Supraleitende Beschleunigerstrukturen

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Johannes Gutenberg-­‐Universität Mainz Institut für Physik Seminar zum F-­‐Praktikum Dozent: Dr. Patrick Achenbach Betreuung: Dr. Kurt Aulenbacher Referent: Henning Fürst 24.10.2011 Supraleitende Beschleunigerstrukturen Einleitung Ein grundlegendes physikalisches Problem beim Betrieb von Elektronenspeicherringen zur Beantwortung kernphysikalischer Fragestellungen ist das Auftreten der sogenannten Synchrotronstrahlung und der damit verbundenen Verlustleistung PSR pro Teilchen. Sie ist wie folgt gegeben: 2
)
PSR = (Ze
6"# 0
1
E4
(m 0 c 2 )4 R 2
$ %E = PSR
2"R
c
Damit wird klar, warum man beispielsweise am Large Hadron Collider am CERN (LHC) Protonen/Antiprotonen verwendet. Bei Betrieb mit Elektronen wäre die Verlustleistung aufgrund der geringeren Ruhemasse um den Faktor 1013 höher und damit weder physikalisch noch finanziell aufzuwenden. Ebenso !hängt die Strahlungsleistung von der vierten Potenz der Energie E über dem quadrierten Ringradius R ab. Das bedeutet, dass eine Möglichkeit wäre, den Ringradius einer Elektronenmaschine genügend groß zu wählen um die Verlustleistung zu minimieren. Auch dies ist aufgrund des Tunnelbaus mit enormen finanziellen und politischen Problemen verbunden. Somit bleibt als einzige Ausweichmöglichkeit der Bau von Elektronen-­‐Linearbeschleunigern (e-­‐-­‐Linacs). Der limitierende Faktor unter Verwendung konventioneller Technologie ist hier die Verlustleistung der Beschleunigerstrukturen und die Länge, die proportional zur Energie ausfällt. Die wirtschaftlich erreichbaren Beschleunigungsfeldstärken liegen bei 1-­‐2 MV/m, womit sich für einen 1 TeV-­‐Linac eine Gesamtlänge von 500-­‐1000 km ergeben würde, zu dessen Betrieb mehr als 10 moderne Atomkraftwerke nötig wären. Abhilfe versprechen hier supraleitende Beschleunigerstrukturen. Mit deren Hilfe ist es möglich, bei wesentlich geringerer Verlustleistung Beschleunigungsfelder von 30-­‐40 MV/m zu erzeugen und damit die Bau-­‐ und Betriebskosten um Größenordnungen zu reduzieren. Hohlrraumresonatoren (Cavities) Zur Beschleunigung geladener Teilchen werden sogenannte Cavities eingesetzt. Diese bestehen im einfachsten Fall aus einem zylindrischen, evakuierten, metallischen Hohlkörper mit zwei Öffnungen für den Ein-­‐ und Austritt der Teilchen. Um die Feldverteilung zu erhalten muss die elektromagnetische Wellengleichung gelöst werden. Die dabei auftretende Randbedingung EII=0 an den metallischen Oberflächen führt zu einer Quantelung der erlaubten Frequenzen. Zur Beschleunigung benötigt man ein Feld in Strahlrichtung (hier z-­‐Richtung). Man findet als erlaubte Lösung die folgende Feldverteilung: E r = "iE 0
R #kz
x1
x r
J 0 '( R1 )# e i($t "kz z ) Br = 0
E% = 0
B" = #iB0
x r
E z = E 0 J 0 ( R1 )# e i($t "kz t )
x c
x1 = 2.405
" = R1
!
!
R $kz
x1
x r
J 0 '( R1 )$ e i(%t #kz t )
Bz = 0
Dabei ist J0(x) die Besselfunktion 0. Ordnung und x1 ihre erste Nullstelle, von deren Wahl die Resonanzfrequenz ω abhängig i!
st. Ebenso hängt die Resonanzfrequenz vom Radius des Zylinders ab, kann also durch Variation beeinflusst werden. Durch die reflektierenden Abschlüsse des Zylinders kommt es zur Ausbildung einer stehenden Welle und damit zur Quantelung von kz. Man nennt diese Lösung die TM010-­‐Mode, wobei TM für transversal magnetisch und die Indizes die Wahl von J0, x1 und kz stehen. 1 Abbildung 1: Feldverteilung in einer Cavity, Quelle: Pekeler, M. u. Schmüser, P.: Supraleitung für Teilchenbeschleuniger, Physik Journal 5 (2006) 45-­51 Da das Magnetfeld am Rand der Cavity nahezu maximal wird, induziert es verlustbehaftete Randströme. Umgekehrt kann allerdings auch über einen Randstrom das Magnetfeld erzeugt und damit die Mode angeregt werden. Man spricht dabei von induktivem Einkoppeln. Die Energie innerhalb der Cavity ist also nicht nur in Form von elektrischen und magnetischen Feldern gespeichert, sondern kann auch über einen Widerstand RS abfließen, was die Betrachtung als elektrischen Parallelschwingkreis mit Güte Q0 nahelegt. Die Beschleunigungsspannung die eine Cavity zur Verfügung stellt, hängt über €
U cav = 2PHF Rs
Von der eingekoppelten Leistung PHF und der Shuntimpedanz RS ab. Wenn man also bei gleicher Länge die doppelte Spannung aus einem bestehenden System herausholen möchte, muss man die vierfache Leistung zur Verfügung stellen, die letztendlich in Form von Wärme frei wird und abtransportiert werden muss. Die einzig andere Möglichkeit ist es, RS zu erhöhen, sprich den Oberflächenwiderstand durch Wahl eines geeigneten Materials abzusenken. An diesem Punkt fällt die Wahl klarerweise auf einen Supraleiter, was jedoch weitere Probleme aufwirft. Einführung in die Supraleitung Supraleitung wurde im Jahr 1911 von H. Kammerlingh Onnes entdeckt und beschreibt das Verschwinden des elektrischen Widerstandes eines Materials unterhalb einer kritischen Temperatur TC. Viele Metalle und Legierungen zeigen diesen Effekt. Ihre kritische Temperatur liegt typischerweise zwischen 0-­‐20K. Weiter existieren Hochtemperatursupraleiter, deren kritische Temperatur 100K oder mehr beträgt. Diese bestehen aus komplexen Keramik-­‐Strukturen und eignen sich aufgrund ihrer porösen Konsistenz nicht zum Bau von Cavities. Ein weiterer wesentlicher Effekt der Supraleitung ist der Meissner-­‐Ochsenfeld-­‐Effekt: Unterhalb der kritischen Temperatur werden Magnetfelder bis zu einer bestimmten Stärke BC aus dem Supraleiter herausgedrängt, unabhängig davon ob das Magnetfeld vor oder nach dem Abkühlen angeschaltet wurde. Ein Supraleiter stellt daher einen perfekten Diamagneten dar. Der Effekt lässt sich anschaulich durch die sogenannten Londonschen Gleichungen (nach Fritz und Heinz London) beschreiben, deren Herleitung auf der Grundidee basiert, dass sich die Ladungsträger im Supraleiter reibungsfrei bewegen. Dies Führt mit Hilfe der Definition der Stromdichte zur ersten Londonschen Gleichung: €
mc
n c q c2

˙
jc = E
Man erkennt daran leicht, dass der Supraleiter nicht dem Ohmschen Gesetz folgt. Durch Anwenden der Maxwellschen Gleichungen und zeitlicher Integration folgt unmittelbar die zweite Londonsche Gleichung: 

mc
2 ∇ × jc = −B
n
q
c c
Diese Besagt, dass ein externes Magnetfeld einen Wirbelstrom erzeugt, welcher der Wirkung des externen Feldes entgegen gerichtet ist, also genau den Meissner-­‐Ochsenfeld-­‐Effekt erklärt. Durch weiteres Anwenden der Maxwellschen Gleichungen findet man ein exponentielles Abklingen des Magnetfeldes an €
2 der Grenzfläche des Supraleiters. Charakteristisch ist hier die Londonsche Eindringtiefe λL, innerhalb deren das Magnetfeld auf 1/e abgefallen ist. Sie ist gegeben durch: λL =
mc
n c q c2 µ 0
Eine Erklärung der verlustfreien Leitung ist damit allerdings noch nicht gegeben. Diese wird durch die BCS-­‐Theorie (nach John Bardeen, Leon N. Cooper und John R. Schrieffer, 1957) beschrieben. Grundidee ist es hier, dass ein Leitungselektron das Ionengitter polarisiert und damit Energie verliert. Unterhalb der kritischen Temperatur neigt das Gitter weniger stark zu Schwingungen, sodass die Polarisation für ein nachfolgendes Elektron erhalten bleibt. Dieses ist nun in der Lage den gleichen Energiebetrag wieder aufzunehmen, sodass die beiden Elektronen als Paar keine Energie verloren haben. Quantenmechanisch lässt sich dies als attraktive Wechselwirkung beschreiben, sodass es zur Bildung eines gebundenen Zustands unter Abgabe der Kondensationsenergie 2Δ kommt. Man spricht dann von einem Cooper-­‐Paar. Da die beiden beteiligten Elektronen Spin ½-­‐Teilchen sind, koppeln diese zu einem Spin 0 Boson. Damit gilt für Cooper-­‐Paare nicht mehr das Pauli-­‐Verbot, sondern die Bose-­‐Einstein-­‐Statistik, was zur Folge hat, dass alle kondensierten Cooper-­‐Paare bevorzugt den gleichen Zustand bevölkern. Der Zustand und damit die Supraleitung kann nur zerstört werden, indem 2Δ ≈ 1.76 kBTC oder mehr zugeführt werden. Daher kommt es im Elektronenspektrum zur Ausbildung einer Energielücke der Breite Δ, die vergleichbar mit der Gap-­‐Energie im Halbleiter ist und ebenfalls thermisch überwunden werden kann, was die Existenz der kritischen Temperatur rechtfertigt. Allerdings lassen sich Cooper-­‐Paare auch durch die magnetische Feldenergie oder die kinetische Energie aufbrechen, es existiert also auch ein kritisches Magnetfeld BC und eine kritische Stromdichte JC. Die kritische Stromdichte stellt im Falle der supraleitenden Cavitys allerdings keinen limitierenden Faktor dar. €
Supraleitende Cavities Leider reicht es nicht aus, den Hohlrraumresonator aus einem Supraleiter zu fertigen und unterhalb der kritischen Temperatur zu betreiben. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass der verlustlose Ladungstransport beim Supraleiter nur für Gleichstrome vorhergesagt wird. Betreibt man einen Supraleiter im Wechselfeld so werden auch die normalleitenden Elektronen zum schwingen angeregt, gehorchen dem Ohmschen Gesetz und dissipieren Leistung. Die Cooper-­‐Paare hingegen folgen der ersten Londonschen Gleichung. Durch Betrachten der Stromdichten lässt sich wie folgt die Gesamtstromdichte definieren und daraus die Wechselstromleitfähigkeit und der resultierende Oberflächenwiderstand bestimmen: J n = σn E0 exp(−iωt) für Elektronen J˙c = µ 1λ2 E0 exp(−iωt) ⇒ J c = i µ
0 L
E0 exp(−iωt) für Cooper-­‐Paare J = J n + J c ≡ σE0 exp(−iωt) folgt als Gesamtstromdichte €
€
1
2
0 λL ω
RBCS = Re
( €) =
1
λ Lσ
σn
1
λ L σ n2 +σ s2
≈
σn
λ L σ s2
folgt für den Oberflächenwiderstand Aus dem Drude-­‐Modell folgt, dass die Leitfähigkeit der Elektronenleitung proportional zur € Ladungsträgerdichte ist, also σ ∝ n gilt. Da die Ladungsträgerdichte jedoch aufgrund der Energielücke n
n
(in vollständiger Analogie zur Besetzung des Leitungsbandes im Halbleiter) exponentiell von der € Temperatur abhängt, folgt schlussendlich, dass der Oberflächenwiderstand nicht nur quadratisch von der Frequenz abhängig ist, sondern auch Exponentiell von Temperatur und kritischen Temperatur: €
T
RBCS ∝ λ3Lω 2 l exp(−1.76 Tc ) €
Es ist also nicht nur die Wahl eines Stoffes mit genügend hohem TC, sondern auch die einer genügend niedrigen Betriebsfrequenz-­‐ und temperatur von enormer Bedeutung, um den Oberflächenwiderstand gering zu halten. Aufgrund seiner vergleichsweise hohen kritischen Temperatur (9.2K) und Feldstärke (200mT) wird seit 1992 an den hochreinen Niob-­‐Cavities vom Typ TESLA (Teraelectronvolt Superconducting Linear Accelerator, Betriebsfrequenz 1.3 GHz) geforscht. Diese sind in Abbildung 2 dargestellt. 3 Abbildung 2: TESLA-­Cavity, Quelle: Pekeler, M. u. Schmüser, P.: Supraleitung für Teilchenbeschleuniger, Physik Journal 5 (2006) 45-­51 Man hat experimentell herausgefunden, dass sich ein Absenken der Temperatur bei diesen Resonatoren auf unter 2K kaum mehr lohnt, da dann ein Restwiderstand von rund 3nΩ dominiert. Dieser lässt sich auf verschiedene Effekte zurückführen, die wiederum hauptsächlich auf Unreinheiten beruhen. Zum einen lässt sich hier das sogenannte Magnetic-­‐Flux-­‐Pinning nennen, bei dem das externe Magnetfeld an Fremdatomen in Form von normalleitenden Flussschläuchen eindringen kann und somit zu Hitzequellen („Hot Spots“) führt. Zum anderen existieren auch normalleitende Verunreinigungen (z.B. NiH), die weitere solche Hot Spots bilden. Aufgrund der Temperaturabhängigkeit des Oberflächenwiderstandes muss die Hitze so schnell wie möglich abtransportiert werden, da sonst die Supraleitung zusammenbricht. Abhilfe kann man nur durch magnetische Abschirmung der Cavity und durch teure Reinigungsverfahren schaffen, die aus der Halbleiterindustie stammen. Auch ist eine Montage im Reinraum notwendig, um das Ablagern von Staub zu vermeiden. Zur Kühlung verwendet man flüssiges Helium, was ein weiteres Problem aufwirft: bei 2K beträgt der technische Wirkungsgrad einer Kältemaschine etwa 10-­‐3, man benötigt also 1kW primäre Anschlussleistung um 1W der entstehenden Wärme zu kühlen. Dennoch beträgt der Energiebedarf bei gleicher Strahlenergie im Vergleich zu einem konventionellen Beschleuniger nur rund ein Tausendstel, was weitere Forschung im Gebiet der Supraleitenden Resonatoren motiviert. Eine unüberwindbare physikalische Grenze ist jedoch durch das kritische Magnetfeld von Niob gegeben, welches einer kritischen elektrischen Feldstärke von etwa Emax=57MV/m entspricht. Durch Effekte wie Feldemission an Staubkörnern oder Materialspitzen im eigentlich hochgradig polierten Innenraum wird jedoch die Güte des Resonators Feldabhängig, sodass diese oberhalb einer Feldstärke von etwa 40MV/m einbricht, wie in Abbildung 3 zu sehen ist. Abbildung 3: Feldabhängigkeit der Güte, Quelle: Pekeler, M. u. Schmüser, P.: Supraleitung für Teilchenbeschleuniger, Physik Journal 5 (2006) 45-­
51 4 Dennoch sind bereits Anlangen in Betrieb, die die TESLA-­‐Technologie nutzen. Zu nennen ist hier beispielsweise der freie Elektronen Laser FLASH am Hamburger DESY, der aus einer ehemaligen TESLA-­‐
Testanlage entstand. Dort wird ein 1.25GeV e-­‐-­‐Strahls mit Hilfe von TESLA-­‐Resonatoren erzeugt und in einem starken, alternierenden Magnetfeld abgebremst. Dadurch entsteht kohärente, durchstimmbare Röntgenstrahlung mit einer Wellenlänge von 3-­‐40nm. Durch eine enorm kurze Pulsdauer (10-­‐50fs) ist es beispielsweise möglich, Stroboskopartig mikroskopische Prozesse zu beobachten. Die FLASH-­‐Anlage dient bereits seit 2005 für Forschungszwecke und ist der Vorläufer des European XFEL. Ein großes kernphysikalsiches Zukunftsprojekt stellt jedoch der International Linear Collider (ILC) dar. Dieser soll mit Hilfe der TESLA-­‐Strukturen eine Endenergie von 1TeV bei nur 31 km Länge erreichen. Der Baubeginn richtet sich jedoch nach den Ergebnissen die der Large Hadron Collider (LHC) am CERN liefert, die dann am ILC verifiziert und genauer untersucht werden könnten. Die Supraleitenden Beschleunigerstrukturen sind also keine Zukunftsmusik, sondern dienen heute schon der wirtschaftlicheren Strahlerzeugung. Dennoch sind weitere Forschungen notwendig um das physikalische Limit der kritischen Feldstärke voll auszureizen und so die Möglichkeit zu schaffen, noch höhere Energien bei bezahlbaren Bau-­‐ und Betriebskosten zu erzeugen um neue physikalische Erkenntnisse im TeV-­‐Bereich zu erlangen. Ebenso eröffnen die supraleitenden Resonatoren die völlig neue Technologie der Energy-­‐Recovery-­‐Linacs, in denen das Bremsen eines Strahls einen weiteren beschleunigt und den Bau extrem hochenergetischer Röntgenlaser . Literatur •
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Schmüser, P.: Superconductivity in High Energy Particle Accelerators, Progress in Particle and Nuclear Physics 49 (2002) 155-­‐244 Pekeler, M. u. Schmüser, P.: Supraleitung für Teilchenbeschleuniger, Physik Journal 5 (2006) 45-­‐51 5 
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