Missionarische Ökumene im Kontext religiöser Pluralität und Renaissance Statement von Bischof Dr. Joachim Wanke bei einem Podiumsgespräch auf einer Studientagung der ACK vom 9.-10. Mai 2007 in Fulda Die Bezeugung des Evangeliums von Gottes Rettungstat in Jesus Christus gehört zum Grundvollzug christlicher Existenz. Dieses Zeugnis ist gleichsam die Lackmusprobe des eigenen, persönlichen und gemeinschaftlichen Christusglaubens. Darin sind sich wohl alle christlichen Konfessionen einig. Die Tatsache der Spaltung der Christenheit in verschiedene Glaubensrichtungen, die sich größtenteils als selbstständige Kirchen verstehen, problematisiert dieses Zeugnis. Für den Außenstehenden erhebt sich sofort die Frage, welche der christlichen Gemeinschaften das authentische Zeugnis des Evangeliums bewahrt und welcher dieser Gemeinschaften sich darum anzuschließen wäre. Es gehört zu den wichtigen Impulsen der Ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts, nach dem gemeinsamen Zeugnis (und darin implizit auch dem gemeinsamen Bekenntnis) des apostolischen Glaubens trotz konfessioneller Geschiedenheit in unterschiedliche „Kirchentümer“ zu fragen. Dafür steht die Missionskonferenz Edinburgh 1910, deren 100-jähriges Jubiläum nahe bevorsteht. Für unser gemeinsames Gespräch über die heutigen Chancen einer gemeinsamen „Mission“ der Christen für Nichtchristen möchte ich auf folgende Gesichtspunkte aufmerksam machen: 1.Es gibt derzeit aus unterschiedlichen Gründen ein neues Interesse an den Religionen. Dazu trägt vor allem die neu in den Blick getretene politische Bedeutung der Religionen im globalen Politikgeschehen bei, besonders die Frage nach der Friedensfähigkeit der einzelnen Religionen. Es hat sich zudem erwiesen, dass die These der Soziologen, mit zunehmender Privatisierung des Phänomens Religion in den entwickelten Gesellschaften der Industrienationen verliere die Religion an weltgestaltender Kraft, falsch ist. Die Säkularisierung im Sinne eines gesellschaftlichen Bedeutungsverlustes von Religion in einigen europäischen Ländern ist weltweit gesehen die Ausnahme, nicht die Regel. Ferner gibt es im Prozess der Spätfolgen von Aufklärung und Religionsabstinenz in der europäischen Moderne ein neues Fragen nach der Möglichkeit, Humanität und Rationalität des Menschen angesichts des Abgrunds an Inhumanität und Nihilismus, den das 20. Jahrhundert aufgerissen hat, zu bewahren. Dafür steht etwa beispielhaft das Gespräch zwischen Josef Ratzinger und Jürgen Habermas. Es gibt ein neues Gespür für die in den Religionen verborgenen Potenziale an Welt- und Lebenswissen und auch an Humanität, die freilich erschlossen werden müssen. Es besteht darum eine neue geistige Atmosphäre, die das Gespräch zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen und nichtreli- giöser Überzeugungen bezüglich der Bedeutung und Aneignung des Evangeliums als Grundlage einer christlichen Welt- und Lebensdeutung durchaus hoffnungsvoll macht. 2. Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften müssen sich dringlich darüber verständigen, ob das Bekenntnis zu der einen, heiligen, katholischen/christlichen und apostolischen Kirche mit ihren Ämtern nur eine geschichtliche Zufälligkeit oder wesensnotwendiger Bestandteil des Erlösungswerkes Christi ist. Das gilt unabhängig von der Frage, welche konkrete Gestalt diese Kirche und das in ihr eingestiftete Amt haben muss, was ja eine gewissen Bandbreite von Konkretionen zulässt. Hier wäre an die leider weithin vergessene LIMA-Erklärung zu erinnern, die im Blick auf diese Frage ein gutes Fundament für eine weitere Verständigung darstellt. Der „heilsnotwendige Dienst am Evangelium“ setzt aus meiner Sicht den „notwendigen Dienst“ des Amtes voraus, und das nicht nur aus einem Machtanspruch des (ohne Zweifel geschichtlich gewachsenen) Amtes heraus, sondern aus der prinzipiellen Notwendigkeit des Vorrangs Christi vor seiner Kirche, die nur weitergibt und darstellt, was sie ständig selbst empfängt. Das aber macht Kirche nicht überflüssig oder zu einer rein spirituellen Größe, wenn sie denn fortdauernd „Leib Christi“ bleiben soll. 3. Ich mache ferner aufmerksam auf die Notwendigkeit, die Sozialgestalt der besonders hier in Deutschland gewachsenen Kirchen und Gemeinschaften den veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Dies trifft vermutlich als Herausforderung stärker die größeren Kirchen, lässt aber auch die kleineren Kirchen und Gemeinschaften nicht unberührt. Grundlegend hat sich z. B. die Lage hinsichtlich der Weitergabe christlicher Glaubensüberzeugungen in der Familie geändert. Die starke Individualisierung und Freisetzung des Einzelnen von gesellschaftlichen und kulturellen Vorgaben aller Art verändert den Prozess des Christwerdens, wie er in den letzten Jahrhunderten hierzulande gewachsen war. Das erfordert eine neue Gestalt der Einführung in den Glauben, einen „katechumenalen Weg“ in Anlehnung an die Alte Kirche, der heutigen Denk- und Lebensgewohnheiten Rechnung trägt. Die Seelsorge wird sich daher einerseits nach innen dem Aufbau starker, um Wort und Sakrament gesammelter Kerngemeinden mühen, aber andererseits auch so etwas wie eine „Verkündigung mit gesellschaftlicher Breitenwirkung“ im Blick haben müssen, die Unentschiedene und Fragende anspricht. Gerade bei dieser Art von „Mission“ ergibt sich schon heute ein breites Feld ökumenischer Zusammenarbeit bei aller Respektierung des jeweiligen kirchlichen Selbstverständnisses.