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Die Geheimnisse der Chlamydiales
Agnes J. Szczepek
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
„… I do have an infectious case, although
I don’t think it’s particularly interesting.
It’s yours if you want it …“
Robin Cook, „Vector“
Chlamydiales sind eines der großen Rätsel
der Mikrobiologie. Diese obligatorisch intrazellulären Gram-negativen Prokaryoten treten selten bei schweren Krankheitsverläufen auf, sondern eher bei verdeckten, lang
andauernden (persistierenden), asymptomatischen und daher unterschätzten Erkankungen. Im größten Teil der westlichen Welt
belegen nicht Infektionskrankheiten, sondern Herzkrankheiten, Krebs und Schlaganfall die ersten drei Plätze auf der Liste der
tödlich verlaufenden Krankheiten. Interessanterweise hat eine Reihe neuerer Untersuchungen gezeigt, dass diese Krankheiten
mit Chlamydien in Verbindung gebracht
werden können.
Formen, die Elementarkörper (EK), an die
Zellen und dringen in sie ein. Diese wandeln
sich dann in stoffwechselaktive, sich vermehrende Retikularkörperchen (RK) um.
Der Zyklus ist abgeschlossen, sobald sich die
RK wieder in EK umwandeln und die infizierte Zelle verlassen (Abb. 1). Dieser Entwicklungszyklus kann durch eine Reihe von
Faktoren (proinflammatorische Zytokine,
Antibiotika, Entzug von Nährstoffen) beeinflusst werden, die einen lang andauernden, reversiblen Zustand herbeiführen, der
durch atypische oder anomale, nicht infektiöse Körperchen (AK) mit verändertem
Stoffwechsel gekennzeichnet ist. Die EK
von C. pneumoniae können verschiedene
Zelltypen infizieren, darunter Epithel- und
Endothelzellen, glatte Muskelzellen, Monozyten, Makrophagen, dendritische Zellen
und Lymphozyten[9].
Pathologie, Epidemiologie, Biologie
Das erste Mitglied der Ordnung Chlamydiales, Chlamydia trachomatis, wurde vor 100
Jahren von HALBERSTAEDTER und PROWAZEK entdeckt und beschrieben [1].
Chlamydophila pneumoniae wurde erstmals im Jahr 1986 als Verursacher einer durch Ansteckung erworbenen
Pneumonie beschrieben; drei Jahre
später erhielt die Art einen eigenen
Namen[2;3]. Infektionen der Atemwege mit C. pneumoniae machen
zehn Prozent der durch Ansteckung
erworbenen Fälle von Pneumonie
und Bronchitis aus. Schon kurz nach
der Entdeckung dieser Keime zeigte
eine Reihe von seroepidemiologischen Untersuchungen eindeutig, dass
so gut wie jeder Mensch bereits Kontakt mit diesem Krankheitserreger hat, vor
allem im Alter, unabhängig von Wohnort und
sozio-ökonomischem Status[4–6]
Wie auch andere Chlamydiales kann C.
pneumoniae nicht in einem zellfreien System
gezüchtet werden, was die Diagnostik problematisch macht. Chlamydien werden klassischerweise in Dottersäcken infizierter
Hühnereier oder in Epithelzellen kultiviert[7]. Während der akuten Infektionsphase durchläuft das Bakterium innerhalb von
72 bis 96 Stunden seinen ungewöhnlichen
Entwicklungszyklus[8]. Zunächst heften sich
infektiöse, aber nicht stoffwechselaktive
Abb. 1: Entwicklungszyklus der Chlamydien. Der
Entwicklungszyklus von C. pneumoniae beginnt
mit der Adhäsion und der endozytotischen
Aufnahme des Elementarkörpers (EK) durch die
Wirtszelle. Der EK verändert sich, wird zum Retikularkörper (RK) und beginnt sich innerhalb
einer modifizierten Vakuole zu teilen. In dieser
Phase können unter bestimmten Umwelteinflüssen, etwa Einfluss von Zytokinen, Antibiotika
oder Nährstoffentzug, die RK reversibel in die
persistente AB-Form übergehen. Nach ungefähr
acht Teilungen wird der RK wieder zum EK. Der
EK wird dann schließlich von der infizierten
Wirtszelle freigesetzt und durchläuft einen neuen
Entwicklungszyklus.
Nach einer Infektion mit C. pneumoniae
durchlaufen die Zellen eine Reihe physiologischer Änderungen, unter anderem ist die
Apoptose gehemmt, wodurch die infizierten
Zellen resistent gegen eine Immunantwort
und somit gegen die Beseitigung des Krankheitserregers werden[10]. Durch die sekretierte Chlamydienprotease CPAF werden
die zellulären MHC-Moleküle herunter reguliert und so die Präsentation der Antigene
beeinträchtigt[11]. Kürzlich publizierte DNAMicroarray-Analysen zeigten, dass der
Krankheitserreger noch weitere Änderungen
im Transkriptom des Wirts induziert[12].
Mögliche Zusammenhänge mit
Erkrankungen
Die Rolle von C. pneumoniae als Auslöser von
Erkrankungen der Atemwege wurde durch
Erfüllung der Kochschen Postulate gezeigt.
Bei anderen Krankheiten allerdings gilt das
Vorhandensein der Bakterien als „assoziativ“, und der Zusammenhang zwischen C.
pneumoniae und der untersuchten Krankheit
ist noch weithin unbekannt. Bei einer Reihe von Krankheiten fanden sich in den betroffenen Geweben entweder erhöhte Titer anti-chlamydialer Antikörper oder
Nukleinsäuren beziehungsweise
Proteine von Chlamydien, so bei Arteriosklerose, multipler
Sklerose, Morbus
Alzheimer, Lungenkrebs, kutanem T-ZellLymphom, weiteren
malignen Lymphomen, Leberzirrhose, diabetischem
Ulcus cruris (Geschwüre des Fußes), chronischem
Müdigkeits-Syndrom,
Sarkoidose (gutartige
Tumorerkrankung), Enzephalitis, Meningoenzephalitis und verschiedenen
Multiorganversagen. Die vorliegenden Daten lassen vermuten,
dass C. pneumoniae bei diesen Krankheiten vorwiegend in einer persistenten,
nicht kultivierbaren Form vorliegt.
Arteriosklerose ist das bestuntersuchte
Modell für eine atypische Chlamydieninfektion. Viele Daten zeigen i) eine Verbindung zwischen erhöhten Titern von Antikörpern gegen Chlamydien und arteriosklerotischen Veränderungen der Blutgefäße, (ii)
Chlamydien-Nukleinsäuren in arteriosklerotischen Plaques, (iii) die Präsenz kultivierbarer Chlamydien in den betroffenen
Blutgefäßen, (iv) molekulare Ähnlichkeiten
zwischen humanen und Chlamydien-HitzeBIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang
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schockproteinen der HSP60-Familie, die
durch den Mechanismus der molekularen
Mimikry möglicherweise für die Induktion
der Autoimmunität verantwortlich sind. Invitro-Versuche zeigen, dass mit C. pneumoniae infizierte Zellen ihren Stoffwechsel ändern und proinflammatorische Moleküle
(Zytokine, Chemokine, Prostaglandine) synthetisieren. Diese Reaktion könnte sich auf
lokale Mikroentzündungsherde auswirken,
ein bekanntes Schlüsselelement bei arteriosklerotischen Erkrankungen. Jedoch ist
noch unklar, ob die Infektion Arteriosklerose herbeiführt oder nur verstärkt[13].
Noch fehlt die Antwort auf die entscheidende Frage, wie eine einzige Bakterienart
ursächlich oder verstärkend an derart vielen Krankheiten beteiligt sein kann, die
untereinander keinen Zusammenhang haben. Dies könnte zum Teil dadurch erklärt
werden, dass C. pneumoniae mononukleäre
Zellen des Blutes (PBMC) infiziert und sich
so systemisch verbreitet. Bei Stimulation
durch eine Infektion weisen PBMC die entscheidende Eigenschaft auf, den Blutkreislauf zu verlassen und in die Gewebe einzudringen. Diese Beweglichkeit sowie die Synthese proinflammatorischer Moleküle trägt
zu einer lokalen Entzündung bei – ein typisches Kennzeichen aller Krankheiten, die
mit Chlamydia in Verbindung gebracht werden.
Zukünftige Chlamydienforschung
Die Bemühungen vieler Labors konzentrieren sich auf die Charakterisierung persistierender Chlamydieninfektionen, weil diese
höchstwahrscheinlich einen symptomfreien
Zustand darstellen, der den Chlamydien das
jahrelange Überleben im menschlichen Körper erlaubt[14]. Man möchte gern verstehen,
welche Mechanismen das Überleben des
Krankheitserregers ermöglichen und welche
Rolle der Wirtsorganismus dabei spielt. Ferner ist ungeklärt, welchen Beitrag die metabolischen und physiologischen Änderungen
durch eine Chlamydieninfektion zum
Krankheitsbild leisten. Auch stehen noch
keine genetischen Systeme zur gezielten
Veränderung dieser Mikroben zur Verfügung. Sie sind genauso wichtig wie die Entwicklung einer Therapie und einer Impfstrategie. Weitere Antworten verspricht man
sich von den aktuellen Methoden der Molekular- und Infektionsbiologie wie Microarrays, Proteomanalytik, Metabolom-Analyse, siRNA-Techniken und Systembiologie,
die in Kürze das Verständnis für die Verbindung zwischen Menschen und Chlamydiales
verbessern werden.
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Literatur
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Korrespondenzadresse:
Dr. Agnes J. Szczepek
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie
Abt. Molekulare Biologie
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Tel.: 030-28460-426
Fax: 030-28460-401
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