstoffe, die ebenfalls an die FGF23-Rezeptoren binden und so mit dem Hormon konkurrieren. Wann eine neuartige Behandlungsoption zur
Verfügung steht, ist jedoch ungewiss. Doch Strom ist
zuversichtlich: „Jetzt gilt es, die noch offenen Fragen
durch weitere Experimente und Studien zu klären.
Wir stehen am Anfang eines viel versprechenden
Ansatzes.“
MIKRONÄHRSTOFFE
53
Gut ernährt
und doch unterversorgt
Einen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen gibt es in Deutschland seit vielen
Jahrzehnten nicht mehr. Trotzdem leiden
Menschen an Mangelerscheinungen.
Epidemiologen und Ernährungswissenschaftler wollen wissen, warum das so ist.
Schwere Mangelerkrankungen gehören in Deutschland der Vergangenheit an. Das gilt für den durch
Vitamin C-Mangel ausgelösten Skorbut, der als „Seefahrerkrankheit“ in die Geschichte einging, ebenso
wie für die Vitamin D-Mangel-Rachitis, an der bis
zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts viele
Kinder in ganz Europa litten.
Der Grund für diese positive Entwicklung liegt
auf der Hand. Die Lebensmittelregale sind stets prall
gefüllt. Brot und Brötchen, Milch und Käse, Fleisch
und Wurst sind jederzeit erhältlich. Aus den Obstund Gemüsetheken leuchten dem Verbraucher von
Januar bis Dezember rote, gelbe, grüne Garten- und
Feldfrüchte aus aller Herren Länder entgegen. Sich
ausreichend, abwechslungsreich und vollwertig zu
ernähren, ist heute einfacher denn je. Das betont
auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Wer sich daran hält, ist in der Regel mit allen essenziellen Mikronährstoffen versorgt.
Doch was ist mit jenen, denen es nicht gelingt,
sich ausgewogen zu ernähren? Und wie sieht es aus,
wenn jemand aus individuellen Gründen einen erhöhten Bedarf an bestimmten Mikronährstoffen hat,
zum Beispiel in der Schwangerschaft?
Solchen Fragen gehen Wissenschaftler inzwischen in epidemiologischen Studien auf den Grund.
Ausgangslage vieler neuerer Studien ist in Deutschland der vom Robert Koch-Institut (RKI) Berlin durchgeführte Ernährungssurvey 1998. Die RKI-Forscher
erfassten dazu zwischen 1997 und 1999 im Rahmen
des Bundes-Gesundheitssurveys stichprobenartig
das Ernährungsverhalten von 4.030 Männern und
Frauen zwischen 17 und 79 Jahren. Ergebnis bei den
Mikronährstoffen: Zwar nehmen die meisten der
Folsäuremangel ist während der Schwangerschaft besonders
gefährlich. Das in Melonen häufige B-Vitamin ist unentbehrlich für die
Entwicklung von Gehirn, Rückenmark und Wirbelsäule des Kindes.
Befragten ausreichend Vitamine, Spurenelemente
und Mineralstoffe zu sich. Doch gibt es Teile der
Bevölkerung, die zum Beispiel die von der DGE empfohlenen Mengen an Vitamin D, Vitamin E, Folsäure
sowie Eisen nicht erreichen. Darunter sind vor allem
Kinder, Ältere sowie schwangere Frauen.
Nachfolgende epidemiologische Untersuchungen belegen diese Ergebnisse. So die EsKiMoStudie, die das RKI gemeinsam mit der Universität
Paderborn bei Kindern und Jugendlichen zwischen
sechs und 17 Jahren durchführte. Die ErnährungsUntersuchung ist Bestandteil der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
(KIGGS) und zeigt: Die Versorgung der Kinder mit
den meisten Vitaminen und Mineralstoffen ist ausreichend. Ausnahmen davon sind allerdings Vitamin
D und Folat. Bei 6- bis 11-Jährigen fehlt es außerdem
an Vitamin E, Vitamin A und Calcium und bei Mädchen generell an Eisen.
Ähnlich verhält es sich bei Senioren. Ihrem
Ernährungs- und Gesundheitszustand widmen sich
Forscher der Universität Gießen (Gießener Senioren
54
Langzeitstudie, GISELA) sowie der Universitäten
Bonn und Paderborn (Ernährung in stationären Einrichtungen für Seniorinnen und Senioren, ESTESS).
Gerade bei älteren Menschen, die oft aus gesundheitlichen Gründen kaum noch das Haus verlassen,
machen sich Mangelerscheinungen bemerkbar.
Viele Senioren leiden zudem unter Appetitlosigkeit
und nehmen insgesamt zu wenig Nahrung und
damit Nährstoffe zu sich. „Bei gerade mal 1.000 bis
1.500 aufgenommenen Kalorien am Tag fehlt es
eigentlich an allem“, bestätigt der Paderborner Ernährungswissenschaftler Professor Helmut Heseker.
Altersbedingte Störungen der Nährstoffaufnahme
in den Körper seien ein zusätzliches Risiko. So sei die
perniziöse Anämie (Perniziosa), eine mit Vitamin
B12-Mangel verbundene Erkrankung, die häufigste
bei älteren Menschen zu behandelnde Mangelerscheinung.
Doch Vitamin D und Folsäure bleiben in Deutschland die Sorgenkinder der Experten. „Folat ist für
den Methionin-Stoffwechsel unentbehrlich. Ein
extremer Mangel kann zu Blutbildungsstörungen
und irreversiblen Schäden des Nervensystems führen“, sagt der Bonner Professor Klaus Pietrzik, der die
biochemische Bedeutung der B-Vitamine seit Jahrzehnten untersucht. Eine Unterversorgung ist auch
in Deutschland präsent: Nur 16 Prozent der Männer
und zehn Prozent der Frauen nehmen die von der
DGE empfohlene Menge von 400 Mikrogramm Folat
pro Tag auch wirklich auf.
Vor allem in der Schwangerschaft kann ein
Folatmangel folgenschwer sein. Das Vitamin ist
unentbehrlich für die Entwicklung von Gehirn,
Rückenmark und Wirbelsäule. Eine unzureichende
Versorgung schon zum Zeitpunkt der Empfängnis
und in den ersten Schwangerschaftswochen kann zu
schweren Fehlbildungen des Zentralnervensystems
führen. Um das sicher zu verhindern, muss dem
Körper dauerhaft ausreichend Folat zur Verfügung
stehen – auch vor der Schwangerschaft.
MIKRONÄHRSTOFFE
100 Gramm geräucherter Lachs liefern allein 22 Mikrogramm Folsäure.
Die gleiche Menge Schweinefilet versorgt uns dagegen nur mit drei
Mikrogramm des B-Vitamins.
Der allgemein konstatierte Folatrückstand in
Deutschland kann nach Ansicht vieler Experten nur
durch eine flächendeckende Anreicherung ausgewählter Grundlebensmittel ausgeglichen werden.
Diskutiert wird, Mehle mit dem Vitamin anzureichern, denn dadurch könnte ein großer Teil der
Bevölkerung erreicht werden. Neben der DGE und
dem RKI hält auch das Bundesinstitut für Risikobewertung eine Anreicherung von Mehl mit 150 Mikrogramm Folsäure pro 100 Gramm für geeignet, um
die Folatversorgung in Deutschland grundsätzlich
zu verbessern. Aber es gibt auch kritische Stimmen.
Die Krebsforscherin Dr. Cornelia Ulrich am Fred
Hutchinson Cancer Research Center in Seattle etwa
verweist auf neue US-amerikanische Studien, nach
denen die in den USA längst übliche Anreicherung
von Mehl und Getreideprodukten mit Folsäure das
Risiko von Darmpolypen sowie Darm- und Prostatakrebs möglicherweise erhöht. Weitere Studien seien
daher dringend erforderlich, bevor ausgewählte
Grundnahrungsmittel angereichert würden.
Und Vitamin D? Die epidemiologischen Studien
zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch
von diesem Vitamin weniger als die empfohlenen
Mengen zu sich nimmt. Allerdings lässt sich aus den
Ergebnissen kein echter Mangel ableiten, denn der
Körper kann den größten Teil des Vitamin D-Bedarfs
selbst bilden – vorausgesetzt, er bekommt genug
Sonnenlicht. „Um eine echte Unterversorgung sicher
feststellen zu können, muss der Vitamin D-Gehalt
MIKRONÄHRSTOFFE
55
Lebertran – eine
bittere Erinnerung
Vor allem Kindern und älteren Menschen fehlt es an Vitaminen und
Mineralstoffen. Die Versorgung mit den Vitaminen D und E sowie
Folsäure und Eisen ist in Deutschland unzureichend, sagen Experten.
des Blutes bestimmt werden“, erklärt Birte Hintzpeter vom Robert Koch-Institut. Die Ökotrophologin
hat so den Vitamin D-Status von 4.000 deutschen
Erwachsenen untersucht. Das Ergebnis: Bei rund 60
Prozent der Teilnehmer stellte die Forscherin einen
milden Vitamin D-Mangel fest.
Jüngere Studien aber lassen vermuten, dass
zu wenig Vitamin D im Blut zu einer Vielzahl von
Krankheiten beiträgt. Dazu zählen neben bestimmten Krebsarten auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. So wurden bei Frauen, die
an Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
und Diabetes litten, signifikant niedrigere Vitamin
D-Werte gemessen als bei gesunden Frauen. Zu
ähnlichen Ergebnissen kam die Studie bei Männern
mit insulinpflichtigem Diabetes. „Bevor konkrete
Präventions- und Therapieempfehlungen gegeben werden, sind jedoch weitere Studien nötig“,
betont Hintzpeter. Einen Rat spricht sie aber ohne
Einschränkung aus: „Wer im Sommer Gesicht und
Arme täglich zehn bis fünfzehn Minuten der Sonne
aussetzt – und zwar ohne Sonnenschutz – bildet
genügend Vitamin D, um auch die dunkle Jahreszeit
zu überbrücken.“
Kinder, die ihn früher schlucken mussten, empfanden ihn als Fluch. Tatsächlich war der tägliche Löffel
Lebertran aber oft ein Segen. Denn das Fischöl mit
dem bitteren Geschmack lieferte eine ausreichende
Menge Vitamin D, um der Rachitis vorzubeugen. Das
auch unter dem Namen Calciferol bekannte Vitamin
spielt eine wichtige Rolle im Calciumstoffwechsel
und trägt damit zum Aufbau von Knochensubstanz
bei. Ein Mangel im Kindesalter kann zu Rachitis
führen.
Lebertran mit seinem hohen Vitamin D-Gehalt
konnte diesen Mangel ausgleichen und führte dazu,
dass Rachitis seltener wurde. Bis heute erhalten
Säuglinge generell Vitamin DGaben zur Rachitis-Prophylaxe – allerdings, sehr viel
angenehmer, in Tablettenform.
„Doch Vitamin D-Mangel kommt auch in unseren
Tagen vor“, sagt Professor Clemens Kunz, Ernährungswissenschaftler an der Universität Gießen.
Gefährdet ist jeder, der sich nahezu rund um die Uhr
in geschlossenen Räumen aufhält. Das trifft auf viele
zu – Kinder wie Erwachsene. „Der tägliche Esslöffel
Lebertran ist als Gegenmittel jedoch nicht mehr zu
empfehlen“, so Kunz. Denn die Leber der Fische, aus
der das Öl gewonnen wird, sei häufig mit Umweltgiften belastet.
Allein über die Ernährung lasse sich eine Unterversorgung mit Vitamin D nur schwer ausgleichen.
Kunz: „Dafür müsste mehrmals wöchentlich fetter
Seefisch verzehrt werden.“ Stattdessen rät der Ernährungsexperte, sich zusätzlich jeden Tag mindestens
eine halbe Stunde im Freien aufzuhalten. Nur wenn
das nicht möglich ist, kann unter ärztlicher Aufsicht
auch eine zusätzliche Calciferoleinnahme vorübergehend den Vitaminbedarf decken.
56
FETTE
FETTE
57
Fettstoffwechsel –
Energie für den Körper
Ob Butter, Öle oder fettes Fleisch – der Ruf
von Fett ist miserabel und passt nicht in das
Bild gesunder Ernährung. Dabei braucht der
menschliche Körper die Moleküle dringend
zum Leben. Sie sind nicht nur Bausteine von
Zellmembranen, Hormonen und Vitaminen.
Fette sind die Hauptenergielieferanten des
Körpers und schützen wichtige Organe vor
Kälte und Verletzungen. Auch das Essen
würde ohne Fett ziemlich fad schmecken.
Denn Aromen sind in Wasser nicht löslich
und können sich erst entfalten, wenn sie in
Fett gelöst werden. Gleiches gilt übrigens
für Vitamine. Die wichtigen Mikronährstoffe
kann der Körper nur mit Hilfe von Fetten aufnehmen. Aus einer ausgewogenen Ernährung
sind Fette schon deswegen nicht wegzudenken. Der schlechte Ruf hat trotzdem seinen
Grund: Kann der Körper Fette nicht richtig
um-, ab- oder aufbauen, sammeln sie sich im
Blut und schaden den Gefäßen.
Butter besteht aus Milchfett und ist meist gut bekömmlich. Sie enthält
etwa 76 verschiedene Fettsäuren und viele wichtige Vitamine.
Chemisch gehören Fette zu den Lipiden, einer Gruppe natürlich vorkommender Moleküle. Sie zeichnen
sich vor allem dadurch aus, dass sie in Wasser nicht
löslich sind. Im Blut, das zu mehr als 50 Prozent aus
Wasser besteht, binden Lipide daher an Eiweiße und
gelangen mit ihnen an ihren Bestimmungsort. Medizinisch relevant sind insbesondere solche Lipide,
die der Mensch mit der Nahrung zu sich nimmt, also
Triglyzeride wie Fette und fette Öle, Steroide (vor
allem das Cholesterin) und Fettsäuren.
Dass der Körper Fette überhaupt nutzen kann,
verdankt er dem Fettstoffwechsel und seinen Enzymen. In unzähligen Einzelschritten werden die
Nahrungsfette noch im Verdauungstrakt zerlegt und
ins Blut geschleust. Mit dem Blutstrom gelangen sie
schließlich weiter durch den Körper und werden von
Enzymen anderer Wege des Fettstoffwechsels weiter
umgebaut. Als Bau- und Botenstoffe sowie als Energielieferanten erfüllen die Nahrungsfette schließlich
wichtige biologische Funktionen im Körper.
Arbeiten ein oder mehrere Enzyme im Fettstoffwechsel fehlerhaft, gerät das Gleichgewicht
zwischen aufgenommenem und verarbeitetem Fett
durcheinander. Fettstoffwechselstörungen sind die
Folge. Sie können durch einen genetischen Defekt
verursacht oder aber – was häufiger der Fall ist –
durch falsche Ernährung und Bewegungsmangel
hervorgerufen werden. Dann entstehen sogar Volkskrankheiten wie die Hypercholesterinämie (s.a.
„Zu viel Cholesterin kann erblich sein“, S. 64) oder die
als krankhafte Fettleibigkeit bekannte Adipositas
(s.a. „Gefährliche Fettpolster“, S. 62).
Tatsächlich zählen die meisten Fettstoffwechselstörungen zu den Wohlstandskrankheiten. Früher,
besonders in der Nachkriegszeit, war Fett in Europa
ein begehrtes Gut. Erhöhte Blutfettwerte, etwa
durch zu fettes Essen, gab es kaum. Heute ist die Nahrung reich an Fetten und Kohlenhydraten. Aktuelle
Forschungen zu Fettstoffwechselstörungen zielen
daher neben der Suche nach genetischen Defekten
insbesondere auf das Zusammenspiel der Nahrungsinhaltsstoffe.
Die reich gedeckten Tische der westlichen Gesellschaften haben aber nicht nur die Essgewohnheiten
gewandelt. Auch der Wert der Nahrungsmittel hat
sich verändert. Der Anblick von Fett weckt Gefühle
wie Ablehnung oder gar Ekel. Empfindungen, die
sogar die Interpretation von Kunstwerken beeinflussen. So hat zum Beispiel die Fettkunst von Joseph
Beuys heute für die meisten Menschen eine andere
Bedeutung als zu ihrer Entstehungszeit.
58
FETTE
Fettkunst
Wachs, Honig, Schokolade, Knochen, Blut,
aber auch Fett: Für viele seiner bekanntesten
Werke wählte Joseph Beuys organische
Materialen. Sie besaßen für ihn spirituelle
Kräfte und verkörperten geradezu perfekt
den von ihm entwickelten Begriff der Plastik. Demnach besteht die Plastik aus einem
warmen, chaotischen Pol und einem kalten,
geformten Pol.
An organischen Materialien faszinierte Beuys, dass
sie veränderlich, formbar und vergänglich sind –
das gilt ganz besonders für Fett. Denn schon geringe
Temperaturunterschiede können den Aggregatzustand dieses Stoffs von flüssig zu fest und umgekehrt ändern. Zudem liegt Fett in so vielen verschiedenen Formen vor, dass sich eine fast unendliche
Vielfalt ergibt. Auch die Zeit hinterlässt ihre Spuren:
Das Material bleibt nicht unverändert, nachdem es
die Hand des Künstlers verlassen hat, sondern wird
durch seine Umwelt, etwa die Temperatur, verändert.
Beuys eignete sich das Fett als künstlerisches Material langsam an: zunächst malerisch in Zeichnungen, später auch bildnerisch. In den 1960er Jahren
entstanden schließlich die berühmten Fettplastiken,
wie die „Fettecken“. „Dabei ist es wichtig, diese
Materialien auch historisch einzuordnen“, betont
Dr. Barbara Strieder von der Stiftung Museum Schloss
Moyland in Bedburg-Hau, wo sich die weltweit größte Sammlung von Beuys-Werken befindet.
So hatte Fett für den 1921 geborenen Beuys eine
durchweg positive Bedeutung. Nach den Hungerjahren der Nachkriegszeit verkörperte es für ihn
Energie, Nahrung und Wärme. Schließlich handelt
es sich bei Fett um eine wertvolle Nahrungsquelle
und den wichtigsten Speicherstoff des menschlichen
Körpers. Mittlerweile hat sich der Begriffsinhalt von
Fett allerdings stark geändert. „Heute hat Fett fast
nur noch negative Konnotationen“, so Strieder. „Das
ist auf den Überfluss unserer Wohlstandsgesellschaft
zurückzuführen.“
Fett wirkt heute häufig eklig und abstoßend. Früher verband man
damit Wärme und Geborgenheit.
FETTE
59
Wie funktioniert die Leber?
rechter
Leberlappen
untere
Hohlvene
linker
Leberlappen
Gallenblase
Bauchspeicheldrüse
Zwölffingerdarm
Leberarterie
Ob Eiweiße oder Fette, Zucker, Spurenelemente und
auch Giftstoffe – an der Leber führt kein Weg vorbei.
Das aus zwei großen Lappen bestehende braunrote
Gebilde ist das zentrale Organ des menschlichen
Stoffwechsels, also so etwas wie Chemikalienfabrik
und Entgiftungsanlage in einem.
Die bis zu zwei Kilogramm schwere Leber liegt,
geschützt von den unteren Rippen, im Bauchraum
und greift regulierend in den Stoffwechsel ein. Wie
wichtig sie für den Organismus ist, zeigt allein die
Tatsache, dass sie 20 Prozent des vom Körper verbrauchten Sauerstoffs benötigt – fast so viel wie das
Gehirn.
Tag für Tag gelangen Zucker, Eiweiße, Fette und
Mikronährstoffe über das Blut aus der Nahrung in
die Leber. Dort werden diese Nahrungsbestandteile
so umgebaut, dass der Körper sie verwerten kann.
Sind die Stoffe umgewandelt, gibt die Leber sie als
Bausteine für Enzyme, Hormone und Vitamine oder
als Energielieferanten in den Körper ab oder speichert sie, bis sie gebraucht werden.
Leberpfortader
Die Leber verwandelt Nahrungsfette in körpereigene Fette. Doch die Fette, die der Körper verwerten
kann, sind im Blut nicht löslich. Damit sie dennoch
dort ankommen, wo sie gebraucht werden, bildet
die Leber zusätzlich Fett-Transporter, so genannte
Lipoproteine. Bei ausreichend guter Versorgung mit
Nährstoffen stellt die Leber zudem Fette aus Eiweißen und Zucker her, die – ebenfalls in Lipoproteinen
verpackt – zum Fettgewebe transportiert und dort
gespeichert werden. Bei Energiemangel wird dieses
Fettpolster abgebaut.
Bekanntestes Produkt der Leber ist der Gallensaft.
Täglich entstehen 600 Milliliter der zähen Flüssigkeit, die über die Gallengänge in den Darm fließt und
bei der Aufnahme von Fetten aus der Nahrung hilft.
Müssen Giftstoffe aus dem Körper geschleust werden, dient der Gallensaft außerdem als Transportvehikel für Giftstoffe aller Art. Selbst gegen Viren,
Bakterien und Tumorzellen geht das Organ vor.
Arbeitet die Leber nicht, kann der Körper nur wenige
Stunden überleben.
60
FETTE
Gefährliche Fettpolster
In Deutschland sind immer mehr Menschen
viel zu dick. Nach aktuellen Studien sind rund
37 Millionen Erwachsene übergewichtig oder
sogar adipös, also fettleibig. Darunter befinden sich immer mehr Jugendliche und Kinder.
Forscher untersuchen, welche Folgen das
Dicksein hat und finden zunehmend genetische Ursachen für krankhaftes Übergewicht.
Die genetische Ausstattung des modernen Menschen unterscheidet sich nicht wesentlich von der
seiner urzeitlichen Vorfahren. Anders seine Lebensweise: Das Leben der Urmenschen war vor allem
von Mangel bestimmt. Die karge Nahrung musste
mühsam erjagt oder gesammelt werden. Was der
Mensch an Kalorien aufnahm, aber nicht verwertete,
verbrauchte er spätestens auf der nächsten Jagd oder
Sammeltour. Heute liegt in den Industrienationen
das Fleisch gebrauchsfertig im Supermarkt, Fertiggerichte im Regal nebenan und auch Schokoriegel,
Chips und Erdnussflips sind stets griffbereit. Und
weil der Weg zum Fernsehen noch dazu näher ist als
zum Sportplatz, landen überzählige Kalorien schnell
auf der Hüfte.
Die überschüssige Energie aus der Nahrung wird
dabei in den Fettzellen (Adipozyten oder Lipozyten)
des Körpers gespeichert. Sie enthalten je einen großen Fetttropfen, der sich vergrößert, bis er nahezu
den gesamten Zellinhalt ausmacht. Erst wenn der
Fetttropfen kein weiteres Fett mehr aufnehmen
kann, bildet der Körper neue Adipozyten. Sie werden
selbst dann nicht mehr abgebaut, wenn das Gewicht
wieder reduziert wird – die Fettzellen schrumpfen
lediglich.
Nach Ergebnissen des Robert Koch-Instituts in Berlin
sind in Deutschland 15 Prozent der Kinder und
Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren übergewichtig, mehr als ein Drittel davon ist adipös. Damit
hat sich nach Ansicht von Experten in den letzten
beiden Jahrzehnten in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Häufigkeit von Übergewicht
im Kindesalter mehr als verdoppelt.
Zwar ist nicht jeder gleich krank, der dick ist. Doch
je nach Ausmaß der Fettleibigkeit sind die überflüssigen Pfunde weit mehr als ein ästhetisches Problem.
Die Adipozyten der Fettdepots, vor allem die in der
Bauchhöhle, produzieren Hormone und andere
wichtige Substanzen. Zu viel Fett im Zellinneren
oder auch zu viele Fettzellen bringen die streng
regulierte Bildung dieser Stoffwechselprodukte
durcheinander und wirken damit ungünstig auf
angrenzende Stoffwechselprozesse. Ein Beispiel ist
das Adiponektin: Die Produktion dieses Hormons
wird in übervollen Fettzellen gedrosselt. Adiponektin aber verstärkt die Wirkung von Insulin und wirkt
so positiv auf den Kohlenhydratstoffwechsel. Bleibt
das Adiponektin aus, verliert auch das Insulin an
Wirkung, der Blutzuckerspiegel steigt.
Das Beispiel zeigt, wie eng die Stoffwechselabläufe
miteinander verzahnt sind. Vor allem der Typ
2-Diabetes ist in vielen Fällen eine direkte Folge von
Übergewicht. Andere Wechselwirkungen führen
zu Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinwerten
und damit zu einem stark erhöhten Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen. Kommen zur Adipositas
zwei dieser Krankheiten hinzu, sprechen Mediziner
vom Metabolischen Syndrom (s.a. „Das tödliche
Quartett“, S. 62).
Body-Mass-Index oder Bauchumfang?
Mediziner unterscheiden grundsätzlich
zwischen „Übergewicht“ und „schwerem
Übergewicht“, also Adipositas (Fettleibigkeit).
Denn je nach Statur ist dick nicht gleich dick.
Beide Gruppen lassen sich mit dem BodyMass-Index (BMI) unterscheiden. Dabei wird
das Körpergewicht durch das Quadrat der
Körpergröße geteilt. Tabellen, die in der Regel nach Alter und Geschlecht unterscheiden,
geben dann Aufschluss darüber, ob ein Ergebnis als unter-, normal-, übergewichtig oder
sogar als adipös zu bewerten ist. Man muss
allerdings bei der Interpretation des BMI
einer individuellen Person vorsichtig sein. So
können beispielsweise auch sehr muskulöse
Menschen einen erhöhten BMI-Wert erreichen, ohne tatsächlich übergewichtig zu sein.
Neben dem Gewicht gilt mittlerweile auch
der Bauchumfang als entscheidend, weil Fettdepots in diesem Bereich besonders schädlich
für die Gesundheit sind. Die Erfahrung zeigt,
dass sich das Risiko für Typ 2-Diabetes und andere Stoffwechselleiden bei Frauen ab einem
Bauchumfang von 88 Zentimetern und bei
Männern ab 102 Zentimetern deutlich erhöht.
FETTE
Nicht immer hat der Lebensstil Schuld am Dicksein. Aber auch bei einer
genetischen Veranlagung begünstigt eine ungesunde Lebensweise die
Entstehung von Adipositas.
Auch bestimmte Tumorleiden werden mit einem
Überschuss an Fettgewebe in Verbindung gebracht.
Östrogene, die außer in den Eierstöcken auch in den
Fettzellen gebildet werden, können zum Beispiel das
Wachstum bestimmter Brustkrebstumoren anregen.
Darüber hinaus belastet Übergewicht die gesamte
Körperarchitektur, Schäden an Gelenken und Knochen sind die Folge.
Die direkten und indirekten Folgen beginnen bereits
im jugendlichen Alter und belasten das Gesundheitssystem und die deutsche Volkswirtschaft mit
deutlich mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr.
Daher wird im Rahmen des vom BMBF seit 2008 geförderten Kompetenznetzes Adipositas das Projekt
MEMORI (Multidisciplinary early modification of
obesity risk) gefördert. „Dabei geht es unter anderem
auch um die finanziellen Folgelasten der Adipositas
im Kindesalter“, berichtet Berthold Koletzko, der
Koordinator von MEMORI. „Zugleich wollen wir
untersuchen, wie effektiv verschiedene Programme
gegen das Übergewicht sind – und welchen Einfluss
sie im Einzelnen auf die Kosten haben.“ Sport gilt
dabei nach wie vor als eine der wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen. Denn wer sich ausreichend
viel bewegt, verbrennt Fett nicht nur beim Sport,
sondern kurbelt darüber hinaus seinen Stoffwechsel
61
an. Und natürlich zählt auch die richtige Ernährung
zu den wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen
Übergewicht und Adipositas.
Als eine Sache des Lebensstils allein gilt Fettleibigkeit
heute allerdings nicht mehr. In den vergangenen
Jahren fanden Genomforscher vermehrt Gene, die
zumindest auf eine Veranlagung zum Dicksein hinweisen. „Die meisten Genvarianten mit einer starken
Auswirkung auf das Körpergewicht sind aber zu
selten, um wirklich relevant zu sein“, sagt Professor
Johannes Hebebrand von der Universität DuisburgEssen. Hebebrand hat bereits im Rahmen des vom
BMBF geförderten Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) die genetischen Mechanismen der Gewichtsregulation erforscht und setzt seine Arbeiten
seit 2008 unter dem Dach des Kompetenznetzes
Adipositas fort.
Bei etwa zwei Prozent adipöser Menschen, berichtet der Adipositas-Experte, sei zum Beispiel ein Gen
verändert, das die Bauanleitung für einen im Gehirn
vorkommenden Melanocortin-4-Rezeptor, kurz
MC4R, trägt. Dieses Molekül beeinflusst den Energiehaushalt des Körpers – und damit auch das Gewicht.
Die Betroffenen bilden keine, zu wenige oder nicht
funktionstüchtige Rezeptoren. In der Folge steigt ihr
Appetit, ihr Kalorienverbrauch aber sinkt. Wie sich
dieser Defekt auswirkt, lässt sich mittlerweile sogar
in Zahlen ausdrücken: Männer mit dieser Mutation
bringen im Schnitt 13 Kilogramm mehr als nicht
betroffene Männer auf die Waage. Bei Frauen sind es
sogar 27 Kilogramm zusätzlich.
Solche monogenetischen Formen der Adipositas, bei
denen ein Defekt an einem einzigen Gen die Fettleibigkeit bewirkt, sind aber die Ausnahme. Meist sind
mehrere Gene an der Entwicklung des Übergewichts
beteiligt. Letztlich, so Hebebrand, gelte es herauszufinden, wie viele der entscheidenden Genvarianten
vorkommen und wie sie miteinander kombiniert
sind. Die Aufschlüsselung dieser polygenen (also
auf mehreren Genen beruhenden) Ursachen ist
dank moderner Technologien inzwischen möglich.
Noch aber wird spekuliert, wie sehr die genetische
Ausstattung das Risiko für Übergewicht beeinflusst.
„Momentan ist das noch mehr Glauben als Wissen“,
so Hebebrand. „Sicher ist aber, dass es deutlich mehr
als 50 Prozent sind.“ Weltweit wird deshalb auch daran geforscht, dem starken Einfluss der Gene durch
eine medikamentöse Therapie entgegenzuwirken.
Alleine wegen der zu erwartenden Nebenwirkungen
sollte sich dieses Angebot in erster Linie an schwer
Übergewichtige richten, meinen die Experten.
62
FETTE
Metabolisches Syndrom –
das tödliche Quartett
Für manche ist es bloß die Bündelung mehrerer Erkrankungen. Für andere ist es eine
eigenständige Krankheit: das Metabolische
Syndrom. Obwohl inzwischen sogar genetische Ursachen für die Krankheit diskutiert
werden, gibt es in Deutschland noch immer
keine einheitlichen Leitlinien zur Diagnose
des Metabolischen Syndroms.
Dass es eine Krankheit geben soll, die aus mehreren einzelnen Erkrankungen – darunter sogar zwei
Volkskrankheiten – besteht, klingt zunächst seltsam.
Schließlich sind die Parameter hohe Blutfettwerte,
hoher Blutdruck sowie zu viel Blutzucker und Übergewicht für sich allein bereits therapiebedürftige
Krankheiten. Weshalb also aus ihrem gemeinsamen
Auftreten eine eigenständige Erkrankung machen,
gar ein „tödliches Quartett“, wie die Medien das Metabolische Syndrom gerne nennen? Weil es wichtig
ist, die vier Erkrankungen in ihrer Gesamtheit zu
erfassen, sagen inzwischen die meisten Mediziner im
In- und Ausland. Sie sind davon überzeugt, dass die
Diagnose „Metabolisches Syndrom“ berechtigt ist.
„Der Begriff selbst ist zwar noch etwas schwammig.
Er ist aber eine nützliche Klammer, um die verschiedenen Störungen gemeinsam zu behandeln“,
begründet Professor Hans Hauner, Direktor des Else
Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin
der TU München, die Einordnung des Metabolischen
Syndroms als eigenständige Krankheit.
Unterstützung bekommen Experten wie Hauner, der seit 2008 auch Sprecher des vom BMBF
geförderten Kompetenznetzes Adipositas ist, aus
den USA. Dort gaben zwei wissenschaftliche Fachgesellschaften bereits im Jahr 2005 erste Leitlinien
zur Diagnose des Metabolischen Syndroms heraus.
Diese wurden in Deutschland von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zunächst als Vorschlag übernommen. Danach leidet unter einem
Metabolischen Syndrom, wer mindestens drei der
fünf Kriterien erfüllt (s.a. Tabelle, S. 63).
Auslöser des Metabolischen Syndroms ist eine
stammbetonte Adipositas; also eine Fettleibigkeit,
die in erster Linie die Körpermitte betrifft. Denn
gerade im Bauchfett ist der Stoffwechsel außerordentlich aktiv. Es produziert viele Botenstoffe und
Hormone, die auf andere Stoffwechselwege wirken
und unter anderem den Zuckerhaushalt negativ
beeinflussen können. Der Diabetes ist oftmals eine
direkte Folge, ebenso ein hoher Cholesterinspiegel
und Bluthochdruck – das Metabolische Syndrom
entsteht. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland schon mindestens 20 Prozent der Erwachsenen
betroffen sind. Weil es aber vielen niedergelassenen
Ärzten schwer fällt, die Anhäufung der Erkrankungen als Metabolisches Syndrom und damit als
eigenständige Krankheit zu diagnostizieren, liegt
die tatsächliche Zahl vermutlich darüber.
Obwohl von den meisten Medizinern inzwischen
als Krankheit anerkannt, kann das Metabolische
Syndrom als solches nicht behandelt werden. Da die
Ursache nicht eindeutig feststeht, fehlt es an Ansatzpunkten (Targets) für entsprechende Medikamente.
Deshalb wird im In- und Ausland nach entsprechenden genetischen Anlagen gesucht. So haben
US-amerikanische Wissenschaftler bei einer Familie
einen – allerdings außerordentlich selten vorkommenden – Gendefekt identifiziert, der das Metabolische Syndrom auslösen kann, indem er einige
der Risikofaktoren gleichzeitig begünstigt. Das von
dem Defekt betroffene LRP6-Gen trägt die Bauanleitung für ein Protein, das bei der Weiterleitung von
Signalen in der Zelle hilft. Es ist Bestandteil des so genannten „Wnt“-Signalweges, der vor allem während
Bei der Messung des Grundumsatzes atmet die Patientin circa zehn
Minuten in eine Atemmaske. Ein Messgerät berechnet, wie viel Energie
der Körper an einem Tag in völliger Ruhe verbrennt.
FETTE
63
Kriterien für das Metabolische Syndrom
Nach Angaben der AWMF und angelehnt an die Definition der amerikanischen Fachgesellschaften
American Heart Association und National Heart, Lung and Blood Institute leidet an einem Metabolischen Syndrom, wer mindestens drei der folgenden Kriterien aufweist:
Abdominale Adipositas
Blutfettwerte
Erhöhte Triglyzeride
Niedriges HDL-Cholesterin
Der Taillenumfang beträgt mehr als 102 Zentimeter bei Männern
und 88 Zentimeter bei Frauen.
Die Blutfettwerte (Triglyzeride) sind auf über 150 mg/dl erhöht.
Der Wert des HDL-Cholesterins ist bei Männern geringer als
40 mg/dl, bei Frauen geringer als 50 mg/dl.
Bluthochdruck
Die Grenzwerte liegen bei 130/85 mmHg.
Erhöhte Plasma-Nüchternglukose
Die Blutzuckerwerte liegen höher als 100mg/dl.
der Entwicklung des Embryos wichtig ist – aber auch
für Stoffwechselfunktionen bei Erwachsenen.
Die Familienmitglieder mit diesem Gendefekt
entwickelten in jungen Jahren eine Herz-KreislaufErkrankung oder verstarben sogar an einem Herzinfarkt. Dabei führte der Defekt nicht direkt zum
Metabolischen Syndrom, sondern begünstigte unter
anderem die Entwicklung von Adipositas, Bluthochdruck und Typ 2-Diabetes. Der Nachweis des
Gendefekts könnte trotzdem signalisieren, dass das
Metabolische Syndrom als eigenständige Erkrankung existiert und die Kombination der zugrunde
liegenden Risikofaktoren nicht zufällig ist. „Tatsächlich scheint nämlich ein mehrschichtiger Zusammenhang der einzelnen Störungen zu bestehen“,
bekräftigt Professor Andreas Pfeiffer vom Deutschen
Institut für Ernährungsforschung in Potsdam (DIfE).
„So verknüpft etwa die Insulinresistenz alle Phänomene des Metabolischen Syndroms, und das ist nur
eines von mehreren bekannten Beispielen.“
Bis die Suche nach den genetischen Ursachen
aber zu einer Therapie führt, können nur einzelne
Komponenten des Metabolischen Syndroms behandelt werden. Wechselwirkungen sind dabei erwünscht: Wird eine Störung erfolgreich therapiert,
bessern sich häufig auch die anderen Erkrankungen.
„Wir kennen auch schon das verbindende Element
zwischen Adipositas und den einzelnen Komponenten im Metabolischen Syndrom“, sagt Pfeiffer. „Es ist
das Gewicht!“ Die Therapie muss sich deshalb vor
allem auf die Gewichtsreduzierung konzentrieren.
Die Industrie sucht derweil neue Wirkstoffe zunehmend danach aus, ob sie zur Therapie mehrerer
Komponenten des Metabolischen Syndroms beitragen. „Wenn wir den Effekt eines gesunden Lebensstils medikamentös nachahmen könnten, wäre das
zwar eine interessante Alternative – doch ich weiß
nicht, ob es das Beste für die Betroffenen wäre“, gibt
Andreas Pfeiffer zu bedenken. Und bis es soweit ist,
stehen Sport und eine ausgewogene Ernährung weiterhin an erster Stelle aller Maßnahmen. Tatsächlich
ist eine Gewichtsreduktion kombiniert mit körperlicher Bewegung der einzige therapeutische Ansatz,
der alle vier Teilerkrankungen des metabolischen
Syndroms zu erfassen vermag. Selbst ein paar Kilo
weniger können oft schon helfen. So gibt es Fälle, in
denen eine erfolgreiche Diät zur Besserung aller Leiden führte – oder die Symptome sogar verschwinden
ließ. „Damit lässt sich ein Metabolisches Syndrom
auch verhindern“, bekräftigt Hauner. „Prävention
ist angesagt: Man sollte nicht immer warten, bis das
Kind in den Brunnen gefallen ist.“
64
FETTE
Zu viel Cholesterin
kann erblich sein
Kinder, die in jungen Jahren bereits einen
Herzinfarkt erlitten, brachten die medizinische Forschung vor Jahrzehnten auf eine
wichtige Spur. In ihrem Blut fanden sich
ungewöhnlich hohe Cholesterinwerte. Forscher konnten zeigen, dass dafür ein Rezeptordefekt verantwortlich ist. Seitdem gilt der
Cholesterinspiegel als ein wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor.
Ohne Cholesterin könnte der Körper nicht leben.
Das Lipid, das der menschliche Körper zu 90 Prozent
selbst produziert, ist Grundlage für bestimmte Hormone, die Gallensäure oder das Vitamin D. Vor allem
aber kommt Cholesterin in den Wänden unserer
Zellen vor und damit im ganzen Körper. Das Gehirn
beansprucht sogar rund ein Viertel des Gesamtcholesterins für sich. Ist aber zu viel Cholesterin im Blut
(Hypercholesterinämie), kann es an den Gefäßwänden zu Ablagerungen (Plaques) kommen. Reißen sie
ein, kommt es zu Blutgerinnseln und kompletten
Verschlüssen der Adern. Die Folge ist ein Herzinfarkt. In der medizinischen Praxis gilt ein erhöhter
Cholesterinspiegel daher als einer der wichtigsten
Risikofaktoren für die Entstehung von HerzKreislauf-Erkrankungen. Umgekehrt konnte auch
gezeigt werden, dass eine Senkung von Cholesterin
vor einem Herzinfarkt schützen kann.
Cholesterin ist in Wasser schlecht löslich. Auch
im Blut muss es deshalb von so genannten Lipoproteinen transportiert werden. Die wichtigsten Vehikel
werden in Kombination mit ihrer Ladung als das
„gute“ HDL-Cholesterin und das „schlechte“ LDLCholesterin bezeichnet. HDL bringt das Cholesterin
aus dem Gewebe zurück zur Leber. Die Leber ist das
einzige Organ, das Cholesterin als Gallensäure über
den Darm ausscheiden kann. LDL transportiert dagegen Cholesterin in die umgekehrte Richtung, also
von der Leber in die umliegenden Organsysteme. Bei
der Messung des Cholesterinwertes gilt daher ein
hoher HDL-Spiegel in Kombination mit einem niedrigen LDL-Spiegel als günstig.
Grundsätzlich müssen zwei Formen der Hypercholesterinämie unterschieden werden. Die
eine wird durch einen ungesunden Lebensstil und
Faktoren wie Diabetes oder Übergewicht begünstigt.
Diese sekundäre Form der Hypercholesterinämie ist
so häufig, dass sie zu den Volkskrankheiten zählt. Sie
wird in erster Linie mit einer fettarmen Diät thera-
Mit dem Blutstrom gelangt Cholesterin zu den Zellen. Ist zu viel Cholesterin im Blut, bleibt es hängen und lagert sich an den Gefäßwänden ab.
piert und meist zusätzlich medikamentös behandelt.
Die Medikamente hemmen die Synthese des körpereigenen Cholesterins und ergänzen eine Diät.
Bei der zweiten, so genannten familiären Hypercholesterinämie ist das Gen mutiert, das die Information zum Bau des LDL-Rezeptors trägt. Das Molekül
befindet sich auf der Oberfläche fast aller Zellen und
transportiert Cholesterin aus dem Blut in die Zellen.
Arbeitet der Transporter nicht korrekt, steigt der
Cholesteringehalt im Blut deutlich. Die familiäre
Hypercholesterinämie wird von einem oder beiden
Eltern vererbt und findet sich als gemischterbiger
Defekt bei jedem 300. Bundesbürger. In der einerbigen Form, die mit einem Herzinfarkt im Kindesalter
einhergeht, ist die Erkrankung dagegen extrem
selten.
FETTE
65
Winzige Defekte mit großer Wirkung
Die genetische Sequenz eines Menschen verrät Medizinern, ob eine
Veranlagung zu einer Stoffwechselerkrankung vorliegt.
Im Labor werden mit Hilfe chromatografischer Methoden die Blutfette
getrennt und gemessen.
Bei der Erforschung von Stoffwechselerkrankungen setzen Wissenschaftler zunehmend Hoffnung in winzige, zufällig erfolgte Veränderungen
im menschlichen Erbgut. Allein 11 bis 13 Millionen
solcher Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) soll es
geben. Sie sind über das gesamte Erbgut verteilt und
garantieren – da sind sich die Experten einig – die
menschliche Einzigartigkeit.
SNPs sind nichts anderes als veränderte Bausteine
der DNA. Diese Bausteine (Nukleotide) setzen sich
aus einem Zuckermolekül, einer der vier Nukleobasen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin sowie
einem Phosphatrest zusammen. Die Basen stehen für
den Vier-Buchstabencode des Erbguts und kodieren
in einem Gen die Bauanleitung für ein Protein. Bei
einem SNP ist eine Base durch eine andere ausgetauscht. Dabei verursacht aber nicht jeder SNP auch
eine Krankheit. Die Folgen des Basenaustauschs
reichen von unterschiedlicher Augen- oder Hautfarbe bis zu gravierenden Störungen im Stoffwechsel
des Menschen.
Gerade bei den Stoffwechselerkrankungen sind
die genetischen Ursachen vielfach ungeklärt. Da sie
meistens durch mehrere Gene verursacht werden,
hoffen die Forscher, mit Hilfe der SNPs die genetischen Zusammenhänge der Krankheiten besser zu
verstehen. Die Datenmengen, die sie dabei produzieren, sind immens. Über 20 Milliarden Einzeldaten werden allein im SNP-Projekt des Nationalen
Genomforschungsnetzes (NGFN) erwartet. Für die
beteiligten Forscher ist das der Einstieg in eine neue
Welt der Genetik. Sie hoffen, mit ihren Analysen alle
entscheidenden Genveränderungen zu finden, die
zu so weit reichenden Krankheiten wie Adipositas
oder Diabetes führen.
66
FETTE
Eiweiße für die Fettverbrennung
Wer ständig zu viel isst, wird dick. Doch nicht
nur Maßlosigkeit ist schuld am Übergewicht
vieler Menschen. Wissenschaftler haben
herausgefunden, dass über die Entstehung
von Fettleibigkeit auch entscheidet, wie die
Energielieferanten Fett, Zucker und Eiweiße
miteinander kombiniert werden. Der Verzicht
auf fettreiche Kost allein, so ihr Fazit, macht
noch nicht schlank.
Fett hat einen schlechten Ruf. Zwar ist es ein wichtiger Energielieferant des Körpers. Doch mit rund
neun Kilokalorien pro Gramm – das ist mehr als doppelt so viel Energie wie die gleiche Menge an Kohlenhydraten oder Eiweißen (Proteinen) liefert – ist der
Energiebedarf schnell gedeckt. Übermäßig verzehrt
gelten fettreiche Lebensmittel, wie Butter und Sahne, Leberwurst und Rahmcamembert, Schokoriegel
und Kartoffelchips, daher als entscheidend für die
Entstehung von Übergewicht. Denn jedes Gramm
Fett, das der Körper nicht verbrennt, macht dick.
Zwar ist Dicksein an sich noch keine Krankheit,
denn jeder Körper geht mit den überschüssigen
Pfunden anders um. Doch extremes Übergewicht
belastet den Körper und macht krank. Wer schlank
und gesund bleiben will, sollte daher fettreiche Lebensmittel weitgehend vom Speisezettel verbannen,
so die gängige Ernährungsempfehlung. Sollen gar
überflüssige Pfunde verschwinden, raten Ärzte erst
recht zu einer extrem fettreduzierten Kost. Diäten
dagegen, die auf eine Kombination von protein- und
fettreichen Lebensmitteln setzen, gelten bis jetzt als
nicht empfehlenswert. Doch neue Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe „Physiologie des Energiestoffwechsels“ am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam deuten einen
Paradigmenwechsel an.
Unter Leitung von Professorin Susanne Klaus analysieren die Potsdamer Wissenschaftler das Zusammenspiel der Hauptnährstoffe Fette, Kohlenhydrate
und Proteine im Substrat- und Energiestoffwechsel.
„Bei der Suche nach den Ursachen von Übergewicht
bleibt eine mögliche Interaktion zwischen diesen
verschiedenen Makronährstoffen meist unberücksichtigt“, benennt die Forscherin den Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. In einer ihrer ersten Studien
fanden die Potsdamer Forscher in Fütterungsversuchen an Mäusen heraus, welche Nährstoffkombinationen besonders schnell zu Übergewicht führen.
Dabei zeigte sich, dass eine Ernährung mit hohem Fett- und Kohlenhydratanteil die schnellste und
größte Zunahme des Körperfetts bewirkte. Eine Diät
mit hohem Fett- und Proteinanteil, aber wenigen
Kohlenhydraten, führte hingegen wesentlich langsamer zu mehr Körperfett. „Dies lag im Wesentlichen daran, dass die Mäuse bei der fett- und kohlenhydratreichen Kost anfänglich dazu neigten, sich zu
‚überfressen’“, berichtet Klaus. Das Verhalten hatte
bleibende Folgen: Obwohl die Mäuse nach circa zwei
Wochen nicht mehr ganz so viel fraßen, blieben sie
übergewichtig.
Im Massenspektrometer erfasste Proteine werden mit Hilfe einer
Datenbank identifiziert.
FETTE
67
Fettgewebe mit prall gefüllten Fettzellen – während einer Diät
schrumpfen die Zellen wieder, werden aber nicht vollständig abgebaut.
Fütterungsversuche bei Mäusen brachten wertvolle Hinweise auf die
Entstehung von Adipositas.
Klaus vermutet, dass dieser Mechanismus bei
Menschen ähnlich abläuft. Die Ernährung von Mäusen und Menschen sei zwar sehr unterschiedlich, es
gebe jedoch sehr viele physiologische Ähnlichkeiten.
„Experimente mit Mäusen können uns eine Vielzahl
von Hinweisen darauf geben, wie es beim Menschen
sein könnte“, erläutert die Biologin. Eine häufige
Kombination aus viel Fett und viel Zucker wird also
sehr wahrscheinlich auch beim Menschen zu dauerhaftem Übergewicht führen.
Weshalb aber nehmen Mäuse und Menschen
langsamer zu, wenn sie (statt Fett und Zucker) Fett
und Eiweiße zu sich nehmen? Die DIfE-Wissenschaftler fütterten Mäuse in zusätzlichen Experimenten
mit einem proteinreichen Mischfutter und beobachteten die Auswirkungen dieser Diät auf den
Energiestoffwechsel. „Wir konnten beweisen, dass
hochwertiges Protein dosisabhängig den Energieumsatz steigert und dass ein hoher Proteinanteil die
Fettverbrennung erhöht“, fasst Klaus die Ergebnisse
zusammen. Offenbar bewirkt ein hoher Proteinanteil im Futter der Mäuse, dass die Tiere das Fett aus
der Nahrung vermehrt in Wärme umsetzen, statt es
in Körperfettdepots zu sammeln.
Auf welchen Mechanismen dieser Effekt beruht,
ist allerdings noch nicht vollständig erforscht. „Wir
wissen, dass Nahrungsproteine einen aktivierenden
Einfluss auf so genannte Entkopplerproteine (Uncoupling Proteins = UCPs) in den Mitochondrien haben“,
berichtet die Wissenschaftlerin. Mitochondrien sind
in allen Zellen für die Energiegewinnung verantwortlich. So ist bekannt, dass das UCP 1 den Energieumsatz steigert. Dabei wird die gespeicherte Energie
als Wärme freigesetzt.
In Experimenten mit genetisch veränderten
Mäusen, die gezielt UCP1 in der Skelettmuskulatur
freisetzen, verbrennen diese Tiere bei körperlicher
Aktivität mehr Energie und bringen deshalb weniger
Gewicht auf die Waage als Kontrolltiere. Die Ergebnisse sind ein erster Ansatzpunkt für eine mögliche
Therapie gegen Adipositas (Fettsucht). „Die Überlegungen gehen dahin, Medikamente zu entwickeln,
die den Muskel dazu veranlassen, UCP1 zu produzieren und damit den Energieumsatz zu steigern.
Bis dahin ist es jedoch noch ein sehr langer Weg“,
beschreibt Klaus eine der denkbaren Therapieoptionen.
Ein weiterer Ansatz ist die gezielte Beeinflussung
der anderen bekannten Entkopplerproteine, die
im Muskel und der Leber vorkommen. Die genaue
Funktion dieser UCPs ist jedoch weitgehend unklar.
Experten vermuten, dass sie wie das UCP 1 eine Rolle
bei der Fettoxidation spielen. Derzeit untersuchen
die Potsdamer Forscher auch die molekularen Mechanismen in der Zelle, um den Einfluss der Proteine
auf die Entkopplerproteine in Muskel und Leber aufzuklären. Dabei fragen sie, ob es bestimmte einzelne
Aminosäuren sind, die auf die Entkopplerproteine
einwirken oder ob die Nahrungsproteine insgesamt
eine Rolle spielen.
68
FETTE
Übergewicht entsteht im Gehirn
Ob sich jemand hungrig oder satt fühlt,
entscheidet sich im Gehirn. Bei übergewichtigen Menschen sind die Mechanismen der
Hunger- und Sättigungsregulation gestört. Es
wird intensiv geforscht, um diese komplexen
Regelkreise aufzuklären und Ansatzpunkte
für neue Medikamente gegen Fettleibigkeit
zu entdecken.
Manche Menschen besitzen eine erstaunliche Fähigkeit. Sie halten ihr Körpergewicht über Jahre hinweg, ohne dass sie Kalorien zählen. Sie essen, wenn
sie Hunger haben, und hören damit auf, wenn sie
satt sind. Und falls sie doch ein mal über die Stränge
schlagen, gleichen natürliche Mechanismen die zu
viel aufgenommenen Nährstoffe innerhalb weniger
Tage wieder aus.
Die Evolution hat Tier und Mensch mit einem fein
austarierten Regulationssystem von Hunger- und
Sättigungsmechanismen ausgestattet. Die Schaltzentrale sitzt im Gehirn, genauer gesagt: im Hypothalamus. Dort gehen zahlreiche Signale ein und
werden miteinander verrechnet. So kann der Anblick
eines bunten Obstsalats den Appetit stimulieren,
ebenso der Duft frisch gebackener Brötchen. Zugleich melden im Blut zirkulierende Botenstoffe den
aktuellen Energiezustand des Körpers. Hauptakteure
sind die Hormone Leptin und Insulin. Leptin wird
vom Fettgewebe ins Blut abgegeben und signalisiert
dem Gehirn, wie gut die Fettspeicher gefüllt sind, Insulin gibt Auskunft über die Zuckerversorgung. Ein
eng geknüpftes neuronales Netzwerk im Hypothalamus empfängt, verarbeitet und bewertet diese und
andere Informationen und entscheidet schließlich,
ob der Mensch sofort ins Brötchen beißt oder nicht.
Das ausgeklügelte System soll sicherstellen, dass
der Mensch nur so viel Energie mit der Nahrung
aufnimmt, wie der Körper braucht. Langfristig wird
ein Gleichgewichtszustand angestrebt, den Wissenschaftler „Energiehomöostase“ nennen. So schützt
sich der Körper einerseits vor dem Verhungern,
andererseits vor einem ‚Überessen’.
Doch der moderne Lebensstil wirkt stärker als das
seit Jahrtausenden bewährte Regulationssystem.
Ein üppiges Angebot hochwertiger Nahrungsmittel – kombiniert mit Bewegungsmangel – führt bei
vielen Menschen dazu, dass ihre Ordnung durcheinander gerät. Die Folge: Übergewicht bis hin zur
Fettleibigkeit.
Appetit, aber keinen Hunger? – Was und wie viel wir essen, entscheidet
das Gehirn.
„Die Mechanismen, die uns vor dem Verhungern schützen, sind offenbar besser ausgebildet als
solche, die uns vor der Aufnahme von zu viel Energie
bewahren“, erläutert Professorin Susanne Klaus
vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung
(DIfE) in Potsdam diese Entwicklung. Vor allem der
Leptin-Regelkreis scheint häufig zu entgleisen. Bei
normalgewichtigen gesunden Menschen signalisieren hohe Blutspiegel des Hormons dem Gehirn
gut gefüllte Fettspeicher – sie fühlen sich satt. Dieser
Mechanismus versagt jedoch bei rund 95 Prozent der
übergewichtigen Menschen. „Das Signal, dass genug
Energie vorhanden und damit keine weitere Nahrungsaufnahme nötig ist, kommt im Gehirn nicht
an“, sagt Professor Jens Claus Brüning vom Institut
für Genetik der Universität Köln. Dieser Störung liegt
jedoch in den meisten Fällen kein Leptinmangel
zu Grunde. Vielmehr vermuten die Experten eine
Leptin-Resistenz. „Diese Resistenz scheint eine Kombination aus einem reduzierten Transport von Leptin
ins Gehirn und Defekten in der Leptin-Signalkaskade
zu sein“, verdeutlicht Brüning. Das bedeutet: Trotz
gut gefüllter Fettspeicher und hoher Leptinwerte
FETTE
im Blut quält Übergewichtige der Hunger. Deshalb
schaffen es nur wenige, sich zu disziplinieren, weniger zu essen und so das Normalgewicht zu erreichen.
Zwar kann mit Sport viel überschüssiges Fett
verbrannt werden. Doch bei vielen adipösen Menschen reicht das oft nicht mehr aus, um das Gewicht
ausreichend zu reduzieren. Einen Ausweg aus dem
Dilemma könnte die pharmazeutische Forschung
weisen. Denn mit innovativen Medikamenten
könnte es gelingen, das gestörte Regulationssystem
von Fettleibigen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Aufgabe ist riesig. Entscheidende Mitspieler und zentrale Knotenpunkte des Netzwerks sind
zwar bekannt. Doch zahlreiche Verknüpfungen und
Wechselwirkungen des komplexen Geschehens sind
noch nicht enthüllt.
Der Endokrinologe Brüning ist einer der Wissenschaftler, die das eng geknüpfte Netzwerk der
Hunger- und Sättigungsmechanismen detailliert
aufklären und Ansatzpunkte für neue Medikamente
finden. Gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe hat er
die Nervenzellen im Hypothalamus lokalisiert, die in
Strukturmodell des Hormons Leptin, das dem Körper signalisiert, ob die
Fettspeicher gefüllt sind.
69
der Hunger- und Sättigungsregulation eine Hauptrolle spielen. „Wir haben gezeigt, dass unter vielen
Milliarden von Zellen im Hypothalamus nur wenige
einen Leptin-Rezeptor tragen“, erklärt er. Dabei handelt es sich um zwei hoch spezialisierte Zelltypen,
die einerseits Hunger, andererseits Sattheit vermitteln. Erstere werden von Leptin in ihrer Aktivität
gehemmt, letztere aktiviert. Das Hormon wirkt also
an zwei Schaltstellen gleichzeitig, indem es sowohl
Hungergefühle dämpft als auch Sattheitsgefühle
auslöst.
Damit ist das ineinander greifende Gefüge der
Hunger- und Sättigungsregulation jedoch noch
nicht abschließend erklärt. Denn wenn das Leptin
an den Rezeptor andockt, löst es eine Signalkaskade
aus. Sie führt dazu, dass die Nervenzellen weitere
Botenstoffe produzieren. Außerdem wirkt auch das
Insulin über eigene Rezeptoren auf die Hunger und
Sättigung vermittelnden Nervenzellen ein und löst
seinerseits Signalkaskaden aus. Überdies scheinen
sich Insulin und Leptin an den Sattheit vermittelnden Neuronen gegenseitig zu verstärken, während
die beide Hormone an den Hunger vermittelnden
Neuronen gegensätzliche Effekte bewirken.
An der Aufklärung dieser Mechanismen wirken
die Forscher um Brüning mit. Dabei bedienen sie sich
einer molekulargenetischen Methode. Sie erlauben
es, in Mäusen bestimmte Gene zelltypspezifisch auszuschalten. „So ist es gelungen, einzelne Proteine,
die an der Insulin- oder Leptin-Signalkaskade beteiligt sind, spezifisch in den Neuronen des Hypothalamus auszuschalten und dadurch wichtige Hinweise
auf ihre genaue Wirkweise zu erhalten“, so Brüning.
Möglich, dass darunter bereits der eine oder andere
potenzielle Angriffspunkt für neue Medikamente
zu finden ist. Bevor jedoch eine „Tablette gegen zu
großen Appetit“ entwickelt werden kann, muss die
Wissenschaft zahlreiche Fragen beantworten. Brüning: „Ein grundlegendes Verständnis der zentralen
Regulation der Energiehomöostase ist nötig, um die
zunehmende Fettleibigkeit erfolgreich zu bekämpfen.“ Doch selbst, wenn das eines Tages gelänge:
Bewegung bleibt die Basis einer jeden Therapie und
kurbelt darüber hinaus den gesamten Stoffwechsel
des Körpers an.
70
PERSPEKTIVE
Natürliche Varianten
im Blick der Nutrigenomik
Mediziner und Stoffwechselexperten setzen
bei der Entwicklung von möglichen Therapien gegen Stoffwechselleiden ganz besonders
auf die Nutrigenomik. Die noch junge Wissenschaft verbindet die Genomforschung mit der
Ernährungsforschung und der pflanzlichen
Biotechnologie. So schärft sie den Blick für
die Zusammenhänge zwischen Erbgut, Ernährung und Gesundheit.
Im Supermarkt der Zukunft: Neben garantiert biologisch angebauten Tomaten, Orangen oder Zucchini
liegt Obst und Gemüse der besonderen Art. „Gesundheitsnahrungsmittel“ verheisst das Schild, darunter
Äpfel, die die Verdauung regulieren, oder Tomaten,
die Darmkrebs vorbeugen. Auch Joghurts und Tütensuppen gegen Herz-KreislaufErkrankungen sind im
Angebot.
Wovon die Lebensmittelindustrie träumt, davon
ist die reale Forschung noch weit entfernt. Zwar ist
die Erkenntnis alt, dass bestimmte Nahrungsmittel
bestimmten Krankheiten vorbeugen oder sie gar
heilen können. Es stellt sich aber die Frage: Was hilft
wem in welchen Mengen?
Dabei ist das Potenzial der Ernährung, Krankheiten zu lindern oder vorzubeugen, auch nach Ansicht
von Experten hoch – letztlich aber entscheidet die
genetische Ausstattung eines jeden Menschen über
den Nutzen spezifischer gesundheitsfördernder
Lebensmittel. Denn das Risiko, an Krebs, Diabetes,
der Fettleibigkeit Adipositas, einem Herzinfarkt oder
Schlaganfall zu erkranken, ist genetisch festgelegt.
Eine noch junge Wissenschaft, die Nutrigenomik,
untersucht den molekularen Einfluss von Genen einerseits und Nährstoffen andererseits auf Stoffwechsel und Gesundheit eines Menschen. Schon jetzt stellt
sich heraus: Die Wirkung von Nährstoffen hängt von
der individuellen genetischen Ausstattung ab.
Tatsächlich wirken viele Nahrungsbestandteile
direkt auf Zellen und beeinflussen deren genetische
Aktivität. Die Ernährung ist damit der wichtigste
„Umweltfaktor“ für den Organismus, auch weil sie
so beständig und ein Leben lang wirkt. Die Hoffnung
der Forschung: Je mehr von den komplexen Interaktionen einzelner Nahrungsbestandteile mit den
Genen bekannt wird, desto eher können künftig
verschiedene Stoffwechselstörungen durch Diäten
verhindert oder therapiert werden.
Damit verbindet die Nutrigenomik die Ernäh-
rungswissenschaft und die Erforschung des Erbguts
(Genomforschung). „Die Nutrigenomik ist für mich
die Gesamtheit der molekularen und genetischen
Prozesse, über die die Ernährung und der Lebensstil
die Funktion von Genen und Proteinen bestimmen.
Damit beeinflussen sie letztlich den Stoffwechsel mit
und ohne Erkrankung“, erklärt Hannelore Daniel,
Professorin für Ernährungsphysiologie der Technischen Universität München in Weihenstephan und
ergänzt: “Weil wir alle genetisch unterschiedlich
sind, muss natürlich immer die genetische Ausstattung der betreffenden Person berücksichtigt werden.“
Stoffwechselvorgänge – auch als Reaktion auf
Änderungen der Nährstoffzufuhr – laufen bei jedem
Menschen im Prinzip ähnlich, aber eben nicht identisch ab. Das zeigt sich vielfach schon bei einem Glas
Wein. Auch moderat dosiert wird Alkohol nämlich
nicht von jedem gleich gut vertragen. Verantwortlich für den Abbau des Zellgifts ist im ersten Schritt
die Alkoholdehydrogenase. Dieses Enzym liegt im
Organismus in mehreren, sehr ähnlichen Varianten
vor. Seine Aufgabe: Es wandelt Alkohol in der Leber
in das noch giftigere Azetaldehyd um. Dieser Stoff
verursacht letztlich den Kater am nächsten Morgen
und kann zur Bildung einer Leberzirrhose beitragen.
Diese chemische Verbindung wird deshalb sofort
durch das Enzym Azetaldehyddehydrogenase in
ungiftige Substanzen umgewandelt.
Wie effizient und schnell dieser Stoffwechselweg abläuft, hängt unter anderem von ethnischen
Besonderheiten ab. So vertragen Asiaten Alkohol
eher schlecht, was sich mit einer Eigenheit ihres
Stoffwechsels erklärt. Sie verfügen über eine geringe
Menge an Alkoholdehydrogenase. Die Folgen sind
rasch eintretende Kopfschmerzen und Übelkeit nach
dem Konsum von Alkohol. Aber auch Tageszeiten
spielen eine Rolle: Der kleine Schwips, der sich auch
bei vielen Europäern schon bei einem Glas Sekt am
Vormittag einstellt, geht darauf zurück, dass die
Leber erst gegen Abend eine ausreichende Menge
der Alkohol abbauenden Enzyme produziert.
Das Paradebeispiel der Nutrigenomik ist jedoch
die Laktoseintoleranz (s.a. „Intolerantes Erbe“, S. 15).
Betroffene vertragen den in der Milch enthaltenen
Milchzucker Laktose nicht. Sie leiden nach dem Verzehr von Milch und Milchprodukten unter Übelkeit
und Durchfall.
Weder eine Laktoseintoleranz noch eine schlechte
Verträglichkeit von Alkohol sind allerdings als Erkrankungen zu werten. Sie sind vielmehr Ausdruck
PERSPEKTIVE
71
Selten aber sind die Auswirkungen der Ernährung so unmittelbar und offensichtlich. Sehr viel
häufiger wirkt sich die Nahrung erst langfristig auf
unseren Gesundheitszustand aus und trägt dabei
zur Entstehung von Krankheiten bei. Welche Nährstoffe auf welchem Weg positiv oder negativ auf den
Organismus wirken und ob sie möglicherweise für
Prävention oder Therapie genutzt werden können,
lässt sich nur in mühevoller Kleinarbeit klären.
Große epidemiologische Studien
Pflanzen mit besonders wünschenswerten Inhaltsstoffen entstehen im
Labor. Ihre natürlichen Vorbilder sind Kräuter, wie Oregano, das bereits
die alten Griechen als Heilmittel verwendeten.
der natürlichen Unterschiede in den menschlichen
Anlagen. Wenn Varianten eines Gens mit einer erhöhten Häufigkeit auftreten, spricht man von einem
Polymorphismus. In den meisten Fällen betrifft eine
derartige Varianz sogar nur eine Position in einem
Gen, also dem entsprechenden DNA-Abschnitt. SNP
oder Single Nucleotide Polymorphism (s.a. „Winzige
Defekte mit großer Wirkung“, S. 65) heißt ein solcher
kleiner Unterschied mit manchmal großer Wirkung.
Die scheinbar minimalen Veränderungen können
eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und
dem Verlauf von ernährungsbedingten Erkrankungen spielen.
Ein Beispiel dafür ist die häufigste Enzymerkrankung des Menschen, der Favismus oder G6PDMangel. Das manchmal auch als Bohnenkrankheit
bezeichnete Leiden tritt in der schweren Verlaufsform fast ausschließlich bei Männern und bevorzugt
im Mittelmeerraum auf. Ursache der potenziell
lebensbedrohlichen Erkrankung ist ein genetisch
bedingter Mangel des Enzyms Glukose-6-PhosphatDehydrogenase, das in einem bestimmten Stoffwechselweg für den Abbau der Glukose – also des
Traubenzuckers – nötig ist. Wenn das Enzym nicht
ausreichend aktiv ist oder ganz fehlt, wird das Zwischenprodukt Glukose-6-Phosphat unzureichend
weiterverarbeitet. Das führt dazu, dass so genannte
Oxidantien nicht ausreichend abgebaut werden.
Ohne entsprechende Abwehr können diese Oxidantien, die vor allem die roten Blutkörperchen schädigen und zerstören, zu bisweilen lebensgefährlichen
Komplikationen führen.
Weil aber wegen der unterschiedlichen genetischen
Anlagen den einen krank macht, was beim anderen
wirkungslos bleibt, müssen die komplexen Interaktionen von Nahrung und Genen meist in großen Studien analysiert werden. Nur wenn die genetischen
Daten sehr vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer
einbezogen werden, können zuverlässige Aussagen
getroffen werden.
Ein Beispiel für derart groß angelegte Projekte
ist MeSy-BePo, kurz für „Metabolisches Syndrom
Berlin-Potsdam“, eine Studie unter der Leitung von
Professor Andreas Pfeiffer. Er leitet die Abteilung für
Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährung (DIfE) in Potsdam und ist Mitglied im Netzwerk Nutrigenomforschung Berlin-Brandenburg.
Für die Studie wurden bislang rund 2.600 Menschen
untersucht. Die Analysen der Potsdamer Wissenschaftler sollen zeigen, wie Ernährung das Risiko für
Erkrankungen, wie den Typ 2-Diabetes, Krebs, aber
auch Herz-Kreislauf-Leiden beeinflusst. Dabei geht
es in erster Linie und ganz konkret um die zugrunde liegenden genetischen Anlagen. „Wir konnten
bereits einige Genvarianten beschreiben, die zu
unterschiedlichen Reaktionen auf Nahrung führen“,
berichtet Pfeiffer. „Unsere Untersuchungen zeigen
insbesondere, dass die Hormonantworten auf Nahrung eine große Rolle für die Entstehung von Krankheiten spielen. Dabei gibt es schützende Hormone
aus dem Fettgewebe, wie etwa das Adiponectin, und
auch Hormone, die aus der Darmwand freigesetzt
werden und so ganze Kaskaden von weiteren Hormonen und Stoffwechselprozessen regulieren.“
In einem weiteren Projekt, der DIOGENES-Studie,
untersuchen der Mediziner und seine Kooperationspartner, wie eine dauernde Gewichtszunahme
vermieden werden kann. Die Probanden müssen aus
einer Familie mit mehreren adipösen Mitgliedern
stammen und innerhalb von acht Wochen mit Hilfe
einer Niedrig-Kalorien-Diät elf bis 13 Kilogramm
72
abgenommen haben. Dann werden sie in vier
Gruppen eingeteilt, deren Ernährung sich ein Jahr
lang unterscheidet. Das Augenmerk liegt dabei auf
den Proteinen und dem glykämischen Index. Dieser Wert drückt aus, wie sich kohlenhydrathaltige
Lebensmittel auf den Blutzuckerspiegel auswirken.
Für die unterschiedlichen Diäten der vier Gruppen
bedeutet dies: Je zweimal eine Diät mit einem hohen
beziehungsweise mit einem niedrigen glykämischen
Index und dabei jeweils eine proteinarme oder proteinreiche Variante – so dass alle vier Kombinationen
abgedeckt sind.
„Die Stoffwechselregulation ist außerordentlich
kompliziert und hat enorme Bedeutung für die
Gesundheit“, so Pfeiffer. In der DIOGENES-Studie
geht es darum, wie die permanente Gewichtszunahme mit steigendem Lebensalter bei Patienten mit
genetischer Neigung zur Fettsucht verlangsamt oder
sogar vermieden werden kann – natürlich mit Augenmerk auf den individuellen Unterschieden. Und
schließlich wollen die Nutrigenomiker verschiedene
Ernährungsstrategien entwickeln, die für Menschen
mit ganz unterschiedlichen Anlagen vorteilhaft sind.
Eine interessante genetische Variation konnten
die Experten bereits identifizieren. Sie betrifft das
Fettsäure bindende Protein FABP. Die Variation
führt bei erhöhten Fettspiegeln im Blut zu einer
verstärkten Zuckerproduktion in der Leber. Dieser
PERSPEKTIVE
Effekt könnte das Diabetesrisiko insgesamt steigern.
„Wir haben auch herausgefunden, dass Menschen
mit dieser Genvariante in unserer Studie bedeutend
schwerer waren als solche ohne diese Anlage“, berichtet Pfeiffer. Den Potsdamern fielen während der
Studie zudem bestimmte Genvarianten im IL-1-Gen
auf, das Kürzel steht für den Botenstoff Interleukin-1
im Immunsystem. Diese Genvarianten führen dazu,
dass Interleukin-1 durch Inhaltsstoffe von Gemüse
stark gehemmt wird. „Die Betroffenen haben ein
erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und werden von
manchen Nahrungsbestandteilen, die den Signalweg der IL-1-Produktion beeinflussen, profitieren“, so
Pfeiffer. „Insgesamt werden wir in Zukunft vielleicht
besser in der Lage sein, individuelle Empfehlungen
zur Ernährung auszusprechen.“
Wenn Gene den Einkauf bestimmen
Einige dieser kommerziellen Angebote für vermeintlich individuell zugeschnittene Diätratschläge sind
bereits auf dem Markt. Ihre Aussagekraft scheint
aber noch sehr gering. Teilnehmer müssen dafür in
der Regel einen Fragebogen ausfüllen und ihre genetischen Anlagen anhand einer DNA-Probe analysieren lassen. Sie erhalten dann einen „persönlichen
Ernährungsratgeber“. „Diese Empfehlungen sind in
der Regel auch sehr gut“, weiß Hannelore Daniel und
PERSPEKTIVE
Pflanzen enthalten viele potente Wirkstoffe, mit denen Krankheiten
geheilt werden können.
fügt schmunzelnd hinzu: „Das liegt aber vor allem
daran, dass sie weitgehend den allgemeinen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung entsprechen,
wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung formuliert hat. Vielleicht hilft es ja wenigstens psychologisch, wenn man diese altbekannten Ratschläge
schwarz auf weiß und als vermeintlich persönliche
Empfehlungen vor sich hat.“
In Zukunft werden vermutlich noch mehr solche
Offerten angeboten. Fraglich ist dann nicht nur
der Nutzen, sondern auch die Akzeptanz durch die
Zielgruppen. „Ob die Leute solche Empfehlungen
wollen, lässt sich nicht pauschal beantworten“, so
Pfeiffer. „Das ist schließlich Sache jedes Einzelnen.
Wenn man aber vorhersehbare Vorteile von bestimmten Ernährungsstrategien haben kann, ist das
sicher eine interessante Information, die über die
aktuellen generellen Empfehlungen zur gesunden
Ernährung weit hinausreicht.“ Darin liegt das große
Potenzial zur Entwicklung von neuen Lebensmitteln.
Dieses „functional food“ sollte gezielt Nahrungsbestandteile enthalten, die entweder eine gewünschte
genetische Aktivität auslösen oder eine krankmachende Reaktion unterdrücken. Ebenfalls denkbar wäre eine Pille, die Nährstoffe, wie Vitamine,
73
Mengen- und Spurenelemente passend zum genetischen Profil liefert.
Vor allem Pflanzen scheinen viele potente Wirkstoffe zu enthalten. So setzt die Forschung etwa auf
Flavonoide. Einige dieser pflanzlichen Farbstoffe
hemmen Entzündungen oder wehren erfolgreich
gefährliche Oxidantien ab.
Doch die Suche nach wirksamen Flavonoiden
gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Auch Hannelore Daniel musste dies erfahren: „Wir
haben die Wirkung von ausgewählten Flavonoiden
auf Tumorzellen analysiert“, berichtet die Ernährungswissenschaftlerin. „Unter rund 6.000 Flavonoiden haben wir 80 Leitsubstanzen ausgewählt.
Unter denen konnten wir eine einzige Verbindung
identifizieren, die in Krebszellen – und nur dort – die
Apoptose auslöst, also den Prozess, bei dem sich die
Zellen selbst zerstören.“ Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dieses Flavonoid in den Tumorzellen
einen bestimmten Energiestoffwechselweg aktiviert,
der in gesunden Zellen abläuft, von Krebszellen aber
unterdrückt wird. Dabei entstehen Oxidantien, gegen die sich nur gesunde Zellen erfolgreich wehren
können. „Die Tumorzellen werden wohl auf diesem
Weg in den Untergang getrieben“, vermutet die
Wissenschaftlerin.
Weltweit wird unablässig nach weiteren Wirkstoffen gesucht. Fraglich ist nun, ob und in welcher
Form diese Substanzen auf unseren Tellern landen
werden – ob als Medikament, als Nahrungsergänzung oder als Lebensmittel. Ansatzweise steht so genanntes Designerfood mit entsprechender Wirkung
bereits in den Regalen der Supermärkte. Ein Beispiel
sind probiotische Joghurts, denen lebende Bakterienstämme mit angeblich gesunder Wirkung beigemischt sind. Sie sind die Antwort auf genetische
Anlagen, die die meisten Menschen in sich tragen
und in den Medien gerne als „Diabetes-, Dickmacher
und Herzinfarkt-Gene“ bezeichnet werden. Stärker
auf eine kleine Personengruppe zugeschnitten sind
dann schließlich die neuerdings erhältlichen laktosefreien Milchprodukte, die auch für Menschen mit einer Laktoseintoleranz gut verträglich sind. Vielleicht
gehört auch dieses Szenario zum Supermarkt der
Zukunft: Der Mensch, als Summe seiner Gene, wird
demnächst mit zwei Listen im Supermarkt anzutreffen sein. Eine enthält die individuellen genetischen
Anlagen; die andere verrät, welche Lebensmittel und
Produkte die damit verbundenen Risiken mildern
oder gar ausgleichen könnten.
74
KONTAKT
Nützliche Kontakte
und (Internet-)Adressen
Ernährung und Ernährungsmedizin
www.dife.de
Die Webseite des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke
bietet zahlreiche Informationen und Stellungnahmen aus der Ernährungsforschung sowie
einen Diabetes-Risiko-Test.
www.ernaehrung.de
Das deutsche Ernährungsberatungs- und Informationsnetz (DEBInet) bietet verbrauchergerechte Informationen rund um das Thema
Ernährung und Ernährungsmedizin.
www.ernaehrung-und-bewegung.de
Die Plattform Ernährung und Bewegung e.V.
(peb) ist eine gemeinsame Initiative von Politik,
Verbänden und Wirtschaft und bietet Eltern,
Bildungseinrichtungen und Kommunen Informationen zu einer gesunden Lebensweise von
Kindern.
www.dge.de
Die Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V.
bietet Informationen für Fachleute und Verbraucher. Auf der Seite finden sich wissenschaftliche
Publikationen und Stellungnahmen genauso
wie Adressen von Ernährungsberatern in ganz
Deutschland.
www.dgem.de
Webseite der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) mit Informationen
vor allem für Fachleute und Ärzte, die sich einem
Netzwerk anschließen möchten oder Weiterbildungsmöglichkeiten suchen.
Kohlenhydrate
Diabetes mellitus
www.kompetenznetz-diabetes-mellitus.de
Aktuelle Webseite des Kompetenznetzes Diabetes, das seit 2008 vom BMBF gefördert wird. Das
Forschungsnetzwerk wird neue Erkenntnisse
über die Entstehungsbedingungen, die Prävention und die Behandlung des Diabetes mellitus
gewinnen und dadurch die Versorgung der
Bevölkerung verbessern. Besonderer Wert wird
auf die optimale Versorgung in der frühen Phase
der Erkrankung gelegt, um Folgeerkrankungen
und damit steigende Kosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden.
www.diabetes-deutschland.de
Der Informationsdienst des Deutschen DiabetesZentrums Düsseldorf ist ein Modellprojekt des
Bundesgesundheitsministeriums und informiert
ausführlich zum Thema Diabetes.
www.diabetes-kids.de
Die private Initiative Diabetes-Kids will den
Zusammenhalt und Informationsaustausch
zwischen Kindern und Jugendlichen mit Diabetes
sowie deren Eltern fördern.
www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist die
wissenschaftliche Fachgesellschaft der deutschen
Diabetologen in Wissenschaft und Praxis, die auf
ihrer Website auch über gesundheitspolitische
Entscheidungen, rechtliche Beschlüsse oder
Zulassungsbestimmungen informiert.
www.diabetikerbund.de
Webseite des Deutschen Diabetiker Bundes, der
größten und ältesten Selbsthilfeorganisation für
Diabetikerinnen und Diabetiker in Deutschland.
Laktoseintoleranz
www.libase.de
Ein Informationsportal zum Thema Laktoseintoleranz, das aber auch ausführliche Infos zu
anderen Lebensmittelunverträglichkeiten und
Allergien bietet.
www.milchmachtkrank.de
Eine subjektive Patienten-Webseite, die aber viele
interessante Informationen und Tipps für Menschen mit Laktoseintoleranz bereithält.
Galaktosämie
www.galaktosaemie.de
Das Portal der Gemeinnützigen Elterninitiative
Galaktosämie e.V. informiert umfassend über
die seltene Stoffwechselstörung. Der Verein
kooperiert u. a. mit Forschern des Uniklinikums
Düsseldorf und der Europäischen GalaktosämieGesellschaft (www.galactosaemia.com).
Eiweiße
Phenylketonurie
www.dig.pku.de
Die Webseite der Deutschen Interessengemeinschaft PKU und verwandter Stoffwechselstörungen e.V. bietet Informationen und Ratschläge
für Patienten und ihre Angehörigen.
KONTAKT
Albinismus
www.albinismus.de
Webseite der NOAH Albinismus Selbsthilfegruppe mit vielen zahlreichen Erfahrungsberichten
und nützlichen Tipps, die den Alltag von Menschen mit Albinismus erleichtern sollen.
Purine und Pyrimidine
www.ppsociety.org
Internationale Fachgesellschaft zur Erforschung
des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels (engl.)
Gicht
www.gichtanfall.de
Eine private aber überaus informative Seite zum
Thema Gicht mit zahlreichen Informationen zu
Prävention und Therapiemaßnahmen.
Mikronährstoffe
Hyperhomocysteinämie
www.dach-liga-homocystein.org
Die D.A.C.H.-Liga-Homocystein e.V. informiert
über die Bedeutung des Homocysteins als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Hämochromatose
www.eiseninfo.de
Auf ihrer Webseite bietet die Eisenstoffwechselambulanz des Universitätsklinikums HamburgEppendorf viele verständliche Informationen
rund um den Eisenstoffwechsel des Menschen.
www.haemochromatose.org
Die Webseite der Hämochromatose-Vereinigung
Deutschland e.V. bietet Betroffenen umfangreiche Informationen über die Krankheit, Adressen von Hämochromatose-Ambulanzen, ein
Forum für Kontakte und Patientengeschichten
sowie zahlreiche weiterführende Links.
Fette
Adipositas
www.kompetenznetz-adipositas.de (ab 2009)
bis 2009 unter folgender Adresse:
www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/2042.php
Die Wissenschaftler im Kompetenznetz Adipositas konzentrieren sich auf die Erforschung von
75
Ursachen und Risikofaktoren der Adipositas, der
Vermeidung der Krankheit in der Kindheit und
bei Erwachsenen, der Gewichtskontrolle, der Intervention sowie auf eine Langzeitbeobachtung
von Patienten und die Frage, wie das Gehirn, der
Darm und die Hormonsteuerung an der Entwicklung von Adipositas beteiligt sind.
www.adipositas-online.de
Die Webseite bietet aktuelle Nachrichten zum
Thema Adipositas für Diätassistenten, Ernährungswissenschaftler und Psychologen. Auch
Patienten finden viele Informationen und Veranstaltungshinweise.
www.lipid-liga.de
Webseite der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und
ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e. V.
mit einer ärztlichen Online-Beratung.
www.adipositas-gesellschaft.de
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft bietet
Patienten, Medizinern und Entscheidern aus dem
Gesundheitswesen ein breites Forum, sich über
wissenschaftliche, gesundheitspolitische oder
patientenbezogene Aspekte der Krankheit zu
informieren.
www.netzwerk-apd.de
Webseite der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diätetik (ADP) mit interessanten Links und
Informationen.
Literatur im Netz
http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/
_media/BMBF_Ernaehrung.pdf
Zusammenfassung des Presseworkshops der
Gesundheitsforschung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF), 2006
http://www.paediatrie-hautnah.de/archiv/
2005/08/ph0508_12.pdf
Artikel in Pädiatrie hautnah, 2005 über
Störungen im Aminosäurehaushalt
http://www.aerzteblatt-student.de/
doc.asp?hl=x&docid=104006
http://www.aerzteblatt-student.de/
doc.asp?docid=107409
Artikel über die Inselzelltransplantation im Deutschen Ärzteblatt, 2006 bzw. 2008
http://www.aerzteblatt.de/V4/archiv/
artikel.asp?id=32446
Artikel über Stoffwechselerkrankungen im
Säuglingsalter, Deutsches Ärzteblatt, 2002
76
REGISTER
Register
A
G
Adenosin-DesaminiaseMangel
43
Adipositas (Fettleibigkeit)
4, 57,
60ff, 65, 67, 70
Adipozyten
60f
Ahornsirupkrankheit (MSUD) 4,
25, 30f, 34
Albinismus
4, 32f
Allopurinol
38, 40f
Aminosäuren 2, 9, 25f, 35, 39, 48,
67
Augenzittern
32f
Galaktosämie
4, 22f, 34
Galaktose
9, 15, 22f
Gehirn
7, 9, 15, 22f, 25, 28ff, 33,
47, 49, 53, 59, 61, 64, 68
Gicht (Hyperurikämie) 4, 37f, 40f
Guthrie
28, 34
B
Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5,
13, 48f, 55, 60, 64, 70
Homocystein
48f
Hypercholsterinämie
4, 30, 64
Hyperhomocysteinämie
4, 48f
Hyperurikämie (s.Gicht)
Hypourikämie
41
Basistherapie
16
Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 3,
11, 16, 18ff, 50, 59
Bauchspeicheldrüse,
künstliche
18
Betazellen
11f, 16f, 19ff
Beuys, Joseph
58
Blutzucker
9ff, 60, 62, 72
Body Mass Index (BMI)
60, 62f
Bundes-Gesundheitssurvey 53f
C
Cholesterin
4, 7, 26, 57, 60f, 62ff
D
Darmwand
Depression
Diabetes (div. Typ)
Doping
2, 27, 50, 71
14
4, 9ff, 33, 51,
55, 60, 62ff, 70ff
33
E
Eisen
45f, 50f, 53, 55
Eisenspeicherkrankheit
(Hämochromatose) 4, 45, 50f
Eletrospray-IonisationsSpektrometer
35
Energiestoffwechsel
2f, 37, 47,
66f, 73
Entkopplerproteine
67
Entomophagie
24
H
Hämochromatose
(s. Eisenspeicherkrankheit)
Harnsäure
38ff
Hepcidin
50f
I
Immunreaktion
16, 21
Immunsuppression
20f
Inkretine
16
Inkretinmimetika
16
Inselorgan
11
Inselzellen
11, 19ff
Inselzelltransplantation
19ff
Insulin 3, 10ff, 16ff, 33, 50f, 55, 60,
63, 68f
Interleukinblocker
16f
L
Laktase
Laktose (Milchzucker)
3f, 15
3f, 7, 9, 15,
70, 73
Laktoseintoleranz
15
Langerhanssche Inseln
11,19, 21
Leber
5,11ff, 16, 19ff, 28f, 32, 43,
45f, 50f, 59, 64 , 66f, 70, 72
Lebertran
55
Leptin
4, 68f
M
Mangelerscheinungen
F
Fettleibigkeit (s. Adipositas)
Folsäure
7, 46, 49, 53ff, 67
Massenspektrometrie
Melanin
4f, 29,
45f, 53ff
35
32f
Metabolisches Syndrom 4, 62f, 71
Milchzucker (s. Laktose)
N
Nährstoffzufuhr,
empfohlene
6f, 70
Nahrungsergänzungsmittel 46
Nervensystem, Zentral22f, 28,
37, 42f, 49, 60
Neugeborenenscreening
3, 28,
34f
Niere
2, 12f, 20, 22, 31, 33, 37,
39ff, 45f, 48, 50, 52, 70
Nukleinsäuren
2, 4, 37, 40, 42
Nutrigenomik
70ff
P
Pankreas
(s. Bauchspeicheldrüse)
Phenylalanin
3, 28f
Phenylketonurie (PKU) 3f, 25, 28f,
34
Phosphatmangel
52
R
Rachitis
4f, 52f, 55
S
Sättigungsregulation
Schilddrüse
Schwerer Kombinierter
Immundefekt (SCID)
Single Nucleotide
Polymorphism (SNP)
68
47
43
65, 71
T
Tyrosin-Haarwurzeltest
32
U
Übergewicht (s. Adipositas)
V
Vitamin B
Vitamin D
Vitamintabletten
49f, 54
5f, 53ff
46
XYZ
Xanthinurie
Zöllner, Nepomuk
41
37f
Impressum
Herausgeber
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Gesundheitsforschung
11055 Berlin
Bestellungen
schriftlich an den Herausgeber
Postfach 30 02 35
53182 Bonn
oder per
Tel.: 01805 - 262 302
Fax: 01805 - 262 303 (0,14 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz)
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bmbf.de
Redaktion und Bildredaktion
Science&Media,
Büro für Wissenschafts- und Technikkommunikation, München
Autoren
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Berthold V. Koletzko, München
Jo Schilling, Wriedel
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Gestaltung
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Druckerei
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privat; S. 7: J. Thurau; S. 8: T-thaler/dreamstime.com; S. 10: U. Thurm/privat; S. 11:
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Library/Agentur Focus; S. 20: G. Maki/PLoS Medicine; S. 21: M. Brendel/Medizinische
Klinik und Poliklinik III/Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort
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Focus; S. 31: Dr. D. Klee/Uniklinikum Düsseldorf; S. 32: Paula Cobleigh/dreamstime.
com; S. 33: Drazen Vukelic/dreamstime.com; S. 34: Charles Nieuwenboom/
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Okapia (o.), Siemens (u.); S. 41: Prof. A. Hesse; S. 42: Mitar Holod/dreamstime.com;
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Genzyme); S. 48: Illustration: V. Kintzel (nach Broschüre D.A.C.H.-Liga) (li), A1
PIX/BIS (re.); S. 50: Universitätsklinikum Ulm; S. 51: Yakobchuk/dreamstime.com
(Hinterleger), FIZ Chemie Berlin (Molekül); S. 52: A1PIX/BIS; S. 53: Eric Gevaert/
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Bilderdienst/Voller Ernst (re.u.); S. 56: W. Cimbal/Stock Food; S. 58: picture-alliance
(2); S. 59: picture-alliance; S. 61: www.bilderbox.com; S. 62: PT DLR/BMBF; S. 64: Dario
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S. 65: F. Hoffmann-La Roche AG (re.); S. 66: F. Hoffmann-La Roche AG; S. 67: Science
Photo Library/Agentur Focus (li.), Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE)
(re.); S. 68: Jason Stitt/dreamstime.com; S. 69: Science Photo Library/Agentur Focus;
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Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unentgeltlich abgegeben. Sie ist nicht zum
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Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an
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Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung.
Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift
der Empfängerin/dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen
Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die
als Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen
verstanden werden könnte.
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