Zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft 1 Technologische Rationalität Prägend für die neuzeitliche Wissenschaft ist eine technologische Rationalität, die auf methodisierbare Kontrolle der Realität zielt. • In der vorfindlichen Wirklichkeit, in einer Wirklichkeit unter vorfindlichen Bedingungen - in der natürlichen ebenso wie in der gesellschaftlichen - herrschen unübersichtliche Vielfalt, Zufall, Diskontinuität, irreversible Prozessverläufe vor. • Diese Realität methodisierbar in berechenbare und beherrschbare Nutzungssysteme, mithin in kontrollierbare Vorgänge, zu transformieren, kennzeichnet technologische Rationalität. 2 Grundprozesse • • • • • Transformation der Mechanik Die Durchsetzung des Experiments Der neue Umgang mit der Zahl Die Transformation des Gesetzesbegriffes Die Trennung positiver Forschung und Entwicklung von der sinnorientierten Reflexion 3 Die Transformation der Mechanik Es handelt sich hierbei um einen geistigen Wandlungsprozess in der Übergangsphase Spätmittelalter/Renaissance/frühe Neuzeit, in dessen Ergebnis die spezifisch technologische Rationalität, die sich mit der urbanen Revolution herausbildete, auf die Naturerkenntnis übertragen wurde und sowohl das Welt- als auch das Selbstbild der neuzeitlichen Wissenschaft geprägt hat. 4 Die Transformation der Mechanik Diese Transformation vollzieht sich im Prinzip in drei Phasen: 1. der Herausbildung besonderer mechanischer Fähigkeiten in der Koordination handwerklicher Tätigkeiten, besonderer Technologien und Instrumente, neuer technischer Praktiken, 5 Die Transformation der Mechanik 2. der rationalen Reflexion – als technologische Reflexion der mechanischen Künste, – als ingenieurwissenschaftliche Methodisierung und – als naturwissenschaftliche Reflexion in der Klassischen Mechanik 6 Transformation der Mechanik 3. der diskursiven Begründung des neuen Herangehens in einen neuem wissenschaftlichem Weltbild, einem mechanistischen Weltbild. 7 Brunelleschi 8 Firenze 9 Il Duomo 10 Alberti 11 Santa Maria Novella 12 Leonardo 13 Der vitruvianische Mensch – Symbol der Renaissance 14 Georgius Agricola 15 Galileo Galilei 16 Resümee Die Mechanik erfährt mithin eine eigentümliche Transformation: – von der Mechanik als praktische Kunst über – die Mechanik als Ingenieur- und Naturwissenschaft zum – mechanistischen Weltbild. In der Folge erscheint die Natur als Mechanismus. 17 Resümee Die Eigenschaft der Mechanik als Kunst oder als Technologie, verfügbar zu sein, wird auf die Natur übertragen. Die Herausbildung mechanischer Handlungsstrukturen prägt den Blick auf die Natur und den Menschen. Der technologischen Sicht ausgesetzt, stellt sich die Natur als ein Mechanismus dar, den man in viele Teile und deren kausale Verknüpfungen zerlegen und nach bestimmten Regeln wieder zusammenfügen kann. Der Mensch erscheint in der Folge als Maschine. 18 Resümee Das mechanistische und damit deterministische Naturverständnis wirkt seinerseits zurück auf das Leitbild technischen Handelns. Dieses stellt sich nun dar als ein Handeln, das sowohl die Beherrschbarkeit der Natur gewährleisten kann als auch in seinen Wirkungen selbst beherrschbar ist. 19 Die Durchsetzung des Experiments • Inventives Handwerk, Architektur, Militärwesen, Ingenieurstätigkeit • Magie und Alchemie • Entdeckungsreisen • Kunst • Renaissancehumanismus 20 Alchemie Die Alchemie bildete sich ursprünglich in Ägypten und im antiken Griechenland heraus. Weiterentwickelt wurde sie im arabischen Kulturraum und fand von dort wie viele antike Quellen im späten Mittelalter und in der Renaissance den Weg zurück nach Europa. 21 Alchemie Starker Einfluss auf – Materialforschung – Chemie – Medizin – Pharmazie 22 Abū Mūsā Dschābir ibn Hayyān, lat.: Geber Vater der Chemie (ca. 721 – 1815) 23 Johann Georg Faust (ca. 1480 – 1540) 24 Faust erschafft den Homunculus 25 Paracelsus (1493 – 1541) 26 Isaac Newton (1642 – 1727) 27 Johann Friedrich Böttger (1682 – 1719) 28 Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651 – 1708) 29 Der neue Umgang mit der Zahl • Übergang von der symbolischen zur exakten Zahl • Zwang zum Messen durch die Eroberung der Welt, das Experiment, die Kunst • Erhöhung der Effektivität in der Lösung von Problemen durch mathematische Modellierung und Berechnung 30 Der neue Umgang mit der Zahl • • Astronomische und mechanische Berechnungen z.B. durch Galilei, Kepler etc., die in der Konsequenz die physikalische Einheit des Universums nachwiesen Einführung algebraischer Symbole (Mathematiker konnten bis zu diesem Zeitpunkt Mengen, Verhältnisse und Probleme immer nur mit Worten beschreiben oder geometrisch darstellen. Viète - lat.: Vieta - (1540-1603) begann damit Konstanten und Unbekannte mit Buchstaben des Alphabets zu symbolisieren – veröffentlicht 1591 31 Der neue Umgang mit der Zahl • Veröffentlichung der Logarithmentafeln durch Napier (1550-1617) im Jahr 1614 Zahlen können in exponentieller Form geschrieben werden, z.B. 24 . Multiplikation bzw. Division von solchen Zahlen kann durch Addition bzw. Subtraktion der Exponenten vereinfacht werden, z.B. 24 x 25 = 29 . Der schottische Mathematiker John Napier stellte Formeln zusammen (Logarithmen), mit deren Hilfe er die Exponenten für sehr viele Zahlen ermitteln konnte. 32 Der neue Umgang mit der Zahl • 1637 analytische Geometrie durch Descartes (1596-1650) – – • Verbindung von Algebra und Geometrie durch Entwicklung des Koordinatensystems Geraden und Kurven konnten nun durch algebraische Gleichungen ausgedrückt, mithin geometrische Probleme algebraisch gelöst und umgekehrt algebraische Gleichungen geometrisch dargestellt werden. 1669 Infinitesimalrechnung durch Newton, wenig später durch Leibniz 33 Die Transformation des Gesetzesbegriffes Der Gesetzesbegriff wird in der Naturwissenschaft erst in der Neuzeit benutzt. Dabei wird die Gesetzesmetapher aus unterschiedlichen Bereichen heraus auf die Natur übertragen: 34 Die Transformation des Gesetzesbegriffes 1. Aus dem theologischen Vorstellungsbereich wird er in der Naturphilosophie übernommen. Aus dieser Übertragung heraus erscheinen natürliche Zusammenhänge als gesetzt, als apodiktisch geltend, als objektiv geltend. 35 Die Transformation des Gesetzesbegriffes 2. Aus den Handlungsfeldern der KünstlerIngenieure und der Chemiker heraus entsteht der Begriff der Regelmäßigkeit. Damit wird der Gesichtspunkt der Wiederholbarkeit unter gleichen Bedingungen herausgehoben. 36 Die Transformation des Gesetzesbegriffes 3. Aus der Mathematik wird der Begriff der Proportion übernommen und mit der Vorstellung der Regelmäßigkeit gekoppelt. Mit anderen Worten: Das Gesetz ist ein objektiver Zusammenhang, der sich unter gleichen Bedingungen wiederholt und mathematisch abbilden lässt. 37 Die Trennung positiver Forschung von sinnorientierter Reflexion • Loslösung von Autoritäten, Theologie, und Philosophie • Immunisierung gegenüber den Diskursen von Sinn und von Werten • Herausbildung eigener Bewährungsregeln 38 Zum traditionellen wissenschaftlichen Weltbild Im traditionellen wissenschaftlichen Weltbild ist die prinzipielle – Erkennbarkeit, – Voraussagbarkeit und – Beherrschbarkeit der Wirklichkeit unterstellt. 39 Erkennbarkeit Die vielfältigen Erscheinungen der Wirklichkeit können auf das Wirken von objektiven Gesetzen zurückgeführt werden. Diese Gesetze sind sich wiederholende Wirkungszusammenhänge, die prinzipiell quantitativ bestimmbar sind. Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit lässt sich durch das Wirken prinzipiell messbarer Zusammenhänge erklären. 40 Voraussagbarkeit Mögliche Veränderungen der Wirklichkeit können prinzipiell vorausgesagt werden. Näherhin gilt: Auf der Grundlage von Gesetzeserkenntnissen können mögliche empirische Ereignisse vorausgesagt werden. 41 Beherrschbarkeit Die Wirklichkeit kann menschlichen Zwecken entsprechend gestaltet werden. Sie ist in ihren Wirkungen prinzipiell praktisch beherrschbar. 42 Pierre-Simon Laplace (1749 – 1827) 43 Laplacescher Dämon „Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“ 44 Grundlegende Annahmen der neuzeitlichen Wissenschaft Weltbild: Reduzierbarkeit der erlebbaren Vielfalt der Welt auf die Beziehungen elementarer Komponenten Determinismusannahme Kausalitätsannahme: identische Ursachen haben identische Wirkungen Erkenntnisziel: Wahrheit, frei von subjektiven Wertpräferenzen, mathematisch und empirisch überprüfbar