NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Seite 166 Friedhelm Krupp & Uwe Zajonz Korallenriffe im Klimawandel Korallenriffe gehören zu den artenreichsten Ökosystemen unseres Planeten. Sie sind von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung für Fischerei, Tourismus, Küstenschutz und die Gewinnung pharmazeutischer Rohstoffe. Seit Jahrzehnten sind Korallenriffe bereits bedroht und ihr Niedergang wird durch die einsetzende globale Erwärmung und Versäuerung der Meere nun zusätzlich beschleunigt. Es ist zu befürchten, dass viele Korallenarten bald aus den Riffgebieten der Erde verschwunden sein werden. Die verbleibenden Riffgemeinschaften werden wesentlich artenärmer sein als die heutigen und ihre Ökosystemleistungen geringer. Kann dieser Entwicklung noch Einhalt geboten werden? Das Jahr 2008 wurde zum Internationalen Jahr des Riffes ausgerufen, um die Weltöffentlichkeit auf diese dramatischen Entwicklungen aufmerksam zu machen. S Abb. 1 Detailansicht einer Kolonie von roten Hornkorallen mit weißen Polypen, Rotes Meer Fotos, wenn nicht anders angegeben, Friedhelm Krupp. ....... 166 Korallenriffe, deren Erbauer winzige, koloniebildende Polypen sind (Abb. 1), gehören zu den produktivsten und vielgestaltigsten Lebensgemeinschaften der Erde. Sie beherbergen eine Unmenge an Tier- und Pflanzenarten, die dort Nahrung finden, sich auf oder in Korallen ansiedeln, fortpflanzen und damit ein komplexes, artenreiches und dynamisches Ökosystem bilden. Als produktive Oasen in nährstoffarmen tropischen Zonen der Ozeane (Abb. 2) sind sie die einzigen Lebensräume im Meer, deren Artenvielfalt mit derjenigen tropischer Regenwälder ver- gleichbar ist. Obwohl sie weniger als ein Prozent des Meeresbodens bedecken, beherbergen sie ein Viertel aller Tierarten im Meer. Durch menschliche Aktivitäten bereits stark geschädigt, werden sie nun von der globalen Erwärmung und Versäuerung der Ozeane in ihrer Existenz bedroht. Der im 21. Jahrhundert erwartete Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxids und der Temperaturen übertrifft denjenigen der letzten 420 000 Jahre, des Zeitraums, in dem sich die meisten heutigen Meeresorganismen entwickelten. Natur und Museum 138 (7/8) 2008 NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Die Internationale Korallenriff-Initiative (International Coral Reef Initiative, ICRI), ein Dachverband von Staaten und Organisationen, die sich der Erforschung und des Schutzes von Korallenriffen annehmen, hatte erstmals das Jahr 1997 zum Internationalen Jahr des Riffes (International Year of the Reef, IYOR) erklärt (GINSBURG & KIENE 1997, LEINFELDER & BRÜMMER 1997). Die erfolgreiche Initiative wird nun in diesem Jahr wiederholt, wobei die deutschen Aktivitäten vom Museum für Naturkunde in Berlin koordiniert werden (www.iyor2008.de). Hauptziel ist es, das öffentliche Bewusstsein über die Bedeutung der Korallenriffe und deren Gefährdung zu stärken. Dies geschieht durch Workshops, Ausstellungen, öffentliche Vorträge, Broschüren, Fernsehdokumentationen sowie Veranstaltungen in Zoos und öffentlichen Aquarien. Ökosystem Korallenriff Korallen bilden die größten Kolonien des Tierreiches. Sie sind dazu in der Lage, weil so genannte Zooxanthellen – mikroskopische, Photosynthese betreibende Algen, die als Symbionten in ihrem Gewebe leben – sie mit über 90 % ihres Energie- und Nahrungsbedarfs versorgen. Diese befähigen ihren Wirt, große Mengen an Kalk in dessen Skelette einzulagern, welche die Grundstruktur des Riffes bilden. Riffe setzen sich also aus biologischen und geologischen Komponenten (lebende Korallengemeinschaften und Riffgerüst) zusammen. Die Gerüste können sich mit der Zeit zu ausgedehnten Riffen entNatur und Museum 138 (7/8) 2008 Seite 167 wickeln, die eine je nach Lage und Umweltfaktoren typische Zonierung hervorbringen (SCHUHMACHER 1976, FLÜGEL 1997, BUDDEMEIER et al. 2004; Abb. 4). Das Riff ist ein komplexes Ökosystem aus Riffbildnern (vor allem den Steinkorallen, aber auch Kalkalgen und Moostierchen) und einer außerordentlichen Vielfalt an zumeist hoch spezialisierten Riffbewohnern wie Weichkorallen, Schwämmen, Borstenwürmern, Mollusken, Krebsen, Stachelhäutern, Seescheiden und Fischen, welche die große Zahl der ökologischen Nischen besetzen, die das Riff bietet (Abb. 3 und 5–7). Nicht wenige von ihnen tragen einen Teil der von den Riffbildnern errichteten Riffstruktur mechanisch wieder ab bzw. setzen diese metabolisch um (Bioerosion), so dass ein Riff ein hoch dynamisches System darstellt. Von den Ökosystemleistungen des Riffes profitieren aber nicht nur Meeresorganismen. Durch eine enge Vernetzung der Nahrungs- und Energie- W Abb. 2 Die Insel Karan im Golf, Saudi Arabien, ist von einem ausgedehnten Korallenriff umgeben. S Abb. 3 Dieser Anemonenfisch (Amphiprion clarkii) ist ein typischer Riffbewohner, der in Symbiose mit einer Seeanemone lebt. Golf, Insel Karan, Saudi Arabien. b Abb. 4 Strukturelle Gliederung eines Küstensaumriffs. Zeichnung: Pascale VantieghemSymens, Bearbeitung Eveline Junqueira. 167 ....... NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Seite 168 X Abb. 5 Riffhang im Roten Meer mit Fahnenbarschen. Sanganeb, Sudan. flüsse zwischen Riffen und benachbarten Küsten-Ökosystemen kommen diese den Organismen und Lebensgemeinschaften des Küstenbereichs, darunter nicht zuletzt auch den Menschen zugute (BUDDEMEIER et al. 2004). Heute wie in der Erdgeschichte wird die Ausprägung von Korallenriffen ganz entscheidend vom Klima bestimmt. Die meisten Korallen gedeihen nur im flachen Wasser mit ausreichend Sonnenlicht, bei Wassertemperaturen von 18–30 °C. Weiterhin wird die Verbreitung der Riffe von Salzgehalt, Nährstoffgehalt, Transparenz des Wasserkörpers, Strömungen und einer Reihe weiterer Faktoren bestimmt. So sind Korallenriffe mit wenigen Ausnahmen auf tropische Breitengrade zwischen 30 °N und 30 °S der indopazifischen und atlantischen Riffprovinzen beschränkt. Diesen beiden Meeresbecken sind X Abb. 6 Riffblock mit Schwämmen, Weichkorallen und Hornkorallen. Rotes Meer, Sanganeb, Sudan. X Abb. 7 Mit ausgebreiteten Fangarmen filtert dieser Federstern Plankton aus der Strömung. Lifou, Neukaledonien. ....... 168 Natur und Museum 138 (7/8) 2008 NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Seite 169 prozesse nachzuvollziehen und damit rezente Entwicklungen zu interpretieren. Besonders bemerkenswert ist das Fehlen von Fossilien von Riffbildnern während der unteren Trias (vor ca. 240 Mio. Jahren) und des unteren Känozoikums (vor ca. 65 Mio. Jahren), als atmosphärische Konzentrationen von Kohlendioxid drastisch anstiegen und um ein Vielfaches höher waren als heute. Korallen überlebten das Massenaussterben, offensichtlich aber nur Arten, die keine Kalkskelette bildeten (HOEGH-GULDBERG et al. 2007). Wann immer während der Erdgeschichte Riffe verschwanden, bedurfte es in der Folge mehrerer Millionen Jahre, bis sich ähnlich komplexe Systeme mit vergleichbarer Diversität und ökologischer Funktionalität neu entwickelten. W Abb. 8 Aufgrund von Meeresspiegelschwankungen während der Erdgeschichte liegt diese fossile Kolonie einer Hirnkoralle (Platygyra sp.) heute über dem Wasserspiegel. Golf von Aden, Insel Abd al-Kuri, SokotraArchipel, Jemen. b Abb. 9 Im kristallklaren Wasser der Insel Lifou, Neukaledonien, sieht man lebende Riffe, darüber die unterspülte Kante eines fossilen Riffs. nur wenige Arten gemein und mit 85 % der Rifffläche und Artenvielfalt sind indopazifische Riffe unvergleichlich bedeutender als diejenigen des Atlantik. Der westliche Zentralpazifik ist dabei das globale Zentrum der Riffdiversität (VERON 1995). Riffe im Wandel der Erdgeschichte Seit zwei Milliarden Jahren gibt es Riffe. Die Erdgeschichte ist seither geprägt von einem fortlaufenden Wandel der Gemeinschaften von Riffbildnern und Riffbewohnern. Zunächst wurden Riffe hauptsächlich durch Bakterien und Algen, dann durch Schwämme, später durch Kalkalgen, Korallen und andere Organismen gebildet. Oft kam es zu Einschnitten und Krisen in der Riffentwicklung, die durch einen markanten Wechsel der Gemeinschaften der Riffbildner gekennzeichnet waren. Stets überdauerten einige Organismen, zum Teil auf kleine Restpopulationen zusammengeschrumpft, solche Krisen und bildeten den Keim neuer, besser angepasster Riffgemeinschaften (FLÜGEL 1997, VERON & PHINNEY 2006). Die Evolution der Riffe ist somit ein langwieriger Prozess von Veränderungen der Rifftypen und riffassoziierten Organismen. Geowissenschaftliche Daten, die in fossilen Riffen (Abb. 8, 9) überliefert wurden, erlauben es, diese AnpassungsNatur und Museum 138 (7/8) 2008 169 ....... NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 S Abb. 10 Der illegale Verkauf von Korallen und anderen Riffbewohnern als Souvenirs ist immer noch weit verbreitet, wie hier auf einem Markt in Djibuti. b Abb. 11 In vielen Ländern der Tropen ist die Rifffischerei ein wichtiger Wirtschaftszweig. Oftmals werden alle Fische unabhängig von ihrer Größe genutzt, was die Fischbestände extrem gefährdet. Hainan, Südchina. ....... 170 14:15 Uhr Seite 170 Nutzung und Gefährdung der Riffe Riffe sind von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung. Schon immer nutzten Küstenbewohner der Tropen die Ökosystemleistungen der Korallenriffe. Zu Zeiten der Tauchpioniere unter den Meeresforschern wie HANS HASS und JEAN JACQUES COUSTEAU erschienen Riffe noch als eine unerschöpfliche Ressource der Natur. Heute ist uns bewusst, dass sie die stark bedrohte Existenzgrundlage für viele Millionen Menschen bilden. Sie liefern Nahrung, Rohstoffe für die Pharmaindustrie, locken jährlich Millionen von Tauchtouristen in die Tropen und schützen Küsten vor Erosion. Nicht zuletzt binden biogene Riffe als Kalziumcarbonat einen erheblichen Teil des globalen Kohlendioxids, bekanntermaßen eines der klimaschädlichsten Gase. Umso erstaunlicher ist es, dass ihr bereits vor Jahrzehnten einsetzender Niedergang von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet wurde. Nach Schätzungen von Riffforschern sind bereits 60 % der Riffe geschädigt. Die Gründe sind vielfältig: Immer noch werden bei der Landgewinnung für Städtebau, Industrie und Tourismusprojekte Korallenriffe zugeschüttet. Baumaßnahmen im Küstenbereich gehen mit einem Sedimenteintrag einher, der auch umgebende Riffe erstickt und Wasserströmungen verändert. Vielen Entwicklungsprojekten, vor allem in Ländern der Tropen, liegen keine oder nur unzureichende Umweltverträglichkeitsprüfungen zugrunde. Gesetzliche Bestimmungen werden oft ignoriert. Das Einleiten von nicht oder ungenügend behandelten Abwässern ins Meer zerstört Korallen durch den Eintrag von Nährund Schadstoffen. Der illegale Handel mit Korallen und anderen Rifforganismen (Abb.10) floriert weltweit. Auch in entlegenen Gegenden der Erde bestimmen heute Weltmarktpreise, welche Fischereiressourcen ausgebeutet werden. Sind große Exemplare von Fischen erst einmal weggefangen, nutzt man zunehmend Jungtiere (Abb. 11). Der Chance beraubt, das Fortpflanzungsalter zu erreichen, droht dann die Ausrottung. An vielen Küsten sind lokale Populationen begehrter Arten bereits zusammengebrochen. Destruktive Fischereimethoden wie das Fischen mit Netzen (Abb. 12), Dynamit und Kaliumzyanid tragen zur Zerstörung der Riffe bei. Bei Ebbe waten vielerorts Scharen von Menschen über das Riffdach auf der Suche nach Essbarem und danach werden mitunter Schweine ins Riffwatt getrieben, welche die wenigen noch verbliebenen Organismen fressen (Abb. 13). Überbevölkerung, oftmals verbunden mit Armut, lässt den Menschen vielerorts keine andere Wahl. Nur wenn es gelingt, die Armut in vielen Küstenregionen der Tropen nachhaltig einzudämmen, ist diese Entwicklung aufzuhalten. Ein Hauptproblem bleibt das unzureichende öffentliche Bewusstsein über die Bedeutung von Korallenriffen, deren Bedrohung und die weltweiten Folgen dieser Entwicklung (KRUPP 1998, SCHUHMACHER & EISINGER 2005). Natur und Museum 138 (7/8) 2008 NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Seite 171 W Abb. 12 Die Fischerei mit Netzen gefährdet die Riffe. Netze, die sich im Riff verfangen und von den Fischern aufgegeben werden, fischen weiter, ohne dass die Ressourcen genutzt werden („ghost fishing“). Golf, Insel Kurain, Saudi Arabien. Klimawandel und Korallensterben Viel weitreichender als alle im vorhergehenden Kapitel aufgelisteten Bedrohungen sind die Auswirkungen von zwei sich in neuerer Zeit dramatisch verstärkenden Faktoren: die globale Erwärmung und die Versäuerung der Meere. Korallenlarven siedeln sich nur dann in einem potenziellen Riffgebiet an, wenn sie keinen chronischen Stressfaktoren ausgesetzt sind (WILKINSON et al. 1999, HOEGHGULDBERG et al. 2007). Zu diesen gehören etwa ungewöhnlich hohe oder niedrige Wassertemperaturen, Schwankungen im Salzgehalt und Schadstoffe. In bereits vorhandenen Riffen verlassen die Zooxanthellen unter diesen Bedingungen das Korallengewebe oder sterben ab. Damit verliert der Polyp seine typische grau-grüne Färbung und das weiße Skelett scheint durch. Dieser Prozess wird als Korallenbleiche („Coral Bleaching“) bezeichnet. Es ergibt sich ein ähnliches Bild wie nach der Abweidung von Korallen durch Fressfeinde (Abb. 14). Da die Koralle nun ihre „Energiefabrik“ verloren hat, werden Polypenwachstum, Skelettbildung und Fortpflanzung erheblich reduziert oder eingestellt. Korallen erholen sich normalerweise von kurzzeitigem Bleichen. Halten die erhöhten Temperaturen jedoch über längere Zeiträume an, sterben die Korallen ab. In den Jahren 1997/1998 erlitten Korallen rund um die Welt das bisher größte nachgewiesene Bleichen, gefolgt vom Absterben Natur und Museum 138 (7/8) 2008 vieler Korallenkolonien. Im extremen Flachwasser des Indischen Ozeans starben mehr als 90 % der Korallen aufgrund erhöhter Temperaturen. Umfangreiches Korallenbleichen wurde erneut 2002 und 2007 beobachtet. Besonders stark betroffen waren verzweigt wachsende Korallenarten, wie etwa die Vertreter der Gattung Acropora. Sobald eine Koralle abgestorben ist, wird das Skelett von anderen Organismen besiedelt. Solange die Riffstruktur erhalten bleibt, bietet sie Riffbewohnern weiterhin Unterschlupf. Erodiert das Riff jedoch und zerfällt schließlich zu Korallenschutt, so verschwinden diese Organismen (Abb. 15). Korallen reagieren allerdings auf unterschiedliche Weise auf erhöhte Temperaturen und mittlerweile gibt es auch Berichte von unerwarteten Anpassungen (z. B. RIEGL 2003). Der Eintrag von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre hat nicht nur die Temperatur, sondern auch den Säuregehalt der Ozeane verändert. Etwa 25–30 % der globalen industriellen Emissionen an Kohlendioxid werden vom Meer absorbiert. Vom Beginn der industriellen Revolution bis heute wurde der pH-Wert der Meere um 0,1 Einheiten reduziert. Nun ist mit einem weiteren dramatischen Abfall um 0,3–0,4 Einheiten zu rechnen. Durch die Bildung von Kohlensäure werden den Korallenriffen die lebenswichtigen Karbonate entzogen, die sie zum Aufbau ihrer Kalkskelette benötigen – derzeit die wohl größte Gefahr für den Fortbestand der 171 ....... NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr Seite 172 X Abb. 13 Nachdem Menschen das Riffwatt nach Nahrung abgesammelt haben, werden Schweine hineingetrieben, die den letzten verbleibenden Lebewesen den Garaus machen. Hainan, Südchina. X Abb. 14 Infolge der Weideaktivität der korallivoren Schnecke Drupella cornus ist nur noch das weiße Skelett der Korallen übrig geblieben. Rotes Meer, Insel Uqban, Jemen. Foto: M. Eisinger. b Abb. 15 a/b Links: Riff im Golf bei der Insel Jana, Saudi Arabien, 1993 vor dem ersten Korallenbleichen. Rechts: Der in Abb. 15 a gezeigte Riffabschnitt 2002 nach dem Korallenbleichen. Das Riff ist vollständig abgestorben. Werden bald die meisten Riffe weltweit so aussehen? ....... 172 Riffe. KENNEDY (2007) und HOEGH-GULDBERG et al. (2007) geben einen Überblick über die neuere Literatur zu diesem Thema und stellen eine Anzahl von Modellierungsversuchen vor, welche die zukünftige Entwicklung von Korallenriffen bei unterschiedlichen Klimaszenarien vorhersagen. Die sozioökonomischen Folgen der prognostizierten Entwicklungen werden dramatisch sein: Der Küsten-Fischerei wird vielerorts die Grundlage entzogen, mit den damit verbundenen Folgen für die Ernährung der Bevölkerung, Touristen bleiben aus, was zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führt, und durch den Verlust schützender Riffe sind viele Küsten der Erosion preisgegeben, wodurch wichtige Siedlungsgebiete verloren gehen. Sind die Riffe noch zu retten? Klimawandel ist grundsätzlich ein natürliches Phänomen, auch wenn dessen Ausmaß derzeit durch den Menschen entscheidend beeinflusst wird. So stellt sich die Frage: Kann man einem solchen Phänomen überhaupt entgegenwirken? Das Hauptproblem liegt darin, dass viele Korallen heute unter mehreren Stressfaktoren leiden, die sich mitunter gegenseitig verstärken und die gemeinsam zur Zerstörung der Riffe führen. So muss es Hauptziel von Management- und Rehabilitationsmaßnahmen sein, die negativen menschlichen Einflüsse auf ein Minimum zu reduzieren. Hier spielt etwa die Verringerung der Kohlendioxidemissionen eine entscheidende Rolle. Ein wirksames Manage- Natur und Museum 138 (7/8) 2008 NUM_07_08-RZ-neu 30.06.2008 14:15 Uhr ment ist nur dann möglich, wenn wir die Hauptkomponenten eines spezifischen Riffökosystems kennen und seine Strukturen und dynamischen Prozesse verstehen. Aber Schutzmaßnahmen können nicht warten, bis Forschungsarbeiten abgeschlossen sind oder sich an der politisch heiß umkämpften Front der Emissionsbegrenzungen etwas bewegt. Um einen sinnvollen Beitrag zum globalen Erhalt der Korallenriffe zu leisten, müssen lokale Stressfaktoren wie physische Zerstörung von Korallen, durch Abwässer reduzierte Wasserqualität, Überfischung und destruktive Fischereimethoden sofort bekämpft werden. Bereits solche Maßnahmen werden die Widerstandsfähigkeit von Korallen gegenüber Klimaveränderungen erhöhen. Zunehmend werden auch Restaurierungsmaßnahmen, vor allem in Form künstlicher Riffe diskutiert. Diese Initiativen bleiben jedoch heftig umstritten, da Aufwand und Nutzen oft weit auseinander klaffen. Künstliche Riffe sind sicherlich eine Option, will man vor einem Touristenhotel eine Attraktion für die Gäste schaffen. Angesichts des Ausmaßes des weltweiten Korallensterbens müssen solche Unterfangen in freier Natur jedoch ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben. Trotz aller Initiativen bleibt die Prognose für die Zukunft der Riffe düster. Werden wir durch unser heutiges Handeln kommenden Generationen die Chance nehmen, sich an der bizarren Schönheit intakter Korallenriffe Seite 173 (Abb. 16) zu erfreuen? Es fehlt weltweit an ernsthaftem politischen Willen. Nur wenn politische Entscheidungsträger unter dem Druck der öffentlichen Meinung bereit sind, jetzt drastische Gegenmaßnahmen einzuleiten, könnten Riffe noch eine Chance haben. So sind wir alle gefordert, uns am Internationalen Jahr des Riffes zu beteiligen, vor allem aber unsere privaten Aktivitäten und unser Konsumverhalten nachhaltig klimaverträglicher zu gestalten. Andernfalls bleiben uns nur noch Bilder, Filme und den Tauchern unter uns Erinnerungen an eine bessere Vergangenheit. b Abb. 16 Erfreulich intakte Rifflandschaft, die sich hier vorwiegend aus Feuerkorallen (Millepora sp.) zusammensetzt. Golf von Aden, Insel Sikha, Jemen. Foto: M. Eisinger. Schriften BUDDEMEIER, R. W., KLEYPOS, J. A. & ARONSON, R. B. (2004): Coral Reefs and Global Climate Change. – 42 S.; Pew Center on Global Climate Change, Arlington. FLÜGEL, E. (1997): Riffe heute und früher. Die Entwicklung eines Ökosystems in der geologischen Zeit. – Kleine Senckenbergreihe 24: 13–18. GINSBURG, R. N. & KIENE, W. (1997): The International Year of the Reef 1997. – Kleine Senckenbergreihe 24: 7–8. HOEGH-GULDBERG, O., MUMBY, P. J., HOOTEN, A. J., STENECK, R. S., GREENFIELD, P., GOMEZ, E., HARVELL, C. D., SALE, F., EDWARDS, A. J., CALDEIRA, K., KNOWLTON, N., M. EAKIN, C., IGLESIAS-PRIETO, R., MUTHIGA, N., BRADBURY, R. H., DUBI, A. & HATZIOLOS, M. E. (2007): Coral Reefs Under Rapid Climate Change and Ocean Acidification. – Science 318 (5857): 1737–1742. KENNEDY, D. (2007): Year of the Reef. – Science 318 (5857): 1695. KRUPP, F. (1998): Coral reefs in the Red Sea and Gulf of Aden threatened by bleaching and mortality. – Al-Sambouk 8: 9–11. LEINFELDER, R. & BRÜMMER, F. (1997): Das Internationale Jahr des Riffes 1997. – Kleine Senckenbergreihe 24: 9–12. RIEGL, B. (2003): Climate change and coral reefs: different effects in two high-latitude areas (Arabian Gulf, South Africa). – Coral Reefs, 22: 433–446. SCHUHMACHER, H. (1976): Korallenriffe, ihre Verbreitung, Tierwelt und Ökologie. – 275 S.; BLV Verlagsgesellschft München. SCHUHMACHER, H. & EISINGER, M. (2005): Welche Werte stehen auf dem Spiel? Riffe in Gefahr. – Biologie Unserer Zeit, 35 (3): 168–175 VERON, J. E. N. & PHINNEY, J. (2006): Corals and Climate Change: An Introduction. – Coral Reefs and Climate Change: Science and Management. Coastal and EstuarineStudies, 61: 1–4. VERON, J. E. N. (1995): Corals in Space and Time. – 321 S.; University of New South Wales Press, Sydney. WILKINSON, C., LINDEN, O., CESAR, H., HODGSON, G., RUBENS, J. & STRONG, A.E. (1999): Ecological and socioeconomic impacts of 1998 coral mortality in the Indian Ocean: An ENSO impact and a warning of future change? – Ambio 28 (2): 188–196. Stockholm. Natur und Museum 138 (7/8) 2008 Verfasser Dr. F. Krupp U. Zajonz Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg Senckenberganlage 25 D-60325 Frankfurt a. M. 173 .......