John Locke: Die Gewaltenordnung im Staat (Auszug) Obwohl es in

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John Locke: Die Gewaltenordnung im Staat (Auszug)
Obwohl es in einem verfaßten Staatswesen, welches auf eigener Grundlage steht und der
eigenen Natur gemäß handelt, d.h. zur Erhaltung der Gemeinschaft, nur eine höchste
Gewalt geben kann, die Legislative, der alle übrigen Gewalten untergeordnet sind und sein
müssen, ist doch die Legislative nur eine Gewalt, die treuhänderisch zu bestimmten
Zwecken handelt, und es verbleibt dem Volk dennoch die höchste Gewalt, die Legislative
abzuberufen oder zu ändern, wenn es der Meinung ist, daß sie dem in sie gesetzten
Vertrauen zuwiderhandelt. Denn aller Gewalt, die im Vertrauen auf ein bestimmtes Ziel
verliehen wird, sind durch jenes Ziel die Grenzen gesetzt, und immer, wenn dieses Ziel
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offenkundig vernachlässigt oder ihm zuwider gehandelt wird, ist dieses Vertrauen
notwendigerweise verwirkt, und die Gewalt fällt zurück in die Hände derjenigen, die sie
verliehen haben und die sie dann von neuem so vergeben können, wie es ihnen für ihren
Schutz und ihre Sicherheit am besten erscheint. So behält sich die Gemeinschaft beständig
die höchste Gewalt vor, um sich vor den Angriffen und Anschlägen jeder Körperschaft,
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selbst ihrer Gesetzgeber, zu sichern, sooft diese so töricht oder verwerflich sein sollten,
Anschläge gegen Freiheit und Eigentum der Untertanen zu planen und zu unternehmen. Da
kein Mensch und keine menschliche Gesellschaft die Macht hat, ihre Erhaltung oder
folglich auch die Mittel dazu dem absoluten Willen und der willkürlichen Herrschaft eines
anderen auszuliefern, werden sie, sooft sich jemand anschicken sollte, sie in einen
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derartigen sklavischen Zustand zu versetzen, immer das Recht haben, zu verteidigen,
worauf zu verzichten sie nicht die Macht haben - und sich von solchen Menschen zu
befreien, die sich gegen dieses grundlegende, heilige und unwandelbare Recht der
Selbsterhaltung, um dessentwillen sie in die Gesellschaft eingetreten waren, vergehen.
Unter diesem Gesichtspunkt kann man folglich die Gemeinschaft immer als die höchste
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Gewalt bezeichnen, außer wenn man sie unter irgendeiner Regierungsform betrachtet denn diese Gewalt des Volkes kann erst dann wirksam werden, wenn die Regierung
aufgelöst ist.
Aus: John Locke: Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1690) übers. von Dorothee Tidow,
Stuttgart (Reclam) 2005, S.116f.
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