Special 520 Die Geheimnisse der Chlamydiales Agnes J. Szczepek Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin „… I do have an infectious case, although I don’t think it’s particularly interesting. It’s yours if you want it …“ Robin Cook, „Vector“ Chlamydiales sind eines der großen Rätsel der Mikrobiologie. Diese obligatorisch intrazellulären Gram-negativen Prokaryoten treten selten bei schweren Krankheitsverläufen auf, sondern eher bei verdeckten, lang andauernden (persistierenden), asymptomatischen und daher unterschätzten Erkankungen. Im größten Teil der westlichen Welt belegen nicht Infektionskrankheiten, sondern Herzkrankheiten, Krebs und Schlaganfall die ersten drei Plätze auf der Liste der tödlich verlaufenden Krankheiten. Interessanterweise hat eine Reihe neuerer Untersuchungen gezeigt, dass diese Krankheiten mit Chlamydien in Verbindung gebracht werden können. Formen, die Elementarkörper (EK), an die Zellen und dringen in sie ein. Diese wandeln sich dann in stoffwechselaktive, sich vermehrende Retikularkörperchen (RK) um. Der Zyklus ist abgeschlossen, sobald sich die RK wieder in EK umwandeln und die infizierte Zelle verlassen (Abb. 1). Dieser Entwicklungszyklus kann durch eine Reihe von Faktoren (proinflammatorische Zytokine, Antibiotika, Entzug von Nährstoffen) beeinflusst werden, die einen lang andauernden, reversiblen Zustand herbeiführen, der durch atypische oder anomale, nicht infektiöse Körperchen (AK) mit verändertem Stoffwechsel gekennzeichnet ist. Die EK von C. pneumoniae können verschiedene Zelltypen infizieren, darunter Epithel- und Endothelzellen, glatte Muskelzellen, Monozyten, Makrophagen, dendritische Zellen und Lymphozyten[9]. Pathologie, Epidemiologie, Biologie Das erste Mitglied der Ordnung Chlamydiales, Chlamydia trachomatis, wurde vor 100 Jahren von HALBERSTAEDTER und PROWAZEK entdeckt und beschrieben [1]. Chlamydophila pneumoniae wurde erstmals im Jahr 1986 als Verursacher einer durch Ansteckung erworbenen Pneumonie beschrieben; drei Jahre später erhielt die Art einen eigenen Namen[2;3]. Infektionen der Atemwege mit C. pneumoniae machen zehn Prozent der durch Ansteckung erworbenen Fälle von Pneumonie und Bronchitis aus. Schon kurz nach der Entdeckung dieser Keime zeigte eine Reihe von seroepidemiologischen Untersuchungen eindeutig, dass so gut wie jeder Mensch bereits Kontakt mit diesem Krankheitserreger hat, vor allem im Alter, unabhängig von Wohnort und sozio-ökonomischem Status[4–6] Wie auch andere Chlamydiales kann C. pneumoniae nicht in einem zellfreien System gezüchtet werden, was die Diagnostik problematisch macht. Chlamydien werden klassischerweise in Dottersäcken infizierter Hühnereier oder in Epithelzellen kultiviert[7]. Während der akuten Infektionsphase durchläuft das Bakterium innerhalb von 72 bis 96 Stunden seinen ungewöhnlichen Entwicklungszyklus[8]. Zunächst heften sich infektiöse, aber nicht stoffwechselaktive Abb. 1: Entwicklungszyklus der Chlamydien. Der Entwicklungszyklus von C. pneumoniae beginnt mit der Adhäsion und der endozytotischen Aufnahme des Elementarkörpers (EK) durch die Wirtszelle. Der EK verändert sich, wird zum Retikularkörper (RK) und beginnt sich innerhalb einer modifizierten Vakuole zu teilen. In dieser Phase können unter bestimmten Umwelteinflüssen, etwa Einfluss von Zytokinen, Antibiotika oder Nährstoffentzug, die RK reversibel in die persistente AB-Form übergehen. Nach ungefähr acht Teilungen wird der RK wieder zum EK. Der EK wird dann schließlich von der infizierten Wirtszelle freigesetzt und durchläuft einen neuen Entwicklungszyklus. Nach einer Infektion mit C. pneumoniae durchlaufen die Zellen eine Reihe physiologischer Änderungen, unter anderem ist die Apoptose gehemmt, wodurch die infizierten Zellen resistent gegen eine Immunantwort und somit gegen die Beseitigung des Krankheitserregers werden[10]. Durch die sekretierte Chlamydienprotease CPAF werden die zellulären MHC-Moleküle herunter reguliert und so die Präsentation der Antigene beeinträchtigt[11]. Kürzlich publizierte DNAMicroarray-Analysen zeigten, dass der Krankheitserreger noch weitere Änderungen im Transkriptom des Wirts induziert[12]. Mögliche Zusammenhänge mit Erkrankungen Die Rolle von C. pneumoniae als Auslöser von Erkrankungen der Atemwege wurde durch Erfüllung der Kochschen Postulate gezeigt. Bei anderen Krankheiten allerdings gilt das Vorhandensein der Bakterien als „assoziativ“, und der Zusammenhang zwischen C. pneumoniae und der untersuchten Krankheit ist noch weithin unbekannt. Bei einer Reihe von Krankheiten fanden sich in den betroffenen Geweben entweder erhöhte Titer anti-chlamydialer Antikörper oder Nukleinsäuren beziehungsweise Proteine von Chlamydien, so bei Arteriosklerose, multipler Sklerose, Morbus Alzheimer, Lungenkrebs, kutanem T-ZellLymphom, weiteren malignen Lymphomen, Leberzirrhose, diabetischem Ulcus cruris (Geschwüre des Fußes), chronischem Müdigkeits-Syndrom, Sarkoidose (gutartige Tumorerkrankung), Enzephalitis, Meningoenzephalitis und verschiedenen Multiorganversagen. Die vorliegenden Daten lassen vermuten, dass C. pneumoniae bei diesen Krankheiten vorwiegend in einer persistenten, nicht kultivierbaren Form vorliegt. Arteriosklerose ist das bestuntersuchte Modell für eine atypische Chlamydieninfektion. Viele Daten zeigen i) eine Verbindung zwischen erhöhten Titern von Antikörpern gegen Chlamydien und arteriosklerotischen Veränderungen der Blutgefäße, (ii) Chlamydien-Nukleinsäuren in arteriosklerotischen Plaques, (iii) die Präsenz kultivierbarer Chlamydien in den betroffenen Blutgefäßen, (iv) molekulare Ähnlichkeiten zwischen humanen und Chlamydien-HitzeBIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Special schockproteinen der HSP60-Familie, die durch den Mechanismus der molekularen Mimikry möglicherweise für die Induktion der Autoimmunität verantwortlich sind. Invitro-Versuche zeigen, dass mit C. pneumoniae infizierte Zellen ihren Stoffwechsel ändern und proinflammatorische Moleküle (Zytokine, Chemokine, Prostaglandine) synthetisieren. Diese Reaktion könnte sich auf lokale Mikroentzündungsherde auswirken, ein bekanntes Schlüsselelement bei arteriosklerotischen Erkrankungen. Jedoch ist noch unklar, ob die Infektion Arteriosklerose herbeiführt oder nur verstärkt[13]. Noch fehlt die Antwort auf die entscheidende Frage, wie eine einzige Bakterienart ursächlich oder verstärkend an derart vielen Krankheiten beteiligt sein kann, die untereinander keinen Zusammenhang haben. Dies könnte zum Teil dadurch erklärt werden, dass C. pneumoniae mononukleäre Zellen des Blutes (PBMC) infiziert und sich so systemisch verbreitet. Bei Stimulation durch eine Infektion weisen PBMC die entscheidende Eigenschaft auf, den Blutkreislauf zu verlassen und in die Gewebe einzudringen. Diese Beweglichkeit sowie die Synthese proinflammatorischer Moleküle trägt zu einer lokalen Entzündung bei – ein typisches Kennzeichen aller Krankheiten, die mit Chlamydia in Verbindung gebracht werden. Zukünftige Chlamydienforschung Die Bemühungen vieler Labors konzentrieren sich auf die Charakterisierung persistierender Chlamydieninfektionen, weil diese höchstwahrscheinlich einen symptomfreien Zustand darstellen, der den Chlamydien das jahrelange Überleben im menschlichen Körper erlaubt[14]. Man möchte gern verstehen, welche Mechanismen das Überleben des Krankheitserregers ermöglichen und welche Rolle der Wirtsorganismus dabei spielt. Ferner ist ungeklärt, welchen Beitrag die metabolischen und physiologischen Änderungen durch eine Chlamydieninfektion zum Krankheitsbild leisten. Auch stehen noch keine genetischen Systeme zur gezielten Veränderung dieser Mikroben zur Verfügung. Sie sind genauso wichtig wie die Entwicklung einer Therapie und einer Impfstrategie. Weitere Antworten verspricht man sich von den aktuellen Methoden der Molekular- und Infektionsbiologie wie Microarrays, Proteomanalytik, Metabolom-Analyse, siRNA-Techniken und Systembiologie, die in Kürze das Verständnis für die Verbindung zwischen Menschen und Chlamydiales verbessern werden. BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Literatur [1] Jaenicke, L. (2001): Stanislaus von Prowazek (1875–1915) — prodigy between working bench and coffee house. Protist., 157–166. [2] Everett, K. D., Bush, R. 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Szczepek Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie Abt. Molekulare Biologie Schumannstraße 21/22 D-10117 Berlin Tel.: 030-28460-426 Fax: 030-28460-401 [email protected]