Vier Welten der Demokratie. Ein Kommentar zu Arend Lijpharts

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Vier Welten der Demokratie
Ein Kommentar zu Arend Lijpharts
Neubearbeitung von Patterns of Democracy (2012)
Manfred G. Schmidt
(Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg)
Varieties, Crises, and Innovations of Democracy.
An International Symposium to honour Gerhard Lehmbruch on the occasion
of his 85th birthday
Berlin, 3. Mai 2013
7.4.2013
Wie gelangt man zum „Rom der Demokratie“ (Lehmbruch 1987: 3)? Der älteren
Komparatistik zufolge führt dorthin nur der Weg über eine Demokratie mit
Mehrheitswahlsystem und einer relativ homogenen politischen Kultur. Die
moderne Vergleichende Politikwissenschaft sieht das anders: Viele Demokratien mit Verhältniswahl und einer tief gespaltenen Gesellschaft erweisen sich als
mindestens ebenso stabil, handlungsfähig und offen für Machtwechsel und politische Innovationen wie die Mehrheitsdemokratien. Den Nachweis dafür führten vor allem Gerhard Lehmbruch und Arend Lijphart in ihren bahnbrechenden Beiträgen zur Vergleichenden Politikwissenschaft. „Proporz“-, „Konkordanz“- und „Verhandlungsdemokratie“ heißen die Stichworte bei Lehmbruch
(1967, 1992, 1996, 2003, 2012), „consociational democracy“, „consensus democracy“, „negotiation democracy“ und als gemeinsamer Nenner „power sharing
democracy“ sind die Schlüsselbegriffe bei Lijphart (1977, 1984, 1999, 2008a,
2012, Zitat 2008a: 3).
Lehmbruch und Lijphart haben der vergleichenden Demokratieforschung
durch
ihre
Differenzierung
zwischen
Mehrheitsdemokratien
und
nichtmajoritären Demokratien bis heute wegweisende Impulse gegeben. Beide
erweiterten den Demokratienvergleich zudem in jeweils spezifischer Weise:
Lehmbruch profilierte sich durch die Analyse des spannungsreichen
Zusammenwirkens von mehrheits- und verhandlungsdemokratischen Konfliktregelungsmustern einerseits und politischer Steuerung andererseits. Davon
zeugt insbesondere seine 1976 vorgelegte, mittlerweile in der dritten Auflage
erschienene Studie über den Parteienwettbewerb im deutschen Bundesstaat
(Lehmbruch 2000). Hinzu kommt Lehmbruchs instruktive Verknüpfung der
Demokratieforschung mit der Analyse korporatistischer Interessenvermittlung
(Lehmbruch/Schmitter 1982, Schmitter/Lehmbruch 1979). Lijpharts Schwer-
2
punkt hingegen ist insbesondere die – qualitative und quantitative Verfahren
kombinierende – Erkundung der „Patterns of Democracy“, so der Haupttitel
seiner Studien von 1999 und 2012, und ihres politischen Leistungsprofils. Damit
beflügelte er eine Forschung, die, wie Lehmbruch, dem Zusammenhang zwischen politischen Institutionen und der Staatstätigkeit nachgeht.
Bei allen Gemeinsamkeiten sind die Unterschiede zwischen Lehmbruchs und
Lijpharts analytischem Zugriff nicht zu übersehen: Lehmbruch bevorzugt die
qualitativ-vergleichende institutionalistische Forschung mit einer kleineren
Fallzahl und tiefenscharfer, entwicklungsgeschichtlich ausgerichteter Perspektive. Lijphart hingegen, ein vom Behavioralismus und von der quantifizierenden Politikforschung geprägter Wissenschaftler, vergleicht eine größere Anzahl
von Demokratien und ihre Wirkungen. Wenngleich Lehmbruch und Lijphart
mit Verhandlungsdemokratien sympathisieren, springt doch ein Unterschied
im Grad des Engagements für nichtmajoritäre Regime ins Auge: Lehmbruch ist
der durch den Historischen Institutionalismus geprägte Analytiker, der verfassungschirurgischen Eingriffen gegenüber skeptisch bleibt. Lijphart hingegen ist
Verfassungsingenieur. Demokratieförderliches constitutional engineering ist sein
Anliegen. Dafür hat er eine Zauberformel. Sie heißt Konsensusdemokratie.
Diese Zauberformel entstammt Lijpharts Studien über Mehrheitsdemokratien
und ihre nichtmajoritären Gegenstücke. Wegweisend dafür sind insbesondere
sein 1984 veröffentlichtes Buch Democracies und die Vorstudien wie Lijphart
(1977). 1999 folgte die Erweiterung der 1984er-Studie unter dem Titel Patterns of
Democracy. Sie ist – mehr noch als das Werk von 1984 – ein Meilenstein der Vergleichenden Politikwissenschaft. Seit Herbst 2012 liegt die neubearbeitete und
in der Datenbasis bis 2010 aktualisierte Fassung dieses Werkes vor. Sie wird im
Folgenden gewürdigt.
1. Mehrheits- und Konsensusdemokratien im Lichte von Lijphart (2012)
Wie schon in den Vorläufern von 1984 und 1999, gründet Lijphart den Vergleich der Demokratien 2012 auf die Unterscheidung zweier Typen: die
„Westminster“- oder „Mehrheitsdemokratie“ und die „Konsensusdemokratie“.
Machtkonzentration zeichnet die Mehrheitsdemokratie aus, Machtaufteilung ist
das Markenzeichen der Konsensusdemokratie.
Wie in der Studie von 1999 erfasst Lijphart die Mehrheits- und die
Konsensusdemokratie auch in seiner Studie von 2012 anhand von zehn Merkmalen. Es sind dies:
1. die Konzentration der Exekutivmacht in den Händen einer alleinregierenden,
auf die Mehrheit im Parlament gestützten Partei im Falle der Mehrheitsdemo-
3
kratie und die Aufteilung der Exekutivmacht auf breite Koalitionen von Parteien in der Konsensusdemokratie,
2. die Dominanz der Exekutive über die Legislative anstelle des Kräftegleichgewichts zwischen Exekutive und Legislative,
3. ein Zweiparteien- oder Beinahe-Zweiparteiensystem im Unterschied zum
konsensusdemokratischen Vielparteiensystem,
4. die Mehrheitswahl mit ihrer hohen Disproportionalität von Stimmen- und
Sitzanteilen an Stelle der Verhältniswahl,
5. pluralistische Staat-Verbände-Beziehungen statt korporatistische Muster der
Interessenvermittlung,
6. ein unitarischer, zentralisierter Staat in der Mehrheitsdemokratie versus ein
föderalistischer, dezentralisierter Staatsaufbau in der Konsensusdemokratie,
7. ein Einkammer-Parlament im Gegensatz zum konsensusdemokratischen
Zweikammersystem mit gleich starken Kammern,
8. eine mit einfacher Mehrheit veränderbare Verfassung oder das Fehlen einer
geschriebenen Verfassung anstelle von konstitutioneller Rigidität infolge einer
geschriebenen Verfassung, die nur mit Supermehrheiten geändert werden
kann,
9. das Letztentscheidungsrecht der Legislative über die Gesetzgebung im Unterschied zur richterlichen Nachprüfung der Gesetzgebung und
10. eine von der Exekutive kontrollierte Zentralbank statt einer autonomen
Zentralbank.
Die Mehrheitsdemokratie ist die Staatsverfassung der Machtkonzentration. Sie
verschafft der Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen Regierung bei
der Politikgestaltung einen großen Spielraum.
Die Konsensusdemokratie“ („consensus democracy“) oder „Verhandlungsdemokratie“ („bargaining democracy“) (Lijphart 2012: 2) hingegen ist die
Staatsverfassung der Verantwortungsverteilung und der Machtaufteilung. Sie
ist eine „power sharing democracy“ (Lijphart 2008a: 3). Sie enthält Sicherungen
und Gegenkräfte gegen die Mehrheit in der Legislative und die Exekutive. Die
Konsensusdemokratie will zudem der Minderheit die Chance der Machtteilhabe offenhalten. Dafür kommen ein suspensives oder absolutes Veto ebenso in
Frage wie hohe Zustimmungsschwellen, beispielsweise Zweidrittelmehrheit
oder Einstimmigkeit.
Lijpharts Studie von 2012 fokussiert auf jene 36 Staaten mit einer Bevölkerung
von mindestens 250.000 Einwohnern, die seit 1989 oder früher demokratisch
verfasst sind, und zwar im Zeitraum von der ersten demokratischen Wahl im
Jahre 1945 oder später bis zum 30. Juni 2010 (Lijphart 2012: 46). Über die ausgewählten Länder informieren im Detail die in der Tabelle 1 genannten Demokratien.1 Zu ihnen gehören 33 der 36 Staaten der Studie von 1999. Aufgrund
von Demokratiebeschädigungen größerer Art schloss Lijphart Kolumbien, Pa-
4
pua-Neuguinea und Venezuela aus dem Kreis der etablierten Demokratien aus.
Neu hinzu kamen dafür Argentinien, Korea und Uruguay.
Tabelle 1: Die 36 Demokratien der Lijphart Studie von 2012
Land
Wird in Lijphart (2012) erfasst seit …
Argentinien
1984
Australien
Bahamas
Barbados
Belgien
Botsuana
Bundesrepublik Deutschland
Costa Rica
Dänemark
Finnland
Frankreich (V. Republik)
Griechenland
Großbritannien
Indien
Irland
Island
Israel
Italien
Jamaika
Japan
Kanada
Korea
Luxemburg
Malta
Mauritius
Neuseeland
Niederlande
Norwegen
Österreich
Portugal
Schweden
Schweiz
Spanien
Trinidad und Tobago
Uruguay
USA
1946
1972
1966
1946
1965
1949
1953
1945
1945
1958
1974
1945
1977
1948
1946
1949
1946
1962
1946
1945
1988
1945
1966
1976
1946
1946
1945
1945
1976
1948
1947
1977
1961
1985
1946
Quelle: Lijphart 2012: 49.
Inwieweit kommen die Demokratien den Idealtypen der Mehrheits- und der
Konsensusdemokratie nahe? Die Antwort gibt Lijphart anhand der
Operationalisierung der zuvor erwähnten Merkmale der Mehrheits- und der
Konsensusdemokratie (siehe Tabelle 2). In dieser Tabelle wird beispielsweise
die Konzentration der Exekutivmacht anhand des Durchschnitts der anteiligen
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Lebensdauer von Regierungen der jeweils kleinstmöglichen Koalition („minimal-winning cabinets“) und der Alleinregierungen erfasst. Und die Differenz
zwischen dem Mehrheits- und dem Verhältniswahlsystem misst Lijphart anhand der Disproportionalität von Stimmen- und Parlamentssitzverteilung.
Tabelle 2: Lijpharts Operationalisierung der
Mehrheits- und der Konsensusdemokratie (2012)
KONZEPT
INDIKATOR
1. Grad der Konzentration der Exekutiv- Dauer der Regierungen der jeweils kleinstmöglichen Koalition
macht
(„minimal-winning cabinets“) und von Alleinregierungen in
Prozent des Untersuchungszeitraums (Lijphart 2012: 99f.)
2. Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Ein im Wesentlichen auf der durchschnittlichen Lebensdauer von
Legislative / Dominanz der Exekutive
Kabinetten basierender Dominanz-Index (mit Sonderberechnungen der Präsidialsysteme) (Lijphart 2012: 118ff.)
3. Fragmentierungsgrad
tems
des
Parteiensys- Laakso-Taagepera-Indikator der Anzahl der wichtigsten Parteien
in der zentralstaatlichen Legislative (N=1/Σsi2, si2 = quadrierter
Sitzanteil jeder Partei im Parlament) (Lijphart 2012: 66, 74f.)
4. Wahlsystem / Ausmaß der wahlsystem- Gallagher-Index (Wurzel aus der halbierten Summe der quabedingten Disproportionalität von Stim- drierten Differenzen der Stimmen- und Parlamentssitzanteile der
men- und Parlamentssitzverteilung
Parteien - ohne die kleinen, als „sonstige“ klassifizierten Parteien) (Lijphart 2012: 145, 150f.)
5. Pluralistische oder korporatistische Staat- Index des Interessengruppenpluralismus nach Siaroff (1998) mit
Verbände-Beziehung
Ergänzungen (Lijphart 2012: 162ff.)
6. Machtaufteilungsgrad der Staatsstruktur Föderalismus- und Dezentralisations-Skala von 1,0 (unitarisch
(dezentralisierter Föderalismus versus und zentralisiert) bis 5,0 (föderal und dezentralisiert) (Lijphart
zentralisierter Einheitsstaat)
2012: 178)
7. Konzentrations- bzw. Aufteilungsgrad der Skala
der
Legislativmachtkonzentration
von
1,0
Legislativmacht (Einkammer- bzw. Zwei- (Unikameralismus) bis 4,0 (starker Bikameralismus) (Lijphart
kammersystem)
2012: 199f.)
8. Schwierigkeitsgrad der Verfassungsände- Skala der zur Verfassungsänderung erforderlichen Mehrheit von
rung
1,0 (einfache Mehrheit) bis 4,0 (über zwei Drittel hinausreichende
Supermehrheiten) (Lijphart 2012: 208)
9.
Letztentscheidungsrecht über Gesetz- Skala der Stärke der verfassungsgerichtlichen Gesetzesüberprügebung (Parlament oder Verfassungsge- fung von 1,0 (keine Überprüfung) bis 4,0 (weit ausgebaute Überrichtsbarkeit)
prüfung) (Lijphart 2012: 215)
10. Grad der Zentralbankautonomie
Schätzungen auf der Basis von Indizes der Zentralbankautonomie und unter Berücksichtigung der Europäischen Zentralbank
(Lijphart 2012: 234f.)
Anmerkungen: Alle Messungen erstrecken sich über den Zeitraum von frühestens 1945 bis 2010.
6
Mit den Variablen der Tabelle 1 erkundet Lijphart die Strukturen der Demokratien. Ein Hauptergebnis dieser Erkundung bildet das Schaubild 1 ab: Es zeigt,
dass den Messungen der Demokratiestrukturen laut Tabelle 2 zwei Dimensionen (im Sinne von Faktoren der Faktorenanalyse) zugrunde liegen: die „Exekutive-Parteien-Dimension“ und die „Föderalismus-Unitarismus-Dimension“
(Lijphart 2012: 241-244). Das Schaubild 1 informiert zudem über die Position der
36 Demokratien auf diesen Dimensionen.
Die Exekutive-Parteien-Dimension spiegelt den Unterschied zwischen mehrheitskonzentrierenden und mehrheitsbremsenden Strukturen wider. Gemessen
wird die Exekutive-Parteien-Dimension anhand der standardisierten Durchschnittswerte der jeweils ebenfalls standardisierten Daten der ersten fünf Indikatoren der Tabelle 2: Konzentration der Exekutivmacht, Dominanz der Exekutive, Fragmentierung des Parteiensystems, wahlsystembedingte Disproportionalität und Interessengruppenpluralismus.
Die Standardisierung der Daten erfolgt durch die z-Transformation. Die zTransformation macht verschiedenartige Messwertreihen vergleichbar indem
sie die Originalzahlen einer Messwertreihe in ihre Abweichung vom Mittelwert
umwandelt und die Abweichungen durch die Standardabweichung der Messwertreihe teilt. (Die Standardabweichung ist die Quadratwurzel der durch die
Anzahl der Messwerte dividierten Summe der quadrierten Abweichung jedes
Messwertes vom arithmetischen Mittel der Messwertreihe.) Die hieraus resultierenden z-Werte informieren über die relative Lage eines Messwertes in einer
(nunmehr standardisierten) normalverteilten Population von Messwerten (siehe
Schaubild 1 und Tabelle A-1 im Anhang).
Die Föderalismus-Unitarismus-Dimension buchstabiert die Differenz zwischen
Machtaufteilung und Machtkonzentration vor allem als Unterschied zwischen
einer (durch Föderalismus, autonome Zentralbank, verfassungsrechtliche und
richterstaatliche Restriktionen) institutionell gezügelten Demokratie und wenig
gebremster Volksherrschaft. Die Föderalismus-Unitarismus-Dimension basiert
auf den ebenfalls standardisierten Werten der restlichen fünf Variablen der Tabelle 2: Föderalismus- und Dezentralisierungsgrad, Ein- bzw. Zweikammersystem, Schwierigkeit der Verfassungsänderung, richterliche Gesetzesüberprüfung und Zentralbankautonomie.
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Schaubild 1:
Vier Welten der Demokratie:
föderalistische und unitarische Mehrheits- und Konsensusdemokratien
2. Vier Welten der Demokratie: Demokratiestrukturen in 36 Staaten nach
Lijphart (2012)
Mit diesen Konzepten und Daten erfasst Lijphart die institutionelle Architektur
der 36 Staaten seiner Studie.
Von den vielen interessanten Ergebnissen der „Patterns of Democracy“ von
2012 verdienen vier besondere Aufmerksamkeit.
Erstens: Es gibt nicht nur eine Demokratieform, sondern verschiedene Demokratieformen. Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen den Mehrheitsund den Konsensusdemokratien. Manche Staaten sind überwiegend mehr-
8
heitsdemokratisch verfasst – allen voran Großbritannien und Neuseeland –, andere hingegen überwiegend konsensusdemokratisch, so die Schweiz und
Deutschland.
Zweitens: Nicht nur der Unterschied zwischen Mehrheits- und
Konsensusdemokratie zählt. Wichtig ist auch die Differenz zwischen zentralisierten, einheitsstaatlichen Demokratien einerseits und föderalistischen Demokratien mit Verfassungsgerichtsbarkeit und autonomer Zentralbank andererseits.
Drittens: Lijpharts Studie von 2012 deckt insoweit (wie schon ihr Vorgänger
von 1999) nicht nur zwei Welten der Demokratie auf – Mehrheitsdemokratie
hier, Konsensusdemokratie dort –, sondern vier, was bei seiner Interpretation
der Daten allerdings zu kurz kommt. Die vier Welten der Demokratie sind
- die einheitsstaatlichen Mehrheitsdemokratien (wie Großbritannien),
- die föderalistischen Mehrheitsdemokratien (beispielsweise die USA),
- die einheitsstaatlichen Konsensusdemokratien (wie die nordeuropäischen
Staaten und die Benelux-Länder) und
- die föderalistischen Konsensusdemokratien.
Viertens: Die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Schweiz und Österreich
eine föderalistische Konsensusdemokratie. Und Deutschland repräsentiert zusammen mit der Schweiz sogar den Gegenpol zu den typischen Mehrheitsdemokratien.2
3. Demokratieformen und politisches Leistungsprofil
Lijpharts Demokratiestudien verknüpfen die Institutionenforschung mit der
Analyse materieller Politiken. Dieses Forschungsprogramm hat er in der Neubearbeitung seiner Patterns of Democracy besonders weit ausgebaut und im Vergleich zur Vorgängerstudie von 1999 erheblich verbessert. Die größten Änderungen betreffen die Kapitel 15 und 16. In ihnen vergleicht Lijphart die politischen Leistungsprofile der Konsens- und der Mehrheitsdemokratie. In diesen
Kapiteln hat Lijphart die Kritik an seiner Studie von 1999 größtenteils berücksichtigt (Lijphart 2012: x f.).3
Die Politikwirkungen von Mehrheits- und Konsensusdemokratien erfasst
Lijphart mit teils älteren, teils neuen Indikatoren. Altbekannte Messlatten sind
Wirtschaftswachstum, Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit sowie
Frauenrepräsentation und politische Gleichheit. In neuem Gewande kommen
Indikatoren wie Sozialausgaben und Umweltperformanz einher. Die Sozialausgaben beispielsweise misst Lijphart nunmehr mit den Nettosozialausgaben nach
Adema und Lladaique (2009), die im Unterschied zu den Bruttosozialausgaben
auch die Effekte der Besteuerung von Sozialeinkommen, der sozialpolitisch gezielten Steuererleichterungen und gesetzlich vorgeschriebene private Sozialleis-
9
tungen erfassen. Neu aufgenommen wurden Messlatten wie die good
governance-Indikatoren der Weltbank und die Messungen der Demokratiequalität seitens der Economist Intelligence Unit (Lijphart 2012: x f.). Ferner verwendet
Lijphart nunmehr Kontrollvariablen, um den Einfluss von Wirkfaktoren wie
den Stand wirtschaftlicher Entwicklung und die Bevölkerungsgröße auf die materiellen Politiken zu berücksichtigen.
Lijpharts Datenanalyse zufolge ist die Konsensusdemokratie der Gewinner:
“the overall performance record of the consensus democracies is clearly superior to that of the majoritarian democracies”, schlussfolgert Lijphart (2012: 296,
ähnlich 2012: xi). Konsensusdemokratien machen auch bei der Qualität der Demokratie einen Unterschied. Lijphart wertet diesen Nachweis als „probably the
most significant of all my work“ (2008a: 9). Konsensusdemokratien sind nicht
nur „besser beim Repräsentieren“, sie sind auch insgesamt „besser beim Regieren” (Lijphart 2012: 274 – jeweils Übersetzung d. Verfassers), gemessen etwa an
Effektivität des Regierens, Korruptionskontrolle und Inflationsbekämpfung
(Lijphart 2012: 263). Ferner stehen die Konsensusdemokratien für eine freundlichere, sanftere Demokratie – „a ‚kinder, gentler‘ democracy“ (Lijphart 2012:
274). Denn sie sind, so Lijphart „more likely to be welfare states; they have a
better record with regard to the protection of the environment; they put fewer
people in prison and are less likely to use the death penalty; and the consensus
democracies in the developed world are more generous with their economic assistance to the developing nations“(2012: 274f.).
Lijphart beschreibt nicht nur die Strukturen der modernen Demokratie genauer
als viele andere. Er beantwortet auch die Frage, welches Demokratiemodell sich
am besten für den Export von Staatsverfassung eignet. Sein Rat ist eindeutig –
und wird noch nachdrücklicher vorgetragen als in früheren Studien: Die
Konsensusdemokratie ist die „attraktivere Wahl” (Lijphart 2012: 296 – Übers. d.
Verf.). für jene Länder, die sich erstmals eine demokratische Fassung geben
oder die ihre Demokratiestrukturen reformieren wollen. Das gilt nicht nur für
kulturell und sozial relativ homogene Staaten, sondern auch und gerade für
Länder mit tiefen kulturellen und ethnischen Spannungslinien (Lijphart 2012:
296). Dort wäre die Mehrheitsdemokratie ein Sprengsatz, weil das „winner take
all“-Prinzip und das Fehlen von Machtaufteilung und gesicherten Vetorechten
der wichtigsten Konfliktparteien dort ein Nullsummenspiel erzeugen. Die
Konsensusdemokratie hingegen ermöglicht kooperative Lösungen auch bei
schweren Konflikten. Sie ist, Lijphart zufolge, wirklich der „normativ hoch bewertete Regierungsmodus für alle demokratischen Systeme“ (Lehmbruch 2012:
46 – Hervorhebung d. Verf.) geworden.
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4. Nur ein konsensusdemokratischer Weg zum Erfolg?
Lijpharts These, dass die Konsensusdemokratien leistungsfähiger als die Mehrheitsdemokratien sind, verdient ebenso viel Aufmerksamkeit wie seine Empfehlung, die Konsensusdemokratie als allseits passende Lösung für demokratieförderliches constitutional engineering zu nutzen. Beide Thesen bedürfen allerdings
der einen und anderen Einschränkung.
4.1 Eine erste Einschränkung ist hinsichtlich der Art der Unterschiede zwischen
den Konsens- und den Mehrheitsdemokratien zu machen: Es handelt sich um
Gruppenunterschiede. Doch auch die gruppeninterne Variation ist beträchtlich:
Konsensusdemokratie ist nicht gleich Konsensusdemokratie und keine Mehrheitsdemokratie ist mit der anderen identisch. Das muss bei der Verallgemeinerung der Befunde bedacht werden. Deutschlands konsensusdemokratische
Strukturen beispielsweise umfassen friedlichere Konfliktregelungen und höhere
sozialstaatliche Leistungen als andere zur Konsensusdemokratie geneigte Staaten wie Indien, Israel, Uruguay und Mauritius. Ein zweites Beispiel: Nicht nur
in Konsensusdemokratien wurde die Sozialpolitik weit ausgebaut, sondern
auch in manchen Mehrheitsdemokratien, allen voran in Frankreich (siehe Abbildung A-1 im Anhang). Demnach können sich auch Mehrheitsdemokratien als
eine „freundlichere und sanftere Gesellschaft“ präsentieren, so Lijpharts eigentlich für die Konsensusdemokratien reserviertes Etikett.
4.2 Lijpharts Demokratiebegriff berücksichtigt weder die Mitwirkung der Wähler bei der Wahl und Abwahl von Regierenden noch die Reichweite des Wahlrechts noch den Unterschied zwischen Repräsentativ- und Direktdemokratie.
Insofern unterschätzt Lijphart den Partizipationsgehalt von Ländern mit inklusiven Beteiligungsrechten. Mehr noch: Würde Lijphart auch die Direktdemokratie berücksichtigen, wäre die Schweiz nicht länger nur eine
Konsensusdemokratie, sondern ein Land, das auch scharfe mehrheitsdemokratische Einrichtungen kennt: Die Mehrheit bei Volksabstimmungen hat dort das
letzte Wort!
4.3 Lijphart zufolge werden etliche öffentliche Aufgaben in den
Konsensusdemokratien besser als in den Mehrheitsdemokratien bewältigt. Die
Betonung liegt auf „in“. Das lässt die Frage nach Ursache und Wirkung offen.
Offen bleibt, auf welchen Mechanismen die von Lijphart nachgewiesenen Korrelationen zwischen Demokratiestrukturen und den Policy-Indikatoren beruhen. Ein Beispiel: Lijphart zufolge besteht ein inverser Zusammenhang zwischen der Exekutive-Parteien-Dimension und der jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von 1981 bis 2009 und von 1991 bis 2009 (Lijphart 2012: 263): Die
Konsensusdemokratien übertreffen die Mehrheitsdemokratien bei der Inflati-
11
onsbekämpfung. Sie sorgen für eine um rund 3 Prozentpunkte niedrigere Inflationsrate – sofern konsensusdemokratische Fälle mit Hyperinflation (Israel von
1981 bis 1985 und Uruguay 1990 und 1991), wie bei Lijphart (2012: 267) geschehen, ausgeklammert werden. Allerdings verschwindet die Korrelation von
Konsensusdemokratie und Inflationsrate, wenn die Hyperinflationen nicht ausgeklammert werden. Doch selbst wenn man Lijpharts Vorgehensweise folgt,
bleiben die Mechanismen einer erfolgreichen Inflationsbekämpfung ungeklärt.
Die Zentralbankautonomie und der Föderalismus, die zentrale inflationsdämpfende Mechanismen sind (Busch 1995), kann Lijphart nicht gemeint haben:
Denn sie gehören zur Föderalismus-Unitarismus-Dimension. Doch diese ist mit
der Inflationsrate nicht signifikant korreliert (Lijphart 2012: 272f.). Sollten demgegenüber die fünf Indikatoren der Exekutive-Parteien-Dimension Ursachen
von unterdurchschnittlichen Inflationsraten sein? Wird die Inflationsrate wirklich vom Mehrheitswahlsystem gedämpft, zudem von der Dominanz der Exekutive über die Legislative, vom Zweiparteiensystem und von den pluralistischen Staat-Verbände-Beziehungen? In der Inflationstheorie ist nichts in Sicht,
was diese Fragen bejahen lässt.
4.4 Die Konsensusdemokratien schneiden Lijphart zufolge nicht schlechter als
die Mehrheitsdemokratien ab, sondern meist besser. Allerdings erreichen auch
die Konsensusdemokratien öfters Grenzen: Kein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht zwischen der Konsensusdemokratie und anderen wichtigen Policy-Indikatoren wie dem Wirtschaftswachstum, Budgetdefizit und Arbeitslosenquote seit 1991 (Lijphart 2012: 263), finanzielle Konsolidierung und Inflation – sofern man Hyperinflationen nicht ausklammert. Und kein statistisch
signifikanter Zusammenhang besteht zwischen der Konsensusdemokratie einerseits und Indikatoren wie Staatsausgaben für Bildung, Forschung und anderen Humankapital-Messlatten sowie der Frauenerwerbsquote andererseits,4 um
nur einige Beispiele zu nennen.
4.5 Fragen werfen zudem die Korrelationen zwischen den Demokratiedimensionen und den Policy-Indikatoren auf. Lijpharts Demokratiedimensionen wirken
asymmetrisch. Nur eine der zwei Demokratiedimensionen korreliert mit einer
nennenswerten Anzahl von Politik-Indikatoren: die Exekutive-ParteienDimension. Die zweite Dimension hingegen, die „federal-unitary dimension“,
erweist sich fast durchweg als nichtsignifikant (Lijphart 2012: 272f., 287, 293,
295). Die Politikresultate, die Lijphart untersucht, hängen demnach nicht mit
dem Unterschied zwischen föderalistischen und einheitsstaatlichen Konsensusbzw. Mehrheitsdemokratien zusammen. Das wirft allerdings die Frage auf, ob
die These, wonach die Konsensusdemokratie die Mehrheitsdemokratie bei den
Politikwirkungen übertrifft, verallgemeinerbar ist. Wenn eine von zwei Dimensionen der Demokratien die These vom Leistungsvorsprung der Konsensdemokratie nicht bestätigt, gibt es drei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist diese:
12
Lijpharts
Hauptthese
von
der
besseren
Policy-Performanz
der
Konsensusdemokratien taugt wenig. Die zweite Möglichkeit ist folgende: Die
Indikatoren, die zur Föderalismus-Unitarismus-Dimension gehören, sind belanglos für die Unterscheidung der Mehrheits- von der Konsensusdemokratie.
Die dritte Möglichkeit, die der Verfasser dieses Beitrags bevorzugt, ist diese: Es
gibt vier Demokratiewelten, nicht nur zwei, wie Lijphart letztlich meint. Und
diejenigen Demokratiewelten, die sich (im Sinne von Lijpharts Messlatten) als
leistungskräftiger als die Mehrheitsdemokratien erweisen, sind die föderalistischen Konsensusdemokratien, wie Schweiz und Deutschland, und die
konsensusdemokratischen Einheitsstaaten (wie die nordeuropäischen Länder).
In den föderalistischen Konsensusdemokratien ist „power sharing“ – Machtteilung – tatsächlich weit vorangeschritten. In den konsensusdemokratischen Einheitsstaaten hingegen erlaubt die Staatsstruktur erheblich weniger Machtteilung. Hier sind die Chancen des Durchregierens für Regierungen beträchtlich
größer als in den föderalistischen Konsensusdemokratien.
Es sind demnach zwei recht unterschiedliche Wege, die
(konsensusdemokratischen) Erfolg führen – und nicht nur ein Weg.
zum
5. Es ist nicht alles Gold, was glänzt – Schwächen der Konsensusdemokratie
Lijpharts Fürsprache für die Konsensusdemokratie hat einiges für sich – und sei
es nur der Nachweis, dass die Mehrheitsdemokratie nicht besser ist, sondern
häufiger schlechter abschneidet. Wer will, kann hierin einen Beleg für Luhmanns spitze Bemerkung sehen, die Mehrheitsregel sei „keine Legitimierungsweise, sondern eine Verlegenheitslösung“ (Luhmann 1989: 196). Allerdings
neigt Lijphart dazu, die Schwächen der Konsensusdemokratie zu unterschätzen
– ebenso wie die der Konkordanzdemokratie.5 Das Leistungsprofil der
Konsensusdemokratie ist allerdings zweiwertig, wie vergleichende Studien und
Untersuchungen einzelner Länder zeigen (Armingeon 2011, Köppl/Kranenpohl
2012, Schmidt 2010b: 326 ff.): Ihm sind Vorzüge und Nachteile eigen.
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Ein wunder Punkt der Konsensussysteme liegt darin, dass ihr Verhältniswahlsystem bei niedriger Sperrklausel zu einem hochgradig fragmentierten Parteiensystem führen kann und im ungünstigsten Fall zum „trojanischen Pferd der Demokratie“ mutiert (Hermens 1931).
Auch laborieren die Konsensusdemokratien meist an höheren Entscheidungskosten als die Mehrheitsdemokratien. Der Grund liegt in ihren hohen Mehrheitsschwellen.
Ein Strukturdefekt jeder nichtmajoritären Demokratie ist zudem ihre –
durch die Machtaufteilung bedingte – Schwäche im Falle der Nichteini-
13
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gung der Streitparteien: Nun droht die Blockade des politischen Entscheidungsprozesses. Die Mehrheitsregel hingegen ermöglicht auch bei
Nichteinigung Lösungen – notfalls mit einer Stimme Mehrheit. Um Entscheidungen auch bei drohender Nichteinigung zustande zu bringen,
greifen insbesondere die föderalistischen Konsensusdemokratien hingegen zu Kompromisstechniken: Sie verlängern oder vertagen den Entscheidungsprozess, sie vermindern strittige Verteilungs- oder Umverteilungsvorhaben, sie sorgen für zeitliche Streckung des Vollzugs und sie
schnüren Pakete aus Zugeständnissen und Vorteilserringung der beteiligten Streitparteien. Doch solche Kompromisstechniken können die Fähigkeit der Politik, Probleme zu lösen, erheblich vermindern, wie etwa
die Politikverflechtungstheorie zeigt (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976).
Aufgrund der hohen Konsensbildungsschwellen ist der Willensbildungsund Entscheidungsprozess in der Konsensusdemokratie zudem anfällig
für Gruppen, die kooperationsunwillig sind, und für jene, die die Kooperationsverweigerung aus taktischen Gründen androhen, um Vorteile bei
der Kompromissbildung zu erlangen. Insoweit plagt ein Problem die
Konsensusdemokratie, das spiegelbildlich zur Tyrannei der Mehrheit ist:
die Tyrannei der Minderheit durch Androhung von Kooperationsverweigerung oder Blockade seitens der Vetospieler.
Konsensusdemokratien laborieren überdies an einem Zeittaktproblem.
Ihre verhandlungsdemokratischen Strukturen erfordern meist viel Zeit
für die Willensbildung und Entscheidungsfindung. Häufig wird erst mit
größerer Verzögerung über Probleme entschieden. In der Schweiz
spricht man deshalb von der „üblichen helvetischen Verzögerung“ bei
der Reaktion staatlicher Politik auf gesellschaftliche Problemlagen. Diese
Verzögerung kann vorteilhaft sein: Man kann Fehler vermeiden, die andere gemacht haben. Mit der Verzögerung gehen allerdings auch Nachteile einher, etwa eine verspätete Reaktion oder ein unwiderrufliches
Versäumnis.
Zudem sind die Konsensussysteme keineswegs bei allen Konfliktregelungen in ethnisch tief gespaltenen Ländern erfolgreich. Sie kennen auch
Misserfolge. Davon zeugen etwa die schwerfälligen Konfliktbearbeitungen in Nordirland, in Bosnien, in Belgien, und gescheiterte Konsensregime wie in zwei der drei Länder, die Lijphart (2012) aus dem Kreis der
Demokratien ausklammerte: Papua-Neuguinea und Venezuela. Und als
ein Indiz gegen die generelle Eignung der Konsenssysteme für die Konfliktregelung wird man auch den Fehlschlag der Konkordanzsysteme im
Libanon oder in Kolumbien zählen können.6 All das weckt Zweifel an
der generellen Eignung der Konsensusdemokratie zur gütlichen Konfliktregelung in kulturell tief gespaltenen Ländern. Zugleich stützen die
Zweifel Lehmbruchs These, dass Konsensussysteme anspruchsvolle kulturelle Voraussetzungen haben, insbesondere historisch und sozial tief
14
verankerte Kooperations- und Lernprozesse der Eliten ebenso wie entsprechende langjährige kooperationsförderliche Institutionen (Lehmbruch 1992). Wo beides fehlt, kann die Einpflanzung von
konkordanzdemokratischen Strukturen ebenso fehlschlagen wie die von
konsensusdemokratischen.
6. Demokratiestrukturen, Staatstätigkeit und Parteienpolitik
Lijphart argumentiert überwiegend mit Institutionen, Strukturen und Funktionen. Wer seine Demokratieerkundungen in akteurstheoretischer Hinsicht ergänzt, beispielsweise durch Parteien und ihr Tun und Lassen an der Regierung,
fördert weiterführende Ergebnisse zutage. Davon zeugt allein dieser Befund:
Lijpharts wichtigste Messlatte der Mehrheitsdemokratie – die „ExekutiveParteien-Dimension“ – korreliert mit Indikatoren der parteipolitischen Zusammensetzung von Regierungen (siehe Schaubilder A-2a und A-2b im Anhang):
Herrschen konsensusdemokratische Strukturen, sind Linksparteien stärker an
der Regierung beteiligt7 und säkular-konservative Parteien schwächer. Umgekehrt gilt: Mehrheitsdemokratische Strukturen kovariieren mit starken säkularkonservativen Regierungen.
Mehr noch: Die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung trägt zur Erklärung von Politiken bei, die Lijphart bei seinem Test der Konsensus- und der
Mehrheitsdemokratie verwendet. Ein Beispiel ist die Analyse der Nettosozialleistungsquote in 22 OECD-Mitgliedstaaten, ein weiteres die Analyse des Indexes der Umweltperformanz in 34 Ländern der Lijphart-Studie. Zu den Determinanten der Nettosozialleistungsquote und der Umweltperformanz gehören Indikatoren der parteipolitischen Zusammensetzung. Berücksichtigt man sie in
multivarianten Erklärungen, wird Lijpharts Exekutive-Parteien-Faktor sogar insignifikant (siehe Tabelle A-2 im Anhang).8
Dieser Befund verweist auf Alternativen zu Lijpharts Policy-Erklärung. Lijphart
hat die institutionenzentrierte Erklärung von materiellen Politiken gewählt.
Außerdem hat er mit seinen Kontrollvariablen - Stand der ökonomischen Entwicklung und Bevölkerungsgröße – implizite die sozioökonomische Theorie der
Politikerklärung genutzt. Weitere Ansätze der Policy-Forschung hat Lijphart allerdings nicht bedacht – weder die Parteiendifferenztheorie (Schmidt 2010a)
noch die Machtressourcentheorie (Esping-Andersen 1990) noch die Lehre vom
Politik-Erbe (Rose/Davies 1984) oder von den internationalen Determinanten
der Staatstätigkeit (Swank 2010). Wie insbesondere Studien über die Sozialpolitik zeigen (Schmidt u.a. 2007, Huber/Stephens 2012), stützt der Erklärungsbeitrag dieser Theorien eine Hypothese, die über Lijphart (2012) hinausreicht: die
15
These nämlich, dass ein erheblicher Teil der Politikwirkungen, die Lijphart der
Konsensus- bzw. der Mehrheitsdemokratie zuschreibt, in Wirklichkeit anderen
Determinanten, unter ihnen der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung, geschuldet ist.
7. Bilanz
Kritische Kommentare zu Lijpharts Patterns of Democracies sind mit den Vorzügen dieses Werkes abzuwägen. Lijpharts Studie ist und bleibt ein Meilenstein
der Vergleichenden Politikwissenschaft. Sie besticht durch ungewöhnlich breit
angelegte, innovative und vorbildlich nachprüfbare Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Mehrheits- und Konsensusdemokratien. Allein
damit trägt Lijphart zur Schließung einer Lücke der Demokratietheorie bei.
Lijphart will aber noch mehr, nämlich demokratieförderliches constitutional engineering. Damit schlägt er eine Brücke zwischen der Theorie und der Praxis der
Demokratie. Somit wirkt Lijphart nicht nur an der vordersten Front der vergleichenden Politikforschung mit, sondern auch an einer prominenten Stelle der
Politikberatung.
Lijpharts Demokratiestudien haben zudem weiterführende Erkundungen angeregt. Eine davon betrifft die genauere Messung der parlamentarischen Demokratien, die im Unterschied zu Lijphart nicht Strukturvariablen mit Verhaltensmustern (wie Kabinettsbildung und Regierungsdominanz) vermischt. Steffen
Ganghof hat, auf dieser Kritik aufbauend, drei Demokratieformen unterschieden, und zwar anhand der Zahl der Vetospieler und der wahlsystembedingten
Disproportionalität von Stimmen- und Sitzanteilen: pluralitäre Spielarten (wie
Großbritannien), majoritäre (z.B. Schweden) und supermajoritäre, wie Deutschland und die Schweiz (Ganghof 2005). Von Adrian Vatter (2009) stammen drei
weitere, auf eigener Forschung begründete Vorschläge zur Weiterentwicklung
von Lijpharts Demokratieforschung. Vatter empfiehlt, drei Dimensionen der
Demokratie zu unterscheiden: zusätzlich zu Lijpharts Exekutive-Parteien- und
Föderalismus-Unitarismus-Dimensionen die „top-to-bottom“-Dimension von
Direktdemokratie und Kabinettsregierung. Ferner schlägt Vatter vor, zwei
Hauptformen der Konsensusdemokratie auseinanderzuhalten: den parlamentarisch-repräsentativen und den direktdemokratischen Typ. Und zudem plädiert
Vatter dafür, Lijpharts Operationalisierung der Demokratiestrukturen an der
einen und anderen Stelle zu korrigieren (Vatter 2009: 132 ff.).
Lijpharts Demokratievergleich beflügelte auch die Erkundung und Messung
von gegenmajoritären Institutionen. Davon zeugen beispielsweise der constitutional structure-Index von Huber/Ragin/Stephens (1993), der Index der
16
gegenmajoritären Institutionen (Schmidt 2010b: 332 ff.) und der Index der Vetospieler und Mitregenten (Schmidt 2010b: 332 ff.). Weil diese Indizes ihrerseits
zur Erklärung von Policy-Profilen beitragen, können sie als ein weiterer, indirekter Beitrag von Lijphart zur Politikfelder-Forschung verbucht werden.
Andererseits sind institutionenzentrierte Erklärungen von materiellen Politiken
eng begrenzt. Institutionen sind bekanntlich einerseits Handlungsbegrenzer
(„constraints“)
und
andererseits
Handlungsermöglicher
(„enabling
conditions“). Doch determinieren sie weder die Wahlhandlungen noch die Ergebnisse von Entscheidungsprozessen (Scharpf 2000). Insoweit wird die Erklärung von Politik (im Sinne von Policy) und von Variationen des Policy-Profils
auch zukünftig über den institutionenzentrierten Ansatz, den Lijphart hauptsächlich gewählt hat, hinausgehen und neben Institutionen und sozioökonomischen Gegebenheiten auch Akteure, Machtressourcen, das Politik-Erbe und das
Zusammenwirken von Regimetyp und staatlichen Kapazitäten, wie
Governance-Mechanismen (Norris 2012), bedenken müssen.
17
Anhang
Tabelle A-1: Strukturen der Demokratie nach Lijphart (2012)
Land
Argentinien
Exekutive-Parteien-Dimension
1945-2010
Föderalismus-Unitarismus-Dimension 19452010
-0,93 (--)
1,38 (---)
Australien
-0,73 (-0,78)
1,63 (1,71)
Bahamas
-1,50 (-1,53)
-0,15 (-0,16)
Barbados
-1,28 (-1,39)
-0,49 (-0,44)
1,14 (1,08)
0,10 (0,01)
-1,43 (-1,26)
-0,48 (-0,50)
Belgien
Botsuana
Bundesrepublik Deutschland
0,78 (0,67)
2,41 (2,52)
Costa Rica
-0,37 (0,34)
-0,28 (-0,44)
Dänemark
1,31 (1,25)
-0,34 (-0,31)
1,58 (1,53)
-0,83 (-0,84)
Frankreich V. Republik
-0,86 (-1,00)
-0,22 (-0,39)
Griechenland
-0,64 (-0,73)
-0,74 (-0,75)
Großbritannien
-1,09 (-1,21)
-1,06 (-1,12)
Indien
0.65 (0,29)
1,14 (1,22)
Irland
0,17 (0,01)
-0,42 (-0,42)
Island
0,53 (0,52)
-1,00 (-1,03)
Israel
1,53 (1,47)
-0,90 (-0,98)
Finnland
Italien
1,12 (1,07)
-0,39 (0,21)
Jamaika
-1,49 (1,64)
-0,40 (-0,28)
Japan
0,60 (0,70)
0,17 (0,21)
Kanada
-1,00 (1,12)
1,73 (1,78)
-1,22
-0,07
0,61 (0,43)
-0,88 (-0,90)
Korea
Luxemburg
-0,83 (-0,89)
-0,33 (-0,40)
0,42 (0,29)
-0,13 (-0,04)
Neuseeland
-0,47 (-1,00)
-1,67 (-1,78)
Niederlande
1,34 (1,23)
0,30 (0,33)
Norwegen
0,80 (0,63)
-0,66 (-0,66)
Österreich
0,43 (0,33)
1,07 (1,12)
Portugal
0,22 (0,36)
-0,61 (-0,70)
Schweden
0,79 (0,82)
-1,03 (-0,67)
Schweiz
1,72 (1,77)
1,46 (1,52)
Spanien
-0,62 (-0,59)
0,47 (0,41)
Trinidad und Tobago
-1,01 (-1,41)
-0,24 (-0,15)
USA
-0,07 (-0,54)
2,25 (2,36)
Malta
Mauritius
0,39
-0,79
Uruguay
Quelle: Lijphart 2012: 305ff. Die Zahlen in Klammern sind die Werte der 1999er-Studie. Lijpharts Daten sind Durchschnittswerte
für 1945-210 bzw. für die Periode ab Beginn der jeweiligen Demokratiephase (siehe Tabelle A-1). Exekutive-Parteien-Dimension:
niedrige Werte (negative Vorzeichen) kennzeichnen eine ausgeprägte Mehrheitsdemokratie (wie Großbritannien), hohe Werte (positive Vorzeichen) zeigen starke Konsensusdemokratiestrukturen an (Beispiel: Schweiz). Föderalismus-Unitarismus-Dimension:
niedrige Werte (negative Vorzeichen) zeigen eine hohe Konzentration politischer Macht (zentralisierter Einheitsstaat) an, und hohe
Werte (positive Vorzeichen) indizieren fortgeschrittene Machtaufteilung (wie in Deutschland, der Schweiz und den USA). Die Daten sind standardisierte (z-transformierte) Durchschnittswerte der standardisierten (z-transformierten) Originalmesswerte. Die Exekutive-Parteien-Dimension basiert auf den ersten fünf Merkmalen der Tabelle 2 und die Föderalismus-Unitarismus-Dimension auf
den Merkmalen 6 bis 10 dieser Tabelle.
18
Abbildung A-1:
Der abweichende Fall Frankreich –
Mehrheitsdemokratie und hohe Nettosozialleistungsquote
19
Abbildung A-2a:
Exekutive-Parteien-Dimension nach Lijphart (2012) und parteipolitische
Zusammensetzung der Regierung – gemessen am Kabinettsitzanteil säkularkonservativer Parteien (1945-2010)
20
Abbildung A-2b:
Exekutive-Parteien-Dimension nach Lijphart (2012) und Regierungsbeteiligung
sozialdemokratischer und säkular konservativer Parteien (1945-2010)
21
Tabelle A-2:
Überprüfung des Lijphart’schen Erklärungsansatz mit Indikatoren der parteipolitischen Zusammensetzung von Regierungen (1945-2010a)
Modell 1:
Lijpharts
Ansatz
Modell 2:
Model 1 + sozialdemokratische
Regierungsparteien
Modell 3:
Modell 1 +
Sozialdemo
kratische vs.
säkularkonservative und
liberale Parteien
an der Regierung
Modell 4:
Modell 1 +
sozialdemokratische vs. säkularkonservative
Parteien an der
Regierung
Interzept
41,28*
38,49*
33,62*
32,51
Human Development Index 2010
34,43
32,29
44,10*
44,30*
Population 2009/1000
-0,012
-0,007
-0,008
-0,006
Exekutive-ParteienDimension 1945-2010
3,63*
2,63
2,08
1,29
Sozialdemokratischer
Kabinettssitzanteil
-
0,17*
-
-
Unabhängige
Variablen
Differenz Kabinettssitzanteil sozialdemokratischer vs. säkularkonservativer und liberaler Parteien
Differenz Kabinettssitzanteil sozialdemokratischer vs. säkularkonservativer Parteien
N
R² adj.
0,11*
-
-
-
-
-
-
0,11**
34
0,23
34
0,37
34
0,39
34
0,40
Signifikanzniveaus: *** = < 0.01, ** = <0.05, * = < 0.10
Anzahl der Fälle: 34 (fehlende Werte für Bahamas und Barbados)
a Zur Homogenisierung des Beobachtungszeitraums wurden alle Variablen über den gesamten Zeitraum von 1945 bis
2010 gemessen. Jahre autokratischer Staatsverfassung wurden bei jedem Regierungsparteienindikator mit 0,0 kodiert.
22
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Vatter, Adrian (2009) Lijphart Expanded: Three Dimensions of Democracy in Advanced OECD
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1
Bei zukünftigen Updates der Studie würden diesem Selektionsprinzip zufolge mehr als zwei
Dutzend weitere Demokratien hinzukommen, unter ihnen die postkommunistischen Demokratien in Mittel- und Osteuropa.
2
Gleichwohl sind die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz berichtenswert:
Deutschland erzielt viel höhere Werte beim Index der Exekutivdominanz und dem Index der
richterlichen Nachprüfung von Gesetzen. Allerdings lässt Lijphart erneut (wie schon 1999)
einen besonders auffälligen Unterschied außer Acht: die Differenz zwischen der deutschen
Repräsentativdemokratie und der schweizerischen Direktdemokratie.
24
3
Die kritischen Kommentare zu anderen Teilen des Werkes von 1999 hat er hingegen allzu sehr
ignoriert, beispielsweise Adrian Vatters Anregung, die Direktdemokratie in die Lehre von
den Mehrheits- und den Konsensusdemokratien einzubauen (Vatter 2009).
4
Auswertungsbasis wie bei Lijpharts Analysen der Sozial- und der Entwicklungshilfeausgaben
(Lijphart 2012: 290) nur die OECD-Mitgliedstaaten unter den 36 Ländern der Lijphart-Studie.
5
Lijphart hat den Unterschied zwischen der „consensus democracy“ und der „consociational
democracy“ an anderer Stelle wie folgt erläutert (Lijphart 2008a: 8 f.): Die
Konsensusdemokratie wird anhand von zehn quantitativ messbaren Indikatoren von eher
formal-institutionellen Merkmalen erfasst, die „consociational democracy“ hingegen gründet auf der qualitativen Identifizierung von vier insgesamt erheblich breiteren, das Informelle betonenden Komponenten, nämlich große Koalition, Autonomie der Segmente, in welche
die Gesellschaft gespalten ist, Proportionalität und Minoritätenrechte. Und während beide
Demokratieformen für tief gespaltene Länder in Frage kommen, ist die „consociational democracy“ aus folgendem Grund „die stärkere Medizin“ (Lijphart 2008a: 8 – Übers. d. Verfassers): Die „consociational democracy“ verlangt die Einbindung aller wichtiger Gruppen,
während die Konsensusdemokratie überwiegend nur Anreize für kooperatives Verhalten
setzt (Armingeon 2011: 555).
6
Insoweit reflektiert Kolumbiens Ausschluss aus dem Kreis der etablierten Demokratien bei
Lijphart
(2012)
auch
die Grenzen eines zuvor als demokratisch bzw.
konkordanzdemokratisch eingestuften Falles (Lijphart 1984, 1999, 2008b: 29).
7
Gleiches gilt im Übrigen für liberale Parteien – nicht zuletzt ein Effekt des Verhältniswahlsystems in den Konsensusdemokratien.
8
Zum gleichen Ergebnis führt die Überprüfung von Lijpharts Daten bei zwei weiteren Indikatoren: dem Budgetdefizit (2003-2007) und den Ausgaben für Entwicklung und Zusammenarbeit. Die übrigen Output- und Outcome-Indikatoren der Lijphart-Studie werden von dem
hier erörterten Sachverhalt allerdings nicht berührt. Datenbasis: Lijphart 2012: 304-309 sowie
die Policy Output und Outcome-Daten von Lijpharts Website beim Department of Political
Science, University of California, San Diego (Abruf Anfang Januar 2013). Die Indikatoren der
parteipolitischen Zusammensetzung der Regierungen entstammen einer vom Verfasser geführten Datenbank. Zur Definition und Messung der Parteifamilien siehe Schmidt (1996)
und Schmidt (2010a).
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