DER KnacKS - Schlosstheater Moers

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Wie kaum ein anderes Paar verkörperten F. Scott und
Zelda Fitzgerald Glanz und Glamour der 1920er Jahre in den USA - und zugleich den Absturz einer ganzen Generation, für die sich die Verheißungen des
amerikanischen Traums nicht einlösten. Zunächst
zu den gefragten Celebrities von New York City
gehörend, prägten wilde Partys, exzentrisches Verhalten an öffentlichen Plätzen und ein ausschweifender Lebensstil die ersten Jahre ihres Zusammenlebens. Doch die dekadente Fassade der Beziehung
bekam alsbald Brüche: Zeldas Ambitionen zu tanzen,
wie auch ihre Bemühungen zu malen und zu schreiben wurden von Scott verboten oder vereinnahmt.
Er bediente sich ihrer Tagebücher und Notizen, um
seine eigenen Romane (darunter „Der große Gatsby“)
zu verfassen, ihre Kurzgeschichten erschienen unter seinem oder beider Namen. Auch die gemeinsame
Tochter musste nach ihm, Frances Scottie, benannt
werden. Scotts Alkoholismus und die zunehmenden
finanziellen Probleme lasteten schwer auf dem Paar
- und mündeten 1930 im psychischen Zusammenbruch
Zeldas, der nur der Beginn von lebenslangen Klinikaufenthalten unter der Diagnose der Schizophrenie
sein sollte. Auch Scott litt unter Depressionen
und setzte dem modernen Phänomen des Burn-Out mit
seinem 1936 erschienen Essay „Der Knacks“ ein frühes literarisches Denkmal. Er starb 1940 nach zwei
Herzinfarkten, Zelda verbrannte 1948 in einer psychiatrischen Klinik in Asheville.
Vor dem Hintergrund dieser Biographien untersucht
kainkollektiv theatralisch und musikalisch welche Kräfte auf das leistungstorpedierte Individuum zwischen Produktivitätsdruck, Überforderung
und Erschöpfung wirken. Bilder, Sounds und Sätze,
schillernde Bruchstücke - in einem Theater des
Knackses.
Der Knacks
nach F. Scott und Zelda fitzgerald,
Gilles Deleuze
eine Koproduktion von Schlosstheater Moers,
Ringlokschuppen Mülheim und kainkollektiv
Es spielen
Patrick Dollas
≥
≥ Katja Stockhausen
≥ MIRJAM SCHMUCK
Inszenierung und Ausstattung kainkollektiv
(Fabian Lettow, Mirjam Schmuck)
Musik Mirjam Schmuck
Dramaturgie Sabrina Bohl
Regieassistenz Jens Wrobel
Abendspielleitung Nicole Nikutowski
Technische Leitung Stephan Nickel
Schreinerei Martin Flasbarth
Beleuchtung Daniel Schäfer
Tontechnik/Video Uwe Muschinski
Bühnentechnik Tina Struck
Schneiderei Marijke Volkmann, Patricia
Kollender Requisite Nadine Bergrath
Uraufführung 27. Mai 2011, Kapelle des
Schlosstheater Moers
Mülheim-Premiere 17. Juni 2011, Ringlokschuppen Mülheim an der Ruhr
Aufführungsdauer ca. 1 3/4 Stunden,
keine Pause
DER KNACKS
nach F. Scott und Zelda Fitzgerald,
Gilles Deleuze
Wir sind ja beide ziemlich sensationelle,
leuchtend bunte Bilder, solche, bei denen
die Details weggelassen sind, aber ich weiß,
daß unsere Farben zusammenpassen, und ich
glaube, wir werden sehr gut aussehen, wenn
wir in der Galerie des Lebens nebeneinanderhängen.
Zelda an scott, 1920
Du warst, bevor ich dir begegnet bin, im
gewöhnlichen Sinn des Wortes „verrückt“.
Ich habe deine Exzentritäten rationalisiert
und eine Art Schöpfung aus dir gemacht. Mein
Talent und mein Niedergang sind die Norm.
Deine Degeneration ist die Abweichung.
Scott an Zelda, 1939
Das ist fürchterlich, das ist schrecklich,
was soll aus mir werden, ich muss arbeiten
und kann es nicht mehr, ich muss sterben,
aber ich muss arbeiten. Ich werde nie geheilt werden, lasst mich gehen.
Zelda bei der Einlieferung in die psychiatrische
Klinik in Malmaison, 1930
Die Trauer um die Vergangenheit begleitet
mich unablässig. Die Erinnerungen an alles,
was wir zusammen gemacht haben, und an die
schrecklichen Zerwürfnisse, die uns in der
Vergangenheit zu Überlebenden eines Kriegs
verkrüppelt haben, schweben wie eine Atmosphäre um jedes Haus, das ich bewohne.
scott an Zelda,1934
Es geht nicht um den Verlust, um die Entbehrung, die sich fühlbar macht, verbleicht und
verschwindet. Der Knacks ist nicht ein Riss
mit Diesseits und Jenseits, mit Vorher und
Nachher, er ist unmerklich: Er teilt nicht, er
prägt. Er ist die Zone, in die die Erfahrung
eintritt, wo sie verwittert und ihre Verneinung in sich aufnimmt. Etwas soll nicht mehr,
etwas wird nicht mehr sein. Es wird sogar „nie
mehr sein wie vorher“, aber nicht, weil ein
Mensch fehlt, sondern weil sich ein Lebensgefühl geändert hat. Dazu braucht es nicht den
Verlust, sondern das Verlieren.
Im Unterschied zum Bruch tritt der Knacks nicht
an die Oberfläche, er wird nicht im Schock
geboren. In seinem Kern ist der Knacks der
Beginn einer Entwicklung im Fluss der Entwicklungen. Etwas trennt sich, ermüdet, verliert
farbe, scheitert, gibt auf. Es ist dieser an
der Wurzel kaum greif- und schon gar nicht beherrschbare Vorgang, dieser am Ich vollstreckte, nicht auf Entscheidungen zurückzuführende
Vollzug, der Knacks schleicht sich als etwas
Unheilbares in den Organismus, entstanden in
einem namenlosen Augenblick, als Konsequenz
eines Vorgangs, als Impuls, Reflex, Ablösung,
als ein Freiwerden in einer ehemals gebundenen
Symbiose vielleicht selbst als ein Nachlassen
der Kraft, der Vitalität, des Bauwillens.
Roger Willemsen, Der Knacks
Dem neuen Menschentyp, der dem Übermaß an
Positivität wehrlos ausgeliefert ist, fehlt
jede Souveranität. Der depressive Mensch ist
jenes animal laborans, das sich selbst ausbeutet, und zwar freiwillig, ohne Fremdzwänge. Es ist Täter und Opfer zugleich. Das
Selbst im emphatischen Sinne ist noch eine
immunologische Kategorie. Die Depression entzieht sich aber jedem immunologischen Schema. Sie bricht in dem Moment aus, in dem das
Leistungssubjekt nicht mehr können kann. Sie
ist zunächst eine Schaffens- und Könnensmüdigkeit. Die Klage des depressiven Individuums Nichts ist möglich ist nur in einer
Gesellschaft möglich, die glaubt, Nichts ist
unmöglich. Nicht-Mehr-Können-Können führt zu
einem destruktiven Selbstvorwurf und zur Autoagression. Das Leistungssubjekt befindet
sich mit sich selbst im Krieg. Der Depressive ist der Invalide dieses internalisierten
Krieges. Die Depression ist die Erkrankung
einer Gesellschaft, die unter dem Übermaß an
Positivität leidet. Sie spiegelt jene Menschheit wider, die mit sich selbst Krieg führt.
Byung-Chul Han, Müdigkeitsgesellschaft
Impressum: Spielzeit 2010/2011 | Herausgeber:
Schlosstheater Moers GmbH | Geschäftsführender Intendant: Ulrich Greb & Ringlokschuppen Mülheim an der
Ruhr | Künstlerischer Leiter: Holger Bergmann
Redaktion, fotos & Gestaltung: Sabrina Bohl
Gefördert durch:
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