DAS AMERIKANISCHE MODELL IN DEN JAHREN DES KALTEN KRIEGES Nach dem Sieg von 1945 wird das amerikanische Modell dasjenige der Westwelt : Politisches Modell, dasjenige der „liberalen, freien Welt“, Wirtschaftsmodell, dasjenige des Kapitalismus, und kulturelles Modell („American Way of Life“). Modell der liberalen Demokratie > Verfassung von 1787 + Änderungsanträge (die ersten zehn Änderungsanträge bilden den „Bill of Rights“ = Grundfreiheiten). > Die amerikanische Verfassung sieht ein präsidiales, föderales und republikanisches Regierungssystem vor, das horizontal Legislative, Exekutive und Judikative sowie vertikal die Bundesebene von den Bundesstaaten vergleichsweise strikt trennt. > Eine Föderation : jeder der 50 Staaten hat ein Staatsparlament (Legislative) und einen Gouverneur (Exekutive). Jeder Staat hat seine eigene Verfassung. Auf dem föderalen Niveau : Verteidigung, Diplomatie, Währung, Außenhandel. > Ein kontrolliertes Präsidentschaftsregime Der Präsident ist der einzige Vertreter der Exekutivgewalt. Es gibt keinen Ministerpräsidenten aber nur „Sekretären“. Er ernennt die Sekretäre und die Direktoren der spezialisierten föderalen Verwaltungen (NASA, FBI, CIA ...). Er leitet die Diplomatie und die Armeen. Er besitzt ein Vetorecht auf den Gesetzen. Der Kongress, ein Zweikammerparlament. Der Kongress ist die Legislative der Vereinigten Staaten, sein Sitz ist das Kapitol. Der Kongress setzt sich aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus zusammen. Der Kongress hat die gesetzgebende Gewalt. Der Senat besteht aus insgesamt 100 Senatoren, diese werden für sechs Jahre direkt gewählt. Die Senatoren werden von den Parlamenten der einzelnen Bundesstaaten nach Washington entsandt. Jeder Bundesstaat entsendet, unabhängig von seiner Bevölkerungszahl, zwei Senatoren. Das Repräsentantenhaus besteht aus 435 direkt gewählten Abgeordneten. Die Anzahl der Repräsentanten, die jeder Bundesstaat entsendet, wird durch die jeweilige Bevölkerungszahl bestimmt. Die Legislaturperiode beträgt zwei Jahre. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat nicht das Recht, an Sitzungen des Kongresses teilzunehmen, daher ist für ihn kein Sitzplatz vorgesehen. Einmal im Jahr spricht er zu den Abgeordneten, wenn er über die „Lage der Nation“ (State of the Union) berichtet. Dazu versammelt sich im Repräsentantenhaus der gesamte Kongress, wohin der Präsident geführt wird. Unmittelbar nach Abschluss seiner Rede verlässt er das Kapitol wieder, ohne dass die Abgeordneten die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Die wichtigsten Aufgaben des Kongresses lassen sich auf drei Punkte reduzieren: Gesetzgebung, Haushaltsrecht (power of the purse), Kontrolle der Exekutive, einschließlich des Präsidenten und der Geheimdienste (government oversight) Der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) ist das oberste rechtsprechende Staatsorgan der Vereinigten Staaten. Neben diesem obersten Bundesgericht existieren auch Supreme Courts in jedem einzelnen Bundesstaat. Bundesgerichte befassen sich mit Fällen, die die Verfassung, Bundesrecht, Bundesverträge und Seerecht betreffen oder bei denen ausländische Bürger oder Regierungen oder die amerikanische Bundesregierung selbst Partei sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden nur Rechtsmittel gegen Entscheidungen der unteren Gerichte vom Supreme Court behandelt. Bei den meisten dieser Fälle geht es um die Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der Exekutive und von Gesetzen, die vom Kongress oder von den Bundesstaaten verabschiedet wurden. Gegengewalten: Die Presse wird als „Vierte Gewalt“ bezeichnet. Neben Exekutive, Legislative und Justiz gibt es danach die Medien, die zwar keine eigene Gewalt zur Änderung der Politik oder zur Ahndung von Machtmissbrauch besitzen, aber durch korrekte Berichterstattung und öffentliche Diskussion das politische Geschehen beeinflussen können. Die Vereine aller Art haben eine starke militante Haltung und bilden „Lobbies“, um Druck auszuüben. Die Gewerkschaften spielen in den USA auch eine wichtige Rolle. ⇒ Die strikte Gewaltenteilung,, die den Staaten gelassene Freiheit, die Bedeutung von Gegengewalten charakterisieren das amerikanische politische Modell Modell der Marktwirtschaft In kaum einem anderen Land ist der Glaube an die freien Kräfte des Kapitals größer als in den USA. > Der Glaube an die Marktkräfte Zurückzuführen ist die vergleichsweise große Autonomie der US-Wirtschaft auf einen tief verwurzelten Glauben an die Funktionstüchtigkeit und Selbstheilungskräfte der Märkte. Zwei amerikanische Grundwerte stehen hinter dem ausgeprägten Wirtschaftsliberalismus: Individuelle Freiheit und Gleichheit. Die viel zitierte Redewendung "vom Tellerwäscher zum Millionär" illustriert den Glauben, dass persönlicher Einsatz und Initiative Schlüssel zum sozialen Aufstieg sind. Nicht der Staat ist verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg eines Individuums, sondern das eigene Handeln. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist der Staat nach dieser Sicht eher hinderlich, denn durch seine Bürokratie beschneidet er die Freiheit des einzelnen und somit auch Eigeninitiative und Unternehmergeist. Die Überzeugung, dass die beiden wichtigsten Aufgaben des Staates der Schutz des Bürgers in seinen Rechten und seiner wirtschaftlichen Entfaltung ist, spiegelt sich in der amerikanischen Verfassung von 1787 wider. Aus Angst vor einer übermäßigen Machtkonzentration schrieben die Verfassungsväter das Prinzip der Gewaltentrennung sowohl vertikal – zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten – als auch horizontal – also zwischen den Organen der Bundesregierung – in der Verfassung fest. Der Staat wurde nur mit begrenzten wirtschaftspolitischen Vollmachten ausgestattet. Dass sich der Markt nicht immer selbst heilt, sondern staatliche Regulierung durchaus notwendig ist, um das effiziente Funktionieren der Märkte zu gewährleisten, zeigte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann die Wirtschaftspolitik immer mehr an Umfang und Bedeutung. Langsam bildete sich ein neuer politischer Konsens heraus, eine Synthese aus liberaler Grundeinstellung (Laisser-faire) einerseits und der Bereitschaft zur staatlichen Korrektur von Marktergebnissen sowie der gesamtwirtschaftlichen Nachfragesteuerung andererseits. Ein kulturelles Modell Die Werte Individualismus. Festhalten an den Grundfreiheiten. Aufwertung der individuellen Anstrengung (Selfmademan), ⇒ die Armen sind verantwortlich für ihren Misserfolg. Materialismus: der Dollar ist die Maßnahme jeder Sache. Bedeutung der hauptsächlich protestantischen Religion. Ein kulturelles Modell American Way of Life Kino, Musik Konsumgesellschaft Die Grenzen des amerikanischen Modells (1950er, 1960er und 1970er Jahre) Der McCarthysmus in den 1950er Jahren Der McCarthyismus, benannt nach dem US-amerikanischen Senator Joseph McCarthy, bezeichnet eine demagogische Kommunistenjagd der frühen 1950er Jahre, bei der die hysterischen Ängste der Bevölkerung ausgenutzt wurden, um Unschuldige oder relativ harmlose Andersdenkende zu verfolgen; er wird assoziiert mit Verschwörungstheorien und einer „Herrschaft des Terrors“, in der auf schlüssige Beweisführung kein Wert mehr gelegt wurde. Er war durch einen lautstarken Antikommunismus geprägt und ist auch als „Second Red Scare“ (deutsch „Zweite Rote Angst“) bekannt. Senator Mc Carthy mit dem „Ausschuss der Anti-amerikanischen Aktivitäten“ (House Committee on Un-American Activities) beschloss, die „Kommunisten“ der Medien, der Künste (die „schwarze Liste“) der Politik und der wissenschaftlichen Welt zu verjagen. Er löste eine echte „Hexenjagd“ aus, indem er die Befragungen und die Prozesse multiplizierte. Die ganze amerikanische Elite hat davon gelitten. „Civil rights movement“ in den 1960er Jahren Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung (Civil rights movement) der Afroamerikaner, mit ihrem populären Protagonisten Martin Luther King und den von ihm propagierten Zivilen Ungehorsam kämpfte gegen die gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in den Südstaaten der USA in den späten 1950er und 1960er Jahren. Die gegenkulturelle Jugendbewegung Die von San Francisco ausgehende Hippiebewegung stellte die ihrer Meinung nach sinnentleerten Wohlstandsideale der Mittelschicht in Frage und propagierte eine von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreite Lebensvorstellung. Im Vergleich zur 68er-Bewegung dominierten dabei stärker gemeinschaftliche (Selbstverwirklichung) als gesellschaftspolitische Konzepte, teilweise überschnitten sich die Ideale der Bewegungen. Die Idee von einem humaneren und friedlicheren Leben wurde mit dem – oft synonym zur Hippiebewegung verwendeten – Schlagwort „FlowerPower“ („Blumenmacht“) belegt, das 1965 vom US-amerikanischen Dichter Allen Ginsberg geprägt wurde. Das amerikanische Modell - Eines ist sicher: Irrelevant werden die USA nicht sein, weder so noch so Es gab Zeiten, da hatten die USA Modellcharakter für die Europäer. Unmittelbar nach dem Krieg brachten sie den großteils in autoritärem Denken verhafteten Deutschen und Österreichern die Demokratie (mit der Draufgabe Marshallplan). Bis weit in die Siebzigerjahre waren sie der Mehrheit eine beruhigende Rückversicherung gegen den Expansionismus der Sowjetunion. Die Popkultur war überwiegend amerikanisch. Vietnamkrieg und Unterstützung für blutige Diktaturen wie die in Chile verdüsterten das Bild. Aber die Watergate-Aufdeckung zeigte die Selbstreinigungkraft der amerikanischen Gesellschaft. Immerhin wurde ein politisch krimineller Präsident von funktionierender Presse, Justiz und Parlamentarismus gestürzt. In den Achtzigerjahren wurde das US-Businessmodell von den europäischen Unternehmen und z. T. auch von den Regierungen unternommen: mehr Wettbewerb, mehr Privatisierung, mehr Deregulierung. Die Neunzigerjahre zeigten trotz New-Economy-Blase die Innovationskraft der amerikanischen Wirtschaft. Selbstverständlich hatte es die ganze Zeit die Extremisten von ganz rechts und ganz links gegeben, die ihren Amerikahass auslebten. Die Rechten verziehen den Amerikanern die Befreiung von Hitler nicht, die Linken konnten nicht verstehen, warum der Kommunismus unterlegen ist. Aber für die Mehrheit waren die USA zwar eine Hegemonialmacht, aber eine mehr oder weniger wohlmeindende. Das änderte sich, als Bush (Sohn) einen willkürlichen Krieg gegen den Irak begann und gleichzeitig die amerikanische Finanzindustrie aus dem Ruder lief und mit ihren Exzessen eine neue Weltwirtschaftskrise auslöste. Spätestens jetzt war das Modell USA bei sehr vielen, wenn nicht den meisten (West-)Europäern diskreditiert. Daran ändert nichts, dass die USA immer noch Produkte (iPhone etc.) hervorbrachte, die jeder haben wollte. Das US-Modell wurde von vielen aktiv abgelehnt. Was übrigens reziprok ist: Mitt Romney bestritt seinen halben Wahlkampf damit, sich nur ja vom europäischen "Sozialismus" (= gesetzliche Sozialversicherung) abzugrenzen. Obama schien einen Paradigmenwechsel zu bringen. Er war zwar leidlich erfolgreich mit Notmaßnahmen (gegen die drohende Depression), aber wirklichen "Change" brachte er nicht. Er konnte Visionen entwerfen, aber dann folgte nichts. Und jetzt, im Wahlkampf, kamen nicht einmal Visionen. Das US-Modell scheint ausgedient zu haben, aber kein Mensch bei klarem Verstand kann das chinesische oder russische Modell wollen: Wachstum, unterlegt mit Willkür. Und in Wahrheit hat auch das amerikanische Modell nicht ausgedient, wenn man darunter eine lebendige Demokratie und eine robuste Marktwirtschaft versteht. Aber derzeit weist das politische System schwere Dysfunktionalität auf, die Produktionsbasis erodiert. Niemand weiß, ob das nur eine Schwächephase ist, der ein neuer Schub folgt, oder ein stetiger Niedergang. Nur eines ist sicher: Irrelevant werden die USA nicht sein, weder so noch so. Hans Rauscher, DER STANDARD, 7.11.2012 Der Standard ist eine österreichische Tageszeitung.