Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Institut für Sozialwissenschaften Masterkurs/Hauptseminar: Neuere Ansätze der Vergleichenden Politikwissenschaft Wintersemester 2003/04 Ergebnisprotokoll der 2. Sitzung (22. Oktober 2003) Protokollantin: Diana Teschler Thema: Grundmuster demokratischer Regierungssysteme Thema der Sitzung: Operationalisierung der ersten sechs Kriterien von Arend Lijphart zur Unterscheidung von Mehrheits- und Konsensusdemokratien § § In “Patterns of Democracy“ vergleicht Arend Lijphart die Strukturen der Demokratie in 36 etablierten Demokratien. Lijphart stellt zwei Idealtypen der Demokratie gegenüber: das der Konsensdemokratieund das der Mehrheitsdemokratie ⇒ In welchem Ausmaß kommen die verschiedenen Demokratien diesen Idealtypen nahe? § zur Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratien stellt Lijphart zwei Dimensionen gegenüber: die executives-parties dimension und die federal- unitary dimension Exekutive-Parteien-Dimensionen Mehrheitsdemokratie Konsensusdemokratie Konzent ration der Exekutivmacht in den Aufteilung der Exekutivmacht auf eine Händen einer alleinregierenden Mehrheits- Vielparteienkoalition partei Dominanz der Exekutive über die Legislative formelles und informelles Kräftegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative Zweiparteiensystem Vielparteiensystem Mehrheitswahlsystem mit disproportionaler Verhältniswahlrecht Stimmen- und Sitzverteilung pluralistisches Interessengruppensystem koordinierte und korporatistische Interessengruppensystem Föderalismus -Unitarismus -Dimension Mehrheitsdemokratie unitarischer und zentralisierter Staat Einkammersystem eine mit einfachen Mehrheiten veränderbare Verfassung oder Fehlen einer geschriebenen Verfassung Letztentscheidungsrecht der Legislative über die Konstitutionalität der Gesetzgebung eine von der Exekutive abhängige Zentralbank Konsensusdemokratie föderalistischer und dezentralisierter Staat Zweikammersystem mit gleich starken und unterschiedlich konstituierten Kammern eine nur schwer zu verändernde geschriebene Verfassung, deren Änderung die Zustimmung sehr großer Mehrheiten voraussetzt ausgebaute richterliche Nachprüfung der Gesetzgebung eine autonome Zentralbank ⇒ Operationalisierung der theoretischen Konzepte von Lijpharts Mehrheits- und Konsensusdemokratie § § um zu sehen in welchem Ausmaß die westlichen Länder den Idealtypen der Mehrheitsund der Konsensdemokratie nahe kommen, ist eine Operationalisierung erforderlich Operationalisierung = Fachausdruck für die Messbarkeit eines Begriffs Konzept Indikator Grad der Konzentration oder Aufteilung der Mittelwert der Regierungsdauer (in Prozent Exekutivmacht des gesamten Untersuchungszeitraumes) der jeweils kleinstmöglichen Koalition und der Regierungsdauer eines Einparteienkabinetts Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und durchschnittliche Lebensdauer von Legislative / Dominanz der Exekutive Kabinetten in Monaten Fragmentierungsgrad des Parteiensystems Laakso-Taagepera-Indikator der Anzahl der wichtigsten Parteien der zentralstaatlichen Legislative (1.Kammer) (N=1/∑s2 , s2 =quadrierter Sitzanteil jeder Partei im Parlament) Ausmaß der wahlrechtsbedingten Dispropor- Gallagher-Index (Wurzel aus der durch 2 tionalität von Stimmen- und Parlaments- dividierten Summe der quadrierten sitzverteilung Stimmenanteil- und Parlamentssitzanteildifferenz aller (größeren) Parteien der zentralstaatlichen Legislative) Pluralistisches oder korporatistisches System Interessengruppenpluralismus-Korporatismusder Interessenverbände/Pluralismusgrad Index in den 60er und 70er Jahren nach Siaroff mit Ergänzungen Machtaufteilungsgrad der Staatsstruktur Föderalismus- und Dezentralisationsgrad (Dezentralisierter Föderalismus oder zentra- Skala von 1 (unitarisch und zentralisiert) bis 5 lisierter Einheitsstaat) (föderal und dezentralisiert) ⇒ Diskussion der Sitzung, Thema: kritische Hinterfragung der von Lijphart vorgeschlagenen Operationalisierungen § § § Untersuchungsgegenstand von Lijphart: Exekutive-Parteien-Dimension und Föderalismus-Unitarismus-Dimension in 36 Staaten Lijphart sieht die Konsensusdemokratien als jene mit der größeren Leistungskraft an Lijphart bestimmt die Faktoren des politischen Systemvergleichs, berücksichtigt dabei aber nicht alle Faktoren (institutionell und kulturell), die zur Prüfung der demokratischen Stabilität eines Landes von Bedeutung wären - als ergänzende Kriterien werden vorgeschlagen 1. Ideologische Grundlagen/politische Kultur eines Landes (erklärt viel der Ergebnisse am Ende) 2. Rolle des Staatsoberhaupts 3. Regierungschef und Kabinettsstrukturen 4. Regierungstypen und Parteienkonstellationen (Inhalte, ideologische Distanz zwischen den Parteien) 5. direktdemokratische Verfahren (war in der ursprünglichen Version von 1984 noch enthalten) § ohne alle Bestimmungsfaktoren zu prüfen, ist es keineswegs ausgemacht, dass die unterschiedlichen Leistungsprofile ihre Ursachen in der Konsensus- bzw. in der Mehrheitsdemokratie haben ⇒ kritische Hinterfragung des Nutzens der von Lijphart vorgeschlagenen Typologie anhand von konkreten Beispielen Lijphart versucht die Strukturen der Demokratie in 36 Staaten zu vergleichen, indem er Begriffe in beobachtbare und messbare Größen umwandelt. Lijpharts Operationalisierungen lassen jedoch Fragen offen : Beispiel 1: Operationalisierung von Kriterium 2 (Dominanz der Exekutive bzw. Machtverteilung zwischen Legislative und Exekutive) - In seiner Auswertung der Exekutive-Parteien Dimension kennzeichnen niedrige Werte eine ausgeprägte Mehrheitsdemokratiestruktur, hohe Werte zeigen starke Konsensdemo kratiestrukturen an. - Die BRD bekommt einen Wert von 0,67, Italien hat den Wert von 1,07: demzufolge zeigt Italien laut Statistik eine stärkere Ausprägung zur Konsensdemokratie als Deutschland - Es bleibt offen, ob die Operationalisierung mit der politischen Wirklichkeit korreliert: mit der stabilen Mehrheit seiner Mitte-Rechts-Koalition regiert der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi mit einer in Europa einzigartigen Konzentration der Exekutiv-Macht - Lijphart kann in seinen Auswertungen zwar statistisch belegen, wie die Machtverteilung zwischen Legislative und Exekutive aussieht, faktisch können seine Messungen allerdings anders aussehen (Beispiel Italien) Beispiel 2: Operationalisierung von Kriterium 3 (Fragmentierung des Parteiensystems) - Je stabiler ein Parteiensystem, desto stabiler ist das politische System - fraglich bleibt: Ist die Stabilität eines Parteiensystems allein daran zu erkennen, ob es ein Zweiparteiensystem oder ein Vielparteiensystem ist? - Um die Stabilität eines Parteiensystems im Ländervergleich zu prüfen, ist nicht nur die Anzahl der politischen Parteien von Bedeutung, sondern auch folgende Faktoren: a) ideologische Distanz zwischen Parteien b) Wahlbeteiligung c) Wechselwähler