09.05.2015, 17. Jahrestagung DGNB Aachen Wann sind Schmerzmittelund Alkoholprobleme nach körperlichen Traumen „wesentlich“ unfallbedingt? U. Havemann-Reinecke Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Göttingen Unfalltraumata und Alkohol-und Schmerzmittelprobleme 1. Entwicklung von Suchterkrankungen, „Sucht-Diagnosen“ und beeinflussende Faktoren 2. (Unfall)Traumata/Stress und die Entwicklung psychischer Symptome und psychischer Erkrankungen (PTBS, Suchterkrankungen) 3. Opioidschmerzmittel-Abhängigkeit 4. Patientenfall 5. Zusammenfassung und Diskussion Suchtentwicklung Gebrauch Einleitungsphase Genuss Missbrauch Kritische Phase Abweichendes Verhalten Gewöhnung Chronische Phase Abhängigkeit Sucht HavR 2015 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen ICD-10 Schädlicher Gebrauch (.1) und Abhängigkeit (.2) • • • • • • • • • • F 10: Alkohol F 11: Opioide F 12: Cannabinoide F13: Sedativa und Hypnotika F14: Kokain F15: Andere Stimulantien einschl. Koffein F 16: Halluzinogene F 17: Tabak F 18: Flüchtige Lösungsmittel F 19: Politoxikomanie Schädlicher Konsum (ICD 10.1) Ein Konsumverhalten, das zu einer Gesundheitsschädigung (körperlich oder psychisch) führt. Abhängigkeitssyndrom-ICD 10 F 10.2 (drei o.mehr Kriterien treffen zu) • 1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren • 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. Beginn, Beendigung, Menge • 3. Körperliches Entzugssyndrom/ Konsum zur Linderung von Entzugssymptomen • 4. Toleranz • 5. Eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol/ Vernachlässigung von Vergnügen, Interessen • 6. Anhaltender Alkoholkonsum trotz Nachweis von schädigen Folgen Behandlungsnotwendigkeit von Sucht • Riskanter Konsum, Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit sind behandlungsbedürftig! • Riskanter Konsum (ambulant) • Schädlicher Gebrauch (ambulant/ stationär) • Abhängigkeit (stationär,ambulant) Süddeutsche Zeitung Nr. 83 09. April 2008 Beeinflussende Faktoren für Entstehung und Verlauf von Abhängigkeit • Alter (junges Alter mehr gefährdet!) • Geschlecht (m > f) • Biologische Faktoren, Genetik (pos. Familienanamnese) • Lebensgeschichte (Stress, Traumata) • Psychiatrische Komorbidität (Angst und Depressionen) • Somatische Komorbidität (Schmerz) • Verfügbarkeit von Drogen Göttinger Tageblatt vom 20.10.12 KLINISCHE TRIAS - CLUSTER • Suchterkrankungen • Psychiatrische Erkrankungen • Pathologische Stressverarbeitung Development of psychic dependence (drug memory) • Important: • Activation of nigrostriatal and mesolimbic dopaminergic rewarding mechanisms • (Kuschinsky 1981, Havemann und Kuschinsky 1982, Di Chiara and Imperatu 1988, Spyraki and Fibiger 1988, Herz and Shippenberg 1989, Cooper 1991, Koob 1992 etc...) Hav-R 2015 Wolf, Molecular Interventions, 2003 Drugs of abuse and stress produce LTP at excitatory synapses onto VTA dopamine Wolf, Molecular Interventions, 2003 CMPB Magdalena M. Brzózka work in progress 30 10 2009 Triangle: Stress, Biological factors/Genes and drugs → Psychiatric diseases psychosocial stress Drug use / abuse Psychosis Addiction Anxiety Depression biological factors genetic factors Data from the CNMPB www.cmpb.de ,Göttingen, Germany Komorbidität: Psychiatrische Erkrankungen und Sucht • • • • • • • • • Borderline-Persönlichkeitsstörungen 34-84% Schizophrenie u. schizophr. Störungen 47% Angststörungen 24 % Phobien 23% Affektive Störungen 32% Bipolare Erkrankungen 60% unipolare Erkrankungen 30% PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) ADHS Regier et al. 1990, JAMA Hav-R 2015 Epidemiologische Evidenz Zusammenhang von SUD und PTSD (Ouimette und Brown 2003, Schäfer und Kraus 2006) • Komorbidität: bei PTSD Risiko für SUD (OR=3.3) • Selbstmedikationshypothese (Stressreaktions-Reduktion): primäre PTSD Konsum SUD bestätigt Psychiatrische Erkrankungen und Sucht • Akute kurzfristige Einnahme von z.B. Alkohol, Benzodiazepinen oder Cannabis, aber auch Opioidschmerzmittel können anxiolytisch und stimmungsverbessernd, schmerzstillend wirken, • jedoch • führt die regelmäßige Einnahme von Alkohol, Benzodiazepinen, Opioidschmerzmitteln oder Cannabis häufig zur Gewöhnung (Toleranz) und erzeugt dann pathologische Angst, Depressionen, Panikattacken ohne schmerzstillenden Effekt! • Dies ist bei bestehenden Abhängigkeit von z.B. Alkohol, Benzodiazepinen, Opioidschmerzmitteln oder Cannabis i. d. Regel der Fall NSF-Multicenterprojekt Norddeutscher Suchtforschungsverbund www.nsfev.de • Traumatisierung, PTSD und Abhängigkeit TRAUMAB • Driessen M, Schulte S, Luedecke C, Schaefer I, Sutmann F, Ohlmeier M, Kemper U, Koesters G, Chodzinski C, Schneider U, Broese, T, Dette C, Havemann-Reinecke U (2008): Trauma and PTSD in Patients with Alcohol, Drug or Dual Dependence: A Multi-Center Study, Alcohol Clin Exp Res, Vol 32, No 3, 2008: pp 1-8 Model Traumatization Addiction Phobic disorders PTSD Psychological dissociation (CHILDHOOD) TRAUMA Chemical dissociation ALCOHOL/DRUG DEPENDENCE Dysregulation Stress-Axis W. Langeland, 2004/ HavR 2015 RELAPSE Stichprobe • • • • • • Erhebung 1/2005 bis 4/2006 459 PatientInnen aus 14 Zentren Stationär (90%), teilstationär, ambulant Kliniken (Beratungsstellen, Ambulanzen) 40% Frauen (Wissensdefizit hoch) 37 + 11 Jahre (15-65) • SUD = Substance Use Disorder: – Alkoholabhängigkeit – Drogenabhängigkeit – Alkohol- u. Drogenabhängigkeit n=182 (40%) n=154 (34%) n=123 (27%) Instrumente Einverständniserklärung Demografische Daten, Datum Aufnahme und letzter Konsum Fragebogen Diagnose Abhängigkeit, Verlauf, Therapievorgeschichte, Haftvorgeschichte, Suizidversuche IDCL, Fragebogen zum Verlauf alkohol- und drogenbezogener Europ-ASI Frühe Traumata PTSD, ABS Childhood Trauma Questionnaire ASI-Ergänzung aus STI, PDS, IDCL Psychopathologie Dissoziation Emotional response SCL-K-9, BPRS FDE (DES) SAM (Valenz, Arousal, Dominanz) Intellektuelle Einbußen MWT-B Psychopathologische Belastung (SCL-9 GSI, MW) und Traumagruppen 2,2 2 Traumagruppen F=28.8, p<.001 1,6 Substanzgruppen F=1.2, ns 1,3 Geschlecht F=0.1, ns 1,2 1 Kein Trauma Trauma Subsyndromal PTSD Emotional Response Self Assessment Manikin (SAM) Bradley & Lang, 1994 Valence (Selbstwert) Arousal (Erregtheit, Unruhe) Dominance (Dominanzgefühl) Emotional Response (SAM aktuell) und Traumagruppen 4 Valenz Arousal 3,2 2,9 3 2,5 2,4 2,9 3,6 Dominanz 2,8 3,2 3,1 2,9 Substanzgruppen ns 2,5 2,5 Geschlecht ns 2 Kein Trauma Traumagruppen alle p<.001 Trauma Subsyndromal PTSD Schweregrad der Abhängigkeit (ASI Gesamt) in den Traumagruppen 29 25 Traumagruppen F=17.9, p<.001 24 21 Substanzgruppen F=31.8, p<.001 20 Geschlecht F=2.9, ns 15 Kein Trauma Trauma Subsyndromal PTSD Ergebnisse TRAUMAB-Studie des NSF 1.Der Grad der Abhängigkeit (ASI-Score) ist bei PTSD höher als nach einer Trauma-Exposition oder ohne Trauma. Dies ist bei den alkoholabhängigen Patienten der Fall (0.25 vs. 0.18), insbesondere aber bei den drogen- und alkoholabhängigen Patienten (0,36 vs.0,24). 2.In der Gruppe der alkoholabhängigen Patienten befanden sich 15% PTSD –Patienten, bei den Drogenabhängigen 30% und alkohol-und drogenabhängigen Patienten 34%. Driessen et al. 2008 Abhängigkeit , Trauma und PTBS Schlussfolgerung ▲Das Erleben eines Traumas alleine muss nicht zwangsläufig zu psychischer Pathologie führen ▲Enger Zusammenhang zwischen Vollbild einer PTSD, Psychopathologie und Abhängigkeitsprozess ▲Wenn sich nach dem Erleben eines (Unfall)traumas eine PTBS entwickelt, ist das Risiko eines schweren Abhängigkeitssyndrom außerordentlich hoch, signifikant höher als ohne PTBS Alkoholabhängigkeit und Psychiatrische Komorbidität (NSF e.V. Multicenter Studie, U. Schneider et al. Alcohol & Alcoholism 2001) • 6-Monatsprävalenz von Achse I Störungen (53,1%) • Affektive-und Angststörungen am häufigsten (ca. 80%) • Komorbide Stresserkrankungen waren assoziiert mit frühem Beginn des Trinkens, frühem Auftreten von Entzugsymptomen, höchster Anzahl von Entgiftungen, höchster Menge von konsumiertem Alkohol • Weibliche Pat. mit Angsterkrankungen konsumierten mehr und früher Alkohol als Pat. ohne Angsterkrankungen, wiesen früher Entzugssymptome auf Unfalltraumata und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) • Depression, Angstsymptomatik und Lebensqualität verbessern sich von Woche 1 vs Woche 6 nach dem Verkehrsunfall, aber nicht die hohen Level von PTBSSymptomen 87,5% (w1) vs 82,8% (w6) • Depression (w6) war die bedeutendste Variable für die Vorhersage einer PTBS • CH Wang et al 2005 J Adv Nurs Unfalltraumata und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) • In einem PTSD-Patientenkollektiv mit Suchterkrankungen (281 Pat) einer aktuellen Therapiestudie des NSF gaben 45% als Trauma ein Unfalltrauma an. • Besonders bei diesem Klientel kann es zu länger andauernden Opioid-Schmerztherapie kommen • Nach LONTS-Therapieleitlinien sollte Opioidtherapie nicht-tumorbedingter Schmerzen nicht ≥ 3 Monaten erfolgen (W. Häusser, F. Petzke et al. Dt. Ärzteblatt Jan 2015) Opioide Opioide: 8% von 125 chronischen Schmerzpatienten entwickeln einen schädlichen Gebrauch/Abhängigkeit von Opioiden Kouyanou et al. 1997 Medicine misuse, abuse, or dependence Patients Number (n = 125) Medicinea misuse Psychoactive drugsb misuse, abuse, dependence Misuse Abuse (DSM-III-R criteria) Dependence (DSM-III-R criteria) Abuse oder dependence Analgesicc misuse, abuse, dependence Misuse Abuse (nonopioid analgesics) Abuse (opioid analgesics, DSM-III-R criteria) Dependence (opoid analgesics, DSM-III-R criteria) Benzodiazepine misuse, abuse, dependence Misuse Abuse (DSM-III-R criteria) Dependence (DSM-III-R criteria) Antidepressant misuse, abuse, dependence Misuse Abuse (DSM-III-R criteria) Dependence (DSM-III-R criteria) a Any b c kind of analgesic, sedative, antidepressant. Opioid analgesics, benzodiazepines, antidepressants. Nonopioids, opioid analgetics Percent 21 16.8 17 7 8 15 13.6 5.6 6.4 12.0 16 5 4 6 12.8 4.0 3.2 4.8 6 5 4 4.8 4.0 3.2 2 0 0 1.6 0.0 0.0 Zur Klinik der „legalen“ Opioid (Tramadol)-Abhängigkeit Tramadol (Opioid): Für moderate bis schwere Schmerzzustände zugelassen Agonistische Wirkung auf µ-Opioidrezeptoren Inhibitorische Wirkung auf Serotonin- und Noradrenalin-Transporter. HavR 2015 Klinik der Tramadolabhängigkeit von 140 stationären Pat. der Psychiatrie Universität Göttingen (Havemann-Reinecke et al. 2015) • Dauer der Tramadoleinnahme der untersuchten Patienten zum Zeitpunkt der Entzugsbehandlung 1-10 Jahre • 80% Komorbidität mit Depression • Hoher Anteil an Suizidversuchen • Nur 53% benannten für den Beginn der ersten Einnahme von Tramadol eine somatische Erkrankung • Nur 15% der behandelten tramadolabhängigen Patienten hatten eine somatische Diagnose bei Entlassung Somatische Schmerzanamnese, „legale“ Patienten, N=123 1.Bandscheibe 2.Migr äne, Kopf schmer zen 3.Zahn,LKG,Kief er höhlen 4.Pankr eas 5.Rücken 6.Beine 7.Beinamputation 8. multiple schmer zen 9.Phantomschmer zen 10.muskel 11.M.Cr ohn, Unter bauchschmer zen 12.Nier en Welche Beschwerden waren vor der Tramadoleinnahme vorhanden 2 5% 17% 20% 15% 13.Ober bauch, Gallen 14.Gelenk 15.Magen 16.Augen y 17.Osteopor ose, Knochengelenk 18.Menstur ationsschmer zen 19.Nier eninsuf f iziens 20.Ulkuser kr ankung, Gastr oduodenales Ulkus 21.nicht benannt 22.keine Beschwer den 15% 5, 00% 6, 00% 10 % 5, % 3, 00% 5% 3, 00%3 , 0 0 % 2% 2% 1, 6% 1, 6% 2,10% 6, 00% 0, 8% 0, 8% 0, 8% 0% 22, 00% 1, 60% 1, 60%2% 1, 60% Suchtanamnese (Alter), “legale” Patienten, N=123 Tramadol (Erstkonsum) 60% 50% Mittelwert = 37.44 Jahre 37,80% 40% 30% 20,70% 20% 11,40% 10,70% 10% 7,80% 7,80% 3,50% 0% unt er 2 0 Jahr e 20-30 30-40 4 0 -1 50 50 - 6 0 üb er 6 0 j nicht b ekannt Dosisverhalten, Tolaranzentwicklung und Applikationsart N75 Tägliche Enddosis bei der Aufnahm e 0- 50 50- 100 20% 100- 200 200- 300 18 % 300- 400 45% nicht benannt 16 % 400- 500 500- 600 600- 700 14 % 700- 800 800- 1000 12 % 10% 1000- 1500 10% 9% 10 % 1500- 2000 übe r 2 0 0 0 5,00% e i ne Fl a s c he 8% 6% 4, 2% 4,20% 4, 2% 4% 1, 4% 2% 2, 1% 1, 4 % 1, 40% 0, 7% 0, 7% 0, 0% 0% 0-50 50-100 100-200 200-300 300-400 400-500 500-600 1 600-700 700-800 800-1000 1000-1500 1500-2000 über 2000 Flasche Suchtanamnese von Tramadolabhängigkeit Nikotin und Alkohol A l ko ho l N i ko t i n A l ko ho l und N iko t in N123 ni cht b enannt kei ne 70% 60% 72% 50% 40% 30% 2 7% 2 5, 70 % 22,8% 19 % 20% 10 % 5,00% 0% 1 Klinik der Tramadolabhängigkeit von 140 stationären Pat. der Psychiatrie Universität Göttingen (Havemann-Reinecke et al. 2015) • Bei den meisten der Patienten, die zur Entzugsbehandlung von Tramadol kamen, war die Indikation und Dauer der Verordnung des Tramadols nicht gegeben. • Nur 53% benannten für den Beginn der ersten Einnahme von Tramadol eine somatische Erkrankung • Nur 15% der behandelten tramadolabhängigen Patienten hatten eine somatische Diagnose bei Entlassung, 80% eine Depression • Die Rolle einer möglichen PTBS als spez. Ursache für die Depression ist aus methodischen Gründen schwerer zu untersuchen (starke pharmakologische Langzeiteffekte) Pat männlich, 41J • Aufnahmemodus und aktuelle Anamnese: • Der 41-jahrige Patient stellte sich mit dem Wunsch einer qualifizierten Tramadolentgiftung auf unserer psychiatrischen Station 4099 vor. Er berichtete, dass es sich hierbei um die erste Entgiftung handele. Die Tramadolabhängigkeit bestünde seit ca. 2 Jahren. Damals sei er als Fussgänger von einem Auto seitlich erfasst worden und habe sich eine Fraktur des 4. und 5. Wirbelkörpers zugezogen. Zunächst sei er in Kassel operiert worden. lm Anschluss sei allerdings das lmplantat verrutscht, sodass er 2011erneut operiert werden musste. • lnsgesamt seien die Schmerzen im Hals-Nacken-Schulter-Bereich seit dem Unfall trotzt Medikation unverändert stark. Der Patient beschreibt die Schmerzen wie Nadelstiche. Zervikobrachialgien werden verneint. Der Patient gibt an, dass er nach dem Unfall zunachst auf Valoron eingestellt worden sei, was bei fehlender Wirkung auf Tramadol umgestellt worden sei. Er habe dieses selbstständig kontinuierlich auf aktuell 10 - 20 Tbl. Tramadol ret. 200 mg gesteigert. Diese hohe Dosis nehme er seit sechs Monaten ein, in der Zeit vor Aufnahme ca.4000 mg pro Tag. Pat männlich, 41J • Aufnahmemodus und aktuelle Anamnese ff: • Darüber hinaus berichtet der Patient, dass es seit dem Unfall ca. einmal monatlich zu einem intermittierenden Einschlafen des rechten kleinen Fingers und des ulnaren Unterarms komme. Eine Schwäche der Armmuskulatur sei ihm allerdings nicht aufgefallen. Seit wenigen Wochen habe er ferner Probleme beim Sprechen, sodass sein Sprachfluss ruckartig unterbrochen werde. Diese Symptomatik nehme bei Stress zu. Darüber hinaus berichtet der Patient, dass er in den letzten Wochen beim Lesen verschwommen sehe. • Medikation bei Aufnahme: • Tramadol ret. 200 mg: 10-0-10,Seroquel200 mg: 0-0-0-1. Pat männlich, 41J • Suchtmittelanamnese: • Tramadolabhangigkeit seit ca. 2 Jahren mit aktuell ca. 4000 mg pro Tag. Nikotinabhängigkeit mit ca. 1- 2 • Schachteln Zigaretten täglich, Marihuana-Abhängigkeit mit ca. 1-2 g pro Tag. Gelegentlicher Alkoholkonsum (ca. • 1-2 Mal pro Woche), keine weiteren Drogen. • Familienanamnese: • Heroinabhängigkeit des eineiigen Zwillingsbruders. Dieser sei 1994 an verunreinigtem Heroin verstorben. Ein anderer Bruder sei ebenfalls drogenabhängig. Pat männlich, 41J • • • Sozialanamnese: Herr K. wurde als uneheliches Kind geboren. Der Vater habe die Familie vor der Geburt seiner Söhne verlassen. Der Vater ist Herrn K. nicht bekannt. Auch zu seiner Mutter habe er aktuell nur noch sporadischen Kontakt. Herr K. habe auBer seinem Zwillingsbruder noch einen weiteren Bruder und 2 Halbschwestern. Zu allen habe er nur sehr selten Kontakt. Vom Stiefvater wurde er schwerst misshandelt. Beide Brüder waren drogenabhängig. Der Zwillingsbruder starb an verunreinigtem Heroin. Der Patient habe keinen Schulabschluss erworben, sondern die Schule nach der 9. Klasse ohne Abschluss verlassen,da er ,zu faul" gewesen sei. Eine Berufsausbildung habe er nie abgeschlossen. Er habe allerdings als selbstständiger Veranstaltungs techniker gearbeitet, sei jedoch seit dem Unfall mit Unterbrechungen krankgeschrieben. Perspektivisch wurde er wieder gerne arbeiten. Er lebe aktuell von Hartz IV. Er sei nie verheiratet gewesen, aber eine 15jahrige feste Beziehung gehabt. Die Freundin habe einen 8 Monate alten Sohn mit in die Beziehung gebracht. AuBerdem habe er gemeinsam mit ihr einen 14-jahrigen Sohn, zu dem er regelmaBigen Kontakt habe. Aktuell habe er keine Freundin seit drei Jahren. Pat männlich, 41J • Psychopathologischer Befund bei Aufnahme: • Der Patient ist wach, zu ZOPS vollständig orientiert. Anamnestisch deutliche Appetitminderung mit Körpergewichtsabnahme von 10 kg in den vergangenen drei Monaten. Durchschlafstörungen mit Erwachen etwa alle 2 Stunden, Albträume, Flashbacks, ausgeprägte Antriebsminderung und niedergeschlagene Stimmungslage. Suizidale Gedanken, jedoch aktuell ohne konkrete Absichten. Kein Hinweis auf akute Suizidalitat, keine Fremdgefährdung, kein Hinweis auf Halluzinationen, keine lch-Störungen. Pat männlich, 41J • Klinisch- neurologischer Untersuchungsbefund bei Aufnahme: • Direkte und indirekte Lichtreaktion regelrecht auslösbar. Hypakusis rechts, weiterer Hirnnervenstatus regelrecht. Stockendes, mühsames Sprechen mit ruckartigem Auftreten, welches bei Aufregung zunimmt.. Passive Beweglichkeit und Muskeltonus allseits regelrecht, Muskeltrophik unauffallig, keine extrapyramidalen Bewegungsstorungen, keine Faszikulation, allseits Kraftgrad 5. MER seitengleich mittellebhaft auslosbar, Pyramiden bahnzeichen beidseits negativ. Angabe einer Hypasthesie des Digitus 1und 2 rechts, weitere Berührungsempfindung unauffällig. Pallasthesie PSU beidseits 8/8, bimaleolar 8/8, Haltetremor beidseits, FNV beidseits sicher, Fingerfeinmotorik gut, Dysdiadochokinese beidseits, Romberg ungerichtet unsicher mit Fallneigung, UnterbergerTretversuch nicht durchfuhrbar bei ausgeprägter Standunsicherheit, normales Gangbild diskret unsicher, Ieicht breitbasig, Seiltanzergang unsicher mit Fallneigung. Pat männlich, 41J • Toxikologische Untersuchung im Urin vom 25.10.2012: • Nachweisbar sind Tramadol,Quetiapin, Nicotin,Coffein • Semiquantitatives Drogenscreening auf Cannabinoide im Urin: • 26.10.2012: 80 µg/l; 1.11.: < 10 µg/l;18.11.: < 10 µg/l, 12.12.: < 10 µg/l • • Tramadolspiegel vom 25.10.2012: • Tramadol i.S. 1700 µg/l (Ther. Bereich 100-800, toxischer Bereich > 1000µg/l, letaler Bereich > 2000). 0- Desmethyltramadol i.S. 346 µg/l (5-123) Pat männlich, 41J • Diagnosen: • Opioidabhängigkeit (Tramadol) (F 11.2) mit Opioidintoxikation und Opioidentzugssyndrom (F11.3) • Schädlicher Gebrauch von Cannabis (F 12.1) • Nikotinabhängigkeit (F 17.2) • Schwere depressive Episode (F 32.2) • V. a. Narzistische Persönlichkeitsstörung • V. PTBS (F43.1) • Ventrale Plattenosteosynthese nach traumatisch sequestriertem BSV HWK 5/6 mit Wurzelkompression C6 rechts 09/2010, ReOperation 04/2011bei Subluxationsstellung der implantierten BSProthese kleiner medialer, links praforaminaler BSV HWK 6/7 ohne signifikante neuroforaminale Einengung • Unterschenkelödeme unter Doxepin und/oder Gabapentin • akute Rhinosinusitis Epidemiologische Evidenz Zusammenhang von SUD und PTSD (Ouimette und Brown 2003, Schäfer und Kraus 2006) • Komorbidität: bei PTSD Risiko für SUD (OR=3.3) • Selbstmedikationshypothese (Stressreaktions-Reduktion): primäre PTSD Konsum SUD bestätigt • Vulnerabilitätshypothese: primäre SUD wenn Trauma erhöhtes Risiko für PTSD möglich (z.B. Bombe in Oklahoma) • Risiko-Hypothese: primäre SUD Traumarisiko steigt PTSD-Risiko erhöht nicht bestätigt Faktoren für Entstehung und Verlauf von Abhängigkeit Psychische Erkrankungen Suchtstoff („Griffnähe“) Medikamente Suchthilfe HavR UNFALL-TRAUMA mit Entstehung einer PTBS und SUCHTERKRANKUNGEN • 1. TRAUMA ohne vorbestehende Suchterkrankung →►PTBS →►Sucht-Ersterkrankung, schwer (Unfallfolge) • 2. TRAUMA + vorbestehender Suchterkrankung →►PTBS • →►Zunahme der Schwere der Sucht-Ersterkrankung, • →►und/oder weitere Suchterkrankung(en), z.B. durch Langzeitmedikation mit Opioiden/Benzodiazepinen • (Unfallfolge) UNFALL-TRAUMA ohne Entstehung einer PTBS, mit SUCHTERKRANKUNGEN • TRAUMA + vorbestehende Suchterkrankung, abstinent oder floride →►1. (kurzzeitige) Reaktivierung der bestehenden Suchterkrankung • →►2. Entstehung weiterer Suchterkrankung(en), z.B. durch Langzeitmedikation mit Opioiden/Benzodiazepinen (Unfallfolge) ZUSAMMENFASSUNG • 1. Im Falle von Alkohol-und Schmerzmittelproblemen sollten die Diagnosen der Suchterkrankungen (Schädlicher Gebrauch/Abhängigkeit) gestellt werden mit Verifizierung von Urinanalysen und klinischem Befund ZUSAMMENFASSUNG • 2. Das Entstehen einer Suchterkrankung ist nach erlebtem Unfalltrauma am ehesten unfallbedingt, wenn durch das Trauma eine PTBS entsteht und/oder eine Langzeitmedikation mit Opioiden zu einer zusätzlichen Suchterkrankung führt. • 3.Letzteres kann auch für die sekundäre Entstehung einer Benzodiazepinabhängigkeit der Fall sein. • 4. eine PTBS muss mit spezifischen Manualen geprüft werden. • Cave tox. Effekte der Suchtstoffe und Entzugssymptomatik! ZUSAMMENFASSUNG • Methodische Defizite: • Studien teils ohne Differenzierung der Traumen • In Suchtpatienten wird die PTBS häufig übersehen! • Daher TAKE HOME Message: • Bei Suchtpatienten an PTBS denken! • Forschungsbedarf Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Prävalenzraten http://www.ift.de/IFT_deut/Daten/praevalen z.htm Medikamentenabhängigkeit ICD 10 F13.2 und F 11.2 • • • • • Ca. 2 Millionen in BRD Benzodiazepinabhängigkeit Benzodiazepinentzug Opioidabhängigkeit Opioidentzug Magdalena M. Brzózka work in progress 30 10 2009 CMPB Age at onset of alcohol-related symptoms (DSM IV criteria), alcohol-dependence only 38 36 PTSD Subsyndromal n=36 Trauma exposure n=37 No exposure n=56 32 30 28 26 7 C rit . 5 rit . C C rit . 6 2 rit . C C rit . 4 3 rit . C rit .1 24 C Age (MEAN) 34 Onset of DSM IV criteria of alcohol dependence F=3.4, p=.017; SUD F=34.1, p<.001, gender F=5.1, p=.025 CMPB work in progress 30 10 2009 Magdalena M. Brzózka Kein Effekt auf die Entwicklung der Drogenabhängigkeit ! Mögliche Erklärung: Früher und gleichzeitiger Beginn von PTSD und Drogenabhängigkeit Kein Effekt auf die Entwicklung der Drogenabhängigkeit ! Mögliche Erklärung: Früher und gleichzeitiger Beginn von PTSD und Drogenabhängigkeit CMPB Magdalena M. Brzózka work in progress 30 10 2009 Triangle: Stress, Biological factors/Genes and drugs → Psychiatric diseases psychosocial stress Psychosis Addiction Anxiety Depression cannabis abuse CB1 receptor endogenous CB biological factors genetic factors Data from the CNMPB www.cmpb.de ,Göttingen, Germany Zur Klinik der „legalen“ Opioid (Tramadol)-Abhängigkeit Methode Krankenakten-Daten von 140 Patienten, die in der Zeit von 1985 – 2005 in der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen wegen einer Abhängigkeit von Tramadol (ICD 10 F 11.2; F 19.1; F 19.2) behandelt wurden, wurden retrospektiv ausgewertet hinsichtlich Sozial-, Familien-, Schmerz- und Suchtanamnese; psychiatrischen u. somatischen Erkrankungen; Suizidalität, Herkunft des Tramadols (Verschreibung: "legal", Schwarzmarkt: "illegal" ), Entzugssymptomen, Therapie (medikamentös, Compliance, Verlauf). HavR 2015 Psychiatrische Erkrankungen, „legale“ Patienten, N=123 Diagnose Depresssion ja nein nicht benannt 10 0 % 90% 80% 75% 70 % 60% 50 % 40% 30% 20% 16 % 9% 10 % 0% 1 Suizidversuche n123 Suizidversuche (Patient) 80% 70% nicht benannt ja nein 60% 50% 50% 40% 40% 30% 20% 10 % 10% 0% 1 Intoxikation/Entzugssymptome Krampfanfall ja nein N140 ni cht b enannt 50% 43,5% 45% 40% 35,7% 35% 30% 25% 20,7% 20% 15 % 10 % 5% 0% 1 TRAUMAB: Beteiligte Zentren 1 Beusinger Mühle 10 Uni KFP Rostock 3 LKH Göttingen 11 Uni KJPP Rostock 4 Uni Göttingen 14 FK Nettetal 5 ZIS UKE Hamburg 15 FK Freistatt 6 MH Hannover 16 EVKB Bielefeld 7 DROBS Hannover 17 WZPP Gütersloh 9 Uni KPP Rostock 18 KPP Schwerin Abhängigkeit , Trauma und PTBS Schlussfolgerung ▲Wenn bereits vor dem traumatischen Erleben eines (Unfall)traumas ein Schädlicher Gebrauch oder in der Vergangenheit eine weniger schwere Abhängigkeit mit geringem Konsum oder Abstinenz bestand, so ist bei Entwicklung einer PTBS das Hinzukommen einer zusätzlich neuen Abhängigkeit beim länger andauernen Einsatz von z.B. OpioidSchmerzmedikamenten hoch wahrscheinlich. NSF (Norddeutscher Suchtforschungsverbund) e.V. http://www.nsfv.de • Vorstand • U. Havemann-Reinecke (Vorsitzende), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen, von Sieboldstr. 5, 37075 Göttingen • I. Schäfer (Stell.Vorsitzender), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Univerisität Hamburg Eppendorf • K.F. Cimander (Geschäftsführer), Praxis für Drogenkranke, Deisterstr.19, 30449 Hannover • S. Weirich (Schriftführer), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Rostock, 18055 Rostock • T. Hillemacher (Beisitzer), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MHH, Hannover Opioide • Viele Schmerzpatienten werden nicht abhängig von den verabreichten Opioiden • Es wird nur ein gewisser Anteil (ca. 6 12 %) der Schmerzpatienten abhängig von Opioiden! Pat männlich, 41J • • • Sozialanamnese: Herr Keutel wurde als uneheliches Kind geboren. Der Vater habe die Familie vor der Geburt seiner Söhne verlassen. Der Vater ist Herrn Keutel nicht bekannt. Auch zu seiner Mutter habe er aktuell nur noch sporadischen Kontakt. Herr K. habe auBer seinem Zwillingsbruder noch einen weiteren Bruder und 2 Halbschwestern. Zu allen habe er nur sehr selten Kontakt. Vom Stiefvater wurde er schwerst misshandelt. Beide Brüder waren drogenabhangig. Der Zwillingsbruder starb an verunreinigtem Heroin. Der Patient habe keinen Schulabschluss erworben, sondern die Schule nach der 9. Klasse ohne Abschluss verlassen,da er ,zu faul" gewesen sei. Eine Berufsausbildung habe er nie abgeschlossen. Er habe allerdings als selbststandiger Veranstaltungs echniker gearbeitet, sei jedoch seit dem Unfall mit Unterbrechungen krankgeschrieben. Perspektivisch wurde er wieder gerne arbeiten. Er lebe aktuell von Hartz IV. Er sei nie verheiratet gewesen, aber eine 15jahrige feste Beziehung gehabt. Die Freundin habe einen 8 Monate alten Sohn mit in die Beziehung gebracht. AuBerdem habe er gemeinsam mit ihr einen 14-jahrigen Sohn, zu dem er regelmaBigen Kontakt habe. Aktuell habe er keine Freundin seit drei Jahren. Pat männlich, 41J • Suchtmittelanamnese: • Tramadolabhangigkeit seit ca. 2 Jahren mit aktuell ca. 4000 mg pro Tag. Nikotinabhangigkeit mit ca. 1- 2 • Schachteln Zigaretten taglich, Marihuanaabhangigkeit mit ca. 1-2 g pro Tag. Gelegentlicher Alkoholkonsum (ca. • 1-2 Mal pro Woche), keine weiteren Orogen. • Familienanamnese: • Heroinabhangigkeit des eineiigen Zwillingsbruders. Dieser sei 1994 an verunreinigtem Heroin verstorben. Ein anderer Bruder sei ebenfalls drogenabhangig. Behandlungen von Suchterkrankungen • In Deutschland werden gegenwärtig nur ca 8-max. 10% der Suchtkranken behandelt! Unfalltraumata, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Sucht • Depressions- und Angstsymptomatik sowie eine Dysregulation der Stressachse spielen für die Entwicklung einer Suchtproblematik bezogen auf Alkohol, Schmerzmedikamente und andere süchtig machende Substanzen eine besondere Rolle Psychiatrische Komorbidität von Alkohol-und Opioidabhängigkeit • Anzahl der affektiven Störungen sowie der Angststörungen ist bei beiden Substanzabhängigkeiten vergleichbar hoch • Bei den Opioidabhängigen spielen eher die langanhaltenden affektiven Störungen eine Rolle • Komorbide Stresserkrankungen wurden besonders bei Opioidabhängigen im Entzugsbehandlung diagnostiziert • Weibliche Patienten > männliche Patienten Faktoren für Entstehung und Verlauf von Abhängigkeit • • • • • • • Alter Geschlecht Biologische Faktoren, Genetik Lebensgeschichte (z.B. Stress) Psychiatrische Komorbidität Somatische Komorbidität (Schmerz) Verfügbarkeit von Drogen Göttinger Tageblatt vom 20.10.12 Unfalltraumata und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) • In einem PTSD-Patientenkollektiv mit Suchterkrankungen (281 Pat) einer aktuellen Therapiestudie des NSF gaben 45% als Trauma ein Unfalltrauma an. • Besonders bei diesem Klientel kann es zu länger andauernden OpioidSchmerztherapie kommen Faktoren für Entstehung und Verlauf von Abhängigkeit Psychische Erkrankungen Suchtstoff („Griffnähe“) Medikamente Suchthilfe HavR