king kulturartikel Grüneis

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King - Tanztheater nach der Erzählung von John Berger
Man fegt uns weg vom Arsch der Welt
Drei Kings vereint in einem Tanztheaterprojekt: John Berger schrieb das Buch „King“, Helmut
King zeichnete das Plakat und Maria King ist eine der Tänzerinnen in der Produktion „King“, das
eigens für das Feldkirch Festival mit dem diesjährigen Motto: „Könige, Bettler, Narren“
produziert wurde.
Anita Grüneis
Am Anfang war die Begeisterung von Ursula Sabatin, Künstlerische Leiterin des Vereins
Tanzufer, für die Bücher von John Berger. „Ich mochte seine Sprache und seine Art zu
erzählen. Als ich „Sau Erde“ las, dachte ich sofort an ein Tanzstück im Freien. Es ist die
Leichtigkeit des Seins, die mich gefangen nimmt, die Unbeschwertheit, mit der jedes Individuum
durchs Leben zu tanzen scheint.“ Dass es dann aber wirklich einmal einen Tanzabend zu
Bergers Texten geben würde, hat sie selbst nicht zu träumen gewagt. „Als ich las, dass das
diesjährige Thema des Feldkirch Festivals unter dem Motto „Könige, Bettler, Narren“ steht,
erinnerte ich mich sofort an das Buch „King“ von John Berger. Ich dachte, in dieser Geschichte
sind sie alle versammelt, die Könige, die Bettler und die Narren.“
Ursula Sabatin besprach ihre Idee mit der Regisseurin Brigitta Soraperra. Gemeinsam
erarbeiten sie ein Konzept für diesen Tanzabend. Mit einem Budget von 30'000 Euro und mehr
als 20 Mitwirkenden sollte das Projekt realisiert werden – ein schweres Unterfangen, wie sich
bald herausstellte. „Wir können nur die letzten zwei Wochen vor der Premiere am Stück proben,
davor trafen wir uns an Wochenenden und an Abenden und immer an anderen Orten. Das
brachte eine immense organisatorische Arbeit mit sich.“ Bereits im September letzten Jahres
begann die Trainings -und Erarbeitungsphase, die intensive Phase startete im Mai diesen
Jahres.
Am Rande ist das Leben ausgefranst
In Bergers Roman erzählt der Hund "King" von seinen Beobachtungen. Er selbst hat auch
schon bessere Zeiten gesehen. Damals, als Wachtposten am großen Flughafen, das war noch
eine Aufgabe! Man war noch jemand. Heute lebt King mit dem Obdachlosenpärchen Vico und
Vica in einer schäbigen Hütte und muß sich Tag für Tag gebrüllte Sätze anhören, wie "die sollte
man mit einem Schlauch von der Straße spülen!" Manchmal treten die Leute auch nach King, er
aber steht darüber. Er ist nämlich klug. Und er hat eine Aufgabe. Er ist Beschützer und
Sprachrohr all jener, deren Stimme zu schwach geworden ist, um noch Gehör zu finden. So
wurde King zum Bewahrer ihrer Geschichte. King, der Hund von Vico und Vica!
Für Brigitta Soraperra, die eine dramaturgische Fassung des Buches erarbeitete, gab es einige
zentrale Sätze von John Berger: „Menschenwesen sind zum Tanzen bestimmt. Denn nur beim
Tanzen brauchen sie all ihr Geschick und ihr Können. Ihre Tricks und ihre List, selbst ihre
schreckliche Aufrichtigkeit werden zu Gaben, reinen Talenten. Tangowesen.“ Für sie eröffnete
sich damit ein tanztheatralisches Universum, das auf dem Spannungsverhältnis zwischen dem
Inhalt/Thema und dem Mittel des Tanzes basiert. „Und genau diese Wechselwirkung interessiert
uns in unserer szenischen Umsetzung des Stoffes.“ Dazu ergab sich mit der Spielstätte des
Hallenbads ein optimaler Raum. „Die Menschen blicken – wie im richtigen Leben - auf diese
Ausgestossenen hinab. Die Kacheln erzeugen eine kalte Atmosphäre, der gesamte Raum wirkt
schmuddelig und schmutzig“, so Sabatin.
Geschichten und Gesichter
Am Anfang führt eine Videosequenz die Zuschauer zu dieser Müllhalde. Dann übernimmt der
Schauspieler Markus Mathis die Führung. Er erzählt aus der Perspektive des Hundes King von
den Obdachlosen in Saint Valery. Vico und Vica, das ältere Ehepaar, verkauft Blumen und
Radieschen. Auch Jack ist dabei, der selbsternannte „Baron“ der Halde, der sich aus Katalogen
Papierjacketts schneidert. Alfredo gehört dazu, der mit seiner Gitarre durch die Straßen zieht,
und Marcello, der Elektrogeräte sammelt, Saul, der die Bibel liest, und der tätowierte Riese
Joachim, der mit seiner Katze unter einer LKW-Plane haust. Sie bilden eine wundersame
Familie, deren Leben geprägt ist von Armut und Einfachheit, von Alkoholismus und Einsamkeit,
von Scheitern und Verzweiflung, aber auch von der Freude an den kleinen Dingen, von
Erinnerungen an bessere Zeiten, und von erstaunlicher Solidarität im gemeinsamen Schicksal.
Die Truppe aus Vorarlberg
Die Compagnie „Tanzufer“, die sich extra für „King“ formiert hat, besteht aus professionellen und
nichtprofessionellen Tänzern und Tänzerinnen aus Vorarlberg. Ergänzt werden sie vom
Schauspieler Markus Mathis. Die Tänzer/innen sind: Natalie Begle, Anja Burtscher, Helga
Burgstaller, Michaela Draxler, Brigitta Frick, Ruth Grabher, Wolfgang Geiger, Maria King, Georg
Kühne und Elke Maria Riedmann. Für jede und jeden von ihnen ist Tanz etwas Besonderes.
„Tanzen bedeutet für mich alles auf den Kopf stellen“, so Natalie Begle aus Dornbirn. Für die
Bludenzerin Helga Burgstaller bedeutet Tanzen eine „Herausforderung, sich einlassen, sich
fallenlassen, Körper sein“. Michaela Draxler aus Bürs meint, „Tanzen ist Reden ohne Worte“
und die Feldkircherin Brigitta Frick geniesst das Tanzen zum „Abschalten und Weiterkommen.“
Die Psychologin Ruth Grabher aus Düns braucht den Tanz „zum Überleben“, Wolfgang Geiger
aus Feldkirch, entkommt damit „der verkopften Welt“, Maria King aus Hörbranz will mit dem
„Körper lachen“, Georg Kühne aus Rankweil einfach „in Bewegung bleiben“ und die
Dornbirnerin Elke Maria Riedmnann findet im Tanzen „Erholung, Freude, Abwechslung und
Vielfalt“. Eine Herausforderung ist die Produktion auch für die beiden Musiker Alfred Vogel und
Vincent Lucas Dietrich. Der Schlagzeuger Alfred Vogel hat bereits Erfahrung mit Theatermusik,
er komponierte vor acht Jahren Musik für „Die Bremer Stadtmusikanten“ und kürzlich für das
Stück „Biedermann und die Brandstifter“. Der Bassist Vincent Lucas Dietrich, der letzten
Sommer sein Studium bei Prof. Jacques Vidal abschloss und in Paris lebt, kennt das
Kombinieren von live gespielter Musik und Elektronik (Laptop, Loops & Effekte) aus dem „Salon
Fumé“.
Gelebte Solidarität von Randgruppen
Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen den gesamten Spielverlauf immer auch „aus der
Perspektive des Hundes“ und erhalten dadurch einen ungewohnten Blickwinkel auf die
dargestellten Situationen. Diese Wirkung wird durch eine Live-Kamera erzeugt, die das
Geschehen gleichsam auf Hundehöhe verfolgt und auf die Hallenbadwände projeziert. Die
getanzten Erzählungen werden vom Schauspieler Markus Mathis kommentiert.
„Die Grundstimmung ist auch hier eine Leichtigkeit, selbst Streitszene und Anpöbelungen wirken
nicht hart oder grob. Das ist für mich das Erstaunliche“, sagt Ursula Sabatin. Für sie kann die
Obdachlosigkeit auch die klare und bewusste Entscheidung eines Menschen sein, der auf das
Haben verzichtet. „Obdachlose leben vor unseren Augen. Sie verbergen nichts. Und ich finden,
wir haben kein Recht, sie deshalb zu verurteilen.“ Brigitta Soraperra, die das Buch
dramaturgisch bearbeitet hat, sagt: „Ziel unseres Projekts ist eine vorurteilsfreie und durchaus
auch ungewohnte Auseinandersetzung mit Randgruppen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer
werden eingeladen, Menschen kennen zu lernen, an denen sie auf der Straße vielleicht
unachtsam vorbeieilen würden, Sympathien für Randständige zu entwickeln, denen sie sonst
möglicherweise lieber aus dem Weg gehen, Verständnis für Ängste, Nöte aber auch
Freiheitssehnsüchte zu entwickeln, die ihrem eigenen, relativ abgesichertem Alltag
möglicherweise fremd sind . Und wenn am Schluss des Abends die Katastrophe unbarmherzig
ihren Lauf nimmt, haben sie vielleicht die Erkenntnis, dass es nicht darum geht, Menschen, die
nicht der Norm entsprechend funktionieren, aus der Gesellschaft auszuklammern, sondern sie
zu einem Bestandteil zu machen, denn der Umgang mit dem und den „Abnormen“ kennzeichnet
den Grad an Menschlichkeit einer Gemeinschaft.“
King. Uraufführung
Tanztheater nach der Erzählung von John Berger: Compagnie Tanzufer
Premiere: 6. Juni 2005 22 Uhr
Weitere Aufführungen: 7. Juni 22 Uhr /11. + 14. Juni 20. Uhr 2005
im Alten Hallenbad Feldkirch
in Kooperation mit dem Feldkirch Festival 2005
dem Theater am Saumarkt
und der Fachhochschule Vorarlberg
Sprecher: Markus Mathis
Künstlerische Leitung/ Choreografie: Ursula Sabatin
Choreografische Assistenz: Natalie Begle
Komposition: Alfred Vogel und Vincent Lucas Dietrich
Bühnenbild: Johannes Rauch
Kostüme: Sabina Kellner
Video: Sigrid Fleckseder
Dramaturgie: Brigitta Soraperra
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