Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 204 19. Verhaltenstheoretische Persönlichkeitskonstrukte 19.1 GEMEINSAMKEITEN UND EINZELNE ANSÄTZE VERHALTENSTHEORETISCHER PERSÖNLICHKEITSFORSCHUNG: „Verhaltenstheorien“ = Ansätze zur Beschreibung menschlichen oder tierischen Verhaltens, im Rahmen oder im Anschluss an den von WATSON (1919) begründeten Behaviorismus entwickelt, daher: behavioristisch oder neobehavioristisch Unterarten des Behaviorismus (Bergius, 1977): • primärer Behaviorismus (Watson) • deskriptiver Behaviorismus (Skinner) • Neo-Behaviorismus: - 1. Generation: ¾ S-R-Verstärkungstheorie (Hull, Spence), ¾ S-S-Theorie des Zeichen-Gestalt-Lernens (Tolman, Lewin) - 2. Generation: ¾ liberalisierte S-R-Theorie (Dollard, Miller), ¾ sozialer Behaviorismus (Rotter, Bandura, Mischel, u.a. Wiederaufgabe des Zeichen-Gestalt-Lernens im Zusammenhang mit kognitivistischen Erklärungen der Selbstkontrolle) Allen Verhaltenstheorien gemeinsam = zentrale Betonung von Lernvorgängen; daher Bezeichnung „Lerntheorien“ (beschäftigen sich aber nicht nur mit dem Erlernen von Verhalten, sondern genauso mit der Aufrechterhaltung und der situationsspezifischen Steuerung des Verhaltens) Forschungsgegenstand = konkret beobachtbares, objektiv registrierbares Verhalten in möglichst genau definierten Situationen Forschungsmethode = präzis kontrolliertes Experiment wichtigste Gemeinsamkeit aller Verhaltenstheorien: Neben einigen wenigen angeborenen Reaktionen (unbedingte Reflexe; Pawlow) und mehr oder weniger zufälligen spontanen Aktivitäten (emitted responses, operants; Skinner) ist alles Verhalten gelernt und wird hauptsächlich gesteuert durch Umweltreize oder Umweltreizkonstellationen (elicited responses; Skinner). Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 205 gemeinsames Anliegen = Nachweis und theoretische Erforschung von Grundmechanismen des Erlernens spezifischer Verhaltensweisen, wie z.B. dem klassischen und operanten Konditionieren; Erforschung von Gesetzmäßigkeiten einer Verknüpfung verhaltenssteuernder Reize mit den entsprechenden Verhaltensweisen • sehr komplexes Verhalten des Menschen in komplizierter materieller und sozialer Umwelt lässt sich über Lernmechanismen und Lerngesetzmäßigkeiten erklärbar, vorhersagbar und beeinflussbar • Ablehnung von dispositionellen Konstrukten (z.B. Erbanlagen oder Eigenschaften) • Verhalten = situationsabhängig (nicht dispositionsbedingt) • interindividuelle Unterschiede werden ausschließlich aufgrund unterschiedlicher Lernerfahrungen Bei Verhaltenstheoretikern gibt es keine Persönlichkeitstheorien im engeren Sinn. ABER: einzelne Verhaltenstheoretiker beschäftigen sich mit Problembereichen, die vielfach zur Persönlichkeitspsychologie gerechnet wurden 19.2 DIE SOZIALE LERNTHEORIE DER PERSÖNLICHKEIT VON ROTTER: (1954) Große Bedeutung für die empirische Persönlichkeitsforschung Î viele Forschungsarbeiten zum Persönlichkeitsmerkmal „interne / externe Kontrollüberzeugung“ (locus of control) angeregt davon 19.2.1 Grundsätzliche Annahmen: Rotter: Persönlichkeit = Gefüge von Möglichkeiten zur Reaktion in bestimmten sozialen Situationen. Untersucht wird Verhalten • = Endprodukt aller persönlichen Erfahrungen • = zielorientiert Zentraler Begriff = „Verstärkung“ (= Handlungen, Zustände oder Ereignisse, die das zielgerichtete Verhalten einer Person beeinflussen). Dieser Einfluss kann sein: • verhaltensfördernd (positive Verstärkung, Belohnungen im weitesten Sinn) • verhaltenshemmend (negative Verstärkung; Bestrafungen im weitesten Sinn) Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 206 19.2.2 Grundkonstrukte: 4 Grundkonzepte der Rotter’schen Theorie = • • • • Verhaltenspotential (VP) Erwartung (E) Verstärkungswert (VW) psychologische Situation (S) Formel: VPX,S1,Va = f ( EX,Va,S1 X VWa,S1) Erklärung: o Verhaltenspotential VPX,S1,Va (= Wahrscheinlichkeit, dass Verhaltensweise X in der Situation S1 mit Aussicht auf eine Verstärkung Va auftritt) = Funktion f aus: - Erwartung EX,Va,S1,(Verhaltensweise X führt in der Situation S1 zur Verstärkung Va), und - Verstärkungswertes VWa,S1, (Wert der Verstärkung Va in der Situation S1 für die Person). o Das heißt: - - - In Situation S1 (Ziel = verschiedene Verstärkungen Va zu erhalten) hat jene Verhaltensweise X größtes Verhaltenspotential (d.h. größte Auftretenswahrscheinlichkeit) haben, für die die Erwartung (mit dem Verhalten X kann ich Va erreichen) und der Wert (von Va) am größten. Verhaltensweise, von der Person erwartet, dass damit Va nicht erreichbar ist, wenig wahrscheinlich sein. Verhaltensweise, mit der Va zwar erreicht werden könnte, Va für die Person jedoch keinen Wert hat, tritt eher nicht auf. o BEISPIEL: Fazit: Schüler, der weiß, dass er am nächsten Tag geprüft wird (S1), wird sich auf die Prüfung vorbereiten (X), wenn er erwartet, dass dies zu einer guten Note (Va) führt UND wenn gleichzeitig für ihn gute Noten einen hohen Wert darstellen. Wenn er jedoch nicht daran glaubt, dass sein Lernen die Prüfungsnote beeinflusst (EX,Va,S1 = 0), oder wenn ihm gute Noten gleichgültig sind (VWa,S1 = 0), dann wird er für diese Prüfung wahrscheinlich nicht lernen (VPX,S1,Va = 0). verhaltensbestimmende Variablen sind nach Rotters Theorie die kognitiven Variablen - „Erwartung einer Verstärkung“ und - „Verstärkungswert“ Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 207 Interindividuelle Unterschiede im Verhalten können resultieren aus: • unterschiedlichen Erwartungen in Bezug auf die Konsequenzen des Verhaltens • verschiedenen Einstellungen zu diesen Verhaltenskonsequenzen @ Erwartung: Unterscheidung von: spezifische Erwartungen: entstanden aufgrund von Erfahrungen mit speziellen, eng umschriebenen Situationen; beziehen sich auf ebendiese Situationen und sehr konkrete Verhaltensweisen generalisierte Erwartungen: entstanden aufgrund von Erfahrungen mit einer Vielzahl von speziellen Situationen, die aber über diese Situationen hinaus auf andere Situationen generalisiert wurden und vor allem in neuen Situationen, die von der Person nicht genau eingeschätzt werden können, zum Tragen kommen. Annahme: Personen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer generalisierten Erwartungen systematisch voneinander Î diese Unterschiede lassen Vorhersagen auf das Verhalten in verschiedenen Situationen zu. Î Diese Vorhersagen müssen aber nicht immer genau eintreffen, weil ja auch die spezifischen Erwartungen und die entsprechenden Verstärkungswerte mitbestimmen, welche Verhaltensweise eine Person an den Tag legen wird. Solche generalisierten Erwartungen sind: • Erwartung hinsichtlich des „locus of control of reinforcement“ (Rotter, 1966); im Deutschen meist „Kontrollüberzeugungen“; bezieht sich auf sehr breite Vielfalt von Verhaltensweisen und Verhaltenskonsequenzen • „interpersonal trust“ (= Ausmaß an Vertrauen, das man im Bereich sozialer Kontakte bereit ist, anderen entgegenzubringen) • Krampen (1987): Handlungstheoretisch orientierten Persönlichkeitspsychologie (im Mittelpunkt = ziel- und wertorientiertes Handeln von Personen) einige weitere generalisierte Erwartungen, wie z.B. Hoffnungslosigkeit, Selbstkonzepte, Verantwortungszuschreibungstendenzen, u.a. Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 208 19.2.3 Kontrollüberzeugungen: a) Vorbemerkungen: Deutsche Übersetzung „Kontrollüberzeugungen“ für LOC ist nicht sehr präzise. Kontrollüberzeugungen sind: generalisierte Erwartungen, bezüglich der Instanz („Locus“), die verantwortlich sein soll („Control für Konsequenzen [„Reinforcements] des eigenen Verhaltens). o internale KÜ: Instanz = handelnde Person selbst o externale KÜ: Instanz liegt außerhalb der eigenen Person, d.h. Ereignisse durch Zufall, Glück, Leute mit mehr Macht oder andere externale Bedingungen verursacht von Rotter konzipiert als dimensionales, kontinuierlich variierendes Merkmal, d.h. „Internale KÜ“ und „externale KÜ“ = 2 Pole auf dieser Dimension. Bezeichnung „Internale“ und „Externale“ = vereinfachte Sprachregelung, NICHT Ausdruck eines typologischen Konzepts Beginn der Forschung zu „KÜ“ als Persönlichkeitsmerkmal in den 60er Jahren, bereits Mitte der 60er Jahre mehr als 2000 Arbeiten dazu (Krampen, 1982) b) Experimentell induzierte Kontrollüberzeugungen: Erste Untersuchungen zum LOC (z.B. James, Phares): nicht generalisiserte Erwartungen bezüglich des LOC wurden untersucht, sondern situationspezifische, experimentell erzeugte Erwartungen. • chance-situation: Erzeugung von externalen KÜ dadurch, dass VPn in Instruktion Hinweis bekamen, dass die gestellte Aufgabe nur mit Glück und durch Zufall (=) gelöst werden könne. • skill-situation: Erzeugung von internalen KÜ dadurch, dass VPn in Instruktion Hinweis bekamen, Lösung der gestellten Aufgabe hänge von ihren Fähigkeiten ab Ergebnisse: • Wirkung des situativen LOC (chance vs. skill) auf die Reinforcement-Erwartung (z.B. Setzen von Spielmarken) Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A • 209 In Situationen, in denen von sich aus keine oder nur sehr unbestimmbare Erwartungen bezüglich des LOC ausgelöst werden, kommen dagegen eher die generalisierten Erwartungshaltungen als Persönlichkeitsmerkmal zum Tragen. Dafür wurde aber erst ein Messinstrument (= ROT-IE) entwickelt. c) Messung von Kontrollüberzeugungen als Persönlichkeitsmerkmal: Rotter I-E-Skala (1966): • = 1. systematisch konstruierter Fragebogen zur Erfassung von KÜ als Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer generalisierten Erwartungshaltung. • 32 Items (9 Füllitems, um den Zweck des Tests zu verschleiern): je 2 Aussagen mit internalem + externalem LOC; forced-choice (Itemauswahl so, dass möglichst niedrige Korrelation mit Social Desirability-Scale von Marlowe & Crowne) • Rotter I-E-Skala liegt den meisten Untersuchungen aus dem anglo-amerikanischen Raum zugrunde • unbedeutende Korrelationen mit Intelligenztests, kein Zusammenhang mit Extraversion, mittlerer Zusammenhang mit Ängstlichkeit und Neurotizismus Kritik am ROT-IE • Items zu stark auf Studenten und Personen mit hoher Schulbildung bezogen • Eindimensionalität des Kontrollüberzeugungs-Konzepts angezweifelt (Faktorenanalysen ergaben meist mehr als nur 1 Faktor; Rotter selber hat allerdings NIE eine FA gemacht…) [-> heute KÜ als mehrdimensionales Konstrukt (va. im deutschen Sprachraum, in Amerika auch heute noch vorwiegend Verwendung des ROT-IE, auch wenn es auch dort mehrdimensionale Fragebogen gäbe, wie z.B. den IPC von Levenson)] mögliche Differenzierungen des KÜ-Konzepts: Diskussionen darüber noch immer im Gange (vgl. Krampen, 1989) Levenson (1972) IPC-Skalen: • Differenzierungsvorschlag, der vor allem im deutschen Sprachraum Beachtung fand -> 2 unabhängig voneinander durchgeführte deutsche Bearbeitungen der IPC-Skalen (Krampen, 1979; Mielke, 1979) Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 210 3 Faktoren von KÜ: - I „internal controlorientation“ („Erwartung innerer Kontrolle“) - P „powerful others external control orientation“ (Erwartung externaler Kontrolle durch mächtigere Personen) - C „chance-control orientation“ (Erwartung externaler Kontrolle, weil im Lebens nichts vorhersagbar, sondern alles für Zufall, Glück oder Schicksal gehalten wird) Skalen = weitgehend unkorreliert [na ja, das ist aber doch eher ein „Gerücht“…], Jede Skala umfasst 8 Items (d.h. insgesamt 24 Items) sehr große Zahl von Messverfahren für KontrollüberzeugungsVariablen (für Erwachsene, für Kinder und Jugendliche, auch für verschiedene bereichspezifische Kontrollüberzeugungen) [im deutschsprachigen Raum am meisten eingesetzt wird FKK von Krampen] d) Neuere Entwicklungen Handlungstheoretisches Partialmodell der Persönlichkeit: (Krampen, 1987) = weitere Differenzierung des Rotterschen Ansatzes (Unterschied zu Roitter: KÜ als mehrdimensionales Konstrukt!); elaboriertes Beschreibungsund Vorhersagemodells für Handlungsintentionen und Handlungen Handlungen und Handlungsintentionen werden in diesem Modell zurückgeführt auf: (1) Situations-Ereignis-Erwartungen: = subjektive Erwartung der Person darüber, dass ein bestimmtes Ereignis in einer gegebenen Handlungs- oder Lebenssituation auftritt oder verhindert wird, ohne dass die Person selbst aktiv wird und handelt (2) Kompetenz-Erwartungen: = subjektive Erwartungen darüber, dass in der gegebenen Situation der Person Handlungsalternativen – zumindest aber eine Handlungsmöglichkeit – zur Verfügung stehen (3) Kontingenz-Erwartungen: = subjektive Erwartungen darüber, dass auf eine Handlung bestimmte Ereignisse folgen oder nicht folgen Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 211 (4) Instrumentalitätserwartungen: = subjektive Erwartungen darüber, dass bestimmten Ergebnissen oder Ereignissen bestimmte Konsequenzen folgen (5) subjektiven Bewertungen (= Valenzen) der Handlungsergebnisse (6) subjektiven Bewertungen (= Valenzen) der Folgen Auf allen Konstruktebenen finden Generalisierungen statt. Diese führen zu unterscheidbaren, situativ und zeitlich stabilen Persönlichkeits-variablen im Sinne von Traits, anhand deren Personen und interindividuelle Unterschiede beschrieben werden können: ad 1) Generalisierung der Situations-Ereignis-Erwartung führt dazu, dass in vielen Situationen drauf vertraut wird, dass auch ohne eigenes Zutun positiv bewertete Ereignisse auftreten und negativ bewertete Ereignisse verhindert werden. Person vertraut oder misstraut der Situationsdynamik = Vertrauen. ad 2) Generalisierungen der Kompetenz-Erwartungen bewirken, dass man sich in vielen Situationen als kompetent und handlungsfähig erlebt. = Selbstkonzept eigener Fähigkeiten. ad 3) Generalisierungen der Kontingenzerwartungen, die subjektive Erwartungen über die Kontrollierbarkeit von Ereignissen enthalten, die die zur Verfügung stehenden Handlungen betreffen = Kontrollüberzeugungen ad 4) Generalisierungen der Instrumentalitätserwartungen = Konzeptualisierungsniveau (= Ausmaß der kognitiven Durchdringung und das Verstehen von Handlungs- und Lebenssituationen und ihrer Dynamik) ad 5) Generalisierungen der auf Handlungsergebnisse, Ereignisse und Folgen bezogenen situationsspezifischen Valenzen = allgemeine Wertorientierungen und Lebensziele der Person. Ö in bekannten (bzw. gut strukturierbaren) Situationen: höherer deskriptiver und prognostischer Wert situations- und handlungsspezifischer Kognitionen (d.h. bereichspezifische Kontrollüberzeugungen) Ö in neuen (bzw. schlecht strukturierten ) Situationen: d.h. keine individuellen oder kollektive (i.S. sozialer Normen) Erfahrungen, daher: höherer deskriptiver und prognostischer Wert der handlungstheoretischen Persönlichkeitsvariablen (d.h. generalisierte Kontrollüberzeugungen) hoch. Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 212 Verfahren zur Erfassung der im Modell von Krampen postulierten Variablen = FKK (Krampen, 1991) e) Unterschiede zwischen Personen mit internalen und externalen Kontrollüberzeugungen: Kaum ein Bereich menschlichen Erlebens und Verhaltens wurde nicht mit KÜ als Persönlichkeitsmerkmal in Zusammenhang gebracht, daher: unüberschaubare Literatur zu KÜ… Untersuchungsansatz in vielen empirischen Arbeiten: Aufgrund eines Fragebogens zur Erfassung von KÜ als UV werden VPn nach Werten in eher externale und eher internale VPn aufgeteilt (Trennwert meist Mittelwert oder Median) VPn-Gruppen (Internale vs. Externale) werden dann bezüglich des interessierenden Merkmals (der AV) miteinander verglichen. [aber auch Dreiteilung und dann Vergleich der Extremgruppen] (1) Soziale Beeinflussbarkeit: Experimente (z.B. zum verbalen Konditionieren, zur Einstellungsänderung durch suggestive Informationen oder Äußerungen von angesehenen Personen) zeigten: o Externale: geben VL-Effekten oder sozialem Konformitätsdruck stärker nach o Internale: achten mehr auf den Inhalt der gegebenen Informationen und ziehen daraus Schlüsse für ihr eigenes Verhalten Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 213 (2) Informationssuche: Erwartung der Internalen, Konsequenzen des eigenen Verhaltens selbst steuern zu können, dürfte Grund dafür sein, dass Internale gezielter und kompetenter nach Informationen zur Lösung von Aufgaben und Problemen suchen und diese auch kompetenter auswerten. UNTERSUCHUNGEN DAZU: Seeman (1963): Merken von relevanten Infos VPn waren Strafgefangene; Internale merken sich Informationen über Vorschriften im Gefängnis und Möglichkeiten für eine Entlassung besser als Externale (trotz gleicher Inteligenz). Pines & Julian (1972): relevante vs. irrelevante Zusatzinfo bzw. Anwesenheit vs. Abwesenheit des VL o Internale konnten bei einer Lernaufgabe zusätzliche Informationen im Lernmaterial für eine Verbesserung ihrer Leistung ausnutzen, ABER: Irrelevante Zusatzinformation verschlechterte die Leistung der Internalen (Grund: Internale versuchen die Relevanz der Zusatzinformation zu prüfen, dadurch Schmälerung der Lernleistung) o bei Anwesenheit des VL erbrachten Externale bessere Leistungen, Internale eher schlechtere (aber sehr gering!) (war aber auch in anderen Untersuchungen so) andere Ergebnisse dazu: o Internale beachten beim Problemlösen stärker problembezogene Reize und versuchen diese zu verarbeiten als Externale Î Internale denken über schwierige Geschicklichkeitsoder Denkaufgaben länger nach als Externale (3) Kausalattribuierungstendenz: = Tendenz, bestimmte Ereignisse bestimmten Ursachen zuzuschreiben. • Externale neigen dazu, Unfälle eher den Umständen, Internale eher den Unfallbeteiligten zuzuschreiben. • Externale neigen dazu, eigenen Misserfolg dem Zufall zuzuschreiben, während Internale eigenen Erfolg auf eigene Fähigkeiten zurückführen; Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A ABER: 214 gilt nur, wenn Erfolg nicht allzu hoch und damit eher unwahrscheinlich ist (zu hoher und unwahrscheinlicher Erfolg wird auch von Internalen auf Glück/Zufall zurckgeführt) (4) Leistungsverhalten: • Internale zeigen gegenüber Externalen stärkere Leistungsorientierung und höhere Leistungen in verschiedenen Bereichen. Internale Kinder haben im Durchschnitt bessere Schulnoten positive Zusammenhänge zwischen Studienerfolg und Internalität (aber überall auch gegenteilige Ergebnisse) - • Internalität geht im Großen und Ganzen mit besseren akademischen Leistungen einher; Zusammenhang ist aber nur mittelstark und wird von verschiedenen anderen Variablen beeinflusst (z.B. Geschlecht: bei Männern ist der Zusammenhang größer) • Gründe für die besseren Leistungen der Internalen: - - - Internale bringen beim Lösen schwieriger, zeitraubender Aufgaben mehr Ausdauer auf als Externale, wenn Begabung (Skill-Bedingung) für den Lösungserfolg als wichtig erachtet wird; Externale investieren unter „ChanceInstruktion“ mehr Zeit Internale haben bessere Strategien, relevante Informationen für Problemlösungen zu suchen Bereitschaft zum Belohnungsaufschub („delay of gratification“) als mögliche Bedingung für Leistungserfolg und ihr Zusammenhang mit KÜ: ¾ Internale sind eher bereit, kleinere Belohnung zugunsten einer größeren, die aber erst später erreichbar ist, zurückzustellen - höhere Intelligenz der Internalen; höhere Motivation bei Internalen (beides könnte für die besseren Leistungen verantwortlich sein) (Krampen, 1987). Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 215 (5) Gesundheitsbezogenes Verhalten: Kontrollierbarkeit von Lebensumständen im Allgemeinen und Gesundheit/Krankheit im Besonderen hat hohen Einfluss auf physische und psychische Gesundheit. Erfassung von Kontrollüberzeugungen im Bereich Gesundheitsverhalten auf 3 Ebenen: generalisierte KÜ gesundheitsbezogene KÜ (bereichspezifisch) auf spezielle Krankheiten / Gesundheitsbereiche bezogen Für jeden Bereich gibt es eine Vielzahl von Verfahren Î Heterogenität der Messinstrumente ist Quelle für Widersprüchlichkeit in den Befunden… Î Gefundene Korrelationen lassen auch keine Interpretation von gerichteten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zu 4 Forschungskomplexe: (a) KÜ als Korrelate von Gesundheit und Krankheit: Hier zeigt sich Zusammenhang zwischen KÜ und objektiver aber auch selbst eingeschätzter Gesundheit: • Externale berichten mehr über gesundheitliche Probleme und Krankheitssymptome, sind anfälliger für Schmerzen • Internale sind allgemein zufriedener, weniger depressiv, weniger neurotisch, weniger ängstlich (b) KÜ als Moderatoren von Stressauswirkungen: Moderierende Auswirkungen von KÜ auf Zusammenhang zwischen Stressbedingungen und BewältigungsVerhalten wurde vielfach empirisch nachgewiesen: • Internale leiden weniger unter Stress, verwenden andere Coping-Strategien • Negative Veränderungen der Lebenssituation wirken sich vor allem bei Externalen aus -> höhere Depressivität, höhere Ängstlichkeit (c) Vorhersagewert von KÜ: Internale KÜ erlaubt Vorhersage von präventivem, gesundheitsbezogenem und gesundheitsverbesserndem Verhalten; bei Externalen ist es wichtig, dass soziale Umwelt einen entsprechenden Einfluss auf die Person ausübt. Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 216 • Internale rauchen weniger, geben Rauchen leichter auf, halten Gewichtsreduktionsmaßnahmen besser durch, achten mehr auf Empfängnisverhütung, bei Schwangerschaft aktivere Geburtsvorbereitung • Internale wissen mehr über Krankheiten und gesundheitsbezogenes Verhalten, suchen stärker nach diesbezüglichen Infos • Internale sind motivierter zur Krankheitsbewältigung, optimistischer über Wirksamkeit von Hilfe, beteiligen sich aktiver und erfolgreicher an Behandlung (d) Entstehen von KÜ im Krankheitsfall: Nach Lohaus (1992) wichtige Faktoren hier sind: • Art der Erkrankung: Zusammenhang zwischen KÜ und bestimmten Erkrankungen wurde erforscht, z.B. für Diabetes, Asthma, Essstörungen, hier: - Anorektiker = eher internal - Bulimiker = eher external • Häufigkeit von Erkrankung: positive Beziehung zwischen Häufigkeit und sozialer Externalität, d.h. sozial Externale sind öfter krank (bestätigt aber nur für Frauen) [es könnte natürlich aber auch so sein, dass jemand der mehr krank ist, höher sozial external wird, weil das Ganze ja eine Korrelation ist und ich bei Korrelationen ja nie weiß, was Ursache und was Wirkung ist!] • Schweregrad der Erkrankung: mit Zunahme des Schweregrades Abnahme der Internalität z.B. bei Rheuma (Grund: tatsächliche Kontrollmöglichkeiten werden mit zunehmender Bewegungsbehinderung immer geringer) • Dauer der Erkrankung: je länger Krankheit dauert, desto höher wird die soziale Externalität; Nachweis dafür vor allem bei chronisch Kranken (Grund: lange Krankheitsdauer bedeutet mehr soziale Abhängigkeit) Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 217 f) Die Entstehung von Kontrollüberzeugungen: relativ wenige Untersuchungen dazu. Die meisten beschäftigen sich mit der Frage, welches Erziehungsverhalten internale KÜ begünstigt -> widersprüchliche Ergebnisse. Untersuchungen, in den Erwachsene retrospektiv über das Erziehungsverhalten ihrer Eltern befragt wurden, gaben internale Erwachsene immer an, von ihren Eltern mit warmem, positivem, konsistentem, akzeptierendem und fürsorglichem Erziehungsstil erzogen worden zu sein, ohne Feindseligkeit und Überbesorgtheit bei geringer Kontrolle und viel Lob für Eigenständigkeit. Auch an Kindern selbst fand man Zusammenhang zwischen Internalität und beobachteten Interaktionsweisen zwischen Eltern und Kindern: Eltern von internalen Kindern zeigten mehr Wärme, Unterstützung und lobendes Verhalten, weniger Kontrolle, Kritik und Distanz LÄNGSSCHNITTUNTERSUCHUNG von Crandall (1973) zur Entstehung von KÜ: untersucht wurden die Altersstufen 0 – 3, 3 – 6 und 6 – 10 Jahre und in Beziehung gesetzt zu den KÜs der VPn im frühen Erwachsenenalter. Ergebnisse: - - Internale waren früh zur Selbstständigkeit angehalten worden. Folge: mehr Kontakt zu Gleichaltrigen, bewussteres Kennenlernen von verschiedenen Umweltbedingungen. Dadurch mehr Zuversicht hinsichtlich der eigenen Lebensumstände (= Hauptmerkmal von Internalität) widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich der Wärme: internale Frauen waren als Kinder von ihren Müttern eher kühl, wenig liebevoll und mit Kritik und Strafen erzogen worden (für Männer weniger deutlich. Im Rahmen der familiären Erziehung stehen hohe (wahrgenommene) Bewegungs- und Handlungsfreiheit für den Erzogenen, verbunden mit emotional positivem Erziehungsverhalten der Eltern, wenn es zwischen den Eltern und über die Zeit hinweg konsistent ist, im Zusammenhang mit Internalität. (Krampen, 1982) Eindeutige Interpretation die Ergebnisse der empirischen Studien aber (derzeit noch) nicht zu. Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 218 19.2.4 Zwischenmenschliches Vertrauen (Interpersonal Trust, IPT): • = generalisierte Erwartung (wie KÜ) einer Person oder Gruppe, sich auf mündliche oder schriftliche Aussagen bzw. Versprechen einer anderen Person oder Gruppe verlassen zu können (Rotter, 1967) • Hohe Bedeutung des Konstrukts, weil alle Entscheidungen des Zusammenlebens im Alltag Vertrauen anderen gegenüber beinhalten (z.B. Einkauf, Arztbesuch, usw.) • Soziale Ordnung beruht auf IPT, was allerdings ein gewisses Risiko birgt, denn Vertrauen kann auch enttäuscht werden. Abnahme von Vertrauen -> Störungen im Verhältnis von Bevölkerungsgruppen und politischen Parteien, Kirche, Rechtsprechung, usw. Extremfall eines Vertrauensverlusts = „Schwarzer Freitag“, 1929 bzw. Börsenkrach und nachfolgender völliger Zusammenbruch der Wirtschaft • Innerhalb des IPT-Konstrukts gibt es verschiedene Komponenten (z.B. Vertrauen in Institutionen, Vertrauen in konkrete Personen, Vertrauen in die Kompetenz eines anderen, usw.) • IPT wird erworben: - direkt im Umgang mit Eltern, Lehrern, Freunden, Bekannten, usw. - aus verbalen Feststellungen über andere von prominenten Personen oder von Kommunikationsmedien (z.B. Zeitungen, Radio, TV) - Misstrauen kann gelernt werden OHNE unmittelbare entsprechende Erfahrung, wenn Personen, denen man vertraut, einem dieses Misstrauen gegenüber bestimmten Personen oder Gruppen vermitteln a) Messung von IPT: • IPT-Skala von Rotter (1967): = am häufigsten gebrauchte Skala; Ziel der Konstruktion war Erfassung möglichst breiten Bereichs von sozialen Objekten, und zwar: - Vertrauen gegenüber Eltern, Lehrern, Ärzten, Politikern, Richtern, usw. - allgemeines Vertrauen bzw. Optimismus gegenüber der Gesellschaft - dazwischen Füllitems zur Verschleierung der wahren Messintention Daraus Fragebogen mit 25 Items (12 positive und 13 negative Statements) Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 219 Faktorenanalyse von Tedeschi & Wright (1975) darüber ergab 3 Faktoren: - political trust (inklusive Medien) - paternal trust (verschiedene Autoritäten, wie Eltern, Experten, Verkäufer, usw.) - trust of strangers Zustimmung zu Trust-Items entspricht Glauben, dass Menschen im Großen und Ganzen gut und vertrauenswürdig sind • andere Skalen: ¾ Krampen, et al. (1982): kurze Subskala für „soziales Misstrauen“ ¾ Skalen von Buck & Bierhoff (1986): Erfassung von Vertrauen in konkrete Person; differenziert nach - Vertrauenswürdigkeit als emotionale Qualität - Verlässlichkeit in instrumenteller und praktischer Hinsicht b) Korrelate von Vertrauen: • Das meiste Vertrauen haben Personen zu Pfarrern und Psychologen, mittleres Vertrauen zu Bankangestellten, niedrigstes Vertrauen zu Rechtsanwälten und Polizisten (Amelang, et al.,1984) • Hohe negative Korrelation zwischen Vertrauen und Machiavellismus (= Tendenz, andere im Sinn der eigenen Ziele zu manipulieren) • Abnahme des Vertrauens in regierungspolitische Institutionen in Deutschland zwischen 1984-1993 (Vertrauensgefälle von West nach Ost) • Im Labor meist Untersuchung von Vertrauen im Zusammenhang mit sogenannten Null-Summen-Spielen (z.B. Prisoner’s Dilemma) Î hier oft widersprüchliche bzw. nicht-signifikante Ergebnisse; Grund: für die im Spiel aktivierte Kooperationsbereitschaft gibt es außer Vertrauen zum Partner noch andere Ursachen wie z.B. Risikofreude, Wahrnehmung der Strategie des Partners, usw. Bei anderen Spielen verhalten sich Personen mit hohem IPT vertrauensvoller und in Übereinstimmung mit erhaltenen Hinweisen. • Personen mit höherem IPT senden Fragebogen eher an VL zurück Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 220 Erklärung für das alles von Inkmann (1973): Vertrauenssituation = gekennzeichnet dadurch, dass die mit ihr in Verbindung stehenden Probleme eine geringe Verarbeitungstiefe erlauben als Missvertrauenssituation. D.h. in Misstrauenssituation sind zahlreiche Prüf- und Kontrolltätigkeiten notwendig, um Glaubwürdigkeit des Gegenübers anhand vorhandener oder noch einzuholender Indikatoren zu identifizieren; Absichten des Gegenübers müssen analysiert werden, Folgen des eigenen Handelns müssen abgewogen werden; daher: intensivere Info-Verarbeitung, wenn negativ bewertetes Ereignis eintritt oder droht Î solche Ereignisse sind bedrohlich, verlangen Handeln, um Schaden abzuwenden, dafür braucht man effektive Urteile. Ö Aufbringen von Vertrauen könnte damit auch individuelle Strategie sein, um informationsverarbeitendes System zu entlasten. c) Antezedente Faktoren von IPT: • Befragung der Eltern von Rotters VPn, die auf IPT-Skala Extremwerte hatte, ergab Einfluss der Vater-Sohn-Beziehung auf IPT • jüngstes Kind in Geschwisterreihe hat in der Regel niedrigstes IPT • Zusammenhang mit Religionsbekenntnis: - Kinder von Ehepaaren mit übereinstimmendem Religionsbekenntnis, haben höheres IPT; - Juden haben höheres IPT als andere Religionen, - Katholiken niedrigeres IPT als Protestanten; aber: hier Effekte von sozioökonomischem Status denkbar • Sozialstatus hatte bei Rotter (1967) positiven Einfluss auf IPT (sonst aber widersprüchliche Ergebnisse) • Farbige haben niedrigeres IPT (Grund: viele Schwierigkeiten von Seiten der weißen Gesellschaft, unzulängliche Unterstützung) Theorie von Schweer dazu (1997): IPT entwickelt sich in Abhängigkeit von individueller Vertrauenstendenz, individueller impliziter Vertrauenstheorie; dabei Einfluss von spezifischen Merkmalen der jeweiligen Situation -> moderieren Art und Ausmaß der Vertrauensentwicklung Amelang & Bartussek: Teil IV / 6A 221 d) Würdigung: präzise Hypothesen, daher Mehrzahl der Resultate im Sinn der Vorhersagen; ABER: - bei vielen Befunden keine Replikationsstudien - bisher isolierte Betrachtung von IPT, besser wäre es in Verbindung zu anderen Elementen der Sozialen Lerntheorie zu setzen und wechselseitige Abhängigkeiten zu untersuchen